Johann Sebastian Bach (1685-1750) Biografie Spitta 4

 

 

I.

 

[612] Fürst Leopold von Anhalt-Cöthen war geboren am 2. November 1694 und stand, als er Bach berief, am Ausgang des 23. oder Anfang des 24. Lebensjahres. Die Regierung des Ländchens hatte er an einem der letzten Tage des Jahres 1715 angetreten; wenige Wochen darauf wurde die Hochzeit seiner Schwester mit dem weimarischen Prinzen Ernst August auf dem fürstlichen Schlosse zu Nienburg an der Saale gefeiert. Es war dies der Wittwensitz seiner Mutter Gisela Agnes, einer regen, energischen und klugen Frau, die während Leopolds Minderjährigkeit die Regierung geführt, und dem schon im 10. Jahre seines Vaters beraubten Knaben eine sorgfältige Erziehung gegeben hatte. Leopold war eine Zeit lang auf der berlinischen Ritterakademie gewesen, deren Ruf damals viele Prinzen, auch aus dem Hause Anhalt, anzog. Dann hatte er im October 1710 die übliche Reisetour angetreten, die zuerst nach Holland und England, von da zurück durch Deutschland nach Italien führte, und war im Frühjahr 1713 über Wien nach Cöthen heimgekehrt. Seinen hervortretenden musikalischen Neigungen und Anlagen war besonders der Aufenthalt in Italien förderlich und erwünscht gewesen. In Venedig besuchte er fleißig die Opern-Theater, in Rom zog er den deutschen Tonkünstler Johann David Heinichen an sich, um unter dessen Führerschaft sich in dem gelobten Lande der Musik besser zu orientiren1. Die berühmte Orgel zu S. Maria Maggiore in Trient, durch [613] deren meisterhafte Behandlung Händel wenige Jahre vorher seine Zuhörer hingerissen hatte2, mußte sogar am Sonntage während der Predigt vor dem kunsteifrigen Prinzen gespielt werden. Aber auch für die bildende Kunst zeigte er Verständniß, bewunderte den Moses des Michel Angelo und ließ sich eine Anzahl von Meisterwerken der römischen Gemäldegallerien copiren. Ueberhaupt besaß er einen freien und für alles ideale empfänglichen Sinn, hatte hübsche wissenschaftliche Kenntnisse gesammelt und legte später den Grund zu der Cöthener Schloßbibliothek3.

Sein offenes Gesicht mit hoher Stirn und großen hellen Augen, das der Zeitsitte entgegen von natürlichem langwallenden Haare umrahmt wird, ist von äußerst gewinnendem, jugendlich frischem Ausdrucke. Ein künstlerischer Zug lebt unverkennbar darin4. Von Regierungsthaten des Fürsten steht wenig zu berichten, dies wenige aber stimmt zu dem, was die Gesichtszüge versprechen. Der Hof war reformirter Confession und ein großer Theil der Bevölkerung ebenfalls. Schon der vorige Fürst, Emanuel Leberecht, hatte jedoch den Lutheranern Freiheit ihrer öffentlichen Religionsübungen zugestanden, wohl durch Einwirkung seiner Gattin lutherischen Bekenntnisses. Dann war im Jahre 1699 eine lutherische Kirche gebaut, und 1711 von Gisela Agnes ein lutherisches Frauen- und Fräulein-Stift angelegt. Eine der ersten Regierungsmaßregeln Leopolds war es, die von seinem Vater gewährten Freiheiten nicht nur zu bestätigen, sondern zu vermehren, »weil es die größte Glückseligkeit sei, wenn die Unterthanen im Lande bei ihrer Gewissensfreiheit geschützet werden«. Die Folgen offenbarten sich in einem fröhlichen Emporblühen der kleinen Residenz und des ganzen Gebietes.

Die Verhältnisse des Hofes waren klein und einfach. Ein Theater hat er nie besessen; Kirchenmusik ließ der reformirte Cultus nicht aufkommen. In keiner der drei Kirchen des Orts hatte Bach mit dem Orgeldienste etwas zu thun. An der lutherischen Kirche [614] war Christian Ernst Rolle Organist, an der reformirten Hauptkirche bis zum Jahre 1731 Joh. Jakob Müller5. Derselbe pflegte vermuthlich auch die Schloßorgel zu besorgen, es wird hier gewesen sein, wie es in Arnstadt war. Bei ihrer winzigen Beschaffenheit hat sie kaum zu etwas anderm, als zum Choralspielen benutzt werden können, für die Erfordernisse des reformirten Gottesdienstes war dies aber auch hinreichend. Ihre beiden Manuale hatten zusammen zehn Register, das Pedal hatte drei6. Auch wo Bach mit Umständlichkeit seinen vollen Titel aus jener Zeit angiebt, nennt er sich doch nicht Hoforganist. Damit ist nicht gesagt, daß er das Werkchen niemals spielte.

Der musikalische Schwerpunkt lag ganz und gar in der Kammermusik. Hier wirkte der Fürst offenbar selbst mit. Aus einem Inventarium der in seinem Privatbesitz vorgefundenen Instrumente zu schließen, muß er nicht allein Violine, sondern auch Gambe und Clavier gespielt haben; nebenbei war er ein tüchtiger Bass-Sänger7. Und Bach selber rühmt später von ihm, er habe die Musik nicht nur geliebt, sondern auch verstanden. Bei wem er seine Studien gemacht, ist unbekannt. Vorgänger Bachs im Capellmeisteramte war aber Augustin Reinhard Stricker, derselbe welcher 1708 als königlicher Kammermusicus in Berlin die Festmusik zur Vermählung des Königs mit der mecklenburgischen Prinzessin Sophie Louise setzte8. In dieser Zeit ungefähr muß Leopold auf der Ritterakademie gewesen sein, und die Vermuthung wäre nicht ungegründet, daß Verbindungen, [615] die er damals mit Stricker anknüpfte, diesem später den Capellmeisterposten zu Cöthen verschafften. Zu einer weiteren Ausbildung seines Geschmackes suchte er sodann in Italien und später durch erneuerten Verkehr mit seinem Capellmeister zu gelangen, der sich im Jahre 1714 schon bei ihm befand. Doch war Stricker nach allem, was sich über seine Componistenthätigkeit in Erfahrung bringen ließ, mehr der vocalen als instrumentalen Tonkunst zugewendet, und hierin liegt wohl der Grund seines baldigen Fortganges. Vocale Kräfte gab es in Cöthen äußerst wenige. Mattheson hat uns die Kunde von zwei jungen Sängerinnen aufbewahrt, zwei Mademoiselles de Monjou aus Cöthen, welche im Juli 1722 in Berlin vor der preußischen Königin sich hören ließen und dann wieder an ihren Heimathsort zurück begaben. »Die jüngste unter ihnen«, läßt er sich berichten, »hat eine schöne, helle Stimme, und große Perfection in der Musik. Man saget, daß sie beyde nach Hamburg gehen und in dasigen Opern Dienste bekommen werden«9. Außerdem wird auch wohl unter den Cantoren und Lehrern der Stadt irgend ein tüchtiger Bassist, vielleicht auch ein Tenorist aufzutreiben gewesen sein. Allein von einer ordentlichen Vocal-Capelle wie in Weimar findet sich nicht die leiseste Spur. Wäre sie dagewesen, Bach hätte sie bei Composition seiner Geburtstagsserenade für den Fürsten sicher benutzt.

Freilich, äußere Spuren sind auch von der Existenz einer Instrumental-Capelle nur kaum bemerkbare noch zu erkennen. Ein einziges Mitglied weiß ich namhaft zu machen, den Gambisten Abel. Er hatte gleich dem Bruder Sebastian Bachs, Johann Jakob, in seiner Jugend die Feldzüge Karls XII. mitgemacht, wirkte in Cöthen schon gegen das Jahr 1720 und lebte auch 1737 noch dort. Von seinen talentvollen Söhnen, die beide auch in Cöthen geboren sind, Leopold August und Karl Friedrich, brachte es bekanntlich der zweite zu europäischer Berühmtheit10. Ein Schüler Bachs zu jener Zeit war Johann Schneider, aus der Nähe von Coburg gebürtig, Orgel-, Clavier- und Violinspieler zugleich, der 1726 als Violinist in die weimarische Capelle trat, 1729 aber Organist an der Nicolaikirche in [616] Leipzig wurde11; dieser wird dann auch wohl in der fürstlichen Capelle mitgewirkt haben. Von Sebastian Bach selbst aber, dem Capellmeister und Director der fürstlichen Kammermusiken, wie er sich eigenhändig betitelt, und von der Musikerschaar, die er leitete, findet sich außer einigen Notizen der Kirchenregister an keiner der Stellen, wo man sonst die Merkzeichen der Existenz und Thätigkeit in festen Verhältnissen stehender Männer zunächst zu suchen pflegt, auch nicht die leiseste Erwähnung mehr. Die Zeit hat sie ausgelöscht und überwachsen, sowie das Gras jetzt den Schloßhof bedeckt, über den der Meister so oft seine Schritte gelenkt hat. Und wie die Räume öde und leer stehen, die einst von seinen Tönen widerhallten, so ist auch sein Name unter der Bevölkerung des Ortes fast verklungen.

Man glaube aber nicht, daß damals sein Wirken dort viel äußerliches Aufsehen gemacht habe. Es war der ganzen Lage nach ein durchaus intimes, und trat über das Musikzimmer des Schlosses und sein eignes kaum hinaus. Nur durch Reisen hielt sich Bach mit der Welt und einem größeren Publikum in Verbindung, an seinem Wohnorte stand er in keinem Connex mit der Oeffentlichkeit. Und dennoch verbrachte er so einige seiner glücklichsten Lebensjahre, ja fühlte sich zeitweilig in einem Grade befriedigt, daß er hoffte an diesem stillen Plätzchen sein Leben zu beschließen. Es ist dies garnicht zu verstehen, so lange man Bachs Künstlernatur zunächst vom Gebiete kirchlicher Musik aus zu begreifen sucht. Dann erscheint sein Aufenthalt in Cöthen, wo er aller kirchlichen Thätigkeit fern blieb, als fast verlorene Zeit für seine Entwicklung, das eigne Gefallen daran als Selbsttäuschung. Aber alles ist folgerichtig und naturgemäß, wenn man den instrumentalen, d.h. rein musikalischen Urgrund seines Wesens nicht aus dem Auge läßt, auf den wir von Anfang an als Hauptsache hinzuweisen suchten. Auf diesen als sein ursprüngliches Element sich einmal ausschließlich zurückzuziehen und frische Kraft daraus zu saugen zum erneuten Ringen nach hohen, [617] seiner Mitwelt verhüllten Idealen, mußte ihm ein wonniges Gefühl sein. Ein wesentlicher Zug des deutschen Künstlerthums tritt in dieser Lebensperiode Bachs deutlicher hervor, als in irgend einer andern: die Sinnigkeit, welche sich in engster Umschränkung erst ganz behaglich fühlt, das Glück des Schaffens und Genießens in lauschiger Heimlichkeit im Kreise weniger verständnißreicher Freunde, deren theilnehmendem Blicke sich gern auch das tiefste Innere erschließt. Es ist jener deutsche Zug, dem später die Quartettmusik entsproßte; ihr Gegenbild ist die köstliche Kammermusik Sebastian Bachs, die größtentheils in Cöthen Gestalt gewann, an der Spitze das »wohltemperirte Clavier«. Ein trauliches und tiefsinniges Musiciren war es, das jetzt im Schlosse, wir wissen nicht wann und wie oft, aber jedenfalls mit echtem Kunsteifer begann; der junge talentvolle Fürst gab sich ihm mit Leib und Seele um so mehr hin, als er vorläufig noch unvermählt war. Schnell auch wußte er, was er an Bach besaß, und zeigte ihm dies in offenster Weise. Er mochte ihn nirgends entbehren, er nahm ihn mit sich auf Reisen, er liebte ihn wie einen Freund. Dafür hat dieser seinem Gönner über dessen frühen Tod hinaus ein ungeschwächtes Andenken bewahrt.

