Johann Sebastian Bach (1685-1750) Biografie Spitta Bijlagen

 

 

Kritische Ausführungen.

 

[787] 1. (S. 8.) Die Genealogie erzählt hier mancherlei Unrichtiges: der Stadtpfeifer habe auf dem Thurme des Schlosses Grimmenstein gewohnt, Hans Bach sei bei ihm geblieben bis zur Zerstörung des Schlosses, dann sei er, da auch mittlerweile sein Vater gestorben, nach Wechmar zurückgegangen. Der Grimmenstein wurde aber schon 1567 in den Grumbachschen Händeln zerstört, als Hans Bach sicherlich noch garnicht geboren war. Dann besaß Gotha bis zur Erbauung des jetzigen Friedensteins (1646) gar kein Schloß. Das Rathhaus war aber so geräumig und stattlich, daß es 1640 für Herzog Ernst den Frommen zur einstweiligen Wohnung eingerichtet werden konnte (Beck, Geschichte der Stadt Gotha, S. 422). – Veit Bach lebte noch als sein Sohn längst in Wechmar wieder ansässig war.

2. (S. 10.) Dies ergiebt sich aus Folgendem. Johann Bach, der sich laut Copulations-Register 1635 verheirathete, wird dort »senior« genannt. Am 7. Juni des vorigen Jahres hatte sich unser Hans Nr. 3 verehelicht, das »senior« ist offenbar zur Unterscheidung von diesem zugesetzt. Wären sie nur Vettern gewesen, so gab es, falls man überhaupt daran dachte sie zu unterscheiden, hierzu andre Merkmale genug. Durchaus natürlich aber ist es bei Brüdern, zumal wenn sie so bald hinter einander heiratheten. Ich würde auf diese Sache kein Gewicht legen, geschähe es nicht um des Vaters willen.

3. (S. 11.) Daß sie den Vater einen Teppichmacher sein läßt, ist eine offenbare Verwechslung mit Hans Bach, und wenn auch hier sich drei musikalische Söhne finden, so verdächtigt dies die Glaubwürdigkeit des Berichts überhaupt und giebt ihm den Schein einer spätern Erfindung. – Was die Genealogie darnach über die weitere Verzweigung dieser Linie mittheilt, bezeichnet sie selbst größtentheils als Vermuthungen, denen um so weniger Werth beizulegen ist, als der Verfasser von der weit über Veit hinausreichenden thüringischen Existenz des Bachschen Stammes nichts wußte. Der Umstand, daß in der Bindersleber Linie noch jetzt die Tradition lebt, ihre Vorfahren seien aus Böhmen oder Ungarn eingewandert, ohne daß sie von einer Verwandtschaft mit Sebast. Bach etwas weiß, könnte einen Augenblick geneigt machen, diese Familie mit dem zweiten Sohne Veits in [787] Verbindung zu bringen. Allein schon dadurch, daß sie ihren Ahnherrn gleich nach Molsdorf ziehen läßt, kennzeichnet sich der spätere und künstliche Ursprung einer Tradition, die ursprünglich sicher in dem Bestreben wurzelt, die Molsdorf-Bindersleber Linie mit Seb. Bach in Zusammenhang zu setzen, und zwar um so mehr, wenn man bedenkt, wie auch für Sebastians Vorfahren jene Tradition nur bedingt richtig ist.

4. (S. 11.) Diesen Angaben liegt zunächst ein von Veit Bach beginnender Stammbaum dieser Linie zu Grunde, welcher im Besitz von Jakob Bachs Urenkel, Johann Philipp Bach in Meiningen, war und abschriftlich in die Hände von Frl. Emmert in Schweinfurt kam. Was die Genealogie mit ihren Zusätzen hierauf Bezügliches bietet, stimmt mit dem Stammbaum überein, nur ist aus Versehen das Geburtsjahr des Jakob Bach als sein Todesjahr bezeichnet. Gelbkes Kirchen- und Schulenverfassung des Herzogthums Gotha, Th. II, Bd. 1, S. 669 giebt 1654 als Geburtsjahr an. Die Pfarr-Register in Wolfsbehringen stellen nur Wendel Bachs Todes-Datum fest. – In Brückners Kirchen- und Schulenstaat, Th. I, St. 2, S. 172 findet sich noch die Notiz, Jakob Bach sei 1631 in Thal bei Ruhla als Schuldiener angestellt und nach den Visitations-Acten von 1642 zum Schulmeister in Ruhla bestimmt gewesen. Die Zahlen passen nicht, doch könnten allenfalls Druckfehler vorliegen.

5. (S. 13.) Daß er ein Bruder des Meininger Bach war, ist nicht ausdrücklich gesagt, ich habe es aber ohne weiteres angenommen, da das Alter stimmt, in Ruhla außer Jakob Bach sicher kein anderer des Geschlechts existirte und beide, Johann Ludwig und Nikolaus Ephraim, im Dienste fürstlicher Personen aus dem meiningenschen Hause standen, endlich auch Nikolaus bei einer Tochter Johann Ludwigs als Pathe figurirt.

6. (S. 82.) Das einzige mir bekannte Manuscript derselben wird auf der königl. Bibliothek in Berlin aufbewahrt. Es ist offenbar aus Stimmen zusammengeschrieben und recht fehlerhaft. Von Takt 116 an ist im zweiten Chor ein völliger Unsinn entstanden, da der Schreiber ein Wiederholungszeichen im Alt übersah, welcher T. 109–116 zu repetiren und dann erst mit den in der Partitur sofort anschließenden Gängen fortzufahren hatte; der Anfang zu einer ähnlichen Verwirrung findet sich an derselben Stelle auch im Basse. T. 131 hat der Schreiber wieder im Alt zwei Takte Pausen übersehen, die Takte 125, 126, 127 aber fälschlich zweimal gesetzt (128, 129, 130). Die Verbesserung einzelner andrer Schreibfehler ist leichter zu finden; den Schlußtakten fehlt der Text. Veröffentlicht ist diese Motette noch nicht.

7. (S. 139.) An letzter Stelle hat sich ein sinnentstellender Satzfehler eingeschlichen. Es heißt nämlich: »Das einzige daselbst lebende musikalische Genie war ein betrunkener Organist, denn nüchtern leistete er so wenig, als seine Mitbürger aus der Familie der Bache. « Die letzten fünf Worte sind an einen falschen Platz gerathen. Denn offenbar hat Gerber sagen wollen: – – – »ein betrunkener Organist aus der Familie der Bache; [788] denn nüchtern« u.s.w. Wenn weiterhin steht, daß die Schüler genöthigt gewesen wären, in eine andre Kirche zu gehen, als wo Bach spielte, so braucht man dies nicht so aufzufassen, als ob sie des schlechten Beispiels wegen die Blasius-Kirche nicht hätten besuchen dürfen. Vermuthlich hatten sie in der Marienkirche ihre angewiesenen Plätze.

8. (S. 171.) Es gab in jener Zeit, wie man aus den »Verrechten« vom Jahre 1666 sehen kann, welche das Erfurter Raths-Archiv aufbewahrt, nicht weniger als drei Valentin Lämmerhirts in der Stadt, welche sämmtlich auch Töchter des Namens »Elisabeth« hatten. Daß es grade die obengenannte war, welche sich Ambrosius gewählt hatte, folgt aus den später noch zu erwähnenden Lämmerhirtschen Erbschafts-Acten, durch die wir den Namen ihres Bruders, Tobias, erfahren. An diesem Faden ist es möglich, sich in den Irrgängen der Pfarr-Register zurecht zu finden. Zwei von den drei Lämmerhirts waren Kürschner und wohnten neben einander auf dem Junkersande, der eine im Haus »zu den drey Rosen«, der andre im Haus »zur Jungfrawen« (jetzt Nr. 1284). Da jedoch Tobias Lämmerhirt späterhin ein Haus in der Breitenstraße ebenfalls mit dem Namen »zum dreyen Rosen« besaß, und es Brauch der Hausbesitzer war, bei Wohnungsveränderungen den Namen ihres Hauses mitzunehmen, so wird die genannte jetzige Nr. 1285 die Stätte sein, wo Sebastian Bachs Mutter geboren wurde. – Die Genealogie nennt Ambrosius Bachs Schwiegervater und auch den Vater der erwähnten Hedwig Lämmerhirt »Raths-Verwandte« (so nannten sich die Verwandten einer Familie, aus welcher einmal ein Rathsherr hervorgegangen war), allein dies ist wohl eine ungerechtfertigte Vorausnahme. Erst unter den Rathsherren von 1658 und 1663 findet sich ein Valentin Lämmerhirt, ein jüngerer Verwandter des uns hier interessirenden.

9. (S. 218.) Eine chronologische Schwierigkeit ergab sich hier, da die Genealogie und der Mizlersche Nekrolog und nach dessen Vorgange fast alle späteren Biographen die Uebersiedlung nach Arnstadt in das Jahr 1704 verlegen, die Anstellungsacten von dort aber das Jahr 1703 tragen, und zwar in wiederholten Datirungen, welche jede Annahme eines Schreibfehlers ausschließen. Der Irrthum steckt also in den erstgenannten Quellen, und hier konnte es zweifelhaft sein, ob nicht der Lüneburger Aufenthalt zu kürzen und Bachs Abschied von dort in das Jahr 1702 zu setzen wäre, da ein Gedächtnißfehler natürlicher erscheint, der zwei mit drei Jahren verwechselt, als der wenige Monate zu fünf Vierteljahren ausdehnt. Allein es gelang im großherzoglichen Haus-Archive zu Weimar ein Verzeichniß des gesammten Capell-Bestandes aus dem Jahre 1702 aufzufinden, und dieses weist den Namen Bach nicht auf. Nun verließ Sebastian Lüneburg sicherlich um Ostern, weil für das Sommerhalbjahr die Erwerbsquelle aus dem Umsingen des Schülerchores ihm nicht floß. Das Verzeichniß würde also nur in dem Falle beweisunkräftig sein, wenn es, was an sich unwahrscheinlich, vor Ostern des Jahres angefertigt wäre, ohne freilich dadurch die entgegengesetzte Möglichkeit zu bewahrheiten. Außerdem ist zu beachten, [789] daß dann sein Aufenthalt in Weimar unverhältnißmäßig lang erscheint. Da ihn sein ganzer Bildungsgang nicht auf eine solche Stelle hinleitete, mußte er möglichst bald in einen entsprechenderen Wirkungskreis zu kommen suchen, und man sollte meinen, daß er die arnstädtische Organistenstelle, die doch damals schon von dem wenig genügenden Börner bekleidet wurde, 1702 kaum weniger leicht erhalten konnte als 1703. Deshalb, und weil die biographischen Notizen der Genealogie über Sebastian Bach nicht nach dessen Angaben direct niedergeschrieben sind, auch noch ein andres kleines Versehen enthalten, und überhaupt der größte Theil der ganzen Genealogie garnicht unter seinen Augen abgefaßt wurde, halte ich trotz der sonstigen Wichtigkeit dieser ältesten Quelle die Angabe des Jahres 1704 als Antrittstermin in Arnstadt für den gesuchten Fehler. Da der Nekrolog dasselbe sagt, so werden die Federn, welche jenen verfaßten, wenigstens die eine derselben, auch hier thätig gewesen sein. Im Jahre 1703 fiel Ostern auf den 8. April; Bach verweilte also in keinem Falle länger als vier Monate in Weimar.

10. (S. 223.) Den zu Arnstadt im Jahre 1705 gedruckten Text, wovon ein Exemplar auf der Ministerial-Bibliothek zu Sondershausen, hat zum größten Theil erneuert K. Th. Pabst im Arnstädter Gymnasial-Programm von 1846. Daß der Rector Treiber wenigstens die dichterische Arbeit hier besorgt hat, läßt sich mit Sicherheit schließen, weil die Operette von arnstädtischen Schülern aufgeführt wurde und die Namen der auftretenden Personen nur von einem der lateinischen und griechischen Sprache kundigen Manne so geschickt gebildet werden konnten (so heißen zwei Bier-»Angießer«: Modulius und Cantharinus, ein Böttichergeselle: Doliopulsantius, eine Brauherrn-Frau: Eulalia, eine Bierzapferin: Bibisempria). Die dazu gehörige Musik wird der Sohn gemacht haben, günstigsten Falles arbeiteten beide zusammen. In Arnstadt hat sich die Sage gebildet, Bach sei der Componist gewesen, soweit ich sehe aus keiner andern Veranlassung, als weil er zu jener Zeit dort Organist war. Hätte man bedacht, wie musikalisch beide Treiber waren und daß der Sohn grade damals in Arnstadt weilte, so wäre eine solche Annahme, die im Verlauf sogar in einen Roman von E. Marlitt verwebt wurde, wohl garnicht möglich gewesen. Bach hatte, wie alle seines Geschlechts, gelegentlich den Zug zum Derben und Possenhaften, aber an einer so sterilen, jedes Lebens und jeder Laune baaren Poesie hätte er sich sicherlich nie vergriffen. Zudem stand er mit den Schülern des Lyceums keineswegs immer im besten Einvernehmen.

11. (S. 227.) Die autographe Partitur, welche mit den autographen Stimmen zusammen (beides auf der königl. Bibl. zu Berlin) ihre Entstehung während Bachs Leipziger Zeit durch Schrift und Papier unwidersprechlich darthut, zeigt auch durch die sichersten Merkmale, daß sie nach einer ganz vollendeten Vorlage gefertigt ist. Es fehlen sowohl fast alle Aenderungen und Correcturen, an denen Bachs Cantaten-Handschriften sonst so reich sind, als auch am Schlusse das S.D.G., was der Meister bei einer ersten [790] Partitur hinzuzusetzen nie unterläßt, wohl aber, wie auch das anfängliche J.J. (Jova oder Jesu Juva), bei Abschriften und wenig durchgreifenden Umarbeitungen. Für die Zusammenarbeitung aus zwei verschiedenen Werken spricht noch, daß die Partitur ununterbrochen fortläuft und die Zweitheiligkeit noch nicht aufweist. In der jetzt vorliegenden Gestalt war sie für eine Aufführung in einem Zug unter allen Verhältnissen zu lang, und wäre es die ursprüngliche Fassung, so hätte Bach schon damals die Theilung vornehmen müssen. Dann aber wäre wieder nicht zu begreifen, warum sie in der jetzigen Partitur fehlt.

12. (S. 227.) Im Jahre 1748 verfertigte der damalige Cantor an der Haupt-Kirche zu Weimar, Johann Sebastian Brunner, Text und Musik zu einem Jahrgange von Cantaten, in dem er theilweise die geistlichen Dichtungen älterer weimarischer Poeten in wunderlicher Weise verarbeitete, in den einzelnen Theilen durch einander warf, verdrehte und die so entstandenen Reimereien als seine Erzeugnisse drucken ließ. (Die großherzogl. Bibl. in Weimar besitzt ein Exemplar davon.) So wurde ein Cantaten-Text von Salomo Franck aus dem Jahre 1716, den Sebastian Bach, seiner herrlichen Cantate »Wachet, betet, seid bereit« zu Grunde legte, durch ihn in dieser Weise mißhandelt, worüber man die Mittheilungen an der betreffenden Stelle nachsehen wolle. Ein gleiches Schicksal traf die in der Oster-Cantate gebrauchten Dichtungen. Die zweite Strophe des erwähnten Liedes lautet im Original:


 

Wo bleibet dein Rasen, du höllischer Hund,

Wer hat dir gestopfet den reißenden Schlund? u.s.w.


 

Brunner in der Cantate auf Mariä Verkündigung läßt den Eingangschor anheben:


 

Heut zittert und bebet der höllische Hund

Vor Gabriels schallenden Englischen Mund.

Heut wird ihm auf ewig versperret sein Schlund, u.s.w.


 

Die darauf folgende Cantate zum ersten Ostertage legt dem ersten Recitativ diese Worte unter:


 

Auf Seele! freue dich, du bist nunmehr getröst,

Erlöst

Und aus der Macht der Finsterniß gerissen, u.s.w.


 

wozu man die S. 226 angeführte erste Strophe vergleichen möge. Späterhin heißt es:


 

Ihr Feinde, die ihr mich annoch bisher verhönt,

Auf! weicht, begebt euch auf die Flucht;

Es ist umsonst, was ihr versucht;

Denn Christus, der sich zeigt vor seiner Grabes Thür,

Lebt jetzt in mir.


 

Dagegen in der vierten Strophe der Bachschen Cantate:


 

Seid böse, ihr Feinde, und gebet die Flucht,

Es ist doch vergebens, was ihr hier gesucht.

Der Löwe von Juda tritt prächtig hervor,

Ihn hindert kein Riegel, noch höllisches Thor.


 

[791] Endlich lauten die Worte des Duetts. das uns einer andern Cantate entnommen schien:


 

Weichet, weichet Furcht und Schrecken

Ob der schwarzen Todesnacht;

Christus wird mich auferwecken,

Der sie hat zum Licht gemacht, u.s.w.


 

Bei Brunner schließt sich an das zuletzt mitgetheilte Recitativ die Arie:


 

Nun bringt mir des Todes Nacht

Weder Angst noch Schrecken,

Christus, der mich frei gemacht,

Wird mich auch erwecken, u.s.w.


 

Muß man nun unbedingt annehmen, daß Brunner nur weimarische Vorlagen benutzt hat, denn einerseits lebte und producirte einer der besten geistlichen Dichter der Zeit, Salomo Franck, in Weimar, andrerseits war die Hervorbringung von Cantaten-Poesien damals überall eine massenhafte, und Brunner durchaus nicht wählerisch, so folgt, daß der Text der Bachschen Ostercantate in Weimar gedichtet ist. Und zwar muß dies in den ersten 12 Jahren des 18. Jahrhunderts geschehen sein, denn seitdem befliß man sich dort der neuen Cantaten-Form. Die Vermuthung nun, daß Bach das fragliche Werk während seines zweiten Aufenthalts in Weimar, also von 1708 an, componirt habe, erweist sich sofort als hinfällig, wenn man die Mühlhäuser Rathswahl-Cantate und andre Werke vergleicht, welche jener Zeit angehören. Dort tritt uns schon ein Meister entgegen, hier nur ein reichbegabter Schüler. Es bleibt also nur übrig anzunehmen, daß Bach den Text bei seinem ersten Aufenthalte in Weimar kennen gelernt hat. Daß derartige poetische Versuche in jener Zeit dort gemacht wurden, beweist eine Sammlung von Cantaten-Dichtungen, welche Georg Theodor Reineccius, damals Stadtcantor des Orts, unter dem Titel: »Wohlklingendes Lob Gottes, aus denen ordentlichen Sonntags Evangelien, in der Pfarr-Kirche zu S. Petri und Pauli zu Weimar, vom 1. Sonntage nach Trinitatis anno 1700 mit lieblichenConcerten Gott zu Ehren, und der Gemeine zur Ermunterung, abgesungen« herausgab; die hierin herrschende Form stimmt ganz überein mit der des Liedes, welches Bachs Cantate größtentheils zu Grunde liegt. In Weimar selbst kann die Composition nicht erfolgt sein, da der Componist kein Osterfest dort verlebte, sie aber in die spätere Arnstädter Zeit zu versetzen, verbietet schon die urkundliche Nachricht, daß Bach sich mit seinem Chor überworfen hatte, sich nicht mehr um ihn kümmerte und also auch nichts von seinen Compositionen mit ihm aufführte. Dann ist auch an sich die Benutzung eines Textes aus einem fremden Orte wahrscheinlicher zu einer Zeit, wo die Erinnerung an jenen noch frisch war. Endlich verräth die Composition eine auffällige Einwirkung der nordischen Meister, deren Stil in Sebastian von Lüneburg her noch lebendig gewesen sein muß. – Wenn übrigens bei Brunner die Parodie des Duett-Textes den Nachahmungen aus dem siebenstrophigen Liede nachfolgt, während das Duett bei Bach diesem vorhergeht, so ist das ein neuer Beleg meiner Vermuthung, es habe ursprünglich einer Cantate zum 2. Ostertage [792] angehört. Beide Texte standen in derselben Sammlung, und Brunner nahm aus dem zweiten etwas für seinen ersten hinüber.

13. (S. 290.) Diese Handschrift in Hochfolio befindet sich auf der Lübecker Stadtbibliothek, enthält auf 87 Blättern zwanzig Kirchenmusiken in deutscher Tabulatur nebst Register, und ist mit bewunderungswerther Schönheit und Genauigkeit angelegt. An einzelnen Stellen zeigt sich eine andere, und zwar flüchtigere und mehr ausgeschriebene Hand, und man überzeugt sich bald, daß dies nur Buxtehudes eigne Züge sein können. Sein Name als Autor ist nur bei den Stücken 1, 3, 5, 7, 8, 9 und 12 genannt, trotzdem aber kaum zu bezweifeln, daß alle 20 von ihm herrühren. Ueberall nämlich, wo der Name des Componisten hinzugefügt ist, mit Ausnahme der zwölften Composition, ist es von jener zweiten Hand geschehen; diese selbe hat aber auch in 2, 4 und 6, welche keinen Componistennamen tragen, mehr oder weniger thätig eingegriffen, in Nr. 2 sogar mehr als zwei Folioseiten selbst geschrieben, und mit einer raschen Sicherheit, wie es nur der Componist selber konnte. Man frägt vergeblich, wie ein Dritter dazu gekommen sein sollte, einem ganz ausgezeichneten Copisten in den Arm zu fallen, und mitten in einer Cantate einen ganzen Abschnitt mit charakteristischen aber keineswegs schönen Zügen selbst herzustellen. Sehr leicht aber ist zu denken, daß Buxtehude mit dem Abschnitt, wie er zum Copiren vorlag, noch nicht zufrieden war und ihn in andrer Fassung in den Prachtfolianten aufgenommen wünschte, die er ihm am einfachsten sofort beim eignen Einschreiben geben konnte. Dazu kommt, daß die unbenannten Stücke in der Factur so ganz und gar mit den benannten übereinstimmen, daß Buxtehude, wäre er selbst der Autor nicht, einen Doppelgänger gehabt haben müßte, der die Sache genau so gut, ja besser als er verstand. Ich habe die ersten sieben Stücke in die jetzt gebräuchliche Notirungsweise umgeschrieben und Note für Note geprüft. Die NNr. 1–9 und Nr. 12 sind also zweifellos Buxtehudes Werke, ich glaube es auch von den andern aus innern, wie äußern Gründen. Der Prachtfoliant ist augenscheinlich auf die Sammlung der Werke eines hoch in Ehren stehenden Meisters angelegt; an der Herstellung des ersten Theiles hat sich Buxtehude selbst betheiligt, ist aber vielleicht darüber hin gestorben. Aber auch wo er sich betheiligte, geschah dies ganz unregelmäßig und willkürlich. Hierfür läßt sich als Beispiel eine Bemerkung seiner Hand vor dem fünften Satze der zweiten Cantate anführen, wo die Trompeten für D dur geschrieben sind, wie sie klingen. Er merkt dazu an: »NB: müssen aber in C. abgeschrieben werden.« Nun sind aber die Trompeten schon von Anfang in Thätigkeit und auch immer in D dur geschrieben gewesen; die Bemerkung hätte also an den Beginn der Cantate gehört. Hiernach wird man sich über das willkürliche Zusetzen und Weglassen des Namens nicht mehr wundern, am wenigsten dort, wo der Componist selbst bei der Abschrift thätig gewesen war. Man war damals noch nicht so ängstlich in Wahrung des eignen Autorrechts, wie jetzt. – Herrn Bibliothekar Professor Mantels bin ich für die Liberalität, mit welcher er mir den Codex [793] auf lange Zeit zum Studium und zur Umschreibung anvertraute, zu ganz besonderem Danke verpflichtet.

14. (S. 307.) Wir wissen aus Mollers Cimbria litterata, daß Buxtehude zum Tode seines Vaters eine Composition verfaßte: »Fried- und Freudenreiche Hinfahrt des alten Simeons.« Anzunehmen, daß es diese sei, hindert aber der Zusatz: »in zwey Contrapuncten musicalisch abgesungen«, der wohl nur eine zweifache Bearbeitung des Kirchenlieds »Mit Fried und Freud ich fahr dahin« bedeuten kann. Walther macht (Lexicon, unter »Buxtehude«) eine unklare auf jene Composition zielende Bemerkung, aus der man erkennt, daß er sie wahrscheinlich nicht selbst gesehen hat; oder er müßte sich sehr schlecht ausgedrückt haben, denn man erfährt unter allen Umständen nicht von ihm, welcher Art die Composition war.

15. (S. 322.) Wer die Bachsche Composition zu Gesicht bekommen sollte, wird durch beispielsweise Vergleichung von Nr. 4 aus Frobergers Diverse curiose e rarissime Partite (Moguntiae MDCXCV), welche in Commers Musica sacra Nr. 45 mitgetheilt ist, sich über das angedeutete Verhältniß näher unterrichten können. – Die königl. Bibl. zu Berlin bewahrt ein Manuscript-Bändchen mit Ciaconen und Canzonen, welches die Aufschrift trägt: Di J.S. Bach. Von Bachschem Stile ist allerdings keine Spur darin, dagegen tragen die Stücke nach allen Seiten ein Frobergersches Aussehen. Es wäre wohl möglich, daß dem Schreiber derselben eine Handschrift vorgelegen, welche den Namen Bachs als Besitzers trug, oder gar von ihm selbst gefertigt war, und daß sie, so irrthümlich für seine Compositionen angesehen wurden.

16. (S. 322.) Das Stück findet sich in verschiedenen älteren Handschriften mit sehr verschiedenen Titeln. Der von W. Rust ihm in der Ausgabe der Bachgesellschaft frei gegebene: Toccata hat wenigstens einige historische Berechtigung, wurde ja auch noch von Reinken bei einem gleichgestalteten Werke angewendet. Die Tonart ist bald C dur, bald E dur; mir scheint wegen einiger Pedalstellen im Anfangs- und Mittelsatze C dur die ursprüngliche zu sein. Die vollgriffigen tiefliegenden Accorde klangen bei der zuweilen sehr hohen Stimmung der damaligen Orgeln, welche sich um eine Terz über den Kammerton erheben konnte, nicht so dumpf, wie es jetzt wohl das Aussehen hat.

17. (S. 380.) Für die Ermittlung des Verhältnisses zwischen Chor- und Kammerton sind natürlich nur die Blasinstrumente entscheidend. In der autographen Partitur der 1715 zu Weimar componirten Cantate »Tritt auf die Glaubensbahn«, deren Tonart E moll ist, stehen Flöte und Oboe in G moll. Die Partitur der in die früheren Jahre des weimarischen Aufenthalts fallenden Cantate »Nach dir, Herr, verlanget mich« weist zur Tonart H moll das Fagott in D moll auf. Zu der im Jahre 1715 entstandenen Cantate »Barmherziges Herze der ewigen Liebe«, die in Fis moll gesetzt ist, liegt eine autographe Trompetenstimme in G moll vor; da die natürliche Stimmung der Trompeten schon um eine ganze Stufe über dem Kammertone [794] stand, so kommt hierdurch gleichfalls das Verhältnis der kleinen Terz heraus. Die ebenfalls 1715 geschriebene Ostercantate »Der Himmel lacht, die Erde jubiliret« steht in C dur, die Stimmen der Oboen und des Fagotts in Es dur. Die Advents-Cantate desselben Jahres »Bereitet die Wege« aus A dur, hat gegen Bachs sonstige Gewohnheit die Oboe im Sopranschlüssel; man braucht denselben nur mit dem Violinschlüssel zu vertauschen und die drei Kreuze zu streichen, so ist dasselbe Verhältniß da. Ich glaube, daß durch diese Beispiele die Sache ganz klar gelegt ist. Wenn in andern Partituren der weimarischen Zeit die Blasinstrumente in der wirklichen Tonart des Werkes aufgezeichnet sind, so wird dadurch nicht das Gegentheil bewiesen, da es zweifellos der bessern Uebersicht und der Einheitlichkeit wegen geschah. Vielmehr wird Bach die Blasinstrumente wohl nur dann in ihre zur Orgel stimmende Tonhöhe schon in der Partitur gesetzt haben, wenn er verhindert war, selbst die Stimmen auszuschreiben und das Geschäft der Transposition keinem andern überlassen wollte. Auch konnte er ja bei der Aufführung eine Transposition des Orgelparts extemporiren. Uebrigens wird durch diesen Nachweis für die genannte Oster-Cantate eine Anzahl von Auffälligkeiten (s. B.-G. VII, Vorwort zu Cantate XXXI) mühelos beseitigt, und für allgemeine chronologische Bestimmungen ein nicht zu verachtender neuer Stützpunkt gewonnen. Man könnte fragen, ob nicht die doppelte Lesart der großen Orgelcomposition in Buxtehudes Stile (P.S. V, C. 3, Nr. 7; B.-G. XV, S. 276), welche sich in C dur und E dur findet, so zu erklären sei, daß die Composition für die hoch stehende weimarische Orgel zuerst in C dur geschrieben worden und später für ein tiefer stimmendes Werk um eine große Terz aufwärts transponirt sei. Allein zunächst wissen wir nichts von der Stimmung der Arnstädter Orgel, ferner sprachen sehr gewichtige innere Gründe für eine frühere Entstehungszeit, und endlich würde es höchst auffällig sein, daß unter den zahlreichen übrigen weimarischen Orgelcompositionen sich keine andre in ähnlicher Transposition findet. Ich glaube auch viel eher, daß man mit der Versetzung nach E dur das Stück für eine ungewöhnlich tief stehende Orgel klanggerecht machen wollte, als es aus einer ungewöhnlich tiefen Setzart in eine angemessene Durchschnittshöhe bringen. – Die um das Jahr 1756 erbaute neue Schloßorgel wurde in den Kammerton gebracht (Adlung, Musica mechanica organoedi I, 282), was vielleicht nicht geschehen wäre, hätte man nicht so lange die Uebelstände einer Cornett-Stimmung empfinden müssen.

18. (S. 397, 520.) Eine wichtige Handhabe für die chronologische Ordnung Bachscher Orgel- und Claviercompositionen bietet das mehrfach erwähnte geschriebene Buch von Andreas Bach (vgl. zweites Buch, I, Anm. 32), welches außer Compositionen von Kuhnau, Polaroli, Reinken, Buxtehude, Böhm, Pachelbel, Buttstedt, Ritter, W.[itt], Pestel, Marchand, Telemann (Melante), Marais, J.C.F. Fischer, Küchenthal und Ungenannten auch vierzehn Stücke von Sebastian Bach enthält, nämlich: 1. Fuge in A dur (P.S. I, Cah. 13, 9). 2. Toccata in Fis moll (P.S. I, C. 4, 4). 3. Ouverture [795] u.s.w. in F dur (P.S. I, C. 13, 4). 4. Passacaglio in C moll (P.S. V, C. 1, 2). 5. Toccata in C moll (P.S. I, C. 4, 5). 6. Toccata in G dur (P.S. I, C. 13, 3). 7. Fuga in G moll (P.S. V, C. 4, 7). 8. Aria variata in A moll (P.S. I, C. 13, 2). 9. Fantasia in C dur (P.S. V, C. 8, 9). 10. Orgelchoral »Gott, durch deine Güte« (P.S. V, C. 6, 25). 11. Fuge über ein Thema von Legrenzi (P.S. V, C. 4, 6). 12. Fantasia in H moll (P.S. I, C. 13, 7). 13. Fantasie mit Fuge in A moll (P.S. I, C. 4, 2). 14. Praeludium in C moll (unveröffentlicht; im Manuscript Blatt 71b und 72a). Andreas Bach, geb. 1713, war der fünfte Sohn von Sebastians ältestem Bruder, aber bei einer etwas genaueren Untersuchung überzeugt man sich bald, daß er garnicht der ursprüngliche Besitzer des Buches gewesen sein kann und es folglich auch nicht geschrieben oder gesammelt hat. Sein Name mit der Jahreszahl 1754 steht nur unten auf der letzten Seite ganz undeutlich und offenbar nachträglich eingezeichnet; entscheidender noch ist, daß er weder je ein Schüler Sebastians, noch überhaupt vorwiegend Clavier- und Orgelspieler war; sein Leben hatte ihn ganz andre Wege geführt. Bis in sein zwanzigstes Jahr in Ohrdruf lebend, trat er 1733 als Hautboist ins Gothaische Dragoner-Regiment und machte einen Feldzug an den Rhein mit, war sodann beim Grafen von Gleichen 5 Jahre Tafeldecker und erhielt hiernach durch Protection zuerst den Organistendienst an der Trinitatiskirche in Ohrdruf, und 1744 nach dem Tode seines Bruders Bernhard den gleichen Posten an der Michaeliskirche. Dieser Bernhard dagegen, geb. 1700, hatte sich zum Orgelspieler und Kirchencomponisten ordentlich ausgebildet und zwar zwischen den Jahren 1715 und 1717 unter Leitung Sebastian Bachs in Weimar. Selbstverständlich that er in dieser Zeit, was alle Schüler thaten: er schrieb sich eine Anzahl der vorzüglichsten Stücke seines Lehrers und andrer von demselben empfohlener Meister zum eignen Gebrauche zusammen. Nichts liegt näher, als die Annahme, daß das Resultat davon eben jenes Buch war, welches zugleich mit dem Amte nach dem Tode Bernhard Bachs auf seinen Bruder überging. Dazu kommt, daß mit einer Ausnahme alle Compositionen Sebastians, und noch manche andre, dieselben gleichmäßigen Schriftzüge zeigen, zum Beweis, daß alles dies um dieselbe Zeit geschrieben wurde, und wiederum paßt die schöne und deutliche, aber etwas gezirkelte und unfreie Hand sehr wohl auf einen 16- bis 17jährigen Jüngling und einen Schüler, der den Compositionen durch kalligraphische Sorgfalt möglichst viel Ehre anthun wollte. Sind nun diese Schlüsse, wie ich nicht bezweifle, richtig, so ergiebt sich daraus, daß alle die genannten Compositionen Seb. Bachs spätestens in Weimar componirt sein müssen, was bei dem größten Theile derselben auch schon aus innern Gründen wahrscheinlich, bei einer von ihnen auf anderem Wege sicher gestellt war. Auf einer so breiten chronologischen Grundlage läßt sich leichter weiter bauen, und manche vereinzelte Anzeichen gewinnen nun erhöhte Sicherheit und Bedeutung. – Uebrigens finden sich die ersten, allerdings sehr oberflächlichen Notizen über das wichtige Buch in C.F. Michaelis' Zusätzen zu Busby's Geschichte der Musik (Leipzig, 1822), Bd. 2, S. 599 ff.

[796] 19. (S. 413.) Wenn letzteres Stück in einer Handschrift J.P. Kellners den Titel führt: »Concerto dell' illustrissimo Principe Giovanni Ernesto Duca di Sassonia appropriato all' Organo a 2 Clav. e Fedale da Giovanni Sebastiano Bach.«, so befindet sich dieser Gewährsmann hier mit sich selbst im Widerspruch, da er in einer andern Handschrift den Satz mit seinen zugehörigen beiden andern Sätzen als Vivaldisch überliefert. Um Auffindung der veröffentlichten Concerte Johann Ernsts habe ich mich, besonders auch dieser Controverse wegen, vielfach, doch vergeblich bemüht. Da jedoch Kellner in allen seinen Handschriften große Flüchtigkeit beweist, auch ein andres Vivaldisches Concert für ein Telemannsches ausgiebt, und das fragliche Concert eine ausgeprägt Vivaldische Physiognomie hat, so halte ich vorläufig die Autorschaft Johann Ernsts für eine Verwechslung. Daß aber eine solche möglich war, zeigt deutlicher wohl, als alles andre, in wie nahen Beziehungen der Prinz zur Uebertragung dieser Concerte gestanden haben muß.

20. (S. 427.) Dieses Praeludium, das in zwei Handschriften mit der Fuge zusammen vorkommt, hat man neuerdings dem Sohne Joh. Pachelbels, Wilhelm Hieronymus, zugeschrieben, und darum auch in der Petersschen Ausgabe der Bachschen Werke unterdrückt. Es wird aber doch wohl Bach als Verfasser zu restituiren sein, da auch in dem sogenannten Fischhoffschen Autograph des ersten Theils des wohltemperirten Claviers (auf der königl. Bibl. zu Berlin) nach der letzten Fuge die ersten 141/2 Takte des Praeludiums von derselben Hand auf die letzten vier Liniensysteme eingetragen und mit dem Titel versehen sind: »Praelude di J.S. Bach.« Selbst wenn das Fischhoffsche Autograph unecht wäre, eine Annahme, gegen die ich meine wohlbegründeten Bedenken hege, müßte man zu dem höchst sorgfaltigen Schreiber von 24 Bachschen Praeludien und Fugen das Zutrauen haben, daß er sich der Authenticität dessen, was er schrieb, versicherte.

21. (S. 481, 482, 495.) Die Texte mußten eine Weile vor Beginn des Kirchenjahres eingeliefert werden, damit der Componist Zeit hatte, sie in Musik zu setzen. Es kam also jedenfalls der dritte Jahrgang schon im Spätsommer oder Frühherbste 1711 nach Eisenach. Ganz unmöglich wäre es nicht, daß Bach schon in diesem Jahre die Dichtungen durch Telemann kennen gelernt und benutzt hätte. Aber jedenfalls hielt man die Erzeugnisse des berühmten Poeten für ein werthvolles Eigenthum, und es ist wenig wahrscheinlich, daß sie eher aus der Hand gegeben wurden, als bis sie für ihre ursprüngliche Bestimmung verwendet waren. Und fast verboten wird die Annahme einer gleichzeitigen Composition Bachs dadurch, daß in der Weihnachtscantate »Uns ist ein Kind geboren« der Bachsche Text von dem bei Tilgner gedruckten und von Telemann componirten abweicht: das 15zeilige Recitativ ist bei Bach auf 6 Zeilen zusammengezogen, der zweite Vers des Strophenliedes ausgelassen und am Schlusse statt der letzten Strophe des Chorals »Gelobet seist du, Jesu Christ« die gleiche Strophe von »Wir Christenleut hab'n jetzund Freud« eingesetzt. Im ersten Jahrgange von [797] Neumeisters »fortgesetzten fünffachen Kirchenandachten« (Hamburg, 1726) findet sich eine mit demselben Bibelspruche eingeleitete und fast ganz übereinstimmend gestaltete Cantate auf den ersten Weihnachtstag, welche gleichfalls mit der letztgenannten Choralstrophe schließt. Aus dieser Uebereinstimmung glaube ich ableiten zu dürfen, daß die von Bach componirte Fassung vom Dichter selber herrührt. Warum und bei welcher Gelegenheit die Veränderung stattgefunden hat, wissen wir nicht mehr, jedenfalls aber geschah sie doch nach dem Bekanntwerden der ersten Version. Daraus folgt wohl, daß Bach diese Cantate nicht vor Weihnachten 1712 componirt haben kann, und, da wir ihn zur Adventszeit 1714 schon mit dem vierten Jahrgange beschäftigt finden, daß er sie entweder hier oder zu derselben Zeit 1713 componirt haben muß. Die Entstehung der Musik zu Sexagesimae »Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt« ist demnach in das Frühjahr 1713 oder 1714 zu setzen, denn es ist anzunehmen, daß Bach, wenn er den Jahrgang einmal benutzte, der Reihe nach ging, und nicht etwa zuerst eine Cantate der vorösterlichen Zeit componirte und später zum Weihnachtsfeste zurückgriff. Für die Ostercantate »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt«, die aus dem ersten Jahrgange entnommen ist, wäre nun freilich der Hypothese ein viel größerer Spielraum gelassen, wenn es nicht so sehr nahe läge, daß Bach auch den ersten Jahrgang erst bei Gelegenheit des dritten kennen gelernt habe, und wenn nicht die Composition im Stile so sehr mit den übrigen zusammenstimmte, ja sogar an technischer Eingewöhnung, zumal im Recitativ, etwas vor ihnen voraus hätte. Aus diesem Grunde möchte ich sie nicht vor der Weihnachtscantate entstanden sein lassen, sondern annehmen, daß sie ebenfalls entweder 1713 oder 1714 für das Osterfest geschrieben ist.

22. (S. 487.) Die Flöten sind allerdings erst später in Leipzig zugesetzt. Sie stehen in A moll und im französischen Violinschlüssel und sind nicht autograph, sondern nur von Bach revidirt. Die Schreibart scheint mir ganz erklärlich: es brauchten so nur einfach die ersten beiden Violenstimmen copirt und einige Versetzungszeichen geändert zu werden. Die Orgel spielte dann G moll, das wie A moll des Kammertons klang, und in der That findet sich nur eine bezifferte Orgelstimme in G moll, nicht auch in F moll. Das Fagott blies ebenfalls A moll und es ist auch eine unbezifferte Bassstimme in dieser Tonart vorhanden. M. Hauptmanns Behauptung (im Vorwort zur Cantate), diese Flöten müßten um eine None tiefer erklingend, also mit den Violen in gleicher Tonhöhe gedacht werden, ist mir nicht verständlich. Hat er an Tenorflöten gedacht, so konnten diese doch weder im Violinschlüssel, noch in A moll aufgezeichnet werden.

23. (S. 505.) Außer dem Partitur und Stimmen umfassenden Autographe, welches die königl. Bibliothek zu Berlin bewahrt, findet sich ebenda eine alte Copie der Partitur, welche über dem Anfange rechts in der Ecke die Jahreszahl 1731 trägt. Hierdurch veranlaßt hat Zelter auch auf dem Umschlag der autographen Partitur die Bemerkung hinzugefügt: » di | J.S. Bach |. 1731 |.« In eine andre und, wie die Vergleichung des Stils auf den ersten [798] Blick erweist, um ein beträchtliches später componirte Cantate auf den ersten Pfingsttag hat Bach aus jener das Duett und die Bassarie hinüber genommen, das Duett mit seiner eigenthümlichen Meisterschaft zum Einleitungschor mit erweiterter Begleitung umgearbeitet, die Bassarie als Sopranarie nach F dur transponirt, die Violine mit einer Oboe da caccia vertauscht, einen andern Text untergelegt und das so entstandene Stück an den zweiten Platz gestellt; die übrigen sechs Nummern sind ganz neu (B.-G. XVIII, Nr. 74). Vergleicht man beide Cantaten mit einander vom Standpunkte der Thatsache aus, daß Bach den vierten Neumeisterschen Jahrgang gleich bei seinem Erscheinen benutzte, so drängt sich sofort die Ueberzeugung auf, daß die chronologische Notiz durch eine Verwechslung des Copisten auf das unrechte Manuscript gekommen, und nicht die ältere sondern die jüngere Pfingstmusik im Jahre 1731 componirt ist. Ein eigenthümlicher Umstand kommt hinzu, um hierüber volle Gewißheit zu bewirken; derselbe giebt zugleich eine neue Versicherung, daß die ältere Cantate in Weimar entstand, und verhilft endlich auch noch zu der Compositionszeit einer dritten Cantate. Auf den leeren Schlußzeilen der auf den Kopf gestellten autographen Partitur findet sich die flüchtige Andeutung des Anfangs vom Schlußchor einer Cantate auf den zweiten Pfingsttag (»Also hat Gott die Welt geliebt«, B.-G. XVI, Nr. 68). Man begegnet in den Bachschen Handschriften öfter der Erscheinung (so z.B. auch in der Cantate »Ach lieben Christen, seid getrost«), daß der Meister irgend ein Motiv, das ihm während des Componirens einfiel, auf eine beliebige freie Stelle, die ihm grade zur Hand war, rasch notirt hat. Die genannte Cantate ist nun dieselbe, in welcher sich die schöne Arie findet »Mein gläubiges Herze, frohlocke, sing, scherze«, die bekanntlich auf einer Umarbeitung einer Arie aus der weltlichen Cantate »Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd« beruht. Diese Cantate wurde aber, wie weiter unten nachgewiesen werden soll, im Jahre 1716 componirt. Der Vorgang ist nun klar. Bach mußte für die Pfingsttage des Jahres 1731 zwei Festmusiken haben. Da es ihm an Zeit oder Lust fehlte, zwei ganz neue zu componiren, griff er für den ersten Festtag zum Theil auf eine ältere Arbeit zurück. Während er mit der Umgestaltung derselben beschäftigt war, fiel ihm ein passendes Fugenthema für die Cantate zum zweiten Festtage ein, und er notirte es ohne weiteres auf die vor ihm liegende Partitur der älteren Musik. Durch die Beschäftigung mit dieser war aber die Erinnerung an jene Zeit und seine damaligen Künstlerthaten und Erlebnisse in ihm wach geworden, seine Gedanken geriethen auf die zum Geburtstage des Herzogs von Weißenfels im Jahre 1716 von ihm gesetzte Festmusik, und er fand, daß sich daraus etwas für die zweite Pfingstcantate benutzen lasse. Wenn die ältere Cantate »Wer mich liebet« aber in Weimar componirt ist, so kann sie nur für Pfingsten 1716 bestimmt gewesen sein, denn in den Jahren 1715 und 1717 lagen für die Pfingstmusiken andre, vom Herzog zur Composition bestimmte Texte vor. Hierüber ist Nr. 27 und 32 dieses Anhanges einzusehen. Uebrigens sind in der Copie, welche fälschlich die Jahreszahl 1731 trägt, noch mehre Abweichungen vom Original; statt des Soprans in Duett und Recitativ ist ein [799] Tenor gesetzt, und der Choral »Komm, heiliger Geist« ans Ende gerückt. Da wir den Schreiber schon auf einem bedeutenden Irrthume ertappt haben, wird man nicht eben gern glauben wollen, daß er zu diesen Aenderungen von Bach autorisirt war, zumal in den vom Componisten selbst geschriebenen Stimmen, die nach Tinte, Papier und Schrift aus einer späteren Zeit zu stammen scheinen, als die Partitur, sich keine Spur davon entdecken läßt. Eine Andeutung aber, daß Bach auch auf die Bassarie noch einen Choral folgen lassen wollte, enthalten in der Bassstimme die Worte: »Chorale Segue«. In der Partitur freilich weist kein Zeichen darauf hin, obwohl auf der letzten Seite noch sechs leere Notenzeilen übrig waren. Allein dies ist nicht der einzige Fall, daß Bach den Schlußchoral ausließ, auch in der Adventscantate von 1715 »Bereitet die Wege, bereitet die Bahn« fehlt er, und muß auf ein besonderes Blatt geschrieben gewesen sein. Wenn Bach die Trompeten und Pauken selbständig beschäftigen wollte, so dünkte ihm wohl der Raum von sechs Zeilen nicht genügend; er schrieb den Choral auf ein einzelnes Blatt, jede Stimme ebenfalls, so konnte alles leicht verloren gehen. Der Choral stand dann jedenfalls in A moll; daß Anfang und Schluß der Cantate nicht in der Tonart zusammenstimmen, wird nach der Adventscantate von 1714 Niemanden befremden. Bei Aufführungen ließe sich der Tonsatz aus der Cantate »Bleib bei uns, denn es will Abend werden« (B.-G. I, Nr. 6) verwenden.

24. (S. 507.) In der Amalien-Bibliothek des Joachimsthaler Gymnasiums zu Berlin, Bd. Nr. 43, letztes Stück, findet sich eine Handschrift folgenden Titels: »Cantata. | Herr Christ der einge u.s.w. | a | 2Violini | Viola | Soprano, Alto, | Tenore, Basso | e |Fondamento. | del Sign. J.S. Bach. |« Dieser Composition, die nicht mit jener großen Bachschen Cantate gleichen Anfangs auf den 18. Trinitatis-Sonntag, welche mit einem mächtigen Choralchore beginnt, zu verwechseln ist, liegt ein von Neumeister auf Mariae Verkündigung gedichteter Text des vierten Jahrganges zu Grunde. Aber trotzdem, daß die Handschrift ausdrücklich Bach als Autor nennt, bin ich durchaus überzeugt, daß nicht er, sondern Telemann die Cantate componirt hat. Bach hatte sie sich vielleicht abgeschrieben, wie die Cantate »Machet die Thore weit«, von der Bachs eigenhändige Copie noch auf der königl. Bibliothek zu Berlin bewahrt wird; oder der Freund hatte sie ihm geschenkt, und durch ein Versehen ging sie unter Bachs eignem Namen weiter. Daß die Bachsche Flagge Telemannsches Gut deckte, davon wäre dies nicht das einzige Beispiel. Im Kataloge über den Nachlaß Philipp Emanuel Bachs ist eine doppelchörige Motette aus C dur: »Jauchzet dem Herrn alle Welt« als Sebastians Arbeit bezeichnet, und wird auch jetzt noch als solche aufgeführt, die Telemann gehört und nur deshalb Bach zugeschrieben wurde, weil irgend wer den gewaltigen Choralchor aus des letzteren Cantate »Gottlob nun geht das Jahr zu Ende« (B.-G. V, 1, Nr. 28) in die Mitte hineingeschoben hatte. Richtig ist es noch, was Fischhoff in dem einst ihm gehörigen Manuscript bemerkt, daß auf einer Handschrift des WienerConservatoriums als Autoren Bach und Telemann angegeben seien. [800] Aber dafür, daß Bach die Cantate zu Mariae Verkündigung nicht componirt haben kann, wäre der Nachweis wiederholter Vorkommnisse dieser Art garnicht einmal nöthig. Niemals hat er z.B. eine Cantate mit einem einfach vierstimmigen Chorale begonnen, wie es hier geschieht, und niemals eine Vocalfuge über ein Thema geschrieben, wie es hier dem Schlußsatze dient:


 

Kritische Ausführungen


 

Auch die beiden Arien und das Recitativ sind kaum Bachisch zu nennen, jene haben eine zu flache Freundlichkeit, dieses ist zu ausschließlich declamatorisch. Wer aber sich mit Telemanns Compositionsweise etwas vertraut gemacht hat, wird seine Spuren überall leicht entdecken, besonders in dem angeführten Thema und in der Stimmführung des Chorals.

25. (S. 508.) Der einzige, welcher Bachs Reise nach Cassel erwähnt, ist Constantin Bellermann, einstmaliger Rector zu Minden, ein geborner Erfurter. Er veröffentlichte 1743 ein jetzt sehr selten gewordenes Programm, folgenden Titels: »Programma | in quo | Parnassus | Musarum | voce, fidibus, tibiisque resonans, | sive | musices, artis divi- | nae, laudes, diversae species, singulares effectus, atque primarii auctores succincte, | praestantissimique melopoetae cum | laude enarrantur; | simul et illustres civitatis Mundae proceres, | summique patroni, bonarum artium | fautores, atque amici | ad audiendas quasdam orationes scholasticas, | submisso animi cultu, | debitaque reverentia, et humanitate | in Lyceum Mundense invitantur | a | Constantino Bellermanno, |P.L.C. et Rectore ibidem CIƆDCCXXXXIII | cum censura. |« 4. 47 Seiten, wovon die königl. Bibliothek zu Berlin ein Exemplar aufbewahrt. Hier finden sich auf S. 39 folgende Bach betreffende Sätze: »BACHIUS Lips.1 profundae Musices auctor his modo commemoratis [Mattheson, Keiser, Telemann]non est inferior, qui, sicut HAENDELIUS apud ANGLOS, Lipsiae miraculum, quantum quidem ad Musicam attinet dici meretur, qui, si Viro placet, solo pedum ministerio, digitis aut nihil, aut aliud agentibus, tam mirificum, concitatum, celeremue in Organo ecclesiastico mouet vocum concentum, ut alii digitis hoc imitari deficere videantur. Princeps sane hereditarius Hassiae FRIDERICUS BACHIO tunc temporis, Organum, vt restitutum ad limam vocaret CASSELLAS Lipsia accersito eademue facilitate pedibus veluti alatis transtra haec, vocum gravitate reboantia, fulgurisque in morem aures praesentium terebrantia, percurrente, adeo Virum cum stupore est admiratus, [801] ut annulum gemma distinctum, digitoque suo detractum, finito hoc musico fragore ei dono daret. Quod munus, si pedum agilitas meruit, quid quaeso daturus fuisset Princeps (cui soli tunc hanc gratiam faciebat,) si et manus in subsidium vocasset.« Wie man sieht, soll nach dieser Erzählung Bach von Leipzig aus nach Cassel gegangen sein. Allein hier muß sich Bellermann notwendigerweise geirrt haben, denn es ist keine Zeit denkbar, wo dies geschehen sein könnte. Der Erbprinz Friedrich war seit dem Ende des Jahres 1714, wo er sich über Stralsund nach Stockholm begab, um dort im Jahre 1715 mit Ulrike Eleonore, der Schwester Karls XII. von Schweden, seine zweite Ehe zu schließen, von Deutschland abwesend bis zum Jahre 1731, wo er als Landgraf in Hessen einzog, nachdem sein Vater ein Jahr vorher gestorben war. Er kehrte aber alsbald in sein Königreich Schweden zurück und ließ Hessen durch seinen Bruder verwalten. Ob er späterhin noch einmal wieder nach Deutschland gekommen ist, was immer nur ganz vorübergehend gewesen sein könnte, darüber kann ich nichts angeben. Es ist aber auch ganz gleichgültig, da Bellermann, dem die Geschichte von den Erfurter Verwandten, vielleicht von Bach selbst, der zuweilen nach Erfurt kam, erzählt sein muß, den König und Landgrafen Friedrich mit dem Erbprinzen Friedrich keinesfalls verwechselt haben würde. Nur vor den letzten Monaten des Jahres 1714 also kann Bach in Cassel gewesen sein. Der Erbprinz war im spanischen Erbfolgekriege commandirender General und deshalb bis zum Utrechter Frieden 1713 meist außer Landes. Doch pflegte er zur Winterzeit sich in Hessen aufzuhalten, man kann also nicht mit Sicherheit schließen, daß Bachs Casseler Reise nur in die Jahre 1713–1714 gefallen sein könne. War es die Orgel der Hofkirche, welche renovirt worden, so ist auch nach dieser Seite für eine genauere Bestimmung kein Anhalt zu gewinnen, denn in den Acten des Staatsarchivs, auf die sich alle meine Mittheilungen stützen, war von einem solchen Ereigniß keine Spur mehr zu finden. Möglicherweise ist jedoch auch eine andre gemeint. Bellermanns Irrthum konnte leicht entstehen: man bedenke nur, daß Sebastian Bach in den späteren Decennien seines Lebens immer kurzweg der Leipziger Bach hieß; Fernerstehende konnten es leicht vergessen, daß er in jüngern Jahren auch in Weimar gewesen war, wenn sie es überhaupt gewußt hatten. Uebrigens wird Bellermanns Erzählung erwähnt von Adlung, Anleit. zur mus. Gel. S. 690, Anmerk. i.

26. (S. 516.) Bei der Untersuchung der Acten ist Chrysander ein folgenschwerer Irrthum begegnet; er hat die Orgeldisposition als eine von Bach eigenhändig geschriebene angesehen und daraus die zum Theil naheliegenden Schlüsse gezogen, Bach habe die Disposition selbst gemacht, sie stelle sein damaliges Ideal einer Orgel dar, er sei mit Cuncius nahe befreundet gewesen, von diesem zur Reise, nach Halle und zur Bewerbung um den Dienst veranlasst, auch durch dessen Vermittlung zur Orgelprüfung zugezogen. Bach schrieb aber die Disposition nicht; sie wird von irgend einem Copisten nach Cuncius' Entwurfe angefertigt sein, Cuncius unterzeichnete [802] sie. Schon die groben orthographischen Schnitzer darin, wie Sexquialtera, Tre Verss, Flöte douss, mußten stutzig machen bei einem Manne, der des Lateinischen recht wohl, und des Französischen wenigstens nothdürftig kundig war (man vergleiche seine Mühlhäuser Disposition). Der ganze Sachverhalt erscheint danach in einem falschen Lichte; auch sonst ist die Beleuchtung, in welche Chrysander Bach in dieser Angelegenheit zu bringen sucht, eine unbegründet ungünstige. – Ich benutze diesen Ort, um Herrn Musikalienhändler Karmrodt in Halle, der, als meine eigene Collation der Acten mir bei der Ausarbeitung nicht überall hinreichend erschien, diese nochmals der sorgfältigsten Prüfung unterworfen hat, meinen freundlichsten Dank zu sagen.

27. (S. 525, 548, 554.) Der erste selbständige Jahrgang Franckscher Cantatentexte, dessen völliger Titel vorn unter Anmerk. 16 mitgetheilt ist, trägt hier die Jahresangabe 1715 und unter der Zueignungsschrift an den Herzog das genauere Datum des 4. Juni 1715. Er beginnt mit dem ersten Advent und schließt mit dem 27. Trinitatis-Sonntage, ein Anhang enthält noch fünf Cantaten zu besondern Bestimmungen. Man könnte nun zweifelnd sein zwischen den Kirchenjahren 1714–1715 und 1715–1716. Aber wir besitzen zum 4. Advents- und 4. Trinitatis-Sonntage die autographen Bachschen Partituren, und beide tragen die Jahreszahl 1715. Es kann also unmöglich die Reihe der Aufführungen mit der Adventszeit begonnen haben. Es kann aber auch nicht später als mit dem Sonntage Cantate des Jahres 1715 der Anfang gemacht sein. Denn von diesem Sonntage an bis einschließlich Mariae Heimsuchung haben sich (jetzt auf der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar) die Separatdrucke erhalten – jedesmal zwei schmale Octavblättchen, deren erste Seite dem Titel dient –, die mit aller nur wünschenswerthen Bestimmtheit das Datum der Aufführung angeben. Der Cantate-Text z.B. trägt folgende Bezeichnung: »CANTATA | Auf den Sonntag CANTA- | TE 1715. in der Fürstl. | Sächsischen Hof-Capelle zur | Wilhelms-Burg zu mu- | siciren. |« Zur weiteren Orientirung dient eine Notiz in den Gesammt-Kammerrechnungen von Michaelis 1714–1715, wo es unter dem Titel »Drucksachen« heißt: »13 fl. 15 ggr. vor 6 Ries Schreib und 12 Ries Druckpapier zu den Kirchen Cantaten. 9 Juli 1715.« Hierdurch wird bewiesen, daß nicht lange vorher, jedenfalls im zweiten Jahresquartal, der Buchdrucker Mumbach sich auf herzogliche Anweisung Papier von einem Händler liefern ließ, der darüber am 1. Juli Rechnung einreichte, welche am 9. durch die herzogliche Kasse ausgeglichen wurde. (Die Menge des Papiers erklärt sich aus der Anfertigung der Einzeldrucke, welche für jeden Sonntag unter die Kirchenbesucher zum Nachlesen vertheilt wurden.) Auch das Datum der Widmung weist in das zweite Jahresquartal, denn Franck konnte doch unmöglich seinem Herzog etwas dediciren, was schon lange in dessen Hofcapelle im Gebrauche gewesen war; dagegen ist es ganz begreiflich, daß der Gesammtdruck einige Wochen später fertig wurde, als die für das Bedürfniß der Gemeinde zunächst zu besorgenden Einzeldrucke. [803] Begann nun der Jahrgang factisch mit dem SonntageCantate? Ich glaube es nicht. Ostern fiel auf den 21. April, und es wäre allzu auffällig, wenn man nicht irgend einen Festtag gewählt hätte, die neue Einrichtung ins Leben treten zu lassen. So wird denn der Jahrgang von Ostern 1715 bis Ostern 1716 sich erstreckt haben. Hierdurch erklärt sich nun auch die sonst auffallende Thatsache, daß es für das Kirchenjahr 1715–1716 keinen Cantaten-Jahrgang giebt, während sie für 1716 bis 1717 und 1717–1718 wieder vorhanden sind. In die Zwischenzeit fiel dann die Pfingstcantate »Wer mich liebet« nach Neumeisters Text, und auch sonst wird man sich beholfen und in der festlosen Zeit überhaupt wohl nicht regelmäßig Musik gemacht haben. Die Frage, ob Franck schon vorher, etwa für 1714 auf 1715 einen Jahrgang Cantaten in Neumeisters Weise für die Hofkirche geschrieben habe, muß man mit Hinblick auf die dem »Evangelischen Andachts-Opffer« vorgedruckte Zueignung an Wilhelm Ernst verneinen. Schon daß er überhaupt dies Werk dem Fürsten dedicirte, was er bei den folgenden beiden Jahrgängen unterließ, deutet auf ein erstes in seiner Art. Er hätte freilich ein früheres, etwa verloren gegangenes ihm auch gewidmet haben können. Aber dann konnte er es kaum umgehen sich darauf zu beziehen und nicht wie jetzt ganz einfach schreiben: »Eu. Hoch-Fürstl. Durchl. geruhen diesemnach gnädigst zu erlauben, daß gegenwärtige zu GOttes Ehre und Ermunterung heiliger Andacht auf Dero Christ-Fürstliche gnädigste Verordnung in Christlicher Einfallt von meiner Wenigkeit verfertigte Evangelische Cantaten Deroselben in tieffster Submission dedicire und zuschreibe.« Auch daß in den Kammerrechnungen der vorhergehenden Jahre keine Spur ähnlicher Ausgaben für Druck- und Schreibpapier zu finden ist, verdient Beachtung. Das jedoch ersieht man ebenfalls aus der Zueignungsschrift, daß der Herzog schon vorher sich lebhaft für die Beschaffenheit der Musik in der Schloßkirche interessirt hatte. Unmittelbar vorher sagt nämlich Franck, nach dem er die vielen Verdienste Wilhelm Ernsts gepriesen hat: »Unter denen in Dero Fürstlichen Hof-Kirche angerichteten schönen GOttes-Diensten des HErrn ist auch die devote und Hertz-erquickende Music, als ein Vorschmack der himmlischen Freude, eines unsterblichen Lobes würdig.« Der Haupttheil dieses Lobes gebührt wohl Bach; bei Francks poetischer Gabe aber wäre es merkwürdig, wenn er sich nicht auch früher schon auf Wunsch des Herzogs mit dem Tonmeister zu gemeinsamer Arbeit vereinigt hätte. Wir werden uns an den Gedanken gewöhnen müssen, daß hier manche Verluste zu beklagen sind. So ging z.B. am 6. Nov. 1713 die Einweihung der neu erbauten Jakobskirche zu Weimar mit großartiger Feierlichkeit vor sich. Ein ausführliches Programm in Folio wurde dazu gedruckt, es befindet sich noch im Archiv zu Weimar und enthält auch den vollständigen Text der eigens zu diesem Zwecke componirten Cantate. Der Text, beginnend mit einem Chor:


 

»Hilff, laß alles wohl gelingen,

Hilff! Herr GOtt wir loben dich,« u.s.w.


 

und in der vorn beschriebenen mittleren Cantaten-Form gehalten, muß [804] schon aus diesem Grunde Francks Werk sein, verräth sich als solches aber auch durch die jenem eigenthümlichen Wendungen. Wie wahrscheinlich ist es unter den damaligen Verhältnissen, daß Bach die Musik dazu setzte!

Aber zwei werthvolle Cantaten aus der Zeit vor dem 21. April 1715 sind uns erhalten: »Ich hatte viel Bekümmerniß« auf den dritten Trinitatis-Sonntag, und »Himmelskönig, sei willkommen« auf Palmarum. Nur die erstere trägt die Jahreszahl 1714, nichtsdestoweniger ist nachzuweisen, daß auch die zweite um jene Zeit componirt wurde. Die Texte finden sich in keiner der Franckschen Gedichtsammlungen, aber von Franck sind sie dennoch. Schon die Versmaße beweisen das. Er liebt kurze Reimzeilen und eine auffällige Verbindung derselben mit längeren, wie in der Trinitatis-Cantate:


 

Seufzer, Thränen,

Kummer, Noth,

Aengstlichs Sehnen,

Furcht und Tod u.s.w.


 

oder später:


 

Komm, mein Jesu, und erquicke

Und erfreu mit deinem Blicek

Diese Seele,

Die soll sterben,

Und in ihrer Unglückshöhle

Ganz verderben.


 

Oder in der Dichtung auf Palmarum:


 

Himmelskönig, sei willkommen,

Laß auch uns dein Zion sein!

Komm herein,

Du hast uns das Herz genommen,

Himmelskönig, sei willkommen.


 

Parallelstellen dazu bieten besonders die Cantaten des 2. Theils der »Geistund weltlichen Poesieen« in großer Menge. Ich führe nur zwei an:


 

Bleib! denn es will Abend werden!

Höchstes Licht!

Laß uns nicht!

Weyde doch die kleine Heerden!

Bleib! denn es will Abend werden! (S. 153.)


 

und:


 

Komm! mein Liebster! laß dich küssen!

Komm! mein auserwehltes Licht,

Säume nicht!

Komm! mein Leyden zu versüssen! (S. 154.)


 

Auch Strophen aus je vier tribrachyschen Tetrapodien, deren erste zwei einen weiblichen und deren letzte beide einen männlichen Ausgang haben, wie solche der letzten Arie in »Ich hatte viel Bekümmerniß« zu Grunde liegen:


 

Erfreue dich Seele, erfreue dich Herze,

Entweiche nun Kummer, verschwinde du Schmerze,

Verwandle dich Weinen in lauteren Wein,

Es wird nun mein Aechzen ein Jauchzen nur sein.


 

[805] wendet Franck gern an z.B. Geist- und weltl. Poesien II, 138. Die künstlichen Reimverschlingungen des ersten Recitativs derselben Cantate:


 

Kritische Ausführungen


 

und sodann


 

Kritische Ausführungen


 

finden sich ebenfalls besonders in den Geist- und weltlichen Poesien, während in dem »Evangelischen Andachts-Opffer« diese für die Musik ganz überflüssige Spielerei verständigerweise beschränkt ist. Eine vornehmliche Neigung hat Franck für Duette zwischen der Seele und Jesus, es stehen solche Geist- und weltl. P. II, 146. 151 ff. Evang. And. 21. 192. 204. 207, Evangelische Sonn- und Festtags-Andachten 5 f. Auf Seite 152 der ersten Sammlung ist auch die metrische Anordnung ganz dieselbe, wie in dem Zwiegesang der Trinitatis-Cantate. In einzelnen Ausdrücken herrscht gleichfalls große Uebereinstimmung. Franck gebraucht ungemein häufig den Ausdruck: Gnadenblicke, der in dem erwähnten Duette Jesu in den Mund gelegt ist; singt daselbst die Seele:


 

Ich muß stets in Kummer schweben


 

so lesen wir Geist- und weltl. P. II, 135:


 

Hertz und Seele, Geist und Sinn

Sollen stets bey JEsu schweben!


 

ebenda S. 155:


 

Muß ich noch im Fleische leben,

Soll mein Hertz doch um dich schweben.


 

In der oben angeführten tetrapodischen Strophe bemerkt man eine antithetische Spielerei zwischen »Weinen« und »Wein«, zugleich mit einer Anspielung auf Christi Wunder bei der Hochzeit zu Cana, wo er Wasser in Wein verwandelt. Man vergleiche dazu Geist- und weltl. P. I, 116:


 

Liebste Seele, dencke nicht,

Als ob GOtt von dir geschieden,

Wenn der Freuden-Wein gebricht.


 

Evangel. And. S. 7:


 

Schmach und Schande

Wird der Frommen Crone sein,

Ihre Thränen, Freuden-Wein!


 

ebenda S. 33:


 

Das Thränen-Maaß wird stets voll eingeschencket,

Der Freuden-Wein gebricht.