Ein Act der Huldigung, welcher wahrscheinlich in das erste Jahr seines Dortseins fällt, ist eine Serenade auf den Geburtstag des Fürsten. Den bescheidenen vocalen Mitteln des Ortes angemessen verwendete er darin nur einen Sopran und einen Bass, deren Gesang außer dem Streichquartett und Cembalo, zwei Flöten und ein Fagott begleiteten12. Der Verfasser des beglückwünschenden Textes ist nicht genannt; geschah dies aus Bescheidenheit, so war solche gerechtfertigt. Bach ist später einmal bei gewissen Poesien umdichtend thätig gewesen, und da wir dies wissen, läßt sich der Verdacht nicht ganz unterdrücken, daß er selbst die Worte zusammengestellt hat. Ebensogut freilich kann irgend ein andrer Dilettant die poetische Unthat verbrochen haben. Denn jämmerlich ist der Text, mag ihn nun gemacht haben, wer will. Die Musik läßt aber alle Mängel vergessen. In ihr spiegelt sich aufs treueste der Geist der Cöthener Periode. Nur ganz allgemein schlägt sie den Ton heiterer Feststimmung [618] an und schaltet in diesem Gebiete frei nach ihren Gesetzen, entwickelt all den Reiz frischer Erfindung und feingegliederten, kunstvollen Aufbaues, den Bach auch in seiner Kammermusik mit bestrickender Anmuth zur Geltung zu bringen weiß. Zusammen sind es sieben Nummern; mit Recitativ und Arie in D dur fängt der Sopran an, der Bass, der übrigens sehr hoch hinaufgeführt wird, so daß die Rücksicht auf ein bestimmtes Organ unverkennbar ist, folgt mit einer Arie in H moll. Dann schreitet er im zierlich-würdevollen Menuettschritt (G dur) einher, der Sopran fährt in D dur fort, endlich vereinigen sie sich in A dur, wobei der Bass als Reigenführer die Melodie singt. Es kommt ein duettirendes Recitativ, dann für Sopran und Bass wieder je eine Arie in D dur und A dur, endlich in der Anfangstonart der zweistimmige Schlußgesang, Chorus überschrieben, womit aber eben nur die krönende Schlußnummer bezeichnet werden soll, denn an eine mehrfache Besetzung zu denken verbietet die Art der Stimmenführung durchaus. Ein glückliches, in sich befriedigtes Gemüth lacht uns überall entgegen. In späteren Jahren dünkte es den Componisten schade, diese echte Musik an ihrem Texte verkommen zu lassen, er benutzte sie deshalb zu einer Pfingstcantate, wie er auch mit der Gelegenheitsmusik auf den Geburtstag des weißenfelsischen Herzogs gethan13.

Der Fürst reiste am 9. Mai 1718 zur Cur nach dem damals von hohen Persönlichkeiten Deutschlands viel besuchten Karlsbad. Wir wissen, daß er bei einer zweiten Reise dorthin im Jahre 1720 Bach mit sich nahm; so ist es wenig zweifelhaft, daß dasselbe auch jetzt geschah14. Es giebt noch eine alte Tradition, wie Bach seine mehr oder minder unfreiwillige Muße auf solchen Reisen auszufüllen pflegte, wir werden auf sie zurückkommen. Einen andern Huldbeweis empfing er im Herbst des Jahres, als ihm am 15. November Maria Barbara das [619] siebente Kind ihrer Ehe gebar, einen Knaben, zu dem am 17. November der Fürst Pathenstelle vertrat und neben ihm sein jüngerer Bruder August Ludwig, die nach Weimar verheirathete Schwester Eleonore Wilhelmine, sowie der Geheimrath von Zanthier und die Gattin des Hofmeisters von Nostiz15. In wie hoher Gunst Bach bei Hofe stehen mußte, ist hieraus recht ersichtlich. Der mit so großen Ehren aus der Taufe gehobene Knabe, Leopold August genannt, überlebte aber sein erstes Jahr nicht, am 28. Sept. 1719 empfing ihn das Grab. Ein Zwillingspaar war schon im Februar und März 1713 kurz nach der Geburt gestorben, vier Kinder aber wuchsen heran als Zeugen eines stillen, glücklichen Familienlebens. Den Platz des erstgebornen nahm eine Tochter ein, Katharina Dorothea, geb. den 27. Dec. 1708; sie blieb unverheirathet. Am 22. Nov. 1710 folgte Wilhelm Friedemann, der hochbegabte, wunderliche Liebling des Vaters. Dann Karl Philipp Emanuel, geb. den 8. März 1714, der unter seinen Brüdern der bedeutendste wurde, mochte er auch vielleicht nicht der talentvollste sein. Endlich Johann Gottfried Bernhard, geb. den 11. Mai 171516. Allen diesen Söhnen werden wir später noch wiederholt begegnen.

Wie gesagt, gab Bach seine Kunstreisen auch in Cöthen nicht auf, ja das innere Bedürfniß danach war hier vielleicht stärker als [620] in Weimar. Schon wenige Wochen nach seinem Abzuge von dort folgte er einer Einladung der Universität Leipzig, die am 4. Nov. 1716 vollendete neue und große Orgel in der Paulinerkirche zu prüfen. Die Prüfung fand am 16. Dec. 1717 statt und fiel für den Erbauer Johann Scheibe sehr günstig aus: Bach war nicht nur mit Beschaffenheit und Construction der einzelnen Theile, sondern auch mit der Disposition wohl zufrieden, die er für eine der vollständigsten in Deutschland erklärte. Er fungirte als Examinator ganz allein, nur zwei sachverständige Zeugen waren ihm beigegeben17. Im Herbst des folgenden Jahres unternahm er wieder eine Reise, die ihn nach Halle führte. Es wird dieser Ort wohl nicht das einzige Ziel gewesen sein, aber nur durch ein an ihn sich knüpfendes Ereigniß wissen wir von ihr. Händel war im Frühjahre von England herüber gekommen, um Sänger und Sängerinnen für die neu zu errichtende Londoner Opernakademie anzuwerben. Er befand sich vor der Rückkehr noch eine Weile bei den Seinigen in Halle, Bach suchte ihn dort auf, traf es aber unglücklich, denn Händel war an demselben Tage wieder abgereist. Ein zehn Jahre später erneuter Versuch Bachs, die persönliche Bekanntschaft mit dem einzigen ebenbürtigen Zeitgenossen herbeizuführen, sollte ebenfalls scheitern. Es ist daraus allerhand ungünstiges für Händel gefolgert worden. Zu der Annahme, er habe sich Bachs entgegenkommendem Wesen gegenüber zurückweisend verhalten, fehlt ein ausreichender Grund. Nirgends findet sich eine Andeutung, daß er durch seine Abreise am Tage von Bachs Ankunft in Halle diesem habe absichtlich aus dem Wege gehen wollen, während andrerseits schwer zu verkennen ist, daß auch Bach das erste Mal nur gelegentlich Händel aufsuchte. Sonst hätte er, da dieser schon im März nach Deutschland kam, eine Begegnung irgendwo gewiß ermöglichen können18. Das zweite Mal, im Juni 1729, schickte Bach, durch Krankheit am eignen Reisen verhindert, seinen ältesten Sohn von Leipzig aus mit einer [621] Einladung an Händel nach Halle, der aus Italien zurückgekehrt dort kurze Zeit verweilte. Händel bedauerte nicht kommen zu können, und es ist wahrscheinlich gemacht, daß in der That seine Zeit nicht mehr so weit reichte19. Daß es im Interesse der Kunst sehr zu beklagen sei, daß beide Männer also niemals zusammentrafen, darf man wohl getrost verneinen. Interessant wäre es gewesen, und das Verlangen beide mit einander wetteifern zu sehen soll stark unter den Leipziger Musikfreunden geherrscht haben20. Aber darauf würde auch wohl die ganze Begegnung hinausgelaufen sein, und sicherlich doch ohne in der viel aufgeworfenen Frage, welchem von beiden die Palme gebühre, bei der gänzlichen Verschiedenheit ihres Wesens eine Entscheidung gebracht zu haben. Ein anregender gegenseitiger Verkehr, der sich nur auf längeres Zusammenleben gründen kann, war ja bei ihren getrennten äußeren Lebensstellungen unmöglich. Dagegen wird Händel immerhin das Urtheil über sich ergehen lassen müssen, ohne Theilnahme für Bachs Künstlergröße an diesem vorübergegangen zu sein. Im Jahre 1719, als er acht Monate in Deutschland verweilte, hätte jedenfalls die Zeit für einen Besuch gefunden werden können, der füglich eher von ihm ausgehen mußte, als von dem durch sein Amt beschränkten Bach. Man nehme hinzu, daß er sich in Dresden und Halle aufhielt, Orten, die für Bachs Bedeutung aus frischester Erinnerung lebendiges Zeugniß ablegen konnten, daß er hier das Rühmlichste von dem gewaltigen Tonmeister hören mußte, der in seiner unmittelbaren Nähe wirkte. Auch ist keine Thatsache bekannt geworden, daß er sich für Bachs Compositionen interessirt hätte. Umgekehrt hat dieser es nicht nur mehrfach sich angelegen sein lassen, Händel persönlich kennen zu lernen, sondern auch von dem Werth, den er auf dessen Werke legte, nachdrücklich Zeugniß gegeben. Händels Composition des Brockesschen Passionstextes existirt noch in einem Manuscript von 60 Blättern, von denen die 23 ersten (mit Ausschluß der beiden letzten Systeme) von Bach eigenhändig, die folgenden aber von dessen zweiter Gattin geschrieben sind. Zu einem werthvollen, siebensätzigen Concerto grosso Händels aus F moll liegen die von Bach geschriebenen [622] Stimmen vor21. Dasselbe ist der Fall bei einer Solo-Cantate Händels, zu der Bach sogar das Autograph besessen zu haben scheint, welches mit den Stimmen zusammen sich noch jetzt in der Hand eines und desselben Besitzers befindet22. Mit besonderer Genugthuung verzeichnen wir diese Beweise einer großen, neidlos unbefangenen Künstlerseele. Ueber das gegenseitige Verhältniß beider als Orgelspieler ist gleich unten noch ein Wort zu sagen.

Im nächstfolgenden Jahre reiste Fürst Leopold am 27. Mai nach Karlsbad ab. Die Rückkehr wird im Juli erfolgt sein. Als Bach von freudiger Erwartung des Wiedersehens erfüllt in sein Haus trat, kam ihm eine erschütternde Kunde entgegen: am 7. Juli hatte man seine Gattin begraben. Frisch und gesund war sie beim Scheiden zurückgeblieben; in der Blüthe ihres Lebens hatte die noch nicht 36 Jahre zählende ein plötzlicher Tod hinweggerafft, ohne daß eine Nachricht davon den entfernten aber vermuthlich schon auf der Rückreise begriffenen Gatten erreichen konnte. Als der Sohn Philipp Emanuel 33 Jahre später den Nekrolog seines Vaters verfaßte und über die andern Familienereignisse mit chronistischer Kürze hinwegging, hafteten der Tod der geliebten Mutter und dessen Umstände noch so tief in seiner Erinnerung, daß er ausführlich darüber berichtete. Den herben Schmerz Sebastians hätte er nicht zu bestätigen brauchen; man kann es ahnen, was das tiefe Gemüth des Mannes durchwühlte, als er am Grabe seines Weibes stand, das ihn durch die Lebensjahre des jugendlichen Aufstrebens, des ersten Gelingens liebend begleitet hatte, um auf der Höhe des Glückes jäh von seiner[623] Seite gerissen zu werden. Wir wissen zu wenig von Maria Barbara Bach, um ihr Charakterbild entwerfen zu können. Wenn wir uns aber an die sinnige Natur ihres Vaters erinnern und das harmlos fröhliche Gemüth des zweiten Sohnes erwägen, der besonders auf die Mutter geartet zu haben scheint, während in dem ältesten der Vater sich wiederzufinden glaubte, so denken wir sie uns nicht ohne Grund und gern als ein stilles, gutes Wesen, das hinreichende musikalische Begabung besaß für eine lebendige Theilnahme am Wirken ihres Gatten und ihm im Hause dasjenige verschaffte, was für ihn innerstes Bedürfniß war, ein ehrbares, bürgerlich tüchtiges Familienleben.

Der schwere Verlust hemmte nicht die Thätigkeit Bachs, er trug ihn als Mann. Ein Ausflug nach Hamburg, der für den Herbst geplant war, wurde nicht aufgegeben; doch ist die Annahme begründet, daß er einen Aufschub von mehren Wochen erfuhr. Die Cantate »Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden«23 giebt darüber Auskunft. Ihr Text ist einem Jahrgange von Dichtungen entnommen, die der Regierungssecretär Johann Friedrich Helbig zu Eisenach zum Gebrauch der dortigen Capelle im Jahre 1720 drucken ließ24. In Cöthen selbst waren, da es keine Kirchenmusiken dort gab, auch keine Texte zu solchen zu haben. Bach mußte sich das poetische Material anderswo suchen, wollte er einmal eine Cantate componiren, und wiederum konnte die Veranlassung hierzu nur in einer jener Reisen liegen, die ihn an Pflegestätten der Kirchenmusik und zu berühmten kirchlichen Tonkünstlern führten. Er hatte sich also aus den sehr bescheidenen Poesien, die ihm aber als landsmännische nahe lagen, den Text für den 17. Trinitatis-Sonntag (22. Sept.) gewählt, an dem er in Hamburg zu verweilen und wohl seine Cantate dort aufzuführen hoffte. Auch daß er die Musik während der Karlsbader Reise setzte, läßt sich noch wahrscheinlich machen25. Tiefgebeugt [624] aber durch den erlittenen Unglücksschlag vermochte er nicht, sein Vorhaben in dieser Weise auszuführen. Er war nun erst im November in Hamburg. Ob da die Cantate noch aufgeführt wurde oder nicht, ist unerkennbar; vielleicht einmal außerhalb des Gottesdienstes. Sie ist von Anfang bis zu Ende der Ausdruck gesammeltster Gestaltungskraft und überragt frühere Werke namentlich durch einen an Inhalt und Ausdehnung gewaltigen Anfangschor über die Schlußworte des Evangeliums »Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden, und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden«. Ein Choral ist nicht eingeführt, sondern das Ganze, seinem Texte gemäß, zu einer Doppelfuge gestaltet, deren zweites Thema aber keine selbständige Durchführung erfährt. Der große Fortschritt von früheren instrumental-vocalen Fugen Bachs zu dieser springt nicht nur durch das kühne, weite Ausgreifen der Stimmen und ihre vornehm freie Bewegung auch im dichtesten Gedränge in die Augen, nicht nur durch die großartige Ausspannung aller Proportionen, sondern vor allem dadurch, daß der Meister keine Genüge mehr darin fand, die Instrumente an der Fugirung theilnehmen oder sie ein besonderes Motiv weiterspinnen zu lassen, daß er ihnen vielmehr ein eignes Thema zuertheilte und so aus dem Material von drei selbständigen Gedanken seinen Tonpalast aufführte. Indem aber das Instrumenten-Thema mehr chorisch homophon auftrat, mußte die Structur doch wieder etwas andres als die einer Tripelfuge werden. Hört man den Beginn des Satzes (G moll 1., Allegro), so glaubt man überhaupt nicht, daß daraus ein Chorstück werden soll: es ist als begönne mit der Besetzung von Streichinstrumenten, zwei Oboen und Orgel ein italiänisches Concert. Ein breites Tuttithema ertönt zuerst, dann schließen sich bewegte Gänge contrastirend an, regelrecht wird auf die Dominante geleitet, dort dieselbe Entwicklung, dann mit Takt 45 Rückkehr zur Grundtonart. Da aber überrascht uns der Tenor mit dem Einsatze des achttaktigen Themas, das durch eine Octave aufsteigt und sinkt; das zweite, neuntaktig, schließt sich an, sinkt durch anderthalb Octaven und schießt schnellkräftig wieder empor. Zu der Fugenentwicklung spinnen jedoch die Instrumente ihr Tuttithema motivisch und piano weiter, endlich aber ergreift auch sie der große Strom und zwingt sie mit sich fort. Nach einer Cadenz auf B folgt ein kürzerer motivischer Zwischensatz, aus [625] dem Wechselspiel zwischen Chor und Instrumenten hervorgehend, dann von neuem großartige Fugirung wie zuerst, wieder Zwischensatz, wieder Fugirung und dann wird, gleichsam zur Coda, der ganze Chor in den Instrumentalsatz des Anfangs zurückgerissen, dessen volle 45 Takte mit dem Aufgebot aller Tonmittel noch einmal ertönen, so das ganze Bild cyklisch abrunden und in breitester Pracht den Schluß herbeiführen. Es ist dies ein Tonstück, das aus der unbeschränktesten Herrschaft über alle großen und kleinen Formen hervorging und zugleich das Problem der gleichmäßigen Verschmelzung von Instrumental- und Vocal-Musik in denkbarster Vollendung löste. Eine äußere Steigerung konnte nach diesem Eingange nicht mehr in Bachs Absicht liegen, es genügte ihm und hat ihm stets in ähnlichen Fällen genügt, die Cantate in die symbolisch so bedeutungsvolle Form des einfachen Chorals ausmünden zu lassen. Dazwischen stehen zwei Arien mit verbindendem Recitativ26. Die erste, deren moralisirender Text poetisch unzugänglich war, ist ein geistvolles Trio zwischen Sopran, Continuo und obligater Orgel oder Solo-Violine geworden, in seiner Art ebenfalls ein Meisterwerk. Die zweite überragt ihre Vorgängerin noch durch polyphonen Reichthum, ist aber zugleich vom edelsten poetischen Gefühle durchwärmt.

Telemann, der noch immer eisenachischer Capellmeister von Haus aus war, hat den Text auch componirt27. Den ersten Satz als Doppelfuge anzulegen, war im Bibelspruche selbst gegeben; ein eigenthümlicher Zufall ist es, daß er auch in der Wahl der Tonart mit Bach übereinstimmt. Im übrigen ist die Kluft zwischen beiden, die schon an früheren Werken hervortrat, nur noch gähnender geworden. Telemann schreibt seine Fuge von 38 Viervierteltakten (die Bachsche zählt 228) schlecht und recht und ohne sonderlich warm dabei zu werden hin; die Instrumente verstärken die Singstimmen. Vom Reste des Textes componirt er nur noch die zweite Arie und setzt den Choral, die Arie außerdem nicht einmal in der italiänischen Form und mit der allersimpelsten Begleitung. Bach hat sich später [626] um Helbigs Texte, an die er in Ermanglung von besseren gegangen war, nicht weiter bekümmert, einen Fall ausgenommen und da muß er wieder in Verlegenheit gewesen sein. Denn es liegt auf der Hand, daß er zur schnellen Fertigstellung der Cantate auf den dritten Adventssonntag desselben Jahrganges: »Das ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort« u.s.w. ältere Compositionen benutzte. Bei dem ersten Chore (G dur 1.) kann es, zumal wenn man die ganz übereinstimmende Factur des Anfangschores in der zweiten Bearbeitung der Pfingstcantate »Wer mich liebet«28 vergleicht, kaum verkannt werden, daß ihm ein ursprüngliches Duett zu Grunde liegt. Im 52. und 53. Takte der ersten Arie wird die schlechte Textunterlage zum Verräther. Von großem Werthe kann bei einer so eiligen Arbeit nicht die Rede sein, wenn sie gleich manches hübsche, ja schöne enthält29.

In Hamburg lebte Johann Adam Reinken noch und versah auch trotz seiner 97 Jahre noch immer den Organistendienst an der Katharinenkirche mit verhältnißmäßiger Frische. Unter den Standesgenossen des Ortes war er die größte Respectsperson, nicht nur wegen seines hohen Alters, sondern ebensosehr seiner künstlerischen Bedeutsamkeit zufolge, über die schon früher ausführlicheres gesagt ist. Für Bach, der als Jüngling an Ort und Stelle aus Reinkens Kunst Nutzen gezogen hatte, mußte es einen großen Reiz haben, als vollendeter Meister wieder vor den Veteranen hinzutreten. Was Reinkens Charakter betrifft, so lauten über ihn die Zeugnisse wenig günstig, er war nicht nur sehr selbstbewußt, sondern eitel und auf andre Künstler neidisch. Sein Vorgänger im Amt war Heinrich Scheidemann gewesen, ein so tüchtiger Organist, daß derjenige für verwegen gehalten wurde, welcher sich zutraute dessen Nachfolger werden zu können. So wenigstens hatte sich ein bedeutender holländischer Musiker geäußert auf die Nachricht, daß Reinken den Platz jetzt einnähme. Dieser hörte davon und schickte ihm seine Bearbeitung des Chorals »An Wasserflüssen Babylon« zu, mit der schriftlichen Bemerkung: hieraus könne er des verwegenen Menschen [627] Porträt ersehen. Der Musiker fand sich durch das allerdings hervorragende Stück eines Besseren belehrt, kam nach Hamburg, hörte und sprach Reinken und küßte ihm bewundernd die Hände30. Mit Entrüstung vermerkt Mattheson, der doch in Sachen der Eitelkeit auch etwas leistete, daß Reinken sich auf dem Titel seines Hortus musicus selber Organi Hamburgensis ad Divae Catharinae Directorem celebratissimum nenne31, und war überhaupt nicht gut auf ihn zu sprechen, wovon aber Reinken selber die Schuld trug. Denn er konnte es Mattheson nicht vergeben, daß man einmal den Plan gehabt hatte, diesen ihm zu substituiren32. Mattheson rächte sich dafür durch allerhand Sticheleien in seinem »beschützten Orchestre« und erzählt auch in dem kurzen ihm gewidmeten Nekrologe33. »Seinen Wandel betreffend, ist darauf von den Herren Geistlichen bisweilen eins und anders zu sagen gewesen, wie er denn einen beständigen Liebhaber des Frauenzimmers und Raths-Weinkellers abgegeben«, kann aber doch nicht umhin zu gestehen, daß er seine Orgel jederzeit ungemein nett und wohl gestimmet hielt, sie auch auf eine solche besondere, reinliche Art zu bespielen wußte, »daß man zu seiner Zeit in Sachen, die er geübet hatte, keinen gleichen« gekannt habe – boshaft hinzusetzend: er habe von der Orgel auch fast immer geredet, weil sie wirklich schönen Klanges sei. Diese Andeutungen mußten vorausgeschickt werden, um Reinkens Verhalten gegen Bach in seiner vollen Bedeutung zu würdigen. Zu einer bestimmten Stunde versammelten sich der Magistrat und viele andre Vornehme der Stadt in der Katharinenkirche, um den fremden Meister zu hören. Von allgemeiner Bewunderung begleitet spielte dieser mehr als zwei Stunden lang; den größten Triumph errang er aber mit einer Improvisation über »An Wasserflüssen Babylon«, die er fast durch eine halbe Stunde in jener uns bereits bekannten motettenartig breiten Weise der nordländischen Meister ausführte. Da kam Reinken, der durchweg sehr aufmerksam zugehört hatte, heran und sagte: Ich dachte, diese Kunst wäre gestorben, ich sehe [628] aber, daß sie in Ihnen noch lebt34. Es liegt, von der hohen Anerkennung abgesehen, mehr darin als bloße Selbstgefälligkeit; in der That war auch Bach innerlich über jenen Standpunkt des Orgelchorals längst hinausgeschritten. Aber es zeugt von seiner außerordentlichen Beherrschung des gesammten Formgebietes, daß er sich absichtlich sofort auf ihn zurückversetzen konnte. Was dort aus dem Stegreif ausgeführt wurde, hat er uns schriftlich nicht hinterlassen, aber es wurde schon bei Besprechung des mit Doppelpedal über die genannte Melodie gesetzten Orgelchorals bemerkt, daß dieser mit der Hamburger Reise in Verbindung stehen dürfte. Es ist sehr wohl denkbar, daß er ihn vorher ausarbeitete und Reinken als Beweisstück exemplarischer Kunst, in Satz und Ausführung vorlegte und sodann, um seinem Verständniß noch weiter entgegen zu kommen, in jener Weise fantasirte, »wie es ehedem die braven unter den hamburgischen Organisten in den Sonnabends-Vespern gewohnt gewesen waren«. Vielleicht setzte er ihn auch nachträglich auf, wie er das nach 27 Jahren mit einem von Friedrich dem Großen gegebenen Thema ähnlich machte. Genug, Reinken war so befriedigt, daß er Bach zu sich lud und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit behandelte. Zwei Jahre darauf (24. Nov. 1722) schied er aus dem Leben und wurde auf seinen Wunsch in der Katharinenkirche zu Lübeck, an demselben Orte, wo seit 15 Jahren der geistesverwandte Buxtehude ruhte, begraben. Was dieser nur im Aufgehen beobachten konnte, war jenem noch beschieden gewesen in prachtvoll reicher Blüthe zu sehen: den Genius des Mannes, der auf ihrem so erfolgreich angebauten Gebiete das Höchste erzielen sollte.