 

Die Leiden des Lebens werden, wie in der zweiten Arie der Cantate, oftmals durch Bilder vom Meere versinnlicht; einmal (Geist- u. weltl. P. II, 142) findet sich sogar der Ausdruck: »aus Wellen der Bekümmernißen«. Im ersten Recitativ findet sich der unreine Reim »worden – Orten«, veranlaßt durch die weiche thüringische Aussprache des t. Franck reimt sehr häufig »binden, finden« und ähnliche Wörter mit »dahinden« d.i. dahinten. Die Cantate »Himmelskönig, sei willkommen« erweist sich als Francksche Dichtung hinreichend auch schon durch die Anordnung ihrer Theile, nämlich: [806] Chor, Bibelspruch (als Arioso), Arie, Arie, Arie, Choral, Schlußchor. Daß die Anreihung mehrer Arien verschiedenen Versmaßes ohne zwischengeschobene Recitative eine Francksche Eigenthümlichkeit sei und, soweit sich erkennen läßt, nur bei ihm vorkomme, habe ich schon gesagt. Und auch die Eigenheit findet sich anderwärts bei ihm, auf einen Choralchor noch einen freien Chor folgen zu lassen, vrgl. Geist- u. weltl. P. II, S. 192; Evang. And. S. 202 (derselbe Text). Ueberhaupt aber entscheidet mit eben so großem Gewicht für die Autorschaft Francks bei diesen zwei Texten die allgemeine Haltung und die Gedankensphäre, in der sie sich bewegen. Die hier bestehende Uebereinstimmung läßt sich nicht entwickeln, sondern nur als Totaleindruck empfinden. Da ist sie aber auch so einleuchtend, daß ich es getrost einem jeden selbst überlassen darf, zu prüfen. Sollte es hiernach nun jemandem auffallend sein, daß die Texte sich nicht in dem zweiten Theile der Geist- und weltl. Poesien gedruckt finden, so zwingt nichts zu der Annahme, der Dichter habe in ihn seine sämmtlichen noch unveröffentlichten Poesien aufgenommen. Daß er schon bei dem ersten Theile nur auswählend verfuhr, bezeugt ausdrücklich Lorbeer unter seinem vorgedruckten Lobgedichte, warum sollte er es bei dem zweiten Theile nicht ebenso gemacht haben? Wir werden später noch andere Gedichte als Francksche erkennen müssen, die ebenfalls, soviel bekannt geworden, nicht veröffentlicht sind. Vielleicht gefielen ihm die Texte nicht mehr, vielleicht hatte er sie auch grade nicht bei der Hand; wie leicht konnten sich doch solche Blättchen verzetteln!

Die Entstehungszeit der Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß« kennen wir durch Bachs eigenhändige Notiz, denn etwas andres, als die Entstehungszeit dürfte nach Bachscher Praxis das Datum auf dem Umschlage der Stimmen nicht bedeuten. Die Cantate kann also nicht wohl, wie vermuthet worden ist (Chrysander, Händel I, S. 22), die im Herbst 1713 für Halle componirte sein. Sie kann es zumal dann nicht, wenn Franck den Text verfaßte, denn Bach componirte das Probestück in Halle ganz unvorhergesehen und sicherlich auf Worte, die ihm dort unterbreitet wurden. Jene Vermuthung bildete sich wohl zum Theil nur deshalb, weil man früher von Bachs reicher Thätigkeit als Cantatencomponist in jener Zeit noch keine Kunde hatte. Die Entstehungszeit der Cantate »Himmelskönig, sei willkommen« haben wir zu combiniren. In Weimar ist sie geschrieben; dies läßt sich aufs sicherste aus der Beschaffenheit eines Theiles des Originalmanuscripts beweisen. Die königl. Bibliothek zu Berlin besitzt im Autograph die Partitur und je eine Flöten- und Violinstimme, die übrigen Stimmen hat Bach von Copisten schreiben lassen. Unter der Gesammtmasse der Stimmen nun ist ein kleiner Theil, der in Weimar geschrieben wurde, nämlich außer den beiden autographen Stimmen je ein Sopran, Alt, Tenor und Bass, und zwar ergiebt sich dies aus dem Wasserzeichen des Papiers. Wir kennen zu der Advents-Cantate »Bereitet die Wege, bereitet die Bahn« durch Bachs eigne Handschrift das Jahr 1715 als Entstehungszeit. Das Papier derselben hat ein sehr scharf hervortretendes Wasserzeichen, gleichsam ein M, an dessen rechtem Grundstriche zwei schräg in die Höhe gegerichtete [807] Arme befindlich sind, ungefähr in dieser Form:


 

Kritische Ausführungen


 

Dies Zeichen findet sich ferner im Papier des Autographs zur Cantate »Mein Gott, wie lang, ach lange« aus Francks »Evangelischem Andachts-Opffer«, wo sich auf der andern Seite des Bogens noch eine nicht minder deutliche Figur hinzugesellt: eine zweizinkige Gabel, welche auf einem Halbrund steht:


 

Kritische Ausführungen


 

Weiter sind dieselben beiden Zeichen in der Cantate »Nur jedem das Seine« erkennbar, und diese stammt gleichfalls aus dem Evangelischen Andachtsopfer; auch die Farbe des Papiers stimmt überein. Und endlich treten sie selbst in einem Autograph Walthers hervor, der ja immer in Weimar lebte, einer Copie von zwei Frobergerschen Toccaten, die sich auf der Bibl. des königl. Instituts für Kirchenmusik in Berlin befindet. Es steht also fest, daß ein so gezeichnetes Papier in Weimar damals gebraucht wurde. Ich habe alle Bachschen Autographe, die mir durch die Hand gegangen sind, auf ihre Wasserzeichen untersucht und mich überzeugt, daß dasselbe Papier weder in Cöthen noch Leipzig – und auf diese beiden Orte kann es hier allein ankommen – im Gebrauch war. Wo ich es nur entdeckte, deuteten sofort auch andre Zeichen auf Weimar, und in allen Autographen, die theils nachgewiesenermaßen zu Leipzig geschrieben waren, theils durch Schriftzüge und Inhalt deutlich auf diesen Ort zeigten, sind die Wasserzeichen ganz andrer Art. Sehr häufig findet man hier einen Halbmond, oder die Buchstaben MA, nicht selten eine füllhorn- oder körbchenartige Figur mit breitem Oberrande, dessen Fläche durch allerhand Striche und Züge geziert ist, die auf das erste Hinblicken fast wie Buchstaben aussehen; von diesem Oberrande laufen geschwungene Linien nach unten spitz zu. Zuweilen findet sich auch ein Hirsch, oder ein einfacher Adler, anderer Signaturen nicht zu gedenken. Der oben specificirte kleinere Theil der Stimmen also enthält jene ausschließlich weimarischen Wasserzeichen in sprechender Deutlichkeit, und hiermit ist die Entstehung der Cantate in Weimar entschieden. Man kann aber aus der Beschaffenheit des übrigen Manuscripttheiles sehr wohl die weiteren Schicksale der Composition herauslesen. Die andre, größere Partie der Stimmen ist von der Hand eines Copisten geschrieben, dessen sich Bach in Leipzig sehr häufig zu bedienen pflegte, auch zeigen die Wasserzeichen: Halbmond, MA und Füllhorn ihre Herkunft an; zu ihnen gehört ein eigner Umschlag. Die autographe Partitur endlich wird durch das Zeichen des Füllhorns ebenfalls nach Leipzig verwiesen (auf den ersten Blättern der beiden Anfangsbogen steht statt dessen ein ziemlich großes W), aber die reizend sorgfältige Schrift, die fast durchweg mit Lineal gezogenen Taktstriche, die beinahe gänzliche Abwesenheit aller Aenderungen und Correcturen, endlich das Fehlen des J.J. am Anfange und des S.D.G. am Schluß lassen für jeden, der Entwürfe Bachscher Partituren kennt, die vorliegende als eine Abschrift erscheinen. Das Werk war also in Weimar componirt und aufgeführt, in Leipzig suchte es später der Meister wieder hervor, ließ die Zahl der Stimmen den Verhältnissen entsprechend vermehren und schrieb die Partitur [808] des ihm offenbar lieben Werkes ins Reine. Auch in den beiden autographen Stimmen ist der letzte Chor im 6/8 Takt von Bach mit seinen Leipziger Schriftzügen hinzugesetzt; wahrscheinlich hatte er ihn zu Anfang anders instrumentirt.

Ist die Cantate in Weimar componirt, so frägt sich nur noch, in welchem Jahre? Nach dem Osterfeste von 1715 kann es nicht gewesen sein, da von hier ab die Franckschen vollständigen Jahrgänge vorliegen, ebensowenig aber wohl vor 1712, da schon der Text allein die Bekanntschaft mit Neumeisters Cantaten nothwendig voraussetzt, und diese vor 1712 nicht von Eisenach nach Weimar gekommen sein werden. Die große Aehnlichkeit in der Gestaltung aber, die sie mit der Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß« zeigt, rückt sie ganz nahe an diese heran. Gemeinsam ist beiden eine nach gleichem Princip gebildete Symphonie, gemeinsam eine breite, beide Male gleich vortreffliche Choralbearbeitung, die auch hier wie dort ungefähr an derselben Stelle steht. In der Fugirung der andern Chöre findet sich manches Uebereinstimmende. Beide Cantaten enthalten drei Arien, deren je eine mit bloßem Continuo, mit einem concertirenden Soloinstrumente und mit Streichquartett begleitet wird. Es ist also anzunehmen, daß sie entweder am 25. März 1714 oder am 14. April 1715 zuerst aufgeführt wurde.

28. (S. 534.) Bach hat außerdem aus dem »Evangelischen Andachts-Opffer« noch componirt die Texte zum Trinitatisfeste (»O heilges Geist- und Wasser-Bad«), zum 9. Sonntage nach Trinitatis (»Thue Rechnung! Donnerwort, das die Felsen selbst zerspaltet«), zum 13. Sonntage nach Trinitatis (»Ihr, die ihr euch von Christo nennet)« und zum 3. Sonntage nach Epiphanias (»Alles nur nach Gottes Willen«, B.-G. XVIII, Nr. 72). Von der ersten Cantate ist die autographe Partitur auf der Amalien-Bibliothek des Joachimsthaler Gymnasiums zu Berlin (Nr. 105), die autographen Partituren der übrigen sind auf der königl. Bibliothek daselbst, zu den letzten beiden werden dort auch die theilweise autographen Stimmen aufbewahrt. Alle vier Cantaten sind nicht in Weimar componirt; ihre breiten und tiefsinnigen Formen weisen auf Leipzig. Aeußere Zeichen weisen ebenfalls dahin, bei der ersten das Papier mit dem Halbmonde als Wasserzeichen und eine besondere Zierlichkeit der Handschrift, welche in mehren späteren Cantaten hervortritt, z.B. in »O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe« und »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen«, auch in der zu Leipzig gemachten Abschrift von »Himmelskönig, sei willkommen«. Für die zweite ist der Gebrauch der Oboe d'amore entscheidend, da man dieses Instrument in Weimar zu Bachs Zeiten nicht kannte, wie Walther (im Lexicon u.d.W.) bezeugt, außerdem aber auch die flüchtige an Correcturen reiche Schrift, mit der Bach den größten Theil seiner Leipziger Cantaten aufzuzeichnen pflegte. Dasselbe Anzeichen gilt auch für die letzten beiden Cantaten. Daß der Meister unter Umständen zu alten Texten zurückgriff, sahen wir schon bei einigen Neumeisterschen Poesien. Bei Francks Gedichten, die er besonders liebte, ist es sehr leicht begreiflich.

[809] 29. (S. 550.) Ueber die Beschaffenheit des Autographs ist unter Nr. 27 näheres gesagt. Hier muß noch hinzugefügt werden, daß es nicht ganz vollständig erhalten ist, der Schlußchoral fehlt. Nach Ausweis des gedruckten Textes war es von dem Liede »Herr Christ, der ein'ge Gotts-Sohn« die fünfte Strophe: »Ertödt uns durch dein Güte« u.s.w. Da der jetzige Bestand des Autographs drei Bogen ausmacht, so daß auf der letzten Seite nur noch zwei Liniensysteme frei sind, so wird der Choral auf ein besonderes Blatt geschrieben gewesen sein. Sein wirkliches dereinstiges Vorhandensein aber bezeugt der Umstand, daß hinter der Arie das endübliche S.D.G. fehlt. Als Ergänzung ließe sich der Schlußchoral aus »Jesus nahm zu sich die Zwölfe« (B.-G. V, 1, Nr. 22) verwenden oder der einfach vierstimmige Satz bei Erk I, 47, beide nach A dur transponirt.

30. (S. 556.) In einem Katalog geschriebener Musikwerke der Verlagshandlung Breitkopf und Härtel in Leipzig vom Jahre 1761 wird die Cantate »Alles was von Gott geboren« mit dem Sonntage ihrer Bestimmung und der Vocal- und Instrumental-Besetzung ganz genau und richtig aufgeführt. Die nach Winterfelds Vorgange (Ev. K. III, 328) weit verbreitete Meinung, Bach habe die Cantate »Ein feste Burg« zur Reformations-Jubelfeier des Jahres 1717 geschrieben, ist ein vollständiger Irrthum. Verarbeitungen und Benutzungen früherer Compositionen kommen bei Bach nur in seinen späteren Jahren vor. Daß er in Weimar zu einer so feierlichen Gelegenheit auf ein nur zwei Jahre vorher geliefertes Werk zurückgegriffen hätte, ist ganz undenkbar, auch wenn nicht in den gedruckten Festinformationen (auf dem Archiv zu Weimar) ausdrücklich von einem »neucomponirten Stücke« die Rede wäre. Auch Franck, der für die Jahre 1716–1718 zwei neue Jahrgänge Kirchencantaten schrieb, würde eine Aufwärmung der älteren Dichtung zu diesem Zwecke nicht zugelassen haben. Endlich, und dies ist nicht das wenigst Entscheidende, lag eine Leistung wie der Einleitungschor ohne allen Zweifel noch außer Bachs damaligem Vermögen. Der Choralchor in seiner ganzen Fülle und Gewaltigkeit ist in folgerichtiger Entwicklung die letzte und höchste Blüthe von Bachs Künstlerschaft, und einen riesigeren als den gemeinten hat er nie geschrieben. Wann die Erweiterung der weimarischen Cantate geschehen ist, läßt sich vorläufig nicht mit Sicherheit bestimmen. Ich denke an das Reformationsfest im Jahre 1730. Im Juni hatte die zweihundertjährige Jubelfeier der Uebergabe der augsburgschen Confession stattgefunden, zu der Bach drei Cantaten gesetzt hatte. Es war natürlich, daß man auch das Reformationsfest dieses Mal mit größerem Glanze feierte, eben so aber, daß Bach durch die vielen Festcompositionen ermüdet war und keine Lust hatte, etwas durchaus neues zu schaffen. Außerdem befand er sich grade in jenen Monaten in einer sehr niedergedrückten und mißmuthigen Stimmung. Von den Aenderungen, die er bei dieser Gelegenheit mit dem alten Materiale vornahm, läßt sich eine noch deutlich erkennen: die nach Buxtehudescher Weise colorirte Choralmelodie der ersten Arie war ursprünglich nur den Instrumenten (vermuthlich der Oboe und Orgel) zugetheilt, wie das Bach [810] in dem ganzen Jahrgange zu thun liebte. Die untergelegten Worte der zweiten Strophe hatte Franck zum Schlußgesange bestimmt, und da werden sie auch in Bachs Composition zuerst gestanden haben. Bei der Erweiterung lag ihm daran, alle vier Strophen zur Geltung zu bringen; er gab deshalb dem Schlußchorale die vierte, der ersten Arie die zweite und schuf für die erste und dritte neue Chorsätze hinzu. Man sieht ja auch gleich, daß die Singstimme nur die vereinfachte Oboenstimme ist, und ihr zu Liebe manches charakteristische unterdrückt werden mußte, z.B. der echt Buxtehudesche Einsatz mit der aufwärts rollenden Tonleiter Takt 23; nur bei ein paar Schlußcadenzen hat er ihr etwas besonderes zu thun gegeben. Schwerlich von ihm selbst herstammend ist aber eine Textabänderung am Beginn des Duetts, wo es statt der Originalworte: »Wie selig ist der Leib, der, Jesu, dich getragen; doch selger ist das Herz, das dich im Glauben trägt«, jetzt heißt: »Wie selig sind doch die, die Gott im Munde tragen, doch selger ist das Herz, das ihn im Glauben trägt«. Dies giebt eigentlich gar keinen Sinn, und tilgt jedenfalls grade die Vorstellung, welche das Wesen der Composition bestimmte. Ein entscheidendes Autograph fehlt; es könnte jemand diese Aenderung aus kleinlicher Pruderie vorgenommen haben. Auch noch an andern Stellen enthält der Text falsche Lesarten: in der ersten Arie muß es heißen: »siegt in Christo für und für«, im ersten Recitativ: »womit er dich zum Kriege u.s.w. geworben hat«; im letzten Recitative heißt es bei Franck nur: »dein Heiland bleibt dein Hort«, doch mag hier die Abwechslung mit »Heil«, der mehrfachen Wiederholungen wegen, von Bach gewollt sein.

31. (S. 558.) Die Dichtung steht in dem Anhange des zweiten Theils der Geist- und weltlichen Poesien (S. 436–440) und hat hier folgende Ueberschrift: »Diana, Endymion, Pan und Pales, | Am | Hoch-Fürstl. Gebuhrts-Festin | Herrn | Herrn Hertzog Christians | zu Sachsen-Weissenfels | nach gehaltenem Kampff-Jagen im Fürstl. | Jäger-Hofe bey einer Tafel-Music | aufgeführet.« | Das Datum findet sich nicht dabei, läßt sich aber herausrechnen. Die Anordnung der Gelegenheitsgedichte auf hohe Personen ist chronologisch. S. 235 steht eine Gratulations-Cantate auf Wilhelm Ernst zu Neujahr 1714, vorher gehen Festgedichte auf die Einweihung der Jakobskirche, welche am 6. Nov. 1713 stattfand, diesen vorher wieder eine Neujahrs-Cantate, also 1713. Einen Anhang zu den »Ehren-Gedichten« zu geben, beschloß Franck offenbar erst während des Druckes, als sich herausstellte, daß noch Raum blieb. Hier stehen zuerst zwei Geburtstags-Cantaten auf Wilhelm Ernst, also October 1714 und 1715, darauf die Weißenfelser Geburtstags-Cantate, Februar 1716. Erschienen ist das Buch ebenfalls 1716, also ein späterer Termin ist nicht möglich. Ein früherer wäre allenfalls mit Rücksicht darauf annehmbar, daß Franck den Gedichten auf seinen Herzog den Vorrang in der Ordnung gegönnt hätte. Aber für das Jahr 1716 entscheiden die mehrfachen, auffälligen Anklänge an die grade in jener Zeit componirten Kirchencantaten. Die Anfangsarie der Diana erinnert in Takt 19 und 20 an gewisse Stellen der D moll-Arie [811] der Cantate auf den 20. Trinitatis-Sonntag; der Bass in der zweiten Arie der Pales sehr an das Duett derselben Cantate. Der Schluß auf der Unterdominante in der Arie der Diana (Takt 27) mit der Rückwendung in die Haupttonart mahnt an die ganz gleiche Stelle in der Anfangsarie der Cantate »Bereitet die Wege«, endlich die erste Arie der Pales an die G dur-Arie der Cantate »Tritt auf die Glaubensbahn«. Auch deshalb paßt das Jahr 1716 als Zeit der Composition besser, weil so die Erinnerung an sie bei Umarbeitung der Pfingstcantate von 1716 im Jahre 1731 näher lag (vrgl. diesen Anhang Nr. 23).

32. (S. 561.) Die »Evangelischen Sonn- und Festtags-Andachten« datiren von 1717. Daß dies nicht so zu verstehen ist, als bezögen sie sich auf das Kirchenjahr 1717–1718, liegt auf der Hand. Zuerst wurden die Einzeldrucke angefertigt (deren sich übrigens keine erhalten haben), da nun dieses erst gegen Ende des bürgerlichen Jahres geschah, so war es kaum möglich, auch den Gesammtdruck noch in demselben Jahre herzustellen, besonders wenn er eine sorgfältige und hübsche Ausstattung erfuhr, wie es hier der Fall war. Ueberdies aber befand sich Bach im December 1717 garnicht mehr in Weimar. Keine der aus diesem Jahrgange componirten Cantaten besitzen wir noch in ihrer ersten Gestalt, wir kennen sie nur in späteren Leipziger Ueberarbeitungen, die sich zunächst durch Einschiebung von Recitativen und Chorälen, sowie durch Theilung in zwei Hälften kenntlich machen. Franck hat in den »Evangelischen Andachten« keine Recitative angewendet; ausnahmslos beginnt er mit einem selbstgedichteten Chortext, läßt drei, meistens vier Arien verschiedenen Versmaßes folgen und schließt mit einem Choral. Er hat deshalb diese Dichtungen auch nicht Cantaten sondern geistliche Arien genannt. Daß aber wirklich Ueberarbeitungen vorliegen, läßt sich klar beweisen. Für die Cantate zum zweiten Advents-Sonntage »Wachet, betet, seid bereit« bin ich der Mühe überhoben, da der geübte Scharfblick ihres Herausgebers das Richtige bereits gefunden hat, ohne auf die Entstehungszeit des Textes gestützt zu sein (s. B.-G. XVI, Vorwort S. XX). Die Einschiebungen bestehen hier in den Recitativen S. 343, 349, 354, 360 und dem Choral S. 354. Der vergrößerte Umfang führte von selbst die Zweitheilung herbei, außerdem wurde die Cantate nun für den 26. Trinitatis-Sonntag bestimmt. Andre Aenderungen sind nicht erkennbar. Früher erwähnte ich einmal eines Cantaten-Jahrgangs des weimarischen Cantors Johann Sebastian Brunner (vom Jahre 1748), der darin die Dichtungen älterer Landsleute in seltsamer Weise benutzt habe (s. Nr. 12). Auch an den Text dieser Cantate hat er sich gemacht, und seine einzelnen Theile mit wahrer Virtuosität durch einander geschoben, wobei es ihm auf etwas gelegentlichen Unsinn nicht ankam. Hier ein Stück aus diesem Cento Franckianus als Probe:


 

»Aria Choro:

Wacht auf! ihr Seelen wachet!

Steht auf vom Schlaff der Sicherheit,

Und gläubt, es ist die letzte Zeit,

[812] Da GOtt, der HErr der Herrlichkeit,

Der Welt ein Ende machet.


 

Duetto.

Lasset uns bey Zeiten ziehen

Aus Egypten dieser Welt;

Eh das Feuer auf uns fällt. [!]

Wer nicht bald daraus wird fliehen,

Muß darinnen untergehn;

Drum last uns auf JEsum sehn.


 

Recitativo:

Der Spötter Zungen mögen immer schmähen;

Genug! es muß geschehen,

 

Daß alles wird vergehen.

Alleine Christi Wort wird unbeweglich stehen.


 

Aria Choro:

Nur wohlgemuth, ihr Frommen!

Verharret im Glauben, und steten Vertrauen,« u.s.w.


 

Zu der Cantate auf den vierten Advents-Sonntag: »Herz und Mund und That und Leben« befindet sich die autographe Partitur auf der königl. Bibl. in Berlin. Die Gestalt derselben enthält ihre ganze Entstehungsgeschichte. Das Autograph besteht aus sechs Bogen; nach Ausweis der Wasserzeichen sind die vier ersten weimarisches, die beiden letzten Leipiger Papier. Als Reinschrift verräth es sich durch die große Eleganz und Zierlichkeit der Züge, die Taktstriche im Anfangschor sind mit Lineal gemacht, sonst doch sorgfältig heruntergezogen, Correcturen fehlen fast gänzlich, auch entbehrt es jeder Ueberschrift und des üblichen J.J. Der Gesammteindruck des Manuscripts ist dem des Autographs zu »Himmelskönig, sei willkommen« ganz gleich; beide scheinen in ihrer jetzigen Gestalt zu derselben Zeit gefertigt zu sein. Als Bach sich an die Umarbeitung machte, schrieb er erst die einzuschiebenden Stücke besonders nieder und dann das Ganze ins Reine. In dem aus Weimar stammenden Convolut von Partitur und Stimmen fand er noch vier leere Bogen Notenpapier; mit der ihm eignen Sparsamkeit in diesem Artikel benutzte er dasselbe, und als es nicht reichte, nahm er noch zwei Bogen neuen Papieres hinzu. Die Umgestaltungen des Textes sind hier bedeutender. Abgesehen davon, daß die Cantate wieder für eine andre Gelegenheit bestimmt ist, für das Fest der Heimsuchung Mariae, und drei Recitative eingesetzt sind, ist zunächst der Schlußchoral geändert. Nach Franckscher Vorschrift war es ursprünglich die sechste Strophe von »Ich dank dir, lieber Herre« (»Dein Wort laß mich bekennen«); in der Bearbeitung stellte Bach an den Schluß des ersten Theils die sechste Strophe des Janus'schen Liedes »Jesu, meiner Seelen Wonne« nach der Melodie »Werde munter, mein Gemüthe« (wobei die je zwei Schlußtöne der beiden letzten Zeilen in einen zusammengezogen werden mußten, was der Meister sich auch in der Matthäus-Passion erlaubte, B.-G. IV, S. 173) mit figurirter Instrumentalbegleitung und schrieb am Ende des Ganzen eine Wiederholung desselben vor. Den Choralsatz der ersten Fassung haben wir bei dieser Gelegenheit eingebüßt. Sodann mußten die Arien 2. und 3 [813] ihre Stellen tauschen; einige Textänderungen sind unwesentlich, bemerkenswerther aber, daß die erste Arie jetzt durch eine Oboe d'amore begleitet wird, was nicht das Ursprüngliche gewesen sein kann. Endlich ist der vierten Arie ein neuer Text untergelegt; die Originalworte lauten so:


 

»Laß mich der Ruffer Stimmen hören,

Die mit Johanne treulich lehren

Ich soll in dieser Gnaden-Zeit

Von Finsterniß und Dunckelheit

Zum wahren Lichte mich bekehren.«


 

Auf die Heimsuchung Mariae paßten diese Worte nicht. Die Umstellung der Stücke ist ganz ähnlich, wie ich sie bei der Ueberarbeitung der Ostercantate von 1704 annehmen zu müssen glaubte; dies bemerke ich hier ausdrücklich, um einen etwaigen Vorwurf der Willkürlichkeit abzuwehren. – Nun existirt auch noch die Composition der dritten Advents-Cantate »Aergre dich, o Seele, nicht«, ihre Original-Partitur befindet sich ebenfalls auf der königl. Bibl. zu Berlin. Herr Dr. Rust war so gefällig, sie auf meine Bitte zu untersuchen, da ich selbst es zur geeigneten Zeit versäumt hatte. Sie ist eine in Leipzig geschriebene, von Bach revidirte und mit eigenhändigen Zusätzen versehene Copie mit der inneren Ueberschrift »J.J. Dominica 7post Trinitatis di J.S. Bach aõ 1723«. Bei dieser bestimmten Jahresangabe wage ich es nicht, die Cantate für eine Ueberarbeitung zu erklären, soviel es auch für sich hat, anzunehmen, daß Bach in der Zeit, wo der alte Drese starb und der Sohn durch die Trauer an Ausübung seiner Compositionspflichten verhindert war, alle drei Cantaten hinter einander setzte. Zudem sind mehre Stellen darin, an denen die Musik wohl auf den umgedichteten Text paßt, sehr schlecht aber auf den ursprünglichen. Eingeschoben sind wieder die Recitative und der Choral in der Mitte; der Schlußchoral, die achte Strophe des Liedes »Von Gott will ich nicht lassen« (»Darum ob ich schon dulde hier Widerwärtigkeit«) fehlt in der Partitur ganz. Die Originalform der umgedichteten Arien 1 und 2 theile ich mit.


 

»Aria 1.

Bist du, der da kommen soll,

Seelen-Freund, in Kirchen-Garten?

Mein Gemüth ist Zweifels-voll,

Soll ich eines andern warten!

Doch, o Seele, zweifle nicht.

Laß Vernunft dich nicht verstricken,

Deinen Schilo, Jacobs Licht,

Kannst du in der Schrifft erblicken!«


 

»Aria 2.


 

Meßias läßt sich mercken

Aus seinen Gnaden-Wercken,

Unreine werden rein.

Die geistlich Lahme gehen,

Die geistlich Blinde sehen

Den hellen Gnaden-Schein.«


 

[814] 33. (S. 577.) Ich mußte den oft erzählten Vorgang sehr viel einfacher darstellen, um nicht Ausschmückungen sagenbildender Phantasie für historische Wahrheit zu verkaufen. Eine unverfälschte Quelle ist der Bericht des Magister Johann Abraham Birnbaum, in dessen »Vertheidigung seiner unparteyischen Anmerkungen über eine bedenkliche Stelle in dem sechsten Stücke des critischen Musikus, wider Johann Adolph Scheibens Beantwortung derselben«, Leipzig, 1739 (wieder abgedruckt in der neuen, vermehrten und verbesserten Auflage von Scheibes kritischem Musikus. Leipzig, bei Bernh. Christoph Breitkopf. 1745, S. 899–1031). Birnbaum verfaßte diese Schrift zur Vertheidigung Bachs und unter dessen Augen, dedicirte sie ihm sogar. Es wird also nichts darin stehen, was Bach selbst für unrichtig hätte erklären müssen. Birnbaum erzählt nun S. 981 f.: »Wie, wenn ich ihm aber einen nennete, der zu seiner Zeit für den größten Meister auf dem Clavier und der Orgel in ganz Frank reich gehalten wurde, wider welchen der Herr Hofcompositeur vor nicht eben gar zu langer Zeit die Ehre der Deutschen und seine eigene völlig behauptet hat. Es war solches Mons. Marchand, welcher bey seiner Anwesenheit in Dreßden, und da sich der Herr Hofcompositeur ebenfalls daselbst befand, auf Veranlassen und Befehl einiger Großen des dasigen Hofs, von dem letztern zum Versuch und Gegeneinanderhaltung beyderseitiger Stärke auf dem Clavier, durch ein höfliches Schreiben aufgefordert wurde, sich auch anheischig machte, verlangtermaßen zu erscheinen. Die Stunde, da zwey große Virtuosen eins mit einander wagen sollten, erschien. Der Herr Hofcompositeur benebst denenjenigen, so bey diesem musikalischen Wettstreite Richter seyn sollten, erwarteten den Gegenpart ängstlich, aber vergebens. Man brachte endlich in Erfahrung, daß selbiger bey früher Tageszeit mit der geschwinden Post aus Dreßden verschwunden war. Sonder Zweifel mogte der sonst so berühmte Franzose seine Kräfte zu schwach befunden haben, die gewaltigen Angriffe seines erfahrnen und tapfern Gegners auszuhalten. Er würde ausserdem nicht gesucht haben, durch eine so schnelle Flucht sich in Sicherheit zu setzen.« Die Glaubwürdigkeit des Berichts wird dadurch erhöht, daß Adlung, der sich ebenfalls auf Bachs mündliche Mittheilungen stützte, fast genau mit ihm übereinstimmt. Dieser sagt nämlich (Anleit. zur musikal. Gel. S. 690 f.): »Es wird §. 345 Marchand, ein Franzos, zu nennen seyn, welcher sich einstens mit unserm Kapellmeister zu gleicher Zeit in Dresden befand, und durch allerhand Discurse gerieth man auf den Einfall, daß diese beyden Männer mit einander certiren sollten, um zu sehen, ob die deutsche Nation, oder die französische, den besten Claviermeister aufzuweisen hätte. Unser Landsmann ließ sich zur bestimmten Zeit also hören, daß sein Gegner seine schlechte Lust, es mit ihm anzunehmen, dadurch zu erkennen gab, daß er sich unsichtbar machte. Als Herr Bach zu einer gewissen Zeit bey uns in Erfurt war, trieb mich die Begierde, alles genau zu wissen, an, ihn darum zu fragen, da er dann mir alles erzehlte, welches zum Theil hier nicht statt hat, zum Theil ist es mir wieder entfallen.« Viel ausführlicher ist das Ereigniß in dem von Phil. Em. Bach und Agricola verfaßten Nekrologe [815] bei Mizler erzählt (S. 163 ff.): »Das 1717. Jahr gab unserm schon so berühmten Bach eine neue Gelegenheit noch mehr Ehre einzulegen. Der in Franckreich berühmte Clavierspieler und Organist Marchand war nach Dreßden gekommen, hatte sich vor dem Könige mit besonderm Beyfalle hören lassen, und war so glücklich, daß ihm Königliche Dienste mit einer starken Besoldung angeboten wurden. Der damahlige Concertmeister in Dreßden, Volumier, schrieb an Bachen, dessen Verdienste ihm nicht unbekannt waren, nach Weymar, und lud ihn ein, ohne Verzug nach Dreßden zu kommen, um mit dem hochmüthigen Marchand einen musikalischen Wettstreit, um den Vorzug, zu wagen. Bach nahm diese Einladung willig an, und reisete nach Dreßden. Volumier empfing ihn mit Freuden, und verschaffete ihm Gelegenheit seinen Gegner erst verborgen zu hören. Bach lud hierauf den Marchand durch ein höfliches Handschreiben, in welchem er sich erbot, alles was ihm Marchand musikalisch aufgeben würde, aus dem Stegreife auszuführen, und sich von ihm wieder gleiche Bereitwilligkeit versprach, zum Wettstreite ein. Gewiß, eine große Verwegenheit! Marchand bezeigte sich dazu sehr willig. Tag und Ort wurde, nicht ohne Vorwissen des Königes, ausgesetzet. Bach fand sich zu bestimmter Zeit auf dem Kampfplatze in dem Hause eines vornehmen Ministers ein, wo eine grosse Gesellschaft von Personen vom hohen Range, beyderley Geschlechts, versammelt war. Marchand ließ lange auf sich warten. Endlich schickte der Herr des Hauses in Marchands Quartier, um ihn, im Fall er es etwan vergessen haben möchte, erinnern zu lassen, daß es nun Zeit sey, sich als einen Mann zu erweisen. Man erfuhr aber zur größten Verwunderung, daß Monsieur Marchand an eben demselben Tage, in aller Frühe, mit Extrapost aus Dreßden abgereiset sey. Bach, der also nunmehr allein Meister des Kampfplatzes war, hatte folglich Gelegenheit genug, die Stärcke, mit welcher er wider seinen Gegner, bewafnet war, zu zeigen. Er that es auch, zur Verwunderung aller Anwesenden. Der König hatte ihm dafür ein Geschenk von 500 Thalern bestimmt: allein durch die Untreue eines gewissen Bedienten, der dieses Geschenk besser brauchen zu können glaubte, wurde er drum gebracht, und mußte die erworbene Ehre, als die einzige Belohnung seiner Bemühungen mit sich nach Hause nehmen.« u.s.w. »Uebrigens gestund unser Bach dem Marchand den Ruhm einer schönen und sehr netten Ausführung gerne zu.« Ebenfalls einen ausführlichen Bericht lieferte F.W. Marpurg (Legenden einiger Musikheiligen. Cöln, 1786. S. 292 ff.); auch er will sein Wissen von Bach selber haben, stimmt aber in mehren Dingen mit dem Nekrolog nicht überein. Nach ihm (ich stütze mich, da das Buch selber mir nicht zur Hand ist, auf das Referat des gewissenhaften Fürstenau II, S. 123 f.) wurde Bach mit des Königs Bewilligung zu einem Hofconcerte zugelassen, stand neben Marchand, als dieser ein französisches Lied variirte, und griff, zum Spielen ebenfalls aufgefordert, Marchands Thema auf, um es in neuer und unerschöpflicher Art weiter zu verändern. Dann lud er ihn zum Wettstreit auf der Orgel ein und präsentirte ihm auf einem Blättchen ein Thema zur Ausarbeitung aus dem Stegreif, aber Marchand stellte sich nicht zum Kampfe, sondern [816] verschwand aus Dresden. – Daß die zwei letzteren Berichte weder unter sich, noch mit dem Birnbaumschen und Adlungschen übereinstimmen, macht sie beide verdächtig, ja man kann bei einer richtigen Gruppirung aller die allmählig fortschreitende Sagenbildung deutlich wahrnehmen. Birnbaum und Adlung lassen Bach zufällig in Dresden anwesend sein, was uns durchaus natürlich erscheint, da wir seine Gewohnheit, jährlich eine Kunstreise zu machen, kennen. Im Nekrolog und bei Marpurg wird er wie ein Retter aus der Noth herbeicitirt, was schon deshalb unwahrscheinlich ist, weil Correspondenzen und Reisen damals noch mit mehr Behinderung verbunden waren als jetzt, und vollends sinnlos wird, wenn es von dem Franzosen Volumier ausgegangen sein soll, der doch schwerlich ein Interesse daran gehabt haben kann, seinen Landsmann durch einen Deutschen überwunden zu sehen, wogegen es aber sehr wohl denkbar ist, daß Bach früher mit Volumier über eine Reise nach Dresden correspondirt und dieser ihn dazu aufgemuntert hatte. In den älteren Berichten findet sich ferner kein Wort von einer Theilnahme des Königs; bei Mizler wird sie in einer Weise eingeschmuggelt, daß der Wunsch, dem Kampfe eine glänzendere Folie zu geben, unverkennbar ist. Denn der nunmehr sich ergebende Sachverhalt ist wieder ganz sinnlos: wenn der König sich um den Wettstreit wirklich bekümmerte, konnte dieser doch nicht beim Grafen Flemming, sondern nur bei Hofe entschieden werden. Marpurg geht noch weiter: Bach belauscht Marchand nicht heimlich, sondern erhält Zutritt zum Hofconcert; das Interesse für einen Wettkampf am Clavier wird hierdurch erschöpft, er muß ihn also für die Orgel herausfordern, was innerlich so unwahrscheinlich wie möglich ist, selbst wenn die äußeren Vorgänge dabei glaubwürdiger erzählt wären; aber ein Stegreifspiel, das sich auf ein zuvor präsentirtes Thema stützen soll, ist eben kein Stegreifspiel mehr. Daß Bach vor dem Könige nicht gespielt hat, beweisen nun auch die Acten der Hof- und Oberkämmerei-Kasse vom Jahre 1718 (im königl. Archive zu Dresden). Sie enthalten auf Fol. 32 unter: »Nach specificirte auf allergnädigste mündliche Königl. Verordnung im Jahre 1717. bey dero Ober Cammerey Casse bezahlte Posten.« folgende Notiz: »528. Kfl. [Kaisergulden] 71/2 Kr. oder 130 Ducaten zu 2. Thlr. 17. ggr. bestehend in 3. Medaillen, davon eine a 30. Duc: der Violinist Frühwirth, der sich in Carlsbaad, und die andern beyde zusammen à 100 Duc: der Organist Marchand der sich in der Capelle höhren laßen zu einem gnaden geschenck erhalten.« Da der Vorgang zwischen Marchand und Bach so großes Aufsehen machte, ist es wohl undenkbar, daß die Verzeichnung eines ihm gereichten Geschenkes neben dem Marchands vergessen sein sollte. Hätte er aber vor dem Könige gespielt, so würde dessen Munificenz ihn nun und nimmer mit leeren Händen haben abziehen lassen. Weiter folgt, daß er dann auch nicht durch einen Hofdiener um sein Geschenk betrogen werden konnte, denn eingetragen hätte doch der Posten unter allen Umständen werden müssen. Die Summe von 500 Thalern ist überdies viel zu hoch gegriffen, wenn Marchand nur 100 Ducaten = 270 Thlr. 20 ggr. erhielt; auch Händel bekam nicht mehr, als er zwei Jahre später sich bei [817] Hofe hören ließ (Chrysander II, 18). Es ist sehr möglich, daß solche Unterschleife öfter am Hofe vorkamen; vielleicht ist bei Bekanntwerdung eines solchen Falls später einmal im Bachschen Hause eine Vermuthung hingeworfen, die, wie es mit solchen Dingen zu gehen pflegt, durch häufige Wiederholung allmählig die Gestalt einer Thatsache annahm. – Der mitgetheilte Rechnungsposten trägt kein Datum. Trotzdem läßt sich aus der Stelle, wo er eingereiht ist, ungefähr schließen, daß Marchand etwa im September in Dresden gewesen ist. Die Posten sind nämlich ziemlich genau chronologisch geordnet. Dies Ergebniß paßt vollständig zu der Zeit, in welcher Bach jährlich zu reisen pflegte.

34. (S. 589, 394.) Wie man aus dem Titel des Orgelbüchleins sieht, ist es in Cöthen geschrieben. Wäre der Inhalt desselben aber auch in Cöthen componirt, so ließe sich die Bemerkung »p. t.« d.h. pro tempore »Capellae Magistro S. [erenissimi] P. [rincipis] R. [egnantis] Anhaltini-Cotheniensis«. schwer in irgend annehmbarer Weise erklären. Pro tempore konnte Bach nur schreiben mit Rückblick auf eine frühere Zeit, die weimarische nämlich, in der wenn nicht alle, so doch sicher die meisten der eingeschriebenen Choräle gesetzt waren. Dies ist auch nach seinen verschiedenen Obliegenheiten dort und hier natürlich. In Cöthen hatte er mit Orgel und Orgelspiel unmittelbar nicht das Geringste zu thun, in Weimar dagegen bildete es den Mittelpunkt seiner Functionen, und ausdrücklich sagt Adlung (Anleit. S. 690) von ihm: »Er hat schöne Chorale gesetzt, da er noch Hoforganist in Weimar war«, freilich ohne diese Thätigkeit auf jenen Ort zu beschränken. Nun kommt noch hinzu, daß die meisten seiner Orgelchoräle, die sich in den Waltherschen Sammlungen finden, in dem Orgelbüchlein wiederkehren, nämlich aus den drei Sammlungen auf der königl. Bibl. zu Berlin: »Das alte Jahr vergangen ist«, »Gelobet seist du, Jesu Christ«, »Herr Gott, nun schleuß den Himmel auf«, »Heut triumphiret Gottes Sohn«, »Jesu, meine Freude«, »Mit Fried und Freud ich fahr dahin«, »Puer natus in Bethlehem«, »Vom Himmel hoch da komm ich her«; aus dem Frankenbergerschen Autograph: »Es ist das Heil uns kommen her«, »Herr Christ, der ein'ge Gott'ssohn«; dieselben beiden stehen auch im Königsberger Autograph. Ich habe früher nachgewiesen, wie Walthers Verhältniß zu Bach sich allmählig gestaltete und daß beider Verkehr seit Bachs Fortgange jedenfalls, muthmaßlich aber auch schon in den letzten Jahren ihres Zusammenlebens ins Stocken gerieth und aufhörte. Es liegt daher nahe genug, daß Walther die Bachschen Choräle, welche er seinen Sammlungen einverleibte, von dem Verfasser in der Zeit von 1708–1717, wahrscheinlich in der ersteren Hälfte derselben erhielt. Dafür daß die meisten Choräle des Orgelbüchleins während der Kunstgemeinschaft Bachs und Walthers entstanden, spricht auch die an ihnen hervortretende Neigung für canonische Führungen, die Walther ebenfalls eigen war, bei Bach jedoch später abnahm.

Mit demselben Rechte suchen wir die Entstehungszeit der übrigen von Walther aufgenommenen Choräle Bachs, die sich nicht im Orgelbüchlein [818] finden, in Weimar. Es sind aus den Berliner Autographen: »Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geist« (P.S. V, C. 7, Nr. 35) und »Nun komm, der Heiden Heiland« (P.S. V, C. 7, Nr. 45–47), letzterer zweimal, einmal sind statt der Achtel der rechten Hand für die 3. Strophe Sechzehntel geschrieben. Aus dem Frankenbergerschen Autograph (mit Ausschluß des schon früher besprochenen »Ein feste Burg ist unser Gott«): »Herzlich, thut mich verlangen« (P.S. V, C. 5, Nr. 27, mit kleinen Abweichungen, die vor Griepenkerls Edition den Vorzug verdienen), »Valet will ich dir geben« (P.S. V, C. 7, Variante zu Nr. 50, an drei Stellen von Griepenkerl etwas abweichend), »Vater unser im Himmelreich« (P.S. V, C. 7, Nr. 53). Dieselben Choräle enthält das Königsberger Autograph, außerdem noch: »Ach Gott und Herr« (H moll Kritische Ausführungen; s. Themat. Katalog, Anh. I, Serie V, Nr. 10), dessen Echtheit hiermit bewiesen ist, und »Wer nur den lieben Gott lässt walten«. Dieser letztere Satz ist nichts anderes, als die zur Erläuterung von Bachs Spiel in Arnstadt früher erwähnte Choralbegleitung mit Weglassung der Vor-, Nach- und Zwischenspiele und einigen geringen Veränderungen. Gewiß rührt das Arrangement von Bach selbst her. Da der Satz nun noch einmal in dem »Clavierbüchlein vor Wilhelm Friedemann Bach« wiederkehrt (P.S. V, C. 5, Nr. 52), noch reicher verziert und sicherlich zur Einübung der Verzierungen niedergeschrieben, so sehen wir daraus, wie bei Bach allmählig die Einsicht durchdrang, wozu allein eine solche Setzart gut sei.

Endlich findet sich noch im Buche des Andreas Bach der Orgelchoral »Gott, durch deine Güte« (P.S. V, C. 6, Nr. 25) in deutscher Tabulatur, aber, entgegen der Griepenkerlschen Ausgabe, im 3/2 Takt. Für weitere Arbeiten auf diesem Gebiete fehlen directe chronologische Anhaltepunkte. Aber wir brauchen die gewonnene Summe nur mit der Gesammtheit der erhaltenen Orgelchoräle zu vergleichen und uns dabei an die Worte des Nekrologs zu erinnern, daß Bach in Weimar die meisten seiner Orgelstücke gesetzt habe, so drängt sich die Ueberzeugung auf, daß der festgestellte Bestand noch bei weitem nicht genüge. Suchen wir weitere Spuren. Auf der Berliner Bibliothek ist ein Manuscript Bachscher Orgelchoräle, das von des Meisters eigner Hand folgende 16 Nummern enthält: 1) Fantasie über »Komm, heiliger Geist, Herre Gott« (P.S. V, C. 7, Nr. 36). 2) »Komm, heiliger Geist, Herre Gott« (ebend. 7, 37). 3) »An Wasserflüssen Babylon« (6, 12b). 4) »Schmücke dich, o liebe Seele« (7, 49). 5) Trio über »Herr Jesu Christ, dich zu uns wend« (6, 27). 6) » O Lamm Gottes unschuldig« (7, 48). 7) »Nun danket alle Gott« (7, 43). 8) »Von Gott will ich nicht lassen« (7, 56). 9–11) »Nun komm, der Heiden Heiland« (7, 45–47). 12) »Allein Gott in der Höh sei Ehr« (6, 9). 13) »Allein Gott in der Höh sei Ehr« (6, 8). 14) Trio über »Allein Gott in der Höh sei Ehr« (6, 7). 15) »Jesus Christus, unser Heiland« (6, 31). 16) Die canonischen Veränderungen über »Vom Himmel hoch« (5, II, Nr. 4). Dazwischen stehen noch einige Stücke von der Hand Altnikols geschrieben, des Schülers und späteren Schwiegersohnes. Hierdurch wie durch die Beschaffenheit [819] des Papiers erweist sich das Autograph als ein Leipziger Werk. Zugleich sieht man, daß es Reinschrift ist.

Die drei Bearbeitungen von »Nun komm, der Heiden Heiland« haben wir eben schon als muthmaßlich weimarische Erzeugnisse kennen gelernt. Auch der Choral »Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geist«, von dem aus gleichem Grunde dasselbe wahrscheinlich war, findet sich in demselben Hefte von Altnikols Hand. Überraschend ist aber vor allem die Erscheinung, daß zu sämmtlichen dort vereinigten Orgelchorälen mit drei Ausnahmen (»Schmücke dich, o liebe Seele«, »Nun danket alle Gott« und »Allein Gott in der Höh« Nr. 12) Varianten existiren, mit denen verglichen jene als spätere Redactionen derselben sich herausstellen. Genaue Beobachtung führt zu der Ueberzeugung, daß Bach im allgemeinen seine in Leipzig entstandenen Instrumental–Compositionen später nicht noch einmal zu überarbeiten pflegte, weil mit Abschluß der Cöthener Periode sein instrumentaler Gedankenkreis vollständig ausgeweitet, seine Technik bis ins Feinste durchgebildet war. Der Schluß ergiebt sich jetzt fast von selbst. In jenem Manuscripte hat Bach besonders werthvolle Werke einer früheren Schaffensperiode gesammelt oder sammeln lassen, und sie bei der Gelegenheit noch einmal einer gründlichen Revision unterworfen. Daß einzelne derselben in Cöthen entstanden, diese Möglichkeit ist freilich nicht ausgeschlossen. Allein man muß immer doch bedenken, daß seine Stellung ihn hier auf ganz andre Dinge hinwies, die Veranlassung zum Orgelspiel fern lag, ja selbst die Orgeln des Ortes unbedeutend waren, so daß wohl nur in Aussicht auf seine Kunstreisen ihn das Verlangen anwandeln konnte, etwas großes, seinen Fähigkeiten entsprechendes für sein Lieblingsinstrument zu setzen. Mustern wir nun endlich, nach Ausscheidung aller von Bach in Leipzig selbst veröffentlichten Orgelchoräle, von der Höhe der besprochenen Sammlung aus den übrigen Bestand seiner erhaltenen einschläglichen Arbeiten, so erhellt gleich, daß kaum eine von ihnen in spätere Jahre fallen kann, die meisten früheren zugeschrieben werden müssen. Im Großen und Ganzen – dies ist das endliche Ergebniß – werden wir keinen Fehlgriff thun, wenn wir uns von Bachs Thätigkeit als Choralsetzer ein Bild zu machen suchen aus der Gesammtmasse der Orgelchoräle nach Abzug des dritten Theils der »Clavierübung«, der sechs bei Joh. Georg Schübler zu Zella erschienenen Choräle (die übrigens zum Theil Arrangements aus Cantaten sind) und der canonischen Veränderungen über »Vom Himmel hoch«. Diese Gesammtmasse vereinigt mit Ausnahme weniger zum Theil zweifelhafter Stücke die Ausgabe von Griepenkerl. Sie stützt sich auf die besten Quellen, soweit sie damals zu erreichen waren. Einen Irrthum in ihr habe ich schon früher nachgewiesen: der Choral »Gott der Vater wohn uns bei« (P.S. V, C. 6, Nr. 24) ist von Walther. Für unbedingt unecht, allerdings nur aus innern Gründen, halte ich auch den Choral »Ich hab mein Sach Gott heimgestellt« (6, Nr. 28), der mit seiner unordentlichen Canonik ein Seitenstück zu dem vorigen bildet und ebenfalls von Walther herstammen dürfte. Schwankend bin ich bei der zweistimmigen Bearbeitung [820] von »Allein Gott in der Höh« (6, Nr. 3); so schrieb ungefähr Bernhard Bach, doch mahnen einzelne bedeutendere Züge zur Vorsicht.

35. (S. 624.) Die Vorrede des Helbigschen Jahrganges datirt vom 22. März 1720. Also werden die Cantaten für das Kirchenjahr 1719/20 bestimmt gewesen, zuerst einzeln gedruckt und darnach zu einem Büchlein mit Vorrede zusammengefaßt worden sein, wie es so der gewöhnliche Lauf war. Vor 1720 kann daher Bach die Cantate nicht componirt haben, nach 1722 auch schwerlich, da er den 17. Trinitatis-Sonntag 1723 schon in Leipzig erlebte, wo ihm andre Texte zu Gebote standen, zudem würde gegen diese Annahme die Beschaffenheit des Autographs Verwahrung einlegen. Umstände, welche die Entstehung in den beiden zwischenliegenden Jahren geradezu verböten, sind allerdings nicht aufzufinden, aber wir wissen wenigstens nichts von darin unternommenen Reisen, welche allein die Composition veranlassen konnten. Zudem ist zu beachten, daß Cantaten-Jahrgänge, welche jetzt überall wie Pilze aus der Erde schossen, wenn sie nicht von renommirten Dichtern herrührten, in der Erinnerung der Mitwelt das Jahr ihres Erscheinens meistens nicht zu überleben pflegten, besonders wenn sie, wie hier, von auswärts benutzt wurden. Das Autograph, welches sich auf der königlichen Bibliothek zu Berlin befindet, ist derart, daß man es fast unwillkürlich mit der Karlsbader Reise in Verbindung bringt. Neben der gänzlichen Verschiedenheit des Gesammtcharakters von den gewöhnlichen weimarischen und Leipziger Autographen fällt die Besonderheit des Papier-Materials auf, das für die letzten anderthalb Bogen sowohl nach Aussehen als nach Wasserzeichen ein ganz andres ist, als für die übrigen, während die Schrift dieselbe bleibt, so daß offenbar dem Componisten unter dem Schreiben das Papier ausgegangen ist und er eine andre Qualität als die vorher gebrauchte zu kaufen gezwungen war. Die Wasserzeichen der ersten Bogen deuten nicht mit Ausschließlichkeit auf Cöthen (ein ganz sicher an diesem Orte gebrauchtes Papier läßt den sogenannten Harzmann, eine aufrechtstehende Person mit der Felljacke bekleidet und eine Tanne in der Hand haltend, erkennen; Bach benutzte es zu der Geburtstags-Serenade auf den Fürsten Leopold); sie sind, mit dem Adler auf dem einen Blatte, und allerhand Figuren, unter denen ein D deutlicher hervortritt, auf dem andern, jedenfalls ungewöhnlicher Art. Die letzten anderthalb Bogen tragen den Schild mit zweigekreuzten Schwertern in der einen Hälfte seiner Fläche, weisen also auf eine sächsische Fabrik. Man mag hieraus nun muthmaßen, was man will, so viel ist klar, daß die Partitur unter ungewöhnlichen Verhältnissen zu Stande kam. – Ich füge noch eine Bemerkung über die Edition dieser Cantate durch die Bach-Gesellschaft bei. Die erste Arie wird in der Partitur durch obligate Orgel begleitet, die zugehörige autographe Stimme ist aber nicht für Orgel, sondern ganz entschieden für Violine gemeint, auch ist das Wort Organo erst von neuer Hand darüber geschrieben. Denn es wäre sonst unerklärbar, warum der Bass fehlte, wie es der Fall ist, und nur die rechte Hand allein spielen sollte, warum ferner die vielen Bogen und Punkte hineinnotirt sind, welche [821] in der Partitur fehlen und für die Orgel gar keinen Sinn haben, warum weiter im zweiten Theile der Arie so viele Doppelgriffe geändert sind, wenn dies nicht geschah, um sie für die Geige spielbarer zu machen, z.B. Takt 128 auf 129 statt:


 

Kritische Ausführungen


 

so


 

Kritische Ausführungen


 

endlich warum die Stimme in D moll steht, der ausgeschriebene Orgelbass aber in C moll. Fand eine Aufführung mit obligater Orgelbegleitung statt, so besorgte sie jedenfalls Bach selber, der dann den Part aus dem Stegreif transponirte. Ich glaube daher, daß es unrichtig war, zu Gunsten der Stimme von der Notirung der Partitur abzuweichen. Die in der Vorrede zur Cantate (S. XXIV) geäußerten Bedenken erledigen sich dagegen nunmehr von selbst.

36. (S. 643.) Handschriftliche Quelle ist das Buch des Andreas Bach. Ein einstweilen verschwundenes Autograph (s. Griepenkerls Vorrede) enthielt neben der Fis moll-Toccate noch den Orgelchoral »Valet will ich dir geben« in B dur, dessen weimarischer Ursprung feststeht. Bach hatte also wohl zwei gleichzeitig entstandene Stücke zusammengeschrieben. Daß beide übereinstimmend geformten Toccaten nicht zu gleicher Zeit entstanden sein sollten, ist gegen alle Wahrscheinlichkeit und Analogie, und so wäre schon aus diesem Grunde auch für die C moll-Toccate die Annahme des weimarischen Ursprungs nahe gelegt, selbst wenn das Zeugniß des Andreas Bachschen Buches fehlte. Es existirt noch eine dritte Toccate, in F moll, von ähnlicher Gestaltung, insofern mit einem Passagensatze begonnen wird, der sich allerdings bald zu strengerem, imitatorischem Gange beruhigt, darauf ein langsames Stück im 3/2 Takt folgt, vollgriffig und durchgehend gebunden, und eine bewegte Fuge den Schluß macht. Die Toccate ist in zwei alten Handschriften überliefert, deren keine jedoch Bach als Componisten nennt. Die eine, im Besitz des Herrn Dr. Rust in Berlin, stammt aus dem Nachlasse von dessen Großvater F.W. Rust, einstigem Capellmeister in Dessau, sie trägt nur die Aufschrift Toccata con Fuga in F moll. Die andre befindet sich auf der Bibliothek des königlichen Instituts für Kirchenmusik zu Berlin, ist nur Toccata genannt und weist den Namen »Dobenecker« auf. Aber es gab noch eine dritte Handschrift, ebenfalls aus Rusts Nachlasse, welche jetzt nur in einer Copie der Fuge fortexistirt, die Herr Pfarrer Schubring in Dessau seiner Zeit davon nahm, diese nannte ausdrücklich als Verfasser Sebastian Bach. Es fragt sich nun, ob die innere Bedeutung des Werkes derart ist, daß man es trotz der schwankenden Beglaubigung Bach zuschreiben kann. Ich halte sie dafür und sehe auch in dem »Dobenecker« der Berliner Handschrift kein großes Hinderniß; es kann dies recht wohl der Name ihres einstigen Besitzers oder Abschreibers sein, der um so eher versucht werden konnte, sich auf dem Titelblatte zu nennen, als, wie aus der Rustschen Handschrift hervorgeht, [822] die Toccate auch anonym sich verbreitete; von einem Componisten Dobenecker ist nie das Geringste bekannt geworden. Stammt aber das Werk aus Bachs Feder, so muß es in die ersten Arnstädter Jahre zurück verlegt werden und was sich zwischen ihm und den Toccaten aus Fis moll und C moll an formeller Uebereinstimmung findet, kann nur als äußerlich und zufällig gelten. Die Polyphonie des ersten Satzes ist zwar schon recht gewandt, aber doch nicht frei von allerhand kleinen Ungelenkigkeiten und Stockungen, für welche ein an Bachs Meisterwerken geübtes Ohr sehr leicht geschärft wird; sie hat außerdem eine sehr große Aehnlichkeit mit der Textur jenes C moll-Praeludiums (P.S. V, C. 4, Nr. 5), das uns nebst seiner Fuge ebenfalls in die frühere Arnstädter Zeit zu gehören schien. Der Mittelsatz mit seinen undeutlichen Imitationen und dicken Harmoniemassen erinnert gar an gewisse Partien in südländischen (z.B. Georg Muffats) Toccaten, hat mancherlei Härten, und der Fuge endlich haften fur jeden, der sich in Bachs Schreibweise orientirt hat, die Spuren des Anfängerthums so deutlich erkennbar an, daß es nicht nöthig ist, auf Einzelnes einzugehen. Aber Bachscher Geist leuchtet hindurch, wir müßten dann nur wieder annehmen, daß Kittel mit seiner Aeußerung über die D moll-Toccate geirrt habe, denn diese ist jedenfalls reifer. So wie die Sache jetzt liegt, mochte ich nicht wagen, der F moll-Toccate ohne weiteres einen Platz unter den authentischen Werken Bachs anzuweisen; es wird abzuwarten sein, ob nicht neues Material ans Licht kommt, das den jetzigen Ergebnissen Halt verleiht. Uebrigens stimmen die Handschriften nicht überein und deuten auf Aenderungen des Componisten hin. Die ursprüngliche Gestalt bietet Rusts Handschrift, in der Berliner ist der erste Takt des dreitaktigen Fugenthemas wiederholt und so eine bessere Periode erzielt, von unwesentlichen Verbesserungen abgesehen; mit ihr stimmte auch die verlorene Handschrift. Offenbar falsch ist aber in der Berliner der 3/2 Satz ans Ende gebracht, wie es denn auch sonst ihr an Fehlern nicht mangelt. Dieselbe enthält auch noch eine Fuge in G moll, welche man dann wohl ebenfalls Bach zusprechen müßte, und in der That hat sie auffallende Aehnlichkeit mit der Schlußfuge der E moll-Toccate, nur daß alles viel unreifer und steifer sich darstellt. Beides, Toccate und Fuge, edirte nach der Berliner Handschrift mit Angabe Dobeneckers als Componisten Fr. Commer (Musica sacra I, Nr. 9), doch nicht eben correct.

37. (S. 647.) Quantz äußert sich an der angeführten Stelle wörtlich so: »Man muß aber bey Ausführung der laufenden Noten die Finger nicht sogleich wieder aufheben; sondern die Spitzen derselben vielmehr, auf dem vordersten Theil des Tasts hin, nach sich zurücke ziehen, bis sie vom Taste abgleiten. Auf diese Art werden die laufenden Passagien am deutlichsten herausgebracht. Ich berufe mich hierbey auf das Exempel eines der allergrößten Clavierspieler, der es so ausübte, und lehrete.« Daß Bach gemeint sei, beweist das Register, wo unter der Rubrik »Bach (Johann Sebastian)« auf diese Stelle verwiesen wird. Die Beschreibung, welche Forkel vom Einziehen der Finger giebt, stimmt hiermit überein, nur beschränkt [823] Quantz dasselbe auf die Execution von Laufwerk, während dieser mit Recht eine umfassende Eigenthümlichkeit der Bachschen Technik darin erblickt. Aber auch so wird immer erst die Angemessenheit des Einziehens für das Clavichord erklärt; für den bekielten Flügel oder die Orgel wäre es unnütz, wenn nicht eben ganz allgemein nur auf diesem Wege völlige Gleichmäßigkeit des Anschlages erzielt würde. Das Geniale der Methode liegt in ihrer Vielseitigkeit. Bei Passagen auf dem Clavichord trat ihr Werth am sichtbarsten hervor und war dem flüchtigen Urtheil am einleuchtendsten, weil bei dem unvermeidlichen Geräusch, mit dem die Tangenten unter die Saiten schlagen, hier das längstmögliche Niederdrücken der Tasten zur Vernehmbarkeit der Tonreihen dringend nothwendig ist. Man versteht es daher; wenn Quantz, der Flötenspieler, nur von diesem Falle redet. Wenn aber Philipp Emanuel Bach das Einziehen der Finger nur auf gewisse Vorkommnisse beschränkt – er nennt es »das Schnellen«, wobei der Finger »so hurtig als möglich von der Taste abgleiten« und das allezeit »durch einen gewissen Grad der Gewalt geschehen muß« (II, 1, §. 36) – wenn er es allein beim geschwinden Abwechseln der Finger auf einer Taste (I, §. 90), beim letztmaligen Anschlag des höheren Trillertons (II, 3, §. 8), bei der Manier des »Schnellers« (II, 8, §. 1) und beim Vortrage raschbewegter Gedanken (III, §. 1) angewendet wissen will, es aber nicht als allgemeine Spielregel hinstellt, so war sein Fingersatz eben schon ein andrer, als der Sebastians. Es wird das im Verlauf der vorn gegebenen Darstellung alsbald auch noch an andern Dingen deutlich werden. Forkels Verwunderung ist deshalb ungegründet. Mit ihm haben freilich viele alles, was Philipp Emanuel schreibt, unbesehen für Sebastians Lehre gehalten und dadurch irrthümliche Ansichten verbreitet.

38. (S. 678, 680, 688.) Nach allem, was bis jetzt an verschiedenen Stellen über die Gründlichkeit gesagt ist, mit der Bach eine einmal erfaßte Kunstform nicht eher losließ, als bis sie nach allen Seiten durcharbeitet war, darf es als unzweifelhaft gelten, daß zwei so gleichartige Werke, wie die sechs Violin- und sechs Violoncell-Soli, unmittelbar hinter einander geschrieben sind. Nun ist die letzte der Suiten des zweitgenannten Werkes nicht für das Violoncell, sondern für die von Bach erfundene Viola pomposa bestimmt. Was oben über dieselbe erzählt wurde, wissen wir durch den Lexicographen Gerber. Dieser hatte es von seinem Vater erfahren, der in den Jahren 1724–1727 in Leipzig Bachs Schüler war, und damals erlebte, daß sein Lehrer die Viola pomposa bisweilen an Stelle des Violoncells treten ließ, um eine deutlichere Ausführung der schwierigen und beweglichen, insbesondere der hochliegenden Bassfiguren in seinen Kirchencompositionen zu ermöglichen (s. Gerber, L. I, Sp. 491 f., und Sp. 90). Nehmen wir jetzt an, daß dieViola pomposa etwa um 1724 erfunden sei, wie Gerber der Sohn es wirklich thut (L. II, Anhang, S. 85), so würde die Composition der beiden Werke in einem Abschnitte von Bachs Leben stattgefunden haben, wo sein Geist bei dem Uebergang und der Eingewöhnung [824] in eine neue, anspruchsvolle Berufsthätigkeit durch ganz andre musikalische Aufgaben vollauf in Anspruch genommen war. Wie unwahrscheinlich dies ist, leuchtet ein. Man nehme hinzu, daß die fünf ersten Violoncell-Soli, die Bach selber nicht spielen konnte, doch gewiß mit Hinblick auf einen tüchtigen Meister des Instruments geschrieben sind, wie ihn die Cöthener Capelle in Abel besaß, daß bei mehren andren seiner bedeutendsten Kammermusikwerke die Zeit der Entstehung in Cöthen feststeht und daß doch im allgemeinen nichts natürlicher ist, als die Composition einer musikalischen Specialität eben an dem Orte, wo mehr als irgendwo anders dafür die Anregung vorhanden ist. Die andre schon an sich sehr fernliegende Möglichkeit, daß beide Werke etwa in der späteren Leipziger Zeit componirt sein könnten, wird durch die Thatsache vernichtet, daß die Violinsoli sich in dem mehrfach genannten Sammelbande Joh. Peter Kellners, den Herr Roitzsch in Leipzig besitzt, und der die Notiz trägt: »Franckenhayn den 3. Juli 1726« bereits abschriftlich vorfinden (mit Ausnahme der H moll-Suite und in dieser Reihenfolge: G moll, A moll, C dur, E dur, D moll), ja daß derselbe Kellner von der aus der G moll-Sonate arrangirten Orgelfuge schon im Jahre 1725 sich eine Abschrift fertigte (s. B.-G. XV, S. XXV). Endlich thut ein Uebriges die Beschaffenheit eines Autographs der Violinsoli. Für jeden, der sich mit Bachschen Autographen eingehender beschäftigt hat, ist die Handschrift des Meisters, wie sie sich in Folge seiner ungeheuren compositorischen Thätigkeit in Leipzig ausbildete, kaum zu verkennen; auch die wenigen, immer wiederkehrenden Papiersorten mit ihren Wasserzeichen liefern ziemlich sichere Anhaltepunkte. Die königl. Bibliothek zu Berlin besitzt ein Autograph des Violinwerks, dessen Züge von der Leipziger Hand durchaus verschieden sind, dagegen in ihrer Spitzigkeit und Schärfe mit dem Buch IV, 2, Anmerk. 53 erwähnten zweiten Autographe der Inventionen und Sinfonien entschiedene Verwandtschaft zeigen; das Wasserzeichen des Doppeladlers weicht ebenfalls ab, ich habe in Leipziger Autographen bis jetzt nur den einfachen Adler und auch diesen selten bemerkt. Es mag dieses die erste Reinschrift sein, welche Bach davon anfertigte. Der Hamburger Musiklehrer Georg Pölchau erwarb das Manuscript im Jahre 1814 aus den nachgelassenen Papieren des Clavierspielers Palschau in Petersburg, welche für den Butterladen bestimmt waren. Es hat 23 Blätter, die aber nicht alle beschrieben sind, da aufs Umblättern stets Bedacht genommen ist; daher ist es denn auch geschehen, daß die einzelnen Stücke, wenn sie das Ende eines auf einer Seite schon beschriebenen Blattes erreicht hatten, ohne selbst zu Ende gekommen zu sein, sich auf irgend einem andern Blatte so fortsetzen, daß das Umwenden durch gleichzeitiges Auflegen dieses Blattes vermieden werden konnte. Ein Titel fehlt; in den Einzelüberschriften nennt Bach mit präciser Unterscheidung nur die Stücke aus G moll, A moll und C dur, in denen je zweimal ein langsamer Satz mit einem raschen abwechselt, Sonaten, die übrigen, welche aus Tänzen sich zusammensetzen, Partien. Uebrigens fehlt das Autograph zu der letzten derselben (E dur), und die letzten zwölf Takte der D moll-Ciacona sind von ungeübter Kinderhand, etwa Friedemanns, [825] geschrieben. Ein zweites, vollständiges Autograph, ebenfalls auf der königl. Bibliothek zu Berlin, besteht aus Titelblatt und 22 andern Blättern und entstand nach Handschrift, Wasserzeichen und Titelangabe in Leipzig. Der Titel ist deshalb vorzüglich interessant, weil ihn Bachs zweite Frau, Anna Magdalena, schrieb. Er lautet: »Pars 1. | Violino Solo | Senza Basso | composée | par | Sr. Jean Seb: Bach. | Pars 2. | Violoncello Solo. | Senza Basso. | composée | par | Sr. J.S. Bach. | Maitre de la Cha-pelle | et | Directeur de la Musique | a | Leipsic. | [rechts unten:]ecrite par Madame | Bachen. Son Epouse. |« Dasecrite gilt von dem Titel und einigen Ueberschriften der einzelnen Nummern. Auch hier sind es drei Sonaten und drei Partien. Der Titel deutet an, daß Violin-und Violoncell-Soli zu einem zweitheiligen Werke zusammengefaßt sind. Letztere bilden aber ein besonderes Heft mit folgendem, auch von Anna Magdalena geschriebenem Titel: »6 | Suites a| Violoncello Solo | senza |Basso | composées | par | Sr. J.S. Bach. | Maitre de Chapelle. |« Es sind 19 nicht ganz beschriebene Blätter; der Name »Suite« ist auch von Bach selbst jedem einzelnen Stücke hinzugefügt.