An der Orgel der Katharinenkirche in Hamburg mit vier Manualen und Pedal hatte Bach seine Freude. Es ist interessant zu erfahren, daß er ein großer Freund guter Rohrwerke war, und diese fand er hier in Fülle35. Die Orgel besaß ferner eine Posaune und ein Principal 32 Fuß, die bis ins große C ganz deutlich und prompt ansprachen, und Bach versicherte noch später, daß er kein zweites Principal wieder gehört habe, das mit der gleichen Größe diesen [629] Vorzug verbinde36. Das Werk war nicht neu; es stammte mindestens aus dem 16. Jahrhundert und war zuletzt im Jahre 1670 von dem Orgelmacher Besser aus Braunschweig renovirt37. Als Zeichen veralteten Geschmackes fand sich darin eine zehnfache Mixtur. Aber nicht durch diese einzige Orgel ragte die Stadt Hamburg hervor; mächtiger noch der Stimmenzahl nach, dabei auch von vier Manualen und Pedal war das Werk der Jacobikirche, von 1688–1693 durch den hamburgischen Orgelbauer Arp Schnitker hergestellt38, der auch andre Kirchen des Orts mit den Erzeugnissen seiner hervorragenden Geschicklichkeit versehen hatte. Unter dieser Menge trefflicher Werke erwachte in Bach die Sehnsucht nach seinem eigensten Kunstgebiete um so heftiger, als sich ihm unvermuthet eine Aussicht eröffnete, in Hamburg eine entsprechende Anstellung zu finden. Heinrich Friese, der Organist an der Jacobikirche, war am 12. Sept. 1720 gestorben, so kurze Zeit vor Bachs Eintreffen, daß dieser vermuthlich erst an Ort und Stelle davon gehört hat. Gewiß war eine Bewerbung um diesen Posten nicht der ursprüngliche Zweck der Reise, auf welche er sich schon im Sommer durch Composition einer Cantate vorbereitete. Da es aber einmal so zusammentraf, meldete er sich. Nicht wenig lockendes wird auch der Umstand gehabt haben, daß Erdmann Neumeister an dieser Kirche Hauptprediger war; eine Perspective für Orgel- und Cantaten-Composition und für ausübende Kunst öffnete sich hier, wie sie verheißungsvoller kaum gedacht werden konnte. Es traten neben ihm noch sieben Candidaten auf, meistens unbekannte Namen, ein Sohn des trefflichen Vincentius Lübeck und der gräflich geraische Capellmeister Wiedeburg waren darunter. Am 21. November beschloß der Kirchenvorstand, dem auch Neumeister zugehörte, die Probe am 28. November vor sich gehen zu lassen und zu Kunstrichtern außer Joachim Gerstenbüttel, dem Cantor der Kirche, Reinken und zwei andre einheimische Organisten, Kniller und Preuss, zu erwählen. [630] Bach konnte aber diesen Termin nicht mehr abwarten, sein Fürst rief ihn schon am 23. November nach Hause. Drei der andern Bewerber, unter ihnen Wiedeburg und Lübeck, traten vorher zurück, so legten nur viere die Probe ab, welche in der Durchführung zweier Choräle (»O lux beata Trinitas« und »Helft mir Gott's Güte preisen«) und einer extemporirten Fuge über ein gegebenes Thema bestand. Die Wahl fand erst am 19. December statt. Bach hatte nämlich versprochen, seinen Entschluß über Annahme oder Ablehnung der Stelle von Cöthen aus brieflich mitzutheilen. Daß hierauf auch ohne Probespiel eingegangen wurde, beweist, daß man ihn von gewisser Seite her besonders im Auge hatte und vor den andern Bewerbern auszeichnete. Leider ist über den Inhalt seines Antwortschreibens nichts bekannt geworden, nur so viel steht fest, daß es nicht ablehnend gehalten war; es wurde öffentlich im Collegium verlesen, dann wählte man mit Stimmenmehrheit – Johann Joachim Heitmann. Was dieser in seinem Fache je geleistet hat, ist verborgener geblieben, als daß er am 6. Januar 1721 aus Erkenntlichkeit für die Wahl »versprochene viertausend Mark in Courant« an die Kirchenkasse zu St. Jacobi bezahlte. Eine dahin zielende Verhandlung im Kirchencollegium war schon am 21. November mit erstaunlicher Naivetät geführt worden. Man war zu der Ansicht gelangt, daß allerdings »viele Ursachen befunden würden, den Verkauf eines Organistendienstes nicht einzuführen, weil es zum Gottesdienste mit gehörete, es sollte also die Wahl frei sein und die Capacität des Subjecti mehr als das Geld consideriret werden. Wenn aber nach geschehener Wahl der Erwählte aus freiem Willen eine Erkenntlichkeit erzeigen wollte, könnte solche der Kirche zum Besten angenommen werden«. Neumeister war über diesen Vorgang, den er nicht hatte hindern können, höchst entrüstet, vermuthlich hätte er vor allen Bach gern an seine Kirche gebracht. Er wartete nach geschehener Wahl das Eintreten des Erkorenen nicht ab, sondern ging zornig von dannen. Was weiter von ihm geschah und wie man im Publikum über den Entschluß des Kirchencollegiums dachte, mag uns Mattheson erzählen, der die Sache aus nächster Nähe mit angesehen hatte. »Ich erinnere mich«, schreibt er im Jahre 1728, »und es wird sichs noch wohl eine ganze zahlreiche Gemeinde erinnern, daß vor einigen Jahren ein gewisser großer Virtuose, der seitdem nach Verdienst zu einem ansehnlichen [631] Cantorat befördert worden, sich in einer nicht kleinen Stadt zum Organisten angab, auf den meisten und schönsten Werken tapfer hören ließ und eines jeden Bewunderung seiner Fertigkeit halber an sich zog; es meldete sich aber auch zugleich nebst andern untüchtigen Gesellen eines wohlhabenden Handwerksmannes Sohn an, der besser mit Thalern, als mit Fingern praeludiren konnte, und demselben fiel der Dienst zu, wie man leicht errathen kann, unangesehen sich fast jedermann darüber ärgerte. Es war eben um die Weihnachtszeit, und der beredte Haupt-Prediger, welcher gar nicht in den simonischen Rath gewilligt hatte, legte das Evangelium von der Engelmusik bei der Geburt Christi auf das herrlichste aus, wobei ihm denn natürlicher Weise der jüngste Vorfall wegen des abgewiesenen Künstlers eine Gelegenheit an die Hand gab, seine Gedanken zu entdecken und den Vortrag ungefähr mit diesem merkwürdigen epiphonemate zu schließen: Er glaube ganz gewiß, wenn auch einer von den bethlehemitischen Engeln vom Himmel käme, der göttlich spielte und wollte Organist zu St. Jacobi werden, hätte aber kein Geld, so möchte er nur wieder davon fliegen«39.

Die Anerkennung, welche Mattheson Bach zu zollen genöthigt war, und auch an dieser Stelle zollt, wurde ihm, wenn nicht alles täuscht, etwas sauer. Der einzige Ort, wo er mit warmer Bewunderung von ihm redet, findet sich in dem vier Jahre zuvor geschriebenen »beschützten Orchestre«40. Sammelt man aus seinen zahlreichen Schriften die spärlichen übrigen Stellen, welche Bach betreffen, so stellt sich heraus, daß er über ihn zwar niemals geringschätzig, wohl aber kleinlich urtheilt und immer kühl bleibt bis ans Herz hinan, ja man empfängt den Eindruck, als gehöre ihm Bach zu jenen unheimlichen Leuten, die der Verstand zu loben befiehlt, von denen aber das Gefühl nichts wissen will. Da beide nur dieses eine Mal im Leben persönlich zusammentrafen, so liegt es wohl sehr nahe, daß hierdurch sich Matthesons Stellung zu Bach entschied. Es ist gewiß nicht anzunehmen, Bach habe den immerhin bedeutenden Mann ignorirt [632] und dadurch verletzt, obwohl er zum Ignoriren allerdings eher Veranlassung hatte, als Händel, der von 1703–1706 in stetem Umgange mit Mattheson lebte, später mehrfach wieder in Deutschland war und auch durch Hamburg kam, jenen aber nie mehr besuchte. Mattheson hatte Bach freundlich um Mittheilung seiner Lebensereignisse für die »Ehrenpforte« gebeten; er erfreute sich schon damals eines bedeutenden Rufes als musikalischer Schriftsteller, und Bach mußte in dieser Aufforderung etwas ehrenvolles erblicken, wenngleich er ihr niemals nachgekommen ist. Aber ihre Naturen waren zu verschieden. Aus des Hamburgers Compositionen machte sich Bach augenscheinlich nicht viel: Keisers und Telemanns Arbeiten schrieb er sich ab; daß er bei denen Matthesons, der mit jenen beiden als der dritte im Bunde angesehen wurde, dasselbe gethan, ist nicht bekannt geworden. Dessen Schriften aber zu würdigen hatte er, der durch und durch praktische Musiker, weder Zeit noch Trieb. Und Mattheson war sehr eitel. Er meinte, die Künstler müßten zu ihm heranströmen, ihm ihre Devotion beweisen, seinen Rath und seine Belehrung erbitten; solcher Leute erwähnte er dann weitläufig in seinen Büchern. »Im August [1720] kam ein Organist von Bremen und ließ sich von Mattheson in der Setzkunst unterrichten gegen reichliche Bezahlung«. »Mylord Carteret langte den 8. Nov. von seiner schwedischen Gesandtschaft in Hamburg an und fand an unsers Matthesons Musik solche Lust, daß er einst zwei ganze Stunden ohne von der Stelle zu weichen bei ihm saß und zuhörte, zuletzt aber in Gegenwart der hohen Gesellschaft dieses Urtheil fällete: Händel spiele zwar ein schönes und fertiges Clavier, aber er sänge dabei nicht mit solchem Geschmack und Nachdruck«. So berichtet der Mann über sich selbst41. Es klingt fast wie eine Selbstentschädigung, wenn man beachtet, daß jene Auszeichnung durch den genannten Lord ihm grade in der Zeit zu Theil ward, als Bach sich in Hamburg befand. Wäre aus der Begegnung mit diesem irgend etwas für ihn rühmliches zu melden gewesen, in seiner Selbstbiographie hätte er es sicher nicht vergessen. Aber mit keiner Silbe ist von ihr die Rede. Die nörgelnde Kritik, welche er einige Jahre später über die Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß« veröffentlichte, und die [633] von uns an ihrer Stelle gewürdigt ist, kann auch garnicht anders, als aus gekränkter Eitelkeit erklärt werden. Und lobt er ihn später, so geschieht es mit einseitiger Hervorhebung seiner Virtuosität oder künstlichen Setzweise42. Wir erfahren, daß er schon im Jahre 1716 mancherlei von Bach kannte, sowohl Spielstücke als Kirchenmusik. Bei der jetzt gebotenen Gelegenheit hat er sicherlich vieles neue gehört und gesehen, etwa die bemäkelte Cantate und neue Orgelstücke. Eigenthümlich ist es, und wieder um nur aus seiner Stimmung gegen Bach zu erklären, daß er mehre Jahre darauf eine derartige Bekanntschaft zeigt, die er ganz gegen seine sonstige mit Belesenheit sich brüstende Gewohnheit zu verbergen sucht. In der zweiten Auflage der »Großen Generalbass-Schule«43 berichtet er, bei einem Probespiel auf der Orgel dem Examinanden folgendes Thema zur Ausführung aus dem Stegreif gegeben zu haben:


 

1.


 

 

Und als mit zu verarbeitenden Gegensatz:


 

1.


 

Dies ist nun aber das Thema einer der großartigsten Orgelfugen Bachs und auch der Contrapunct ist dessen Erfindung. Mattheson verschweigt es und bemerkt nur anmerkungsweise, wie er sehr wohl wisse, wo der Gedanke zu Hause gehöre und von wem er vormals kunstvoll ausgearbeitet sei. Er habe ihn gewählt, weil man vernünftiger handle, in solchen Fällen etwas vertrautes zu nehmen, damit es der Examinand desto fließender durchführen möge. Nichtsdestoweniger [634] sind wir ihm dankbar für diese Notiz. Sie sagt uns, daß im Jahre 1725 jene Bachsche Fuge schon in weiteren Kreisen bekannt war, sie läßt vermuthen, daß der Componist dieselbe 1720 mitgebracht, und ahnen, welchen Eindruck sein Auftreten in der dortigen Organistenwelt gemacht hat, denn der von Mattheson geprüfte Organist wird ein Hamburger oder aus der Umgegend gebürtig gewesen sein. Endlich belehrt sie uns auch, daß die Fuge in der jetzt vorliegenden Gestalt eine spätere Ueberarbeitung sein muß, denn das Thema ist durch zwei kleine Aenderungen auf das überraschendste verbessert. Für die ursprüngliche Composition des Werks zum Zweck der Hamburger Reise spricht mit großer Beredtsamkeit aber auch das zugehörige Praeludium, das von der thematischen Weise, die in den letzten weimarischen Praeludien hervortrat, ganz verschieden wieder auf die phantastischere Form der Nordländer zurückgreift44. Auch hier scheint Bach vor die hamburgischen Orgelkünstler auf ihrem eigensten Gebiete haben hintreten zu wollen. Rauschende Passagenfluthen, motivisch-imitatorische Sätze, Orgelrecitative, kühnste Modulationen und breite, mächtig schallende Accordfolgen, alles ist hier in scheinbarer Unordnung zusammengehäuft. Dennoch dringt der ausgereifte Bachsche Geist kraftvoll gestaltend hindurch: dem passagenreichen Anfange entspricht genau der Schluß, dem polyphonen Satze Takt 9–13 stehen eben so genau die Takte 25–30, den Orgelrecitativen Takt 14–24 die freien Harmonienfolgen Takt 31–40 gegenüber. Auch in den Modulationen, die an Verwegenheit Buxtehude fast noch überbieten, ist ein Plan klar zu erkennen: sie steigen von a (Takt 14) stufenweise nach H moll, C moll, d auf, dann nach Es moll, dessen Dominante der Bass ergreift, der von dort sechs chromatische Schritte in die Höhe thut; correspondirend sinken später von d (Takt 31) die harmonischen Massen über C moll, B moll, As moll hinab, wonach die sechs chromatischen Aufwärtsschritte vom H des Pedales beginnen. Freilich muß man den Grundriß des Praeludiums sich absichtlich gegenwärtig [635] halten, um zuerst durch das flimmernde Laufwerk und die dröhnenden Tonmassen nicht verwirrt und betäubt zu werden, später gewöhnt man sich, die Planmäßigkeit nicht nur zu erkennen, sondern auch zu empfinden, während doch eine solche in den entsprechenden Stücken Buxtehudes, also namentlich den Zwischensätzen seiner mehrtheiligen Fugen, garnicht vorhanden zu sein pflegt. Auch die große Verschiedenheit des Praeludiums von früheren Werken Bachs, in denen Buxtehudes Einfluß nachweislich war, springt in die Augen. Es läßt sich in seiner merkwürdigen Beschaffenheit nur mit Bezug auf eine besondere Veranlassung in Bachs Leben erklären, und diese bietet sich in der Hamburger Reise am ungezwungensten dar. Den schönsten Contrast bildet die große modulatorische Ruhe und streng vierstimmige Führung der weitausgespannten Fuge, welche ein Musiker des vorigen Jahrhunderts für »das allerbeste Pedalstück vom Herrn Johann Sebastian Bach« erklärte. Wir ermäßigen dies Urtheil nur soweit, daß keine andre Fuge uns höher zu stehen scheint. Angesichts einer solchen Leistung ist das für übertrieben gehaltene Wort begründet, daß nie eine Fuge von irgend einem Componisten gemacht worden sei, die einer Bachschen an die Seite gesetzt werden könne45. Wie hoch Buxtehudes gleichartige Arbeiten zu schätzen sind, haben wir gezeigt, daß Händel in einigen Clavierfugen Bach erreicht habe, soll nicht bestritten werden; aber dieser Schwung der Phantasie, diese Unermeßlichkeit gestaltenspendender Kraft, daneben diese krystallene Klarheit und schlichte Natürlichkeit, der hohe Ernst und die tiefe Freudigkeit, die den Hörer erschauern macht und aufjauchzen zugleich, das ist in seinem Zusammenwirken so einzig, daß jeder Gedanke an einen Vergleich mit andern vermessen erscheint. Nur eins giebt es in dem ganzen Gebiete instrumentaler Musik, was jenen vollendetsten Orgelfugen Bachs an die Seite gestellt werden kann, es sind Beethovens Symphonien.

Die Erwähnung Matthesons läßt uns noch einmal auf eine Gegenüberstellung Bachs und Händels zurückkommen, dieses Mal nicht der Menschen sondern der Orgelspieler. Daß Bach als solcher in Deutschland nicht seines gleichen habe, war bald eine ausgemachte Sache; Freund und Feind beugten sich hier der zwingenden Macht [636] einer unerhörten Virtuosität und fanden es kaum begreiflich, wie »er seine Finger und seine Füße so sonderbar und so behend in einander schränken, ausdehnen und damit die weitesten Sprünge machen« könne, »ohne einen einzigen falschen Ton einzumischen, oder durch eine zu heftige Bewegung den Körper zu verstellen«46. Dagegen scholl von England herüber mit Händels wachsender Berühmtheit als Opern- und Oratoriencomponist auch dessen Lob als unübertroffener Orgelmeister. Für England selbst wollte das nicht allzuviel bedeuten, aber auch Ausländer, die ihn dort gehört hatten, brachten es mit, und da er gleichfalls deutscher Abstammung war, lag die Vergleichung mit Bach nahe, der sonst mit seinen Cantaten, Passionen und Messen Händel gegenüber bei der Mitwelt kaum Beachtung fand. Der von Leipziger Freunden im Jahre 1729 gemachte Versuch, eine Begegnung beider zu Stande zu bringen, mißglückte; desto ungehinderter konnten nun Vermuthungen und Behauptungen sich ausbreiten. Die einen kamen von England zurück voll von Händels Lobe, sagten aber doch, »es sei nur ein Bach in der Welt und ihm komme keiner gleich«. Andre meinten dagegen, Händel spiele rührender und angenehmer, Bach aber künstlicher und bewunderungswürdiger und jedesmal scheine der der größte zu sein, den man augenblicklich höre47. Darin aber waren alle einig, daß wenn jemand Bach an die Seite gesetzt werden dürfe, es nur Händel sein könne. Indem nun die Namen dieser Beurtheiler unbekannt geblieben und sie auf ihre Urtheilsfähigkeit hin nicht mehr zu prüfen sind, ist es als ein erwünschter Zufall angesehen worden, daß Mattheson beide Meister gehört und sich über sie geäußert hat48. Bald nach den Vorgängen von 1720 schreibt er, daß ihm unter den jüngeren Tonsetzern noch niemand vorgekommen sei, der in Doppelfugen eine solche Fertigkeit hätte, wie Händel, nicht nur im Setzen sondern sogar im Extemporiren, wie er solches hundertmal mit größter Verwunderung angehört habe49. Ein sehr lobendes allgemeiner gehaltenes [637] Urtheil über Bach ist oben mitgetheilt. Und geradeswegs zusammengestellt werden sie in einer späteren Bemerkung, die wörtlich lautet: »Insbesondere gehet wohl Händeln so leicht keiner im Orgelspielen über, es müßte Bach in Leipzig sein: darum auch diese beiden außer der alphabetischen Ordnung oben anstehen sollen. Ich habe sie in ihrer Stärke gehöret und mit dem ersten manches Mal sowohl in Hamburg, als in Lübeck certiret«50. Daß Mattheson, ein Musiker von unbestritten gründlicher Einsicht, unter Umständen zur Abgabe eines gültigen Urtheils in dieser Sache befähigt war, ist außer Zweifel. Für eben so sicher halte ich es, daß dieses Mal seine Kundgebung gänzlich werthlos ist. Matthesons Erinnerung an Händels Orgelspiel stammt aus der gemeinsam verlebten Jugendzeit, welcher er bis ins Alter mit besonderm Vergnügen gedachte. Die Erfahrung ist gemein, daß günstige in der Jugend gehegte Urtheile trotz der fortschreitenden Entwicklung des Menschen unverändert weiter bestehen, wenn nicht einmal das Object des Interesses später sich uns zur Berichtigung stellt. Dies war hier nicht geschehen, seit dem Jahre 1706 hatte Mattheson Händels Spiel nicht mehr gehört51. Aber auch im entgegengesetzten Falle hätte vielleicht sein Urtheil doch nicht anders gelautet, weil Händels Künstlerthum ihm, dem bei der Oper und hauptsächlich der Keiserschen großgewordenen und in seinen früheren Jahren gegen die Orgelkunst geradezu gleichgültigen52 ungleich sympathischer war, als dasjenige Bachs. Die Sympathie blieb auch trotz Händels abweisender Haltung immer bestehen. Dagegen ist es ein Irrthum zu behaupten, er habe seit 1720 für Bach warmes Interesse gezeigt53; daß es vielmehr umgekehrt war, haben wir schon oben bemerkt und eine Sammlung der Stellen Matthesonscher Schriften, die sich auf Händel und Bach beziehen, ergiebt seine Stellung mit voller Klarheit. Endlich ist von erheblichem Gewichte, daß die Eitelkeit ihn antrieb, Händels Bedeutung als Orgelspieler möglichst hoch hinzustellen: hatte doch er selber einstmals in Hamburg [638] und Lübeck mit ihm gewetteifert! Die merkwürdige, nicht unparteiische, sondern nur schwankende Ausdrucksweise des oben angeführten Satzes hat also ihren Grund in der Unklarheit und dem innern Widerstreit des Schreibers, dessen Gefühlsneigung und Verstandeseinsicht nach verschiedenen Seiten zogen. Die Versuche ihn zu deuten, nützen nichts, er ist für jede Verwendung unbrauchbar. Dagegen kann man die Bemerkung über Händel den Doppelfugen-Spieler und -Erfinder als beachtenswerth acceptiren; hierin liegt jedenfalls etwas charakteristisches, was uns zu statten kommt, um die Frage nunmehr, wie es geschehen muß, nach rein innerlichen Gründen zu entscheiden. Es hängt alles davon ab, für wessen Kunstübung das Orgelspiel tiefere Bedeutung hat. Auch Händel empfing seine erste Bildung von einem deutschen Organisten und war selbst in seiner Jugend zeitweilig ein solcher, wandte sich dann aber andern Zielen zu, um endlich in dem von ihm geschaffenen universalen Kunstwerke die Orgel als musikalische Macht zwar auch wieder zu verwenden, aber doch nur als Stütze oder zur Gewährung äußeren Zierwerks. Bach ging von der Orgel aus und ist ihr bis zum letzten Lebenstage treu geblieben. Alle seine Productionen auf an dern Gebieten, zum mindesten seine gesammten Kirchencompositionen sind nur Fortsetzungen und Erweiterungen seiner Orgelkunst; ihm war sie Grundlage alles Schaffens, die beseelende Macht seiner Kunstgestalten. Danach muß er von beiden das Größere darin gekonnt und geleistet haben, das Größere nicht nur an technischer Vollendung, sondern auch an echt orgelgemäßem Gehalt. Die Berichte sind, wenn man einmal dieses Verhältniß sich klar gemacht hat, auch ganz durchsichtig und lassen keinen Zweifel darüber, daß Händels Orgelspiel nicht eigentlich das im höchsten Sinne stilvolle gewesen sei, das aus der Natur des Instruments gleichsam hervorwächst. Es war rührender und angenehmer, als dasjenige Bachs, aber weder zu rühren noch das Ohr zu umschmeicheln ist eigentlich Sache der Orgel. Aus dem Schatze seines die Gesammtkunst damaliger Tage umfassenden Vermögens schöpfend paßte er die Ideen dem Instrumente an, wie er es bei jedem andern Tonwerkzeuge ebenfalls that. Einen allgemeiner begreifbaren, exoterischen Gehalt brachte er so zur Erscheinung, und daher die populärere Wirkung. Die Orgel war ihm Concertinstrument, kein kirchliches. Es [639] entspricht diesem Verhältnisse, daß wir von Händel keine Compositionen für Orgel allein besitzen, an denen grade Bachs Ruhm sich bis in unser Jahrhundert großentheils genährt hat, wohl aber eine beträchtliche Anzahl von Orgelconcerten mit Instrumentalbegleitung, Kammermusikformen in glänzendere Verhältnisse übertragen. Seine Vorliebe für die Doppelfuge, diese ältere, einfachere und minder reiche Form, die aber in ihren Grundstoffen schneller zu erfassen und eben darum allgemeiner verständlich ist, läßt sich ebenfalls auf jene Ausnahmestellung zur Orgel zurückführen, nicht weniger endlich das Improvisatorische, was seinem Spiel und den an der Gränze des Orgelgebietes herstreifenden Claviercompositionen eigen war, während doch das nach Verwendung wie Charakter durchaus kirchliche Instrument grade mit größter Sammlung und Zurückdrängung augenblicklicher Launen behandelt sein will. Es ist so glaubwürdig wie möglich, daß Händel bei einer sicherlich eminenten technischen Fertigkeit, seiner grandiosen Ideenfülle und dem Geschick, sich alle Tonwerkzeuge dienstbar zu machen, mit seinen Orgel-Improvisationen ganz unerhörte Wirkungen hervorbrachte. Auch das Zündendere und Hinreißendere dieser Wirkungen soll Bachs erhabenem Spiele gegenüber zugestanden werden. Nur daß er wenigstens in diesem einen Punkte jenem überlegen gewesen sei, was von sonst besonnen urtheilender Seite behauptet ist54, muß ich in Abrede stellen, vorausgesetzt daß nicht nach dem flüchtigen augenblicklichen Eindrucke sondern dem absoluten musikalischen Werthe des Improvisirten geurtheilt werden soll. Es wäre in einer Zeit, wo auf das musikalische Extemporiren so großes Gewicht gelegt wurde, und dasselbe als Generalbassspiel zur allgemeinen Kunstpraxis gehörte, aufs höchste verwunderlich, wenn der, dessen ganzes künstlerisches Wesen in der Orgel beschlossen lag, der ihr Gebiet nach allen Seiten hin erschöpfend durchmessen hatte, in diesem Punkte nicht die entsprechende Höhe eingenommen hätte. Die nachdrücklichen Zeugnisse der Söhne und Schüler über »seine bewunderungswürdige gelehrte Art vielstimmig zu fantasiren«, über das Fremde, Neue, »Ausdrückende« und Schöne seiner augenblicklichen Inspirationen und deren vollendete Darstellung sind außerdem zur Hand. »Wenn er sich [640] außer den gottesdienstlichen Versammlungen an die Orgel setzte, wozu er sehr oft durch Fremde aufgefordert wurde, so wählte er sich irgend ein Thema und führte es in allen Formen von Orgelstücken so aus, daß es stets sein Stoff blieb, wenn er auch zwei oder mehre Stunden ununterbrochen gespielt hätte. Zuerst gebrauchte er dieses Thema zu einem Vorspiel und einer Fuge mit vollem Werk. Sodann erschien seine Kunst des Registrirens für ein Trio, ein Quatuor u.s.w. immer über dasselbe Thema. Ferner folgte ein Choral, um dessen Melodie wiederum das erste Thema in drei oder vier verschiedenen Stimmen auf die mannigfaltigste Art herum spielte. Endlich wurde der Beschluß mit dem vollen Werke durch eine Fuge gemacht, worin entweder nur eine andere Bearbeitung des ersteren Themas herrschte, oder noch eines oder auch nach Beschaffenheit desselben zwei andre beigemischt wurden«55. Was die andern Seiten der Orgelkunst betrifft, so konnten die Verfasser des Nekrologs sich mit Recht auf die vorliegenden Compositionen berufen, die zur Darstellung des tiefsinnigsten Gehalts die höchsten Leistungen der Technik heranziehen, und »die er, wie überall bekannt ist, mit der größten Vollkommenheit selbst ausführte«, um damit ihre nicht zu widerlegende Behauptung zu erhärten, »daß Bach der stärkste Orgelspieler gewesen sei, den man jemals gehabt hat«.