39. (S. 711.) Von Kammertrios mit obligatem Clavier giebt es in vollständiger autographer Partitur jetzt noch drei. Eine Sonate in G moll für Gambe und Clavier (B.-G. IX, S. 203) hat Bezifferung, wo eine der oben beschriebenen Stellen zu finden ist, und nur dort; eine Sonate in G dur für dieselben Instrumente (ebend. S. 175) zeigt von Bezifferung nirgends eine Spur, weil eben solche Stellen nicht darin vorkommen. Die sechs Sonaten für Violine und Clavier existiren in einer Handschrift, von der Bach nur die letzten Sätze der letzten Sonate selbst geschrieben und das übr ge revidirt hat; die Bezifferung ist hier nur einige Male angedeutet, und er mag es nicht für nöthig gehalten haben, sie zu vervollständigen; das wenige genügt aber schon, um auch hier dasselbe Princip erkennen zu lassen. Ueberdies giebt es noch eine andre werthvolle alte Handschrift, welche in der Bezifferung vollständiger ist, und auch in ihr betrifft diese immer nur jene ersten Themaeintritte über dem Grundbass (s. B.-G.). Daher ist es ganz sicher nur ein Zufall, daß im letzten Satze der E dur-Sonate die Bezifferung fehlt; auch hier muß Accordfüllung eintreten Takt 1–4, 35–49 (aber mit Ausschluß der vereinzelten Takte, wo die rechte Hand schon zu thun hat) und 120–123, natürlich so bescheiden und einfach wie möglich. Nicht jedoch darf die Forderung an solche Stellen gerichtet werden, wo die Begleitung schon an sich eine vollständige Harmonie bewirkt, wie am Anfange des dritten Satzes der A dur-Sonate, am Anfange des zweiten Theils des Schlußsatzes der C moll-Sonate (wenigstens nicht für die ersten beiden Takte), am Anfang des ersten Satzes der Gambensonate in D dur (B.-G. IX, S. 189), oder wo beide Stimmen höchstens um den Raum einer Octave aus einander liegen und deshalb in ihrer Zusammengehörigkeit unmittelbar empfunden werden, wie am Beginn des Schlußsatzes der Violinsonate in G dur, oder an derselben Stelle der Flötensonate in H moll (B.-G. IX, S. 15), welche letztere, da sie im Autograph vorliegt, [826] auch durch das Fehlen der Bezifferung an jener Stelle die Richtigkeit unserer Behauptung nachdrücklichst bekräftigt. In annähernder Vollständigkeit existirt auch noch das Autograph eines Trio für Flöte und Clavier in A dur (B.-G. IX, S. 32 ff. und 245 ff.), dessen erster Satz einige Male einen bezifferten Bass hat. Es sind das, da der Satz in Concertform geschrieben ist, solche Stellen, wo die Flöte mit einem der beiden Themen gegensätzlich auftritt, nämlich am Anfang und zur Einleitung des Mitteltheils: hier bringt übrigens der Charakter der Form das Accompagnement schon von selbst mit sich. Nach diesem Muster ist der erste Satz der Flöten-Sonate in Es dur (B.-G. IX, S. 22 ff.) auszufuhren, wo ebenfalls alle Stellen zu accompagniren sind, in denen die Clavierstimme der rechten Hand schweigt. Einzelfälle, in denen noch außerdem einmal füllende Accorde eintreten sollen, finden sich voll beglaubigt nur in dem vierstimmigen Largo der Violinsonate aus F moll durch die bei Takt 8 zu lesende Notiz: accomp. und das im 58. Takt verzeichnete ?, woraus sich denn ergiebt, daß auch an allen übereinstimmend beschaffenen Stellen die Violine mit dem Bass durch wenige, einfache Harmonien vermittelt werden muß. Die Gambensonate aus D dur, welche in einer sorgfältigen Handschrift des Thomasschülers Christian Friedrich Penzel aus dem Jahre 1753 existirt, hat im 22. Takte ihres dritten Satzes eine Bezifferung, die echt sein mag, obgleich die zweistimmige Harmonie völlig befriedigend ist. Endlich findet sich in dem dritten Satze der Violin-Sonate in G dur nach der ersten Bearbeitung (B.-G IX, 252 ff.) an verschiedenen ungewöhnlichen Stellen bezifferter Bass, der hier in der eigenthümlichen Anlage des Stücks seine Berechtigung hat. Und damit ist das Register schon geschlossen, in seiner Kargheit ein klarer Beweis, wie energisch Bachs Streben auf eine gleichmäßige Durchführung der reinen Dreistimmigkeit gerichtet war. Ich wiederhole noch einmal, daß alle Fälle insgesammt nur aus solchen Stellen bestehen, wo die obligate Stimme der rechten Hand unbeschäftigt ist. Zu deren eigenthümlichen Tonreihen aber noch nach Gutdünken harmonische Füllstimmen fügen zu wollen, ist nach meiner Ueberzeugung ganz unstatthaft und den Intentionen Bachs im Allgemeinen wie im Besondern zuwider. Die Ansichten, welche W. Rust über diesen Gegenstand äußert (B.-G. IX, S. XVI und XVII), kann ich nicht theilen.

40. (S. 718.) Seit einigen Jahren hat sich die Ansicht verbreitet, Bach habe in seinen Kirchencompositionen Orgel und Cembalo neben einander gebraucht, letzteres immer bei Arien und Recitativen, und die wunderlichsten Phantasien über diesen Gegenstand sind noch kürzlich von einem Mitarbeiter der Allgem. musik. Zeitung (Jahrgang 1872, Nr. 31–33) mit großer Zuversicht als das einzig Wahre zu Markte gebracht worden. Es scheint, daß dazu ein Aufsatz Fr. Chrysanders die Veranlassung geworden ist, in welchem dieser die Art und Weise klar stellt, wie Händel beim »Saul« die Orgel angewendet wissen wollte (Jahrbücher für musikalische Wissenschaft I, S. 408 ff.). Das Gesammtresultat dieser auf Grund von Händels Handexemplar gemachten höchst werthvollen Mittheilungen [827] ist, was im Texte von uns schon einige Male ausgesprochen wurde, daß nämlich Händel die Orgel nicht etwa als den Mittelpunkt seines Oratorienorchesters ansah, sondern sie wie jedes andre Instrument eben nur dort anwendete, wo sie ihm die ihrem Wesen entsprechende Wirkung zu machen schien, in ausgedehnterem Maße also nur in den Chören und Instrumentalsätzen, aber auch hier häufig nur zur Verstärkung des Basses und immer zu diesem Zwecke bei den nicht eben zahlreichen Solostücken, zu denen sie überhaupt herbeigezogen wird, während das eigentlich accompagnirende Instrument bei diesen das Cembalo ist. Die Mannigfaltigkeit, mit der Händel die Orgel bald benutzt, bald nicht, bald einstimmig, bald vollgriffig, zeigt den souveränen Meister, der für jedes ganz genau seine Stelle weiß. Das Princip jedoch hatte er von den Italiänern überkommen, die ihre Theaterpraxis eben so wohl, wie ihre Kammermusik in die Kirche trugen. In Hamburg, der hervorragendsten Pflegstätte der Oper in Deutschland, wurde das, was Händel mit Recht für sein neues Kunstideal in Anspruch nahm, den Italiänern auf dem eigensten Gebiete der Kirchenmusik einfach nachgemacht, und bald so gründlich mit der Orgel aufgeräumt, daß im Jahre 1739 Mattheson ein gutes Wort für sie einlegen durfte und im »vollkommenen Capellmeister« S. 484, §. 29 schreiben, es würde »aus verschiedenen Ursachen nicht schlimm seyn, wenn in den Kirchen saubere und hurtig-ansprechende kleine Positiven, ohne Schnarrwerck, mit den Clavicimbeln vereiniget werden könten«. Demgegenüber hat Bach stets das rein deutsche Princip vertreten und von einem ständigen Cembalo bei der Kirchenmusik eben so wenig etwas wissen wollen, wie er sich je mit der Theatermusik befaßt hat. Es ist mir nicht bekannt, daß Chrysander aus Händels Praxis irgendwo einen Schluß auf diejenige Bachs gemacht hätte. Daß es von Andern dennoch geschah, ist um so unbegreiflicher, als jetzt nahe an hundert Bachsche Cantaten in der Ausgabe der Bach-Gesellschaft mit ausführlichen Quellennachweisen vorliegen, aus denen jedermann sich zur Genüge über die Sache unterrichten kann. Da glücklicherweise eine große Anzahl von Cantaten in autographen oder vom Componisten revidirten Stimmen vorliegt, so stellen die um einen Ton abwärts transponirten und vom ersten bis zum letzten Takte bezifferten Orgelstimmen den Bachschen Willen sofort außer jeden Zweifel. Denn weshalb der vielbeschäftigte Mann sich die Mühe des Transponirens und Bezifferns auch bei solchen Stücken hätte geben sollen, die den Orgelspieler garnichts angingen, dürfte wohl schwerlich jemand zu sagen wissen. Findet sich neben der bezifferten Orgelstimme auch eine bezifferte im Kammerton, so bedeutet das natürlich nicht, daß beide mit einander bei der Aufführung executirt sind, sondern die Cembalostimme war für die Proben bestimmt, welche nicht in der Kirche statt fanden. Und diese ständige Mitwirkung der Orgel verlangte Bach in allen Perioden seines Lebens, nicht nur in der Leipziger Zeit, aus welcher die meisten Belege vorhanden sind, sondern auch in Weimar. Die Adventscantate von 1714, auf deren Umschlage alle mitwirkenden Instrumente umständlich aufgeführt werden, weist ausdrücklich die Orgel und kein andres Instrument neben [828] ihr auf, und zu welchen Manipulationen Bach beim Niederschreiben seiner Partituren durch den Cornetton der dortigen Schloßorgel veranlaßt wurde, ist in Nr. 17 dieses Anhangs auseinandergesetzt. Bei den Cantaten nun gar, welche noch der ältern Richtung angehören, dürfte vom Cembalo schon gar keine Rede sein, selbst wenn nicht die autographe Partitur und die gedruckten Stimmen der Mühlhäuser Rathswechsel-Cantate über die unausgesetzte Verwendung der Orgel die genaueste Auskunft gäben. Eine Veranlassung, das Cembalo in die Kirche einzuführen, konnte doch nur die Aufnahme der italiänischen Arie und des Recitativs geben, dieser in der Opernmusik ausgebildeten Formen, welche der älteren Kirchencantate fehlen. Für eine Aufführung z.B. der Cantate »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit« ohne Orgel wird also auch nicht einmal der Schein einer Begründung beigebracht werden können. Wären noch weitere Beweise nöthig, so könnten sie gar aus Bachs eignen Worten geliefert werden. In dem Mühlhäuser Entwurf (S. 351 f.) sagt er von dem achtfüßigen Stillgedackt, welches in das neue Brustpositiv gebracht werden soll, daß es »vollkommen zur Music accordieret«. Die »Musik« ist nach damaligem und noch heute in Thüringen herrschendem Sprachgebrauch die von Sängern und Instrumentalisten ausgeführte Kirchenmusik. Daß Solosätze gemeint sind, ergiebt sich aus der Beschaffenheit des Registers von selbst. Das Accordiren bedeutet die Eigenschaft, sich mit der Singstimme und den begleitenden Instrumenten, und diese in sich verschmelzen zu können. Daß Bach in Mühlhausen den Weg betrat, von welchem er sein Leben lang nicht wieder abwich, ist seines Orts entwickelt worden. Sehr selten kommt es wohl einmal vor, daß innerhalb einer Cantate der bezifferte Orgelbass zu einem einzelnen Stücke aussetzt; unter den veröffentlichten Cantaten findet sich ein solcher Fall B.-G. V, 1, S. 200 ff. Aber keine Spur, weder in Partitur noch Stimmen weist darauf hin, daß hier nun ein Cembalo eingetreten sei; wäre es dennoch geschehen, so würden ein paar verschwindende Ausnahmen nichts gegen die Regel beweisen, wahrscheinlich jedoch hat Bach auf dem Orgelpositiv selbst das Accompagnement übernommen, welches im übrigen dem Organisten zufiel. Nur in einem einzigen Falle wissen wir von Verwendung des Flügels, und dieser beweist grade nur wieder, daß ihn Bach sonst nicht verwendete. Es ist die Trauerode auf die Königin Christiane Eberhardine, von der in Siculs »thränendem Leipzig«. 1727. S. 22 f. gemeldet wird: »also ließ sich auch bald darauf die Trauer-Music, so dießmahl der Herr Capellmeister, Johann Sebastian Bach, nach Italiänischer Artcomponiret hatte, mit Clave di Cembalo, welches Herr Bach selbst spielete, Orgel, Violes di Gamba, Lauten, Violinen, Fleutes douces und Fleutes traverses u.s.w. – – hören«. Nach »italiänischer Art«, wie des ungewöhnlichen Falles wegen besonders bemerkt wird, hatte er die Ode gesetzt, weil sie, ohne irgendwo ein kirchliches Element in sich zu tragen, doch in der Kirche aufgeführt werden sollte, für die zwitterhafte Situation war auch nur die zwitterhafte Praxis der Italiäner angemessen.

[829] Wie weit die Unsitte, in der Kirche zum Clavier Musik zu machen, sich in Deutschland verbreitet hat, bin ich außer Stande, näher zu bestimmen. Da Bach der einzige war, der in einem wirklichen Kirchenstile schrieb, so würde es nicht auffallen dürfen, wenn er allein auch der Orgel eine durchgreifende Mitwirkung gestattet hätte. Aber zur Ehre seiner thüringischen Landsleute muß es gesagt sein, daß wenigstens sie das wichtigste kirchliche Instrument immer als solches gewürdigt haben. Vielleicht ist das Cembalo in ihren Kirchen niemals aufgekommen, wenigstens liegen mir noch aus den Jahren 1768 und 1769 Cantaten vor, welche durchweg nur Orgelbegleitung kennen. Für die erste Hälfte des Jahrhunderts darf es wohl als sicher gelten, denn der mit den thüringischen Verhältnissen wohlvertraute Verfasser des »Gesprächs von der Musik zwischen einem Organisten und Adjuvanten« (Erfurt, 1742) nimmt Orgelbegleitung bei Kirchenmusiken als etwas ganz selbstverständliches an, z.B. S. 29, wo er warnt, beim Begleiten des Recitativs die Accorde nicht liegen zu lassen, damit der Zuhörer den Text auch verstehen könne. Sogar Gr. H. Stölzel, der doch Italien durchreist hatte, scheint dem heimathlichen Brauche nicht untreu geworden zu sein; die viertehalbhundert Cantaten wenigstens, welche sich von ihm in der Bibliothek der Schloßkirche meines augenblicklichen Wohnorts befinden, verlangen Orgelbegleitung. Diese geben zugleich erwünschte Gelegenheit zu beobachten, wie sorglos man mit dem Namen »Cembalo« verfuhr: oft steht auf dem Umschlage dieses als accompagnirendes Instrument verzeichnet, während darin eine perfecte Orgelstimme liegt. Es erklärt sich das sehr leicht daraus, daß in den Proben zur sonntäglichen Musik, welche in der Wohnung des Cantors oder einem Schullocale abgehalten wurden, in der That das Cembalo an die Stelle der Orgel trat. So konnte Altnikol in einer Abschrift von seines Schwiegervaters Cantate »Ein feste Burg ist unser Gott« (B.-G. XVIII, Nr. 80) von den beiden Bässen des ersten Chors den oberen mit Violoncello e Cembalo, den anderen mit Violone ed Organo bezeichnen. In der Probe sollte das Cembalo sogleich verstärkend mit dem Violoncellbasse gehen und nicht auf den erst später einsetzenden tieferen und bezifferten Cantus firmus warten, in der Kirche übernahm selbstverständlich das Orgelmanual die Rolle. Andrerseits wird man jetzt auch zu verstehen wissen, was Kittel meint, wenn er an der im Text beigebrachten Stelle aus dem »angehenden praktischen Organisten« sagt, daß jedesmal ein Schüler habe am Flügel accompagniren müssen, wenn Bach eine Cantate »aufführte«. Natürlich kann damit ungenauerweise nur eine Probe bezeichnet sein; Bachs hier geschildertes Eingreifen und die Empfindungen des Schülers dabei passen auch nur auf eine solche.

Ganz unberechtigt aber wäre es, das Zeugniß Philipp Emanuel Bachs in Sachen seines Vaters anrufen zu wollen. Schon bei der Betrachtung von Sebastian Bachs Applicatur wurde klar, daß die Ansichten des einen nicht die des andern waren. Sie konnten es nicht sein, weil Bach der Sohn neue und von der Richtung des Vaters abweichende Wege ging. Mit der Orgel machte er sich nicht mehr zu schaffen, das ganze Streben galt [830] dem immer selbständiger werdenden Claviere, der Kirchenmusik stand er innerlich nicht viel näher, als seine und Sebastians Zeitgenossen ihr gestanden hatten. Außerdem will es etwas sagen, daß er zwanzig Jahre in Hamburg lebte. Und doch sind seine Anforderungen an die Mitwirkung des Flügels bescheidenster Art. Er sagt (Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen II, S. 1): »Die Orgel, der Flügel, das Fortepiano und das Clavicord sind die gebräuchlichsten Clavierinstrumente zum Accompagnement. – Die Orgel ist bey Kirchensachen, wegen der Fugen, starken Chöre, und überhaupt der Bindungen wegen unentbehrlich. Sie befördert die Pracht und erhält die Ordnung. So bald aber in der Kirche Recitative und Arien, besonders solche, wo die Mittelstimmen der Singstimme, durch ein simpel Accompagnement, alle Freyheit zum Verändern lassen, mit vorkommen, so muß ein Flügel dabey seyn. Man hört leider mehr als zu oft, wie kahl in diesem Falle die Ausführung ohne Begleitung des Flügels ausfällt.« Der letzte Satz setzt seine Meinung außer Zweifel. Nicht an Stelle der Orgel soll das Cembalo in Arien und Recitativen den accompagnirenden Generalbass ausführen, sondern nur dort soll es zutreten, wo schon an sich von einer Begleitung der Orgel ganz abgesehen und diese ausschließlich andren Instrumenten, also zunächst wohl dem Streichquartett, übertragen war. Hier mache sich, besonders bei ganz einfacher Begleitung, eine Verstärkung durch den Flügel nöthig, weil die Klangwirkung sonst zu dürftig sei. Völlig damit in Uebereinstimmung, aber auch nur so verständlich ist es dann, wenn er S. 259 Verhaltungsmaßregeln giebt über die Begleitung eines Recitativs auf der Orgel, zu dem noch andre, aushaltende Instrumente gesetzt seien. Dem gewöhnlichen Stil freilich der Kirchencomponisten des 18. Jahrhunderts, wenn man von einem solchen überhaupt reden soll, war die Orgel in den Solosätzen höchst unbequem, sie hielt Ausdruck und Bewegung dem Göttlichen gegenüber in den Schranken und Formen fest, deren Beobachtung eben das Wesen der Kirche ausmacht; bei ihrem ernsten, würdevollen Ton mußte alle Sentimentalität und Leichtfertigkeit verstummen. Aber von dieser idealen Bedeutung der Orgel im Organismus der Kirchencantate hatte man keine Ahnung, und zornig ruft Kirnberger, der zwei Jahre lang die sonntäglichen Kirchenmusiken Sebastian Bachs als sein Schüler miterlebt hatte, und von ihm alle seine musikalischen Urtheile abstrahirte, die Worte aus (Grundsätze des Generalbasses S. 64): »Von je her wurden Kirchenmusiken – – mit der Orgel zum Fundament und Aufrechthaltung der Musik begleitet. – In gegenwärtigen erleuchteten Zeiten, wo eine Kirchenmusik gänzlich einer comischen Operette gleichen muß, hält man die Orgel zum accompagniren für ganz unschicklich, wodurch eine Capelle von ihrer wahren Würde herabgewürdiget, und den musikalischen Mißgeburten in Bierhäusern gleich gesetzt wird.«

41. (S. 667, 732.) Eine dreisätzige Sonate für Violine und Bass aus A moll bewahrt in Seb. Bachs eigner Handschrift die königliche Bibliothek zu Berlin. Sie ist auf demselben auffallend starken, gelben Papiere [831] geschrieben, wie das dort ebenfalls aufbewahrte Autograph des sechsstimmigen Ricercars aus dem »musikalischen Opfer« (sign. P. 226), danach also während Bachs letzter Lebenszeit, um 1747. Daß die Composition ihn zum Verfasser habe, sagt der von fremder Hand hinzugefügte Titel. Er sagt ganz sicherlich etwas falsches: kein Hauch Sebastianschen Geistes ist in ihr zu spüren. Vermuthlich war einer seiner Söhne der Autor; es wäre nicht das einzige Beispiel, daß der Vater, liebevoll theilnehmend, deren Arbeiten copirte. Die Themen sind mitgetheilt in A. Dörffels thematischem Verzeichniß, Anhang I, S. 3, Nr. 5. – Dieselbe Bibliothek besitzt ferner ein Heftchen in klein Querquart mit »Inventionen« für Violine und bezifferten Bass, ohne Nennung des Componisten. Auch dieses hat Seb. Bach selbst geschrieben; Züge und Format stimmen ganz mit dem zweiten (vrgl. S. 669. Anm. 53) Autograph der Clavier-Inventionen und -Sinfonien überein. Daß es Originalcompositionen sein sollten, ist wenigstens nach der Art, wie die Stücke eingeschrieben sind, sehr zweifelhaft. Das Heft beginnt mit »Inventio seconda«, H moll; sie besteht aus: Largo; Balletto. Allegro; Scherzo. Andante; Capriccio. Allegro. Dann folgen zwei leere, größtentheils rostrirte Blätter, darnach gleich: »Inventio quinta«, B dur, erster Satz ohne Bezeichnung; Aria; Giga. Presto; Fantasia. Amabile. Es schließt sich an: »Inventio sexta«, C moll, erster Satz. Lamentevole; Balletto. Allegro; Aria. Comodo assai; Fantasia. Diese Invention steht auf vier Blättern, deren letztes die zweite Seite leer hat. Endlich: »Inventio settima«, D dur, erster Satz ohne Bezeichnung; Presto. Bifaria (so! soll jedenfalls die theilweise zweistimmige Führung der Geige andeuten); Largo. Andamento; Presto. Steht auf vier Blättern, das letzte ist nur zum Theil beschrieben. Damit ist das Heft zu Ende; die Anfänge im themat. Verzeichn. Anh. I, S. 3, Nr. 8–11. Man erkennt, daß hier nur eine Abschrift vorliegt, die auf das gesammte Original garnicht gerichtet war. Daß die Compositionen absolut nicht von Bach herrühren können, läßt sich freilich nicht behaupten; er konnte möglicherweise die Absicht haben, aus einem älteren Manuscripte für einen bestimmten Zweck eine Auswahl zu treffen, und der musikalische Stil ist wenigstens der seiner Zeit. Aber sehr unwahrscheinlich ist es jedenfalls, schon wegen der gehäuften und gesuchten Vortragsbezeichnungen, die ganz gegen Bachs Manier waren, dann besonders auch wegen der Unbedeutendheit und Knappheit der Stücke nach Inhalt und Form, wegen der von Bachs Ausdrucksweise ganz abweichenden Art der Tonphrasen. Die Gesammtform ist die der Violinsonate in eingeengten Verhältnissen. Das Interessanteste daran ist für uns wohl der Name »Invention«. Er beweist mindestens so viel mit Sicherheit, daß Forkels Definition dieses Ausdrucks gründlich falsch ist, wenn er (S. 54) sagt: »Man nannte einen musikalischen Satz, der so beschaffen war, daß aus ihm durch Nachahmung und Versetzung der Stimmen die Folge eines ganzen Stückes entwickelt werden konnte, eine Invention. Das übrige war Ausarbeitung und bedurfte, wenn man die Hülfsmittel der Entwicklung gehörig kannte, nicht erst erfunden zu werden.« [832] Diese Definition ist augenscheinlich erst von der Bachschen Clavier-Invention abstrahirt.

42. (S. 733.) Zu dem handschriftlichen Materiale, nach welchem die Bachgesellschaft das C dur-Trio herausgegeben hat, liefere ich hier noch einen Nachtrag. In der Gottholdschen Bibliothek zu Königsberg i. Pr. findet sich eine von Gotthold selbst geschriebene Sammlung von Choralvorspielen (Nr. 498 des Katalogs von J. Müller). Unter ihnen steht Fol. 11 ff. auch das C dur-Trio, betitelt: »Trio von Gollberg«. Der Name ist offenbar aus »Goldberg« verschrieben. Goldberg ist der bekannte Schüler Seb. Bachs, für welchen die 30 Variationen des vierten Theils der»Clavierübung« geschrieben wurden; er stammte aus Königsberg. Da die Autorschaft Bachs sonst hinlänglich beglaubigt ist, so ergiebt sich die Folgerung von selbst, daß Gotthold seine Copie von einer Handschrift Goldbergs nahm, und daß ein neues Beispiel zu der in der musikalischen Handschriftenkunde sich so oft wiederholenden Erscheinung vorliegt, daß im Laufe der Zeiten sich unvermerkt der Name eines Abschreibers an die Stelle des Componisten schiebt. Goldberg nun hat als Schüler Bachs zuversichtlich seine Abschrift nach einer sehr guten Vorlage gemacht, und daher ist dieselbe für die Herstellung eines möglichst richtigen Notentextes – denn ein Autograph fehlt – nicht ohne Bedeutung. Beziffert ist sie nicht. Einige der Abweichungen haben innere Glaubwürdigkeit; wesentliches betrifft keine von ihnen. Da das Manuscript allgemein zur Vergleichung zugänglich ist, begnüge ich mich mit diesem Hinweise.

43. (S. 749.) Die unveröffentlichte Orchesterpartie (in D dur) kenne ich bis jetzt nur aus der Copie, welche aus Fischhoffs Nachlaß an die königl. Bibliothek zu Berlin kam. Ihre Echtheit wird aber, von dem Charakter der Sätze ganz abgesehen, schon durch den einen Umstand überzeugend bewiesen, daß die Ouverture daraus von Bach zu seiner Cantate »Unser Mund sei voll Lachens« in höchst genialer Weise verarbeitet ist. Das schöne Werk ist somit aus dem Anhang des thematischen Katalogs, wo es unter den zweifelhaften Werken (Ser. VI, Nr. 3) seinen Platz gefunden hat, wieder zu erlösen. – Was die Entstehungszeit der Partien betrifft, so weisen die autographen Stimmen der andern D dur-Partie durch ihr Wasserzeichen MA auf Leipzig. Diejenigen der H moll-Partie dagegen – sie befinden sich nebst den zuvorgenannten auf der königl. Bibliothek zu Berlin – tragen der Handschrift nach den cöthenschen Charakter: die Züge sind etwas scharf und spitz und steifer als in der späteren Leipziger Zeit. Die Quadrate, welche Bach späterhin durchgängig in der Weise schreibt, daß zunächst der zusammenhängende Zug Kritische Ausführungen gemacht und darauf der fehlende WinkelKritische Ausführungen über dem kurzen Horizontalstriche eingefügt wird, kommen hier vielfach noch in der älteren Gestalt Kritische Ausführungen vor. Die spätere, so eigenthümliche Form der Kreuze, welche dadurch entsteht; daß die Verticalstriche nicht ganz durchgezogen werden, und somit oft wie auf dem tieferen Horizontalstrich ruhend erscheinen, herrscht ebenfalls noch nicht. [833] Doch treten beide spätere Schreibweisen schon hier und da zwischen die älteren hinein, so daß eine Uebergangsperiode deutlich erkennbar ist. Auch das Wasserzeichen des Papiers ist ein ganz besonderes, in den Leipziger Autographen bis jetzt von mir nicht gefundenes. Läßt man nun wieder die Erwägung mitwirken, daß Bach jedenfalls in Cöthen als Vorsteher des fürstlichen Orchesters solche Orchesterpartien geschrieben haben wird, so spricht die Wahrscheinlichkeit wohl sehr dafür, daß die H moll-Partie ebendort entstand. Von der C dur-Partie fehlt das Autograph; eine gewiße Einfachheit der Haltung läßt sie jedoch eher älter als jünger erscheinen. Die beiden aus D dur, auch durch reichere Instrumentirung ausgezeichnet, mögen zusammen in Leipzig geschrieben sein.

44. (S. 759.) In dem größeren Notenbuche Anna Magdalenas steht auf den beiden jetzt nach Seite 111 folgenden Blättern, und zwar auf deren Innenseiten, das weitverbreitete Lied: »Willst du dein Herz mir schenken, So fang es heimlich an«. Auf der Außenseite des ersteren steht in der Mitte: Aria di G[i]ovannini. Die Blätter liegen lose, haben aber von Anfang an ins Buch hineingehört, denn auf der Rückseite des zweiten beginnt zum zweiten Male die Arie: »Schlummert ein, ihr matten Augen« und setzt sich auf den folgenden Seiten fort. Es müssen hier ursprünglich einige Seiten leer gelassen sein, auf die später das Lied geschrieben wurde, diese sind sodann mit noch einigen andern Blättern heraus gerissen oder geschnitten. Noten- und Buchstaben-Schrift sind weder diejenigen Bachs, noch seiner Frau, der Text ist mit lateinischen Lettern geschrieben, die Notensysteme sind mit einem etwas schmaleren Rostrale gezogen, als das sonst für die Liniirung gebrauchte ist. Aus dem Bachischen Archive Philipp Emanuel Bachs kam das Buch in die Hände Karl Friedrich Zelters, des Directors der Berliner Singakademie; damals waren, laut dessen eigner Angabe, die Blätter schon losgelöst. Die Annahme nun, daß Gedicht und Composition von Sebastian Bach selbst herrührten, stammt ebenfalls von Zelter, der auf einem noch jetzt dabei liegenden Zettel folgendes vermuthet: »Giovannini könnte Joh. S. Bachs italisirter Schäfername seyn und das Gedicht wie die Composition von ihm selbst gemacht, in die Zeit seiner zweiten Verlobung mit Anna Magdalena fallen, die recht gut soll gesungen haben. Die Abschrift, welche Mädgenhaft genug ist, könnte von der Hand des Liebchens seyn. Wäre diese Hypothese gegründet, so wäre ein solches Denkmal aus dem Blüthenleben des großen Mannes nicht zu verwerfen, wiewohl Herr Dr. Forkel wissen will, daß Seb. Bach nie ein Lied soll gemacht haben.« Was Zelter als Vermuthung hinwarf, galt alsbald für bewiesen, nachdem A.E. Brachvogel in seinem Roman »Friedemann Bach« ein wirksames Romanmotiv daraus geformt hatte; Ernst Leistner machte das Lied als Sebastians Dichtung und Composition zum Mittelpunkt eines Schauspiels in zwei Charakterbildern (Leipzig, O. Leiner. 1870); in dem angeblichen Bach-Hause zu Eisenach wird es zum »Andenken an Johann Sebastian Bachs Geburtshaus« verkauft, in häuslichen Kreisen, ja in den Concertsälen singt man es und beklatscht es als [834] rührende Antiquität, mögen auch unbefangene Hörer von jeher den Kopf dazu geschüttelt haben, daß diese Musik Bachisch sein solle. Daß sie es nicht ist, hätte ein jeder sehen können, der das Manuscript mit unbefangenen Augen betrachten wollte; steht doch der Name des Componisten klar und deutlich auf dem Titel. Giovannini war ein vornehmer Italiäner aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, der sich längere Zeit in Deutschland aufhielt und als Violinspieler und Componist mit Achtung erwähnt wird (Gerber, L. I, Sp. 510; N.L. II, Sp. 332). Er war der deutschen Sprache mächtig und versuchte sich mehrfach in der Liedcomposition. Im dritten und vierten Theile der von Johann Friedrich Graefe herausgegebenen Odensammlung (erschienen 1741 und 1743) finden sich sieben von ihm mit Musik versehene Oden, in der Vorrede zum vierten Theile bringt der Herausgeber auch einiges Persönliche über ihn bei. Ernst Otto Lindner hat in seiner Geschichte des deutschen Liedes im XVIII. Jahrhundert (Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1871) zwei dieser Compositionen mitgetheilt (Notenbeilagen S. 103 und 104; vergl. auch im Text S. 31 und 33), an deren Stil jeder sofort den Componisten von »Willst du dein Herz mir schenken« wieder erkennen wird. Wann und wie das Lied in Anna Magdalenas Buch gekommen ist, läßt sich natürlich nicht bestimmen; vermuthlich erst nach ihrem Tode, als das Buch in andere Hände übergegangen war, denn zu andrer Zeit als der übrige Inhalt desselben ist es geschrieben, wie schon bemerkt wurde. Aus dem Umstande, daß der Text des vierstrophigen Liedes mit lateinischen Buchstaben geschrieben ist, läßt sich vielleicht schließen, daß der, jedenfalls sehr ungeübte, Abschreiber von Giovanninis Original copirte, der sich auch für das Deutsche wohl der für seine Muttersprache gebräuchlichen Lettern bediente. Das Gedicht, dessen spielende Anmuth höher steht, als die Musik, halte ich für eine Uebersetzung aus dem Italiänischen; als Original läßt es sich nach meiner Ansicht weder formell noch ideell mit dem Stande der deutschen Litteratur zwischen 1750 und 1780 vereinbaren. Wie aber jemand im Ernste meinen kann, Bach habe ein solches Lied dichten können, Bach dessen dichterischer Geschmack durch Kirchenlieder und Cantatentexte eines Neumeister, Franck und Picander bestimmt wurde, dessen Ausdrucksweise, um von dem Inhalte ganz zu schweigen, aus Briefen und amtlichen Schriftstücken genugsam bekannt ist, das gehört zu den Dingen, die mir unbegreiflich sind. Ich bedaure, daß W. Rust in dem Vorworte B.-G. XX, 1, S. XV sich für die Echtheit des fraglichen Liedes ausgesprochen hat, um so mehr, als ich ihm vorher bereits den Componisten Giovannini genannt hatte und überhaupt kein Grund vorlag, an jener Stelle von der Sache zu reden. Er behauptet, daß gewisse Partien der Noten die Schriftzüge Seb. Bachs erkennen ließen. Ich bin wie gesagt anderer Ansicht. Aber selbst wenn es der Fall wäre, würde dadurch selbstverständlich nicht dargethan, daß Bach der Componist und nun gar auch der Dichter sei. Ich darf wohl der allgemeinen Zustimmung versichert sein, wenn ich meine, daß die Frage über das Lied »Willst du dein Herz mir schenken« hiermit endgültig erledigt ist.

[835] 45. (S. 767.) Es ist dies das wichtigste Autograph des gesammten Werkes, das existirt. Ein, wie man sagt, von Bach geschriebenes, aber nur vier dieser Suiten enthaltendes Manuscript besaß früher Dr. W. Rust in Berlin; nach ihm ist, soweit es reicht, die durch F.A. Roitzsch besorgte neue Ausgabe bei C.F. Peters (Leipzig, 1867) hergestellt. Jetzt befindet es sich im Besitze von Professor G.R. Wagener in Marburg; ich habe es nicht gesehen. Aus Anna Magdalenas Büchlein sind, da die Blätter sich aus dem Einbande gelöst hatten, im Laufe der Zeit einige Lagen verloren gegangen. Daher wird es kommen, daß auch das Autograph lückenhaft ist: die sechste Suite (E dur) fehlt gänzlich, mehre der andern sind nicht vollständig vorhanden. Die bekannte Reihenfolge der sechs Suiten ist hier schon inne gehalten. Zu Anfang hat offenbar die D moll-Suite gestanden, es fehlt aber die Allemande und von der Courante der erste Theil und vom zweiten Theile 12/3 Takte, des Uebrige ist von Bach paginirt mit 4. 5. 6. 7. 8. 9. Da jedoch dieselbe Suite in dem größeren Buche Anna Magdalenas auf S. 86–95 noch einmal vollständig steht, so ist der Ausfall ersetzt. Dann wird die C moll-Suite gekommen sein, von der gleichfalls Allemande und erster Theil der Courante fehlen, und von der Gigue sind nur die ersten 12 Takte mit Auftakt vorhanden, der Rest wird auf einem verloren gegangenen Blatte gestanden haben. Vor der Gigue hat Bach die Notiz gemacht: »NB. Hierher gehöret die fast zu ende stehende Men. ex. c.b.« Der Menuett steht nämlich an einem ganz andern Orte des Buches; aus der Notiz aber schließe ich, daß die übrigen Theile der Suite nach dem Anfange zu gestanden haben. Auch hier kann das größere Buch ergänzend eintreten; allerdings nur theilweise, da es selbst die C moll-Suite nur bis in die Sarabande enthält (auf S. 96–100). Dann wird die H moll-Suite gefolgt sein, die folgende Ueberschrift trägt:

»Suite pour le Clavessin par J.S. Bach.«

 

Courante, Sarabande und Anglaise bis auf die letzten 22 Takte des zweiten Theils derselben fehlen, die beiden Menuette dagegen stehen weiter nach hinten zwischen andern Stücken und sind demnach wohl hinterher componirt; Gigue wieder vollständig, nach Takt 10 und 28 des ersten und Takt 12 und 28 des zweiten Theils sind jedesmal die zwei darauf folgenden Takte später eingeschoben und in deutscher Tabulatur am oberen oder unteren Rande nachgetragen. Es folgt:»Suite ex Dis pour le Clavessin«. Darauf: »Suite pour le Clavessin. ex G ?«. Beide sind vollständig.

46. (S. 773.) Forkel hat in der von ihm besorgten Ausgabe des wohltemperirten Claviers, die 1801 bei Hoffmeister und Kühnel in Leipzig erschien, die Praeludien aus C dur, C moll, Cis dur, Cis moll, D dur, D moll, Es moll, E moll, F moll und G dur in einer kürzeren Fassung gegeben. Er wollte in ihr die Gestalt sehen, welche den Stücken vom Componisten endgültig zugedacht gewesen sei (vrgl. seine Schrift über J.S. Bach, S. 63). Allein hier befindet er sich nicht nur mit dem musikalischen Gefühle sondern auch mit sämmtlichen Autographen des wohltemperirten Claviers im Widerspruch. Auch hat er seine Ansicht nicht diplomatisch begründet; eine Handschrift, welche aus seinem Besitze an die königl. Bibliothek zu Berlin[836] kam, ist erstens ziemlich incorrect und enthält zweitens von den fraglichen Praeludien auch nur die aus Cis dur und Es moll. Gleichwohl wird man schwerlich je geglaubt haben, daß derartige tiefgreifende Abweichungen so vieler Stücke in gar keiner Beziehung zum Componisten ständen. Die bis jetzt ungenutzte Quelle des Friedemann Bachschen Clavierbüchleins giebt darüber erwünschten Aufschluß. Sie zeigt, daß bei einer Anzahl von Praeludien jene kürzeren Fassungen in der That von Bach herrühren. Die Frage würde nun entstehen, ob die gekürzte Form den ursprünglichen Entwurf repräsentire oder etwa nur eine Zurichtung in usum Delphini bedeute, um den Kräften des Knaben nichts übertriebenes zuzumuthen. Aber auch hierüber verhilft uns das Büchlein, wenn nicht zur vollständigen, so doch zur annähernden Sicherheit. Denn einerseits sind nicht alle Praeludien, die in kürzerer Fassung existiren, in Friedemanns Buche wiederzufinden – G dur fehlt gänzlich –, andrerseits stehen aber auch mehre in der erweiterten Fassung darin, so namentlich Cis dur vollständig mit 104 Takten (der Anfang ist in der rechten Hand so


 

Kritische Ausführungen


 

und Cis moll mit 39 Takten; Es moll bricht im 35. Takte bei der Sechzehntelpassage im verminderten Septimenaccorde ab, genug jedoch, um zu zeigen, daß die Forkelsche Fassung nicht vorliegt; ebenso ist es mit dem F moll-Praeludium, das auf dem Orgelpunkt c im 18. Takte abbricht. Auch das C dur-Praeludium zeigt einige erhebliche Abweichungen von der Forkelschen Gestalt, Erweiterungen, die sich sofort als Verbesserungen erweisen; es ist nämlich (von kleineren Aenderungen abgesehen) hinter Takt 4, 6 und 8 je ein Takt eingeschoben, durch welche namentlich der Reiz der verhüllten Melodik schon wesentlich erhöht wird. Man sieht also wohl, daß bei der Umgestaltung der Praeludien nur rein musikalische Motive gewirkt haben. Ist es nun aber erwiesen, daß bei einigen Praeludien die sogenannte Forkelsche Fassung vom Componisten selbst herstammt, so darf bei der Beschaffenheit der Abweichungen der Schluß nicht zu kühn genannt werden, daß dies von allen gelte. Das D dur-Praeludium, das auch in kürzerer und längerer Form vorkommt, ist in Friedemanns Buche leider in einer Weise fragmentarisch, daß sich kein Schluß machen läßt, in welcher Form es hier beabsichtigt war, es hört nämlich im 19. Takte auf. Bei dem C dur-Praeludium aber haben wir nunmehr drei Fassungen zu unterscheiden: die Forkelsche, die Friedemann Bachsche, die endgültig für das wohltemperirte Clavier hergestellte. Die Sache verhält sich also grade umgekehrt, als Forkel meinte: die kurzen Praeludien sind das Frühere, die längeren das Spätere. Es werden ihm, vielleicht eben durch Friedemann Bach, Handschriften der Praeludien in ihren ersten Entwürfen zugekommen sein, die er dann für nachträgliche Ueberarbeitungen hielt, irregeleitet durch die Beobachtung ähnlicher Thatsachen an andern Bachschen Werken.

47. (S. 773.) Das bis jetzt unbekannt gewesene Autograph des wohltemperirten Claviers, über das ich hier zu berichten habe, war früher [837] im Besitze von Hans Georg Nägeli in Zürich. Derselbe scheint es, soweit ich über seine Erwerbungen Bachscher Autographe Nachricht erhalten konnte, im Jahre 1802 durch Vermittlung eines Freundes, des Professor J.K. Horner in Hamburg, von der damals dort noch lebenden einzigen Tochter Philipp Emanuel Bachs erhalten zu haben. Diese, Anna Karoline Philippine, trieb nach des Vaters Tode zusammen mit der Mutter, und als dieselbe 1795 verstarb, allein einen Handel mit den Musikalien Philipp Emanuel und Sebastian Bachs, wie aus einer Notiz in Nr. 122 des Hamburger Correspondenten von 1795 hervorgeht (sie ist mitgetheilt von Bitter, Emanuel und Friedemann Bach II, S. 127). Vermuthlich stammen aus dieser Quelle auch die beiden Autographe Johann Christoph Bachs aus Eisenach, die sich jetzt in meinem Besitz befinden (vrgl. S. 128, Anmerk. 41). Von Nägelis Sohne kaufte das Autograph des wohltemperirten Claviers im Jahre 1854 Herr Ott-Usteri in Zürich und ließ sich, dank der gefälligen Vermittlung des Herrn Hofrath Sauppe in Göttingen, bewegen, mir dasselbe im Herbst 1869 zur Untersuchung auf kurze Zeit anzuvertrauen. Inzwischen ist, im Sommer 1872, Herr Ott-Usteri gestorben und hat, wie ich höre, seine sämmtlichen Autographe der Züricher Stadtbibliothek vermacht.

Zu dem Bachschen Manuscripte gehört ein ebenfalls autographer Umschlag, der aber ursprünglich für beide Theile des wohltemperirten Claviers gedient haben muß, denn er lautet: »Zweymal XXIV | Praeludia [neben- stehend:] 1r Theil 24, 2r Theil 24 [von anderer Hand unter das Wort Praeludia geschrieben:] und Fugen | aus | allen 12. Dur und moll Tönen, | vors Clavier | von | Joh. Seb. Bach Dir. Mus. in Leipzig |«. Da die Bezeichnung »und Fugen« von anderer Hand herrührt, im Werke selbst aber die Fugen mit den Praeludien zusammengeschrieben sind, so daß am Schluß der Praeludien häufig steht »Fuga seq.«, auch Praeludien und Fugen häufig auf einem und demselben Bogen sich befinden, so ist klar, daß der Umschlag nicht ursprünglich zu diesem Manuscripte gehört hat, sondern zu einem andern, welches nur die Praeludien enthielt. Hierdurch wird bewiesen, daß Bach die Praeludien nicht für unabtrennbar von den Fugen hielt, sondern sie einmal auch allein zu einem selbständigen Werke zusammen stellte. Die Hand, welche den Zusatz machte, hat auf der Innenseite des Umschlags ein Seitenverzeichniß der Praeludien und Fugen aufgestellt, so:


 

»Praelud. 1. 2 Seiten Fuga 1. – 2 Seiten

Praelud. 2. 2 Seiten Fuga 2. – 2 Seiten«


 

u.s.w. und schließlich die zusammengezogene Seitenzahl in Bogen ausgedrückt. Außerdem hat sie über die von Bach geschriebene D moll-Fuge die Worte gesetzt: »bleibt weg«. Es ist nämlich nicht der ganze Inhalt des Umschlags autograph; die ersten sechs Praeludien und Fugen sind von anderer, viel jüngerer Hand geschrieben, vermuthlich einer Copistenhand: die Schrift ist sehr gezirkelt, das Papier frischer, die Liniensysteme sind mit einem andern Rostrale und viel sorgfältiger gezogen. Bachs Handschrift [838] beginnt mit der D moll-Fuge, die also nun zweimal vorhanden ist, daher die Worte darüber. Das erwähnte Seitenverzeichniß ist nicht zu Bachs Manuscript angefertigt, sondern zu dem jener Schreiberhand; zu jenem stimmt es nicht, wohl aber zu dem, was von diesem übrig ist. Die Angabe der Seitenzahl ist meistens höher, als Bachs Manuscript Seiten aufweist; in demselben Verhältnisse ist Bachs Schrift enger und gedrängter, als die des Copisten. Demnach hat der Besitzer ursprünglich den ganzen ersten Theil des wohltemperirten Claviers nur in jener Copisten-Handschrift besessen und nach ihr auf dem autographen Titel jene zwei Worte zugesetzt und im Innern das Verzeichniß angelegt. Später erst hat er das von Bach selbst Geschriebene hineingethan. Was dieses betrifft, so glaube ich bestimmt, daß Bach aus irgend welchen unbekannten Gründen garnicht mehr als eben nur das Vorliegende geschrieben hat, aber doch die Absicht hatte, das Fehlende noch nachzutragen. Während nämlich sonst das Autograph überall einen sparsamen Raumverbrauch anzeigt, ist die erste Bogenseite vor der D moll-Fuge zwar rostrirt, aber unbeschrieben. Hier sollte das zugehörige Praeludium stehen; da dieses aber für eine Seite zu lang ist, so darf man weiter schließen, daß er alles übrige noch hinzuschreiben wollte und sich dazu den Raum genau berechnet hatte.

Wie alle Bachschen Reinschriften ist auch diese klar und theilweise schön ausgeführte. Als Ueberschrift über den Praeludien findet sich dieses Wort mit großen und schönen lateinischen Zügen, mit der laufenden Nummer dahinter, bei den Fugen mit Ausnahme der zwölften und zwanzigsten auch die Stimmenanzahl, also z.B. »Praeludium 7.«. »Fuga 7. à 3.« Hinter Praeludium 10, 20, 21, 23, 24 steht:»Fuga seq.« Einmal, hinter der Es dur-Fuge, ist auch die Zahl der Takte (37) notirt. Daß die Handschrift während der Leipziger Periode gefertigt sei, erkennt man schon aus ihrem Aeußern, ganz deutlich aus den Schriftzügen, unsicherer aus dem Wasserzeichen des Papiers, einem Schilde mit gekreuzten Schwertern im linken Felde (der Umschlag besteht aus anderm Papier und hat in der einen Seite das Zeichen des Doppeladlers). Vergleicht man aber den Inhalt mit dem der andern Autographen, welche in der Einleitung der von Fr. Kroll mit ausgezeichneter Sorgfalt hergestellten Ausgabe der Bach-Gesellschaft beschrieben sind, so stellt sich an der Verschiedenheit der Lesarten alsbald mit völliger Evidenz heraus, daß dieses Nägelische, oder, wie wir von jetzt ab sagen wollen, Züricher Autograph von allen das späteste und vorzüglichste ist. Vermuthlich war es das Handexemplar Philipp Emanuel Bachs, der es mit sich nahm, als er im Jahre 1735 das elterliche Haus verließ. Die Richtigkeit dieser Ansicht vorausgesetzt, würde sich mit großer Sicherheit behaupten lassen, daß dies Manuscript erst kurz vorher von Sebastian angefertigt worden sei. Denn die wichtigsten von seinen abweichenden Lesarten finden sich weder in irgend einer der übrigen Handschriften, noch in irgend einer gedruckten Ausgabe, soweit über dieselben jetzt durch Krolls treffliche Edition ein Ueberblick ermöglicht ist, obwohl es ganz offenbare Verbesserungen sind, wie alsbald nachgewiesen werden soll. Dies ist eben nur dadurch erklärlich, daß das Autograph [839] dem Bereiche der Sebastian Bachschen Schüler, welche vor allen durch ihre Abschriften das Werk vervielfältigten und verbreiteten, gleich nach seinem Entstehen entzogen wurde. Außerdem ist der Gedanke angemessen, daß Bach seinen beiden ältesten und hervorragendsten Söhnen, unter die ja auch später sein musikalischer Nachlaß getheilt wurde, je ein Exemplar des Clavierwerkes, auf das er so großes Gewicht legte, mit auf den Weg gab. Das Friedemann Bachsche Autograph kam zunächst in die Hand des Domorganisten Müller in Braunschweig (gest. daselbst 1835), dann durch Vermächtniß an Prof. Griepenkerl daselbst, nach dessen Tode an die königl. Bibliothek in Berlin. Ein zweites Autograph, jetzt im Besitze von Prof. Wagener in Marburg, war vermuthlich des Componisten Handexemplar. Dieses ist 1732 geschrieben. Das Züricher Autograph muß also jedenfalls nach diesem Jahre gefertigt sein. Forkel wollte nach Griepenkerls Notiz eine alte Handschrift gesehen haben, die am Schlusse die Bemerkung trug: »Scripsit 1734«. Friedemanns Autograph kann dies nicht gewesen sein, da es eine solche Notiz nicht trägt. Dagegen läßt sich nicht einwenden, daß das Autograph gegen den Schluß hin unvollständig sei; denn hier ist offenbar nichts verloren gegangen und später durch einen Andern ergänzt, sondern Bach hat, und mit sichtlich steigender Ungeduld, überhaupt nur bis zum 68. Takte der A moll-Fuge (einschließlich) geschrieben, den Rest der Fuge sofort von andrer Hand, wohl derjenigen Friedemanns, ergänzen lassen, dann blieb das Heft eine Zeit lang liegen und wurde später durch dieselbe Hand vollendet. Dies alles läßt sich aus der Anlage des Manuscripts und den verschiedenen dazu verwendeten Papiersorten ganz gut erkennen. Das Züricher Autograph enthält aber jene Notiz auch nicht, ebensowenig das Fischhoffsche Autograph, dessen Echtheit einmal angenommen. Wenn nun also nicht noch ein im Jahre 1734 geschriebenes Autograph verloren gegangen sein soll, so war das von Forkel gesehene entweder gar keines, oder es war das Wagenersche, und er hat die Zahlen 1734 und 1732 verwechselt. Letzteres ist mir das wahrscheinlichste.

Ganz ohne Einfluß auf die Gestalt des heutigen Textes des wohltemperirten Claviers ist jedoch das Züricher Autograph nicht geblieben, nur ist er freilich verschwindend klein. Ich müßte mich sehr täuschen, oder es hat den beiden frühesten deutschen Herausgebern – zur Benutzung kann man nicht sagen, aber doch zur Einsicht vorgelegen, dem Hamburger Musikdirector und Nachfolger Philipp Emanuel Bachs, Ch. F.G. Schwenke, der um 1800 die Simrocksche Ausgabe besorgte, und Nägeli, der bald darauf im eignen Verlage eine solche erscheinen ließ. Daß Nägeli dies nicht eher gethan habe, als bis er im Besitze des Autographs sich befand, ist wohl sehr wahrscheinlich. Der Einfluß desselben aber verräth sich bei beiden an einer Anzahl kleiner Abweichungen, die sie zum Theil gemeinsam und die nur sie allein haben; ich werde unten einige Male darauf aufmerksam machen. Die Erwägung, daß diplomatische Kritik damals auf musikalischem Gebiete ein ungekanntes Ding und subjectives Gutdünken der oberste Richter war, muß man hinzunehmen, um zu begreifen, wie [840] diese Männer Kleinigkeiten aufnehmen und an den wichtigsten Aenderungen uninteressirt oder scheu vorübergehen konnten.

Da es an dieser Stelle vor allem auf den Beweis ankommt, daß das Züricher Autograph die übrigen an Vorzüglichkeit übertrifft, so habe ich von einer Mittheilung aller Varianten abgesehen. Ich werde nicht angeben die abweichenden und fehlenden Manieren, desgleichen Kleinigkeiten wie etwa einen hier und da fehlenden Verbindungsbogen, auch ganz offenbare Schreibfehler, die übrigens verhältnißmäßig selten sind. Hierzu wird sich wohl einmal eine andere Gelegenheit bieten. Alles übrige folgt hier in der Ordnung, daß zunächst die Lesarten aufgeführt werden, die nur allein im Züricher Autograph sich finden (und hier und da in den Ausgaben von Schwenke und Nägeli), sodann eine Anzahl solcher, deren Echtheit, obgleich durch mehre Quellen beglaubigt, doch noch einen Zweifel zuließ, welcher nunmehr vermindert oder ganz gehoben wird. Zu Grunde liegt der Collation Krolls Ausgabe der Bach-Gesellschaft.


 

D moll-Fuge. 31, zweites Viertel der rechten Hand:


 

Kritische Ausführungen


 

(die Noten des oberen Systems sind stets im Sopranschlüssel zu denken). Diese mit der Consequenz der motivischen Entwicklung im Widerspruch stehende Lesart ist vielleicht nur ein Versehen. Es dur-Praeludium.9, drittes Viertel d. r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

Daraus ist wohl Nägelis Lesart entstanden; s. Varianten bei Kroll. 56, im Tenor letztes Viertel: g als volles Viertel, in Uebereinstimmung mit 65, wo es als volles Viertel von allen Quellen geboten wird. Es dur-Fuge. 21, r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

warum dies besser ist, erklären 6 und 29. Es moll-Praeludium. 37, l. H. keine Septime in den drei Accorden, was mir größer und stimmungs-voller erscheint; von Nägeli aufgenommen. 38, r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

Schlußaccord ohne Fermate, so auch bei Nägeli. E dur-Praeludium. 3, 1. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

E dur-Fuge. 6, l. H. zwölftes Sechzehntel [841] Ä; 13, l. H. siebentes Achtel fis, beides vielleicht nur Schreibfehler. E moll-Praeludium. 16, r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

offenbar besser, weil früheren Takten entsprechend. 37, l. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

Schlußaccord mit kleiner Terz, so auch Nägeli, wenngleich nicht allein. F dur-Praeludium. 13, l. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

17, l. H. im zehnten Achtel F nach Analogie von 7; vermuthlich aus diesem Grunde schon von Czerny geändert. F dur-Fuge. 45, r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

F moll-Praeludium. 5, l. H. erste Takthälfte:


 

Kritische Ausführungen


 

14, r. H. erstes Viertel:


 

Kritische Ausführungen


 

Die Schlußtakte dieses Stückes sind flüchtiger geschrieben, es fehlen mehre Noten; auch des als achtes Basssechzehntel ist wohl ein Versehen. F moll-Fuge. 13, im dritten Viertel der Tenor as als volles Viertel. 36, die beiden untern Stimmen:


 

Kritische Ausführungen


 

so daß das as des Tenors nach b geht, eine Stimmführung, die vorzuziehen wäre auch bei einem es des Basses statt e. 44, oberste Stimme im zweiten Viertel Kritische Ausführungen als halbe Note, was sicherlich nur eine Flüchtigkeit ist, ebenso 46, wo der erste Basston c als Viertelnote. Fis dur-Praeludium. Taktvorzeichnung: 12/8, im Widerspruch mit der Aufzeichnung des Stückes selbst; ein Versehen, das vielleicht aus der Erinnerung an die ursprünglich gewählte Schreibweise entstand. Damit könnte zusammenhängen, daß der letzte Basston hier, wie in den andern Autographen, als Kritische Ausführungen. notirt ist. 28, l. H. zweite Note cis, um die Octaven mit der Oberstimme zu vermeiden. 29, r. H. zweites Sechzehntel Kritische Ausführungen, scheint ein Versehen. Fis moll-Fuge. 29, zweite Hälfte, r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

jedenfalls schöner und consequenter; vrgl. 32. 33, letzte Note im Alt ā. G dur-Praeludium. [842] 7, l. H. die letzten sechs Sechzehntel nur Wiederholung der vorhergehenden sechs, um zwei Octaven zu vermeiden; es ist nun freilich eine neue hineingekommen, aber doch nur eine. G dur-Fuge. 8, H im Basse mit allen andern Autographen, dann aber auch Kritische Ausführungen im Discant, was der Gesammtstimmung unstreitig besser entspricht. G moll-Praeludium. 5, r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

eine reizvollere Rhythmisirung. Desgleichen 6, r. H. letztes Viertel und 8, l.H. letztes Viertel, Abweichungen, die beide Male auch Nägeli hat (s. Kroll S. 230). 15, r. H. letztes Viertel:


 

Kritische Ausführungen


 

G moll-Fuge. 21, im Alt erste Note Kritische Ausführungen, wegen des ringsumher herrschenden As vorzuziehen. As dur-Praeludium. 36, im Alt, fehlt Kritische Ausführungen; scheint, mit Rücksicht auf 38, ein Versehen. As dur-Fuge. 6, letzte Note des Tenors as als Viertel; besser, da so das Thema mehr hervortritt. Auch der Bogen über dem Kritische Ausführungen der Oberstimme ist, wie in einigen Handschriften und Drucken, hier vorhanden, und zu demselben Zwecke gut. 13, r. H. letztes Viertel:


 

Kritische Ausführungen


 

35, Alt zweites Viertel:


 

Kritische Ausführungen


 

als Imitation der Bassfigur im letzten Viertel des vorhergehenden Taktes. Gis moll-Praeludium. 2, r. H. erste Note für den Alt nur als Achtel, um verdeckte Octaven mit dem Basse zu vermeiden. Gis moll-Fuge. 7, zweite Hälfte Tenor:


 

Kritische Ausführungen


 

als melodischere Führung vorzuziehen. 15, erste zwei Achtel des Tenors zweimal cis; zweifelhaft, ob nicht Schreibfehler, wenngleich so wohlklingender. 32, l. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

von allen Lesarten dieser merkwürdigen Stelle wohl die am wenigsten harte. A dur-Praeludium. 9, l. H. schlägt ē auf dem vierten Achtel dem vorhergehenden Sechzehntel der Mittelstimme nach. So auch Nägeli und Simrock. Die Ausführung ist aber jedenfalls ganz dieselbe, wie die der genaueren Notirung, welche Kroll nach den andern Autographen gegeben hat. Solche Freiheiten hat sich Bach zuweilen gestattet, um das Auge des Spielers über seine musikalische Intention zu orientiren. So schreibt er in diesem Züricher Autograph [843] den 29. Takt der F moll-Fuge r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

A dur-Fuge. 50, r. H. sechstes Achtel Kritische Ausführungen, jeden falls um eine Corresponsion mit dem Gange der Mittelstimme im 53. Takte herzustellen. Dagegen ist 43, fünftes Achtel, das Kritische Ausführungen in der Mittelstimme zuverlässig ein Schreibfehler. A moll-Praeludium. 22 vom siebenten Achtel bis 23 zum siebenten Achtel, also volle neun Achtel gänzlich gestrichen, die in der That der schwungvolleren Schlußentwicklung hinderlich sind und außerdem eine Härte enthalten, indem der Septimenaccord über F sich garnicht, oder doch nur mangelhaft auflöst. Wohl aus diesem Grunde ist in der Ausgabe Fr. Chrysanders (Wolfenbüttel, L. Holle) jenes F in A geändert, ich weiß aber nicht, auf Grund welcher Autorität. Ueber dem Schlußaccord eine Fermate; so auch Nägeli und die Handschrift Schwenkes. A moll-Fuge. 41, im dritten Viertel der Bass c als Achtel. 59, Tenor:


 

Kritische Ausführungen


 

hart, doch nicht ganz unmöglich. 63, Alt achtes Sechzehntel Kritische Ausführungen; die Septime sollte, wie es scheint, vorbereitet werden. 64, im dritten Viertel der Tenor Ä als Viertelnote; der Sprung nach a ist in der That überflüssig. 69, Tenor:


 

Kritische Ausführungen


 

81, Oberstimme:


 

Kritische Ausführungen


 

die strenge Engführung ist aufgegeben, wohl deshalb, weil man schon genug Engführungen gehört hat. B moll-Praeludium. 1, l. H., viertes Achtel, fehlt Kritische Ausführungen; im folgenden Takte ist die Stimmenführung etwas abweichend vorgezeichnet. 24 fehlen die Bindebogen zwischen Kritische Ausführungen; Fermate nur über dem letzten Accord. B moll-Fuge. 20, l. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

vorzuziehen, da der Viertelgang in Terzen nun länger fortgesetzt wird. 36, r. H. drittletztes Achtel Kritische Ausführungen, nicht Kritische Ausführungen, besser, weil auf As dur vorbereitend. 74–75 fehlt der Bogen zwischen f und f. H dur-Fuge. 4, Tenor:


 

Kritische Ausführungen


 

ist besser, da so eine Quartsextharmonie vermieden wird. H moll-Praeludium. Die UeberschriftAndante fehlt. H moll-Fuge. 63, Oberstimme zweite Takthälfte: Kritische Ausführungen nur als Viertel, setzt im folgenden Takt neu wieder ein, wohl um die Imitation schärfer hervorzuheben. –

[844] D moll-Fuge. 35 stimmt die Lesart des Züricher Autographs mit der des Fischhoffschen überein und ist ihrer Consequenz wegen zu empfehlen; etwas Herbigkeit mehr oder weniger macht bei dieser Fuge nichts aus. Es dur-Praeludium. 34 übereinstimmende Lesart mit dem Wagenerschen und Fischhoffschen Autograph. Kroll beurtheilt sie (S. XXIV) ganz richtig und hätte sie darum auch als Hauptlesart in den Text aufnehmen dürfen. Es moll-Praeludium. 10, r. H. letzter Accord ist ein vollständiger Es moll-Accord mit à als tiefster Note, aber beweisunkräftig, weil mit anderer Tinte später hineingemalt. Diese fremden Spuren zeigen sich auch in dem Fis dur-Praeludium nebst Fuge und erweisen sich unter anderm als Correcturen Bachscher Flüchtigkeitsfehler, sind aber sonst von mir natürlich nicht weiter berücksichtigt. Es moll-Fuge 20 und 21, 41, 48 gleichlautend mit allen Autographen gegen die von Kroll aufgenommene Lesart. E dur-Fuge. 16, 26, 27 desgleichen; nur ist im letztgenannten Takte das fünfte Bassachtel punktirt, um eine Corresponsion mit dem vorhergehenden zu bewirken. E moll-Praeludium. 5, r. H.:


 

Kritische Ausführungen


 

und so mit kleiner Abweichung auch in den Autographen. 7, 9, 11 übereinstimmend mit allen Autographen, nur steht im 9. Takt vor dem Anfangs-H der rechten Hand ein Accentzeichen. Forkel sagt (S. 63), das E moll-Praeludium sei zuerst mit Laufwerk überhäuft gewesen und nachher von Bach vereinfacht. Hierin ist, wie man sieht, ein Fünkchen Wahrheit, nur daß Forkel den ersten Entwurf in Friedemanns Buche für die vereinfachte Gestalt hielt, und daß wir nicht wissen, ob die Verschnörkelungen in der erweiterten Gestalt von Bach selbst herrühren. Er muß hier etwas von Bachs Söhnen gehört haben, hat dies aber falsch verstanden oder angewendet. Und so ist es ihm wohl öfter ergangen. E moll-Fuge. 21, r. H. als achtes Sechzehntel Kritische Ausführungen, das auch Kroll als Hauptlesart aufgenommen hat. Ebenso 40, r. H. im dritten Viertel ḡ. F dur-Fuge. 42 übereinstimmend mit allen Autographen gegen Krolls Lesart. F moll-Praeludium. 22 Schlußaccord mit kleiner Terz gegen die Mehrzahl der Handschriften. F moll-Fuge. 32 hat der Bass im zweiten Viertel ges. 41 Alt im dritten Viertel /. Fis dur-Praeludium. 5, 17, 29 sind zwischen dem neunten und zehnten Sechzehntel keine Bindungen. G dur-Fuge. 82 gleichlautend mit allen Autographen gegen Krolls Lesart. G moll-Praeludium. 13 auf 14 bleibt das c des Basses liegen; diese Lesart auch in der Simrockschen Ausgabe. 19 Fermate auf dem letzten h in Uebereinstimmung mit dem Fischhoffschen Autograph. Gis moll-Fuge. Schlußtakt Dur; so mit dem Fischhoffschen Autograph und geringeren Handschriften auch Nägeli und Simrock. A dur-Fuge. 53, viertes Achtel der Mittelstimme gis; demzufolge rührt die Rasur in Friedemann Bachs Autograph schwerlich[845] vom Componisten selber her. A moll-Fuge. 69, im letzten Viertel Oberstimme wie in der Hauptlesart bei Kroll. B dur-Fuge. Schlußaccord ohne Fermate. B moll-Fuge. 50 auf 51 ohne Engführung:


 

Kritische Ausführungen


 

59, zweites Viertel im Alt Kritische Ausführungen, mit allen Autographen, da auch in dem Wagenerschen, wie Kroll eingesteht, eben so gut ein Quadrat gelesen werden kann. Ich glaube, daß dieser sehr fleißige Herausgeber in Bezug auf die von zweiter Hand in das Wagenersche Autograph eingetragenen Correcturen in einem Vorurtheil befangen ist. Wie man bemerkt haben wird, bestätigt das Züricher Autograph überall die ersten Lesarten desselben. Sollten die Correcturen spätere Verbesserungen des Componisten sein, dann wäre es ganz unbegreiflich warum unter ihnen von all den Verbesserungen des Züricher Autographs sich keine einzige findet.

Fußnoten

1 Der Strich unter einem Worte deutet Cursivschrift des Originals an.

 

 

[847] (Zu Seite 4.)


 

 

Der Brief des Grafen Günther fand sich im September 1868 als einzelnes halb vergilbtes und vermodertes Blatt auf dem fürstlichen Archive zu Sondershausen. Als ältestes Document über die muthmaßlichen Vorfahren Sebastian Bachs möge er hier abgedruckt werden. Daß ich ihn überhaupt entziffern konnte, danke ich in einem wesentlichen Theile der freundlichen Hülfe meines Collegen Prof. Th. Irmisch.