Fußnoten

 

 

II.

 

Es ist Zeit, dem Arbeitsfelde näher zu treten, für welches Bach in Cöthen ausschließlich berufen war. Der Orgel zunächst stand damals der Flügel: sein beseelungsunfähiger Ton, der nur durch mehre übereinanderconstruirte Claviere in gemeinsamen und festbemessenen [641] Stärkegraden abzuschattiren war, wies wie bei jener auf innere Verlebendigung durch Polyphonie und reiche Harmonik, auf stetig und wahrhaftig fortschreitende Melodiebildungen, und, da ihm auch die Klangdauer fehlte, überdies auf gesteigerte Beweglichkeit der Tonreihen. Von jeher hatte deshalb Bach beide Instrumente neben einander cultivirt und ihre Stilgebiete durch gegenseitigen Austausch zu bereichern gesucht. Denn wie er einerseits das von der Orgel gebieterisch erheischte gebundene Spiel mit allen seinen Consequenzen dem Cembalo zu eigen gab, so hat er andrerseits unverkennbar so vieles von der Agilität des Clavierstiles auf die Orgel übertragen, wie mit deren Wesen nur vereinbar ist. Daher entwickelte sich, obgleich die Orgel ihrer Bedeutung gemäß stets überwog, auf beiden Instrumenten seine Kunst ganz gleichmäßig, und in demselben Jahre, in welchem er die Periode seines Organistenthums schloß, war er auch dahin gelangt, den Vergleich mit einem der größten französischen Claviermeister siegreich aushalten zu können. Wenn bis jetzt auf die Claviercompositionen aus den späteren Jahren des weimarischen Aufenthalts keine Rücksicht genommen ist, so geschah es, um das Bild der Gesammtwirksamkeit, welche nach einer andern Richtung drängte, nicht zu verwirren. Wir holen in raschen Zügen das Versäumte nach und gewinnen dadurch zugleich eine Brücke, welche in das Land der cöthenischen Clavier- und sonstigen Kammermusik hinüberführt.

Bei Gelegenheit der Cantate »Nach dir, Herr, verlanget mich« war geäußert worden, das Fugenthema des ersten Chors habe in einer Clavier-Toccate aus Fis moll seine Fortbildung empfangen. Das Thema ist allerdings ein häufig wiederkehrender Lieblingsgedanke Bachs, trotzdem die Uebereinstimmung im Ganzen und Einzelnen, Innern und Aeußern derart, daß eine instrumentale Wiederaufnahme des Chors eben so fest stehen darf, wie die weitere Ausführung des Gedankengehalts der Ouverture zu »Tritt auf die Glaubensbahn« in der schönen A dur-Orgelfuge. Daß nicht der Chor das Spätere und die Toccate das Frühere sei, beweist die viel größere musikalische Vollendung der letzteren und in zweiter Linie ihre Ueberlegenheit über die drei früher besprochenen Claviertoccaten in D moll, G moll und E moll, von denen sie sich auch in der Form durchgreifend unterscheidet. Sie steht aber eben so wie jene in ihrer [642] Eigenart nicht allein; nach seinem alten Grundsatze hat Bach auch dieses Mal wenigstens zwei Exemplare geliefert und uns somit das Recht zur Aufstellung einer neuen Toccaten-Gattung gegeben1. Die wesentliche Vervollkommnung derselben besteht nun in der Einführung eines organisch durchgebildeten langsamen Satzes und darin, daß die früheren zwei Fugen auf eine reducirt werden, sei es im vollen Wortverstande, oder doch wenigstens in Hinsicht auf den thematischen Stoff. Die ganghaften Partien am Anfang sind geblieben und haben sich auch in der Mitte noch einen gewissen Raum zu verschaffen gewußt. Der langsame Satz folgt gleich auf das einleitende Laufwerk, aus den Themen


 

2.


 

und


 

2.


 

mit großer Kunst und tiefer Empfindung herausgesponnen, und bereitet mittelst Halbschlusses auf die Fuge vor, welche dort nach 61, hier nach 47 Takten schließt. Der Fortgang ist in beiden Werken nur scheinbar verschieden. In der Fis moll-Toccate dient ein motivischer Takt zur Ausführung eines freien Zwischenstückes, dem trotz mehrfacher Umbildungen des Motivs doch, gleich dem zweiten Theil des Clavierpraeludiums in A moll, etwas weitschweifiges und ermüdendes nicht abzusprechen ist. In der C moll-Toccate begnügt sich der Componist mit einigen Takten voll brillanter Passagen, dann hebt die Fuge wieder an, wird aber durch Zufügung eines zweiten Gedankens zur Doppelfuge, während Bach in der Fis moll-Toccate nun auf das Thema des langsamen Satzes zurückgreift und daraus eine ganz neue, auch in der Taktart verschiedene Fuge bildet. Warum das hier geschah, läßt sich aber sehr wohl aus dem Vorbilde der Cantate erklären, denn auch dort tritt das Thema zuvörderst breit und sehnsuchtsvoll auf und nach einem buntbewegten Zwischensatze erst aufgeregt und in künstlicherer Verflechtung. Beide Toccaten überragen die zu der älteren Gruppe gehörigen nicht nur an formeller Concentrirtheit, sondern auch an Bedeutsamkeit des Gedankengehalts, einzig die E moll-Toccate vermag [643] in ihrer träumerisch sehnsüchtigen Eigenart neben ihnen zu bestehen. Das flache Zwischenstück der Fis moll-Toccate drückt diese im Werth etwas unter die aus C moll, obwohl man es bei dem vorherrschend phantastischen Charakter derselben ohne sonderliche Störung erträgt. Denn wenn nach den wie zur eignen Sammlung hingeworfenen Einleitungs-Gängen das Adagio seine tiefe Klage ausgetönt hat, ist es als ob unzählige Geister entfesselt würden: wispernd und kichernd quirlt es auf und nieder, neckt sich, hascht sich, gleitet still und ebenmäßig auf spiegelklarer Fluth, verstrickt sich zu seltsamen Nebelgestalten – dann ist mit einem Male der Spuk verschwunden, gleichmüthig wie alltäglich ziehen die Stunden des Daseins vorüber, aber das alte Treiben wird von neuem lebendig, nun freilich von der Erinnerung an einen tiefen Schmerz unaufhörlich durchklungen. Ganz anders die zweite Toccate. Nach dem stürmischen Anfange versinkt das Adagio in ernstes Nachsinnen, aus dem die Fuge hervorgeht mit jener so originellen Wiederholung der ersten Thema-Periode, die auch in allen Durchführungen kräftig hervortritt und den Gesammtcharakter bestimmt; ein trotziger schöner Jüngling, der im vollen Strom des Lebens schwimmt und sich nicht sättigen kann im Wonnegefühl eigner Kraft. Man halte dagegen die Schlußfuge der E moll-Toccate und staune über des Meisters gestaltenschöpferisches Vermögen!

Neben die beiden Toccaten tritt noch eine dreistimmige Fuge aus A moll, der eine kurze arpeggirende Einleitung vorausgeschickt ist2. Es ist die längste Clavierfuge, welche Bach vollendet hinterlassen hat: sie zählt 198 Dreivierteltakte, außerdem herrscht unaufhörliche Sechzehntelbewegung, so daß sie als ein anderes Perpetuum mobile dem bekannten Weberschen Sonatensatze an die Seite gesetzt werden kann. Man weiß nicht, was man an diesem Meisterwerke mehr bewundern soll, die immer fesselloser hervorbrechende Phantasiefülle, oder den sicheren Aufbau solcher Verhältnisse, oder die Spielfertigkeit und Ausdauer, welche es voraussetzt. Das sechstaktige Thema erscheint nur zehnmal, mehr als zwei Drittel der Composition sind aus seinem Stoff frei motivisch entwickelt, und je mehr [644] es dem Schlusse zugeht, desto weniger wird das Thema regelrecht gehört, während der letzten hundert Takte nur noch dreimal. Der kräftige Schwung, welcher die anfänglichen Partien trägt, steigert sich, natürlich ohne Tempobeschleunigung und nur durch innere Mittel, allmählig zu einem Sturmflug, der dem Hörer fast den Athem benimmt. Erfährt man nun, daß Bach die Tempi seiner Compositionen sehr lebhaft zu nehmen pflegte3, was für das Clavier dessen Charakter gemäß ganz besonders Geltung gehabt haben muß, so ist hier zugleich eine Höhe der Fingertechnik angezeigt, für welche die schwierigsten Aufgaben andrer Tonsetzer ein Kinderspiel sein mußten. Daß er sie erreichte, verdankte aber Bach nicht nur seinem eisernen Fleiße, sondern auch der Productionskraft des Genius, der ihn die Mittel finden lehrte, durch welche für die in ihm wogende Ideenwelt eine adäquate Erscheinungsform möglich gemacht wurde.

Im Anfange des 17. Jahrhunderts verhielt man sich gegen die Applicatur der Tasteninstrumente noch ziemlich gleichgültig. Ein in jeder Hinsicht hervorragender Musiker, der braunschweigische Capellmeister Michael Praetorius, verhöhnte gar diejenigen, welche es ernster damit nahmen, und meinte, wenn die Tongänge überhaupt nur präcis und anmuthig zu Gehör kämen, so sei es ganz gleichgültig, wie es geschehe, und sollte selbst die Nase zu Hülfe genommen werden müssen4. Später wurde man wohl allgemeiner auf die Vortheile, ja die Unerläßlichkeit eines geregelten Fingersatzes aufmerksam, aber erst mit Beginn des 18. Jahrhunderts griff ein gründliches und methodisches Verfahren Platz. Bisher war der Daumen vom Gebrauch so gut wie ausgeschlossen und die Anwendung des fünften Fingers wenigstens eine zurückhaltende gewesen. Der Grund lag in der augenfälligen Verschiedenheit beider von den drei mittleren Fingern, welche sie zu gleicher Thätigkeit ungeeignet erscheinen ließ. Da aber doch Bedacht genommen werden mußte, die Töne, namentlich der Orgel, an einander zu binden, so schob man die Mittelfinger über und unter einander; der Daumen hing einfach herunter. Es ist wohl unzweifelhaft, daß die Schule Sweelincks und was mit ihr zusammenhängt, also mehr oder weniger die gesammte [645] nordländische Organistengruppe, da sie für Erhöhung der Spielgeläufigkeit so viel that, auch in der Regelung des Fingersatzes sich große Verdienste erwarb5. Gleichwohl gebrauchte selbst sie den Daumen nicht anders als im Nothfalle. Denn wenn Sebastian Bach seinem Sohne Philipp Emanuel erzählte, als Jüngling große Männer gehört zu haben, die sich nur bei weiten Spannungen zur Herbeiziehung dieses verpönten Fingers entschlossen hätten6, so kann darunter kaum jemand anders verstanden werden, als die Nordländer und der ihnen nahe stehende Böhm. Ihm selbst war jedoch das Unnatürliche einer solchen Beschränkung bald einleuchtend. Er fing an, den Daumen zu gleichen Diensten wie die andern Finger anzuhalten, und mußte nun rasch bemerken, daß dadurch eine vollständige Umwandlung der Spielart herbeigeführt werde. Während das unbetheiligte Herunterhängen des Daumens eine gestreckte Fingerhaltung zur Folge gehabt hatte, bedingte das Eintreten dieses so viel kürzern Fingers naturgemäß ein Einziehen der übrigen. Durch das Einziehen wurde zugleich alle Steifheit beseitigt, schlaff und elastisch waren die Finger zu allen Dehnungen und Verschränkungen in jedem Augenblicke bereit und trafen schnell und bestimmt die Tasten, über denen sie in möglichster Nähe schwebten. Nun wurden sie durch eifriges Ueben in beiden Händen zur größten Gleichmäßigkeit in Kraft und Beweglichkeit und zur völligen Unabhängigkeit von einander gebracht7. Scharfsinn und Compositionstalent vereinigten sich, um hierzu die sichersten und schnellsten Wege zu finden. Jeder Finger mußte ihm zu jeder Verrichtung gleich brauchbar werden, Triller und andre Manieren lernte er mit dem fünften und vierten Finger eben so rund und egal herausbringen, wie mit andern, auch [646] ward es ihm leicht, unterdessen mit derselben Hand eine Melodie fortzuführen. Wegen seiner natürlichen Bewegung nach der Handhöhlung zu wurde der Daumen ein vorzügliches Werkzeug zum Untersetzen und Ueberschlagen. Die wichtigste aller Tonreihen, die Tonleiter, erhielt durch Bach eine neue Applicatur, indem er die Grundregel aufstellte, daß der Daumen der rechten Hand im Aufsteigen nach den beiden Halbtönen der Tonleiter, im Absteigen vor denselben eingesetzt werden müsse und umgekehrt bei der linken Hand8. Um die Taste zu verlassen, wurde die Fingerspitze weniger gehoben als nach einwärts gezogen, dies war zur Gleichmäßigkeit der Spielart nöthig, weil das Ueberschieben eines Mittelfingers über einen der nebenstehenden sich nur durch Einziehen desselben ermöglichte, und förderte außerdem ein gesangreiches und bei schnellen Passagen ein deutliches Spiel auf dem Clavichord. Hieraus folgte nun, daß Bach mit einer kaum merkbaren Bewegung der Hände spielte, die Finger schienen die Tasten kaum zu berühren und doch kam alles mit vollendeter Klarheit und perlenrund zur Erscheinung9. Auch sonst blieb seine Körperhaltung eine durchaus ruhige, selbst bei den schwierigsten Pedalstellen am Cembalo oder an der Orgel; die Fußtechnik war eben so leicht und ungezwungen, wie die der Finger10. Aeußere Hindernisse wußte er mit der ihm eignen Erfindsamkeit zu beseitigen: bei über einander gebauten Clavieren liebte er kurze Tasten, um leichter von einem zum andern zu kommen, und die Obertasten hatte er gern oben etwas schmäler als unten, weil er dann unmerklicher ohne Fingerwechsel herabgleiten konnte11.

Auf den ausgedehnteren Gebrauch des Daumens war unter den Musikern seiner Zeit Bach nicht allein verfallen, die gesammte sich üppig entfaltende Orgel-und Clavierkunst drängte zur Herbeiziehung reichlicherer Darstellungswerkzeuge. In Frankreich brach François Couperin (1668–1733), Organist zu St. Gervais in Paris, durch [647] seine »Kunst das Clavier zu spielen«12 einer verständigeren Fingersetzung die Bahn. Johann Gottfried Walther, Bachs Altersgenosse und zeitweiliger College in Weimar, hat einige mit Applicatur versehene Orgelchoräle hinterlassen, in welchen der Daumen verschiedenartige Anwendung findet13. Der oben erwähnte Heinichen fordert zur Ausführung seiner Vorschriften über das Generalbassspiel durchgängig die Application aller fünf Finger14. Auch Händel zog den Daumen in stetige Mitthätigkeit, es folgt dies nothwendig aus seiner von Augenzeugen beschriebenen gebogenen Fingerhaltung15, durch welche er ganz von selbst mit auf die Tasten kommt. Aber methodisch ausgenutzt ist das neue Mittel weder von Couperin noch Walther. Bei der Tonleiter schreibt Couperin wohl auf die erste Note den Einsatz des Daumens vor, nicht aber im Fortgange auch den Daumenuntersatz, er gebraucht den Daumen sehr gern zum Umwechseln auf einem und demselben Tone, ferner bei Spannungen, wo er ihn ungenirt auch auf die Obertasten treten läßt, übrigens aber fast nur so, daß er unter den zweiten Finger gesetzt oder von diesem überschlagen wird. Einzige zwei Fälle kommen unter der reichen Auswahl von Beispielen und Probestücken seiner »Kunst das Clavier zu spielen« vor, in denen anders verfahren wird. Von ihnen betrifft der eine die linke Hand, deren Daumen merkwürdiger Weise schon früh eine häufigere Anwendung erfahren zu haben scheint16; hier wird denn auch mehrfach das Uebersetzen des Mittelfingers vorgeschrieben. Der andre aber ist mit dieser Fingervorschrift:


 

2.


 

17


 

das entscheidendste Zeugniß [648] für die unfertige Technik des Daumens; durch das Einsetzen desselben nach der Bachschen Regel, d.h. hier auf 2., läuft die Passage wie von selbst. Walther verschränkt in den drei Orgelchorälen nur zweimal den dritten Finger mit dem Daumen und zwar in der linken Hand, sonst immer nur den zweiten. Von Händels Applicatur wissen wir nichts näheres, einen gewissen Ersatz kann jedoch Mattheson bieten, der es ja, wie oben erzählt wurde, als Clavierspieler mit jenem aufnehmen zu können vermeinte; derselbe kennt im wichtigsten Falle, bei der Tonleiter, das Untersetzen des Daumens nicht, sondern schiebt nach alter Manier beim Aufsteigen der rechten Hand den dritten über den vierten, beim Absteigen den dritten über den zweiten18.

Philipp Emanuel Bach, selbst einer der bedeutendsten, wenn nicht der bedeutendste unter den Clavieristen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, hat in einem vortrefflichen und grundlegenden Werke seine Ansichten über die Methode des Clavierunterrichts niedergelegt. Bei der Lehre von der Fingersetzung spricht er (§. 7) über ihre Erweiterung und Vervollkommnung durch seinen Vater, so daß man alles mögliche nunmehr leicht herausbringen könne, und erklärt dann, die Lehre desselben seinen nachfolgen den Entwicklungen zu Grunde legen zu wollen. Es ist allgemein angenommen worden, daß Emanuel Bachs Methode eben diejenige des Vaters sei und wohl nicht nur in der Fingersetzung, sondern auch den übrigen Abschnitten des Lehrstoffes, obgleich kein Ausspruch des Buches dazu genügend berechtigt. Nun haben sich aber zwei kleine von Sebastian Bach eigenhändig und durchgängig mit Applicatur versehene Stücke finden lassen19. Ihre Vergleichung mit Emanuels Regeln ergiebt, daß sie wesentlich von ihnen abweichen. Diese verbieten (§. 28) das Ueberschlagen des dritten Fingers über den zweiten, Sebastian schreibt es im fünften Takte des ersten und vom 22. auf den 23. Takt des zweiten jener beiden Stücke vor und stimmt hierin, wie das oben angeführte Beispiel zeigt, mit Couperin überein. Emanuel will nicht den vierten über den kleinen Finger gesetzt wissen, Sebastian fordert[649] es für die linke Hand von Takt 38 auf 39 des zweiten Stücks. Emanuel beschränkt das Geschäft des Untersetzens auf den Daumen, Sebastian läßt es vom fünften unter den vierten geschehen von Takt 34 auf 35 desselben Stückes. Für das Uebersetzen des kleinen Fingers über den Daumen, was Emanuel ebenfalls untersagt, findet sich in den Stückchen Sebastians zufällig kein Beispiel, dagegen aber wohl in einem der Waltherschen Choräle. Noch mehr aber: obgleich die Regel Sebastians vom Daumeneinsatze nach den Halbtönen der Tonleiter auf das nachdrücklichste bezeugt ist20, hat er sie doch am Anfang des ersten Stückes selbst nicht befolgt, sondern die alte Manier vorgeschrieben und im dritten Takte schreitet die linke Hand allerdings mittelst Ueberschlagens über den Daumen fort, benutzt aber gleichfalls nach älterer Weise nur den zweiten Finger dazu. Wenn nun seine Fingersetzung sich Vorgängern und Zeitgenossen gegenüber durch den methodischen Gebrauch des Daumens auszeichnet, von der Praxis des Sohnes aber wiederum durch Eigenthümlichkeiten verschieden ist, die ihr mit der älteren Spielweise theils nachweislich gemeinsam sind, theils aus ihr mit leichter Mühe gefolgert werden können, so ist die Beschaffenheit der Seb. Bachschen Applicatur wohl ziemlich klar. Dieselbe nahm sämmtliche durch den Daumengebrauch ermöglichten Combinationen in Anspruch, ohne aber auf eine nach dem früheren Fingersatze allseitig ausgebildete Technik irgendwo zu verzichten; nur so viel ist, da sich Bach überall durch die von der Natur gewiesenen Wege leiten ließ, zu muthmaßen, daß er das Ueberschieben eines kleineren Fingers über einen größeren, wie des zweiten oder des vierten über den dritten thunlichst vermied. Daraus ergab sich ihm eine so unbegränzte Fülle der Möglichkeiten, daß es nun vollständig begreiflich wird, weshalb für ihn keine Schwierigkeiten mehr existirten. Aber als hätte er in allen Dingen seiner Kunst auf einsamer Höhe stehen sollen, so ist er auch unter den Koryphäen des Clavierspiels der einzige geblieben, der sich in den Besitz so colossaler technischer [650] Mittel gesetzt hatte. Alle die vor ihm waren, alle die nach ihm kamen, wirtschafteten mit einem viel geringeren Apparate; auf einer Wasserscheide zweier Gebiete stehend herrschte er allein frei über das vorwärts wie rückwärts gelegene Land. Schon sein Sohn, der den eigentlichen Ausgangspunkt des modernen Clavierspiels bildet, hat den Fingersatz des Vaters ganz erheblich vereinfacht; von den Verschränkungen der mittleren Finger läßt er nur die des dritten über den vierten zu (§. 62) und hat vorzugsweise den Daumengebrauch weiter cultivirt. Er bedurfte für seine viel homophonere und leichtere Compositionsart keiner so reichen Mittel und alles überflüssige ist in der Kunst vom Uebel. Mit der Verbreitung des Pianoforte aber, welche von da ab begann, wurde der älteren Fingersetzung ganz das Thor verschlossen, indem die Hammermechanik den elastisch von oben herabfallenden Schlag verlangt und den schrägen Druck eines übergeschobenen Mittelfingers abweist. So konnte denn auch in neuester Zeit, die sich doch einer souveränen Herrschaft über die gesammte Claviertechnik rühmt, die Sebastian Bachsche Spielweise höchstens bis zu dem Grade wieder hergestellt werden, der sich bei Philipp Emanuel noch vorfindet und unerläßlich ist, wenn die Ausführung von Sebastians Compositionen überhaupt möglich werden soll. Als Ganzes wäre sie für uns verloren, auch wenn wir bis ins Einzelne darüber Bescheid wüßten. Die abnormen Schwierigkeiten der Compositionen aber haben zum großen Theile hierin ihren Grund, denn was die moderne Zeit nach der einen Seite hin gewann, mußte sie andrerseits durch die Natur des Instruments gezwungen aufgeben. Es kann deshalb nicht geleugnet werden, daß die moderne Technik trotz alledem diejenige Bachs nicht überragt, da er jedenfalls viele Schwierigkeiten leichter überwand. Was für das Clavier gilt, gilt noch mehr für die Orgel, deren Wesen ja Bach dem Claviere einprägte, wenn auch unbeschadet der Deutlichkeit seines natürlichen Charakters. Hier, wo constructive Hindernisse nicht vorhanden sind, wäre jedoch eine Erweiterung der Technik nach den dargelegten Grundzügen nicht unmöglich; bedeutete dies Instrument erst einmal wieder etwas mehr in unserm Kunstleben, so würde der Versuch auch wohl gemacht werden.