 

»Günther graf zu Swarzburg Herr zu Arnstet vnd Sundershußen1


 

Vnßern grus zuevor würdiger Hochgelartter besonders lieber euch ist sunder Zweivel vnvergessen. das wir euch manichfeltigerweise geschrieben vnd auch sunst mundlich haben angeben laßen, Das vnsere vndertanen zu Greferode Hans bach vnd Hans obentrot, mit geistlichenn processen. von Mentz Herrürende vonn wegen eins genant Hans schuler2 Zue vlfinaw3 ewirnn geistlichen gerichtszwange vnterworffig. beswert sint, vnersucht4 vmb vngewegrts5 gleiths hülfe vnd rechts von vns vnnd auch vnsernn Ambtleuten, Adiraber6 auch versehens von euch als geistliche ordinatien an stat vnsers gnedigen hern von mentz disses orts Zue doringen vnd wiewol als wir bericht empfangen Ir derwegen habt genn Mentz geschrieben mit ziemlichenn vnd gebürlichenn erbieten aber doch den vnsern Zue entledigunge Zuegewanter beswerunge vnfruchtenn7 welchs gantz beswerlich die armen poben8 das alles so vnpilcherweiße9 beswert zuewißen Wie denn. Ist vnser gnediglich gesynnen. Ir wollet nochmals [847] In ansehung der ploseit10 vnd unserer fürschrift den armenleuten Zue gute auf die wege helffen trachtenn, damit sie solcher beswerunge entlestigen, Alsdann wollen wir gedachtenn Hanßen schulern auf versorgunge gnuglichs gleits. Hülfe gleiths vnd rechts. vor vns adir vnsern gerichtenn vber die vnsernn nicht wegrn ßundern das alles sleuniglich ergehen vnd widderfaren lassenn Adir dieselbigen nachmals vor euch als ordinatien wie obstet Zue rechte vnd aller pilcheit11 fürstellenn daselbst. dem cleger Zuepflegen vnd Zueleisten souil vnd durch euch erkant wirdt, Ir wollet euch hir Inn gutwillig beweisen wollen wir vns verschreiben vnd widerumb günstig beschulden

Datum Freitags [?] vor mathie apostoli12 anno Nono

Dem würdigen Hochgelartten Ern Johan Somering13 Domb Capellan Zue erffurt vnsernn besondern lieben«.

[848] (Zu Seite 27.)


 

 

Es liegt nicht im Plane, die Bachsche Familie nach allen Richtungen hin weiter zu verfolgen, als bis in die Sebastian Bach parallel stehenden Generationen. Darum kann von Bernhard Bachs einzigem Sohne Johann Ernst (1. Sept. 1722–28. Jan. 1777) nur an dieser Stelle die Rede sein. Er besuchte etwa von 1735 an die Thomasschule in Leipzig und beweist durch eine erhaltene Abschrift von 12 Vivaldischen Concerten, welche Sebastian Bach für Cembalo oder Orgel bearbeitet hatte, daß er von seinem großen Verwandten zu lernen suchte. Dann studirte er auf der dortigen Universität Jurisprudenz und ließ sich in seiner Heimath Eisenach als Advocat nieder. Seine musikalische Tüchtigkeit war aber so groß, daß er nicht nur 1748 seinem Vater als Organist adjungirt und nach dessen Tode sein lebenslänglicher Nachfolger wurde, sondern 1756 sogar zum sachsenweimarischen Capellmeister mit 400 Thalern Jahresgehalt aufstieg. Daß er sich die Förderung der Capelle sehr angelegen sein ließ, beweisen verschiedene »Pro Memoria« im Gesammt-Archiv zu Weimar. Er behielt aber seinen Wohnsitz und sein Amt in Eisenach und kam nur zeit weilig nach Weimar hinüber, war also nach dem damaligen Ausdrucke Capellmeister »von Haus aus«. Zu Adlungs Buche »von der musikalischen Gelahrtheit« schrieb er eine verständige und gesinnungstüchtige Vorrede. Die Achtung und das Ansehen, welche er allgemein genoß, sollen sich nach Gerber aber eben so sehr auf einen trefflichen Charakter gegründet haben. Von seinen dort angeführten Compositionen sind mir die Instrumentalwerke unbekannt; [848] die Trauer-Musik auf den frühen Tod seines Gönners, des Herzogs Ernst August Constantin, und ein deutsches Magnificat sind in gleichzeitiger Abschrift in meinem Besitz. Ersteres Werk ist milden, innigen, aber nicht großen Charakters, das Magnificat entwickelt bedeutende Chormassen und, wenn auch nicht immer glücklich, künstlichere contrapunctische Combinationen. Ein anderes Magnificat in F dur von freundlicher Haltung besitzt, wie es scheint im Autograph, Herr A. Dörffel in Leipzig. Außerdem bewahrt noch die königl. Bibliothek in Berlin zwei Kirchen-Cantaten von ihm, den 18. Psalm, und ein Kyrie und Gloria über den Choral »Es woll uns Gott genädig sein« in der Art, daß zum Kyrie die beiden ersten Zeilen verwendet werden, zum Gloria das Uebrige. Ein fertiger Musiker zeigt sich überall, der unter die besten Kirchencomponisten seiner Zeit gehört, welche freilich sämmtlich für die Entwicklung der Kunst keine Bedeutung gewinnen konnten. Was von seinen Compositionen in neuerer Zeit durch Druck allgemein zugänglich geworden, beschränkt sich meines Wissens auf eine Fantasie und Fuge für Clavier in F dur (»Alte Claviermusik« neu herausgegeben von E. Pauer. Leipzig, B. Senff. Zweite Folge, 3. Heft). Eine andre Fantasie mit Fuge in A moll, sowie eine Sonate in A dur sind handschriftlich ebenfalls auf der Berliner königl. Bibliothek. – Das Datum seiner Geburt und seines Todes habe ich nach dem von seinem Urenkel, dem Kämmereiverwalter Bach in Eisenach, entworfenen Stammbaume gegeben.

 

 

[849] (Zu Seite 154.)


 

 

Ich habe vorn die Söhne Valentin Bachs ausnahmsweise mit aufgeführt; es geschah der Verbindung wegen, in welcher später Elias Bach mit Sebastian stand. Der erwähnte Stammbaum nennt auch noch drei Söhne desselben: Friedrich Adam (5. September 1752–2. März 1815), Johann Michael (geb. 1754), Simon Friedrich (1755–2. Mai 1799). Daß aber mit allen diesen die männlichen Familiensprößlinge jener Zeit nicht erschöpfend aufgezählt sind, beweist ein Attestat, das Elias Bach einem seiner Verwandten ausgestellt hat und das sich im Original ebenfalls im Besitz von Frl. Emmert befindet. Da es auch ein speciell musikalisches Interesse hat, theile ich es mit:


 

»Nachdem Vorzeiger dieses Johann Valentin Bach


 

mich Endes Bena dten um ein glaubwürdiges Attestat wegen seines bißherigen Verhaltens geziemend ersucht hat, so habe demselben damit keineswegs entgegenstehen, sondern vielmehr mit Grunde der Wahrheit resp. Jedermänniglich, deme sothanes Attestat vorgeleget werden möchte, zuverläßig versichern sollen, daß sich obgedachter Johann Valentin Bach, Seit seines fünfjährigen Aufenthalts auf dem dahiesigenAlumneo jederzeit gehorsam, fleißig und treu erfinden laßen, und es sonderlich in der Music soweit gebracht, daß er sowohl eine feine Discant, Tenor undBass Stimme [849] singet14, als auch ein gutes Clavier und andere Instrumenten zuspielen im Stande ist. Weswegen ich um so weniger Bedenken trage, denselben besonders allen resp. Gönnern, Liebhabern und Beförderern der edlen Music zur Beförderung seines löblichen Vorhabens hierdurch bestens zu recommendiren. So geschehen Schweinfurth am 12ten August. 1752.

Johann Elias Bach.

Cant. und Alumn. Insp.«

[Siegel]

Wohin aber dieser junge Johann Valentin gehört, kann ich nicht sagen.

 

[850] (Zu Seite 253.)


 

 

Friedrich Erhardt Niedt, Musikalische Handleitung II, 189 (Hamburg, 1721):

»Die Orgel zu St. Marien in Lübeck hat 54 Stimmen.


 

Werk.

1. Principal 16, 2. Quintadena 16, 3. Octava 8, 4. Spitz-Flöte 8, 5. Octava 4, 6. Hohlflöte 4, 7. Nasat 3, 8. Rauschpfeiffe 4fach, 9. Scharff 4fach, 10. Mixtura 15fach, 11. Trommete 16 Fuß, 12. Trommete 8 Fuß, 13. Zinke 8.


 

Brust.

1. Principal 16, 2. Gedact 8, 3. Octava 4, 4. Hohlflöte 4, 5. Sesquialtera 2fach, 6. Feld-Pfeiffe 2 Fuß, 7. Gemshorn 2, 8. Sifflet 11/2, 9. Mixtura 8fach, 10. Cimbel 3fach, 11. Krumhorn 8 Fuß, 12. Regal 8.


 

Rück-Positiv.

1. Principal 8, 2. Bordun 16, 3. Blockflöte 8, 4.Sesquialtera 2fach, 5. Hohl-Flöte 8 Fuß, 6. Quintadena 8, 7. Octava 4, 8. Spiel-Flöte 2, 9. Mixtura 5fach, 10. Dulcian 16 Fuß, 11. Baarpfeiffe 8, 12. Trichter-Regal 8 (Dieses wird auch wohl von keiner neuen Invention seyn), 13. Vox humana, 14. Scharff, 4 a 5fach.


 

Pedal.

1. Principal 32, 2. Sub-Bass 16, 3. Octava 8, 4. Bauerflöte 2, 5. Mixtura 6fach, 6. Groß-Posaun 24, 7. Posaune 16, 8. Trommete 8, 9. Principal 16, 10. Gedact 8, 11. Octava 4, 12. Nachthorn 2, 13.Dulcian 16, 14. Krumhorn 8, 15. Cornet 2.

Hiebey ein Cimbel-Stern, zwo Trummeln, zweene Tremulanten, und 16. Bälge«.

Daß Nr. 1 im Brustwerk achtfüßig gewesen sein wird und in der Aufzeichnung ein Versehen vorliegt, hat auch Jimmerthal in seiner vorn genannten Schrift S. 6 bemerkt; das 24füßige Posaunen-Register im Pedal ist aber so zu verstehen, daß in demselben der 32 Fuß-Ton erst mit dem F und nicht schon mit demC beginnt.

 

V.

[850] (Zu Seite 332.)


 

 

Actenfascikel auf dem Rathsarchive zu Mühlhausen mit der Aufschrift:

»Organista D. Blasij de Ann. 1604 usque 1677«.

pag. 26 ff.:


 

»Actum den 27. Maij 1707,

in Conventu Parochiano, proponebat Dom. Senior Consul Dr. Conrad Meckbach15.

Es were errinnerlich, was gestalt durch tödtlichen hintritt Hrn. Johan George Ahlen die organistenstelle bey der Kirche D. Blasij erlediget worden, Solche nun zu ersetzen der nothdurfft seyn würde, dahero zur Umfrage gestellet.


 

1.

Ob nicht Vor andern auff den N. Pachen Von Arnstadt, so neulich auff Ostern die probe gespielet, reflexion Zu machen?

Conclusum und sey dahin zu bearbeiten, daß mit Ihme billig accordiret werde.

Zudem ende Selbiger anhero zu bescheiden.

Hrn. Bellstedt commission zu geben.


 

2.

Ob nicht die Kirche zu repariren.


 

Placet.

3.

Weren Verschiedene mängel bey den begräbnißen eingeschlichen, ob Solche nicht zu untersuchen und Zu remediren?

Fiat cognitio per Dominum Administratorem et referatur.


 

Actum den 14. Junij 1707.

Coram Deputatis Parochiae D. Blasij. Herr Gottfried Stüler, Herr A.E. Reiss, Herr J.C. Stephan16,

accersitur Hr. Joh. Seb. Bache und wurde Vernommen, ob Er die bey der Kirche D. Blasij erledigteOrganistenstelle antreten wolte und was Er zur bestellung Verlange.


 

[851] Hr. Bache praetendiret:

85 Gulden So Er Zur Arnstadt hatte

Und das Deputat Hrn. Ahlen alß

3 Malter Korn

2 Claffter Holtz 1 buchene und 1 ander.

6 Schock Reißig an statt des ackers, Vor die Thür geführet

Wolte hierauff folgen, Verhoffet anbey, daß Seinen abzug und überKunfft zu facilitiren Zu überbringung seiner mobilien Ihme werde mit Fuhrwerck assistiret werden.

bittet schließlich Ihme die bestellung schrifftlich auß zu stellen.


 

Johann Georg Stephan

Adolph Strecker

Christian Grabe

Joh. Herman Bellstedt

Henrich Christoph Schmiedt

Seb. Beyereis

Joh. Georg Meekbach

Georg: Andr: Stephan

Tobias Backmeister

Christian Vockrodt.

Al. Reiß

Chr. Steffen

Jacob Meckbach

Joh. Stephan Vogeler.

Herman Christian Steinbach

J.E. Hofferock.

Joh. Frd. [?] Eisenhardt

Joh. Andreas Führer.


 

Actum den 15. Junij 1707.

Referebat Joh. Dieterich Peterseim17, daß Hr.Seb. Vockerodt, Hr. Christian Stüler, H. Haserodt18 gesaget, hetten keine Fedder oder Dinte, weren wegen des unglücks19 So bestürtzet, daß Sie an keine Music dächten, wie es die anderen Herrn machten weren Sie zufrieden.«


 

Bestallung Bachs (ebenda pag. 29 ff.):

»Wir bey der Keyserlich freyen und des heiligen Reichs Stadt Mühlhausen sämtliche Eingepfarrete Bürgermeistere und Raths Verwandte des Kirchspiels D. Blasij fügen hiermit zu Wißen, demnach dasigeorganisten Stelle durch tödtlichen Hintritt HerrnJohan George Ahlen weyland unsers mit Raths freündes vacant und erlediget worden, Solche nun Zu ersetzen, haben Herrn Johan Sebastian Bachen bei dritte Kirchen zu Arnstadt bestellten Organisten anhero beruffen und zu Unserm Organisten bey obbesagter Kirche D. Blasij dero gestalt angenommen, daß Er zuförderst hiesigem Magistrat treü und hold Seyn, Gemeiner Stadt Schaden weren und bestes hingegen befördern, in Seiner auffgetragenen Dienst Verrichtung sich willig bezeigen und iedes mahl erfinden laßen, absonderlich die Sonn-, Fest-, und andern Feiertage Seine auff Warttung treu fleißig Verrichten, das Ihme an Vertrauete Orgel Werck wenigst in gutem stande erhalten, die [852] etwa befindliche Mängel denen iedesmahl bestellten Herren Vorstehern anzeigen und Vor deren reparatur und music fleißig mit sorgen, aller guten wohlanständigen Sitten sich befleißigen, auch ungeziehmende gesellschafft und Verdächtige compagnie meiden solle, Gleichwie nun obbenanter Herr Bache Obigem Allem nach sich gemäß zu bezeigen und zu verhalten mittelst Handtschlages Verpflichtet, Alß haben Ihme hergegen zu seiner jährlichen besoldung

85 Gulden an gelde

das hergebrachte deputat an

3 Malter Korn

2 Claffter Holtz 1 buchen und 1 Eichene oder aspen

6 Schock reißig Vor die thür geführet

 

anstatt des ackers, zu reichen Versprochen und darob gegen wörtligen Bestallungs Schein unter Vorgedrücktem Cantzley-secret außstellen laßen.

Geschehen den 15. Junij 1707.

(L.S.)

Eingepfarrte bey der Keyserlich freien und des heiligen Reichs Stadt Mühlhausen.«


 

»Actum den 21. Februar 1708.

in Conventu Parochiano.

Proponebat Dom. Consul Senior Dr. Meckbach.

Es hette der neüe Organiste Herr Bache bey dem Orgel Werck der Kirche D. Blasij Verschiedene defecte angemercket, wie solche zu remediren und das Werck zu perfectioniren ein schriftliches project übergeben


 

legebat et quaerebat

1) Ob es projectirter maßen an Zurichten;

2) Den accord zu machen gewiße Commissarii zu ernennen und

3) Weile Sich zu dem kleinen Wercke auf dem Singe Chor Jemandt angegeben solches an sich zu handeln, Commissioni auffzugeben mit dem liebhaber zu schließen?


 

Conclusum

ad 1. Affirmatur.

ad 2. denominati Herr Bellstedt. Herr Reiß. Herr Sebastian Vockerodt. cum instructione, so genau zu accordiren, alß Sie Können, und allenfalß das kleine Werck pro 50 Thlr. dem Orgelmacher an Zahlung statt anzugeben, wenn mit 200 Thlr. Er das Werck zu Verfertigen nicht annehmen wolte. [Folgen andre hierher nicht gehörige Verhandlungen, dann:]


 

3.

Herrn Joh. George Ahlen seel. nachgelaßene Witbe bittet ihr das gewöhnliche 1/2 gnaden Jahr angedeyen zu laßen und ihr das halbe Salarium zu reichen.


 

quaerebatur.

Conclusum: differatur und hette der Vorsteher Herr Reiß den Schüler, welcher das Werck interim tractiret, was er pro studio praetendire Zu vernehmen.«


 

[853] »Actum den 26. Junij 1708.

in Conventu parochiano praesentibus:20

Proponebat D. Cons. Dr. Meckbach

es hette der organist Bach anderweite Vocation nachWeimar und solche angenommen, dahero umb seinedimission schrifftlich angesuchet.

quaerebatur. Weil er nicht auffzuhalten, müste mann wohl in seine dimission consentiren, iedoch Ihme bey deren apertur an zu deuten, das angefangene Werck helffen zum stande zu bringen.«

 

VI.

[854] (Zu Seite 520.)


 

 

Bestand der herzoglichen Capelle zu Weimar zwischen den Jahren 1714 und 1716.

»H. Secret. Pagen Hofmeister und Bassiste Gottfried Ephraim Thiele [klein drunter bemerkt:] hat die Kost beyhofe.


 

FagottisteBernhard George Ulrich

Cammerfourier u.Johann Christoph

Trompeter Heininger.


 

kriegt Kostgeld

Schloß Voigt u.Johann Christian

Trompeter Biedermann.


 

bekömt Kostgeld.

TrompeterJohann Martin Fichtel.


 

hat Kostgeld.

TrompeterJohann Wendelin Eichenberg


 

empfängt Kostgeld

TrompeterJohann Georg Beumelburg


 

genießt Kostgeld

TrompeterConrad Landgraf

PauckerAndreas Nicol.


 

wird Kostgeld gegeben.

H. CapellmeisterSalomo Drese


 

bekömt täglich 1 Brötgen u. 1 Maas Bier aus der Kellerey.

H. Vice CapellmeisterDrese

Concertmeister undJohann Sebastian

Hoforganist, Bach.

Secret. u. TenoristeAiblinger

Tenorist u. HofCantorDöbernitz

HofCantor u. BassistAlt

auch coll. quint:

AltisteBernhardi

DiscantisteWeichard,


 

geht mit an Freytisch.

[854] DiscantisteGerrmann,

Cammer MusicusJohann Andreas Ehrbach,

Musicus u. ViolonistEck,

Violinist u. MusicusJohann Georg Hoffmann


 

wohnt in Jena Wenn er aber

hier ist, hat er die Kost bey Hofe.

H. Secret: u. MusicusAugust Gottfried Denstedt.«

auch Violinist,


 

Dazu kamen sechs Capellknaben. Der Bestand ist aus einem Verzeichniß der Hof-Diener Wilhelm Ernsts genommen, das sich im großherzoglichen Archive zu Weimar befindet. Die vor dem Capellmeister genannten Musiker wohnten im Schlosse, daher die Reihenfolge. Im übrigen stand nach der weimarischen Rangordnung von 1726 der Capellmeister gleich nach dem Pagen-Hofmeister, ihm folgten die Pfarrer auf dem Lande. Die Trompeter und Pauker folgten dem Subconrector und Münzmeister, auf diese folgten die übrigen »Musicanten, wie sie angenommen«; diesen die Consistorial-Schreiber und Copisten, dann kamen nach einer ganzen Reihe von Zwischengliedern ziemlich am Schlusse: Stadt- und Hof-Cantoren, Organisten und die übrigen Schul-Collegen. Bach wird aber, da er zugleich Concertmeister war, wohl einen vom Capellmeister nicht allzu entfernten Rang eingenommen haben. – Der damalige Stadtmusicus hieß Valentin Balzer.


 

Nachtrag zu S. 130. Erst als der betreffende Bogen schon gedruckt war, bemerkte ich zufällig, daß Walther im Lexicon, S. 90, von Georg Bertouch erzählt, derselbe habe während seiner jenenser Studentenzeit »in Gesellschaft des dasigen Organistens, Hrn. Johann Nicol Bachs, eine Reise nach Italien angetreten, auch die Grentzen nur gedachten Landes würcklich erreicht gehabt«, sei jedoch dann mit einem dänischen General, der ihn zum Hofmeister seiner Söhne bestimmt, wieder umgekehrt. Sein Begleiter wird dazu keine Veranlassung gesehen haben, und so wäre denn die Anknüpfung an die italiänischen Kirchenmusiker auch äußerlich constatirt. Eine auf S. 37 gemachte Bemerkung über das Verhältniß des Bachschen Geschlechtes zu den Italiänern ist hiernach zu modificiren. Da Nikolaus Bach schon 1697 heirathete, so wird die Reise 1695 oder 1696 stattgefunden haben.

Zu S. 134. In dem Lebenslaufe des Cantors Caspar Ruetz, welcher im ersten Bande von F.W. Marpurgs Historisch-Kritischen Beyträgen (Berlin, 1754) von S. 357–361 zu lesen ist, findet sich auch eine Notiz über Nikolaus Bach. Ruetz studirte nämlich von 1728–1730 in Jena Theologie; in Anknüpfung hieran heißt es S. 360: »Die Bekanntschaft mit dem braven Organisten Herrn Bach in Jena war ihm sehr vortheilhaftig, und war ihm wegen der Liebe zur Musik eine angenehme Veränderung.«

 

 

**

[847] (Zu Seite 7.)


 

 

»Protocoll zum Drey Räthen vom 18. Augusti 1704 bis 1. Septembr: 1753.« sign. VIII, 53. Fol. 122.


 

»Den 22. April 1723.


 

Dominus Consul Regens D. Lange truge, in Versammlung aller drey Räthe, vor, es wäre bekannt, daß man wegen der Cantor-Stelle zu S. Thomas seine Gedancken auf H. Telemann gerichtet gehabt, er hätte auch versprochen alles zu thun, jedoch aber sein Versprechen nicht gehalten. Man hätte hernach auf Hn. Graupnern, Capellmeistern zu Darmstadt, sein Absehen, jedoch privatim gerichtet gehabt, welcher aber berichtet, daß man ihn nicht laßen wolte. Hernach hätten sich Bach, Hoffmann [Kauffmann] und Schott gemeldet. Bach wäre Capellmeister zu Cöthen, undexcellirte im Clavier. Nebst der Music habe Er dieInformation und müße der Cantor in den Colloquiis Corderi und der Grammatic informiren, welches er auch thun wolte. Er habe sich reversiret, nicht alleinepublicè, sondern auch privatim, zu informiren. Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann, wegen seiner Conduite, vergeßen.

Dominus Consul D. Platz. Weil die Vacanz so lang gewesen, so hätte man Ursach zur Wahl zu schreiten. Es wäre zu wünschen, daß man es mit dem dritten träffe. Zur Information der Jugend müße er sich accommodiren. Bach wäre geschickt darzu, und wolte es thun, gab ihm also sein Votum.

Dominus Consul D. Steger. Danckte vor die Sorgfalt, und wäre vorgebracht worden, warum es sich verzogen und wes wegen Hr. Bach zu nehmen. Bachs Person wäre so gut als Graupner. Er hätte sich erklähret, nicht alleine als Cantor, sondern auch als Collega bey der Thomas-Schule seine Treue zu bezeigen. AlsCollega quartus wolte er sich mit den andern Praeceptoribus setzen, so seine Vices vertreten solten.Votirte gleichfalls auf Bachen, und hätte er solcheCompositiones zu machen, die nicht theatralisch wären.«

[847] Die übrigen Rathsmitglieder geben sämmtlich ebenfalls Bach ihre Stimme, worauf

»Dominus Consul Regens. Es wäre nöthig auf einen berühmten Mann bedacht zu seyn, damit die Herren Studiosi animiret werden möchten. Bach hätte seine Dimission zu suchen und wünschte, daß es wohl gerathen möge, wormit sich also diese Consultation geendiget.«

Für gewisse Verhandlungen des Raths scheint doppelte Protokollführung üblich gewesen zu sein. Auch über diese ist noch ein zweites, im wesentlichen übereinstimmendes, Protokoll vorhanden in »Protocoll in den Drey Räthen vom 31. Aug. 1722 bis 18. July 1736«. sign. VIII, 43. Fol. 21b ff. Die Frage des wissenschaftlichen Unterrichts wird durch dasselbe noch etwas heller beleuchtet; die Rathsmitglieder stimmen zu, daß Bach gewählt werde, äußern sich jedoch hinsichtlich der Information mit einem gewissen Mißtrauen: »man werde sehen, wie er das letzte [die Information] bewerkstelligen möchte«, »möchte er bey dem letzteren nicht allendhalben fortkommen können, würde man ihm, es durch andere person verrichten zu laßen, nicht entgegen seyn«, »er müße die Information entweder selbst bestreiten, oder sich mit iemand anders auf seine Kosten diesfals sezen.«

 

 

[848] (Zu S. 8.)


 

 

»Ersetzung Derer Schul-Dienste in beyden Schulen Zu St. Thomae und St. Nicolai Vol. II. VII. B. 117.« Rathsarchiv zu Leipzig.


 

»Den 5. May 1723.


 

Erschiene Hr. Johann Sebastian Bach, bisheriger Capellmeister an dem Hochfürstl. Anhalt-Cöthischen Hofe, in der Rathstube, und nachdem Er sich hinter die Stühle gestellet, proponirteDominus Consul Regens D. Lange, daß sich zumCantorn Dienste bey der Schule zu S. Thomae zwar unterschieden gemeldet: weil Er aber vor dencapablesten darzu erachtet worden; So hätte man Ihn einhellig erwehlet und solte Er von dem hiesigen Herrn Superintendenten, praesentiret, auch ihme dasjenige gereichet werden, was der verstorbene Hr. Kuhnau gehabt.

Ille. Dankte gehorsamst, daß man auf ihn Reflexion machen wollen, und verspräche alle Treu und Fleiß.


 

Eodem.


 

Wurde auf E.E. Hochweisen Raths Verordnung, dem Herrn Superintendenten D. Deyling von mir vermeldet, daß der bisherige Hochfürstl. Anhaltische Capellmeister zu Cöthen, Hr. Johann Sebastian Bach, zum Cantorn bey der Thomas-Schule allhier, einhellig erwehlet worden, welches man Ihme zu notificiren der Nothdurfft zu seyn[848] erachtet, damit Er wegen der Praesentation, und sonsten, alles zu veranstalten belieben möchte.

Ille. Danckte vor die beschehene Notification, und würde Er die Praesentation und alles nöthige, zubesorgen nicht ermangeln.


 

Eodem.


 

Thate dem Herrn Pastori bei der Thomas-Kirche,Licentiat Weisen gleichfalls Notification von der beschehenen Wahl, Hr. Johann Sebastian Bachs zumCantorn bey der Schule zu St. Thomae, welcher sich davor schuldigst bedancket, und allen Seegen darzu wünschte.«


 

»Cantoris bey der Thomas Schule Revers.


 

Demnach E.E. Hochw. Rath dieser Stadt Leipzigk mich zum Cantorn der Schulen zu St. Thomas angenommen und einen revers in nachgesetzten Puncten von mir zu vollziehen begehret, nehmlich:

1) Daß ich denen Knaben in einem erbarn eingezogenen Leben und Wandel mit gutem Exempel vorleuchten, der Schulen fleißig abwarten und die Knaben treulich informiren.

2) Die Music in beyden Haupt-Kirchen dieser Stadt nach meinen besten Vermögen in gutes Aufnehmen bringen.

3) E.E. Hochw. Rathe allen schuldigen respect und Gehorsam erweisen und deßen Ehre und reputation aller Orten bestermaßen beobachten und befördern, auch so ein Herr des Raths die Knaben zu einerMusic begehret ihme dieselben ohnweigerlich folgen laßen, außer diesen aber denenselben auf das Land zu Begräbnißen, oder Hochzeiten ohne des regierenden Herrn Bürgermeisters und der Herren Vorsteher der Schule Vorbewust und Einwilligung zu reisen keinesweges verstatten.

4) Denen Herren Inspectoren und Vorstehern der Schule in allen und jeden was in Nahmen E.E. Hochw. Raths dieselbige anordnen werden, gebührende Folge leisten.

5) Keine Knaben, welche nicht bereits in der Music ein Fundament geleget, oder sich doch darzu schicken, daß sie darinnen informiret werden können, auf die Schule nehmen, auch solches ohne derer HerrenInspectoren und Vorsteher Vorwißen und Einwilligung nicht thun.

6) Damit die Kirchen nicht mit unnöthigen Unkosten beleget werden mögen, die Knaben nicht allein in der Vocal- sondern auch in der Instrumental-Music fleißig unterweisen.

7) In Beybehaltung guter Ordnung in denen Kirchen, die Music dergestalt einrichten, daß sie nicht zu lang währen, auch also beschaffen seyn möge, damit sie nicht opernhafftig herauskommen, sondern die Zuhöhrer vielmehr zur Andacht aufmuntere.

8) Die Neue Kirche mit guten Schülern versehen.

9) Die Knaben freundlich und mit Behutsamkeittractiren, daferne sie aber nicht folgen wollen, solchemoderat züchtigen oder gehöriges Orts melden.

[849] 10) Die Information in der Schule, und was mir sonsten zu thun gebühret, treulich besorgen.

11) Und da ich solche selbst zu verrichten nicht vermöchte, daß es durch ein ander tüchtiges Subjectum ohne E.E. Hochw. Raths oder der Schule Beytrag geschehe, veranstalten.

12) Ohne des regierenden Herrn Bürgermeisters Erlaubnis mich nicht aus der Stadt begeben.

13) In Leichbegängnißen iederzeit, wie gebräuchlich, so viel möglich bey und neben denen Knaben hergehen.

14) Und bey der Universitaet kein Officium ohne E.E. Hochw. Raths Consens annehmen solle und wolle;

Als verreversire und verpflichte ich mich hiemit und in krafft dieses, daß ich diesen allen, wie obsteht, treulich nachkommen und bey Verlust meines Dienstes darwieder nicht handeln wolle, Zu Urkund habe ich diesen revers eigenhändig unterschrieben und mit meinem Petschafft bekräfftiget. So geschehen in Leipzig, den 13. Augusti 1722.

 

Dergl. hat Hr. Johann Christian Bach am 5. Maii 1723. unterschrieben und besiegelt.

Dergl. hat auch Hr. Gottlob Harrer am unterschrieben und besiegelt.«

Wie man sieht ist dieses Schriftstück, in welchem Bach ein falscher Vorname gegeben wird, nur das Concept des Reverses.

[850] (Zu S. 10.)


 

Rathsarchiv Vol. II. VII. B. 117 (s. II. dieses Anhangs).


 

»Den 1. Junij 1723.


 

 

Hat E.E. Hochw. Rath dieser Stadt den neuen Cantorem Hrn. Johann Sebastian Bachen in der Thomas Schule gewönlicher maßen vorstellen und introduciren laßen, auch zu dem Ende Herrn Baumeister Gottfried Conrad Lehmannen, als Vorstehern ietzt gemeldeter Schule, und mich, den OberStadtschreiber, dahin abgeordnet, alwo wir unten von dem Herrn Rectore M. Ernesti excipiret und in das obere Auditorium geführet wurden, in welchem der Pastor bey der Thomas-Kirche Herr Lic. Weiß sich bereits befand und uns meldete, wie der Herr Superintendens D. Deyling mit Überschickung der an ihn diesfals ergangenen Consistorial-Verordnung Ihm seine Vices aufgetragen, es versamleten sich hierauf in solchem Zimmer die sämtlichen SchulCollegen und ließen wir uns sämtlich auf die dahin gesezten Stühle nieder, also daß oben Herr Lic. Weiß neben Ihm Herr Baumeister Lehmann und ich, uns gegen über aber gedachte Herren SchulCollegen der Reihe nach saßen, die Schüler musicirten vor der Thüre ein Stück und traten nach deßen Endigung sämtlich in das Auditorium, ich that hierauf den Antrag folgendermaßen: [850] Wie es dem Allerhöchsten gefallen, den zu dieser Schule verordnet gewesenen Collegen und Cantorem, Hrn. Johann Kuhnauen von dieser Welt abzufordern, an deßen Stelle E.E. Hochw. Rath Hrn. Johann Sebastian Bachen, gewesenen Capellmeister an dem Hochfürstl. Anhaltischen Hoffe zu Cöthen erwehlet, dahero nichts mehr übrig sey, als daß derselbe in solch Amt ordentlich ein- und angewiesen werde, welches denn auch im Nahmen der Heiligen Dreyfaltigkeit von wohlermelten Rathe, als Patrono dieser Schule hiermit geschehe, dabey der neue HerrCantor sein Amt treu und fleißig zu verwalten, denen Obern und Vorgesezten mit behörigen respect und Willigkeit zu begegnen, mit seinen Herren Collegen gutes Vernehmen und Freundschafft zu pflegen, die Jugend zur Gottesfurcht und andern nüzlichen Wißenschafften treulich zu unterrichten und damit die Schule in guten Aufnehmen zu erhalten ermahnet wurde, ein gleiches geschahe an die Alumnos und andere, so diese Schule besuchen, zu Leistung Gehorsams und erweisung respects gegen den Neuen Herrn Cantor und wurde mit einem guten Wunsche vor die Wohlfahrt der Schule, beschloßen. Nun hätte zwar nach der Art, wie es sonst zu geschehen pflegen, der Cantor seine Antwort darauf thun sollen, es ließ aber HerrLic. Weiß sich vernehmen, wie eine Verordnung ausnConsistorio, die er zugleich vorzeigte, an Herrn Superintendenten ergangen, krafft welcher der Neue Herr Cantor der Schule praesentiret und eingewiesen würde, dem Er eine Ermahnung zu treulicher Beobachtung des Amts und Wunsch beyfügte. Herr Baumeister Lehmann, der seine gratulation dem HerrnCantori abstattete, erinnerte sogleich, daß diese Einweisung von dem Consistorio, oder dem es von demselben aufgetragen, vormahls nicht geschehen und etwas neuerliches sei, welches bei E.E. Rathe erinnert werden müste, dem ich hernach auch beytrat, es entschuldigte sich aber wohlermelter Herr Lic. Weiße, daß Er solches nicht gewust und Er hierbey nichts mehr gethan habe, als was ihm aufgetragen worden.

Ehe diese Erinnerung geschehen, dankte der Neue Herr Cantor E.E. Hochw. Rathe verbundenst, daß derselbe bey Vergebung dieses Diensts auf Ihn Hochgeneigt reflectiren wollen, mit Versprechen, daß er denselben mit aller Treue und Fleis abwarten, denen ihm vorgesezten mit schuldigen respect begegnen und sich allendhalben so erweisen werde, daß man seinedevoteste Bezeigung iederzeit spüren soll. Wornechst die andern Herren SchulCollegen ihm gratuliret und wurde der Actus wiederum mit einer Music beschloßen.

Als wir hierauf wiederum aufs Rathhaus gelanget und daselbst, was vorgegangen, referiret, wurde vor nöthig erachtet, diesfals mit dem Herrn Superintendenten zu reden und mir solches aufgetragen, welches ich acto nachmittags bewerkstelligte, da derselbe sich vernehmen lies, es wäre die an ihn ergangene Verordnung des ausdrücklichen Inhalts, daß der neue Cantor von Ihm ein- und angewiesen werden solle, weil nun Er solches zu thun verhindert worden, habe Er es Herr Lic. Weißen aufgetragen und wolle hoffen, es werde derselbe von diesen Worten nicht abgegangen [851] seyn, Er sey nicht gesonnen, E.E. Hochw. Rathe in seinen Gerechtsamen den geringsten Eingriff zu thun, müße aber auch des Consistorij Verordnungen nachgehen, wolle dahero es morgen bey der Session gedenken und müße hierunter ein andermahl eine gewiße Abrede genommen werden, Hätte E.E. Rath in dergleichen Fällen ein anderes hergebracht, wäre selbiger [so] nicht zu verdenken, daß Er sich darbey zu erhalten suche.

Carl Friedrich Menser,

Ober-Stadt-Schreiber. mp.


 

Nota. Als gleich bey unsern Eintrit Hr. Lic. Weiß uns vermeldete, wie von Hrn. Superintendens Ihm den neuen Cantorem einzuweisen aufgetragen worden, und wir ihm, wie es diesfals anders gehalten wor den, vorstelleten, So lies Er sich vernehmen, daß er es auch dabey laßen wolle, und dennoch ist obiges von Ihm geschehen.«


 

»An Hrn. Dr. Salomon Deylingen,P.[rofessorem] P.[ublicum] Pastoren und Superintendenten alhier zu Leipzig.


 

P.P.


 

Wir haben seinen eingeschickten Bericht,

Den Cantorem an der Schule zu St. Thomas alhier, Johann Sebastian Bachen betreffend, verlesen.

Nachdem nun die von ihm durch den Pastorem an der Kirche zu St. Thomas, Lic. Christian Weiße, beschehene An- und Einweisung ermeldeten neuen Cantoris der Churfürstlich Sächsischen Kirchen-Ordnung gemäß ist;

Alß hat es dabey sein Bewenden; im übrigen laßen wir auch geschehen, daß, dem gethanen Vorschlage nach, noch zur Zeit die Information desselben in der Schule dem Collegae Tertio überlaßen werden möge, und begehren im Nahmen des Allerdurchlauchtigsten u.s.w. wir hiermit an denselben, er wolle sich also darnach achten.

 

Mochten wir demselben [nicht bergen] u.s.w.Datum Leipzig, den 22. Martii 1724.

Die Verordneten des Chur- und Fürstlichen Consistorii daselbst.«


 

»Registratura.


 

Als aus dem löblichen Consistorio vorherstehende Verordnung ergangen und E.E. Hochw. Rath nöthig befunden, desfalls mit dem Herrn Superintendenten zu communiciren.

So habe nach dem mir hierunter geschehenen Auftrage mich zu demselben begeben, vorhero aber aus denen Schul Actis die actus, da wohlgedachter Rath, die introduction derer Schuldiener allein verrichtet,extrahiret und selbige wohlermelten Herrn Superintendenten vorgezeigt, welcher darwieder nichts zu erinnern fand und sich blos auf die ehemalige Consistorial-Verordnung, so an Ihn ergangen, bezog, der Er nachzuleben verbunden gewesen, Er könne aber E.E. Rath nicht verdencken, daß derselbe sich [852] bei seinenjuribus zu erhalten suche, Ihm werde es gleichviel seyn, wie es ausgemachet werde, daß Er wegen des vorgegangnen Bericht erstattet, darzu habe er aus dem Consistorio selbst Veranlassung bekommen, könne ein Mittel, wie die Sache am füglichsten zu tractiren und einzurichten, erfunden werden, würde er es sich ganz wohl gefallen laßen.

Actum den 12. Aprilis 1724.

Carl Friedrich Menser.

OberStadtSchreiber. mp.«


 

In den Leipziger Consistorialacten »die Besetzung des Cantoramts bei der Schule zu St. Thomä zu Leipzig betr.« liegt die Angelegenheit gleichfalls in ausführlicher Behandlung vor. Sie dienten zur Ergänzung und Präcisirung von Einzelheiten; eine vollständige Wiedergabe derselben erschien unnöthig.

 

 

[853] Fünf Memoriale Johann Kuhnaus.


 

A.


 

 

Rathsarchiv zu Leipzig. Consistorialia. Vol. X.Varia 1619 bis 1767.


 

»Magnifice, Hoch Edler, Vest und HochGelahrter, auch Hochweiser, Hochgeehrtester Herr und Patron.


 

Ew. Magnif. haben ohne Zweiffel noch in Andencken, was ich neülichst in Dero Hause wegen derer in beyden Haupt Kirchen allhier befindlichen Posaunen errinnert, daß solche Instrumenta durch den langen Gebrauch ganz abgenuzet, zerbeüget und untauglich worden: Worauff Sie auch damahls mir Ordre ertheilten, daß ich mit dem Thomas Thürmer, Heinrich Pfeiffern, welcher in Verfertigung solcher Instrumenten vor andern wohl geübt und erfahren ist, reden, und vernehmen solte, wie hoch der genaueste Preiß eines ganzen Chores, so in 4 Stücken, nehml. in derQuart-, Tenor-, Alt- und Discant-Trombone bestehet, komme, und wie hoch hingegen er den Chor der alten, der nur von 3 Stücken ist, nehmlich der Bass-, Tenor und Alt Posaune, anzunehmen gedencke?

Nachdem ich nun mit dem Manne geredet, und ihm zugleich den in der Thomas Kirche vorhandenenChor von 3 Stücken Posaunen gewiesen, er auch so wohl den allergenauesten und billigsten Preiß der neüen Posaunen (denn vor etlichen Jahren sind dergleichen Instrumenta gedoppelt theüer bezahlet worden), laut beykommender Specification auffgesezet, alß auch dabey gemeldet, wie hoch er die alten Stücke aus der Thomas Kirche anzunehmen gesonnen; So habe Ew. Magnif. ich hiemit solchen Auffsatz übergeben, und dabey umb Hochgeneigte Resolution, daß nicht alleine vor die Kirche zu St. Thomae, sondern auch für die zu St. Nicolai, und also vor jede Haupt Kirche ein neüer Chor Posaunen (es wäre denn daß man [853] sie in sonderlichen auff dem Falle nöthigen Futteralen, wie wohl nicht ohne Beschwerung und gänzlichen Schaden allemahl aus einer Kirche in die andere trüge) verfertiget werden möge, unterdienstlich bitten wollen.

Und weil 6 zur Kirchen Music getragene Violinen, davon 2 zur Schule gehören, keine Futter haben, und sie also im herumbtragen sehr bestoßen werden, so wäre es nöthig, daß zum wenigsten zu Ersparung derer Unkosten ein einiges Futter mit 6 Fachen inForm eines aus leichten Bretergen mit Boy gefütterten Kastens gemachet würde, daß sie also verwahret von einem eintzigen Schüler in die Kirchen könten getragen werden.

Die weil wir auch bey unsrer Kirchen Music die so genannten Colochonen (eine Art von Lauten, die aber penetriren, und bey allen izigen Musiquen nöthig sind),1 immer von andern borgen müßen, sie aber nicht allemahl geliehen bekommen können; So ist zum wenigsten ein gut Stücke von solcher Art mit einem Futterale vor beyde Kirchen nöthig, und befindet man in deren Verfertigung den Stadt Pfeiffer,Marcum Buchnern, sonderlich glücklich.

Im übrigen ist bey unsrer beyden Haupt KirchenMusic dieses zu beklagen, daß sie sonderlich in Feyer Tagen und in den Meßen, da in der Neüen Kirche musiciret wird, durch die neülichst daselbst Veränderung und Annehmung eines neüen Organisten, der die hießigen Operen machet, sehr geschwächet worden, in dem die sonsten ohne Entgelt mit zu Chore gehende und zum Theil von mir unterrichtete Studenten, weil sie aus der Opera sich einiges lucrum machen können, selbige Zeit, da ich am besten und stärcksten musiciren solte, unseren Chor verlaßen, und dem Operisten helffen. Hingegen wäre unsrer Music in allen 3 Kirchen am besten gerathen gewesen, wenn man mir, der ich allein mit denen Musicis, welche ihre ordentliche Salaria und Stipendia bekommen, zu thun habe, die Production derer Kirchen Concerten, (gleichwie ich die Lieder in allen 3 Kirchen anordne) und Vertheilung derer Musicanten und Adjuvanten in 3 Kirchen, hingegen aber die bloße Tractirung des Orgelwerckes entweder dem vorigen Organisten in der Neüen Kirche, Augusten, oder seinem Successori, (mit deßen Directorio, weil die aus Liebe zur Neüerung izo dahin gehende Adjuvanten kein Salarium bekommen, es doch keinen rechten Bestand, wie August vielmahl selbst gesehen, haben kan) gelaßen hätte. Denn auff solche Art wäre Uneinigkeit durch Separirung und Vertheilung immer uneiniger und einander aemulirender Adjuvanten, verhütet, dem Organisten nichts entzogen, und hingegen auch einem oder dem andern, der selbst was taugliches componiren könte, wenn er mir seine Arbeit zuvor gezeiget und ich sie vor werth an einem heyligen Orte produciret zu werden, befunden hätte, Gelegenheit zum Exercitio gegeben, an der Music und denen darzu nöthigen Personen nirgends kein Mangel gespüret, sonsten [854] auch ein jeder freywilliger Adjuvant zu beständiger Übung derMusic und Besuchung unsers Chori Musici (sonderlich da ich schon auff einen Modum ihne [so!] einige Ergözligkeit davor ohne Beytrag derer Herren Kirchen Patronen zu wege zu bringen gedacht hatte,) angereizet worden.

Gleichwie ich nun nochmahls unter dienstl. bitte, daß Ew. Magnif. geruhen wolle, unsre beyden Kirchen mit obgedachten Instrumenten zu versorgen; Also stelle ich solche beschehene Schwächung unsrer Kirchen Music zu fernerer Überlegung und die vorgestellte Verbeßerung Dero Gutachten anheim. Ich aber verharre

Ew. Magnif.

unterthäniger und

gehorsamster

Diener

Johann Kuhnau.

Cantor. mp.

Leipzig den 4

Decembr. 1704.


 

[Adresse:]

An S. Magni- | ficenz, | den regierenden Herrn, | Bürgermeister zu | Leipzig, und getreüen | Vorsteher der Kirchen | zu St. Thomae, | Herrn D. Johann | Alexander Christen, | Hochberühmten ICtum. etc. | Dienstgehorsamstes | Memorial.« |


 

B.


 

Schuel zu S. Thomas. Vol. III. Stift. VIII. B. 2. Fol. 356 ff.


 

»Magnifici, Hoch Edle, Veste, und Hoch Gelahrte, auch Hochweise, Hochgeehrteste Herren und Patrone!


 

Hiebey übergebe ich sub. lit. A. etliche Puncte, so unsere Schul und Kirchen Music betreffen.

Dieweil nun von Ew. Magnif. Hoch Edlen und Hochweisen Herren2 mit allem Rechte gerühmet wird, daß Sie vor den Wohlstand der Kirchen und Schulen väterliche Sorge tragen, Sie auch dabey des Göttlichen Seegens bey Deren Hochlöblichem Regiment versichert seyn können; So versehe ich mich deßen umb so viel eher, es werde auff gedachtePuncte einige Reflection gemachet, und ich dadurch immer zu mehrern Fleiße encouragiret werden. In übrigen verharre ich auf alle weise

Ew. Magnif. HochEdlen

und Hochweisen Herren

unterdienstgehorsamster

Johann Kuhnau.

Cantor. mpp.

Leipzig den 17

Martij 1709.


 

[855] Q.D.B.V.


 

A.


 

Erinnerung des Cantoris die Schul und Kirchen Music betreffend.


 

1.


 

Ist der Schul Violon sehr in Stücken, und durch den täglichen Gebrauch in denen zum Exercitio Musico gewidmeten Stunden so übel zugerichtet, daß die bißhero von den Currende der Leichen Geldern zu kleinen Ausbeßerungen der Schul-Instrumenten biß auff einen Thaler genommenen etlichen Groschen zur völligen Reparatur und zum Bezuge besagten Violons nicht zu reichen können.


 

2.


 

Brauchte man ein neü Regal, weil an dem alten immer zu flicken ist. Doch kan es, nach dem es izo wieder ein wenig zu rechte gebracht worden, zur Noth noch eine Weile mit gehen, und die Gelegenheit erwartet werden, da manchmahl was gutes von dergleichen umb einen geringen Preiß zu kauffen vorkommt.3

Doch wäre


 

3.


 

hingegen zum wenigsten ein guter Colocion so wohl zum Gebrauche in der Schule, alß auch sonderlich bei der Kirchen Music, dabey auffs wenigste ihrer zwey zu seyn pflegen, von nöthen. Der selige Herr Ober Postmeister Keeß hatte einen dazu hergegeben, der aber vor dem Jahre, weil man die Donation nicht erweisen können, dem Choro Musico wieder abgefordert worden. Der Stadtpfeiffer Buchner, macht dergleichen gute und von starcken Klange.


 

4.


 

Ist der Cüster zu St. Thomas wegen der auff demChoro daselbst mangelnden Sand Uhr offt ersuchet worden, daß er vor die nöthige Anschaffung derselben sorgen wolle. Man hat aber noch nicht gesehen, daß er bey dem Herrn Vorsteher deßwegen etwas errinnert hätte.


 

5.


 

Brauchten die Instrumentisten auff ihrem Chörgen zur rechten Hand hinter ihnen ein angenageltes Bret, die Geigen auffzuhängen, damit sie [856] solche nicht mehr auff den Fußboden legen, und Schaden dabei besorgen dürfften.

Gleicher gestalt ist


 

6.


 

in der Kirche zu St. Nicolai eine Ausbeßerung derer Tritte nöthig, worauff die StadtPfeiffer stehen, maßen einer, der sich nicht wohl versiehet, leichte, wo nicht ein Bein brechen, doch zum wenigsten den Fuß verstauchen kan.


 

7.


 

Wäre zu wünschen, daß man zur Unterhaltung derer in beyden Kirchen befindlichen großen Clavicimbeln, dazu auffs allerwenigste ein jährliches Interesse von 300 Thalern gehörte (denn, im Fall man sie brauchen wil, müßen sie bey jeder Music auffs neüeaccommodiret seyn, und im izigen Stande dürften sie unter 6 biß 7 Thalern kaum wieder angerichtet werden) ein Mittel ausfinden könte.

Gleichwie im übrigen sonsten


 

8.


 

zu des vorigen Cantoris Zeiten immer etliche Schüler (4. biß 5.) über den gesezten Numerum gewesen (sonderlich von der Zeit an, da ein Chor davon in die neüe Kirche hat müßen geschicket werden) die Alimenta Gott auch immer so gesegnet, daß sie zugelanget, zu geschweigen, daß weil deren einige öfters entweder verreiset oder kranck sind, der Numerus fast niemahls complet seyn kan: Also wären dergleichen Supernumerarii sonderlich izo, da der Haupt Chorus Musicus von den Studenten entblöset ist, gar sehr nöthig.4

Dieweil auch


 

9.


 

an der Kirchen Music vornehmlich aber nach der Predigt, und des Sonnabends nach der Vesper bey der Probe ein ziemlicher Abgang geschiehet, in dem die Schüler nach ihren 8 Cubiculis in 8 Sonnabend und Sonntagen nach einander zur Beichte und zum heyligen Nachtmahle gehen, so würde es so gar übel nicht gethan seyn, wenn in der Woche der ganze Coetus mit denen Praeceptoribus auff einmahl sich zu solchem heyligen Wercke einfände. Denn auff solche Art könte auch durchgehends eine gute Vorbereitung [857] geschehen, und das junge Volck mit desto beßerer Instruction und Andacht dahin geschicket werden.


 

10.


 

Aber den grösten Defect von solcher Music verursachet die Opera und Music in der Neüen Kirche. Denn die meisten Schüler, (von denen neüankommenden und dem Choro recommendirten Studenten wil man nichts sagen) sobald sie in der Music bey desCantoris saurer Mühe einen habitum erlanget und nüze seyn können, sehnen sich gleich nach der Gesellschafft der Operisten, thun dahero nicht viel gutes, suchen vor der Zeit ihre Dimission, öffters mit Unbescheidenheit und Troze, lauffen auch, im Falle der Verweigerung gar davon, wie nur neülichst der besteBassist, Pezold, auff die ihm aus der Opera geschehenen Promessen gethan, dem ein andrer guter Discantist, Pechuel, weil ein HochEdler und Hochweiser Rath ihn nicht, wie etwa zu weilen nach Weißenfels, also auch in die Opera nach Naumburg hat ziehen laßen wollen, hierinne vorgegangen, der nun alle Meßen herzukommen, und nicht ohne Ärgerniß der hießigen Schule und Stadt in der Opera und Neüen Kirche zu singen pfleget.5 Die andern aber, welche mit Frieden dimittiret werden, nach dem man ihnen zwar viel durch die Finger sehen müßen, machen es nicht viel beßer. Denn, an statt daß sie zur Danckbarkeit vor die große auff sie gewandte Mühe dem Choro Musico fernere Dienste leisten solten, so gerathen sie gleichfalls bald unter die Operisten. Und wie es freylich lustiger zugehet, wo man Operen spielet, in öffentlichen Caffée Häusern auch zu der Zeit, da dieMusic verbothen ist, und des Nachts auf den Gaßen, oder sonsten immer in frölichen Compagnien musiciret, alß wo dergleichen nicht geschehen kan; Also so leisten sie auch folgentlich lieber ein ander ihres gleichen in der Neuen Kirche Gesellschafft, alß daß sie unter denen Stadt Pfeiffern und Schülern stehen, und dem wiewohl sonsten ordentlich salarirten, und vormahls immer wohl bestalt gewesenen Choro Musico beywohnen solten.

Dieweil aber nun


 

11.


 

solche Kirchen Music, wo man die mit großer Mühe abgerichteten Schüler und Studenten, alß das besteOrnament entbehren, und sich allezeit mit neüen Incipienten von denen auff den Gaßen sich heiser schreyenden, im übrigen kranck- und kräzigten Schülern nebenst einigen unter denen Stadt Musicis und Gesellen nicht gar zu geschickten Subjectis, sonderlich in Feyer Tagen und Meßzeiten, da frembde Leüte und vornehme Herren in den Haupt Kirchen etwas gutes zu hören gedencken, behelffen muß, [858] dieweil auch noch dazu der in gemeinen Sonntagen gehörte Chorus alß denn geschwächet, und einandrer aber sehr elender und bloß aus Schülern und etwa ein Paar Stadt Pfeiffer Gesellen bestehender, der doch aber eben so gut ist, alß zu Herrn Schellens Zeiten der andre Chor gewesen, formiret wird, (An die Music von zwey oder mehr Chören, welche in großen Festtagen solte gehöret werden, darff man vollends nicht gedencken, und kan man dergleichen nur bewerkstelligen, wenn die Studenten nicht in die neüe Kirche kommen dürffen, wie zum Exempel neülichst bey Herrn D. Abichts Trauung in der Kirche zu St. Nicolai geschahe) gar schlecht bestellet ist, und man sich der elenden Execution vieler obgleich mit Fleiße ausgearbeiteten Stücken zu schämen, dahero denn auch die Musicalien nach der schlechten Capacität der Subjectorum schlecht genug einzurichten hat:6 So wäre


 

12.


 

(sonderlich da die aus 8 Personen zusammen bestehenden Stadt Pfeiffer Kunst Geiger und Gesellen zu blasenden Instrumenten, nehmlich zu 2 oder mehrTrompeten, 2 Hautbois, oder Cornetten, 3 Trombonen oder andern dergleichen Pfeiffen, 1 Fagott, und einem Basson kaum zu langen, und man nicht sehen kan, wo zu der übrigen GeigenMusic, welche die angenehmste ist, wie sie izo in ganz Europa und auch bey uns starck bestellet wird, da bey denen beydenViolinen immer zum wenigsten 8 Personen stehen, und folgentlich zu denen gedoppelt besezten Braccien, zu Violonen, Violoncellen, Colocionen, Paucken und andern Instrumenten mehr, die Leüte herzunehmen seyn, da sie alle in die neüe Kirche gezogen werden.) niehmals so sehr alß izo nöthig gewesen, daß die vormahls auff einige Sänger, vornehmlich aber auff einen starcken Bassisten (denn von der Schul Jugend sind dergleichen tieffe Stimmen nicht so leichte zu gewarten, so schickt sie sich auch theils wegen ihres steten Anfanges in der Music, theils weil sie auch immer die Stimme mutiret, und manche jahre nach dem verlohrnen guten Discant ganz stum bleibet, mehr zu denen Capellstimmen und denen tutti, alß zum concertiren) und zwei ordentliche gute Violisten angewendeten Stipendia wieder dazu angewendet würden.7 Hiedurch würde Gottes Lob und Ehre befördert, manchem frommen, und lieber studirenden alß der lustigen Compagnie immer anhangenden Studenten geholffen, auch vielleicht Gottes Seegen immer mehr und mehr gespüret werden.


 

[Adresse:]

 

An | E. Hoch Edlen | und Hochweisen | Rath | zu | Leipzig | unterdienstliches | Memorial.


 

[859] C.


 

»ACTA | Den GOTTES Dienst in der Pauliner Kirche und was dem anhängig betr.« Archiv der Leipziger Universität, Repert. II/III No. 3. Litt. B. Sect. II. Fol. 6 und 7.


 

»Magnifici, Hoch Edle, Vest | und Hochgelahrte, Hochgeehrteste Herren und Patronen.


 

Gleichwie ich mit der ganzen Stadt über den angestellten neuen Gottes Dienst in der Pauliner Kirche gefreuet, und mir dabey die Hoffnung gemachet, daß ich, da mir sonsten der Chorus Musicus und die Orgel solcher Kirchen anvertrauet ist, auch bey diesem Gottes Dienste meine Dienste leisten würde; Also habe ich hingegen gestern nicht ohne Chagrin sehen müßen, daß am verwichenen Freytage die Orgel-Schlüßel darumb von mir abgehohlet worden, daß ein anderer das Werck dabey spielen sollen. Wenn aber ich albereit in der Hochlöbl. Universitaet Diensten stehe, und mein Amt allemahl solchergestalt abgewartet, daß keine Klage über mich hat kommen können; Ich auch solchen Gottes Dienst Gelegenheit habe, indem ich, imfalle ich ja zuweilen in den andern Kirchen möchte auffgehalten werden, welches aber selten geschiehet, indem nach der Predigt nur kleine schwache Stücken musiciret werden, durch einen meiner auff der Orgel wohl exercirten Scholaren und Studenten, die mir alle mahl zur Music accompagniren, den Anfang zum Gottes Dienste machen laßen könte, biß ich selbst dazu köhme [so!]; Alß gelanget an Ew.Magnif. HochEdle und Hochgelahrte Herren mein unterdienstgehorsamstes Bitten, Sie geruhen hochgeneigt mir die Schlüßel zur Orgel wieder einzuhändigen, und mein Organisten Amt auch auff diesen Gottes Dienst zu extendiren. Hiedurch köhme ich bey denen Leuthen wieder aus dem Verdachte, alß wäre ich gar abgesezet worden, und ich hätte beßere Gelegenheit meine Sonntägliche Andacht fortzusezen, und meinen auff Orgeln erlangten habitum, welchen auch, sonder unzeitigen Ruhm, die Abwesenden aus meinen 4 Musicalischen Wercken, welche zur Übung desClavieres in Kupffer Stichen der Welt publiciret worden, gerne gehöret haben, zur Ehre Gottes weiter zu poussiren. Zu geschweigen, daß ich keine üble Consequenzen bey der Direction meiner Music zu befahren, sondern vielmehr aus der Communitaet einigen Zuwachß meiner Adjuvanten zu hoffen hätte. Ich erbiethe mich, solche Dienste umb das wenige, was einem andern möchte gegeben werden, oder auch, so zu reden, umb Nichts, sonderlich, wenn ich etwa bey Losung der Kirchen Stühle möchte mit bedacht werden, zu verrichten. Ich versehe mich Hochgeneigter Willfahrung, und verharre

Ew. Magnif. HochEdl. und Hochgelahrten

Herren

unterthäniger und schuldigster

Diener

Johann Kuhnau.

Leipzigk

den 1. Sept. 1710.


 

[860] An

Die Hochlöbliche Universität zu Leipzig

unterdienstliches Memorial.«8


 

D.


 

»Schuel zu St. Thomas Vol. IV. Stift. VIII. B. 2.« Fol. 185. (Rathsarchiv zu Leipzig).


 

Magnifici, HochEdle, Vest- und Hochgelahrte, auch Hochgeehrteste Herren, undPatrone!


 

Indem Ew. Magnif. HochEdle und Hochweise Herren, wie vor das Wohlseyn des gesammten gemeinen Wesens, also auch insonderheit unserer Schule zu St. Thomae höchstrühmliche Väterliche Sorge tragen, und zu dem Ende eine Verbeßerung der Schul-Ordnung im Wercke haben, wozu ich Gottes Gnade und Seegen wündsche; Dabey aber jedem unter uns Schul-Collegen die Freyheit gelaßen, etwas schrifftlich beizutragen, oder zu erinnern: So stelle auch ich mich hiermit gehorsamst ein.

Zuförderst lebe zu Ew. Magnif. HochEdl. und Hochw. Herren hohen Güte der gewißen Zuversicht, Sie werden nichts neues vornehmen, so der Music, oder mir in der Arbeit, und den wenigen Revenuen zum Praejudiz gereichen könne, sondern vielmehr alles, was zu jener Verbeßerung, und zum Beytrag meines Besten dienen könne, befördern.

Was die Music anbetrifft, so scheint es fast, und werden es vermuthlich die meisten Legata weisen, daß diese Schule umb ihrentwillen, wie hingegen die zu St. Nicolai wegen der andern Studiorum, meistens gestifft sey. Und ob zwar auch aus dieser Schule immer solche Leute gekommen, welche hernach Gott in der Republic, Kirchen und Schulen als gelehrte Leute dienen können; So sind doch darinne zu allen Zeiten fast mehr [861] Musici aufgewachßen, welche so wohl in Fürstlichen Capellen, als auch vornehmlich bey der Gott geheiligten Kirchen-Music beliebteMembra und Choragi worden. Wenn ich von denen, welche, Gott sey Danck, nur aus meiner Anführung gelaßen worden, viel Rühmens machen wolte, könte ich unter vielen andern, welche an unterschiedenen Orten als gute Musici Beförderung gefunden, 2 berühmte Capellmeister anführen. Einer ist unsers allergnädigsten Königs seiner, Hr. Heinichen9, der andere ist der zu Darmstadt, Graupner, welche aber in specie das Clavier und die Composition, und zwar der erste auch einige Zeit vor meinem Cantorat bey mir gelernet, dabey auf der Schule meine Notisten, so meineConcepte und Partituren mundiret, gewesen. Es wird aber bey uns die Music hauptsächlich zur Ehre Gottes in der Kirche, und der Stadt zur Devotion exerciret und angewendet, dabey man sich viel Seegen nicht nur in der Schule und Kirche, sondern auch der gantzen Republic immer hat versprechen können.

Da nun bey dem Gottes-Dienste die Alumni gebrauchet werden, und 2 Gottes-Häuser mehr worden, hingegen aber der Numerus Alumnorum geblieben, (wiewohl etliche Supernumerarii zu meines Antecessoris Zeiten gewesen, sind sie doch, seitdem Dessen Frau Wittbe die Schul-Speisung gehabt, wieder abgeschaffet worden,) und dahero zu Bestellung solcher heiligen Verrichtung nicht zu langen, sonderlich da ich (1) in meinem ersten Chore bey der heutiges Tages gewöhnlichen starcken Music von viel Sing-als Concert- und Capell-Stimmen, oder den so genannten Ripieno, und Instrumenten, als viel Violinen, Violen, Bässen, als Violonen, Violoncellen, Calichonen, Bassonen, wozu die wenigsten von den Kunst-Pfeiffern kommen, weil sie andere blasende Instrumenta, als Trompete, Posaune, Hautbois und dergleichen mehr immer zu tractiren haben: (2) Die Purganten, Calefactores, und Leichen-Famuli von allen Kirchen-Diensten befreyet sind: (3) immer etliche von Schülern verreiset oder kranck sind; (4) der Krätze zu geschweigen, die sie fast die gantze Zeit plaget, und sie nicht viel zu Kräfften, welche doch zum guten Singen (von Tractirung der Instrumenten will ich nichts gedencken,) nöthig sind, kommen läßet: (5) Die besten Sänger, und sonderlich die Discantisten, bey ihren vielen Singen, bey Leichen, Hochzeiten, in derCurrente, und andern Umgängen, sonderlich des Abends in der Neu Jahrszeit bey rauher und scharffer Luft nicht geschonet werden können, wo bey sie denn die Stimmen eher verliehren, alß sie den Habitum erlanget, ein ihnen vorgelegtes leichtes ConcertgenSecur und mit einigem Iudicio, oder der bey dem Kirchen-Stylo nöthigen Observanz der viel zu schaffen machenden Battuta, zu singen, (welches gewiß ein langes und großes Studium praesupponiret, maßen auch viel von virtuosen Sängern zu dergleichen Perfection nicht kommen, und nur die Sachen, wie etwa das Frauen-Zimmer die Oper-Arien [862] und Recitativ nach der Larve und meistens auswendig lernen.) Bey welcher Beschaffenheit denn, und da mit neuen Incipienten immer Sysiphus lapis moviret wird, auch nach beschehener Mutation der Discant-Stimme eine andere sich entweder gar langsam, oder auch wohl bey manchen gar nicht wieder finden will, auch das beste Kirchen-Stücke zu keiner guten Execution gebracht werden kan. Dahero wäre es wohl von nöthen, daß außer der fast nothwendigen Vermehrung der Zahl der Alumnorum auch, wie in Dreßden bey der Creutz-Kirche 2 sonderliche Discantisten, bloß zur Kirchen-Music gehalten, geschonet und wohl versorget werden, (davon ich selbst einer gewesen,) auch bey uns wo nicht dergleichen, weil wir auch in Fest-Tagen in beyden Kirchen musiciren, dennoch zum wenigsten ihrer 2 gehalten, und mit allen Umgängen und Currente-Singen verschonet würden. Zu deren einiger Versorgung könnten die 2 fl., die ich jährlich unter die Concertisten auszutheilen aus ieder Kirche bekomme, ohnmaßgeblich mit angewendet werden. Daß ich aber endlich auch auf dasjenige Exercitium Musicum komme, da sich 4 Cantoreyen zum Neu Jahrs-Singen praepariren müßen, so hat es freylich das Ansehen, als ob zu viel Zeit (immaßen immer von 4 Wochen geredet wird,) mit Hindansetzung derer anderen und nöthigeren Lectionen, hierzu angewendet würde. Allein, gleich wie ich mich nicht erinnere, daß man iemahls dergleichen Exercitium gantzer 4 Wochen vor dem Neu Jahres Feste angestellet hätte, sondern der Anfang darzu ist entweder den Montag nach dem 3ten Advent-Sonntage, wie heuer, oder wenn etwa das Weynachts-Fest gleich auf die ersten Tage der Woche gefallen, endlich auch nach dem andernAdvent-Sonntage gemachet worden; Also wendet man ja auch die iezt beniehmte [so] Zeit nicht gantz dazu an. Denn außer dem, daß denen Lectionibus, sonderlich aber meinen Stunden vor Mittage nichts abgehet, und die immer gehalten werden, so brauchet man nur hierzu fürnehmlich die Nach Mittages Stunden, davon aber ihrer viel eingehen, zum Exempel die Stunden des freyen Donnerstages und des zum Gottes-Dienst gewiedmeten Sonnabends, inngleichen die Stunden, so zu denen umb solche Zeit immer vorfallenden Leichen-Begängnissen gehören. Da aber nun zur Execution derer vielen Motetten, die mancher wohl exercirte Studiosus nicht treffen wird, kleinen Vocal-Concerten, und andern feinen Arien, derer von Zeiten zu Zeiten in ihren Büchern oder so genannten Stimmen immer mehr und mehr colligiret und unter den Bürgern beliebt worden, ja da auch bloß zu denen manierlich klingenden teutschen Liedern (dabey denn, wenn denen einmahl verwehnten Leuten hierinne keine Satisfaction geschiehet, das sonsten davon einkommende Geld großen Theils zurücke bleibet) eine fleißige Übung obgedachter maßen gehöret; So sehe ich nicht wie die dazu bestimmte wenige Zeit, die doch auch eben, wie die zu andern Lectionibus, nicht übel anwendet wird, genauer könte eingeschrenket seyn.

 

Was nun meine Arbeit und Inspection anbetrifft, so habe ich verhoffentlich mit Gottes Hülffe solche iederzeit also abgewartet, daß nichts wieder mich sonderlich zu erinnern wird gewesen seyn. Ja ich habe[863] auch, so viel mir immer möglich gewesen, die Sonntags-Communion, wie es die alte Schul-Ordnung erfodern wollen, mit abgewartet, obgleich zu meines Antecessoris Zeiten, da sich die Communicanten immer gemehret, solches in Desvetudinem gekommen, weil es vor Leute, wenn sie sonderlich schwacher Leibes-Constitution sind, im Winter, ja auch im Sommer, da es bey gröster Hitze in Kirchen-Gebäuden kalt ist, fast unmöglich ist, so viel Zeit, nehmlich von Anfange des Gottes-Dienstes vor 7 Uhr, da ich gleich mit meinen Schülern und Adjuvanten zugegen bin, auch seyn muß, und also alle Sonntage 4 Stunden vor Mit tages, und auch die zur Vesper nöthige Zeit auszudauren. Die Schüler haben noch ein Kohl-Feuer in derNicolas-Kirche, und in der Thomas-Kirche gehen sie heraus, und lesen die Predigt, dabey der Hr. Rector meistentheils zugegen ist. Unser einer aber kan dergleichen nicht haben auch nicht wohl vertragen. So ist auch unter der Communion der Chorus nicht beysammen, maßen ihrer viel davon zum Büchßen tragen, und andern zum Eßen nöthigen Verrichtungen heraus gehen, auch nicht nöthig sind. Denn es ist allezeit beßer befunden worden, daß weil die Communicanten sich meistens dem Altar nähern, und also von dem Schüler-Chore weit entfernet sind, der Praefectus nur alleine die Lieder und Verse angefangen und mitgesungen, dabey aber fein auf das Volck Achtung gegeben, als wenn die andern Schüler auch starck mit und sich vollends heiser gesungen, dabey den Praefectum in seiner Attention auf das Volck nur gehindert, und also Confusion gemachet. Da nun sonderlich die Praefecti bey ihren Ammte viel genung zuverrichten und zu observiren haben, wolte ich fast bitten, daß sie bey ihren wenigen Einkünfften gelaßen würden. Die Praefecti haben ja auf allen Schulen eine gute Ergötzlichkeit vor ihre Arbeit, welches ich selbst erfahren, der ich zwar nur Adjunctus auf der Dreßdenischen Creutz-Schule, und dergleichen auf dem Zittauischen Gymnasio gewesen, wie wohl ich auch in Zittau bey dem damahligen (daß ich es so nennen mag) interregno Chori Musici (denn es war der Cantor, und Organist, als der Director Chori, gestorben)Vicarius gewesen, und das von denen Herrn Patronen mir davon gereichte Salarium nebenst denen Accidentibus noch mit hieher auf die Universitaet gebracht habe. Diesem nach wäre vor die Conservation desLucelli unserer Praefectorum zu bitten, daß sie in der Observanz ihres Ammts nicht verdroßen würden. Jedoch gleichwie ich solches alles Ew. Magnif. HochEdlen und Hochweisen Herren hohen Gefallen überlaße, also habe ich vielmehr Ursache umb Ihre Väterliche Sorge vor mein eigenes Interesse so wohl, als vor der gantzen Schule, zu bitten: Alldieweil mein Salarium fixum sehr schlecht ist, und in 100 fl. bestehet, womit sonderlich ein Musicus, wie ich, der immer von seinen Kunst-Verwannten Zuspruch hat, auch denen Studiosis, so mit zu Chore gehen, manche Ergötzlichkeit machen muß, über dieses auch bey seinem starken Hauß-Wesen, wenig Sprünge machen kan, die Accidentia aber, so das Kraut machen sollen, bey denen heutigen Beysetzungen und Hochzeiten sich sehr verschmählern. Denn zu Anfange meinesCantorats habe ich vor die bey öffentlichen Leichen-Begängnißen sonderlich begehrte neue Composition[864] einiger Moteten und Arien, noch etwas bekommen; ietzo aber bey denen Beysetzungen entgehet mir nicht nur das beste Accidens von vielen großen halben Schulen (denn öffentllich schämeten sich die Leute der kleinen Schulen) sondern auch von besagter neuen Composition, und wird an mich, obgleich die Leute noch eines und das andere von sonderlichen Liedern begehren, wegen der offtmahls gehabten Mühe, da sie in 4 Stimmen gesetzet und abgeschrieben werden müßen, nicht einmahl gedacht. Bey großen Braut Meßen wird mir zwar zuweilen von Liebhabern derMusic auf obgedachte Art ein Accidens gegönnet, doch aber wird mir und der Schule auch das gewöhnliche bey vielen ohne Gesang und Klang, oder sonsten auf dem Lande nach erhaltenen genädigsten Befehl angestellten vornehmen Trauungen gar sehr offt entzogen. So hat auch, ungeachtet ich es bey denen Herren Pastoribus Vielmahl erinnert, die Gewohnheit einreißen wollen, daß Sonntags nach der Vesper, nehmlich umb 4 oder 5 Uhr und hernach, welche Vesper-Zeit, wie in der Woche, also auch des Sonntags bloß zu gantzen BrautMeßen bestimmet ist, (gestalt auch bey meines Antecessoris und meines Organisten Ammtes Zeiten stets darüber gehalten worden) die Verlobten ohne Unterscheid, ob sie vornehme oder geringe, mit halben BrautMeßen, oder auch wohl gar in der Stille zur Trauung gelaßen werden. Diesem nach, und da mir hierdurch mein Accidens entgehet, indem ich von halben Braut-Meßen gar nichts bekomme, denen Schülern auch das von großen Braut-Meßen ihnen zukommende zurücke bleibet; So bitte ich innständigst und gehorsamst, die alte löbliche Verordnung wegen der auf die Vesper-Zeit gelegten gantzen Braut-Meßen wieder in Schwang zu bringen, und denen itzigen Herren Pastoribus, im Fall sie sich der vorigen Observanz in diesem Stücke nicht erinnern möchten, zu intimiren.

Im übrigen repetire ich priora, überlaße alles derer HochEdlen Herren Patronen reiffer Überlegung und Väterlichen Vorsorge, wündsche dabey ein geseegnetes Regiment, und verharre

Ew. Magnif. HochEdlen, und

Hochweisen Herren

unterthäniger und gehorsamster

Johann Kuhnau,

Cantor an der Schule zu

St. Thomae. mp.10

Leipzig d. 18. Decembr:

Anno 1717.


 

[865] E.


 

»Project, welcher Gestalt die Kirchen Music zu Leipzig könne verbeßert werden.


 

[Befindet sich jetzt auf der Stadt-Bibliothek zu Leipzig. Auszugsweise abgedruckt in der Neuen Zeitschrift für Musik. Bd. 7, Nr. 37 und 38.]


 

Die weil dergleichen junge Leüte, welche bißher die Music in der Neüen Kirche dirigiret, von dem wahren Kirchen Stylo, wozu gar ein sonderliches und langes studium gehöret, nicht viel wissen können, und alles ihr Werck auff eine so genandte Cantaten Art hinaus läuffet;11 So wäre es beßer, (ja es wird auch in dem Corpore Juris Saxonici, und zwar in der Schul Ordnung Part. 4. Von der Election und dem Examine, oder Amt der Schul Diener pag. m. 296. Deßgleichen sollen die Cantores,12 aus drücklich verbothen,) daß solcher Incipienten, und folgentlich der heütigen jungen Operisten ihre doch nur in fleischlicher Absicht verfertigten Dinge nicht in die Kirche gebracht, und der heilige Gottes Dienst dadurch prophaniret, sondern anderer in dem Pathetischen oder Zur Andacht bewegenden Kirchen Stylo geübter und bloß auff die Ehre Gottes Zielenden Componisten Wercke von ihnen angeschaffet und gebührender maßen musiciret würden:

Die weil auch sonderlich in Festtagen unsermChoro durch die bißherige Music in der Neüen Kirche die meisten Studiosi entzogen worden, welche doch aus vielen Ursachen, fürnehmlich, weil fast die meisten aus der Thomas Schule, und meiner Information kommen, zur Dankbarkeit uns helffen solten, es freylich lieber mit der lustigen Music in der Opera, und denen Caffée Häusern, alß mit unserm Choro halten werden, und daher, obgleich auch noch unterschiedene bey uns bleiben, dennoch auff beydenChören die Music an ein und anderer Person, welche sich zur Execution eines Stückes in specie wohl schicket, Mangel leyden muß:

Die weil ferner das OrgelWerck in der Neüen Kirche bißher, so zu reden, in die Rappuse herumbgegangen, in dem der Director entweder nicht selbst spielen können, oder, wenn er ja was gekont, dennoch, wie die Operisten pflegen, bald zu dieser, bald zu jener Lust verreiset gewesen, und dahero immer andere ungewaschene Hände darüber gerathen, welche, [866] wenn sie dem entstandenen Heülen, oder andern durch die Veränderung des Wetters verursachten Zufällen abhelffen wollen, dasselbe immer mehr verderbet;

So wäre es beßer, wenn das Werck einem gewissen und beständigen Organisten, und die Direction derMusic zu gleich unserm Choro mit übergeben würde. Auff solche Art würde das wilde Opern Wesen verhütet, und eine devote Kirchen Music, welche ihre besondere Schönheit, Kunst, und Anmuth haben muß, eingeführet.13

Die weil die Music am angenehmsten, wenn sie nicht zu offte gehöret wird, und in vielen großen Städten, zum Exempel in Hamburg, der Cantor nur in einer Kirche des Sontages musiciret, und bey so vielen Kirchen, alß daselbst sind, späte herumb komt; So könte bey uns auch, nach dem in denen beyden Haupt Kirchen die Music gewesen, solche den dritten Sontag in die Neüe, alß die dritte Haupt Kirche der Stadt gebracht, und inzwischen die Music daselbst, wie in der Peters Kirche, eingestellet werden.

Da aber diese Einstellung der Music in denen Feyertagen in der Neüen Kirche, samt deren Alternation bedenklich seyn möchte, kan nichts desto weniger dieMusic daselbst durch unsern Chor wohl bestellet werden, in dem ich also in dem freyen Gebrauche dererStudiosorum, welche zu gleich mit denen in der Neüen Kirche befindlichen Thomas Schülern, die ich zu jeder Music wie sie dazu nöthig, erlesen kan, nicht gehindert werde.

Einen beständigen Organisten kan man sich auch von denen Studiosis versprechen, welche bey ihrerMusic ihr Haupt studium fort sezen, und practiciren, oder sonsten einen Dienst verwalten können.14

[867] Die weil auch endlich in dem Falle, wenn nicht die bloße Alternation, sondern zu gleich, wie in denen beyden Haupt Kirchen, die Fest Tages Music in der Neüen Kirche möchte gefällig seyn, wären von des Organistens Salario 10 biß 15 fl. zu Bestreitung der Unkosten und Mühe, welche zu Anschaffung der Musicalien, des Pappieres, zu denen Copialien, und dergleichen erfordert werden, mir leichte zu zu wenden.

Die Volontaires unsers Chori könten auch, wie alle dergleichen Adjuvanten in unsern Chur Fürstlichen und andern Landen eine Ergözligkeit haben, wenn der Klingel Beütel, wie an besagten Orten allen, vomChoro bliebe, und dagegen etwas zu dem so genanten Cantorey Essen, darüber Räthe und Geistliche in Städten halten, oder einer andern ihnen gefälligen Vergnügung colligiret würde. Dieses, weil es auff die Beförderung der Kirchen Music und der Ehre Gottes zielet, wäre ja eben und vielleicht noch eher einecausa pia, alß wenn das Geld auff Bettel Leüte, die dergleichen Gutes nicht praestiren gewendet wird.

Solte es aber mit der Music der Neüen Kirche im vorigen Stande bleiben so wäre zum wenigsten auff ein Mittel zu dencken, wie diejenigen Studiosi, so von unsrer Thomas Schule kommen, dahin zu bringen, daß sie, wie es gleichwohl etliche andere und fremde thun, zur Danckbarkeit gegen unsern Chorum es beständig mit uns halten und allda ihre Kunst, wo sie solche mit Gottes Hülffe gelernet, anwendeten.

Dieses ist also mein unvorgreifflicher Vorschlag wegen der Verbeßerung unsrer Kirchen Music, welchen ich aber einer reifferen Überlegung derer HochEdlen Herren Patronen lediglich überlaße.

Leipzig den 29sten Maji 1720.

 

[868] (Zu Seite 56.)


 

 

Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. II.« sign. VIII. B. 6.


 

»Auff E.E. Hochweisen Raths Verordnung bin ich zu Herrn Bachen allhier gegangen, und habe demselben hinterbracht, wie die von ihm auf bevorstehenden Char-Freytage haltende Music, bis auf darzu erhaltene ordentliche Erlaubniß, unterbleiben solle. Worauff derselbe zur Antwort gab: es wäre ja allemahl so gehalten worden, er fragte nichts darnach, denn er hätte ohnedem nichts darvon, und wäre nur ein Onus, er wolle es den Herrn Superintendenten melden, daß es ihm wäre untersagt worden, wenn etwa ein Bedencken wegen des Textes gemacht werden wolle, so wäre solcher schon ein paar mahl aufgeführet worden. Welches also E.E. Hochweisen Rath gehorsamst melden wollen.

Leipzig den 17. Martii 1739.

Andreas Gottlieb Bienengräber,

Abschreiber. mpria.«

[868] (Zu Seite 58.)


 

 

Rathsacten »Schuel zu St. Thomas. Vol. IV. Stift. VIII. B. 2.« Fol. 411.


 

»An

das Chur und Fürstlich Sächsische Consistorium zu Leipzig.

PP.


 

Es ist ungefehr vor Jahresfrist geschehen, daß ich mit Vorbewust Ihro Magnificenz des Herrn Superintendenten und Einwilligung des Herrn Cantoris ein der reinen Evangelischen Wahrheit gemäßes Lied in meiner ordentlichen Vesper-Predigt anzugeben den Anfang gemacht, und biß daher also fortgefahren.

Nachdem aber obgedachter Herr Cantor unter dem eitelen Vorwand, daß Er seinen Successoribus nichts vergäbe, solches ferner nicht leiden will; Als sehe mich genöthiget, zu Euren Magnificis und HochEdlen Herren meine Zuflucht zu nehmen, und zu bitten, daß Sie hochgeneigt geruhen wollen, mir bey diesem allein zur Ehre Gottes abziehlenden Vornehmen, die Hand zu biethen, und mir dasjenige zu verstatten, was nicht nur andern meiner HochgeEhrtesten Herren Collegen, wie auch denen Herren Land-Predigern beyCirculations-Predigten, ia ieden privato bey Copulationen und Leichen-Predigten erlaubt ist. Ich versehe mich hochgeneigter Willfahrung. Gott aber, dessen Ruhm gesuchet wird, wird es vergelten, da ich im übrigen mit aller Devotion und Respect verharre

Eurer Magnificorum und HochEdlen Herren

gebeth und dienstschuldigster

M. Gottlieb Gaudltz.«

Leipzig den 7. Sept.

1728.

 

 

[869] (Zu Seite 70 und 80.)


 

 

Rathsprotokoll »in die Enge« von 1725–1730. Vol. VIII, 60b. Fol. 310b. Sitzung am 2. August 1730.


 

»Die Thomas-Schule sey vielmahl in deliberation gewesen, die Riße und Anschläge wären vorhanden, es würden aber selbige weiter zu untersuchen seyn, Wobey annoch zu gedencken sey, daß als der Cantor anhero kommen, er wegen der information dispensation erhalten, die Verrichtungen habe M. Pezold schlecht genug verwaltet, tertia und quarta Classis sey seminarium totius Scholae, folglich ein tüchtigesSubjectum selbiger vorzusezen seyn, der Cantor möge eine derer untersten Classen besorgen, es habe derselbe sich nicht so, wie es sein solle, aufgeführet, [am Rande hierneben:] Not. ohne Vorwissen des Regierenden Herrn Bürgermeisters [869] einen Chor Schüler aufs Land geschicket. Ohne genommnen Urlaub verreiset [bis hier die Randbemerkung], welches ihm zu verweisen und er zu admoniren seyn, voriezo habe man zu überlegen, ob man nicht obige Claßen mit einer andern Person versorgen wolle, M. Kriegel solle ein guter Mensch seyn, und würde man darüber zu resolviren haben.

Herr Hoff Rath Lange, Es sey alles wahr, was wieder den Cantor erinnert worden und könne man ihmadmoniren und durch M. Kriegeln die Besezung thun.

Herr Hoff Rath Steger, es thue der Cantor nicht allein nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären, halte die Singstunden nicht, es kämen auch andere Beschwerden dazu, Änderung würde nöthig seyn, es müße doch einmahl brechen, laße sich also gefallen, daß eine andere Einrichtung gemachet werde.

Herr Stiffts Rath Born, adhaeriret obigen votis.

Herr D. Hölzel, Etiam.

Hier wurde resolviret, dem Cantor die Besoldung zu verkümmern.

Herr Baumeister D. Falckner, Etiam.

Herr Baumeister Kregel, Etiam.

Herr Syndicus Job, Etiam, weil der Cantor incorrigibel sey.

Herr Baumeister Sieber, Etiam.

Herr Baumeister Winckler, Etiam.

Herr Baumeister Hohmann, Etiam.

Ego. Etiam.


 

Fol. 324b. Sitzung am 25. August 1730. Der Vice-Canzler und Bürgermeister Dr. Born trägt vor: ›Mit dem Cantor Bachen habe Er geredet, der aber schlechte Lust zur Arbeit bezeige, frage sich, ob man nicht M. Krügeln, an stat Pezolds, die Classe anvertrauen solle, ohne neue Besoldung.‹

Conclusum. Soll also eingerichtet werden.«

 

[870] (Zu Seite 112.)


 

 

Beilage zu den Rechnungen der Thomaskirche von Lichtmeß 1747 bis Lichtmeß 1748.


 

»Zu wißen, daß, nachdem die Orgel in der Thomas-Kirche allhier zeithero durch den vielen Staub und Unrath bey nahe unbrauchbar worden, und, damit sie nicht in weitern Ruin verfalle, an derselben eine nöthige und hinlängliche Reparatur vorgenommen werden soll, zwischen den Königl. Pohln. und ChurFürstl. Sächß. Hochbestallten Geheimbden Kriegs-Rath und Burgermeistern allhier,Tit. Herrn D. Gottfried Langen, als Hochverordneten Vorstehern der Kirche zu St. Thomas, an einem, und H. Johann Scheiben, Orgelmachern allhier, am andern [870] Theile, hierüber nachfolgender Contract wißentlich und wohlbedächtig abgehandelt und geschloßen worden.

Nehmlich:


 

1.


 

Verspricht nurgedachter Orgelmacher, Johann Scheibe, alles dasjenige, was durch die im vorigen Jahre gewesene große Sommer-Hitze und sonst an der Orgel in der Thomas-Kirche schadhafft worden, mit Leim und Leder wieder tüchtig zu verwahren, und vollkommen auszubeßern.


 

2.


 

Dieweiln auch gedachte Orgel, und vornehmlich die sämtlichen Pfeifen derselben inwendig voller Staub sind, daß dieserwegen die mehresten von denenselben gar nicht mehr ansprechen; Als soll der Orgelmacher Scheibe gehalten seyn, bei dieser Renovation alles auseinander zunehmen und zuzerlegen, hauptsächlich das Pfeiffenwerck durch alle Stimmen, was darzu gehöret, durchgehends nicht allein vom Staube und Unrath zu reinigen und abzuputzen, sondern auch, was daran schadhafft ist, zugleich zu repariren, und alles gehörigen Orts wiederum einzusetzen.


 

3.


 

Müßen alle Rohrwercke, als: der Posaunen-Bass, Trompeten-Bass, in dem Rück-Positiv die Trompete und Krumbhorn, desgleichen im Brust-Positive die zwey Register Rohrwercke an Mundstücken und Zungen von Salpeter und Gallmey gereiniget auch so etwas an denselben schadhafft, bestens wieder repariret werden.


 

4.


 

Verspricht H. Scheibe alle WindLaden durch das gantze Werck aufzumachen, damit der Staub und Unrath von denen Ventilen kann abgeputzet werden, auch nach diesen alles auf das beste wieder verwahren zu laßen.


 

5.


 

Will er auch alle Regier Wercke wieder ergäntzen, wo die Eisen und das Meßing entzwey gegangen ist, ingleichen


 

6.


 

Die beiden Manual-Coppeln in tüchtigen brauchbaren Stand setzen.


 

7.


 

Verspricht er, alles Pfeiffenwerck aufs neue zu intoniren, und einzustimmen, auch überhaupt die ganze Orgel reine und durchaus zustimmen, alles in eine gute Harmonie und richtige Disposition, auch aequale Intonation [871] zu bringen. Er hat auch die Arbeit bey dieser Renovation so einzurichten, daß bey dem Gottes Dienste iedesmahl einige nothdürfftige Register können gebrauchet werden.


 

8.


 

Was endlich nach verfertigter Arbeit bey der Probe und Examinirung des renovirten und reparirten Orgelwercks sich vor Mängel an demselben hervorthun möchten, solche insgesamt verspricht Hr. Scheibe ohne Wiederrede zucorrigiren und sogleich zuverbeßern, ohne weiter etwas, als was accordiret worden, dafür zu fordern. Wie er sich denn hierdurch verbindlich machet, vor die richtige und tüchtige Arbeit an diesem Orgelwercke mit seinem bereitesten Vermögen zu stehen und zu hafften.


 

9.


 

Giebet Hr. Scheibe alle zu dieser vorbeschriebenen Arbeit und der durchgängigen Reparatur des Orgelwercks benöthigte Materialien, dergleichen hält er alles Werckzeug, lohnet und bezahlet diejenigen Leute, so er bey dieser Arbeit gebrauchet, verspricht annächst hiermit, binnen untergesetzten dato und nächstfolgende Michael das gantze Werck in vollkommenen und brauchbaren Stand zubringen und also zu übergeben. Dahingegen laßen der Herr Vorsteher, Herr Geheimbde Kriegs Rath und Burgermeister Lange, das nöthige Gerüste vor die Orgel durch die Zimmer-Leuthe aufrichten und verfertigen, damit man währender Reparirung und Renovirung, das Pfeiffenwerck darauf legen, auch ohne Schaden dem Wercke beykommen könne, nach vollbrachter Arbeit soll auch durch die Zimmer Leuthe das Gerüste weg genommen werden.

Für alles und jedes, wie es in diesem Contracte specificiret worden, geben der Herr Vorsteher der Thomas-Kirche dem Orgelmacher Scheiben überhaupt


 

Zwey Hundert Thaler


 

welche demselben aus denen Mitteln der Kirche nach und nach gegen Quittung bezahlet werden sollen.

Gleichwie nun vorstehend alles beyderseits Contrahenten ernster, wohlbedachter Will und Meynung ist; Als versprechen sie solchen in allen Puncten getreulich nachzukommen; Es ist auch zu desto mehrern Festhaltung dieser Contract in duplo zu Pappier gebracht, und von beyden Theilen eigenhändig unterschrieben und besiegelt worden. So geschehen Leipzig, den 28. Jun. 1747.«


 

Nur Langes Contract ist untersiegelt und trägt außerdem das Datum des 23. Juni. Die Rathsverordnung zur Ausführung der Reparatur erging am 26. Juni. Scheibe erhielt die Bezahlung in sechs Raten; die letzte am 4. Nov. 1747.

 

[872] (Zu Seite 348.)


 

 

Rathsarchiv »Acta die Kirchen-Musik E.w.d.a. betr.« VII. B. 31. Fol. 12.


 

»Den 3. Aprilis 1724.


 

Herrn Johann Sebastian Bachen Cantori bey derThomas Schule


 

Wurde vermeldet, wie bey EE. Hochweisen Rathe der Schluß gefaßet worden, daß die Passions-Music des Charfreytags in denen Kirchen zu St. Nicolai und St. Thomae wechselsweise gehalten worden; Nachdem aber aus dem Titul der, dieses Jahr herumgeschicktenMusic zu ersehen gewesen, daß sie wiederum in derThomas-Kirche angestellet werden solle, der Herr Vorsteher der Kirchen zu St. Nicolai auch EE. Hochweisen Rathe vorgestellet daß vor diesesmahl mehrerwehnte Passions Music in der Kirchen zu St. Nicolai gehalten werden möchte; Als würde sich der HerrCantor seines Orts darnach achten.

Hic

Er wolte solchem nachkommen, errinnert aber dabey, daß der Titul bereits gedrucket kein Raum allda vorhanden und der ClavCymbel etwas repariret werden müste, welches iedoch alles mit leichten Kosten zu wercke zu richten wäre, bittet allenfalls ihme auf den Chor noch einige Gelegenheit, damit er die bey der Music zu brauchende Personen wohl logiren konte, machen, und das Clav-Cymbel repariren zu laßen.

Senatus

Es solte der HErr Cantor auf EE. Hochweisen Raths Kosten, eine Nachricht, daß die Music in der Niclas Kirche vor dieses mahl gehalten werden solte, drucken, die Gelegenheit aufn Chor, so gut es sich thun liese, mit ZuZiehung des Obervoigts machen und den Clav. Cymbel repariren laßen.

[873] Fünf Texte zu kirchlichen und weltlichen Gesangscompositionen.


 

1.


 

(Zu S. 335.)


 

Erbauliche | Gedancken | Auf den | Grünen Donnerstag und Charfreytag | Uber den | Leidenden | JESUM, | In einem | ORATORIO | Entworffen | Von | Picandern. | 1725. |


 

Zion, Chor.


 

Aria.


 

 

Sammlet euch, getreue Seelen,

Die ihr JEsum werth geacht.

[873] Drücket ihm vor seinem Ende,

Noch die Hände,

Nehmt die letzte gute Nacht.

Sammlet euch, getreue Seelen,

Die ihr JEsum werth geacht.


 

Evangelist.


 

Am Abend, der vor Ostern war,

Aß JEsus nebst der Jünger-Schaar

Das Oster-Mahl;

Und weil die Stunde seiner Quaal

Und seines Leidens nicht mehr weit,

So setzt er, unter Brod und Wein,

Zum Zeichen seiner Gütigkeit,

Sein Fleisch und Blut

Im Testament den Jüngern ein.


 

Johannes.


 

Aria.


 

Ach! wie meynt es JEsus gut!

Daß ich soll an ihn gedencken,

Will er mir ein Kleinod schencken,

Und das ist sein eigen Blut.

Ach! wie meynt es JEsus gut.


 

Evangelist.


 

Und nach gesprochnen Lob-Gesang,

War JEsus erster Gang

Zum Oel-Berg in den Garten,

Um seine Bande zu erwarten.


 

Soliloquium der Seele.


 

Schau hier, mein Hertz,

Wie JEsus seine Hände ringt,

Das Hertze kocht, die Zunge trocknet ein;

Das Auge sieht, wo Helffer seyn;

Die Seele will ersticken;

Die Sünden-Last der gantzen Welt

Liegt jetzt auf seinen Rücken:

Ja! sieh mein Hertz,

Wie ihm der Schweiß herunterwerts

Durch seine Schläfe dringt,

Und blutend auf die Erde fällt.


 

[874] Aria.


 

Rolle doch nicht auf die Erde,

Süßer und doch Schmertzens-Thau!

Halt doch ein,

Hier soll jetzt mein Hertze seyn,

Sencke dich doch da hinein,

Daß mein Glaubens Acker-Bau,

Zu dem Himmel fruchtbar werde.

Rolle u.s.w.


 

Evangelist.


 

Und endlich kam die Mörder-Schaar

Mit Spießen und mit Stangen,

Und Judas, der ihr Führer war,

Gab JEsum, nach gemachten Schluß,

Der Feinde Raserey gefangen.

Da wollt es Petrus wagen,

Mit seinem Schwerdte drein zu schlagen.


 

Petrus.


 

Aria.


 

Verdammter Verräther, wo hast du dein Hertze?

Haben es Löwen und Tyger verwahrt!

Ich will es zerfleischen, ich will es zerhauen,

Daß Ottern und Nattern die Stücken zerkauen,

Denn du bist von verfluchter Art.

Verdammter u.s.w.


 

Evangelist.


 

Doch JEsus gieng gelassen fort,

Und kam zum Hohenpriester

Caipha.


 

Soliloquium der Seele.


 

Philister!

Philister über dir!

So steht die Unschuld da,

Die Boßheit soll ihr Richter seyn,

Die Nacht verklagt den Sonnenschein,

Und niemand ist der ihn vertritt.

Die Jünger sind von dir geflogen,

Der eine hier,

Der andre dort:

[875] Ich aber komme nachgezogen,

Ach nimm mich doch, mein Heyland, mit.


 

Choral.


 

Ich will hier bey dir stehen u.s.w.


 

Evangelist.


 

Zwar Petrus blieb von weiten,

Und da ihm eine Magd,

Daß er des Heylands Jünger sey,

Ins Angesicht gesagt,

So wolt er dennoch sonder Scheu

Ihr solches wiederstreiten.

Da krähete der Hahn,

Und JEsus sahe Petrum an,

Da gieng er wiederum in sich.


 

Petrus.


 

Aria.


 

1.


 

Ihr seht mich an, ihr starren Augen,

Ihr Sonnen meiner Seeligkeit,

Da euer Abend nicht mehr weit.

Und dieses nicht von ungefehr,

Denn mein Gesicht ist auch ein Meer,

Aus diesem wollt ihr Wasser saugen.

Ach ja!

Mein Thränen-Regen ist schon da.

Ihr seht u.s.w.


 

Evangelist.


 

Und weinte bitterlich.


 

Petrus.


 

Aria.


 

2.


 

Ich flehe dich um meiner Zähren,

Verschliesse doch dein Angesicht

Vor mir an jenem Tage nicht!

Nimm mich bekannt und freundlich an,

Und laß nicht, wie ich dir gethan,

Den Rücken zu mir kehren.

[876] Ach nein!

Mein Hertz soll nicht mehr wanckend seyn.

Ich flehe u.s.w.


 

Evangelist.


 

Der Heyland wird verklagt;

Und ob die Lügen-Zunge gleich

Ein falsches Zeugniß sagt,

Muß doch Pilatus selber sprechen:

Er find an ihm kein straffbares Verbrechen.


 

JEsus.


 

Aria.


 

Aus Liebe will ich alles dulden,

Aus Liebe sterb ich vor die Welt.

Aus Lieben und nicht aus Verschulden,

Bin ich der Sünder Löse-Geld.

Aus Liebe u.s.w.


 

Evangelist.


 

Doch diesem ungeacht

Ward doch der Heyland angebunden,

Und ihm mit Geisseln tausend Wunden

In seinen Leib gemacht,

Und noch zu letzt,

Dem Haupte Dornen aufgesetzt.


 

Zion.


 

Aria.


 

Kommt heraus, und geht vorüber,

Seht, ihr Töchter, wie mein Lieber

So erbärmlich zugericht!

Ach ihr Augen! ach ihr Wangen,

Wie ist eure Pracht vergangen,

Seyd ihrs? oder seyd ihrs nicht?

Kommt u.s.w.


 

[Soliloquium.]


 

Wie sieht dein Haar,

Das wie die Wolle lockicht war,

Zerrauffet und zerrissen?

Wie ist dein Angesicht,

[877] Das schöner als der Sonnen-Licht,

Durchgraben und zerschmissen?

Wie schändlich hat dich nicht

Des Speichels Unflath zugericht?


 

Arioso.


 

Jedoch der Eiter deiner Beulen,

Soll meiner Kinder Wunden heilen.


 

Evangelist.


 

Doch dieses nicht genung,

Nunmehr verdammt man ihn zur Creutzigung.

Er muste selbst sein schweres Creutz

Bey Stossen, und bey harten Schlagen,

Zur Schädelstädte tragen.

Die Weiber folgten nach,

Wiewohl sie in den Thränen-Güssen,

Nicht gehen, sondern schwimmen müssen,

Zu welchen JEsus sprach:


 

JEsus.


 

Aria.


 

Brechet mir doch nicht das Hertz,

Welches selbst vor Leiden bricht;

Liebste Seelen, weinet nicht!

Euer Jammer mehrt den Schmertz:

Brechet u.s.w.


 

Maria, Soliloquium:


 

Brechet mir doch nicht das Hertz.

Ach du geplagtes Hertz!

Das in dem Blute schwimmt,

Und wie ein Wurm sich windt und krümmt,

Verwehre mir doch nicht,

Daß mir

Mein JEsu, auch mit dir

Das Hertz vor Wehmuth bricht.

Brechet mir doch nicht das Hertz,

Welches selbst vor Leiden bricht!

Ach Sohn, wie beugst du mich!

Der Jammer raubt mir den Verstand,

Und meine Seel ist ausser sich,

Liebste Seelen!

Ja wohl ist dir bekannt,

[878] Wie offt ich dich

Vor dem aus reiner Liebe küste,

Da du die Milch der treuen Brüste,

Als noch ein zartes Kind gesogen,

Und so, ach! so, bin ich dir noch gewogen.

Liebste Seelen weinet nicht!

Ach!

Weinet nicht!

Wie kanst du das von mir begehren?

Ich will vor dich mit Lust

Und Lachen zwar erblassen,

Doch da du selber sterben must,

Kan ich die Zähren

Unmöglich unterlassen.


 

Choral.


 

Wein, ach! wein, itzt um die Wette,

Meiner beyden Augen Bach.

Ach! daß ich gnug Zähren hätte,

Zu bedauren deine Schmach!

O! daß aus den Thränen-Brunnen,

Käm ein starcker Strohm gerunnen!


 

Evangelist.


 

Und als die Schaar

Zur Schädelstätte kommen war,

Ward JEsus an das Creutz gehefftet,

Und weil er gantz entkräfftet,

So gab man ihm vergällten Wein

Zu trincken ein.


 

Die Seele.


 

Aria.


 

Nimm es nicht, mein ander Leben,

Was sie dir zu trincken geben.

Ist ein saurer bittrer Wein;

Aber hier aus meinen Augen

Kanst du süsse Thränen saugen

Weil sie aus Lieb und Treu geflossen seyn.

Nimm u.s.w.


 

Evangelist.


 

Und um die neundte Stunde,

Rief unser Heyl mit lauten Munde

[879] Es ist vollbracht!

Da gab der Geist dem Leibe gute Nacht.


 

Soliloquium der Seelen:


 

So hat mein JEsus nun die Augen zu gethan,

Mein Hertz, so lege du die Trauer an.

Erinnre dich zu allen Stunden,

Des Heylands Wunden;

Und wenn du einst verscheiden must,

So stirb geruhig und mit Lust!

Die Schulden, so dir angeschrieben,

Hat JEsus alle gut gemacht;

Auch nicht das allermindeste

Ist er noch schuldig blieben,

Er sagt es selbst: Es ist vollbracht!


 

Aria.


 

Es ist vollbracht!

Nun kan ich sterben,

Das Grab ist mir ein Ruhe-Hauß,

Komm sanffter Tod, und spann mich aus!

Welt, gute Nacht!

Nun kan ich sterben,

Es ist vollbracht!


 

Evangelist.


 

Zur Abends Zeit

Bath Joseph um die starre Leiche;

Die nahm er ab,

Und hüllte sie, auf Jüdische Gebräuche,

In reine Leinwand ein,

Und legte sie darauf in sein selbst eigen Grab,

Und weltzte vor die Grufft noch einen Stein.


 

Chor der Gläubigen Seelen:


 

Aria.


 

Wir setzen uns bey deinem Grabe nieder,

Und ruffen dir im Tode zu:

Ruhe sanffte, sanffte ruh!

Erquicket euch, ihr ausgesognen Glieder,

Verschlafet die erlittne Wuth;

Ruhet sanffte, sanffte ruht!

Unsre Thränen,

Werden sich stets nach dir sehnen;

[880] Endlich soll dein Leichen-Stein,

Unser weiches Bette seyn,

Recht vergnügt schlummern wir auf solchem ein.


 

2.


 

(Zu Seite 457.)


 

Drama

Per Musica,

Welches

Bey dem Allerhöchsten

Crönungs-Feste

des

Aller-Durchlauchtigsten und Groß-

mächtigsten

Augusti III.

Königs in Pohlen und Churfür-

sten zu Sachsen

in unterthänigster Ehrfurcht aufgeführet wurde

in dem

Collegio Musico

durch

J.S.B.


 

Leipzig, den Janr. 1734.


 

Gedruckt bey Bernhard Christoph Breitkopf.

Tapferkeit, Gerechtigkeit, Gnade, Pallas.


 

Tutti.


 

Blast Lermen, ihr Feinde! verstärcket die Macht,

Mein Helden-Muth bleibt unbewegt.

Blitzt, donnert und kracht,

Zerschmettert die Mauren, verbrennet die Wälder,

Verwüstet aus Rachgier die Aecker und Felder,

Und kämpft bis Roß und Mann erlegt.


 

D.C.


 

Tapferkeit.


 

Ja, ja!

Nunmehro sind die Zeiten da,

Daß ich den Völckern kan entdecken,

Ich sey, wie in der alten Zeit,

Auch noch jetzt der Vermessenheit

Ein offenbares Schrecken.

[881] Man kan ja sehn,

Was nur bisher durch meine Stärcke

Dort in Sarmatien geschehn,

Wie ich es frisch gewaget,

Und jenen frechen Feind,

Eh er es selbst vermeint,

Mit Schande fort gejaget;

Ich habe mich, ob er gleich oft gedräuet,

Doch nie vor seinem Stoltz gescheuet,

Jetzt setz ich auch dem Würdigsten der Teutschen Helden

Die Crone auf sein Fürstlich Haupt,

Und will, wofern es mir erlaubt,

Der Völcker Redlichkeit, der Länder Urtheil, melden.

Nun blühet das Vergnügen,

Nachdem August den Thron besteigt,

Da sich an Ihm nur Großmuth zeigt,

Die Feinde zu besiegen:

So blühet das Vergnügen.


 

Gerechtigkeit.


 

Und wie? Hat mein August,

Da er nach Pohlen kommen,

So Kron, als Scepter, angenommen?

O! was vor seltne Lust

Erreget diß bey Jung- und Alten,

Weil ihnen längst bekandt,

Daß Er das Land

Durch meinen Beystand wird erhalten.


 

Herr! Dein Eifer vor die Rechte

Macht, daß jeder Deiner Knechte

Schutz und Hülfe finden kan.

Wird die Unschuld künfftig klagen,

Werd ich sagen:

Geh, fleh Deinen Schutz-Gott an.


 

Da Capo.


 

Der Unterthan ist nun erfreut,

Da ihm Dein Hohes Krönungs-Fest

Ein frohes Vivat! ruffen läßt;

Sein Hertze brennt vor innigstem Verlangen

Von Dir allein Gesetz und Rechte zu empfangen.


 

Gnade.


 

 

Laßt uns zum Augusto fliehen,

Denn Sein eifriges Bemühen,

[882] Jedes Hertz an Sich zu ziehen,

Gründet sich auf unser Wohl

Kommt! laßt uns den Scepter küssen,

Hört ihr nicht? Er läßt uns wissen,

Daß wir sollen Schutz genüssen,

Der beständig dauern soll.


 

Gnade und Pallas.


 

Gnade.


 

Der Chur-Hut wird vor heute abgelegt,

Und da mein Fürst auch Kron und Purpur trägt,

So können wir mit gutem Grunde hoffen,

Es steh uns nun der Weg zu größrer Gnade offen.


 

Pallas.


 

Wohlan! so will ich mich

Auch jetzt zu Deinem Throne wagen,

Und Dir in Unterthänigkeit,

Bey dieser höchst-beglückten Zeit,

Des Geistes treue Regung sagen;

Doch, ich will lieber schweigen.


 

Gnade und Pallas.


 

Nein, nein! er wird sich gegen dich

Doch nein! er wird sich gegen mich,

Als wie ein Vater, zeigen.


 

Pallas.


 

Großer König unsrer Zeit!

Laß doch Deine Tapferkeit

Mich hinfort beschützen,

Und die Musen ruhig sitzen.

Unser Hertz bleibt Dir geweyht,

Großer König unsrer Zeit!

Drum laß Deine Tapferkeit

Mich hinfort beschützen,

Und die Musen ruhig sitzen.


 

Pallas und Tapferkeit.


 

Pallas.


 

Großmächtigster August!

Laß Dir diß Ehrfurchtsvolle Bitten

Nur nicht zuwider seyn,

[883] Die Ruhe, so die Musen lieben,

Hat mich hierzu vor dißmahl angetrieben.


 

Tapferkeit.


 

So höre an,

Was mir Dein Herr,

Dir zu berichten, kund gethan:

Er schützet Deine Ruh

Und sagt Dir Friede zu,

Nur sollt du Ihm auch Seinen Willen

In allen suchen zu erfüllen.


 

Pallas.


 

Mein König! mein August!

Der Pierinnen Freud und Lust.


 

Tapferkeit.


 

Dein König, dein August.


 

Pallas.


 

Du Schutz-Herr meiner Ruh!


 

Tapferkeit.


 

Der Schutz-Herr deiner Ruh.


 

Pallas.


 

Du sollt in der noch späten Zeit,

Die Dir Dein Nahme Prophezeyht,

Von mir verehret werden.


 

Tapferkeit.


 

Dein König, Dein August,

Der Pierinnen Freud und Lust,

Der Schutz-Herr deiner Ruh,

Soll auch in der noch späten Zeit,

Die Ihm Sein Name prophezeyht,

Von dir verehret werden.

So lebe nunmehr ohne Schrecken,

Ich werde selbst den Helicon bedecken.

So lebet, ihr Musen! auf Helicons-Höhen,

Im Seegen und Ruh.

Kommt! eilet herzu,

Seht, hier grünt euer Wohlergehen.


 

Da Capo.


 

[884] Gerechtigkeit, Gnade und Pallas.


 

a 3.


 

Ihr Söhne, laßt doch künfftig lesen,

Was euch Augustus Guts gethan,

Damit die Nachwelt sehen kan,

Sein Ruhm sey Cronen-werth gewesen.


 

Gerechtigkeit.


 

Dein König wird, ohn Ansehn der Personen,

Fleiß und Gelehrsamkeit belohnen.


 

Gnade.


 

So viele Tropfen heilig Oel

Bey Seiner Salbung heute fliessen;

So viele Huld soll auch dein Musen-Chor genüssen.


 

Pallas.


 

Nun trifft es ein,

Was ich schon längst gedacht:

Augustus kan mit Recht ein Gott der Erden seyn.


 

Gerechtigkeit und Gnade.


 

Wir bleiben billig bey dir stehn,

Und wollen, gleichwie du, des Königs Ruhm erhöhn.


 

Gerechtigkeit.


 

Schwartze Raben

Werden eher Schwäne haben,

Eh August die Rechte bricht.


 

Gnade.


 

Und das helle Sonnen-Licht

Eher diese Welt verlassen,

Eh August die Sanfmuth hassen.


 

Gerechtigkeit und Gnade.


 

Der Eifer zu strafen, verewigt den Held,

Die Liebe zu seegnen, verewigt den Held,

Und macht Ihn zum Wunder der künfftigen Welt.


 

Pallas.


 

Wohlan! wir wollen uns mit viel Ergötzen

Auf meines Berges Spitzen setzen;

[885] Ein jeder Musen-Sohn

Nimmt euch mit tausend Freuden auf.

Ihr Winde! fliegelt euren Lauf,

Ihr sollt, was jetzt der Sachsen Musen singen,

Vor unsers Königs Throne bringen.


 

Tutti.


 

Vivat! August, August, Vivat!

Bis der Bau der Erden fällt.

Herr! Dein Königlich Erhöhen

Laß Dein Hohes Wohlergehen

In erwünschtem Wachsthum stehen,

Alsdenn ists wohl um Reich und Land bestellt.


 

D.C.


 

3.


 

(Zu Seite 461.)


 

Drama

Per Musica.

Welches

Bey dem Allerhöchsten

Geburths-Feste

Der

Allerdurchlauchtigsten und Großmäch-

tigsten

Königin in Pohlen

und

Churfürstin zu Sachsen

in unterthänigster Ehrfurcht

aufgeführet wurde

in dem

Collegio Musico

Durch

J.S.B.


 

Leipzig, dem 8. December 1733.

Gedruckt bei Bernhard Christoph Breitkopf.

Irene. Bellona. Pallas. Fama.


 

Aria.


 

Thönet ihr Paucken! Erschallet Trompeten!

Klingende Saiten erfüllet die Luft!

Singet itzt Lieder ihr muntren Poeten!

[886] Königin lebe! wird fröhlichst geruft.

 

Königin lebe! diß wünschet der Sachse.

Königin lebe und blühe und wachse.


 

Da Capo.


 

Recitativ.


 

Irene.

Heut ist der Tag,

Wo jeder sich erfreuen mag.

Diß ist der frohe Glantz

Der Königin Geburths-Fests-Stunden,

Die Pohlen, Sachsen, und uns gantz

In gröster Lust und Glück erfunden.

Mein Oelbaum

Kriegt so Saft als fetten Raum.

Er zeigt noch keine falbe Blätter.

Mich schreckt kein Sturm, Blitz, trübe Wolken, düstres Wetter.


 

Aria.


 

Bellona.

Blaßt die wohlgegriffnen Flöten,

Daß Feind, Lilien, Mond erröthen!

Schallt mit jauchzendem Gesang!

Thönt mit eurem Waffen Klang!

Dieses Fest erfordert Freuden,

Die so Geist als Sinnen weiden.


 

Recitativ.


 

Bellona.

Mein knallendes Metall,

Der in der Luft erbebenden Carthauen;

Der frohe Schall;

Das angenehme Schauen;

Die Lust, die Sachsen itzt empfindt,

Rührt vieler Menschen Sinnen.

Mein schimmerndes Gewehr,

Nebst meiner Söhne gleichen Schritten

Und ihre Heldenmäßge Sitten

Vermehren immer mehr und mehr

Des heutgen Tages süße Freude.


 

Aria.


 

Pallas.

Fromme Musen! Meine Glieder!

Singt nicht längst bekannte Lieder.

Dieser Tag sey eure Lust!

Füllt mit Freude eure Brust!

Werft so Kiel als Schriften nieder!

Und erfreut euch dreyhmal wieder.


 

[887] Recitativ.


 

Pallas.

Unsre Königin im Lande,

Die der Himmel zu uns sandte,

Ist der Musen-Trost und Schutz.

Meine Pierinnen wissen,

Die in Ehrfurcht ihren Saum noch küssen,

Vor ihr stetes Wolergehn

Danck und Pflicht und Thon stets zu erhöhn.

Ja Sie wünschen, daß ihr Leben

Möge lange Lust uns geben.


 

Aria.


 

Fama.

Cron und Preiß gecrönter Damen,

Königin! mit Deinem Rahmen

Füll ich diesen Creyß der Welt.

Was der Tugend stets gefällt,

Und was nur Heldinnen haben,

Seyn Dir angebohrne Gaben.


 

Recitativ.


 

Fama.

So dringe in das weite Erden-Rund

Mein von der Königin erfüllter Mund!

Ihr Ruhm soll bis zum Axen

Des schön gestirnten Himmels wachsen

Die Königin der Sachsen und der Pohlen

Sey stets des Himmels Schutz empfohlen.

So stärckt durch Sie der Pol

So vieler Unterthanen längst erwünschtes Wohl.

So soll die Königin noch lange bey uns hier verweilen;

Und spät ach! spät zum Sternen eilen.


 

Aria.


 

Irene.

Blühet ihr Linden in Sachsen wie Cedern!

Bellona.

Schallet mit Waffen und Wagen und Rädern!

Pallas.

Singet ihr Musen! mit völligem Klang!

Fama.

Fröliche Stunden! ihr freudigen Zeiten!

Gönnt uns noch öffters die güldenen Freuden:

Königin, lebe, ja lebe noch lang!


 

4.


 

(Zu Seite 93.)


 

»Als die von E. Hoch-Edlen und Hoch-Weisen Rath der Stadt Leipzig umgebauete und eingerichtete Schule zu S. Thomae den 5. Jun. durch [888] etliche Reden eingeweyhet wurde, ward folgende CANTATA dabey verfertiget und aufgeführet von Joh. Sebastian Bach, Fürstl. Sächs. Weißenfels. Capellmeister, und besagter Schulen Cantore, und M. Johann Heinrich Winckler, Collega IV.

Leipzig, gedruckt bey Bernhard Christoph Breitkopf.«


 

Aria.


 

Froher Tag, verlangte Stunden,

Nun hat unsre Lust gefunden,

Was sie fest und ruhig macht.

Hier steht unser Schul-Gebäude,

Hier erblicket Aug und Freude

Kunst und Ordnung Zier und Pracht.

Da Capo.


 

Wir stellen uns jetzt vor,

Was unser Musen-Chor

Vor dem vor einen Aufenthalt gehabt.

Zwar war es wohl zufrieden,

Ihm war ein Haus beschieden,

In welchem seine Brust,

Der freyen Künste Lust,

In Fried und Ruh genüßen konnte.

Allein von der Beqvemligkeit,

Die selbiges anjetzt erfreut,

War wenig zu erblicken.

Nun hat ein einzig Jahr,

Was alt und schlecht und wankend war,

Verwandelt und verkehrt,

Und das davor gewährt,

Wornach es längst gestrebet,

Und was ihm Sinn und Geist ermuntert und belebet.


 

Aria.


 

Väter unsrer Linden-Stadt,

Eure Vorsicht hat erbauet,

Was hier die Verwundrung schauet.

Weise Väter, jeder Morgen

Zeigt und weist auf Euer Sorgen,

Wie es diesen Sitz beglückt,

Lehr- und Wohn-Platz ausgeschmückt.

D. C


 

Begierd und Trieb zum Wissen

Macht zwar vor sich schon aufgeweckt,

[889] Und pflegt die Unlust zu versüßen,

Die uns ein rauher Ort erweckt.

Allein die Lust nimmt weit mehr zu,

Wenn man in ungestöhrter Ruh

In einem Platze wohnt,

In dem die Anmuth thront,

Die Sinn und Leib und Blut ermuntert und vergnüget.

Des Lehrers Mund trägt ganz begierig vor,

Was in der Brust verborgen lieget.

Der Schüler merkt und brauchet Aug und Ohr,

Um jeden Spruch und Satz in Herz und Geist zu schreiben.


 

Tutti.


 

So last uns durch Reden und Mienen entdecken,

Wie lebhaft das Herze, wie freudig es sey!

Eröffnet euch, Lippen, die Väter zu loben,

Die Unsere Schule so prächtig erhoben,

Erschallet in Worten, so wie sie uns ziemen,

Erkläret die Triebe durch Danken und Rühmen,

Erkläret die Freude natürlich und frey!

D.C.


 

Nach den Reden.


 

Aria.


 

Geist und Herze sind begierig,

Den verdienten Dank zu weyhn.

Doch vermögen sie den Willen

Auch im Werke zu erfüllen?

Nein, ach! nein, ihr ganz Bestreben

Kan sie weiter nicht erheben.

D.C.


 

So groß ist Wohl und Glück,

Das GOtt durch sein Geschick

Und unsrer weisen Väter Hand

Der Schule zugewandt.

Die ganze Stadt, das ganze Land

Wird Nutz und Frucht davon erfahren.

Die Kirche wird nach späten Jahren

In Geist erfüllten Lehrern sehn,

Was unsrer Linden-Stadt geschehn,

Da ihrer Schule Bau so wohl besorget worden.


 

Aria.


 

Doch man ist nicht frey und los,

Wenn man seine Schuld zu groß,

[890] Sich zu unvermögend findet.

Pflicht und Amt ist nicht erfüllt

Wenn man seine Schwäche schilt,

Und den Dank in Worte bindet.

D.C.


 

Wenn Weisheit und Verstand

In Gönnern und Patronen

Als wie in schönen Tempeln wohnen:

So wird, was dem Vermögen fehlt,

Von ihrer Güte dargezehlt.

Nur lege man an Tag,

Was unser Armuth noch vermag,

Und ruffe zu des Höchsten Huld,

Dass sie an unsrer Statt die Schuld,

Durch tausendfaches Wohl ersetzen und vergelten wolle.


 

Tutti.


 

Ewiges Wesen, das alles erschafft,

Segne die Väter mit daurender Kraft,

Segne die Väter und Pfleger der Schule.

Stärke die Häupter, die Leipzig verehrt,

Schenke, was Hoffnung und Freude vermehrt,

Gründe die Kinder zur Wohlfahrt der Sachsen,

Laß sie stets grünen und blühen und wachsen.

D.C.


 

5.


 

(Zu Seite 465.)


 

Apollo et Mercurius


 

Aria à 2tto


 

Ten. A. Erwehlte Pleißen Stadt

Vergnügte Pleißen Stadt

Alt. M. Erwehlte Pleißen Stadt

Vergnügte Pleißen Stadt

Dein A. Scheinen15 2. wächst und glänzt vor andern allen

Dein M. Blühen 2. wächst und glänzt vor andern allen

à 2 Wer seine Lust an A. deinen Prangen hat16

à 2 Wer seine Lust an M. deinen Prangen hat


 

[891] à 2

Wird deiner Gegend niemahls satt17

Dem kann es nirgends mehr gefallen.

D.C.


 

Ten: A.

Ihr Städte die man in der Welt,

Vor weit berühmt und auserlesen hält

Komt, eilt herbey

Und sagt, ob Leipzig nicht

Ein Sonnen-Licht

Und jener Glanz ein schwaches Stern

Licht sey.


 

Aria


 

Angenehmes Pleiß Athen

Wie die Diamanten dauern

Also werden deine Mauern

Unbeweglich feste stehn.

Angenehmes Pleiß Athen

Welt berühmtes Pleiß Athen

Wer dich höret, wer dich nennt

Wer dich liebet, wer dich kennt

Wird dein Lob noch mehr erhöhn

Weltberühmtes Pleiß Athen.


 

Alt M.

Nicht die Gelehrsamkeit allein

Muß, Leipzig, dein Gelücke seyn.

Mein Handel, den ich hier

Beständig pflanze

Verschaffet dir

Das meiste Theil zu deinem Glanze

Und dich, geliebter Handels Plaz

Will ich als einen theuren Schaz

In meiner Seele tragen

Und aller Welt von deinem Ruhme sagen.


 

Aria


 

Mit Lachen und Scherzen

Mit freudigen Herzen

Verleib ich mein Leipzig der Ewigkeit éin

Ich habe hier meine Behausung erkohren

Und selber den Göttern geschworen

Hier gerne zu seyn.


 

[892] Alt

Drum ist gewiß

Dein Glanz sieht keine Finsterniß

Tenor Ap.

Das macht, weil die,

So an dem Ruder sizen18

Durch Sorg und Müh

Das Wohlergehen unterstüzen19.

Alt M.

Der Himmel cröne sie dafür

Mit angemeßenen Vergnügen

Tenor A.

So, Leipzig, wird das Glück in dir

Noch größer, als es schon gestiegen.


 

Aria à 2tto


 

Alt. M.

Heyl und Seegen

Muß euch, theure Schaar verpflegen20

Wie ein Fluß die Auen labt

Ten. A.

Und die Wonne, die ihr habt

Soll und wird sich mit Ersprießen

Milder21 als ein Strohm ergießen.

A.

So bleibet22 das Wißen im Blühen beglückt

M.

So bleibet der Handel im Wachsen beglückt

à 2

So werden die Zeiten mit Ehren geschmückt.

 

 

[893] (Zu S. 491.)


 

 

ACTA, Die Bestellung der Praefectorum auf der Schule zu St. Thomae alhier betr. 1736. Ergangen bey der Rathsstube zu Leipzig. VII. B. 69. [Auf dem Leipziger Rathsarchiv.]


 

pr. den 12. Aug. 1736.


 

Magnifici.


 

HochEdelgebohrne, HochEdle, Vest- und Hochgelahrte, auch HochWeise, Hochgeehrteste Herren und Patroni.


 

Eu: Magnificentz HochEdelgebohrene und HochEdle Herrligkeiten geruhen hochgeneigt Sich vortragen zu laßen, daß ob zwar nach E.E. Hochw. Raths allhier Ordnung der Schule zu S. Thomae dem Cantori zu kommet, [893] die jenigen aus denen Schul-Knaben, welche er vor tüchtig erachtet als Praefectos zu erwehlen, und bei deren election nicht alleine auf die Stimme, daß sie gut und helle sey, sondern auch, daß die Praefecti, (besonders derjenige, so im ersterenChor absinget) wenn der Cantor krank oder abwesend, die Direction des Chori musici führen können, acht zu haben hat; auch dieses ohne concurrentz des Herrn Rectoris biß anhero und vorhero von denenCantoribus also und nicht anders gehalten worden; sich dem ohngeachtet itziger Herr Rector, M. Johann August Ernesti die Ersetzung des Praefecti im ersteren Chore ohne mein Vorwißen und Einwilligung neüerlicher Weise anmaßen wollen, gestallten er letzthin auf diese Art, den bißherigen Praefectum des andern Chores Krausen, zum Praefecto des ersteren ernennet, auch hiervon aller von mir geschehenen gütlichen Vorstellung ungeachtet nicht abgehen will, ich aber, da solches obangezogener Schul-Ordnung und hergebrachten Gewohnheit zu wieder zum praejudiz meiner Successorum und Schaden des Chori Musici solches nicht geschehen laßen mag; als ergehet an Eu: Magnificenz Hochedelgebohrene und HochEdle Herrligkeiten mein gehorsamstes Bitten, diese zwischen dem Herrn Rectore und mir in meinem officio vorgefallene Irrung gütig und hochgeneigt zu entscheiden, und weilen diese von dem Hn. Rectore beschehene Anmaßung der Ersetzung derer Praefectorum zu einer disharmonie und Nachtheil derer Schüler ausschlagen möchte, nach Dero vor die Schule zu S. Thomas tragenden besondern Gütigkeit und Vorsorge, den Hn. Rectorem, M. Ernesti zu bedeüten, daß er die Ersetzung derer Praefectorum wie biß anhero, der SchulOrdnung und Gewohnheit gemäß voritzo und ferner hin lediglich mir überlaße, und hierdurch in meinemOfficio mich hochgeneigt zu schützen; Versehe mich hochgeneigter Deferirung mit gehorsamsten respect verharrend


 

Ew: Magnificenz

HochEdelgebohrnen und HochEdlen Herrligkeiten

gehorsamster

Joh. Sebast. Bach.

Leipzig, d. 12. August:

1736.


 

[Adresse:]

Denen Magnificis, Hochedelgebohrnen, | HochEdlen, Vesten und Hochgelahrten | auch Hochweisen Herren, Herrn | BurgerMeister und Beysitzern | des Wohllöblichen Stadt-Regimentes zu | Leipzig. Meinen hochgeehrtesten | Herren und Patronen. |23


 

[Fol. 3.]


 

pr. d. 13. Aug: 1736.


 

Magnifici


 

HochEdelgebohrne, HochEdle, Veste und Hochgelahrte, auch Hochweise Hochgeehrteste Herren und Patroni.


 

Ohnerachtet albereits gestrigen Tages Ew: Magnificentz und HochEdelgeb. [894] Herrl. mit einem gehorsamsten Memorial wegen der mir zur höchsten Ungebühr von dem Herrn Rector Ernesti in meiner mir bey hiesiger Thomas-Schule aufgetragenen Function der Direction des Chori Musici und Cantoris unternommenen Eingriffe in Ersetzung des Praefecti behelliget, und um hochgeneigten Schutz gehorsamst gebethen; So finde mich doch genöthiget Ew: Magnificentz und HochEdelgeb. Herrligk. nochmahlen dienstschuldigst vorzutragen, daß, ob zwar nur gedachtem Hn. Rectori Ernesti gemeldet, daß dieserhalben bereits bey Denenselben meine Beschwerden übergeben, und in dieser Sache Ew: Magnificentz und HochEdelgeb. Herrligkeiten kräfftigen Ausspruch erwarte, er dem ohngeachtet mit Hintansetzung des dem HochEdl. und Hochw. Rathe schuldigsten Respects sich gestrigen Tages von neüen unterstanden allen Alumnis, bey Strafe der relegation und castigation andeüten zu laßen, daß sich keiner unterstehen solte statt des in meinem gestrigen gehorsamsten Memorial berührten zur Direction eines Chori Musici untüchtigen Krausen, (welchen er mir zum Praefecto des ersteren Chores mit Gewalt aufzwingen will,) weder abzusingen noch die gewöhnliche Motette zu dirigiren, dahero es denn kommen, daß in gestriger Nachmittags Predigt zu S. Nicolai zu meinem größten despect und prostitution kein einiger Schüler aus Furcht der Straffe das Absingen über sich nehmen, noch weniger die Mottette dirigiren wollen; ja es würden die sacra gar dadurch seyn gestöret worden, daferne nicht zu gutem Glücke ein ehmahliger Thomaner, Nahmens Krebs solches statt eines Alumni auf mein Bitten über sich genommen hätte. Gleichwie nun aber, wie in vorigem übergebenen gehorsamsten Memorial sattsam an und ausgeführet dem Herrn Rectori die Ersetzung dererPraefectorum der Schulverfaßung und Herkommens gemäß nicht zustehet, auch er hierdurch in modo procedendi gar sehr sich vergangen mich in meinem Ambte zum höchsten gekräncket, alle autorität, so doch über die Schüler wegen derer zu besorgenden Kirchen und andern Musiquen haben muß, und von E. HochEdl. und Hochw. Rath bey Antretung meinesofficii mir übergeben worden, zu schwächen, ja gar abzuschneiden gesucht, und daher zu besorgen daß bey dergleichen fortwährenden unverantwortlichen Unternehmen die sacra möchten gestöhret und die Kirchen Musiquen in grösten Verfall kommen, auch das Alumneum in weniger Frist dermaßen deterioriret werden dörffte, daß es in vielen Jahren nicht wieder in solchen Stande zu setzen, als es bishero gewesen; Als ergehet an Ew: Magnificentz und HochEdelgeb. Herrligk. mein nochmahliges gantz gehorsamstes und flehendes Bitten, da vi officii darzu nicht stille schweigen kan, dem Hn. Rectori das fördersamste, weiln periculum in mora, dahin zu weisen, daß er in meinem Ambte mich forthin nicht turbire, die alumnos gegen mich an ihre obedience durch sein ungerechtes Abmahnen und Androhen einer so harten Straffe nicht ferner mehr hindere, sondern viel mehr dahin sehe, daß (wie ihme so oblieget) die Schule und der Chorus musicus mehr verbessert als verschlimmert werde; Versehe [895] mich hochgeneigter deferirung und protection in meinem officio, mit gehorsamsten respect verharrend


 

Ew: Magnificentz

und

HochEdelgeb. Herrligk.

gantz gehorsamer

Johann Sebastian Bach.

Leipzig d. 13. August

1736.


 

[Adresse:]


 

Denen Magnificis, Hochedelgebohr- | nen, HochEdlen, Vesten und Hochgelahr- | ten auch Hochweisen Herren, Herrn | Bürger Meister und Beysitzern | des Wohllöbl. Stadt | -Regiments | der Stadt Leipzig. | Meinen Hochgeehrtesten Herren und | Patronen. |24


 

[Fol. 5.]


 

P.M.


 

Der völlige und wahrhafftige Verlauf wegen desAlumni Krausen, so von dem Herrn Rectore als erster Praefectus mir aufgezwungen werden will, verhält sich also: Bereits gemeldeter Krause ist schon vorm Jahre in solchem schlechten Ruffe wegen unordentlicher Lebensart und dahero entstehenden Schulden gewesen, daß seinethalber ein Convent gehalten, und darinnen ihm nachdrücklich angedeütet worden, daß, ob er wohl verdienet hätte seines liederlichen Lebens wegen so fort von der Schule gejaget zu werden, man doch in Ansehung seines dürfftigen Zustandes, (da er selbsten gestanden über 20 Thaler Schulden gemachet zu haben) und auf Angelobung sich zu beßern, noch ein Viertheil Jahr mit ihme Gedult zu haben, und so dann nach Befindung seiner geänderten Lebensarth ihme weitere Nachricht ertheilet werden solte, ob er noch ferner gedultet oder removiret sein würde. Da nun der H. Rector vor ihme, Krausen, iederzeit besondere Geneigtheit spühren laßen, auch zu dem Ende mich mündlich ersuchet, ihme eine Praefectur angedeihen zu laßen, ich aber Ihme remonstriret, daß er darzu nicht geschickt; der H. Rector aber darauf replicirete, daß ichs immer thun möchte, damit besagter Krause sich aus seinen Schulden reisen könte, und da durch eine der Schule sonsten zuwachsende blame vermieden würde, zumahlen, da seine Zeit bald aus seyn, und man ihn also mit guter manier looß würde; So habe darunter dem Hn. Rectori eine Gefälligkeit erweisen wollen, und dem Krausen die Praefectur in der Neüen Kirche (als woselbst die Schüler weiter nichts als Motetten und Choraele zu singen, mit anderer Concert Musique aber nichts zu thun haben, weiln selbige vom Organisten besorget wird) gegeben: in Erwegung, daß ohne dem die Jahre seines reverses biß auf [896] eines verfloßen, und zu besorgen, daß er weder das andere noch weniger das erste Chor würde zu dirigiren bekommen können. Da nachhero aber der Praefectus Chori 1. nahmens Nagel von Nürnberg bey letztverwichenem Neüen Jahres Singen sich beklagete, wie daß er wegen übelbeschaffener Leibes Constitution nicht im Stande sey es auszutauern; als wurde genöthiget außer der sonst gewöhnlichen Zeit eine Änderung mit denen Praefecturen zu treffen, den zweyten Praefectum in das erstere Chor, und offt besagten Krausen aus Noth in das andereChor zu nehmen. Da er aber mit dem tact geben verschiedene fauten begangen, wie aus mündlicher relation des Herrn Conrectoris (so im zweyten Chor dieInspection hat) vernommen, da nach Befragung wegen geschehener fauten, von denen übrigen alumnis die Schuld einzig und alleine dem Praefecto wegen unrüchtiger Führung des tactes beygemeßen worden; Ich auch noch ohnlängst in der Singstunde selbsten eine probe seines tact führens genommen, da er denn so schlecht bestanden, daß er nicht einmahl in denen beeden Haupt Arten des tactes, als neml. dem gleichen oder 4 Viertel, und dem ungleichen oder 3 Viertel tact, die Mensur accurat hat geben können, sondern bald aus 3/4, einen gleichen und vice versa gemachet (wie solches sämtliche alumni attestiren müßen;) dahero von seiner Ungeschickligkeit völlig überzeüget worden; als habe ihme ohnmöglich diePraefectur des ersteren Chores können anvertrauen, zumahlen die musicalischen Kirchen-Stücke so im ersteren Chore gemachet werden, und meistens von meiner composition sind, ohngleich schwerer und intricater sind, weder die, so im anderen Chore und zwar nur auf die Festtage musiciret werden, als wo ich mich im choisiren selbiger, nach der capacitè derer, so es executiren sollen, hauptsächlig richten muß. Und ob zwar noch mehrere Ursachen könten angeführet werden, welche den Krausen seiner incapacite noch kräfftiger überführen dörfften, so erachte doch, daß die bereits angeführten raisons hinlänglich, darzuthun, daß meine Ew: HochEdl. und Hochw. Rathe gehorsamst insinuirte Beschwerden gerecht, und einer baldigsten und schleunigen Hülffe benöthiget.

Joh: Seb: Bach.

Leipzig d. 15. August.

1736.25


 

[Fol. 7.]


 

pr. d. 17. Aug: 1736.


 

Magnifici, Hochedle Vest und Hochgelahrte Hochzuehrende Herren und Patroni


 

Ew. Magnificenz und HochEdlen Herrlichkeiten haben mir gestern Hochgeneigt communiciren laßen, was der H. Cantor bey hiesiger Thomas-Schule wieder mich vorbracht, und dabey anbefohlen, was ich dawieder [897] einzuwenden hätte, förderlichst beyzubringen. Ob nun gleich die von ihm vorgebrachte Beschwerde eigentlich nicht mich allein, sondern den Herrn Vorsteher der Schule, den Herrn Appellations-Rath Stiglitz zugleich mit betrift, als auf deßen Einwilligung, vermöge der ihm, laut Ew. HochEdlen und Hochweisen Raths Schulordnung, zustehenden Gewalt, der von dem Cantori eigenmächtig und unrechtmäßiger Weise abgesetzte Praefectus Krause wieder in sein Amt eingesetzt worden; so habe doch um Ew. Magnificenz und HochEdlen Herrlichkeiten Befehl zu gehorsamen, und weil gedachter Herr Vorsteher der Schulen dermahlen abwesend, der Sachen wahre Beschaffenheit, nach meinem Gewißen, berichten und vorstellen wollen, damit der H. Cantor Bach mit seinen unbilligen Klagen ab, und zum Gehorsam und Respect gegen seine Vorgesetzten angewiesen werden möge.

Zuförderst kann ich mich nicht genung verwundern, wie gedachter H. Cantor sich unterfangen mögen, bey Ew. Magnificenz vorzugeben, daß die Praefecturae der 4. Cantoreyen iederzeit und bisanhero ohne Concurrenz des Rectoris und lediglich von dem Cantore ersetzet worden, da die Schul-Ordnung das Gegentheil klärlich vorschreibt, nach welcher p: 74 derCantor 8. Knaben darunter der Praefectus mit begriffen, mit Bewilligung des Rectoris annehmen und noch auser dem die Praefectos dem Hn. Vorsteher iedesmahl praesentiren und dessen Consens erbitten soll, p: 78. welches letztere aber der H. Cantor Bach niemals gethan hat.

Es hat bey Ersetzung einer Praefectur der Cantor zwar das vornehmste zuthun, in so ferne er von ihrer Geschicklichkeit im Singen urtheilen muß; weilen aber im übrigen die Praefecti an den Rectorem gewiesen, bey ihm über sie Beschwerde geführet, und von ihm nach Befinden bestraffet werden sollen, p. 73 ihm auch, und nicht dem Cantori, von denselben das ersungene Geld geliefert wird, daß er darüber Rech nung führe und es zu gesetzten Zeiten austheile; so muß derselbe, als dem ihre übrige Aufführung beßer als dem Cantori bewust seyn muß, urtheilen, ob ihnen dergleichen Amt ohne Gefahr anvertraut werden könne. Es ist daher bis hieher allezeit, auch in meinem Rectorat, also gehalten worden, daß der H. Cantor mir die erwehlten Concentores durch den Praefectum zugeschickt, und mich befragen laßen, ob ich etwas wieder iene oder diesen einzuwenden hätte, wie er denn nur noch bey der streitigen Praefectur gethan. Ja es sind Exempel vorhanden, daß der Cantor, wenn er aus Affecten ein würdiges Subiectum übergangen, von dem Rectore angehalten worden, daßelbe nicht zu übergehen.

Nun geruhen Ew. Magnificenz und HochEdlen Herrlichkeiten hochgeneigt sich vortragen zu laßen, was wegen der streitigen Praefectur ergangen, und urtheilen daraus, ob ich ihm den geringsten Eingriff in seine Rechte gethan, und ob ich nicht dagegen alles gethan, was man von einem ehrlichen und friedliebenden Manne fodern kann.

Nachdem vor ohngefehr 8. Wochen die erste Praefectur vacant worden war, hat der H. Cantor dieselbe durch den ersten alumnum, und andern [898] Praefectum, Jo. Gottl. Krausen ersetzet; wo wieder ich um so viel weniger etwas einzuwenden hatte, weil er 1) bey der andern und dritten Praefectur sich so verhalten hatte, daß keine Beschwerde über ihn kommen war, und die Schulordnung ausdrücklich p: 77 vorschreibt, daß zu dieser ersten Praefectur iederzeit der erste alumnus, und alsdenn erst der nechst folgende, wiewohl mit vorwißen des Herrn Vorstehers, gezogen werden solle, wenn iener in musicis nicht geschickt genung wäre; welches letztere aber dermahlen nicht statt haben konnte, weil er bereits drey Praefecturen gehabt, und die anderePraefectur vielmehr geschicklichkeit in musicis erfodert als die erste; in dem der andere Praefectus an Festtagen vor und Nachmittage die Music in derjenigen Kirchen dirigiren muß, darinnen der H. ConRector die Inspection hat, dahingegen der erste Praefectus niemals dirigiret. Da aber derselbe bereits etliche Wochen dieses Amt verwaltet, schickte der H. Cantor am 10. Julii den andern Praefectum Küttlern zu mir, und ließ mir melden, daß er genöthigt würde eine Aenderung mit dem ersten Praefecto Krausen zu treffen, in dem er ihn nicht tüchtig zur ersten Praefectur befände, und wollte er ihn wieder zum andern, und ihn Küttlern dagegen zum ersten Praefecto machen. Ich gab darauf zur Antwort: Daß er wißen müste, ob einer tüchtig wäre oder nicht, und wenn es sich also verhielte, ließe ich es mir gefallen; wüntschte aber, daß er ihn gleich im Anfange beßer probiret hätte. Ew. Magnificenz und HochEdlen Herrlichkeiten können auch hieraus sehen, daß er mir die Concurrenz bey Ersetzung der Praefecturen. eingeräumet. Der abgesetzte Praefectus beschwerte sich hierüber bey mir, weil er ohne sein Verschulden abgesetzt würde; ich wiese ihn aber an den H. Cantorem, und daferne er vermeynte, daß er aus einer andern Ursach abgesetzet sey, solle er ihm gute Worte geben, und würde ich mir es sehr wohl gefallen laßen, daß er dabey bliebe. Da er ihn nun hierauff etlichemahl bittlich angegangen, und weil er nichts ausrichten können, gebethen, ihm nur die Ursache zu sagen, warum er ihn absetze, hat er endlich aus Unbedachtsamkeit ihm entdecket, daß er ihn um meinet, des Rectoris, willen absetze, weil ich damahls, als ich den nachhero entlauffenen Krausen suspendiret, biß er sich der Straffe unterwerffen würde, gesagt, daß er indeßen die erste Praefectur verwalten solle, wodurch ich ihn in seine Rechte gegriffen, indem er die Praefectos setze und nicht der Rector. Ob ich nun dadurch mir angemaßet, die erste praefectur alleine zu ersetzen, wie H. Bach vorgiebt, das werden Ew. Magnificenz und HochEdlen Herrlichkeiten leicht ermeßen können. Als ich 2. Tage darnach, als am 12. Julii den Hn. Vorsteher sprach, trug ich ihm diese Sache vor, und bekam von demselbigen die Resolution, welche Ew. Magnificenz und HochEdlen Herrlichkeiten selbst vor höchst billig erkennen werden. »Weil der Cantor keine »andere Ursache hätte als diese, und dabey so unbedachtsam gewesen, »und dieselbe unter denen Schülern bekannt werden laßen, so könne er »in die Absetzung des ersten Praefecti nicht willigen, sondern er müße »in seinem Amte bleiben.« Ich ließ hierauff den Hn. Cantorem zu mir ruffen, um mit ihm von dieser Sache zu reden; da er mir denn gleichfalls [899] gestund, daß er um der oben angeführten Ursache diese Aenderung vornehmen wolle. Stellte ihm darauff vor, daß suspendiren nicht absetzen heiße, daß es ia gar im geringsten nicht wahrscheinlich, daß ich eine Stelle besetzt haben solle, die nicht ledig gewesen. Weder der H. Vorsteher noch ich würden bey so gestalten Sachen Consentiren, entdeckte ihm zugleich die resolution des Hn. Vorstehers, und untersagte ihm also die Absetzung des Praefecti. Nun hätte er ia hierauff die würckliche Absetzung nicht vornehmen sollen, bevor er von dem Vorsteher und mir eine andere resolution erhalten hätte, und sich deshalben, wenn er nicht damit zufrieden gewesen, an den Hn. Vorsteher wenden sollen. Alleine er hat dem ohngeachtet die Absetzung des Praefecti vollstreckt, wie ich Sonntags in der Kirche warnahm. Hiebey wäre ich berechtiget genung gewesen, den abgesetzten Praefectum wieder einzusetzen; allein ich wollte ihn gerne vor dem coetu menagiren, bey dem seine Autorität ohnedem zu weilen nicht zu reichen will, wie er sich denn der meinigen um deswillen etliche mahl bedienen müßen, und schrieb ihn daher einen Brieff, darinnen ich ihm vorstellte, wie sehr er sich vergangen, daß er bey obenerzehlten Umständen eine solche Aenderung vorgenommen, um sich wegen eines vermeynten Eingriffs in seine iura zu rächen, darunter nun auch der unschuldige leyden müße: Und ob ich gleich den abgesetztenPraefectum wieder einsetzen könnte, so wolte ich doch, um seine autorität zu menagiren, es lieber sehen, wenn er ihn selbst wieder einsetzte, denn auff die Weise wäre uns beyden geholffen. Darauff schickte er am 17. Julii den Hn. ConRectorem an mich, und ließ mir sagen, daß er meinen Brief mit Vergnügen gelesen, und wolle er es selbst gerne sehen, wenn die Sache in der Güte abgethan werden könnte. Es kam auch endlich durch Vermittelung des Hn. ConRectoris dahin, daß er versprach den abgesetzten Praefectum in der ersten Singstunde wieder einzusetzen. Allein es hat sich nachhero gewiesen, daß er mit dem Hn. ConRectore sowohl als mit mir ein Gespötte getrieben. Denn die versprochene und verglichene Wiedereinsetzung erfolgte nicht. Ich ließ ihn erinnern, bekam aber zur Antwort: Er wolle 14. Tage verreisen, ich solte mich nur biß zu seiner Wiederkunfft gedulden, alsdann solle es geschehen. Auch dieses ließ ich mir gefallen. Aber nach seiner Wiederkunfft vergingen 10. Tage, und es erfolgte doch nichts. Daher schrieb ich ihm endlich am vergangenen Sonnabend wieder einen Brief, darinnen ich mich erkundigte, wie ich diese Verzögerung verstehen solle; es käme mir vor daß er in der That nicht Lust habe sein Versprechen zu halten. Ich wolte ihm also hiermit zu wißen thun, daß wenn er den Praefectum nicht an dem Tage wiedereinsetzen würde, ich ihn gantz gewiß Sonntags früh vermöge der Ordre wieder einsetzen würde, die ich vormahls von dem Hn. Vorsteher erhalten, und die er nach der Zeit nochmals wiederhohlet hätte. Aber hierauff hat er mir kein Wort geantwortet, oder antworten laßen, noch viel weniger das verlangte gethan. Nun urtheilen Ew. Magnificenz und HochEdlen Herrlichkeiten selbst über diese Aufführung gegen den Hn. Vorsteher und mich, und ob ich nicht mit Fug und Recht die [900] restitution vornehmen können. Ich befahl also den beyden Praefectis, daß ein ieder wieder seine vorige Praefectur antreten solle: Und weil diese Anordnung auff Befehl und mit Bewilligung des Hn. Vorstehers geschehen, so werde derjenige, der sich der ersten Praefectur Verrichtungen, auser dem Krausen, anmaßen werde, vor einen angesehen werden, der sich nicht alleine mir, sondern auch dem Hn. Vorsteher wiedersetze, welches nothwendig harte Straffen nach sich ziehen müße, vor denen ich einen ieden warnen wolle. Sobald ihm dem Hn. Cantori der erstePraefectus auf meinen Befehl davon Nachricht gegeben, leufft er geschwinde zu dem Hn. Superintendenten, und bringt eben die ungegründeten Klagen wieder mich vor, die er nun erst Ew. Magnif. und HochEdl. Herrl. vorgebracht, nach dem er bey ienem keine gewünschte Resolution erhalten, und declariret zugleich, daß er die Sache den Mittwoch darauff, als vorgestern dem Consistorio übergeben würde. Ob ihm nun gleich der H. Superintendens keine Resolution gegeben, als, daß er sich nach der Sachen Beschaffenheit bey mir erkundigen wolle, die Sache aber selbst ohne vorhergegangene Communication mit den Hn. Patronis und dem Hn. Vorsteher weder von ihm noch dem Consistorio entschieden werden könne; so hat er doch unter dem Vorwand eines von dem Hn.Superintendenten erhaltenen Befehls den andernPraefectum Küttlern gezwungen, wieder aus der Nikolai Kirche heraus, und mit ihm in die Thomas Kirche zu ersten Canterey zu gehen, aus der er den Praefectum Krausen, der bereits gesungen mit großen Ungestüm veriaget. Ich gieng aus der Kirche zum Hn.Superintendenten um mich zu erkundigen, ob er dergleichen Verordnung gegeben; hörete aber daß er nichts gesaget, als was ich bereits angeführet. Ich erzehlte ihm darauf die gantze Sache, wie ich sie hier Ew. Magnif. und HochEdl. Herrl. vorgetragen habe; da er denn meine Conduite bey der Sache gäntzlichapprobirte, und sich gefallen ließe, daß es biß zu der Wiederkunfft des Hn. Vorstehers und nach ausgemachter Sache bey der von mir auf Befehl des Hn. Vorstehers gemachten Anordnung bliebe, weil es doch billiger sey, daß der Cantor dem Hn. Vorsteher und Rectori als diese jenem ad interim nachgäben. Ich ließ dieses dem Hn. Cantori wißen, bekam aber darauf die Antwort: daß er sich daran durchaus nicht kehre, es möchte kosten was es wolle. Da nun die beyden Praefecti nach Mittage wiederum jeder an den ihm von mir angewiesenen Orth gegangen waren, hat er den Krausen wieder mit großen Schreyen und Lermen von dem Chor geiagt, und demalumno Claus befohlen, an statt des Praefecti zu singen; der es auch gethan, und sich deshalber bey mir nach der Kirche entschuldiget. Wie mag denn also der H. Cantor vorgeben, daß kein alumnus, sondern einstudent gesungen habe? Den andern Praefectum Küttlern aber, hat er des Abends, weil er mir gehorchet, vom Tische gejagt. Aus dem allen werden Ew.Magnif. und HochEdl. Herrl. ersehen, daß die Klage des Hn. Cantoris ungegründet sey, als ob ich mir die Ersetzung des Praefecti im ersten Chor, ohne sein Vorwißen und Einwilligung neuerlicher Weise angemaßet, und den Praefectum des andern Chors zumPraefectum des ersten gemacht. Einen Praefectum zu machen ist so eine große Sache nicht, daß [901] ich darüber jemandem Verdruß machen solte, habe es auch nie verlangt und werde es auch nie verlangen; ob ich gleich im übrigen die mir in der Schulordnung gegebene Concurrenz, verlange, und dabey geschützet zu werden hoffe. Der H. Cantor hat den gantzen Statum Controversiae verdrehet, welcher darinne bestehet: »ob ich nicht einen von ihm, bloß dem Rectori zum Tort, und wieder des Hn. Vorstehers und Rectoris Consens und Willen abgesetzten Praefectum mit Vorwißen und Einwilligung des Hrn. Vorstehers wieder einsetzen können, da es der H. Cantor selbst nicht thun wollen, nachdem er es doch selbst zu thun versprochen, und eben dadurch eingeräumet, daß der Knabe nicht untüchtig sey, welches aus dem obigen ohne dem erhellet.« Ich ersuche dem nach Ew. Magnif. und HochEdl. Herrl. gehorsamst den H. Cantorem mit seinen unzeitigen und ungegründeten Klagen abzuweisen, und dahin anzuhalten, daß er es bey der nunmehro mit Vorwißen des Hn. Vorstehers gemachten Anordnung bewenden laßen müße; ihm auch seinen Ungehorsam und Wiederspenstigkeit gegen den Hn. Vorsteher und mich ernstlich zu verweisen, und ihm anzubefehlen, daß er dergleichen Dinge nicht mehr ohne seiner vorgesetzten Consens und wieder eines HochEdl. und Hochweisen Raths Schulordnung vornehmen, auch überhaupt sein Amt mit mehrern Fleiß abwarten möge. Es gehöret nicht hierher Ew.Magnif. und HochEdl. Herrl. mit Klagen über ihn zu beschweren, welches mir aber auff eine andere Zeit vorbehalte; kann aber doch nicht umhin, nur dieses eintzige anzuführen, daß diese Verdrüßlichkeit nicht allein, sondern auch das Unglück, welches der arme nachher entlauffene Gottfr. Theodor Krauße gehabt, lediglich der Nachläßigkeit des Hn. Cantoris zuzuschreiben. Denn wäre er selbst wie ihm gebühret, und da ihm nichts gefehlet, in die Braut-Meße gegangen, und hätte nicht geglaubt, daß es ihm unanständig sey, bey einer Braut-Meß zu dirigiren, wo nur Choral musicirt werden soll, (aus welchen Grunde er sich schon mehr dergleichen Braut-Meßen, und nur neulich noch der Krögelischen entzogen, worüber sich auch, wie ich hören müßen, Ew. Magnif. und HochEdl. Herrl.Musici gegen andere Leuthe beschweret;) so würde gedachter Krauße keine Gelegenheit gehabt haben, dergleichen Excesse in und außer der Kirche zu begehen, auf welche von einem HochEdl. und Hochweisen Rathe selbsten so harte Straffen gesetzet sind. Ich hoffe um so viel mehr, daß Ew. Magnif. und HochEdl. Herrlichkeiten meine gehorsamste Bitte werden statt finden laßen, weil darunter die Auctoritaet und Ehre des Hn. Vorstehers, der Einen HochEdlen und Hochweisen Rath bey der Schule vorstellet, und dessen Auctoritaet des Raths eigene Auctoritaet ist, als auch meine eigene versiret. Ew. Magnif. und HochEdl. Herrl. wißen aber beßer, als ich es sagen kann, wie nöthig die Auctoritaet einem Rectori ist, und daß ein Rector ohne Auctoritaet nicht allein ein unnützer, sondern auch schädlicher Mann ist. Ich werde, gleichwie vor alle andere Wohlthaten, als auch vor die mir hierunter erwiesene, jeder Zeit beharren


 

Ew. Magnificenz und HochEdl. Herrlichkeiten

 

gehorsamster Diener

M. Jo. Aug. Ernesti.

Leipzig, den 17. Aug.

1736.


 

[902] Denen Magnificis, HochEdelgebohrnen, Vesten | und Hochgelahrten auch Hochweisen Herren, Herrn Bür- | germeistern, Consulenten, Baumeistern, StadtRich- | tern und übrigen hochansehnlichen Mitgliedern des Raths zu Leipzig. |

Meinen HochzuEhrenden Herren und Patronis.


 

[Fol. 14.]


 

prs. den 20. Aug. 1736.


 

Magnifici,

HochEdelgebohrne, HochEdle, Veste | und | Hochgelahrte, auch Hochweise | Hochgeehrteste Herren und Patroni. |


 

Eu: Magnificenz und HochEdelgeb. Herrl. wird an noch in Hochgeneigten Andencken ruhen was ich wegen derer durch Veranstellung des Rectoris auf hiesiger Thomas Schule Hrn. Ernesti beym öffentlichen Gottes-Dienste heüte vor 8 Tagen veranlaßten disordres bey Denselben vorzustellen mich genöthiget gesehen. Nachdem nun anheüte Vor- und Nachmittags ein gleiches wiederum sich ereignet und ich zu Vermeidung großen Aufsehens in der Kirche und turbationis Sacrorum mich entschließen müßen, dieMotette selbst zu dirigiren und nachhero das Absingen durch einen Studiossum verrichten zu laßen, auch dieses von Zeit zu Zeit immer ärger werden wird, ich auch mich ohne Dero als hoher Patronorum nachdrückliches Einsehen in Zukunfft kaum weiter gegen die mir untergebenen Schüler bey meinem Amte zumainteniren vermöchte, mithin entschuldiget sein würde, wenn hieraus noch mehrere und vielleicht irreparable Unordnungen entstünden; Als habe Eu: Magnificenz und HochEdelgeb. Herrl. auch dieses geziemend vorzustellen nicht Umgang nehmen können, nebst gehorsamster Bitte, Dieselben geruhen dem Herrn Rector ohnverzüglich hierinnen Einhalt zu thun, und durch Beschleunigung gebethenen Hauptresolution, nach Dero rühmlichen Eifer vor das gemeine Beste dem zu besorgenden mehrern öffentlichen Aergerniße in der Kirche, Unordnung auf der Schule, Verkleinerung der zu meinem Amte erforderlichen autorität bei denen Schülern, und anderen schlimmen Folgerungen hocherleüchtet vorzubauen; Verharre


 

Eu. Magnificenz und HochEdelgeb. Herrligk.

gehorsamer

Johann Sebastian Bach.

Leipzig

d. 19. August 1736.


 

Denen Magnificis, HochEdel- | gebohrnen, HochEdlen, Vesten und | Hochgelahrten auch Hochweisen Herren, | Herrn BurgerMeister und Beysitzern des Wohllöbl. Stadt-Regiments | der Stadt Leipzig. |

Meinen Hochgeehrtesten Herren und | Patronen.26


 

[903] [Fol. 15.]


 

P.M.


 

Der communicirte Verlauf wegen des alumni Krausen und der ihm eigenmächtig und ohne hinlängliche Ursache genommenen Praefectur ist weder völlig, wie der von mir 2 Tage nach diesem aufgesetzten Verlauf, neml. am 17. Aug. eingegebene Bericht anzeiget, den ich bedürffenden Falles durch des Hn.Conrectoris und vieler alumnorum Zeugniße bestätigen könnte, ia mit guten Gewißen beschweren wolte, noch wahrhaftig. H. Bach weiß nichts anzuführen, als seine Untüchtigkeit, weil er meynet, man werde ihm das Urtheil darüber nicht alleine zugestehen, sondern es auch in diesem Falle vor richtig und unpartheyisch halten. Allein gleichwie ich schon andere Proben anführen könnte, daß man sich auf seinetestimonia hierinne nicht allezeit verlaßen kann, und wohl eher ein alter Species Thaler einen Discantisten gemacht, der so wenig einer gewesen, als ich bin; so bin ich auch gewis versichert, daß sein vorgeben hierinne gäntzlich unrichtig ist, und versichere ich bey meiner Ehre, daß ich gleich vom Anfange nicht ein Wort zu der Veränderung hätte sagen wollen, wenn es nur die geringste Wahrscheinlichkeit hatte. Ist der Knabe zur ersten Praefectur untüchtig, so ist er es gantz ohnfehlbar auch zu den andern. Denn die Praefecti haben alle gleiche Verrichtung, welche darinnen besteht, daß sie 1) die Motetten in der Kirche dirigiren, und der, so in der Schule unter ihnen der oberste ist, er sey erster oder anderer Praefectus, welches eben ietzo der Krause ist bey den precibus in der Schule, 2) die Lieder in der Kirche anfangen, 3) im Neüen Jahre eine Cantorey bey dem Singen in den Häusern dirigiren; der Unterschied besteht blos darinnen, daß der erste Praefectus das letztere auch in derMichaelis Messe thut, und auf Hochzeiten bey Tische einige Motetten singen läßt, dabey er dirigirt; der an dere Praefectus aber, die Music im andern Chor an Festtagen dirigirt, welches der erste Praefectus nicht thut. Sind also die Stücken so im ersten Chor musicirt werden intricater, dies ist das einzige argument, so er anführet und anführen kann, so dirigirt ia H. Bach und nicht der Praefectus. Der Vorige Praefectus Nagel hat nie was anders gethan, als die violine gestrichen. Und wie körnt es denn, daß er ietzo eben einen ersten Praefectum haben wil, der im ersten Chor ein schwer Stücke dirigiren kann, da er ihn sonst nicht gehabt, oder wenigstens eben nicht darauf gesehen, wenn er nur sonst affection vor die Person gehabt? Denn wenn er sonst verreiset ist, hat er ordentlich den Organisten aus der Neüen Kirche als H. Schotten und Gerlachen dirigiren laßen, wie es der letztere, bedürffenden Fals, attestiren wird. Wiewohl es freylich beßer ist, daß es der Praefectus thun kan. Aber wenn er untüchtig ist, nach seinem Vorgeben, warum ist er 1) nicht dabey geblieben, da ich schon darein consentiret hatte, daß er in dem Fall, wieder anderer Praefectus seyn möchte, sondern sagt den alumnis und NB. mir selbst, da ich ihn darüber constituire, auf meiner Stube ins Angesichte, daß er ihn um meinetwillen, und weil man ihm gesagt, daß ich etwas geredet welches seinen [904] Juribus praejudicirlich, NB. nicht, zu der ersten Praefectur nicht laßen, denn er hatte sie schon 4 Wochen und länger verwaltet, sondern wieder absetzen wolle; welches ia die Ursache ist, warum ich mich dagegen gereget, indem es ia nicht consilii ist, zu leiden, daß er dergleichen Dinge thut, und den Schülern seine Absichten wißen läßet. 2) Hatte er ihn in den 4 Wochen erst, und nicht schon in den 6 Jahren, die er ihn in seinen Singestunden gehabt, welches billig seyn solte, nicht vor tactfest befunden, so mußte ihm ia gar keine Praefectur gegeben werden. Denn wenn er im ersten Chor nicht tactfest ist, wird er es gewis im andern auch nicht seyn, und so war ia es wieder sein Amt und Gewißen, daß er mir durch den Hn.Conrectorem sagen nnd versprechen ließe, er wolle ihn auf meinen Brief, den ich ihm Tages vorher geschrieben, in der ersten SingeStunde wieder einsetzen. Die Probe so er 2 Tage nach diesem Versprechen, und da er wieder von dem entlauffenen Krausen, wie zuvor, verhetzt worden, ist eine Falle gewesen. Die Schüler, so ich befragt, sagen, er hätte es ein einzigmal versehen, und sich gleich corrigiret. Es wäre ein groß wunder, meines Erachtens, wenn er es gar nicht versehen hätte, da H. Bach die intention gehabt und gewünschet, daß er es versehen solle. Daß ich den H.Cantorem solte gebeten haben, dem alumno Krausen eine praefectur zu geben, ist grundfalsch. Die Sache verhält sich also: Als wir vor dem Jahre gegen Advent von Hn. M. Kriegels Hochzeit miteinander nach Hause fuhren, fragte er mich, ob dieser Krause mitPaefectus werden solte, denn es wäre nun Zeit, daß die gewöhnlichen Singe Stunden, so vor dem neüen Jahre gehalten werden von den Praefectis angiengen, und müße also nun der NB. vierte nicht dritte, wie H. Bach schreibt gemacht werden, denn die ersten 3. praefecti waren damals Nagel, Krauß und Nitsche (daß man sich doch im Lügen so leicht verräth!). Er habe das Bedencken, daß er sonst ein liederlicher Hund gewesen. Ich sagte darauf; das letzte wäre freylich wahr, und hätte er vor 2 Jahren 20 Thlr. Schulden gehabt (wobey ein Kleid à 12 Thlr. gewesen) wie ich von Herrn Gesnern im Caution-Buch angemerckt befunden; weil es ihm aber H. Gesner communicato mecum consilio, wegen seines treflichen ingenii pardonnirt, und die Schulden nun mehrentheils bezahlt wären, könne man ihn wohl nicht praeteriren, wenn er anders tüchtig wäre einen praefectum abzugeben. Darauf antwortete er mir, wie Gott weiß, Ja tüchtigister wohl. und so ist er nachher dritter, anderer und erster Praefectus worden, und kann ich auf meine Ehre versichern, daß keine Klage über ihn kommen. Die Fauten so in der Kirche gemacht worden, sind vorgegangen, ehe er vierdter Praefectus worden. Der H. Superint. sagte mir neülich, seit dem Er der vielen Unordnung in der Kirche halber ein Einsehen zu haben befohlen, habe man doch nichts wieder verspühret. Das ist aber gleich nach dem neüen Jahre geschehen, da Krause noch in keiner Kirche absang. Wie kann H. Bach befunden haben, daß sie von ihm herkommen?

Leipzig d. 13. Sept, 1736.


 

M. Jo. Aug. Ernesti, R.27


 

[905] [Fol. 17.]


 

E.E. Hochw. Rath der Stad Leipzigk hat mißfällig vernehmen müssen, waß maßen bey der Thomas Schule wegen Bestellung des Praefecti Inqvilinorum, welcher insgemein General-Praefectus genennet wird, Irrungen entstanden, nachdem aber in der Schul-Ordnung Cap. 13. §. 8. und Cap. 14. §. 1. und 4. deutlich enthalten, daß der Cantor die zu ieder deren 4. Cantoreyen gehörigen 8. Knaben mit Bewilligung des Rectoris annehmen, und daraus vier Praefectos Chororum mit Vorbewust und Genehmhaltung des Herrn Vorstehers erwehlen, und zur General- oder Inqvilinorum Praefectur iederzeit der erste Alumnus oder wenn dieser in Musicis nicht geschickt genung, der Nachfolgende gezogen werden solle, hierüber nach Vorschrifft erwehnter SchulOrdnung Cap. 2 §, 17. Cap. 6. §. 1. et 7. weder der Rector noch derCantor noch auch die gesamten Praeceptores Macht haben, eigenmächtiger weise einen Schüler von der Schule oder dem Genuß eines und des andern Beneficii zu excludiren; Als sind sie solchem gebührend nachszukommen, einen oder den andern Schüler von der einmahl aufgetragenen Verrichtung vor sich zususpendiren, oder gar hinwieder auszuschließen oder denen gesammten Knaben etwas sub poena Exclusionis anzudeuten, wann nicht vorhero nach Maasgebung des 7. §. Cap. 6. verfahren, nichtweniger derCantor derer Praefectorum Obliegenheit anderen, als Alumnis auffzutragen, sich zu enthalten schuldig. Wie dann auch die Praefecti bey vorkommenden Fällen dergestalt, damit sie denenjenigen, über welche ihnen nach dem 4. §. des 14. Cap. einige Inspection zustehet, nicht verächtlich werden, zu bestrafen, solchemnach mit der baculatione publica gäntzlich zu verschonen; Im übrigen werden diejenigen Praeceptores, denen in Cap. 4. §. 9. mehrerwehnter Schul-Ordnung die Inspection derer Chöre bey dem öffentlichen Gottesdienste, so wohl bey denen Braut Meßen aufgetragen ist, ihre Obliegenheit diesfalls genau zu beobachten, und hierdurch dergleichen Excesse, wie Gottfried Theodor Krausen beygemeßen worden, zu vermeyden wissen, Wornach sich, da instehende Ostern die Zeit von Johann Gottl. Kraußens Auffenthalt auf der Schule zu Ende gehet, bey Ersetzung des General-Praefecti zu richten, auch sonst die Schul-Ordnung allent halben, insonderheit bey vorfallenden Zwistigkeiten deren 4. §. des erstern, ingleichen der 11te und 12te §. des andern Capituls in genauer Obacht zu halten. Urkundlich mit dem gewöhnlichen StadtSecret. bedrucket.

Sig. Leipzig, den 6. Febr. 1737.


 

 

[Fol. 19.]


 

Leipzig den 20 April 1737.


 

Habe auf EE. Hochw. Raths der Stadt Leipzig Verordnung habe [so] den Superintendenten Tit. Herr D. Deylingen vorherstehende Verordnung, wie sie an diePraeceptores der Thomas Schule ergangen, in Abschrifft [906] communiciret, welcher davor danckte und meldet, wie er bey den Hochlöbl. Consistorio der Sache schon eingedenck sein wolte.


 

Johann Zacharias Trefurth

Stadtschreiber.


 

[Fol. 20.]


 

Auff E.E. Hochw. Raths Befehl habe eine Verordnung, den general Praefectum auff der Thomas Schule betreffend, insinuiret

1) Dem H. Rectori, M. Johann August Ernesti, und zwar ihm selbst auf der Thomas Schule den 6. Aprilis 1737.


 

und


 

2) dem H. Cantori Johann Sebastian Bach, gleichfalls ihm selbst auf der Thomas Schule den 10. Aprilis, 1737.


 

Johann Georg Lorentz,

Nuncius juris.


 

[VII. B. 70. Fol. 1.]


 

Einkom. den 12. Febr. 1737.


 

Magnifici, Hoch Edelgebohrne Hoch-Ehrwürdige, Hoch-Edle,Vest und Hochgelahrte Hochgeehrteste Herren und Hohe Patroni!


 

Es hat der Rector der Schule zu St. Thomae allhier Herr M. Johann August Ernesti jüngsthin sich unterstanden, mir bey dem ersten Chor, welches von denen Alumnis der bemeldten Schule formiret wird, ein untüchtiges Subjectum zum Praefecto wieder meinen Willen aufzudringen; und als ich dieses weder annehmen können, noch wollen; hat vermelter Herr M. Ernesti allen Alumnis, daß keiner, ohne diesem seinen eigenmächtig gesetzten Praefecto in der Kirche dieMotette absingen, oder dirigiren solte, bey Straffe der Relegation verbothen, auch dadurch so viel effectuiret, daß den Sonntag darauf in der Nach-Mittags Predigt kein eintziger Schüler aus Furcht der angedroheten Strafe das Absingen über sich nehmen, und dieMotette dirigiren wollen, ja es würden gar die Sacra gestöhret worden seyn, wenn ich nicht noch einen Studiosum, so solches verrichtet, dahin vermocht hätte.

Wenn ich dann durch dieses, des Herrn Rectoris Unternehmen nicht allein in meinem Officio gar sehr gekräncket und turbiret, sondern mir auch der, von denen Schülern schuldige Respect entzogen, und ich dadurch um meine Reputation bey ihm gebracht worden; da doch 1) nach E.E. Raths allhier, bey der Schule zu St. Thomae gemachten Schul-Ordnung Cap. 14. §. 4. mir die Praefectos Chororum aus denen Schul Knaben ohne Concurrenz des Herrn Rectoris zu erwehlen zustehet, solches auch bishero sowohl von mir, als meinen antecessoribus beständig also gehalten worden; gestalt dieses daher seinen vernünfftigen Grund hat, da die Praefecti nach obangezogener Schul-Ordnung meine, des Cantoris Stelle, weil ich zugleich [907] in allen Kirchen nicht seyn kan, vertreten und dirigiren sollen, ich auch über das erste Chor dieInspection und Aufsicht insbesondere habe und also, mit wem ich mir auszukommen getraue, am besten wissen muß; hiernechst 2) des Rectoris an die Schüler gethanes Verboth, unter einem andern Praefectô nicht zu singen, höchst unbillig ist, in Betrachtung wenn die Schüler mir ratione des Singens die Parition nicht leisten sollen, unmöglich etwas fruchtbarliches ausgerichtet werden kan; ich dahero damit dieses Beginnen nicht zur Conseqvence gereichen möge, mich deßhalb zu moviren hohe Ursache habe;

Als werde Ew. Magnif. HochEdelg. und HochEhrwd. Herrl. bey diesem Bedrängnüs anzugehen gemüßiget, und gelanget dahero an Dieselben mein gehorsamstes Bitten:

Bey meinem Officio mich zu schützen, und dahero dem H. Rectori M. Ernesti, daß er mich in solchem fernerhin nicht beeinträchtigen, der Erwehlung dererPraefectorum ohne mein Wißen und Willen, wie auch eines Verboths gegen die SchulKnaben, mir bey dem Singen keine parition zu leisten, sich hinkünfftig enthalten solle, ernstlich zu bedeuten, dem H. Superintendenten, oder einem der Herren Geistlichen bey der Thomas Kirche aber, sonder ungeziemende Maßgebung, daß sie die SchulKinder zu dem mir schuldigen Respect und Gehorsam wieder anweisen, und mich hierdurch mein Amt ferner zu verrichten, in dem Stand setzen sollen, gemäße Verordnung hochgeneigt zu ertheilen.

Wie ich mich nun in meinem billigen Suchen Dero Schutz und Hülffe getröste; Also werde davor, wie allezeit mit allen Respect verharren,

Ew. Magnif. HochEdelg. HochEhrw. und HochEdl. Herrl.

gehorsamster

Johann Sebastian Bach,

Compositeur von Königl. Maj. in Pohlen

Hoff-Capelle, und Dir. Chori Musici

allhier.

Leipzig den 12. Februar:

1737.28


 

Denen Magnificis, HochEdelgebohrnen Hoch- | Ehrwürdigen, Hochedlen, Vesten und Hochgelahrten, | Herren Verordneten, des hochlöbl: Chur- und Fürstl. | Sächß. Consistorii zu Leipzig meinen hochgeehrte- | sten Herren und hochgebietenden Patronis. |


 

(Fol. 4 ein Schreiben des Consistoriums an Deyling und an den Rath vom 13. Febr. 1737 »Bach habe sich wegen des Rectors beim Consistorium beschwert, der Rath solle die Sache untersuchen und dieselbe ohne Weiterung beizulegen suchen, auch verfügen, daß beim öffentlichen Gottesdienst kein Hinderniß und Aufsehen verursachet werde«.)


 

[908] [Fol. 5.]


 

Einkom. den 21. Aug. 1737.


 

Magnifici HochEhrwürdige, HochEdel | gebohrne Vest und Hochgelahrte, | Hochgeehrteste Herren und Patroni! |


 

Ew. Magnif. HochEdelgeb. auch HochEhrw. und HochEdl. Herrl. werden Sich hochgeneigt zu erinnern geruhen, welchergestalt ich unterm 12. Febr. dieses29 Jahres über den Rector der Schule zu St. Thomae, Herrn M. Johann August Ernesti, wegen der mir in meinem Officio angethanen Beeinträchtigung, auch wegen der, denen Alumnis untersagten Parition und mir dadurch zugezogenen Prostitution mich beschweret und um Dero Schutz und Hülffe gehorsamst angesuchet habe.

Nun hat zwar seit der Zeit E.E. Rath allhier mir eine Verordnung, so in Abschrifft sub A. beygehet, zugeschicket; Alleine ich bin eines Theils dadurch wegen der mir von gedachten Herrn Rectore angethanen Prostitution nicht Satisfaciret, andern Theils damit gar sehr graviret worden:

Denn gleichwie ich durch die von dem H. Rectore publicè in öffentlicher Kirche, auch in Gegenwart sämmtlicher Primaner, mit Relegation und Verlust der Caution, woferne sich einer meiner Ordre zu folgen würde gelüsten laßen, an die Schüler beschehene Bedrohung an meinem Respect gar sehr verletzet worden, weßwegen. daß meine Ehre wiederum hergestellet werde, ich nicht unbillig verlange; Also beziehet sich die oban-gezogene Raths Verordnung auf eine 1723 edirte Schul-Ordnung, mit welcher es aber diese Bewandniß hat, daß sie von der alten Schul-Ordnung in vielen Stücken differiret, und zu meinem großemPraejudiz so wohl in Ausübung meines Amts, als auch in den habenden Accidentien gereichet, hingegen dißfalls niemahls vor gültig agnosciret worden; gestalt, als deren publication einsmahls unternommen werden wolte, der seel. verstorbene Rector Ernesti sich dergestalt: Daß selbige vor allen Dingen dem hochlöbl. Consistorio eingeschicket, und was darauf verordnet werden würde, erwartet werden müste, darwieder moviret. Wie nun deren Ratification meines Wißens noch nicht erfolget, ich also mich nach solcher neuen mir praejudicirlichen SchulOrdnung nicht achten können, zumahlen da die accidentia mir gar sehr darinnen geschmälert werden sollen, mithin es bey der alten Schul-Ordnung annoch sein Bewenden haben wird; Also kan die obangeführte Raths Verordnung, so sich auf jene gründet, der Sache nicht abhelffen, Besonders kan dasjenige, was darinnen dergestalt:

Daß ich ein oder den andern Schüler, von der einmahl aufgetragenen Verrichtung zu suspendiren, oder gar hinwiederum auszuschließen nicht vermögend sein soll,

ausgedrucket werden wollen, nicht procediren, gestalt Fälle vorkommen, da in continenti eine Aenderung vorgenommen werden muß, und nicht erstlich eine weitläufftige Untersuchung in solchen geringfügigenDisciplinal- und [909] Schul Sachen vorgenommen werden kan, dergleichen Änderung auch auf allen trivial-Schulen dem Cantori in Sachen die Music betreffend zustehet, indem sonsten die Jugend, wenn sie weiß, daß man ihr gar nichts thun kan, zu gouverniren und sein Amt ein Gnügen zu leisten unmöglich fallen will;

Ew. Magnif. HochEhrw. HochEdelg. und HochEdl. Herrl. habe dahero solches zu hinterbringen vor nöthig geachtet, und gelanget an Dieselben hierdurch nochmals mein gehorsamstes Bitten:

Bey Ausübung meines Amtes mich bey dem dazu nöthigen Respect zu schützen, dem Herrn Rector Ernesti aber alle unbefugte Eingriffe zu untersagen, auch daß meine, durch gedachten Herrn Rectoris Bezeugen, bey denen Schülern laedirte Ehre wieder hergestellet werden möge, das nöthige zu verordnen, so wohl mich wieder die neue Schul Ordnung, so weit sie mich graviret, und von Ausübung meines Amtes abhält, zu schützen.

Vor die mir hierunter erzeigte Hülffe werde ich, wie allezeit in gebührenden Respect verharren,

Ew. Magnif. HochEhrwd.

HochEdelg. auch

HochEdl. Herrl.

gehorsamer

Johann Sebastian Bach.

ipse concepi.30

Leipzig den 21. Aug. 1737.


 

Denen Magnificis HochEhrwürdigen, Hoch | Edelgebohrnen, HochEdlen, Vest und Hochgelahrten | Herren, des Königl. Chur und Fürstl. Sächß. Hoch- | löbl. Consistorii zu Leipzig Herrn Verordneten | meinen Hochgeehrtesten Herren undPatronis. |


 

(Fol. 11. Das Consistorium theilt Deyling und dem Rathe unter dem 28. August 1737 mit, daß Bach sich unter dem 21. Aug. 1737 mit neuen Vorstellungen und Gesuchen an dasselbe gewendet habe, und fordert binnen 14 Tagen über die Bewandtniß dieser Angelegenheit Bericht ein.)


 

[Fol. 12.]


 

Von GOTTES Gnaden, Friedrich August, König in Pohlen, Hertzog zu Sachßen, Jülich, Cleve Berg, Engern und Westphahlen. Churfürst.


 

Würdige, Hochgelahrte, lieben andächtige und getreue; Welchergestalt bey Uns Unser HoffComponist, Johann Sebastian Bach, sich über den jetzigen Rectorem bey der Schule zu St. Thomae in Leipzig, M. Johann August Ernesti, daß er ohne seine Concurrenz die Praefectur und zwar mit einem Subjecto, welches in musicis sehr schlecht erfahren, zu besezen sich nicht entblödet, und alß er bey der Gewahrwerdung deßen Schwachheit, und [910] der daher in der Music entstandenen Unordnung sich genöthiget gesehen, eine Änderung vorzunehmen, und an deßen statt ein geschickteres Subjectum zu erwehlen, gedachter Rector Ernesti seinem Vorhaben sich nicht allein opponiret, sondsern auch, zu seiner größten Bekränckung undProstitution, denen sämmtlichen SchulKnaben incoetu publico sub poena Baculationis untersaget, seinen Veranstaltungen Parition zu leisten, sich beschweret, und was er solchemnach gehorsamst gebethen, das weiset der Inschluß.

Wir begehren darauf hiermit, ihr wollet, auf solche Beschwerde, nach Befinden, die Gebühr verfügen. Daran geschieht Unser Meynung. Dat. Dreßden, am 17. Decbr. 1737.

Jacob Fridrich Schilling

Andreas Heinrich Beyer


 

den Hoff componisten Bachen betr.


 

[Adresse:]

Denen Würdigen und Hochgelahrten, Unsern lie- |ben andächtigen und getreuen Verordneten des |Consistorii zu Leipzig.|


 

Einkom. den 1. Febr. 1738.


 

[Fol. 13.]


 

prs. den 29. Oct. 1737.

Praes. d. 13. Dec. 1737.


 

Aller-Durchleuchtigster, Großmächtigster König und Churfürst Allergnädigster Herr,


 

Daß Ew. Königl. Maiest: aus allerhöchsten Gnaden mir das Praedicat Dero Hoff-Componisten angedeyhen laßen, solches venerire Zeit Lebens mit allerunterthänigstem Dancke. Gleichwie nun dahero Ew. Königl. Maiest. allergnädigste Protection ich mir in allertiefster Zuversicht zueigne, so unterwinde mich auch, um selbige bey meinen iezigen Bedrückungen allergehorsamst anzusuchen.

Es haben meine Vorfahren, die Cantores bey der Schule zu S. Thomae alhier iederzeit nach der hergebrachten Schul-Ordnung das Recht beseßen, diePraefectos bey denen Choris Musicis zu ernennen, und dieses aus der gegründeten Ursache, weil sie am sichersten wißen können, welches Subjectum am allertüchtigsten zu gebrauchen, und dieses Praecipuum habe ich auch geraume Zeit und ohne Jemandes Contradiction genoßen;

Nichts destoweniger aber hat sich der ietzige Rector, M. Johann August Ernesti nicht entblödet, mir iüngsthin ohne meine Concurrenz die Praefectur und zwar mit einem Subjecto, welches in musicis sehr schlecht erfahren, zu besezen; Und als ich bey Gewahrwerdung deßen Schwachheit, und der daher in der Music entstandenen Unordnung mich genöthiget sahe, eine Änderung vorzunehmen und an deßen statt ein geschickteres Subjectum zuerwehlen, so hat gedachter Rector, Ernesti, meinem Vorhaben sich nicht allein stracklich opponiret, sondern auch zu meiner größten Bekränckung und Prostitution denen sämtlichen Schul-Knaben in [911] coetu publico sub poena baculationis untersaget, meinen Veranstaltungen Parition zu leisten. Ob ich nun wohl meine wohl fundirtePraerogative bey dem alhiesigen Magistrat in der Beyfuge sub A. zu mainteniren gesuchet, auch das Königl. Consistorium allhier um Satisfaction der mir angethanen Injurien sub B. imploriret, so ist dennoch vom letztern gar nichts, vom erstern aber die abschrifftlich beigefügte Weisung sub. C. erfoget. Dieweilen aber, allergnädigster König und Herr, von den Rathe alhier nach der inducirten Beyfuge meine sonst gehabte Gerechtsame gänzlich abgeschnitten und sieh auf eine neuerlich Anno 1723 errichtete Schul-Ordnung bezogen wird, die mich aber hauptsächlich um deswillen nicht binden kan, weilen selbige von dem hiesigen Consistorio, wenn sie anders gültig seyn wollen, niemahlen confirmiret worden;

Als ersuche Ew. Königl Majest. ich in allertieffster Unterthänigkeit

1) dem allhiesigen Rathe, daß er mich in meinemjure quaesito ratione der zuernennenden Praefectorum Chori Musici ungekränckt erhalten, und dabey schüzen solle, und

2) Dem Consistorio alhier allergnädigst anzubefehlen, den Rector Ernesti zu einer Abbitte der mir angethanen Beschimpffung anzuhalten, auch sodann sonder Maßgebung dem Superintendenten, D. Deylingen aufzutragen, den ganzen coetum dahin anzumahnen, daß die sämtlichen Schul-Knaben mir den sonst gehörigen Respect und Obedienz erzeigen sollen. Diese allerhöchste Königl. Gnade erkenne mit unsterblicher Danck Begierde und beharre in allertiefster Submission

Ew. Königl. Majestät

allerunterthänigster

allergehorsamster

Johann Sebastian Bach.

Leipzig

den 18ten Octobris

1737.


 

Dem Allerdurchleuchtigsten Großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich Augusto, König in Pohlen, Groß-Herzog in Litthauen, Reußen, Preußen, Mazovien, Samogitien, Kyovien, Vollhinien, Podolien, Podlachien, Lieffland, Smolenscien, Severien und Czernienhovien, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve, Berg, Engern und Westphalen, des heiligen Römischen Reichs Ertz-Marschall und Churfürsten, Landgraffen in Thüringen, Marggraffen zu Meißen, auch Oberund Nieder-Lausiz, Burggraffen zu Magdeburg, Gefürsteten Graffen zu Henneberg, Graffen zu der Marck, Ravensberg und Barby, Herrn zu Ravenstein,

Meinem allergnädigsten Könige, Churfürsten und Herrn.31


 

(Fol. 22. In Folge des Königl. Rescripts fordert unter dem 5. Febr. 1738 das Consistorium Deyling und den Rath unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 28. Aug. 1737 nochmals energisch zum Bericht binnen 14 Tagen auf. Der am 28. Aug. 1737 geforderte Bericht war demnach nicht erfolgt.)

 

[912] (Zu S. 599.)


 

Des Königlichen Hoff-Compositeurs und Capellmeisters ingleichen

Directoris Musices wie auch Cantoris der Thomas-Schule

Herrn Johann Sebastian Bach

zu Leipzig

Vorschriften und Grundsätze zum vierstimmigen

spielen des General-Bass oder Accompagnement

für

seine Scholaren in der Music.

1738.32


 

12.


 

Kurtzer Unterricht von den so genannten General Bass.


 

 

Die Signaturen so in General Bass vorkommen sind folgende Neune nehmlich: 2. 3. 4. 5 ~. 5. 6. 7. 8. 9.

Diese werden eingetheilet in Consonantien und Dissonantien. Viere davon sind Consonantien, nehmlich


 

3. 5. 6. 8.


 

Diese werden wieder eingetheilet in perfectas undimperfectas.

Consonantiae perfectae sind33: Quinta und Octava, und imperfectae sind zwo nehmlich: Tertia undSexta.

Die übrigen Fünffe sind Dissonantien, nehmlich:


 

2. 4. 5 ~. 7. 9.


 

Wenn gar keine Zahl oder Signatur über der Bass Note stehet, so greifft man den Accord welcher bestehet aus 3. 5. und 8.

[913] Man mus aber nicht im Accord zweymahl die 5 und 8 nehmen, daß sie oben zu liegen kommet sonst folgen 5ten und 8ven auf einander welches die grösten Fehler in der Musique seyn.

NB. Man gehet vice versa.

Zuweilen findet man auch eine 3. 5. und 8 über einer Note, dieses bedeutet ordinair den Accord welches auch also zu verstehen, daß 3. 5. und 8 oben genommen werde.

Nun folgen solche Signaturen darzu die tertia gegriffen wird.


 

12.


 

NB. Damit man nebengesetzte Regel nicht memoriren darff so mercke man nur folgendes. Zu allen 6 und 7. sie mögen allein oder bey andern Signaturen stehen, wird allezeit eine 3 gegriffen.

Ausgenommen zur 12., so sich in 12. resolvirt wird eine 8 gegriffen wie unten zu sehen.

Leipzig d. 13. Sept, 1736.

Zur 12. wird weiter nichts gegriffen.

Nun folgen solche Signaturen die sich allezeit inordinair Accords Griffe resolviren.


 

12.


 

NB. Damit man die Regel ebenfalls nicht memoriren darf, so mercke man folgende.

Die jenigen Accords Griffe so in der resolution fehlen, werden zur vorhergehenden Signatur gegriffen.

[914] Nun folgen solche Signaturen welche jede insonderheit müssen memorirt werden.

Zur 12. wird die 6 gegriffen.

12. wird ebenfals die 6 gegriffen.

~7 wenn vor den Fundament auch noch ein € stehet wird 3 und 5 gegriffen.

Zur 5 ~ wird auch die 6 gegriffen.

Ein € oder ? bedeutet das man die 3tia majorem und ein ~ das man die 3tiam minorem greiffen soll.

Die 43. 5 ~. 12.. 7 und 9 müssen

1) ordentlicher Weise schon im vorhergehenden Griffe liegen

2) In selbiger Stimme liegen bleiben

3) eine Stuffe unterwärts resolviret werden.


 

Gründlicher Unterricht des General-Basses.

Cap. 1.


 

Von der Etymologia.


 

Das Wort Bassus wird derivirt oder hergeleitet von dem Grichischen Wort βάσις, welches so viel bedeutet als der Grund oder Fundament eines Dinges. Andere führen es her von dem alten Lateinischen WortBassus welches soviel heissen soll als profundus tief. Wann nun das Wort allein genommen wird, so wird dardurch die Grund Stimme in der Music verstanden oder ein jeder Bass welcher den tieffen Thon hält, es werde gleich dieser Thon gesungen oder auf einen Violon, Fagott, Posaun. etc. gespielt.

Wann aber gesagt wird General-Bass, so verstehet man dardurch einen solchen Bass, der auf der Orgel oder auf einen Clavier mit beyden Händen zugleich gespielet wird also das alle oder die meisten Stimmen der Music, generaliter oder zugleich gespielet werden, oder insgemein in dieser einiger zusammen klingen. Er heist auch Bassus Continuus oder nach der Italiänischen Endung Basso contin[u]o, weil er continuirlich fortspielet, da mittels die andern Stimmen dann und wann pausiren; wie wohl auch heut zu tage dieser Bass zum öfftern pausiret, sonderlich in künstlich gesetzten Sachen.


 

Cap. 2.


 

Von der Definition.


 

Der General Bass ist das vollkommste Fundament der Music welcher mit beyden Händen gespielet wird dergestalt das die lincke Hand die vorgeschriebenen[915] Noten spielet die rechte aber Con- und Dissonantien darzu greift damit dieses eine wohlklingende Harmonie gebe zur Ehre Gottes und zulässiger Ergötzung des Gemüths und soll wie aller Music, also auch des General Basses Finis und End Uhrsache anders nicht, als nur zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths seyn. Wo dieses nicht in Acht genommen wird da ists keine eigentliche Music sondern ein Teuflisches Geplerr und Geleyer.


 

Cap. 3.


 

Von denen Clavibus Signatis so im General Bass vorkomen.


 

Allerley Arten von denen Clavibus Signatis siehet man im General Bass, als Discant. Alt. Tenor etc. Ich will die gewöhnlich und die gebräuchlichsten ordentlich hersetzen. 1) ist das französische Violin Zeichen welches auf die unterste Linie also gezeichnet wird 12. und das eingestrichene ḡ ist. 2) DeutschesViolin Zeichen wird auf die ander Linie durch obiges Zeichen also 12. angedeutet34. 3) Discant oder Cantus ist denen Sängern ein gemeines Zeichen wird also 12. auf die unterste Linie gesetzt und ist das eingestrichene /. 4) gemeiner Alt ist auf der mittleren Linie 12. und ebenfals das eingestrichene /. 5) Tenor auf der Vierten Linie 12. und ebenfals dasjenige /. 6) gemeiner Bass auf der Vierten Linie 12. [so] einen solchen Clave andeutet, und ist das ungestrichene f35. 7) Insgemein ist zu observiren das Zeichen 12. ist allenthalben wo es stehet das eingestrichene ḡ. Das Zeichen 12. ist allenthalben, wo es auch stehet, das eingestrichene /. Dies 12. 36 bedeutet allezeit das ungestrichene f.

NB. Wenn ausser diesen höhere Claves im General-Bass vorkommen, so nennt man es Bassetgen.


 

[916] Cap. 4.


 

Von den Tact oder Mensur.


 

Davon soll alhier nicht viel worte gemacht werden, denn es wird praesupponirt daß derjenige so den General Bass lernen will nicht allein vorhin die Noten kennen sondern auch die Intervalla entweder durch vorige Übung oder sonst durch andern Vorschmack der Music nach ihrer Distans verstehen, und den Unterschied des Tacts wissen muss. Denn niemand wird einen so gleich den Tact wissen beyzubringen. Dieses aber mus man wissen das heutiges Tages ein schlechter Tact auf zweyerley Manier gezeichnet wird als 12. die andere Art wird gebrauchet von denen Franzosen in solchen Stücken welche sollen geschwind und frisch gehen und die Teutschen thun es den Franzosen nach. Sonsten bleiben die Deutschen und Italiener meistentheils zumahl in geistlichen Kirchen Sachen bei der ersten Art, und führen einen langsamen Tact. Soll es geschwind gehen so setzet derComponist ausdrücklich darzu Allegro oder presto; soll es langsam gehen wird es mit darunter gesetz[t]en Adagio oder Lento angedeutet.


 

Cap. 5.


 

Von der Triade Harmonica.


 

Die Trias Harmonica hat eigentlich ihren usum in der Composition weil eben der General Bass ein Anfang ist zum componiren ja würcklich wegen zusammen Stimmung der Con und Dissonantien eine Composition extemporanea mag genennet werden welch derjenige macht so den General Bass schlägt so soll auch dieses Orts hievon meldung geschehen. Wann sich im übrigen ein Lehrbegieriger solchen wohl einbildet und ins Gedächtniß präget so darf er versichert seyn das er schon ein großes Theil der gantzen Kunst begriffen habe. Die Trias Harmonica aber ist eine zusammen verknüpfung der Tertz und Quint welche zu einer Fundament Note gesetzt werden welches durch alle Ton beydes in dur und moll kan geschehen.


 

12.


 

37


 

und so weiter durch alle Tone heist sonst Radix Harmonica, weil alle Harmonie aus derselben entspringt. Ferner ist diese Trias Harmonica entweder simplex oder aucta. 1.) Radix simplex ist die schlechte und eigentliche [917] so genannte Trias bestehet nur in 3 Tonen nach der Anweisung des vorigen Exempels. 2.) Radix aucta oder vermehrte Trias hat zum Gefehrten dieOctav als zusehen


 

12.


 

Cap. 6.

Etliche Regeln wie man den General Bass durchgehends mit 4 Stimmen spielen soll.


 

Regula 1.


 

Den vorgeschriebenen General Bass spielt man mit der linken Hand allein, die andern Stimmen aber sie mögen durch Zahlen angedeutet seyn oder nicht mit der rechten.


 

Regula 2.


 

Zu denen meisten Zahlen wird die Tertz mit genommen wo es nicht express darüber geschriebeneSecund oder Quart verhindert.


 

Regula 3.


 

Zwey 5ten und 2. Octaven müssen nicht auf einander folgen denn solches ist nicht nur ein vitium sondern es klingt übel. Solches zu vermeiden, ist eine alte Regel daß die Hände allezeit gegen einander gehen müßen daß wenn die linke hinauf steiget die rechte herunter geht, und wiederum wenn die rechte hinauf steigt die linke herunter geht.


 

Regula 4.


 

Der vortheil ist zwey Quinten und zwey Octaven zu vermeiden und verhüten daß man die 6te mit zu Hülfe nimmt und damit Umwechselung hält.


 

Regula 5.


 

Die Zahlen, die oben übereinander stehen werden zugleich geschlagen was aber nach einander stehet wird auch nach einander geschlagen.


 

Cap. 7.

Wie man schlagen soll wenn keine Zahlen über denBass geschrieben sind.


 

Wenn nichts über den General Bass gezeichnet stehet so greifft man nicht mehr als Consonantien nehmlich Tertia Quinta und Octava zum Exempel es stünde ein Bass auf solche Art:


 

12.


 

[918] So spielt man mit der rechten Hand die Consonantien dazu. e, g.


 

12.


 

Aber man ist nicht schuldig oder gezwungen allezeit auf einerley zu bleiben sondern man kan die unterste Stimme zur obersten oder zum Discant machen. So spielet man den vorhergehenden Bass darzu zumExempel also:


 

12.


 

Die mittelste Stimme giebt wieder eine andere Veränderung und sind doch einerley Noten.


 

12.


 

Damit man aber sehen möge wie Quinten und Octaven wenn deren zwey oder mehr auf einander folgen sich nicht zusammen schicken, sondern übel klingen, ob sie gleich perfecte Consonantien sind soll folgendes Exempel zur Nachricht dienen.


 

12.



 

[919] Cap. 8.


 

Regeln von denen Zahlen die sich über den Noten befinden.


 

Regula 1.


 

Das Zeichen € wenn es über einer Note stehet zeigt die tertiam majorem an auch gelten diejenige Creutze die gleich in Anfange gezeichnet stehen von dem Bass auch in dem Discant gleicher maassen. Zum Exempel wenn über dem A ein solches € stehet, muss darzu die tertia major nehmlich cis gegriffen werden, ingleichen das € in c gezeichnet ist da man sonsten his absentibus nur c nehmen muß. Und so verhält es sich mit dem ~ nehml. wo das ~ über einer Noten stehet muß die tertia minor genommen werden welches wohl zu observiren ist.


 

Regula 2.


 

Wird also alles Summatim mit € major und was mit ~ gezeichnet minor oder das erstere dur das andere moll genannt.


 

Regula 3.


 

Wenn über einer Note stehet die Zahl 6. so bedeutet es die Sext. das ist ich muß von den Fundament oder Note ob welcher sie stehet anfangen zu zehlen, und den 6ten Claven anschlagen. Zu solcher wird entweder die Tertz oder Sext verdoppelt bißweilen dieOctav darzu genommen zu mahl wenn immediate eine Note folgt und mit 12. bezeichnet ist. e.g.


 

12.


 

Regula 4.


 

Wo Quint und Sext nach einander kommen so soll die Quint zuvor liegen die Tertz und Octav wird alsdenn darzu genommen und die Sext nachgeschlagen ist es aber umgekehrt das die Sext vor die Quint stehet so liegt nichts sondern wird gespielt wie es geschrieben steht i.e. man nimt 8. 3. 6. die 5 nachgeschlagen man kan auch die Sext verdoppeln und nur die 3 darzu nehmen. e.g.


 

12.


 

12.


 

[920] Regula 5.


 

Wann 5 und 6 über einer Note stehet so muss die 5 zuvor liegen die 3 und 6 wird dazu geschlagen. e.g.


 

12.


 

38, 39


 

Regula 6.


 

Wenn Quart und Tertz bey einander stehen so muß die Quart allezeit liegen die Tertz wird nachgeschlagen die Quint und Octav muß mit genommen werden sie mögen darüber gezeichnet seyn oder nicht das liegen und zuvor liegen bedeutet so viel wenn ich nehmlich in der rechten Hand im Discant eine Note zumBass gegriffen habe und eben dieselbe Note bey dem nachfolgenden gezieferten Bass Clave in der rechten Hand liegen bleibt


 

12.


 

40


 

[921] Regula 7.


 

Wann Secund und Quart 12. über einer Note stehet so wird ordentlich die 6 auch darzu genommen wenn es gleich nicht darüber stehet. 12. wird allezeit frisch angeschlagen wann das Fundament liegen geblieben, 12. resolvirt sich aber 12. wenn der Bass in ein halbes Intervallum rückwärts geht, wie aus folgenden Exempel zu sehen ist


 

12.


 

41


 

Regula 8.


 

Wo die falsche Quint ( ~5) stehet muß solche allezeit erst liegen die 3 und 6. sie mögen darbey stehen oder nicht, müssen zugleich mit geschlagen werden als dieses folgende Exempel zeigt.


 

12.


 

42


 

Wo Cadentz Clauseln stehen als die 12. oder auch 12. so nennet man selbige Syncopationes weil sie gleichsam verbunden und verwickelt, biß weilen werden sie auch einfach 3443 gesetzt aber doch völlig gespielet wie folget


 

12.


 

[922] Wo geschwinde und geschwänzte Noten und zwar deren viel in General Bass auf einander folgen bedarf es eben nicht aller Noten sondern der eines halben oder Viertel schlags, die andern Noten werden Durchläuffer genannt, weil sie gleichsam hindurch schleichen.


 

12.


 

43


 

Cap. 9.


 

Regula 1.


 

Wo die Septima alleine stehet, so muß solche vorher liegen und wird die 3 und 5 oder 3 und 8 auch manchmahl die 3 verdoppelt darzu genommen.


 

12.


 

44


 

Regula 2.


 

Wo Septima und Sexta neben einander stehen so muß die Sept zuvor liegen, sodann entweder die 3. oder 8. oder die 3. verdoppelt darzu genommen und endlich die Sext sie mag dur oder moll major oderminor seyn nachgeschlagen werden.


 

12.


 

[923] 45


 

Regula 3.


 

Wo Nona und Octava neben einander stehen so muß die 9. zuvor liegen die 8. wird nachgeschlagen, und kann man die 3. und 5. zur Nona greiffen.


 

Regula 4.


 

Wann 9 und 7. 8 und 6 12. über einander stehen so muß die 7. und 9. schon liegen, die 3. mus dazu genommen werden, alsdann die 6 und 8. nachzuschlagen.


 

Regula 5.


 

Bisweilen kommen auch die Zahlen Nona und Undecima, Octav und Decima also vor 12., zu dieser wird die 5 genommen auch muß 12. liegen, 12. wird nachgeschlagen. Das übrige welches mit Worten nicht so deutlich kan ausgedrücket werden sollen die letzt angesetzten Exempel zeigen.

 

Damit aber alles bisher gesagte noch vollkommener in das Gedächtniß kommen möge soll solches mit Worten und Exempeln angezeiget werden, und davon soll handeln


 

Cap. 10.

Exemplum 1.


 

Wann keine Zahl über einer Note stehet so wird nichts als der bloße Accord so in 3. 5. und 8 bestehet angeschlagen, jedoch muß dabey wohl observiret werden daß allezeit wann die rechte Hand herunter gehet so muß die linke hinauf gehen und wann die linke herunter die rechte hinauf gehe. Dieses wird dermotus46 contrarius genennet auf diese weise kan man sich vor die vielen aufeinander folgenden Quinten und Octaven hüten. e.g.


 

12.


 

12.


 

[924] 47


 

Exemplum 2.


 

Wann die 4. über einer Note stehet so muß sie aus dem vorhergehenden griffe schon liegen, die 5 und 8 wird alsdann darzu genommen. Darnach wird die 4. in die 3 resolviret.


 

12.


 

48, 49, 50


 

[925] Exemplum 3.


 

Wann 7. 6. über einer Note stehen so muß die 7. in den vorher gehenden Griffe schon liegen und wird die 3. und 5. oder 3. und 8. auch manchmahl die 3. verdoppelt darzu genommen und die liegende 7. wird in die 6. resolviret.


 

12.


 

51, 52, 53


 

Exemplum 4.


 

Wann 9 und 8 über einer Note stehet, so muß die 954 aus den vorhergehenden Griffe schon liegen, darzu wird die 3. und 5 genommen und die 9. in 8 resolviret.


 

12.


 

12.


 

[926] 55


 

Exemplum 5.


 

Wann 12. oder 12. über eine Note stehet so müssen 12. oder 12. schon liegen und wird dazu die 5 genommen in die 12. oder 12. resolviret. Dann die 9 ist soviel als die 2. und die 10 so viel als die 3. Die 11 ist so viel als die 4 und die 12 so viel als die 5.


 

12.


 

56, 57


 

12.


 

[927] Exemplum 6.


 

Wann 12. oder 12. oder 2 oder 4. über einer Note stehet, so muß der Bass allezeit durch die vorhergehende Note liegen, und 12. wird in die rechte Hand genommen und resolviret meistens in 12. wenn der Bass einen halben oder gantzen Thon zurück steiget.


 

12.


 

58


 

[928] Exemplum 7.


 

Wann 6. und 5. neben einander über einer Note stehen so werden dieselben nach einander angeschlagen und entweder die 8 darzu genommen, oder die 3 oder 6. verdoppelt, stehen sie aber über einander so wird die 3. darzu genommen und zugleich angeschlagen.


 

12.


 

59, 60


 

Exemplum 8.


 

Wann die Note vorkommet welche die 3. zu demAccord, daraus das componirte Stück gehet formiret, so muß allezeit die 6 dazu angeschlagen werden sie mag darüber stehen oder nicht es sey denn das eine andere Cadenz aus einen andern Thone daraus erfolget. E.G.

Wann etwas aus dem C. gehet so muß die 6 allezeit über dem E stehen wann es aus dem A. gehet so muß die 6 über dem C. stehen.


 

12.


 

12.


 

[929] Mehrere Erleuchterung zu geben sind folgende Exempel ausgesetzet worden.


 

12.


 

61, 62


 

12.


 

[930] 63, 64, 65


 

12.


 

[931] 66, 67, 68


 

12.


 

69, 70, 71



 

12.



 

12.



 

12.


 

[934] 72, 73, 74, 75, 76, 77


 

12.


 

78



 

12.


 

[935] 79, 80, 81



 

12.


 

[936] 82



 

12.


 

[937] 83, 84, 85


 

12.


 

86, 87



 

12.


 

[938] 88



 

12.


 

[939] 89, 90


 

12.


 

91, 92, 93



 

12.


 

[940] 94, 95, 96



 

Grundsätze zum [941] Enquatre Spielen.

 

1. Die 6. Consecutive unterwärts.


 

12.


 

[942] Man kann zur ersten 6 die 6te dupliren zur andern aber die 8 nehmen und bis zu Ende Continuiren.

2. Die 6. Consecutive aufwärts.


 

12.


 

Zur ersten 6 kann man die 8 nehmen zur andern aber die 6 dupliren.

3. Die 5. 6. Consecutive.


 

12.


 

Man mus mit der rechten Hand fein hoch anfangen und per motum97 contrarium gehen bey der 6 nehme man die 8.


 

12.


 

12.


 

[943] Man kann die 6 dupliren oder man kan auch die 8 darzu nehmen, NB. daß die 3 allezeit oben liegt.

5. Die 7. 6. Consecutive. NB. Die Dissonantien werden niemahls duplirt.


 

12.


 

Man kann zur 7 die 5 und zur drauf folgenden 6 die 8 nehmen auch kann die 6 dupliret werden. Wenn einCasus käme das die 5 nicht könnte zur 7 gegriffen werden so kann man auch die 8 nehmen.

6. Die 7 so sich in tertiam resolvirt. Diesen Satz Enquatre zu traetiren kan man zur 7 die 5 oder die 8. nehmen.


 

12.


 

[944] 98


 

7. Die 7 die sich in tertiam resolvirt so daß aus der 3 die zur 7 gegriffen eine neue 7 formirt wird und socontinuirt.


 

12.


 

12.


 

12.


 

[945] Man kann zur ersten 7 die 5 oder 8 nehmen nimmt man zur ersten 7 die 5 so mus zur ander 7 die 8 genommen werden et vice versa.

8. Die 12. resolvirt in 3. Dieser Satz ist an sich selbst 4 Stimmig.


 

12.


 

Das man zur vorhergehenden 6 die 8 nehme den wenn die 6 dupliret wird so folgen allemahl zwey 5 auf einander und so auch mit den folgenden Sätzen.

9. Die 5 ~ so oft es dieser Gang zu giebet hat gemeinschaft mit den obigen.


 

12.


 

12.


 

[946] 10. Die 4. 3.


 

12.


 

12.


 

Durch Hülffe dieser 12. können auch unterschiedliche ander Signaturen gebrauchet werden (nehmlichConsecutive) und durch die Clausulas cognatas durchgeführet werden als die 4. 3.

[947] 11. Die 9 so sich in 8 resolviret kann auch schön durch die 12. continuiret werden.


 

12.


 

12.


 

99


 

12. Kann die 12. durch Hülfe der 12. continuiret werden.


 

12.


 

100


 

12.


 

[948] 101, 102


 

An statt der guten 5 kan man auch die 5 ~ wie oben gewiesen worden nehmen und kann man deswegen doch die 12. sowohl jede besonders als beyde zugleich anbringen.

13. Die 12. so sich in 6 resolviret.


 

12.


 

103, 104


 

14. Die 12. noch auf eine andere Art anzubringen.


 

12.


 

12.


 

[949] 105


 

Die gebräuchlichsten Clausulas106 finales.

12.


 

107, 108

 

[950] (Zu Seite 599).


 

 

Einige höchst nöthige Regeln vom General Basso di J.S.B.

(Aus Anna Magdalena Bachs Clavierbuche von 1725.)

Scalae. Die Scala der 3 maj. ist, tonus, 2da ein gantzer Ton, 3 ein gantzer, 4 ein halber, 5 ein gantzer, 6 ein halber Ton, 7 ein gantzer ton, 8va ein gantzer Ton; die Scala der 3 min: ist, tonus, 2da ein gantzer Ton, 3 ein halber, 4 ein gantzer, 6 ein halber, 7 ein gantzer, 8va ein gantzer Ton; hieraus fließet folgende Regull:

die 2te ist in beyden Scalis groß; die 4 allezeit klein, die 5 und 8va völlig, und wie die 3. ist so sind auch 6. und 7.

Der Accord besteht aus 3 Tonen, nehmlich 3 sie sey groß oder klein, 5. und 8. als, c.e.g. zum c.


 

(Auf den folgenden 3 Seiten stehen von Bachs eigner Hand geschrieben:)

»Einige Reguln vom General Bass.

1) Jede Haubt Note hat ihren eignen Accord; er sey nun eigenthümlich, oder entlehnet.

2) Der eigenthümliche Accord einer fundamental note bestehet aus der 3. 5. und 8. NB. Von diesen dreyen specibus [so!], läset sich Keine weder die 3. ändern, als welche groß und klein werden kan, dahero major und minor genennet wird,

3) Ein entlehnter Accord besteht darinnen, wenn über einer fundamental note andere species, als dieordinairen befindlich.


 

666579

als:4,3,5,4,5,7,etc:

263833


 

4) Ein # oder ~. über der Note allein, bedeutet daß durchs #. 3. major und durchs ~. 3 minor zu greifen sey, die andern beyden species aber firm bleiben.

5) Eine 5. alleine, wie auch die 8. alleine wollen den gantzen Accord haben.

6) Eine 6. alleine, wird begleidet auff dreyerley arth: Als 1) mit der 3. und 8, 2) mit der doppelten 3. 3) mit vertoppelter 6. und 3. NB! wo 6 maj: und 3.minor zugleich über der note vorkommen darff man ja nicht die 6. wegen übellautes dupliren; sondern muß an statt deren die 8. und 3 darzugegriffen werden.

7) 2 über der note wird mit verdoppelter Quint accompagniret, auch dann und wan mit der 4 und 5 zugleich; nicht selten zuweillen [hier scheint Bach noch etwas haben hinzusetzen zu wollen, worauf auch ein leerer Raum hindeutet].

8) Die ordinare 4. zu mahl wenn die 3. darauf folget, wird mit der [951] 5. und 8 vergesellschaft. ist aber durch die 4 ein strich, so greifet mann 2. und 6. darzu.

9) Die 7. wird auch auf 3 erley arth accompagn: 1) mit der 3. und 5. 2) mit der 3. und 8. 3) wird die 3.dupliert.

10) die 9 scheinet zwar mit der 2. eine Gleicheit zuhaben, und ist auch an sich selbst die verdoppelte 2. alleine dieses ist der Unterschied daß gantz ein ander accomp: darzu gehört nemlich die 3, und 5. dann und wann auch statt der 5 eine 6. aber sehr selten.

11) Zu 13. greiffet man die 6. auch zuweilen statt der 6. die 5.

12) Zu 13. wird 8. gegriffen, und die 4 resolvieret sich unter sich in die 3.

13) Zu 13. greiffet man die 3; sie sey nun major oderminor.

14) Zur 13. greiffet man die 3.

15) Zur 13. gehöret die 3.

Die übrigen Cautelen, so man adhibiren muß, werden sich durch mündlichen Unterricht beßer weder schriftlich zeigen.«

 

[952] Joh. Phil. Kirnbergers Erläuterungen zum dritten Theil der »Clavierübung«109.


 

(Zu Seite 613.)


 

Entwickelung

 

einiger in Herrn. Joh. Seb. Bachs Liedern vorkommenden Ausweichungen und Transpositionen.

Auf der 30sten Seite der Bachschen Liedersammlung befindet sich das Lied:


 

Dieß sind die heil. 10 Gebot'.

Dieses Lied ist Mixolydischer Tonart, mithin G dur ohne fis und statt deßen f. In das F kann man in diesem Modo ordentlich ausweichen, welches weder in der Lydischen Tonart |: unser F: | noch in der Jonischen Tonart |: unser C dur :| angeht, weil dessen Untersecunde vom Hauptton nur um einen halben Ton statt einen ganzen tiefer ist; überdem ist auch in C dur kein B und in F dur kein ~E als Untersecunde, denn C dur hat H, und F dur hat E als wesentliche Untersecunde.

Vom 25ten zum 26ten Takte ist nach F dur ausgewichen, und bleibt in F dur bis zum 36 Takte.

Anmerkung. Gewöhnlicherweise gehet man in einem Dur Modo es [952] sey Jonischer oder Lydischer Tonart in die Oberquinte mit der großen Terz als von C dur nach G dur, und von F dur nach C dur.

In der Mixolydischen Tonart |: unser G :| darf man nicht vom Hauptton G dur in deren Oberquinte D dur gehen, sondern man muß vielmehr den Uebergang nach D moll machen, weil F in der Mixolydischen Tonleiter die eigentliche Terz von D ist.

Die Ausweichung nach D moll geschieht in diesem Liede vom 39 zum 40ten Takte.

Anmerkung. Weil der Mixolydische Modus kein Untersemitonium zum Leitton hat, folglich auch keinen Oberdominanten-Accord mit der großen Terz, durch welchen ein Hauptschluß gemacht werden könnte: so wird am Ende mit dem Dreiklange von der Unterdominante zum Hauptton geschloßen; als


 

14.


 

Die Ausweichung nach D moll auf der 35 Seite [Takt 1–19] mixolydischer Tonart, kömmt in verschiedenen Stellen vor, und am Ende wird in der Baßstimme von C nach dem Hauptton G der Schluß gemacht.

Das Lied: Wir gläuben all an einen Gott etc. auf der 37 Seite ist dorischer Tonart, und in seinem eigentlichen Ton D moll gesetzet, in welchem die große Sexte H wesentlich und die kleine Sexte B zufällig ist.

Seite 39 ist eben dieses Lied in dem nämlichen Modo anzutreffen, allein um einen Ton höher ins E transponirt; und um diesen Modum zu erhalten ist vor c ein €, so daß eben so, wie vom D die große Sexte H war, hier cis die große Sexte von E wird; ohngeachtet gewöhnlicher weise nur fis in der Vorzeichnung beim E moll vorkömmt.

Der folgende Choral: Vater unser im Himmelreich ist auch dorischer Tonart ins E transponirt, welches an dem vorgezeichneten Zeichen Cis kenntbar wird.

Seite 46 ist eben dieses Lied in seinem eigentlichen Tone D ohne B gesetzet, nämlich mit der großen Sexte H vom Hauptton D.

Das Lied Seite 47: Christ unser Herr zum Jordan kam etc. ist auch dorischer Tonart; aber um einen Ton tiefer ins C transponirt, welches sogleich am Anfange an der Vorzeichnung zu ersehen ist. Denn gewöhnlich ist in C moll ein ~ vor H, E und A: hier ist aber A die natürliche wesentliche große Sexte, und A mit ~ vorgezeichnet als ~A die kleine Sexte vom Hauptton zufällig.

Eben dieser Choral ist Seite 50 in der dorischen Tonart in seinem eigentlichen Tone D gesetzet. Er schließt am Ende nicht im Hauptton, sondern in deßen Oberdominante A mit der großen Terz cis.

Das Lied: Aus tiefer Noth schrei ich zu dir etc. Seite 51 ist phrygischer Tonart E mit der kleinen Terz, mithin moll.

Anmerkung. Dieser Modus zeichnet sich von den zwei andern Molltonarten als dorisch und aeolisch, darin aus, daß deßen Obersecunde vom Hauptton eine kleine Secunde ist; als E F; wohingegen im Dorischen D E und im Aeolischen A H große Secunden sind.

Die beiden letzten Tonarten als D moll und A moll unterscheiden sich [953] wieder darin von einander, daß man von der dorischen Tonart ins E moll ausweichen kann, weil dieses E eine zum weichen Dreiklang gehörige kleine Terz und perfekte Quinte von E G H hat.

Von A moll |: äolisch :| kann man nicht ins H ausweichen, weil das H keine perfekte Quinte in seiner Scala hat.

In der dorischen Tonart kann man nicht um einen halben Ton höher ins ~E dur, in der aeolischen nicht um einen halben Ton höher ins B dur ausweichen, wohl aber im Phrygischen von E ins F dur.

Eben dieser Choral ist Seite 54 in dem nämlichen Modo gesetzet, aber um einen ganzen Ton höher ins Fis statt E transponirt.

Die in der Vorzeichnung vorkommenden Töne geben die phrygische Tonart zu erkennen, denn eigentlich hat ein Moll Modus ein Fis Gis vorgezeichnet, hier ist gleichwol G und dieses fis verhält sich zu G wie sich E zu F verhält.

Das Lied: Jesus Christus unser Heiland Seite 56 ist gleichfalls dorischer Tonart. Seite 60 ist der nämliche Choral ins F transponirt.

Anmerkung. An der Vorzeichnung erkennet man die dorische Tonart, weil vor D kein ~ steht, sondern hier d die wesentliche große Sexte von F ist: Kommt hingegen D mit ~ vorgezeichnet vor, so ist es als kleine Sexte vom Haupttone zufällig.

 

[954] Verzeichniß der Kinder Bachs aus zweiter Ehe.


 

(Zu Seite 752.)


 

 

1. Christiane Sophie Henriette, geb. im Sommer 1723. Von diesem ersten Kinde Bachs aus zweiter Ehe war nur das Datum des Todes aufzufinden. Sie starb, 3 Jahr alt, am 29. Juni 1726.

2. Gottfried Heinrich, getauft den 27. Februar 1724. Pathen: 1) »Herr D. Gottfried Lange, Königl. Poln. Churf. Sächß. Hoffrath und Burge Meister auch Vorsteher der Kirchen zu St. Thom. alhier. 2) Frau Regina Maria, Herrn M. Johann Heinrich Ernesti P.P. und der Schuhlen zu St. Thom. Rector alhier. 3) Herr D. Friedrich Heinrich Graff, der Oberhoffg. Advoc. ordin.« – Begraben den 12. Februar 1763 in Naumburg.

3. Christian Gottlieb, getauft den 14. April 1725. Pathen: 1) »Herr Christiann Wilhelm Ludwig, Churf. Sächß. Geleitsmann alhier. 2) Frau Maria Elisabeth, Herrn Johann Tauberts, Handelßm. Eheliebste stund Frau Johanna Margaretha, Herrn Balthasar Heinrich v. Brincks Handelßmanns Eheliebste. 3) Herr Gottlieb Christiann Wagner. E.E. Raths Güther Bestäter alhier«. – Starb den 21. September 1728.

4. Elisabeth Juliane Friederike, getauft den 5. April 1726. Pathen: 1) »Frau Christina Elisabeth, HerrnAppellation-Rath D. Gottfried Wilhelm Küstners, Des Raths alhier. 2) Herr D. Johann Friedrich[954] Falckner Juris Practicus alhier. 3) Frau Juliana, Herrn D. Carl Friedrich Romani des Raths und Stadt Richters alhier Ehel.«. – Todesjahr unbekannt.

5. Ernestus Andreas, getauft den 30. Oktober 1727. Pathen: 1) »Herr D. Johann Ernst Kregel, Königl. Churf. Sächß. Hoff und Justitien Rath auch Vornehmer des Raths alhier. 2) Frau Magdalena Sibylla, Herrn D. Gottfried Leonhard Baudisii Stadt Richters alhier Eheliebste. 3) Herr D. Andreas Rivinus. Jur.« – Starb den 1. November 1727.

6. Regine Johanna, getauft den 10. Oktober 1728. Pathen: 1) »Frau Anna Magdalena, Herrn Georg Christian Meisßners, Weißenfelsischen Hoff Fourirs Eheliebste st. Jfr. Regina Christina, Herrn M. Joh. Heinrich Ernesti P.P. u. Rectoris zu St. Thom. ehel. Tochter. 2) Herr Johann Caspar Wilcke, Hochfürstl. Anh. Zerbstischer Hoff u. FeldTrompeter auch Cammer und Hoff Musicus. st. Herr Georg Heinrich Ludwig Schwanenberger, Braunschweigischer Cammer Musicus. 3) Frau Johanna Christina, Herrn Johann Andreas Krebsens, Hochf. Anh. Zerbstischer Hoff- und Feld Trompeters auch Cammer und Hoff Musici Ehel. st. Jfr. Johanna Benedicta Herrn M. Joh. Heinrich Ernesti P.P. und Rect. Schol. Thom. ehel. Tochter«. – Starb den 25. April 1733.

7. Christiane Benedicta, getauft den 1.Januar 1730. Pathen: 1) »Jungfer Benedicta, Herrn D. Johann Gottlob Carpzovens P.P. u. Archidiac. zu St. Thom. älteste Jfr. Tochter. 2) Herr D. Christian Gottfried Moerlin, Rechts-Consulent alhier. 3) Frau Catharina Louisa, Herrn Johann Gottlieb Gleditschens, Buchhändlers alhier Eheliebste«. – Starb den 4. Januar 1730.

8. Christiane Dorothea, getauft den 18. März 1731. Pathen: 1) »Jfr. Christiana Sibylla, Herrn Georg Heinrich Bosens, Handelßmanns Tochter. 2) HerrM. Andreas Winckler S.S. Theol. Cand. 3) Frau Christiana Dorothea, Herrn M. Johann Christian Hebenstreits Conr. zu St. Thom. u. P.P. alhier«. – Starb den 31. (30. ?) August 1732.

9. Johann Christoph Friedrich, getauft den 23. Juni 1732. Pathen: 1) »Herr Johann Sigißmund Beiche, Cammer-Commissarius und Amtmann in Pegau. 2) Jfr. Dorothea Sophia, Herrn D. Christiann Weisens, Pastoris zu St. Thom. Tochter. 3) Herr D. Christoph Donndorff, Facult. Jurid. Assessor«. – Starb am 26. Januar 1795.

10. Johann August Abraham, getauft den 5. Novber 1733. Pathen: 1) »Herr M. Johann August Ernesti, Conrector bey d. Schuhlen zu St. Thom. alhier. 2) Frau Elisabeth Charitas, Herr M. Johann Matthiae Geßners, Rectoris bey der Schulen zu St. Thomas alhier Eheliebste. 3) Herr M. Abraham Krügel,Collega Tertius bey der Schulen zu St. Thomas alhier«. – Starb den 6. November 1733.

11. Johann Christian, getauft den 7. September 1735. Pathen: 1) »Herr M. Johann August Ernesti, Rector zu St. Thom. 2) Jfr. Christiana [955] Sibylla, Herrn Georg Heinrich Bosens, Handelßmanns hinterl. Tochter. 3) Herr D. Johann Florens Rivinus P.P. und Facult. Jur. Assessor«. – Starb Anfang Januar 1782.

12. Johanna Caroline, getauft den 30. October 1737. Pathen: 1) »Jfr. Sophia Carolina, Herrn Georg Heinrich Bosens, Handelßmanns hinterl. Tochter. 2) Herr M. Christian Weiße, Diaconus zu St. Nicolai u. S.S. Theol. Baccalaureus. 3) Frau Johanna Elisabeth, Herrn Christian Friedrich Heinrici, Königl. Poln. u. Churf. Sächß. Ober Post Commissarii Ehel«. – Starb den 18. August 1781.

13. Regine Susanna, getauft den 22. Februar 1742. Pathen: 1) »Jfr. Anna Regina, Herrn George Heinrich Bosens, Handelßmanns alhier hinterl. Tochter. 2) Herr D. Heinrich Friedrich Graff, Jur: Pract: 3) Jfr. Susanna Elisabeth, Herrn George Heinrich Bosens, Handelßm. alhier hinterl. Tochter«. – Starb den 14. December 1809.

 

XVI.

 

[956] Specificatio der Verlassenschafft des am 28. July 1750 seel. verstorbenen Herrn Johann Sebastian Bachs weyl. Cantoris an der Schule zu St. Thomae in Leipzig.

[Archiv des Bezirksgerichts zu Leipzig. Rep.IV. no. 1800].


 

Specificatio.


 

Cap. I.


 

Ein Kux, genannt Ursula

Erbstolln, zu Klein

Voigtsberg an Werthe 60 Rl. – Gr.16.

Facit 60 Rl. – Gr.16.


 

Cap. II.


 

An baaren Gelde.


 

a) an Golde.


 

Ein dreyfacher Ducaten 8 Rl. 6 Gr.16.

4. Doppel-Ducaten 22 Rl. – Gr.16.

1. dito Schaustück 5 Rl. 12 Gr.16.

28. einfache Ducaten 77 Rl. – Gr.16.

41. Ducaten.Facit 112 Rl. 18 Gr.16.


 

b) An Silber Gelde.


 

α. An Species Thalern, Gulden, und halben Gulden.


 

77. Species Thaler 102 Rl. 16 Gr.16.

24. alte Gulden 16 Rl. – Gr.16.

1. halber Gulden – Rl. 8 Gr.16.

facit 119 Rl. – Gr.16.


 

[956] β. An Schau-Stücken.


 

No. 1. 1. dreyfacher Spec.

Thaler 4 Rl. – Gr.16.

No. 2. 1. doppelter Spec.

Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

No. 3. 2. Spec. Thaler a

1 Rl. 12 Gr. 3 Rl. – Gr.16.

No. 4. 1. doppelt Spec.

Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

No. 5. 1. spec. Thaler 1 Rl. 8 Gr.16.

No. 6. 2. gehenckelte Spec.

Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

No. 7. 2. viereckigte Spec.

Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

No. 8. 4. Species Thaler 5 Rl. 8 Gr.16.

No. 9. 2. Gulden 1 Rl. 8 Gr.16.

No. 10. 1. Stück – Rl. 4 Gr.16.

facit 25 Rl. 20 Gr.16.


 

Cap. III.


 

An außenstehenden Schulden.


 

Eine Obligation

Fr. Krebsin 58 Rl. – Gr. – 16.

dito Unruh 4 Rl. – Gr.16.

dito Haase 3 Rl. – Gr.16.

facit 65 Rl. – Gr.16.


 

Cap. IV.


 

An gefundenen Ausgebe-Geld.


 

Ausgebe-Geld 36 Rl. – Gr.16.

facit 36 Rl. – Gr.16.


 

wovon einige derer Debitorum passivorum, welche Fol. 8. a. et. b subCap. I. et II. Specificiret sind, bezahlet worden.


 

Cap. V.


 

An Silber-Geräthe und andern Kostbarkeiten.


 

1. paar Leuchter. 32. Lt.

a 12 Gr. 16 Rl. – Gr. –16.

1. paar dito 27. Lt.

a 12 Gr. 13 Rl. 12 Gr. –16.

6. egale Becher 63. Lt.

a 11 Gr. 28 Rl. 7 Gr. –16.

1. dito kleiner 10. Lt.

a 12 Gr. 5 Rl. – Gr. –16.

1. dito gestochen 12. Lt.

a 13 Gr. 6 Rl. 12 Gr. –16.

1. dito noch kleiner

10. Lt. a 11 Gr. 4 Rl. 14 Gr. –16.

1. Pocal mit Deckel

28. Lt. a 13 Gr. 15 Rl. 4 Gr. –16.

1. große Coffee Kanne

36. Lt. a 13 Gr. 19 Rl. 12 Gr. –16.

1. dito kleinere

20. Lt. a 13 Gr. 10 Rl. 20 Gr. –16.

1. große Thee Kanne.

28. Lt. a 13 Gr. 15 Rl. 4 Gr. –16.

1. Zucker Schaale mit

Löffeln 26. Lt. a 12 Gr. 13 Rl. – Gr. –16.

1. dito kleinere 14. Lt.

a 12 Gr. 7 Rl. – Gr. –16.

1. Tabatiere mit einen

Becher 12. Lt. a 16 Gr. 8 Rl. – Gr. –16.

1. dito gravirt. 8. Lt.

a 16 Gr. 5 Rl. 8 Gr. –16.

1. dito ausgelegt 1 Rl. 8 Gr. –16.

2. Salz-Vößer. 11. Lt.

12 Gr. 5 Rl. 12 Gr. –16.

[957] 1. Coffee Teller. 11. Lt.

a 12 Gr. 5 Rl. 12 Gr.16.

1/2. Dutzend, Meßer,

Gabeln und Löffel in

Futteral. 48. Lt. a 12 Gr. 24 Rl. – Gr. –16.

1. Gestecke Meßer mit

Löffel in Futteral.

9. Lt. a 10 Gr. 3 Rl. 18 Gr. –16.

1. goldener Ring 2 Rl. – Gr. –16.

1. dito 1 Rl. 12 Gr. –16.

1. Tabatiere von Agath

in Gold gefast 40 Rl. – Gr. –16.

facit 251 Rl. 11 Gr.16.


 

Cap. VI.


 

An Instrumenten.


 

1. fournirt Claveçin,

welches bey der Familie,

so viel möglich

bleiben soll 80 Rl. – Gr.16.

1. Clavesin 50 Rl. – Gr.16.

1. dito 50 Rl. – Gr.16.

1. dito 50 Rl. – Gr.16.

1. dito kleiner 20 Rl. – Gr.16.

1. Lauten Werck 30 Rl. – Gr.16.

1. dito 30 Rl. – Gr.16.

1. Stainerische Violine 8 Rl. – Gr.16.

1. schlechtere Violin 2 Rl. – Gr.16.

1. dito Piccolo 1 Rl. 8 Gr.16.

1. Braccie 5 Rl.– Gr.16.

1. dit 5 Rl. – Gr.16.

1. ditoRl. 16 Gr.16.

1. Bassettgen 6 Rl. – Gr.16.

1. Violoncello 6 Rl. – Gr.16.

1. ditoRl. 16 Gr.16.

1. Viola da Gamba 3 Rl. – Gr.16.

1. Laute 21 Rl. – Gr.16.

1. Spinettgen 3 Rl. – Gr.16.

facit 371 Rl. 16 Gr.16.


 

Cap VII.


 

An Zinn.


 

1. große Schüßel 11 Rl. 8 Gr.16.

1. dito kleiner – Rl. 16 Gr. –16.

1. ditoRl. 16 Gr.16.

1. dito kleinere – Rl. 8 Gr. –16.

1. ditoRl. 8 Gr. –16.

1. kleine Schüßel – Rl. 6 Gr. –16.

1. ditoRl. 6 Gr. –16.

1. dito noch kleinere – Rl. 4 Gr. –16.

1. ditoRl. 4 Gr. –16.

1. ditoRl. 4 Gr. –16.

[958] 1. Wasch-Becken – Rl. 8 Gr.16.

2. Dutzend Teller, ieden

a 3/4 tel 16. das 16. a 4 Gr. 3 Rl. – Gr.16.

4. Krüge mit Zinn

beschlagen 1 Rl. 8 Gr.16.

facit 9 Rl. – Gr.16.


 

Cap. VIII.


 

An Kupffer und Meßing.


 

2. Platt-Glocken nebst Eisen 3 Rl. – Gr.16.

3. paar Meßingene Leuchter 2 Rl. – Gr.16.

1. Meßingene Coffee

Kanne – Rl. 16 Gr.16.

1. dito kleinere – Rl. 16 Gr.16.

1. dito noch kleinere – Rl. 6 Gr.16.

1. Meßingen Coffee Bret – Rl. 16 Gr.16.

1. Keßel von Kupffer – Rl. 8 Gr.16.

1. dito kleiner – Rl. 8 Gr.16.

facit 7 Rl. 22 Gr.16.


 

Cap. IX.


 

An Kleidern und was darzu gehöret.


 

1. Silberner Degen 12 Rl. – Gr.16.

1. Stock mit Silber

beschlagen 1 Rl. 8 Gr.16.

1. paar silberne

Schuh-Schnallen – Rl. 16 Gr.16.

1. Kleid von Gros du Tour,

welches gewendet 8 Rl. – Gr.16.

1. Trauer Mantel von

Drap-des Dames 5 Rl. – Gr.16.

1. Kleid von Tuch 6 Rl. – Gr.16.

facit 32 Rl. – Gr.16.


 

Cap. X.


 

An Wäsche.


 

11. Oberhembden– Rl. – Gr.16.


 

Cap. XI.


 

An Hauß-Geräthe.


 

1. Putz Schranck 14 Rl. – Gr.16.

1. Wäsch Schranck 2 Rl. – Gr.16.

1. Kleider Schranck 2 Rl. – Gr.16.

1. Dutzend schwartze

lederne Stühle 2 Rl. – Gr.16.

1/2. Dutzend lederne Stühle 2 Rl. – Gr.16.

1. Schreibe Tisch

mit Auszügen 3 Rl. – Gr.16.

6. Tische 2 Rl. – Gr.16.

7. Höltzerne Betten 2 Rl. 8 Gr.16.

facit 29 Rl. 8 Gr.16.


 

[959] Cap. XII.


 

An geistlichen Büchern.


 

In Folio.


 

Calovii Schrifften 3. Bände2 Rl. – Gr.16.

Lutheri Opera 7. Bände5 Rl. – Gr.16.

Idem liber. 8. Bände4 Rl. – Gr.16.

Ej. Tischreden– Rl. 16 Gr.16.

Ej. Examen Conc. Trid.Rl. 16 Gr.16.

Ej. Comment. über den Psalm

3ter Theil– Rl. 16 Gr.16.

Ej. Hauß-Postille1 Rl. – Gr.16.

Mülleri Schluß Kette1 Rl. – Gr.16.

Tauleri Predigten– Rl. 4 Gr.16.

Scheubleri Gold-Grube

11. Theile 2. B.1 Rl. 8 Gr.16.

Pintingii Reise Buch

der Heil. Schrifft– Rl. 8 Gr.16.

Olearii Haupt Schlüßel der

gantzen Heil. Schrifft. 3. B.2 Rl. – Gr.16.

Josephi Geschichte der Jüden2 Rl. – Gr.16.


 

In Quarto.


 

Pfeifferi Apostolische

Christen-Schule1 Rl. – Gr.16.

Ej. Evangelische Schatzkammer– Rl. 16 Gr.16.

Pfeifferi Ehe Schule– Rl. 4 Gr.16.

Ej. Evangelischer Augapffel– Rl. 16 Gr.16.

Ej. Kern und Safft der Heil. S.1 Rl. – Gr.16.

Mülleri Predigten über

den Schaden Josephs– Rl. 16 Gr.16.

Ej. Schluß Kette1 Rl. – Gr.16.

Ej. AtheismusRl. 4 Gr.16.

Ej. JudaismusRl. 16 Gr.16.

Stengeri Postille1 Rl. – Gr.16.

Ej. Grundveste der Augspurg.

Conf.Rl. 16 Gr.16.

Geyeri Zeit und Ewigkeit– Rl. 16 Gr.16.

Rambachii Betrachtung1 Rl. – Gr.16.

Ej. Betrachtung über

den Rath Gottes– Rl. 16 Gr.16.

Lutheri Hauß Postille– Rl. 16 Gr.16.

Froberi Psalm– Rl. 4 Gr.16.

Unterschiedene Predigten– Rl. 4 Gr.16.

Adami güldener Augapffel– Rl. 4 Gr.16.

Meiffarti Erinnerung– Rl. 4 Gr.16.

Heinischii Offenbahrung JohRl. 4 Gr.16.

Jauckleri Richtschnur

der Christl. Lehre– Rl. 1 Gr.16.


 

In octavo.


 

Francken Hauß Postilla – Rl. 8 Gr.16.

Pfeifferi Evangelische

Christen Schule – Rl. 8 Gr.16.

Ej. Anti CalvinRl. 8 Gr.16.

Ej. Christenthum – Rl. 8 Gr.16.

[960] Ej. Anti-MelancholicusRl. 8 Gr.16.

Rambachii Betrachtung über

die Thränen Jesu – Rl. 8 Gr.16.

Mülleri Liebes Flamme – Rl. 8 Gr.16.

Ej. Erquickstunden – Rl. 8 Gr.16.

Ej. Rath Gottes – Rl. 4 Gr.16.

Ej. Lutherus defensusRl. 8 Gr.16.

Gerhardi Scholá Pietatis

5. Bände – Rl. 12 Gr.16.

Neumeisteri Tisch des Herrn – Rl. 8 Gr.16.

Ej. Lehre von der Heil.

Tauffe – Rl. 8 Gr.16.

Speneri Eyfer wider

das Pabstthum – Rl. 8 Gr.16.

Hunnii Reinigkeit der

der Glaubens Lehre – Rl. 4 Gr.16.

Klingii Warnung vor Abfall

von der luther. Relig.Rl. 4 Gr.16.

Arnds wahres Christenthum – Rl. 8 Gr.16.

Wagneri Leipziger

Gesangbuch 8. Bände 1 Rl.Gr.16.

facit 38 Rl. 17 Gr.16.


 

Repartitio.


 

Fol. 1. a. Cap. I. Ein

Kux 60 Rl. – Gr.16.

Fol. 1. a. Cap. II. an

baaren Gelde – Rl. – Gr.16.

Fol. 1. a. Cap. II.

a) an Golde 112 Rl. 18 Gr.16.

Fol. 1. a. Cap. II.

b) an Silber Gelde – Rl. – Gr.16.

Fol. 1. a. Cap. II.

α) an Thalern, Gulden

und halben Gulden 119 Rl. – Gr.16.

Fol. 1. b. Cap. II.

β) an Schaustücken 25 Rl. 20 Gr.16.

Fol. 1. b. Cap. III. an

außen stehenden

Schulden 65 Rl. – Gr.16.

Fol. 2. a. Cap. IV.

An gefundenen Ausgabe

Gelde wovon einige derer

Debitorum passivorum

welche fol. 8. a et b. sub.

Cap. I. et II. specificiret

sind, bezahlet worden 36 Rl.Gr.16.

Fol. 2. a et b. Cap. V.

An Silbergeräthe und

andern Kostbarkeiten 251 Rl. 11 Gr.16.

Fol. 3. a. Cap. VI.

an Instrumenten 371 Rl. 16 Gr.16.

Fol. 3. b. Cap. VII.

an Zinn 9 Rl. – Gr.16.

Fol. 3. b et 4

a. Cap. VIII. an

Kupffer und Meßing 7 Rl. 22 Gr.16.

Fol. 4. a. Cap. IX.

an Kleidern und was

darzu gehöret 32 Rl. – Gr.16.

Fol. 4. b. Cap. X.

an Wäsche 11.

Oberhembden – Rl. – Gr.16.

Fol. 4. b. Cap. XI.

An Haußgeräthe 29 Rl. 8 Gr.16.

Fol. 5. a. et b

6. a et b. Cap. XII.

an geistlichen Büchern 38 Rl. – Gr.16.

Summa 1122 Rl. 16 Gr.16.


 

Debita-Passiva


 

nach ihren Auszügen, wovon einige von dem Cap. IV. Fol. 2. a specificirten Gelde bezahlet worden.


 

[961] Cap. I.


 

An Auszügen.


 

Nr. I. 7 Rl. 9 Gr. 616.

Nr. II: 4 Rl. – Gr. 616.

Nr. III. 7 Rl. 8 Gr. 616.

Nr. IV. 33 Rl. 14 Gr. 316.

Nr. V. et VI. 18 Rl. – Gr.16.

Nr. VII. 7 Rl. 14 Gr.16.

Nr. VIII. 2 Rl. 1 Gr.16.

Nr. IX. 2 Rl. 1 Gr.16.

Nr. X. 1 Rl. 8 Gr.16.

Nr. XI. 1 Rl. 16 Gr.16.

Nr. XII. 2 Rl. – Gr.16.

Nr. XIII. 1 Rl. 16 Gr.16.

Nr. XIV. 12 Rl. 12 Gr.16.

Nr. XV. 21 Rl. 10 Gr.16.

Nr. XVI. 14 Rl. 18 Gr. 916.

Nr. XVII. 5 Rl. – Gr.16.

Nr. XVIII. 1 Rl. 12 Gr.16.

facit 143 Rl. 21 Gr. 616.


 

Cap. II.


 

Andere nöthige Ausgaben.


 

Vor nöthige Sachen 1 Rl. 8 Gr.16.

Herr Schüblern bezahlt 2 Rl. 16 Gr.16.

Der Magd 4 Rl. – Gr.16.

Vor das Taxiren 1 Rl. – Gr.16.

facit 9 Rl. – Gr.16.


 

Repartitio.


 

fol. 8. a und b. Cap. I.

An Auszügen 143 Rl. 21 Gr. 616.

fol. 8. b. Cap. II.

An andern nöthigen

Ausgaben 9 Rl. – Gr.16.

Summa 152 Rl. 21 Gr.16.


 

Anna Magdalena Bachin Wittbe.

D. Friedrich Heinrich Graff als Curator.

Catharina Dorothea Bachin.

Wilhelm Friedemann Bach vor mich, und m.n. meines Bruders, Carl Philipp Emanuel Bachs, wie auch als Curator oberwehnter meiner Schwester.

Gottfried Heinrich Bach.

Gottlob Sigismund Hesemann, als Curator vorstehenden Bachs.

Elisabeth Juliana Friderica Altnickolin, geb. Bachin.

Johann Christoph Altnicol m.n. und als ehelicher Curator meiner Frauen, Elisabeth Julianen Fridericen geb. Bachin.

[962] Johann Gottlieb Görner als Vormund zu väterlicher Theilung vor

Johann Christoph Friedrich Bach.

Johann Christian Bach.

Johanna Carolina Bachin.

Regina Susanna Bachin.


 

Im Nahmen Gottes.

Kund und zu wißen sey hiermit denen es zu wißen nöthig, daß, nachdem der WohlEdle, Herr, Herr Johann Sebastian Bach, weyl. Cantor der Schule zu St. Thomae in Leipzig den 28. Julij 1750 in Gott sanfft und seelig entschlaffen, und 3. Kinder erster Ehe, nahmentlich:

Herr Wilhelm Friedemann Bachen,

Herr Carl Philipp Emanuel Bachen und

Jgfr. Catharinen Dorotheen Bachin,

nicht weniger 6. in der andern Ehe mit der ietzigen Frau Wittbe Frauen Annen Magdalenen gebohrener Wülckin erzeugte Kinder, nahmentlich:

Herr Gottfried Heinrich Bachen,

Frau Elisabeth Julianen Friedericen verehelichte Altnickolin,

Herr Johann Christoph Friedrich Bachen,

Jngfr. Johannen Carolinen Bachin, und

Jngfr. Reginen Susannen Bachin

wovon die letzten 4. annoch unmündig, nebst obgedachter seiner Frau Wittbe zu Erben seines Nachlaßes hinterlaßen, und denen 4. Unmündigen Kindern Herr Johann Gottlieb Görner, Director Musices bey E. Löbl. Universität Leipzig zum Vormunde, so viel die Ausmachung des Vater-Theils betrifft, so wohl Herr Gottlob Sigismund Hesemann L.L. Studiosus dem Blöden Herrn Gottfried Heinrich Bachen zum Curator gerichtlich bestätiget worden, nur gemeldete Frau Wittbe und Erben respect. mit Vollmacht und Genehmhaltung ihrer gerichtlich bestätigten, und zu Ende mit unterschriebenen Herrn Curatorum, auch derer Unmündigen Herrn Vormund folgenden unwiederrufflichen und zu Recht beständigen Erb-Vergleich unter einander verabredet, gehandelt und geschloßen. Nemlichen und zwar zum


 

1.


 

Agnosciren zuförderst sämtliche Erben und in specie Jgfr. Catharina Dorothea Bachin, Herr Carl Philipp Emanuel Bach, Frau Elisabeth Juliana Friderica Altnickolin, und Herr Görner, in Vormundschaft derer 4. Unmündigen Bachischen Kinder, die, diesem Erb-Vergleiche in Originali Beygelegte, von der Frau Wittbe, und dem Ältesten Herrn Sohne, Herrn Wilhelm Friedemann Bachen vor sich und als Gevollmächtigter seines Herrn Bruders, Herrn Carl Philipp Emanuel Bach, auch mit Zuziehung Herrn Gottfried Heinrichs Bachs Curatoris, Herr Hesemanns, gemeinschafftlich gefertigte Specification von des Defuncti seel. Nachlaße durchgehends vor richtig, gestalten sie solche nach allen Capitibus mit Fleiß durchgegangen, [963] und allenthalben in activis und passivis auch sonst richtig befunden, und daher resp. cum Dominis Curatoribus solche eigenhändig unterschrieben und erlaßen dahero einander vor sich und resp. seiner Mündel die eydliche Bestärckung solcher Specification hiernach expresse. Wie nun solchergestalt gedachte Specification zum Fundamente der Theilung gesetzt worden: Allß haben


 

2.


 

So viel den Cap. I. Specificationis bemelten Kux betrifft, sämtliche Erben sich dahin verglichen, daß derselbe in Communione bleiben, und der Frau Wittbe zur Verwahrung und Besorgung der Zu büße überlaßen seyn, diese auch ihren 3ten Theil davon haben und auff die übrigen 2/3tel die verlegte Zu büße iedesmahl nach beschehener Eintheilung derselben von iedem Kinde wieder bekomen solle.


 

3.


 

Das baare Geld in Cap. II. a et b an Golde und Silbergelde ist unter die Erben in natura vertheilet worden, und hat die Frau Wittbe ihren 3ten Theil davon an 77 Rb 6 Gr. iedes Kind aber zu seinem Antheil an 17 Rb 4 Gr. erhalten.


 

4.


 

Gleichergestalt sind die Cap. II. β angegebenen Schaustücken durch das Looß in natura unter dieselben vertheilet worden, da dann die Frau Wittbe ihren 3ten Theil davon an 8 Rb 14 Gr. 8 16. in nachfolgenden Stücken als:


 

Nr. 1. ein dreyfacher

Spec. Thaler 4 Rl. – Gr.16.

Nr. 3. 2. Spec. Thaler

a 1 Rb 12 Gr. 3 Rl. – Gr.16.

Nr. 9. 2. Gulden 1 Rl. 8 Gr. –16.

Nr. 10. ein Stück aRl. – Gr. 416.

und zu deßen Supplirung

baar annoch 2 Rl. 9 Gr. –16.

Summa 8 Rl. 14 Gr. 816.

Jedes Kind aber seinen

Antheil an 1 Rl. 21 Gr. 416.


 

Durch folgende Looße bekommen, als:


 

Herr Wilhelm Friedemann Bach.


 

Nr. 5. 1 Spec. Thlr 1 Rl. 8 Gr.16.

und baar noch heraus – Rl. 13 Gr. 1116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

Herr Carl Philipp Emanuel Bach.


 

Nr. 4. einen doppelten

Spec. Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

deßhalben er

herausgegeben – Rl. 18 Gr. 116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

[964] Jngfr. Catharina Dorothea Bachin.


 

Von Nr. 7. einen

4eckigten Spec. Thaler 1 Rl. 8 Gr.16.

und Baar annoch – Rl. 13 Gr. 1116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

Herr Gottfried Heinrich Bach.


 

Von Nr. 7. einen

viereckigten Spec.

Thaler 1 Rl. 8 Gr.16.

und baar annoch – Rl. 13 Gr. 1116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

Frau Elisabeth Juliana Friderica Altnickolin.


 

Von Nr. 6. einen

gehenckelten Spec.

Thaler 1 Rl. 8 Gr.16.

und Baar annoch – Rl. 13 Gr. 1116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

Herr Johann Christoph Friedrich Bach.


 

Von Nr. 6. einen

gehenckelten Spec.

Thaler 1 Rl. 8 Gr.16.

und baar annoch – Rl. 13 Gr. 1116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

Herr Johann Christian Bach.


 

Von Nr. 8. 2.

Spec. Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

deßhalben er

herausgegeben – Rl. 18 Gr. 116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

Jungfer Johanna Carolina Bachin.


 

Von Nr. 8. 2.

Spec. Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

deßhalben sie

herausgegeben – Rl. 18 Gr. 116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

Jungfer Regina Susanna Bachin.


 

Nr. 2. einen doppelten

Spec. Thaler 2 Rl. 16 Gr.16.

deßhalben sie

herausgegeben – Rl. 18 Gr. 116.

Summa 1 Rl. 21 Gr. 1116.


 

erhalten.


 

5.


 

Von denen Cap. III. Specificirten außenstehenden Schulden übernimbt die Frau Wittbe ihrer Frau Schwester der Frau Krebsin Obligation an 58 Rl. und da ihr ohnedem der 3te Theil davon an 19 Rl. 8 Gr. zustehet: alß hat sie so gleich den Ueberrest an 38 Rl. 16 Gr. und also iedem Kinde 4 Rl. 7 Gr. 1 16. zu seinem Antheile baar heraus gegeben, dargegen letztere, und zwar resp. cum autoritate ihrer gerichtlich bestätigten Herrn Curatorum auch Ehemannes, und Herr Görner, in Vormundschafft seiner Mündel, der Frau Wittbe jura cessa geben, und sothane Obligation Cum omni jure et actione tam directa quam utili derselben dergestalt cediren, daß dieselbe damit, als mit ihren wohlerlangten Eigenthum nach. Gefallen schalten und gebaahren möge, auch die Frau Wittbe über den richtigen baaren Empfang ihrer daran gehabten Antheile in bester Form Rechtens hierdurch quittiren.

Was aber Unruhens und Haasens Obligationes betrifft, so sind diese [965] Personen aller angewendeten Mühe ungeachtet, nicht ausfündig zu machen, und die Posten daher vermuthlich gantz inexigible, dahero solche so lange, biß man nähere Nachricht dießfalls erlanget, ausgesetzt blieben, und die Documenta der Frau Wittbe zur Verwahrung überlaßen worden.


 

6.


 

Daß Cap. 4. Specificationis vorhanden gewesene Ausgabe Geld ist zu Bezahlung deren sub.specificirten Passivorum mit angewendet worden, weßhalben unten in § 14. des Erb-Vergleichs mehrere Versehung geschehen.


 

7.


 

Von denen Cap. V. Specificationis benannten Silber-Wercke und andern Kostbarskeiten ist mit sämmtlicher Interessenten Genehmhaltung die Tabatiere von Agath in Gold gefaßet a 40 Rl. weiln es ein Stück, so eines Theils bloß vor den Liebhaber, andern Theils auff ein Kindes-Looß zu schwer, vor ietzo gäntzlich ausgesetzt, und der Frau Wittbe, solange, biß sich ein Liebhaber und Käuffer darzu finden möchte, überlaßen worden, da denn, wenn solche verkaufft werden möchte, die Frau Wittbe ihrem tertiam partem von dem Kauff Pretio zu gewarten hat, und das übrige unter die 9. Kinder in gleiche Theile vertheilet werden soll. Das übrige alles aber ist, da es vorher von dem Goldschmiede Herrn Bertholdentaxiret worden, durchs Looß dergestalt vertheilet worden, daß, da die Frau Wittbe auf ihren 3ten Theil an 70 Rl. 11 Gr. 8 16. folgende Stücke:


 

 

1. paar Leuchter 32.

Lt. a 12 Gr. 16 Rl. – Gr.16.

1. Becher gestochen 12.

Lt. a 13 Gr. 6 Rl. 12 Gr.16.

Die große Coffee-Kanne

36. Lt. a 13 Gr. 19 Rl. 12 Gr.16.

Die Thee Kanne 28.

Lt. a 13 Gr. 15 Rl. 4 Gr.16.

Die Tabatiere mit dem

Becher 12. Lt. a 16 Gr. 8 Rl. – Gr.16.

Die ausgelegte

Tabatiere 1 Rl. 8 Gr.16.

Den Coffee-Teller 11.

Lt. a 12 Gr. 5 Rl. 12 Gr.16.

Summa 72 Rl. – Gr.16.


 

erhalten und dargegen die Uebermaaße an 1 Rl. 1 2Gr. 4 16. herausgegeben, ein iedes Kind seinen Antheil an 15 Rl. 15 Gr. 11 16. durch folgende Looße bekommen, als:


 

Herr Wilhelm Friedemann Bach.


 

Die große Zucker-Schaale

mit Löffeln 26.

Lt. a 12 Gr. 13 Rl. – Gr.16.

einen goldenen Ring 1 Rl. 12 Gr.16.

und annoch baar 1 Rl. 3 Gr. 1116.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

[966] Herr Carl Philipp Emanuel Bach.


 

6 egale Becher 63.

Lt. a 11 Gr. 28 Rl. 7 Gr.16.

dagegen er

herausgegeben 12 Rl. 15 Gr. 116.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

Jgfr. Catharina Dorothea Bachin.


 

1 paar Leuchter 27

Lt. a 12 Gr. 13 Rl. 12 Gr.16.

einen goldenen Ring 2 Rl. – Gr.16.

und annoch Baar – Rl. 3 Gr. 1116.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

Herr Gottfried Heinrich Bach.


 

1/2. Dutzend, Meßer,

Gabeln und Löffel 24 Rl. – Gr.16.

dargegen er

herausgegeben 8 Rl. 8 Gr.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

Frau Elisabeth Juliana Friderica Altnikolin


 

Den Pocal mit Deckel

28. Lt. a 13 Gr. 15 Rl. 4 Gr.16.

und baar annoch – Rl. 11 Gr. 1116.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

Herr Johann Christoph Friedrich Bach


 

einen gestochenen

Becher 10. Lt. a 11 Gr. 4 Rl. 14 Gr.16.

die kleine Zucker

Schaale 14. Lt. 12 Gr. 7 Rl. – Gr.16.

und Baar 4 Rl. 1 Gr. 1116.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

Herr Johann Christian Bach


 

die kleine Coffee-

Kanne 20. Lt. a 13 Gr. 10 Rl. 20 Gr.16.

und baar 4 Rl. 19 Gr.1116.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

Jgfr. Johanna Caroline Bachin


 

2 Saltz-Vößer 11.

Lt. a 12 Gr. 5 Rl. 12 Gr.16.

Einen kleinen Becher

10. Lt. a 12 Gr. 5 Rl. – Gr.16.

und baar 5 Rl. 3 Gr. 1116.

Summa 15 Rl. 15 Gr. 1116.


 

Jgfr. Regina Susanna Bachin


 

die gravirte Tabatiere

8. Lt. a 16 Gr. 5 Rl. 8 Gr.16.

ein Gestecke Meßer mit

Löffel in Futteral

9. Lt. a 10 Gr. 3 Rl. 18 Gr.16.

und baar 6 Rl. 13 Gr. 1116.

Summa 15 Rl. 15 Gr.1116.


 

8.


 

Sind die Cap. VI. specificirten Instrumente, weiln solche nicht füglich zu vertheilen, auch nicht gleich Liebhaber darzu zu finden, ausgesetzt, und dieserhalben beliebt worden, daß man sich binnen hier und Ostern, [967] solche ins Geld zu setzen bemühen wolle, dabey iedoch ein iedes derer Erben das Vorrecht vor einen Frembden, wenn es sich demselben gleichsezen wolle haben, die Frau Wittbe aber, solche Instrumente biß zu deren würcklichen Verkauff behalten, und den Nutzen davon alleine ziehen, auch daferne ein und das andere Instrument verkaufft würde, die Frau Wittbe den 3ten Theil des Kauff-Pretii haben, und die übrigen 2/3tel unter die 9. Kinder gleich eingetheilet werden soll. Und weiln der jüngste Herr Sohn, Herr Johann Christian Bach 3. Clavire nebst Pedal von dem Defuncto seel. bey Lebzeiten erhalten und bei sich hat; solches auch um deßwillen nicht in die Specification gebracht worden, weil derselbe solche von dem Defuncto seel. geschenckt erhalten zu haben angeführet, und dieserwegen unterschiedene Zeugen angegeben, der Frau Wittbe auch sowohl als Herrn Altnikoln und Herrn Hesemann solches wißend ist, der Herr Vormund auch daher diesen seinen Mündel etwas darinne zu vergeben billig Bedencken gefunden, gleichwohl die Kinder ersterer Ehe, Herr Wilhelm Friedemann Bach, Herr Carl Philipp Emanuel Bach und Jgfr. Catharina Dorothea Bachin solche Schenkung gedachten ihren jüngsten Bruder zur Zeit nicht sogleich zugestehen wollen; So haben letztere ihre Rechte dießfalls wieder denselben auszuführen sich vorbehalten, da hiegegen die Frau Wittbe, der Vormund Herr Görner wegen seiner übrigen 3. Mündel, die Frau Altnikolin und Herr Hesemann, als Curator Herr Gottfried Heinrichs Bachs demselben die Schenkung zugestehen, und der Ansprüche dießfallß an selbigen sich begeben.


 

9.


 

Das in Cap. VII. und VIII. specificirte Zinn, Kupffer und Meßing hat die Frau Wittbe mit aller Bewilligung und Zufriedenheit um die Taxe angenommen, und nach Abzug des ihr ohnedem daran zugestandenen 1/3tel von 5 Rl. 15 Gr. 4 16. einem iedem Kinde an seinen Theil an 1 Rl. 6 Gr. und also in Summa 11Rl. 6 Gr. sogleich baar herausgegeben.


 

10.


 

Das seidene Kleid, nebst dem Trauer-Mantel, den silbernen Schuh-Schnallen und dem Stocke, hat die Frau Wittbe mit aller Bewilligung und Zufriedenheit um die Taxe ebenfallß angenommen, und nach Abzug ihres 3ten Theils an 5 Rl. den Ueberrest an 10 Rl. baar und solchergestalt iedem Kinde seinen Antheil a 1 Rl. 2 Gr. 8 16. herausgegeben. Da hingegen der silberne Degen, der zum Heergeräthe gehörig, dem ältesten Herr Sohne, Herr Wilhelm Friedemann Bachen, der zugleich über den Empfang hierdurch quittiret, zum vorausgegeben, und die angesetzten 6 Rl. vor das ebenfalls zum Heergeräthe gehörige, und Gottfried Heinrich Bachen, davor überlassene Tuchkleid unter die 5. Söhne vertheilet worden, und hat ein ieder Sohn 1 Rl. 4 Gr. 9 16. davon erhalten.


 

11.


 

Ist mit derer Majorennen Zufriedenheit des Defuncti seel. Wäsche unter die Unmündigen vertheilet worden.


 

[968] 12.


 

Das Cap. XI. specificirte Haußgeräthe aber hat die Frau Wittbe ebenfallß mit aller Zufriedenheit um dieTaxe der 29 Rl. 8 Gr. angenommen ihren 3ten Theil davon an 9 Rl. 18 Gr. 8 16. inne behalten, und iedem Kinde seinen Antheil an 2 Rl. 4 Gr. 1 16. also zusammen 19 Rl. 12 Gr. 9 16. baar herausgegeben. So sind auch


 

13.


 

Sämtliche in Cap. XII. specificirte Bücher durch das Looß vertheilet worden, da denn auf der Frau Wittbe daran zukommenden 3ten Theil an 12 Rl. 21Gr. 8 16..


 

In Folio.


 

Calovii Schriften 3. Bände2 Rl. – Gr.16.

Lutheri opera 7. Bände5 Rl. – Gr.16.

Ej. Hauß-Postilla1 Rl. – Gr.16.

Josephi Geschichte der Juden2 Rl. – Gr.16.


 

In Quarto.


 

Pfeifferi Evangl. Schatz-Kammer– Rl. 16 Gr.16.

Rambachii Betrachtung1 Rl. – Gr. – 16.


 

In Octavo.


 

Franckens Hauß-Postilla – Rl. 8 Gr.16.

Neumeisteri Tisch

des Herrn – Rl. 8 Gr.16.

Ej. Lehre von der

heil. Tauffe – Rl. 8 Gr.16.

und baar annoch – Rl. 8 Gr. 816.

Summa 12 Rl. 21 Gr. 816.


 

und auf iedes Kind seinen Antheil an 2 Rl. 20 Gr. 10 16. durch folgende Looße gekommen, als:


 

Herr Wilhelm Friedemann Bach.


 

In Quarto.


 

Geyeri Zeit und Ewigkeit– Rl. 16 Gr.16.

Rambachii Betrachtung

über den Rath Gottes– Rl. 16 Gr.16.


 

In Octavo.


 

Mülleri Erquickstunden – Rl. 8 Gr.16.

Ej. Rath Gottes – Rl. 4 Gr.16.

Hunnii Reinigkeit der

Glaubenslehre – Rl. 4 Gr.16.

Klingii Warnung vor

Abfall von der

lutherischen Religion – Rl. 4 Gr.16.

Arnds wahres

Christenthum – Rl. 8 Gr.16.

und annoch baar – 8 Rl. 10 Gr. 16.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

[969] Herr Carl Philipp Emanuel Bach.


 

In Folio.


 

Lutheri Tischreden– Rl. 16 Gr.16.

Ej. Examen Conc. Trid.Rl. 16 Gr.16.

Ej. Comment. über den Psalm,

3ter Theil– Rl. 16 Gr.16.


 

In Quarto.


 

Jauckleri Richtschnur der

christl. Lehre– Rl. 1 Gr.16.


 

In Octavo.


 

Rambachii Betrachtung

über die Thränen Jesu – Rl. 8 Gr.16.

Mülleri LiebesFlamme – Rl. 8 Gr.16.

und baar annoch – Rl. 3 Gr. 1016.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

Jgfr. Catharina Dorothea Bachin.


 

In Folio.


 

Mülleri Schlußkette1 Rl. – Gr.16.


 

In Quarto.


 

Pfeifferi Apostolische

Christen-Schule 1 Rl. – Gr.16.

Ej. Ehe-Schule – Rl. 4 Gr.16.

Ej. Evangl. Augapffel – Rl. 16 Gr.16.

und baar annoch – Rl. – Gr. 1016.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

Herr Gottfried Heinrich Bach.


 

In Folio.


 

Pintingii Reise-Buch

der heil. Schrifft – Rl. 8 Gr.16.

Olearii Haupt-Schlüßel

der gantzen heil. Schrifft 2 Rl. – Gr.16.

Adami güldener

Augapffel – Rl. 4 Gr.16.

Meiffarti Erinnerung – Rl. 4 Gr.16.

und annoch baar – Rl. 4 Gr. 1016.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

Frau Elisabeth Juliana Friederica Altnikolin.


 

In Folio.


 

Tauleri Predigten– Rl. 4 Gr.16.

Scheubleri Goldgrube 11. Th.1 Rl. 8 Gr.16.


 

In Quarto.


 

Pfeifferi Kern und Safft

der heil. Schrifft1 Rl. – Gr.16.


 

[970] In Octavo.


 

Pfeifferi Evangelische

Christen Schule – Rl. 8 Gr.16.

und baar annoch – Rl. – Gr. 1016.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

Herr Johann Christoph Friedrich Bach.


 

In Quarto.


 

Lutheri Hauß PostillaRl. 16 Gr.16.

Froberi Psalm– Rl. 4 Gr.16.

Unterschiedene Predigten– Rl. 4 Gr.16.


 

In Octavo.


 

Mülleri Lutherus

DefensusRl. 8 Gr.16.

Gerhardi Schola Pietatis

5. Bände – Rl. 12 Gr.16.

Speneri Eyfer wieder

das Pabstthum – Rl. 8 Gr.16.

Wagneri Leipziger

Gesangbuch 8. Bände 1 Rl. – Gr.16.

dargegen er

herausgegeben – Rl. 7 Gr. 216.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

Herr Johann Christian Bach.


 

In Quarto.


 

Stengeri Postilla1 Rl. – Gr.16.

Ej. Grund Veste der Augspurg.

ConfessionRl. 16 Gr.16.


 

In Octavo.


 

Pfeifferi Anti-CalviRl. 8 Gr.16.

Ej. Christenthum – Rl. 8 Gr.16.

Ej. Anti-Melanch.Rl. 8 Gr.16.

und annoch baar – Rl. 8 Gr.16.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

Jgfr. Johanna Carolina Bachin.


 

In Quarto.


 

Mülleri Predigten über

den Schaden Josephs – Rl. 16 Gr.16.

Ej. Schlußkette 1 Rl. – Gr.16.

Ej. AtheismusRl. 4 Gr.16.

Ej. JudaismusRl. 16 Gr.16.

Heinischii Offenbahrung

JohannisRl. 4 Gr.16.

und Baar annoch – Rl. 4 Gr. 1016.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

Jgfr. Regina Susanna Bachin.


 

In Folio.


 

Lutheri opera 8. Bände 4 Rl. – Gr.16.

dargegen sie

herausgegeben 1 Rl. 3 Gr. 216.

Summa 2 Rl. 20 Gr. 1016.


 

[971] Was nun endlich


 

14.


 

 

die sub.Cap. I. und II. Specificirten Passiva an 152 Rl. 21 Gr. 6 16. anbelanget, so sind solche durchgängig richtig befunden worden, und nachdem nach Abzug des zu deren Befriedigung mit angewendetenCap. IV. Specificationis angesetzt gewesenen Ausgabe-Geldes an 36 Rl. ein Saldo von 116 Rl. 21 Gr. 6 16. zu bezahlen übrig gewesen; Alß hat die Frau Wittbe hierzu per tertiam partem 38 Rl. 23 Gr. 216. und ein iedes Kind 8 Rl. 15 Gr. 10 16. gezahlet, und von denen Erb-Portionen sich abkürtzen laßen. Es haben sich auch überdieses Herr Wilhelm Friedemann Bach, und Jgfr. Catharina Dorothea Bachin, sowohl Herr Görner in Vormundschafft Herr Johann Christoph Friedrich Bachs, Herr Johann Christian Bachs, Jgfr. Johanna Carolina Bachin, und Jgfr. Reginen Susannen Bachin, so wohl Herr Hesemann als Curator Herrn Gottfried Heinrichs Bachs erklähret, sich wegen der, von der Frau Wittbe von dem Todte des seel. Defuncti an aufgewendeten Kost und Versorgung derselben eines billigen zu vergleichen.

Wie nun solchergestalt die gantze Erbschafft vertheilet, und ein iedes seinen Erb-Antheil richtig erhalten, und solchergestalt dieselben an solcher Verlaßenschafft, außer was in diesen Erbvergleiche expresse, und zwar an den Cap. I. Specificationis beniemten Kuxe Cap. III. ausgesetzten Unruhischen und Haasischen Obligationen, an der Cap. V. ausgesetzten Agathenen Dose, und denen Cap. VI. Specificirten sämtlichen Instrumenten ausgesetzt worden, und die 3. Kinder erster Ehe bey den 8 § dieses Erbvergleiches sich wieder ihren jüngsten Bruder annoch vorbehalten, weiter nichts zu fordern haben; Alß quittiren dieselben einander über den richtigen Empfang ihrer Erb-Antheile auf das Beständigste, und zwar resp. vor sich und ihre Mündel, auch resp. cum consensu ihrer gerichtlich bestätigten und zu Ende mit unterschriebenen Herrn Curatorum, und leisten biß auf das, was ietzt bemeldetermaßen ausgezogen worden, an solcher Verlaßenschafft gegen einander hierdurch gäntzlich Verzicht, haben auch resp. vor sich und die Unmündigen und resp. cum Consensu Dominorum Curatorum zu mehrerer Festhaltung dieses Erb-Vergleichs aller denselben entgegenlauffenden Ausflüchten und Rechts Wohlthaten tam in genere quam in specie, besonders des Miß- oder Nicht-Verstandes, als sey die Sache anders abgeredet und niedergeschrieben, der Verletzung über oder unter die Helffte, der Uebereilung, listigen Ueberredung, der Wieder Einsetzung in vorigen Stand, hereditatis non extraditae et Specificationis non juratae, doli, und als ob noch etwas zu vertheilen übrig und in die Specification nicht gebracht worden, item der Rechts-Regul, daß eine allgemeine Verzicht nicht gelte, wenn nicht eine Specielle vorhergegangen, und wie sie sonster Nahmen haben möchten und in Rechten erdacht werden könnten, gegen einander wohlbedächtig sich begeben, und darüber resp. vor sich und die Unmündigen auch cum Consensu Dominorum Curatorum sich verglichen, und dieser Vergleich unter Vordruckung ihrer Pettschaffte, [972] und zwar Herr Wilhelm Friedemann Bach in obhabender Vollmacht seines Herrn Bruders Herr Carl Philipp Emanuel Bachs, und Herr Hesemann, als Actor Frauen Elisabeth Julianen Fridericen Altnickolin, nach dem sich beyderseits durch die vorgezeigte Vollmachten darzu legitimiret, unterschrieben. Wobey iedoch


 

15.


 

Zu gedencken, daß, der Herr Görner denen 4. Unmündigen, bloß zu Ausmachung des Vatertheils zum Vormunde bestätiget worden, solches aber durch diese Theilung und resp. Erbvergleich vollkommen in Richtigkeit gesetzet worden, die Frau Wittbe als Vormünderin gedachter 4. Unmündigen Kinder dererselben erwehntes Vatertheil, wie solches in diesem Erbvergleiche deutlich beschrieben, auch zum Ueberfluße in denen diesem Erb-Vergleiche hinten angeschlossenen Theilungs Zetteln Sub. no. 1. 2. 3. 4. specificirt zu befinden, von nur gedachten Herrn Vormunde so gleich zurück erhalten und in Empfang genommen: Daher Sie dann cum domino Curatore gedachten Herrn Vormund über den richtigen Empfang in besterForm Rechtens hierdurch quittiret und deßen Facta allenthalben ratihabiret, sämtlichen Interessenten auch zu diesem Erbvergleich Gerichtlich sich zu bekennen, und solchen auf gemeinschafftliche Unkostenconfirmiren zu laßen sich erklähret. So geschehen


 

Leipzig den 11. November 1750.


 

[L.S.] Anna Magdalena Bachin Wittbe.

D. Friedrich Heinrich Graff, als Curator.

[L.S.] Catharina Dorothea Bachin.

[L.S.] Wilhelm Friedemann Bach, vor mich, und in Vollmacht meines Bruders, Herr Carl Philipp Emanuel Bach, und als Curator Jgfr. Catharina Dorothea Bachin.

Gottfried Heinrich Bach.

[L.S.] Gottlob Sigismund Hesemann, als Curator vorstehenden Gottfried Heinrich Bachs, und in Vollmacht Frauen Elisabeth Julianen Fridericen Altnickolin.

[L.S.] Johann Gottlieb Görner, als Vormund zur väterterlichen Theilung von

Johann Christoph Friedrich Bach,

Johann Christian Bach,

Johanna Carolina Bachin,

Regina Susanna Bachin.


 

[973] Nr. 1.


 

Herr Johann Christoph Friedrich Bach hat bekommen:


 

Von Cap. II. a et b.

Specificationis an baaren

Gelde § 3 des Vergleichs 17 Rl. 4 Gr.16.

β. 1. gehenckelten

Species-Thaler § 4 1 Rl. 8 Gr.16.

An baaren Gelde

Secundum alleg.

§ phumRl. 13 Gr. 1116.

Von Cap. III. Specificirten

Obligation an Baaren

Gelde § 5 4 Rl. 7 Gr. 116.

Von Cap. V. auff sein

Looß gekommenes

Silberwerck Secund.

§ 7 11 Rl. 14 Gr.16.

An Baaren Gelde Secund.

§ alleg. nach solchen

Looß Zettel 4 Rl. 1 Gr. 1116.

Von Cap. VII. et VIII.

Specificirten Zinn,

Kupffer und Meßing

Secund. § 9 1 Rl. 6 Gr.16.

Von Cap. IX. Specificirten

Kleidern § 10 1 Rl. 2 Gr. 816.

Vom Heergeräthe

Secund. alleg. § 1 Rl. 4 Gr. 916.

Von Cap. XI. Specificirten

Haußgeräthe Secund. § 12 2 Rl. 4 Gr. 116.

Von Cap. XII.

Specificirten Büchern auff

sein Looß, wie solche § 13

specificiret sind 3 Rl. 4 Gr.16.

Summa 47 Rl. 22 Gr. 516.


 

Dagegen hat er herausgeben müßen:


 

Wegen der Bücher – Rl. 7 Gr. 216.

Wegen derer Debitorum

passivorum 8 Rl. 15 Gr. 916.

Wegen Bestätigung des

Vormundes – Rl. 9 Gr.16.

Summa 9 Rl. 7 Gr. 1116.


 

Bleibt an der Summa38 Rl. 14 Gr. 616.


 

38 Rl. 14 Gr. 6 16..


 

Nr. 2.


 

Herr Johann Christian Bach hat bekommen:


 

Von Cap. II. a et b.

Specif. an baaren Gelde

§ 3. des Vergleichs 17 Rl. 4 Gr.16.

β. 2. Species Thaler,

Secund. § 4 2 Rl. 16 Gr.16.

Von Cap. III. Specificirter

Obligation an baaren

Gelde § 5 4 Rl.7 Gr.116.

Von Cap. V. auf sein Looß

gekommenes Silberwerck

Secund. § 7 10 Rl. 20 Gr.16.

Annoch nach solchen

Looß Zettel an baaren

Gelde Secund. alleg. § 4 Rl. 19 Gr. 1116.

Von Cap. VII. et VIII.

Specificirten Zinn, Kupffer

und Meßing Secund. § 9 1 Rl. 6 Gr.16.

[974] Von Cap. IX. Specificirten

Kleidern § 10 1 Rl. 2 Gr. 816.

Vom Heergeräthe Secund.

alleg. § 1 Rl. 4 Gr. 916.

Von Cap. XI. Specificirten

Haußgeräthe Secund. § 12 2 Rl. 4 Gr. 116.

Von Cap. XII.

Specificirten Büchern

auf sein Looß, wie solche

§ 13 specificiret sind 2 Rl. 16 Gr.16.

Annoch an baaren Gelde

nach solchen Looß Zettel 4 Rl. 10 Gr.16.

Summa 48 Rl. 9 Gr. 416.


 

Dargegen hat er herausgeben müßen:


 

Wegen der von Cap. II.

βerhaltenen 2 Species

Thalern – Rl. 18 Gr. 116.

Wegen der Debitorum

passivorum 8 Rl. 15 Gr. 916.

Wegen Bestätigung des

Vormundes – Rl. 9 Gr.16.

Summa 9 Rl. 8 Gr. 1016.


 

Bleibt an der Summa 38 Rl. 14 Gr. 616.


 

38 Rl. 14 Gr. 6 16..


 

Nr. 3.


 

Jgfr. Johanna Carolina Bachin.


 

Von Cap. II. a et b.

Specificationis an baaren

Gelde § 3 des Vergleichs 17 Rl. 4 Gr.16.

β. 2. Species Thaler § 4 2 Rl. 16 Gr.16.

Von Cap. III. Specificirter

Obligation an baaren

Gelde § 5 4 Rl. 7 Gr. 116.

Von Cap. V. auff ihr Looß

gekommenes Silberwerck

secund. § 7 10 Rl. 12 Gr.16.

An baaren Gelde secund. §

alleg. nach solchen

Looßzettel 5 Rl. 3 Gr. 1116.

Von Cap. VII. et VIII.

Specificirten. Zinn, Kupffer

und Meßing Secund § 9 1 Rl. 8 Gr.16.

Von Cap. IX. Specificirten

Kleidern § 10 1 Rl. 2 Gr. 816.

Von Cap. XI. Specificirten

Haußgeräthe Secund.

§ 12 2 Rl. 4 Gr. 116.

Von Cap. XII.

specificirten Büchern,

auff ihr Looß, wie solche

§ 13. specificiret sind 2 Rl. 16 Gr.16.

Annoch an Baaren Gelde

nach solchen Looßzettel 4 Rl. 10 Gr.16.

Summa 47 Rl. 4 Gr. 716.


 

Dargegen hat sie herausgeben müßen:


 

Wegen der von Cap. II.

β erhaltenen 2

Spec. Thaler – Rl. 18 Gr. 116.

Wegen derer Debitorum

passivorum 8 Rl. 15 Gr. 916.

Wegen Bestätigung des

Vormundes – Rl. 9 Gr.16.

Summa 9 Rl. 18 Gr. 1016.


 

Bleibt noch an der Summa37 Rl. 9 Gr. 916.


 

37 Rl.9 Gr.9 16..


 

[975] Nr. 4.


 

Jgfr. Regina Susanna Bachin hat bekommen:


 

Von Cap. II. a et b

Specificationis

an baaren Gelde §

des Vergleichs 17 Rl. 4 Gr.16.

β. 1. Doppelt Species

Thaler § 4 2 Rl. 16 Gr.16.

Von Cap. III. Specificirter

Obligation an baaren

Gelde § 5 4 Rl. 7 Gr. 116.

Von Cap. V. auff ihr Looß

gekommenes Silberwerck

Secund. § 7 – Rl. 9 Gr. 216.

Annoch nach solchen Looß

Zettel an baaren Gelde

secund. § alleg. 6 Rl. 13 Gr. 1116.

Von Cap. VII. et VIII.

Specificirten Zinn, Kupffer

und Meßing § 9 1 Rl. 6 Gr.16.

Von Cap. IX. specificirten

Kleidern § 10 1 Rl. 2 Gr. 816.

Von Cap. XI. specificirten.

Haußgeräthe secund § 12 2 Rl. 4 Gr. 116.

Von Cap. XII. specificirten

Büchern auff ihr Looß,

wie solche § 13.

specificiret sind 4 Rl. – Gr.16.

Summa 48 Rl. 7 Gr. 916.


 

Dagegen hat sie herausgeben müßen:


 

Wegen den von Cap. II. β

erhaltenen Doppelten

Species Thaler – Rl. 18 Gr. 116.

Wegen der Bücher 1 Rl. 3 Gr. 216.

Wegen derer Debitorum 8 Rl. 15 Gr. 916.

Wegen Bestätigung des

Vormundes – Rl. 9 Gr.16.

Summa 10 Rl. 22 Gr.16.

Bleibt noch an der Summa37 Rl. 9 Gr. 916.


 

37 Rl. 9 Gr. 8 16..


 

[Obigen Testamentsacten liegen noch folgende beide Schreiben bei:]


 

praes. den 17. Octobr. 1750.


 

Rector Magnifice

Hochwürdige, HochEdelgeborene, Hoch Rechtsgelehrte, Hocherfahrne, HochEdle und Hochweise Herren, Hohe Patronen.


 

Ew. Magnificenz, Hochwürd. und HochEdelgeb. Herren werden Sich zu erinnern wißen, daß am 17tenhujus um Verordnung und Bestätigung eines Tutoris meiner Kinder unterthänigst angehalten. Weil mich aber entschloßen, mit Verwilligung E. Hochlöbl. Universität, mit der Verzicht, nicht wieder zu Heyrathen, die Vormundschaft meiner Kinder namentlich

Johann Christoph Bach, alt 18. Jahr,

Johann Christian Bach, alt 15. Jahr,

Johanna Carolina Bachin, alt 12. Jahr,

Regina Susanna Bachin, alt 9. Jahr,

[976] auf mich zu nehmen; Als ergehet an Dieselben mein Dienst ergebenstes Bitten, mich nicht nur zur Vormünderin besagter meiner Kinder gebührend zu constituiren, sondern auch wegen vorzunehmender Theilung der Verlaßenschaft meines seel. Mannes Herrn Görnern, Director Musices E. Hochlöbl. Universitaet und Organist an der Kirche zu St. Thomae allhier mir als Con-Tutorem, iedoch nur allein zur Theilung zuadjungiren. Womit in Unterthänigkeit verharre


 

Ew. Magnificenz,

Hochwürd. und HochEdelgeb. Herrn

Leipzig d. 21ten Octobr. 1750.

untertänigste

Anna Magdalena Bachin

Witwe.


 

praes. den 20. Octobr. 1750.


 

Rector Magnifice,

Hochwürdige, Hoch-Edelgebohrne, Hoch-Rechtsgelehrte, Hocherfahrne, HochEdle auch Hochweise Herren Hohe Patronen.


 

Ew. Magnificenz, Hochwürd. und HochEdelgeb. Herren geruhen gnädigst Sich in Unterthänigkeit vortragen zu laßen, was maßen am 28. Julij a.c. mein seel. Mann, Nahmens Johann Sebastian Bach, weyl.Cantor an der Schule zu St. Thomae allhier, verstorben und mir 5. unmündige Kinder hinterlaßen. Weiln nun einer Mutter, wenn solche selbst keinen Tutorem vor ihre Kinder vorzuschlagen weiß, oblieget, binnen gesetzter Zeit um Bestätigung eines Tutoris anzuhalten; Alß gelanget an E. Magnificenz, Hochwürd. und HochEdelgeb. Herren mein unterthänigstes Bitten, dieselben wollen die Gnade haben und meinen unmündigen Kindern des nähesten einen Tutorem verordnen und bestätigen.

Wovor mit aller Hochachtung unausgesetzt seyn werde

E. Magnificenz,

Hochwürd. und HochEdelgeb. auch

Hochweisen Herren

unterthänig-gehorsamste

Anna Magdalena Bachin

Witwe.

Leipzig d. 17. Octobr. 1750.

Res. den 21. Oct. 1750.

Fiat utrumque.


 

[977] [Auf Seb. Bachs Hinterlassenschaft bezieht sich endlich auch folgendes Actenstück aus dem Leipziger Handelsbuch von 1749, Vol. II. Fol. 512 ff., ebenfalls befindlich im Archiv des Leipziger Bezirksgerichts:]


 

Herr Johann Christoph Friedrich Bach.


 

Vor E.E. Hochw. Rath der Stadt Leipzig ist heut acto persönlich erschienen Herr Johann Christoph Friedrich Bach, Cammer-Musicus bey des Herrn Grafen von der Lippe Excell. ex jure cesso et donationis seines verstorbenen Vaters, Herrn Johann Sebastian Bachs, und hat nachgesetzte Quittung in Originali übergeben, mit Bitte, daß wohlgedachter Rath solche Obrigkeitswegen confirmiren, und denen Raths-Büchern einverleiben laßen wolte, es lautet aber dieselbe, von Wort zu Wort, wie folget:

Demnach Herr Johann Christian Hoffmann am 1sten Feb. a.c. mit Todte abgegangen,110 vorhero aber untern 11. Septembr. 1748 ein Testament errichtet, in welchen er Frau Christina, gebohrne Kormartin, verehelichte M. Forbigerin, als Erbin seiner sämmtlichen Verlaßenschaft eingesezet, und meinen verstorbenen Herrn Vater, Johann Sebastian Bach in dem 11ten § pho seines Testaments ein von seiner eigenen Arbeit verfertigtes musicalisches Instrument, so ihn durchs Looß zufallen würde, vermacht. Wann dann mein oberwähnter verstorbener Herr Vater bey seinen Leben dieses Legatum an mich cediret, geschencket und überlaßen, daß ich das durchs Looß auf ihn kommende Instrument als mein Eigenthum an mich nehmen und behalten solle, solches auch mir Endes genannten, heut dato in natura ausgeliefert worden; Als quittire hiermit gebührend mehrgedachte Testaments-Erbin, Frau Christinen, gebohrne Kormartin, verehelichte M. Forbigerin, über das aus Herrn Hoffmanns Testament an mich ausgeliefertemusicalische Instrument, mit Begebung der Ausflucht des Nicht-Empfangs, renuncire wohl bedächtig denen, an dieser Verlaßenschafft habenden An- und Zusprüchen, leiste zu recht beständige Verzicht, und will die dieses legirten Instruments wegen auf den erbschafftlichen Hauße hafftende Hypothec hinwiederum cassiren laßen. Reversire mich auch auf den unverhofften Fall, da besagte Hoffmannische Testaments-Erbin von iemanden, wegen dieses an mich ausgeantworteten Instruments, Anspruch haben sollte, dieselbe dieserwegen zu vertreten und schadloß zu halten. Uhrkundlich ist diese Quittung und Verzicht von mir eigenhändig unterschrieben und besiegelt worden. So geschehen Leipzig den 6. Aug. 1750.

L.S.

Johann Christoph Friedrich Bach.


 

[Folgt Confirmation der Quittung und Cassirung der Hypothek seitens des Raths unter dem 7. Aug. 1750.]

Fußnoten

 

 

 

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750) naar een portret door Elias Gottlob Hausamann, olie, 1748. Bach toont de Canon triplex a 6 vocibus (BWV 1076).

 

 

 

1 Colascione (Calichon), die sogenannte italiänische Laute. Baron, Untersuchung des Instruments der Lauten. Nürnberg, 1727. S. 132 sagt, der Calichon sei nur ein Lautenbass.


 

2 Hier, wie auch weiterhin, habe ich die gewöhnlichen Abkürzungen aufgelöst.


 

3 Der damalige Vorsteher der Thomas-Schule, Dr. Leonhard Baudiß, begleitete dieses Memorial, das bei ihm eingereicht war, mit einigen Bemerkungen bei Übergabe an den Rath (ebend. Fol. 362 ff.). Zu Nr. 2 bemerkt er, daß dieses Regal überallhin, wo Musik sein sollte, mit herumgetragen würde.


 

4 Hierzu bemerkt Baudiß, die Lehrer der Thomas-Schule hätten früher hierin ganz freie Hand gehabt; als sie aber zuweit gegangen wären und auch die Eintheilung der Speisen und Getränke eine Änderung erfordert hätte, so hätte man die Zahl der Alumnen auf 54 festgesetzt. Da jetzt übrigens Gelder reichlich in der Casse wären, und die Erinnerung des Cantors im übrigen begründet sei, befürwortet er die Hinzuziehung guter Vocalisten zu der gesetzlich festgestellten Alumnenzahl.


 

5 Johann Christian Pechuel entlief im September 1706, Nathanael Pezold im August 1708, beide durch Opern-Unternehmer verlockt (s. dasselbe Actenfascikel fol. 348b und 351). Baudiß sagt, daß den Helfershelfer beidemale ein Leipziger Bürger gemacht habe, und empfiehlt die Sache dringend der Erwägung, meint aber, ohne ein königliches Verbot werde man keinen Erfolg haben.


 

6 Dieser Paragraph enthält wunderbarer Weise gar kein formulirtes Desiderium, weshalb auch Baudiß richtig bemerkt: »Diese Klage verstehe ich nicht recht, und weiß nicht waß darunter gesuchet wird.«


 

7 Baudiß: »Dieses kommt auf E. Hochedlen Hochw. Raths Liberalität an. In vorigen Zeitten hat man gewisse Stipendia hierher verwendet, nachdehm Liebhaber zur Music gewesen.«


 

8 Nicht von Kuhnaus eigner Hand. – In den Weihnachtstagen desselben Jahres bestellte die Musik in der Paulinerkirche Johann Friedrich Fasch, Studiosus der Rechte, mit einem von ihm dirigirten aus Studenten bestehenden Collegium musicum. Derselbe ersucht am 29. Dec. 1710 die Universität (Fol. 17 ff.) zu gestatten, die Kirchenmusik des neu eingerichteten Gottesdienstes von nun ab alle Sonn- und Festtage mit seinem Collegium musicum bestellen zu dürfen. Kuhnau habe sich freilich dazu bereit erklärt und sich über ihn (Fasch) beschwert, daß er seine vermeintlichen Rechte ihm schmälern wolle, aber diese bezögen sich nur auf die früheren gottesdienstlichen Handlungen in der Pauliner-Kirche; Kuhnau könne den Dienst in allen Kirchen unmöglich versehen, der Magistrat der Stadt wolle die Kirchen-Instrumente für den Pauliner Gottesdienst nicht mehr zur Verfügung stellen u.s.w.

An demselben 29. Dec. supplicirt auch Kuhnau noch einmal um Beibehaltung seiner Dienste (Fol. 20 ff.), sieht im Gegentheile eine Kränkung seiner Künstler-Ehre, und will, um dieser nur zu entgehen, mit dem »bißherigen Tractament« vorlieb nehmen.


 

9 Dieses bezeugt Heinichen selbst (Der General-Bass in der Composition. S. 840).


 

10 Nur Name und Titel ist von Kuhnau selbst geschrieben.


 

11 »Diese Art bestehet aus Recitativ und Arien, wie das meiste der Opern Music, ist auch von einem jeden jungen Menschen, der immer dergleichen, sonderlich lustige, Melodien höret, leichte nachzumachen.«


 

12 »Die Worte lauten also: Desgleichen sollen dieCantores, etc. (und also auch die Directores der Kirchen Music) nicht ihre, da sie Componisten seyn, oder andrer neüen angehenden, sondern der alten und dieser Kunst wohlerfahrenen und fürtrefflichen Componisten, als (damahls) Josquini, Clementis non Papa, Orlandi, und dergleichen Gesäng enthalten, so auff Tanz Meß, oder Schand Lieder Weise nach componiret, sondern es also anstellen, daß, was in der Kirche gesungen, es herrlich tapffer sey, und Zur Christlichen Andacht die Leüte reizen mag.«


 

13 »Diesen Unterschied der Music hat neben alten berühmten Meistern der von dem Dreßdnischen Hoffe nur izo wieder nach Hause gegangene eccellente Italiänische Capellmeister, Antonio Lotti, uns nur kürzlich gewiesen. Die Composition seiner Opera zeiget neben der Grace ein negligentes, doch sehr brouillantes und schwermendes Wesen meistens von einer oder 2 Stimmen, die doch immer durch viel Instrumente all' Unisono, welches eine leichte und geschwinde verrichtete Arbeit ist, secundiret werden. Hingegen hat er in seinen Kirchen Stücken eine admirable Gravität, starcke und vollkommene Harmonie und Kunst neben der besondern Anmuth sehen laßen: Wie solches ein und andrer von seiner Arbeit vorhandener Psalm, sonderlich aber eine mir communicirte sehr lange Missa, oder ein Kyrie nebenst dem Patrem und denen andern dazu gehörigen Stücken, so er zu lezt vor die catholische Kirche zu Dreßden componiret hat, zur Genüge bezeüget.«


 

14 »Es giebt allhier zu weilen unterschiedene Gelehrte, die das Clavier wohl spielen; Gestalt auch bey unsrer Music manchmahl ein hießiger berühmter Rechts Consulent und Doctor auff der Orgel accompagniret. Es soll vormahls, wie ich per traditionem habe, ein hießiger Organist, oder der zum wenigsten das OrgelWerck fleißig gespielet, Doctor Bähr geheißen, und ein Medicus und Professor gewesen seyn. Es ist auch einer in E. HochEdlen und HochWeisen Rathes Diensten, der das Clavier wohl geübt, und vormahls offte zu unsrer Kirchen Music gespielet hat. Ich selbst habe das Amt eines Organistens und Advocatens verrichtet.«


 

15 So vermuthlich.


 

16 Durchstrichen »übt«.


 

17 Durchstrichen »Der ist und bleibt in dich verliebt«. Über »ist« »wird« durchstrichen.


 

18 Die ersten beiden Zeilen Apollos sind zuerst nur als eine geschrieben; nachträglich ist die Trennung angedeutet.


19 Vor »Das Wohlergehen« die Worte »Ihr blühend« durchstrichen.


20 Vor »theure« ist »wert« (der Anfang von »werthe«) durchstrichen. Unter »verpflegen« steht das zu erst hingeschriebene, nachher durchstrichene »begegnen«.


21 Statt »Milder« wollte Bach erst »Reicher« schreiben: das R ist unter dem M noch zu erkennen.


22 Zuerst »blühet«, durchstrichen.


23 Durchweg von Bach eigenhändig.


24 Durchweg autograph.


25 Durchweg autograph.


26 Durchweg Autograph.


27 Ernestis Autograph.


28 Statt Februar 1737 stand anfänglich November 1736, und statt 12 eine andre zweistellige Zahl, die nicht mehr zu erkennen ist; die spätere Datirung ist über eine Rasur geschrieben. Das Schriftstück ist Copie und von Bach nur unterzeichnet.


29 Die Worte »12. Febr. dieses« stehen ebenfalls auf einer Rasur. Was ursprünglich gestanden, läßt sich aber nicht mehr erkennen.


30 Nur die Unterschrift autograph.


31 Abschrift, aber mit Bachs Siegel (Rosette mit Krone) versehen.


32 Titel von der Hand Johann Peter Kellners, welche sich auch später durch Correcturen und Zusätze hier und da bemerklich macht.


33 Statt des Kolons im Original ein Fragezeichen.


34 Im Manuscript folgt noch das Wort »wird«.


35 Im Manuscr. »eingestrichene 16.«.


36 Diese zum Theil unrichtige Notirung des gewöhnlichen Bassschlüssels hat der Schreiber hartnäckig festgehalten. Sie ist von hier ab stillschweigend von mir corrigirt.


37 Die Beispielreihe genau nach der Handschrift trotz der Üngehörigkeit der fünften und der mangelhaften Bezeichnung des sechsten oder siebenten Dreiklangs.


38 Der Bogen fehlt in der Handschrift.


39 In der Handschrift fälschlich16.


40 Der Bogen fehlt.


41 Statt des vierten Viertels ist im System der rechten Hand eine Lücke. Auch fehlen die Bogen.


42 Bezifferung der Handschrift 16.. Bindung ḡ–ḡ fehlt.


43 Handschrift in der rechten Hand 16..


44 Handschrift im Basse 16..


45 Die Punkte neben den beiden Mitteltönen fehlen.


46 Die Handschrift modus.


47 In der linken Hand H.


48 Rechte Hand 16. und Bezifferung 16..


49 Bezifferung ~6.


50 Bezifferung 16..


51 Oberstimme 16..


52 So, unvollständig und fehlerhaft.


53 Im Alt ḡ.


54 Folgt das Wort »schon«.


55 So.


56 B im Basse fehlt.


57 Bezifferung ~7.


58 So.


59 Im Alt /.


60 Im Tenor ḡ.


61 Quadrat vor à fehlt.


62 So.


63 Im Alt ḡ.


64 Der Accord des dritten Viertels in der rechten Hand fehlt.


65 Das ~ nicht vor, sondern über der Bassnote.


66 So.


67 Nur ein halber Takt.


68 Im Tenor Ä.


69 So.


70 So.


71 Hier ist im Bass etwas falsch.


72 Im Tenor Ä.


73 Kreuz vor 16. fehlt.


74 Wird 16. heißen sollen.


75 Tenor 16..


76 Bezifferung 5 6.


77 Bezifferung 16..


78 Im Alt ā.


79 So.


80 Stimmt nicht mit der Bezifferung, wäre sonst durch Annahme einer Kreuzung der Mittelstimmen allenfalls zu rechtfertigen.


81 Mittelstimmen 16..


82 So.


83 Der Bass jedenfalls verschrieben. Vermuthlich 16..


84 16. der Oberstimme fehlt.


85 So.


86 ḡ des Tenors, das die Bezifferung fordert, fehlt.


87 f im Basse wird d sein sollen. Das Kreuz in der Bezifferung hat freilich auch so keinen Sinn und sollte wohl über dem letzten Viertel stehen.


88 In der Mittelstimme nur 16. als Viertel.


89 a des Basses fehlt.


90 So.


91 Die Ziffer 6 steht fälschlich über a.


92 Vermuthlich so gemeint: 16..


93 Ä des Tenors fehlt.


94 Im Tenor 16..


95 Der letzte Accord für die rechte Hand fehlt.


96 So.


97 Die Handschrift modum.


98 Dies Beispiel greift zum Theil schon dem Folgenden vor, wohl nur durch ein Versehen des Schreibers.


99 Takt 12–15 fehlen in Bass und Bezifferung die Kreuze.


100 Bezifferung über dem dritten Viertel 16..


101 Bezifferung über dem ersten Viertel 16..


102 Bezifferung über dem dritten Viertel 16..


103 Handschrift 16..


104 Handschrift 16..


105 Bezifferung fehlt.


106 So.


107 Bezifferung 16..


108 Bezifferung 16..


109 Vergl. Kunst des reinen Satzes II, 1, S. 49.


110 »I.C. Hoffmann, K.P. und C.F.S. zu dero Capelle bestallter Lauten- und Instrumentmacher.« Sicul, Leipziger Jahrbuch. 1. Bd. S. 498.

 

 

Nachträge und Berichtigungen

zum ersten und zweiten Bande


 

 

Zu I, XV. Seit ich aus den Inscriptionsbüchern der Leipziger Universität gesehen habe, daß Johann Elias Bach aus Schweinfurt im Sommersemester 1739 dort Theologie studirte, glaube ich über Verfasser und Ursprungszeit der Emmertschen Genealogie noch genaueres sagen zu können. Die Vergleichung derselben mit dem Emanuel Bachschen Original macht es höchst wahrscheinlich, daß Elias Bach sie selbst verfaßt hat. Jedenfalls muß sie geschrieben sein, als er in Leipzig studirte, da Emanuels Worte: »p. t. Cantor in Schweinfurth« fortgelassen sind und statt ihrer gesetzt ist: »geboren zu Schweinfurth den 12. Februar 1705 früh um 3 Uhr. Studios. Theol.« Aus der möglichst genauen Angabe seines Geburtsdatums, sowie aus der zwischen Nr. 39 und 40 gemachten Einschaltung seines jüngeren Bruders, Johann Heinrich Bachs, der, wie ausdrücklich hinzugefügt wird, sehr jung gestorben ist und daher weiteren Kreisen schwerlich bekannt geworden war, geht ferner mit Sicherheit hervor, daß diese Angaben von einem Gliede der fränkischen Bachs und mindestens nächsten Anverwandten von Elias Bach herstammen müssen. Nun deuten aber andere Zusätze wieder darauf hin, daß grade sie unter Einfluß Seb. Bachs entstanden sind. Nicht zwar solche der Emmertschen Genealogie selbst, welche ja erst mit Nr. 25 beginnt, aber doch Zusätze der Ferrichschen Genealogie, welcher jene zu Grunde liegt, und die vollständig erhalten ist. Weil das Todes-Jahr und -Datum von Seb. Bachs älterem Bruder in der Original-Genealogie ausgelassen ist, schlossen wir, daß dieselbe in diesem Theile nicht unter Sebastians Augen entstanden sein könne. Beides hat aber Ferrich (Nr. 22). Nehmen wir jetzt nur an, daß er dies seiner Vorlage nachgeschrieben hat, so ist, denke ich, die Wahrscheinlichkeit so groß wie nur möglich, daß Elias Bach der Verfasser jener ist. Als bekräftigendes Moment würden nun noch die subtilen Angaben über den Vater, Valentin Bach (Nr. 26), hinzukommen. Also wäre die Emmertsche Genealogie zwischen 1739 und 1743 geschrieben.

I, 93. Das alte Manuscript der Motette »Ich lasse dich nicht« auf der königlichen Bibliothek zu Berlin ist keinesfalls ein Autograph Johann Christoph Bachs. Wiederholte spätere Untersuchungen haben mich vielmehr überzeugt, daß man in ihm ein Autograph Sebastian Bachs zu erkennen hat und zwar, wie die Wasserzeichen ausweisen (siehe Band I, S. 808), eins aus der weimarischen Zeit. Der Charakter der Handschrift zeigt sich derjenigen der Mühlhäuser Rathswechselcantate noch nahe verwandt, das Manuscript dürfte also gegen 1710 entstanden sein. Der Name des Componisten der Motette ist auf demselben nicht verzeichnet. Hiernach kann man allerdings nicht umhin, die Frage, ob nicht doch wirklich [981] Sebastian Bach ihr Verfasser sei, von neuem ernstlich zu prüfen. Die sehr frühe Zeit, in der er sie, wenn überhaupt, componirt haben würde, lassen die Stileigenthümlichkeiten des Werkes weniger befremdend erscheinen; geht es doch auch über Johann Christophs Stil in mancher Beziehung hinaus. Derjenige, welcher die Motette Sebastian Bach zuerst zusprach, ist nicht Schicht gewesen, wie Band I, S. 93, Anmerk. 37 vermuthet worden ist. Sie scheint vielmehr das vorige Jahrhundert hindurch von den Leipziger Thomanern allgemein als Sebastians Composition gesungen worden zu sein, da auch Rochlitz, ein ehemaliger Thomaner und Sänger Bachscher Motetten, erst durch Philipp Emanuel Bachs Katalog sich von der Autorschaft Joh. Christophs überzeugt zeigt (s. dessen Sammlung vorzüglicher Gesangwerke Band III, 1 Abtheilung, Vorbericht S. 8), während er in seinem Buche Für Freunde der Tonkunst II, S. 144 (3. Aufl.) sie noch als Sebastians Composition durchgehen läßt. Dagegen bleibt es immer höchst bedenklich, daß Emanuel Bach die Motette offenbar als ein Werk seines Vaters nicht anerkannt hat. Eine endgültige Entscheidung der Frage würde wohl nur herbeigeführt werden, wenn ein Autograph Sebastian Bachs zu Tage käme, auf dem er sich selbst als Componisten angiebt.

I, 99. Gerbers musikalische Hinterlassenschaft ist nicht ganz verloren gegangen. Einen Theil kaufte Hofrath André in Offenbach; vergl. Katalog CXII (aus dem Jahre 1876) von Albert Cohn in Berlin und daselbst besonders Nr. 6. Einiges befindet sich auch auf der königl. Bibliothek zu Berlin.

I, 120. Ueber Pachelbels Tabulaturbuch hat A.G. Ritter in den Monatsheften für Musikgeschichte, Jahrgang 1874, S. 119 ff. eingehende Untersuchungen angestellt. Nach ihnen stammt das Tabulaturbuch in der vorliegenden Gestalt wahrscheinlich gar nicht von Pachelbel selbst her, sondern ist von einem ungeübten Organisten aus gekürzten Compositionen Pachelbels zusammengetragen.

I, 123. »Von Joh. Mich. Bach sind da in Kupfer gestochene 2chörichte Sonaten«. Handschriftliche Bemerkung Adlungs in seinem Exemplar des Waltherschen Lexicons zum Artikel »Michael Bach«. Das Exemplar ist auf der königl. Bibliothek zu Berlin.

I, 156. Diener-Besoldungs-Buch von Michaelis 1687 bis Michaelis 1688. Auf der Ministerialbibliothek zu Sondershausen. S. 72: »Hoff Musicus Johann Christoff Bach. 20 Gülden jährlich.« Der Gehalt von 30 Gülden schließt also eine Zulage ein.

I, 194. Simon Metaphrastes [F.W. Marpurg], Legende einiger Musikheiligen. Cölln am Rhein, 1786. S. 74 ff.:

»Johann Sebastian Bach, auf welchen man das horazische nil oriturum [982] alias, nil ortum tale, anwenden kann, pflegte sich mit Vergnügen einer Begebenheit zu erinnern, die ihm auf einer in seiner Jugend angestellten musikalischen Reise begegnet war. Er war auf der Schule zu Lüneburg, in der Nähe von Hamburg, wo damals ein sehr gründlicher Organist und Componist, Nahmens Reinecke blühete. Da er, um diesen Künstler zu hören, öfters eine Reise dahin machte, so geschah es eines Tages, da er sich länger in Hamburg aufgehalten hatte, als es das Vermögen seiner Börse erlaubte, daß er bey seiner Zurückwanderung nach Lüneburg, nicht mehr als ein paar Schillinge in der Tasche hatte. Noch nicht hatte er den halben Weg zurück gelegt, als ihn ein starker Appetit anwandelte, und er zu dem Ende in einem Wirthshause einkehrte, wo ihm bey dem köstlichen Geruch aus der Küche, die Lage, worinnen er sich befand, noch zehnmal schmerzhafter vorkam. Mitten in seinen trostlosen Betrachtungen darüber hörte er ein knarrendes Fenster öfnen, und sahe, daß aus selbigem ein paar Heringsköpfe auf den Kehrigt geworfen wurden. Als einem ächten Thüringer, fieng ihm beym Anblick dieser Figuren der Mund zu wässern an, und er säumte keinen Augenblick sich ihrer zu bemächtigen; und siehe, o Wunder! er hatte kaum angefangen sie zu zergliedern, so fand er in einem jeden Kopfe einen dänischen Ducaten versteckt; welcher Fund ihn in den Stand setzte, nicht allein nunmehro eine Portion Braten zu seiner Mahlzeit hinzuzufügen, sondern annoch mit ehestem mit mehrer Gemächlichkeit eine neue Wallfahrt zum Hrn. Reinecke nach Hamburg zu unternehmen. Besonders ist es, daß der unbekannte Wohlthäter, der ohne Zweifel am Fenster gelauschet haben wird, um zu sehen, welchem Glückskinde sein Geschenk zu theil werden würde, nicht die Cüriosität gehabt hat, die Person und Eigenschaften desselben näher zu recognosciren.«

I, 200. Melodien von Georg Böhm sollen sich in einer 1700 erschienenen Ausgabe der Elmenhorstschen geistlichen Lieder finden; s. Winterfeld, E.K. II, 502.

I, 207, Anmerk. 44. Seb. Bachs Partiten über »Ach, was soll ich Sünder machen« sind seitdem von der königl. Bibliothek in Berlin angekauft worden. Autograph ist das Manuscript nicht; echt können aber die Compositionen immerhin sein, die denen über » Christ, der du bist der helle Tag« und »O Gott du frommer Gott« sehr ähnlich sind.

I, 250. In Bachs früheste (Arnstädter) Zeit gehört auch ein Orgelchoral »Wie schön leuchtet der Morgenstern. a 2 Clav. Ped.«, dessen Autograph, aus vier zusammengehefteten Blättern in Kleinquerquart bestehend, früher Professor Wagener in Marburg besaß; jetzt ist es auf der königl. Bibliothek zu Berlin. Neben der Ueberschrift steht oben rechts I.S.B. Die Schrift ist ungemein fein und zierlich, die Schriftzeichen sind in manchem Betracht, z.B. in der Form der Quadrate, von denen der späteren Zeit abweichend. Ein Wasserzeichen trägt das Papier nicht.

[983] I, 253. Ueber die lübeckischen Abendmusiken und deren muthmaßlichen Ursprung ergeht sich ausführlich Caspar Rüetz, Widerlegte Vorurtheile von der Beschaffenheit der heutigen Kirchenmusic. Lübeck, 1752. S. 44 ff. Neuerdings hat den Gegenstand behandelt H. Jimmerthal in einer sorgfältigen kleinen Schrift: Dietrich Buxtehude. Historische Skizze. Lübeck, Kaibel. 1877.

I, 258. Ueber Buxtehudes Orgelcompositionen darf ich auf meine inzwischen erschienene Ausgabe derselben verweisen (2 Bände. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1875 und 1876). Es sind in derselben mehre Stücke enthalten, die mir zur Zeit, da die Charakteristik Buxtehudes geschrieben wurde, noch nicht bekannt waren.

I, 308, Anmerk. 41. Daß Bach das Lied »Jesu meine Freude« nicht in seiner Originalgestalt componirt habe, ist ein Irrthum, zu dem ich durch Benutzung der Breitkopf und Härtelschen Ausgabe verleitet worden bin.

I, 360. »Auff das Ableben D. Eilmars, Königl. Groß-Britannischen Kirchen-Raths und Superint. in Mühlhausen 1715.


Dein Englischer Verstand, Beredsamkeit und Gaben

Sind in das innerste der Hertzen eingegraben.

Drum braucht dein Tugend Ruhm hier keinen Leichenstein,

Weil unsre Hertzen selbst dein Grabmahl ewig sein.«


Joh. Gottfried Krause, Poetische Blumen. Erstes Bouquet. Langensaltza 1716. S. 117.

I, 392. Das Fragment eines technisch sehr interessanten »Pedal Exercitium« von Bach besaß Professor Wagener in Marburg. Jetzt ist es auf der königl. Bibliothek zu Berlin; es scheint Autograph zu sein.

I, 410. Herr Professor Wagener in Marburg theilte mir gefälligst mit, daß das zweite Concert der Clavier-Arrangements in Vivaldis Op. 7, Nr. 2 zu finden sei, das erste in Op. 3, Nr. 7, das neunte in Stravaganza 1.

I, 444. Das Autograph der Cantate »Aus der Tiefe« besaß früher Aloys Fuchs in Wien. Eine Abschrift seines Autographen-Katalogs bewahrt die Stadtbibliothek in Leipzig. Hier steht wörtlich: »Motette »Aus der Tiefe« 4 Singst. u. Inst. (Partitur.) 1715«. Ist die Angabe richtig, so wäre die Cantate einige Jahre später geschrieben, als von mir angenommen wurde.

I, 495, Anmerk. 37. Die Handschrift der Cantate »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt« ist ein Autograph Heinrich Nikolaus Gerbers.

I, 555. Herr Alfred Dörffel in Leipzig macht mich darauf aufmerksam, daß im Jahre 1716 der Sonntag Oculi nicht auf den 22., sondern auf den 15. März fiel.

[984] I, 616. Es hat sich, wie mir Herr Geheimer Archivrath Siebigk in Zerbst gefälligst mittheilt, neuerdings noch ein Actenstück im vormaligen herzoglich cöthenischen Archiv gefunden: ein »Protocoll über die Fürstl. Capell- und Trompeter Gagen von 1717–18.« In diesem steht zu lesen: »Der neuangenommene Capell-Meister Herr Johann Sebastian Bach bekömbt Monatlich 33 Thlr. 8 gr. und hat derselbe 1717, 29. Dezbr. von dem 1. Augusti, 7 bris, 8 br., 9 br. undDecembris, bis zum 1. Jan. 1718 baar laut Quittung empfangen 166 Thlr. 16 gr.« Ferner am 5. Febr. 1718 für Januar, 28. Febr. für Februar und März u.s.w. je 33 Thlr. 8 gr. Hieraus ergiebt sich als Bachs Jahresgehalt die verhältnißmäßig bedeutende Summe von 400 Thalern. Man sieht ferner, daß der Fürst Leopold dem neuen Capellmeister, der nicht vor Ende November seinen Dienst angetreten haben wird, vom 1. August ab den Gehalt berechnen und nachträglich auszahlen ließ.

Außerdem geht aus dem Actenstücke hervor, daß Bach in der That im Mai 1718 den Fürsten nach Carlsbad begleitet hat. Mit ihm gingen noch folgende Capellmitglieder:

Der Kammermusicus Johann Ludwig Rese,

Der Kammermusicus Martin Friedrich Marcus,

Der Kammermusicus Joh. Friedrich Torlée,

Der Violdigambist Christ. Ferdinand Abel,

Der Kammermusicus C. Bernhard Linike,

Der Premier-Kammermusicus Josephus Spieß.

Ihnen allen wurde am 6. Mai 1718 ihr Gehalt für den Monat Juni »zur Carlsbader Reise gezahlet.«

I, 667. In Breitkopfs Verzeichniß von Ostern 1763 steht auf S. 73: »Bach, Joh. Seb. Capellm. und Musik-Director zu Leipzig. XXII. Inventiones vors Clavier. Leipzig fol. a 1 thl. 12 gr.« Hierdurch wird die interessante Thatsache festgestellt, daß es schon 1763 eine gedruckte Ausgabe der Inventionen gegeben hat. Seltsam ist nur die Zahl, doch könnte sie aus XXX verdruckt sein; es wären dann Inventionen und Sinfonien zusammengerechnet.

I, 754. Anna Magdalena war schon vor ihrer Verheirathung als Fürstliche Hof-Sängerin in Cöthen angestellt und im September 1721 bereits die Braut Sebastian Bachs. Als solche stand sie am 25. Sept. 1721 mit ihm zusammen Pathe bei einem Kinde des fürstlichen Kellerknechts Christian Hahn, wie die Taufregister der Cöthener Cathedralkirche ausweisen.

I, 756. Herr Dr. F.L. Kollmann in Lübeck wies mich bald nach Erscheinen des ersten Bandes auf den Leipziger Professor Dr. August Pfeiffer als denjenigen hin, auf welchen mit »Anti-Calvinismus, Christenschule und Anti-Melancholicus« muthmaßlich gezielt werde. Die Richtigkeit der Ansicht wurde mir hernach durch das Verzeichniß von Bachs theologischer Bibliothek bestätigt; s. Band II, Anhang B, XVI.

[985] I, 801 (oben). Einmal kommt es in einer unzweifelhaft echten Bachschen Cantate (»Schau, lieber Gott, wie meine Feind«) dennoch vor, daß ein einfach gesetzter Choral das Ganze einleitet. Es bleiben aber immer noch Eigenschaften genug zurück, die mit entscheidendem Gewicht gegen die Echtheit der dort erwähnten Cantate »Herr Christ, der ein'ge Gottssohn« zeugen.

Zu I, 818. Im Anfange dieses Jahres fand ich im Besitz des Herrn Ernst Mendelssohn-Bartholdy zu Berlin ein zweites Autograph zu den Chorälen des »Orgelbüchleins«. Dasselbe hat seinerzeit Felix Mendelssohn-Bartholdy zugehört, der es mit Umschlag und selbstgeschriebenem Titel versehen hat. Es ist bereits 1836 in seinem Besitz gewesen. Zwei Blätter daraus schenkte er seiner Braut für ihr Stammbuch. Ein drittes Blatt erhielt später Frau Clara Schumann. Auf dem Umschlag sind die Schenkungen vermerkt worden. Auch diese Blätter haben sich noch vorgefunden, erstere im Besitz der Frau Professor Wach in Leipzig; letzteres bewahrt Frau Clara Schumann in Frankfurt a.M. noch heute.

Das eines Originaltitels entbehrende Autograph enthält, so weit es sich in Händen des Herrn Ernst Mendelssohn-Bartholdy befindet, auf 14 unpaginirten, zierlich und schön beschriebenen Blättern in Kleinquerquart folgende Choräle:

Das alte Jahr vergangen ist (14)

In dir ist Freude (13)

Mit Fried und Freud ich fahr dahin (15)

Christe, du Lamm Gottes (19)

O Lamm Gottes unschuldig (16)

Da Jesus an dem Kreuze stund (20)

O Mensch, bewein dein Sünde groß (18)

Christus, der uns selig macht (17)

Wir danken dir, Herr Jesu Christ (21)

Hilf Gott, daß mirs gelinge (23)

Herr Gott, nun schleuß den Himmel auf (24)

Christ lag in Todesbanden (28)

Jesus Christus, unser Heiland (25)

Christ ist erstanden (29)

Erstanden ist der heilge Christ (26)

Heut triumphiret Gottes Sohn (27)

Erschienen ist der herrliche Tag (30)

Es ist das Heil uns kommen her (34)

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (36)

In dich hab ich gehoffet Herr, alio modo (22).

Die unpaginirten beiden Blätter der Frau Professor Wach enthalten:

Liebster Jesu wir sind hier1 (31)

Dies sind die heilgen zehn Gebot (35)

[986] Vater unser im Himmelreich (37)

Durch Adams Fall ist ganz verderbt (38).

Das unpaginirte Blatt der Frau Clara Schumann enthält:

Komm, Gott Schöpfer heiliger Geist (32)

Herr Jesu Christ dich zu uns wend (33).

Im ganzen also bietet das Autograph 26 Choräle. Eine spätere Hand hat, jedenfalls behufs einer Abschrift, sich daran gemacht, dieselben anders zu ordnen. Sie hat die Choräle mit Nummern versehen, welche oben hinter den einzelnen Textanfängen in Klammern verzeichnet sind. Daß die Neuordnung nicht nach Maßgabe des reichhaltigeren Cöthener Autographs erfolgt ist, lehrt die Vergleichung, da sie mit einer Ausnahme (Christ ist erstanden) mit der Ordnung dieses Autographs nicht stimmt. Wohl aber läßt der Umstand, daß sie erst mit Nr. 13 beginnt, den Schluß zu, daß, als sie vorgenommen wurde, noch 12 Choräle mehr vorlagen. Es läßt sich dieses auch daraus schließen, daß, während die Reihenfolge der Choräle des Mendelssohnschen Autographs im großen und ganzen der Ordnung des Kirchenjahres gemäß ist, doch Advents- und Weihnachtschoräle gänzlich fehlen. Die Vermuthung ist daher begründet, daß das Mendelssohnsche Autograph ursprünglich 38 Choräle enthielt, also nur 8 weniger als das Cöthener.

Aus der Vergleichung beider ergiebt sich, daß das Mendelssohnsche um ein beträchtliches älter sein muß. Vor allem finden sich in ihm die Choräle »Christus, der uns selig macht« und »Komm, Gott Schöpfer heiliger Geist« in älteren Lesarten. Dieselben sind als solche nicht unbekannt. Griepenkerl hat sie in seiner Ausgabe der Bachschen Orgelchoräle als Varianten mitgetheilt. Als Quelle nennt er bei dem ersten die Schelblesche Sammlung, bei dem zweiten geradezu das Autograph. Da nun beide Varianten im Cöthener Autograph sich nicht finden, so wird ihm das ältere Autograph vorgelegen haben und dieses früher in Schelbles Besitz gewesen sein, von dem es Mendelssohn erhalten haben dürfte. Die seit Griepenkerls Zeit verborgen gewesene Quelle ist also jetzt wieder aufgedeckt.

Ferner wird das höhere Alter des Mendelssohnschen Autographs durch die Choräle »Hilf Gott, daß mirs gelinge« und »In dich hab ich gehoffet Herr« bewiesen. Jener, der im Cöthener Autograph Reinschrift ist, während er im Mendelssohnschen manche Correcturen zeigt, ist hier anfänglich auf zwei Systemen notirt. Als Bach aber bis in den vierten Takt geschrieben hatte, merkte er, daß er auf zwei Systemen nicht Raum genug haben würde. Er hat deshalb von hier ab aus freier Hand ein drittes System für das Pedal gezogen, welches bis zum Schlusse des Stückes fortläuft. Im Cöthener Autograph steht der Choral von Anfang an auf drei Systemen, d.h. die Pedalstimme ist durchweg in deutscher Tabulatur unter das zweite System geschrieben. Den Choral »In dich hab ich gehoffet Herr« wollte Bach, als er den Inhalt des Mendelssohnschen Autographs zusammenstellte, in zwei Bearbeitungen geben. Eine lag fertig vor; er trug sie ein, schrieb darüber alio modo und ließ vor ihr für die noch zu componirende Bearbeitung ein Blatt frei. Als er die umfangreichere [987] und noch auf viel mehr Choräle berechnete Sammlung des Cöthener Autographs herstellte, war jene Bearbeitung immer noch nicht componirt, aber die Absicht dazu nicht aufgegeben; er ließ daher auch hier für sie Raum. Wenn der Inhalt des Orgelbüchleins im Cöthener Autograph seine erste Niederschrift erfahren hätte, so müßte man das Mendelssohnsche als einen Extract aus diesem ansehen. Aber wie sollte Bach dann dazu gekommen sein, hier für ein garnicht componirtes Stück eine Lücke zu lassen?

Ueberarbeitungen früherer Werke pflegt kein Componist eher vorzunehmen, als bis sie ihm in eine gewisse zeitliche Ferne gerückt sind, die ein ganz unbefangenes Urtheil ermöglicht, oder bis er in seiner Entwicklung ein erhebliches Stück über den früheren Standpunkt hinausgekommen ist. Zwischen der Entstehungszeit des Cöthener und Mendelssohnschen Autographs liegen also sicherlich mehre Jahre. Nun ist aber jenes nicht auf einmal, sondern, wie man aus der verschiedenen Schrift deutlich sehen kann, allmählig während der Cöthener Jahre angefertigt. Somit wird durch das Mendelssohnsche Autograph bestätigt, was auch aus andern Gründen wahrscheinlich erscheinen mußte, daß der Inhalt des »Orgelbüchleins« größeren Theils nicht in Cöthen componirt ist. Mindestens 26, wahrscheinlich aber 38 jener 46 Choräle sind hiernach in der vor-cöthenischen Zeit geschrieben.

Wir können noch weiter gehen. Mag das Mendelssohnsche Autograph auch in den letzten weimarischen Jahren entstanden sein, so trägt doch ein bedeutender Theil seines Inhalts unverkennbare Spuren an sich, daß er selbst in diesem Manuscript nichts als eine Abschrift noch älterer Werke ist. Ich habe Bd. I, S. 601, Anmerk. 55 darauf hingewiesen, und halte die Behauptung für unwiderleglich, daß der Choral des Orgelbüchleins »Komm, Gott Schöpfer heiliger Geist«, so wie er dort sich findet, nicht ursprünglich für dasselbe componirt gewesen sein kann. Genau genommen paßt er garnicht hinein; im Orgelbüchlein soll, wie Bach sagt, das »Pedal gantz obligat tractiret« werden, und davon geschieht hier ziemlich das Gegentheil. Dieses Stück ist als Einleitung zu einem größeren Orgelchoral gedacht worden, den wir ja auch noch besitzen. In dem ursprünglichen Zusammenhange erst erklären sich jene kurz gestoßenen, nur den Harmoniengang markirenden Pedaltöne: hernach sollte das Pedal den Cantus firmus übernehmen, und damit dies desto wirksamer geschehen könne, zeigt sich Bach anfänglich im Pedalgebrauch möglichst enthaltsam. Bevor also Bach das Fragment dieses Chorals in das Mendelssohnsche Autograph aufnahm, hat der größere Orgelchoral bereits existirt. Es ist ferner auffällig, daß, abgesehen von den beiden Ueberarbeitungen, die Choräle des Mendelssohnschen Autographs nur in geringfügigen Kleinigkeiten von denen des Cöthener abweichen. Die hauptsächlichsten Abweichungen sind: »Mit Fried und Freud«, T. 13, Alt, letztes Viertel:


Nachträge und Berichtigungen


 

( / ist der dritten Note noch ausdrücklich beigeschrieben); [988] »Herr Gott, nun schleuß den Himmel auf«, T. 21, Alt:


Nachträge und Berichtigungen


ebenda, Schlußtakt, Tenor, letztes Viertel:


Nachträge und Berichtigungen


»O Lamm Gottes unschuldig«, T. 6, Oberstimme:


Nachträge und Berichtigungen


»Hilf Gott, daß mirs gelinge«, letzter T. Pedal:


Nachträge und Berichtigungen


wo aber später auch das tiefe Fis hinzugeschrieben ist. Dagegen finden sich mancherlei Schreibfehler, und bei nicht wenigen Stücken sind aus Versehen Bindebögen, einzelne Noten, ja ganze Tonreihen ausgelassen. So fehlen in »In dir ist Freude«, T. 3 und 4 beide Unterstimmen; in »Herr Gott, nun schleuß« T. 1 die beiden letzten, T. 13 die zweite bis sechste Note im Pedal; in »O Mensch bewein« T. 8 die erste Takthälfte im Tenor, T. 10 die ersten drei Viertel im Pedal; in »Wir danken dir« T. 1 die erste Note im Tenor; auch in »Christ ist erstanden« und »Heut triumphiret Gottes Sohn« sind Auslassungen vorhanden; nur in diesem letzten Choral hat Bach später die Lücke ausgefüllt. Dergleichen passirt, glaube ich, keinem Componisten, der ein eben vollendetes Stück ins Reine schreibt, am wenigsten dann, wenn er sich, wie Bach hier gethan hat, in den Schriftzügen selbst der Sorgfalt befleißigt. Diese Choräle sind nicht eilfertig, sie sind etwas gedankenlos und mechanisch geschrieben, und das konnte Bach nur, wenn es sich um bloßes Copiren älterer längst abgeschlossener Stücke handelte. Wir werden daher nicht zuviel wagen, wenn wir die Choräle des Mendelssohnschen Autographs zum Theil schon in die früheren Jahre der weimarischen Periode zurückverlegen.

Seit dem Erscheinen des ersten Bandes, wo ich zum ersten Male die Ansicht aufstellte, daß, abgesehen von den Versuchen frühester Zeit, alle Orgelchoräle Bachs, nach Abzug des dritten Theils der »Clavierübung«, der sechs Schüblerschen Choräle und der Partiten über »Vom Himmel hoch«, für weimarische Erzeugnisse zu halten sein dürften, hat Rust B.-G. XXV2 das »Orgelbüchlein«, die 6 Schüblerschen und 18 andre, große Orgelchoräle herausgegeben. Im Vorwort vertritt er die entgegengesetzte Ansicht. Die Choräle des »Orgelbüchleins« will er unter Abrechnung von »Liebster Jesu, wir sind hier« in die Cöthener, die 18 großen Choräle in die Leipziger Periode setzen. Das Mendelssohnsche Autograph hat er nicht gekannt. Mit der Widerlegung der von mir im ersten Bande angeführten Gründe hat er es sich etwas leicht gemacht, indem er sie einfach ignorirte. Ich hebe hier nur einen Punkt nochmals hervor. Im Nekrolog (S. 163) wird gesagt, Bach habe in Weimar die meisten seiner Orgelstücke gesetzt. Für jeden, der Bachs Entwicklungsgang erkannt hat, ist es selbstverständlich, daß dieses im besondern [989] auch von den Orgelchorälen, ja von ihnen vor allem, gelten soll. Wir besitzen deren, außer den 3 frühen Partitenwerken, zwischen 120 und 130. Wenn die 46 (oder 45) Choräle des Orgelbüchleins, die 18 großen von Rust herausgegebenen, die 16 der Clavierübung, die 6 Schüblerschen, die 5 canonischen Stücke über »Vom Himmel hoch«, also rund 90 Stücke in Cöthen und Leipzig componirt sein sollen, und außerdem noch manche zuverlässig in die Arnstädter und Mühlhäuser Zeit fallen, was bleibt dann für Weimar übrig? Rusts Beweisführung ist nicht stichhaltig. Wenn er behauptet, die Waltherschen Handschriften seien jünger als das Cöthener Autograph, so weiß ich nicht, wie er diese Behauptung erhärten will. Walthers Handschrift – und sie würde den einzigen halbwegs sicheren Maßstab bieten – ist sich sein Leben hindurch sehr gleich geblieben; ich besitze ein umfangreiches Autograph desselben von 1708, in welchem sich die Hand schon ganz so zeigt, wie in seinen Choralsammlungen. Aber hätte Rust auch Recht, so würde dadurch doch keineswegs seine, aller kritischen Methode ins Gesicht schlagende, Behauptung begründet, daß die Waltherschen Handschriften deshalb nicht auf ältere Originalvorlagen zurückführen könnten. Walther benutzte thatsächlich für seine verschiedenen Choralsammlungen durchaus nicht immer neue Vorlagen, sondern liebte sich selbst auszuschreiben und brachte bei der Gelegenheit – was in Betreff abweichender Lesarten wohl zu beachten ist – auch eigenmächtige Veränderungen an (s. meine Ausgabe der Buxtehudeschen Orgelcompositionen. Band II, Kritischer Commentar, S. VIII f.). Der Hinweis auf die Orgel der lutherischen Kirche in Cöthen kann auch nichts entscheiden. Hätten die Choräle »Gottes Sohn ist kommen« und »In dulci jubilos« wirklich nur auf ihr gespielt werden können, so würde sich daraus auch nur ergeben, daß eben sie in Cöthen componirt sein müßten, und nichts würde hindern, alle übrigen dennoch nach Weimar zu verlegen. Aber die Voraussetzung ist falsch; die hohen Pedaltöne Nachträge und Berichtigungen und Nachträge und Berichtigungen konnten auf der weimarischen Schloßorgel mittelst des vierfüßigen Cornett-Basses sehr wohl herausgebracht werden. Die dem Choral »Gottes Sohn ist kommen« im Cöthener Autograph beigegebene Notiz »Ped. Tromp. 8 F.«. läßt höchstens schließen, daß Bach den Choral auf der Orgel der lutherischen Kirche gespielt hat; wenn er ihn in Weimar spielen wollte, mußte er nur anders registriren.

Auf ein drittes Beweismittel, das Rust anzuwenden versucht hat, muß ich nur etwas ausführlicher eingehen. Die Choralmelodien erfuhren, wie alle Volkslieder, bei ihrer Verbreitung allerhand kleine Abwandlungen, die sich dann im Gebrauch der Gemeinden festsetzten. So sang man z.B. eine und dieselbe Melodie in Nürnberg etwas anders, als in Leipzig oder Gotha oder Hamburg, und solche Verschiedenheiten werden auch zwischen andern Orten mehrfach bestanden haben. Rust nimmt nun an, Bach habe sich in seinen Orgelchorälen und kirchlichen Gesangwerken jedesmal streng an die Form der Choralmelodien gehalten, die an dem Orte, wo er das betreffende Stück componirte, gemeindeüblich war. Er stellt eine Reihe von Melodienformen auf, die wie er meint dem weimarischen [990] Gemeindegebrauch eigneten, und wenn er findet, daß die Choräle des Orgelbüchleins mit ihnen nicht ganz genau übereinstimmen, so schließt er daraus, daß das betreffende Orgelstück nicht in Weimar componirt sein könne. Das Mittel ist bei chronologischen Bestimmungen wohl brauchbar, wenn man es neben andern, durchschlagenderen zur Nachhülfe anwendet. Will man mit ihm allein etwas ausrichten, so erweist sich als eine unter den Händen zerbrechende Stütze. Hier nur einige Beispiele. Die Melodie »Komm heiliger Geist, Herre Gott« wird in übereinstimmender Form angewendet in der weimarischen Cantate »Wer mich liebet« und der leipzigischen Motette »Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf«. Diese Form stimmt nicht mit derjenigen, die, wie wir aus Vopelius' Gesangbuch und Vetters »Musicalischer Kirch- und Hauß-Ergötzlichkeit« schließen dürfen, im Leipziger Gemeindegesang üblich war. Der Choral »O Lamm Gottes unschuldig« steht bei Vopelius und Vetter anders, als er in der Matthäus-Passion erscheint. Die Melodie »Meinen Jesum laß ich nicht« tritt in anderer Form in der Matthäus-Passion auf, als in der ebenfalls in Leipzig geschriebenen Cantate »Mein liebster Jesus ist verloren« (1724). Eine von beiden Formen wird doch nur im Gemeindegebrauch gewesen sein; einmal wenigstens hätte sich also Bach an denselben nicht gekehrt. »Helft mir Gotts Güte preisen« existirt in zwei Formen, die nicht unerheblich von einander abweichen. Beide kommen in Leipziger Cantaten vor, die eine in »Herr Gott dich loben wir«, die andere in »Herr, wie du willt«. Ja, der Schlußchoral des Himmelfahrts-Oratoriums zeigt gar noch eine dritte Form, und endlich bietet Vetter eine vierte. »Jesu meine Freude« kommt in den leipzigschen Cantaten »Jesus schläft, was soll ich hoffen«, »Sehet, welch eine Liebe«, »Bisher habt ihr nichts gebeten« vor und in jeder mit etwas abweichender Melodieführung; eine vierte Form bietet noch, durch eine Abwandlung der letzten Zeile, die zweite Strophe des Chorals in der gleichnamigen Motette. Wo bleibt solchen Erscheinungen gegenüber, deren Zahl ich leicht noch bedeutend vermehren könnte, die Rücksicht auf die gemeindeübliche Melodie?

Rusts Annahme beruht meines Erachtens auf einer falschen Ansicht von Bachs Stellung zum Gemeindegesange. Ueberall erkennt der Meister in ihm den Mittelpunkt seines kirchlichen Schaffens, aber mit einer gewissen protestantischen Freiheit tritt er ihm dennoch gegenüber. Wenn er sich im Ganzen durch ihn gebunden erachtet, so muß dafür in Einzelwendungen sich der Choral seinem subjectiven Bedürfniß fügen. Regel ist nur bei Bach, eine Choralmelodie in der Form, wie er sie für eine Com-position einmal einführt, während derselben auch festzuhalten. Von dieser Regel macht er äußerst selten eine Ausnahme. Uebrigens aber verfährt er bei der Auswahl dieser oder jener Melodieform nach seinem künstlerischen Ermessen. Dies erachtet er für sein gutes Recht; ebenso legt er Liedstrophen, deren Melodien allbekannt sind, dennoch andern Melodien unter und paßt sie ihrem Bau an; das Weihnachts-Oratorium giebt hierzu Beispiele.

Auf weitere Einzelheiten der Rustschen Argumentation einzugehen [991] ist unnöthig; seine Schlüsse werden hinfällig, sobald es deren Voraussetzungen sind. Warum mir aber diese so erscheinen müssen, ist aus Obigem klar.

I, 822. Eine Familie Dobenecker existirte zu Bachs Zeit in Leipzig. Ein Sohn des Handelsmanns Christian Dobenecker, Christian Friedrich ging 1728 zur Universität und weilte auch 1735 noch am Orte. Uebrigens vergleiche man, was Kuhnau im »Musicalischen Quacksalber« S. 163 sagt: »er hatte eben so viel bey der Sache gethan, als etliche Dorff-Schulmeister, welche unter alle ihre musicalischen geschriebenen Sachen, ihre Namen unterzeichnen, darum weil sie solche abgeschrieben haben«.

I, 826. Das zweite »Autograph« der Solo-Violin-Sonaten und -Partien ist keines, sondern von Anna Magdalena Bach geschrieben ausschließlich des Titels und einiger Aufschriften, welche eine fremde Hand zeigen. Sebastian hat, wie mir scheint, nur einzelnes in der C dur-Sonate selber geschrieben.

I, 832. Das Wort Bifaria könnte auch nur ein verschriebenes Bizzarria (Fantasterei) sein; diese Bezeichnung wurde, wie Walther in seiner Musiklehre von 1708 angiebt, in jener Zeit für Musikstücke zuweilen angewandt.

I, 835. Im November 1873 wurde mir die Wiener »Deutsche Zeitung« vom 12. Febr. 1873 zugeschickt, in welcher Herr Franz Gehring bereits auf die Uebereinstimmung des Stils von »Willst du dein Herz mir schenken« und der durch Ernst Otto Lindner veröffentlichten Lieder Giovanninis hinweist.

I, 836. Seit dem Erscheinen des ersten Bandes habe ich auch das Wagenersche Autograph der Suiten kennen gelernt, welches von den sogenannten französischen viere enthält: D moll, C moll, H moll, Es dur, außerdem die beiden jetzt separat existirenden aus A moll und Es dur. Ob es durchaus von Bach geschrieben ist, möchte ich bezweifeln. Gewiß scheint mir aber, daß es älter ist, als die Niederschriften in Anna Magdalenas Clavierbüchlein.

Zu II, S. 243. Ich habe hier nachzutragen, daß neben dem Text der Michaelis-Cantate noch ein anderer in der »Sammlung erbaulicher Gedancken« versteckt liegt. Allerdings so tief versteckt, daß er von mir trotz vielfachen aufmerksamen Lesens der Gedichtsammlung lange nicht bemerkt und endlich, leider zu spät, gefunden ist, als daß von der Entdeckung noch im Context Gebrauch gemacht werden konnte. Es handelt sich um die Cantate auf den 17. Trinitatis-Sonntag »Bringet her dem Herrn Ehre seines Namens«. Hier zunächst der von Bach componirte Text.


 

[992] Chor.

Bringet her dem Herrn Ehre seines Namens. Betet an

den Herrn im heiligen Schmuck (Ps. 96, 8. u. 9).


Tenor-Arie.

Ich eile die Lehre des Lebens zu hören,

Und suche mit Freuden das heilige Haus.

Wir rufen so schöne

Das frohe Getöne

Zum Lobe des Höchsten die Seligen aus.


Alt-Recitativ.

So wie der Hirsch nach frischem Wasser schreit,

So schrei ich Gott zu dir.

Denn alle meine Ruh

Ist niemand außer du.

Wie heilig und wie theuer

Ist höchster deine Sabbathsfeier!

Da preis ich deine Macht

In der Gemeine der Gerechten.

O, wenn die Kinder dieser Nacht

Die Lieblichkeit bedächten,

Denn Gott wohnt selbst in mir.


Alt-Arie.

Mund und Herze steht dir offen,

Höchster senke dich hinein.

Ich in dich und du in mich,

Glaube, Liebe, Duldung, Hoffen

Soll mein Ruhebette sein.


Tenor-Recitativ.

Bleib auch mein Gott in mir

Und gieb mir deinen Geist,

Der mich nach deinem Wort regiere,

Daß ich so einen Wandel führe,

Der dir gefällig heißt,

Damit ich nach der Zeit

In deiner Herrlichkeit,

Mein lieber Gott, mit dir

Den großen Sabbath möge halten.


Choral (vermuthlich):

Führ auch mein Herz und Sinn

Durch deinen Geist dahin,

Daß ich mög alles meiden,

Was mich und dich kann scheiden,

Und ich an deinem Leibe

Ein Gliedmaß ewig bleibe.


Das strophische Gedicht Picanders zum 17. Trinitatis-Sonntage lautet so:


1.

WEg, ihr irrdischen Geschäffte,

Ich hab ietzt was anders für,

Alle meiner Seelen Kräffte

Sind, mein JEsu, bloß bey dir.

Alles dichten alles dencken,

Soll sich ietzt zum Himmel lencken,

Denn in meines Hertzens Schrein

Soll des Höchsten Ruhe seyn.


2.

Eilet, ihr behenden Füsse,

Stellet euch im Tempel ein,

Ach! wie lieblich, ach! wie süße

Soll mir GOttes Stimme seyn,

Rede HErr, dein Knecht will hören,

Weil ihm deine Lebens-Lehren

[993] Mehr als Gold und Silber sind,

Und dich dadurch lieb gewinnt.


3.

Wie ein Hirsch aus dürrer Höhle

Nach dem frischen Wassern schreyt,

Ach! so dürstet meine Seele,

GOtt, nach deiner Lieblichkeit.

Denn mein hertzliches Verlangen

Ist allein, dich zu empfangen,

Mein Vergnügen meine Ruh,

Ist sonst niemand außer du.


4.

HErr, mein Hertze steht dir offen,

Ach! so sencke dich hinein.

Lieben, gläuben, dulden, hoffen,

Soll dein Ruhe-Bette seyn.

Weder Leben, Sterben, Leiden,

Soll uns von einander scheiden,

Weil ich nach dem Geist und Sinn,

In dir eingewurtzelt bin.


5.

Oeffne mir auch deine Wunden,

O! du Felßen meiner Ruh,

Denn da bring ich meine Stunden

Ewig in Entzückung zu.

Da da werd ich alles haben,

Was mich kan unendlich laben,

Wonne hab ich nur an dir,

Wie ich will, so bist du mir.


6.

Reinige mein Hertz und Willen,

Leer es aus von aller Welt.

Laß es mit den Güthern füllen,

Die im Himmel mir bestellt,

Biß ich endlich nach dem Leiden

Mich in deinem Schooße weiden,

Und den besten Ruhe-Tag

Bey dir selber halten mag.


Daß der Cantaten-Text abzüglich des Bibelspruches und des Chorals in diesem Gedichte steckt, sieht man aus der Vergleichung. Eine ganze Strophe, wie in der Michaelis-Cantate, ist hier zwar nicht herüber genommen. Doch kehren viele Zeilen wörtlich oder fast wörtlich wieder. Ganz besonderes Gewicht aber muß auf die Uebereinstimmung des Inhalts im allgemeinen gelegt werden. Im Cantaten-Text wie im Strophenlied wird der Empfindung der Freude an Gottes Haus und Wort Ausdruck gegeben. Das Sonntags-Evangelium bietet hierzu genau genommen gar keine Veranlassung. Nur in einem Theil desselben kommt die Sabbathfeier überhaupt in Frage, und hier thut Jesus etwas, das eigentlich gegen [994] die Heiligkeit des Sabbaths verstieß. Wie konnte jemand darauf gerathen, für diesen Sonntag einen solchen Cantatentext zu verfassen? Mit Hinblick auf die Quelle desselben läßt sich die Frage leicht beantworten. In den »Erbaulichen Gedancken« ist das Strophenlied nur die Fortsetzung einer langen gereimten Auseinandersetzung in Alexandrinern, welche in Picanders satirischer Weise die nichtigen und unwürdigen Beschäftigungen geißelt, mit denen die große Menge den Sonntag hinbringt. Von da wendet sich der Dichter zu der ernsten Aufforderung, den Tag des Herrn nach seinem Gebote heilig zu halten, und nun folgt endlich als lyrisches Resultat das Strophenlied. Nur also weil Picander den Inhalt seiner Alexandriner noch im Sinne hatte, konnte der Cantatentext so ausfallen, denn ohne jene wird er in einer Hauptsache, in seiner Beziehung zum Sonntage, unverständlich. Daraus geht aber unzweifelhaft hervor, daß Cantatentext und Strophenlied in derselben Zeit entstanden sein müssen, eine Annahme, die schon bei der Michaelis-Cantate ausgesprochen ist und hierdurch eine nachdrückliche Bestätigung erhält. Die Cantate »Bringet her dem Herrn« wird also zum 23. September 1725 componirt sein, und bildet daher mit der Michaelis-Cantate, welche am 29. September desselben Jahres zur ersten Aufführung kam, ein engverbundenes Paar. In musikalischer Hinsicht ist sie zwar nicht so großartig wie jene, aber doch von so hohem Werthe, daß sie sich voll neben ihr behauptet. Der erste Chor ist besonders schwungvoll und volksthümlich kräftig, eine wirksame Mischung von homophonen Partien und Fugensätzen über prägnante Themen. Die von drei Oboen und Generalbass begleitete Alt-Arie athmet in Substanz und Klang die echteste freudig-feierliche Sonntagsstimmung des Kirchgängers. – Ein Autograph fehlt, indessen bietet eine Handschrift Harrers, des Nachfolgers Bachs im Cantorate, einen ziemlich befriedigenden Ersatz. Sie ist auf der königlichen Bibliothek zu Berlin. Der Text des Chorals ist nicht angegeben. Erk (Choralgesänge Nr. 13) vermuthet die sechste Strophe von »Auf meinen lieben Gott«. Mir scheint die letzte Strophe von »Wo soll ich fliehen hin« dem Gange der Dichtung gemäßer.

II, 556. Die Originalstimmen der Cantate »Es wartet alles auf dich«, welche Herr Professor Rudorff besitzt, zeigen, wie ich leider zu spät bemerkte, das unter Nr. 38 des Anhanges A, am Anfang, beschriebene Wasserzeichen. Darnach würde die Cantate auf den 27. Juli 1732 zu setzen sein, und hätte an der betreffenden Stelle des fünften Buchs besprochen werden müssen.

II, 91, Zeile 6 von unten 1. »Bekränkung«; 248, letzte Zeile von unten 1. »1734«; 324, erste Zeile von oben ist hinter »Ulrich« das Wort »König« ausgefallen; 342, Zeile 7 von oben 1. »Sopran-Arie«.

Einige geringere Satzversehen wird der Leser ohne besonderen Hinweis selbst verbessern.

Fußnoten

1 Auf drei Systemen, die zweite Version im Cöthener Autograph.

 

 

 

 

 

 

SCHAMELIUS - DISSERTATIE PICANDER - SPITTA VOORWOORD -  SPITTA 1 - SPITTA 2 - SPITTA 3 - SPITTA 4 - SPITTA 5 - SPITTA 5a - SPITTA 6 - BIJLAGEN - REGISTER

 

 

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