Eine Vervollkommnung des Fingergebrauchs war für Bach schon deshalb nothwendig, weil er nur auf gleichschwebend temperirten [651] Clavieren zu spielen pflegte und dann auch alle 24 Tonarten nach Belieben benutzen wollte. Die Herstellung einer gleichschwebenden Temperatur durch gleichmäßige Vertheilung des ditonischen Kommas d.h. der durch Summirung von 12 Quinten gegen die Octave sich ergebenden Differenz auf die zwölf innerhalb einer Octave liegenden Tonstufen war am Ausgange des 17. Jahrhunderts ersonnen worden und fand bald allgemeine Aufnahme. Theoretisch hatten sich zwei schon mehrfach genannte Musiker, Andreas Werkmeister (1645–1706) und Johann Georg Neidhardt (gest. 1740), um dieselbe verdient gemacht, praktischen Nutzen konnten jedoch diese Untersuchungen kaum haben, da es sich um so kleine Tonunterschiede handelt, daß darüber endlich doch nur das Gehör entscheiden kann. Die Wege zur Temperatur, welche die Praxis einschlug, waren zuerst freilich wunderlich genug. Man pflegte noch ums Jahr 1739 folgende drei Grundregeln aufzustellen: 1) Die Octaven, kleinen Sexten und kleinen Terzen müssen allenthalben rein sein. 2) Den großen Sexten und den Quarten giebt man etwas zu. 3) Den Quinten und großen Terzen nimmt man etwas ab21. Wie gut oder übel das geklungen haben mag, ist ungefähr daraus zu ermessen, daß nur die Bestimmungen über Octave, Quarte und Quinte in der Natur der Sache ihre Begründung haben; alle Intervalle, die, wie große und kleine Sexten und kleine Terzen, in complicirteren Verhältnissen zum Grundtone stehen, dulden bekanntlich stärkere Abweichungen von der reinen Stimmung, und wie man die großen Terzen hat unter sich schweben lassen können, ist ganz unbegreiflich, da schon die Summe von drei rein gestimmten der Octave nicht gleichkommt, was doch die gleichschwebende Temperatur verlangt. Es ist erfreulich nachweisen zu können, daß Bach auch hierin seine Zeit weit überholt und sich bereits in den Besitz derjenigen Stimm-Methode gesetzt hatte, die jetzt allgemein befolgt wird. Ausdrücklich wird berichtet, er habe alle großen Terzen scharf genommen d.h. sie etwas über sich schweben lassen, wie es nothwendig ist, um die sogenannte große Diesis auszugleichen22. Da er nun unmöglich nach lauter großen Terzen [652] gestimmt haben kann, so wird er es gemacht haben wie heutzutage, nämlich durch vier an einander hängende Quinten fortgeschritten sein, deren jede etwas abwärts schweben mußte und dann den äußersten Quintton als geschärfte Terz mit Grundton und erster Quinte zum Dreiklang verbunden haben. Von den mancherlei Kunstgriffen, welche die Anwendung dieses Verfahrens erleichtern, ist ihm jedenfalls auch der bekannt gewesen, die Schwebung der Quinte durch Mitanschlagen der Octave, der Unterquarte des Grundtons, zu prüfen und von da ab wieder in die Quinte aufzusteigen23. Daß er aber auf alles dies aus eignem Nachdenken und nicht durch Nachlesen in theoretischen Abhandlungen gekommen ist, wäre, feststehend, wenn es nicht auch Zeitgenossen bezeugten24. Und mit solcher Sicherheit und Schnelligkeit handhabte er seine Methode, daß nie mehr als eine Viertelstunde über dem Stimmen eines Flügels oder Clavichords verstrichen sein soll25. In welch großartiger Weise er das hiermit erst zugänglich gemachte gesammte Tongebiet des Claviers schöpferisch ausnutzte, werden wir bald sehen. Zu einem ausschweifenden Modulationswesen ließ er sich aber nicht verleiten, dies stand mit seinem Stile zu sehr in Widerspruch. Nur bei besonderen Veranlassungen bewies er einige Male, wie fein sein Ohr für den inneren Zusammenhang der Tonarten geschärft war und wie [653] wohl er auch enharmonische Ausweichungen zu benutzen wußte, wenn er wollte. Ein Beispiel ist das oben besprochene Praeludium zu der hamburgischen G moll-Fuge, ein anderes die sogenannte chromatische Fantasie, auf die später zurückzukommen sein wird. Ob ein Stück, »das kleine harmonische Labyrinth« genannt, das sich durch einen Introitus voll enharmonischer Irrgänge zum Centrum einer kleinen Fuge durcharbeitet und von dort auf ähnlichem Wege wieder zum Tageslicht von C dur seinen Exitus nimmt, Bach angehört, mag ich wegen seiner schwachen Beglaubigung nicht entscheiden. Den kettenartigen Zusammenhang der 24 Tonarten hatte Heinichen, der Begleiter des Fürsten Leopold in Italien, zuerst klargelegt und auch praktisch angewendet. Von derartigen Versuchen Bachs wissen wir nichts: dem freien Schwunge seines Geistes widerstrebte jedes mechanische Verfahren26.

Den Ton des Cembalo haben wir beseelungsunfähig genannt und insofern dem Orgelton ähnlich. Gleichwohl war es feinen Ohren nicht unbemerkt geblieben, daß er unter den Händen des einen sich wohlthuender bildete, als unter denen des andern. Es ist daher nicht ganz ungereimt, auch von einer subjectiven Vortragsart auf dem Flügel zu reden. Ihre Möglichkeit ruht einestheils in der undefinirbaren Besonderheit des Anschlages, dann in der noch unbeschreiblicheren Kunst, jene complementären Empfindungen hervorzulocken, die zum vollständigen Erfassen einer Kunstidee von jedem Genießenden hinzugebracht werden müssen, die aber die Claviermusik in ungewöhnlicher Stärke verlangt. Wir nehmen mit Grund an, daß Bach diese Kunst besessen habe – ein eigenthümlicher Reiz des Anschlags verstand sich bei seiner neuen Spielweise von selbst – und auch sein Spiel auf dem Cembalo, das er sich immer selbst bekielte, in gewisser Weise ein seelenvolles gewesen sei. Als den einzigen Weg, hierzu zu gelangen, bezeichnet sein Sohn Philipp Emanuel die fleißige Tractirung des Clavichords27, und grade dieses war Sebastians Lieblingsinstrument. [654] Besaß es auch nur geringe Stärke, so war der Ton doch außerordentlich schattirungsfähig und verhältnißmäßig andauernd. Man konnte singen darauf und das gesangreiche Spiel legte Bach aller Clavierkunst zu Grunde. Gegenüber dieser unbestreitbaren Thatsache fällt die hier und da verbreitete Meinung, daß Bach keinerlei Farbengebung beim Vortrage seiner Clavierstücke beabsichtigt habe und die Anwendung von Licht und Schatten eine eigenmächtige Modernisirung sei, als ungerechtfertigtes Vorurtheil zu Boden. Nirgends läßt sich überzeugender darthun, wie große Geister die Ziele geschichtlicher Entwicklungen im eignen Thun beschlossen tragen und prophetisch oft über Jahrhunderte hinwegblicken, als hier. Das Idealinstrument, das Bach für seine Inventionen und Sinfonien, Suiten und Clavierfugen vorschwebte, war nicht ganz das Clavichord: zu wuchtig lasteten die aus der erhabenen Alpenwelt des Orgelreiches herabgebrachten Gedanken auf dem zarten Baue desselben. Aber die Orgel war es auch nicht. Aus ihrem Gebiete emanirte eben das Bedürfniß nach reicherem Gefühlswechsel, das in der Kammermusik Befriedigung suchte, ähnlich wie das Streben nach Gefühlsbestimmtheit aus dem Orgelchoral den Kern der Kirchencantate hervorgehen ließ: aus der erhabenen Ruhe und träumereichen Einsamkeit trieb es herunter in blühende Thäler und zu redenden Menschen. Das Cembalo konnte die Ausgleichung nicht herstellen; erst ein Instrument, das die Klangfülle der Orgel mit der Ausdrucksfähigkeit des Clavichords in richtigen Verhältnissen vereinigte, war im Stande, dem Erscheinung zu geben, was in des Meisters Phantasie erklang, wenn er für Clavier componirte. Daß unser moderner Flügel dieses Instrument ist, sieht ein jeder. Nichts kann verkehrter sein, als zur Ausführung Bachscher Clavierstücke sich das Clavichord zurückzuwünschen, oder gar das Cembalo, das für Bachs Kunstübung überhaupt die wenigst selbständige Bedeutung gehabt hat; dies mag für Kuhnau, für Couperin und Marchand passen, Bachs Gestalten verlangen ein wallendes Tongewand, seelenvollen Blick und sprechende Mienen. Wenn in neuester Zeit [655] die Beschäftigung mit seinen Clavierwerken mehr und mehr zugenommen hat, so ist neben andern auch dies ein Grund und keiner der unkräftigsten, daß man fühlte, mit den großen Mitteln dem Inhalte nun endlich gerecht werden zu können. Es versteht sich, daß einem virtuosenhaften Aufputz nicht das Wort geredet wird. Die Gefahr von dort her ist aber auch nicht allzu drohend; so fest ist die Textur dieser Tonstücke, so melodisch überall die Stimmführung, daß bei nur einiger Versenkung in ihren Organismus jedes eigenmächtige Hervorzerren einzelner Glieder sich sofort als unmöglich erweist. Wo ein Glied sich herausheben soll, hat der Componist von innen her schon gesorgt, daß es geschieht. Die echoartigen Gegensätze von forte undpiano, auf welche die mehrclavierigen Cembalos führten, sind fast immer angemerkt und wo nicht, sehr leicht erkennbar; sie beziehen sich stets nur auf volle Perioden. Was aber außerdem der Vortragende zu thun hat, wird ihm unfehlbar klar werden, sowie er sich gewöhnt, dem Gange der einzelnen Stimmen und ihrem symphonischen Zusammenwirken innerlich singend zu folgen. Dann wird er die in ihnen verkörperten Gefühlsbewegungen nach Maßgabe ihres Steigens und Sinkens beleben, nach ihrem zustimmenden oder widersprechenden Verhältnisse zur jedesmaligen Grundharmonie mit weniger oder mehr Tonfülle ausstatten. Dann wird er auch jene Melodie vernehmen, die wie eine innere Stimme den Harmoniengang jedes Bachschen Stückes durchtönt und sich von ihren Schwingen tragen lassen, wenn sie anschwillt zu Sturmesgewalt und dann wieder säuselt wie Maienhauch, unsichtbar, unerfaßlich und doch überall zugegen. Bachs Claviercompositionen sind eine Erbschaft, die erst unsere Zeit in ihrem vollen Umfange antreten sollte, ein unschätzbares Geschenk für eine Periode, deren musikalischer Quell nicht mehr in früherer Ergiebigkeit fließt, ein unerschütterlicher Fels in dem trüben Gewoge leidenschaftlicher Verirrungen, für alle die noch hören können eine ernste Mahnung, nicht die Würde der Kunst zu vergessen. Die Anfänge des Pianoforte erlebte der Meister noch und hat sie durch seine strenge Kritik gefördert. Gottfried Silbermann in Freiberg baute im vierten Jahrzehnt des Jahrhunderts, vermuthlich nach der Erfindung des Florentiners Cristofali, zwei Claviere mit Hammermechanik. Bach spielte eins davon, lobte sehr den Klang und tadelte nur die schwere Spielart [656] und die Schwäche des Tons in der Höhe. So empfindlich Silbermann durch diesen Tadel berührt wurde, so ließ er sich doch die Ausstellungen gesagt sein, arbeitete jahrelang an der Verbesserung seines Hammerclaviers und erlangte schließlich Bachs uneingeschränktes Lob28. Es ist nicht wahrscheinlich, daß dieser sich selbst in den Besitz eines solchen Instruments gesetzt hat. da es sonst sein Schüler Agricola, durch den wir überhaupt um die Sache wissen, wohl erwähnt haben würde. Der Grund ist auch klar: die Hammermechanik fügte sich nicht willig genug allen Künsten der Bachschen Fingersetzung. Aber die Freude über Silbermanns Instrument zeigt wieder deutlich, welcher Richtung seine Clavierkunst zustrebte. Um wenigstens einem Hauptmangel des Cembalo, der Tonkürze, nachzuhelfen, ersann er gegen das Jahr 1740 ein Lautenclavicymbel, welches der Orgelbauer Zacharias Hildebrand nach seiner Angabe ausführte. Die größere Tondauer wurde durch Darmsaiten hervorgebracht, deren es zwei Chöre besaß, ihnen war ein Chor von Messingsaiten im 4 Fuß-Ton beigefügt. Wenn der helle Klang des letzteren durch einen Tuchdämpfer gehemmt wurde, machte sich das Instrument beinahe wie eine wirkliche Laute, während es ohne das mehr den dunkeln Theorbencharakter hatte. In der Mensur war es kürzer als ein gewöhnliches Cembalo29. Die Einsicht in den Instrumentenbau, welche Bach hierdurch an den Tag legt, und die früher nachgewiesene Erfahrenheit auf dem Gebiete der Orgelstructur bildet mit der Geschicklichkeit des Temperirens, der erfinderischen Vervollkommnung des Fingersatzes die äußersten Consequenzen seines technischen Talents. Seine gewaltige Natur ruhte nach beiden Seiten unmittelbar über dem Urgrunde alles Künstlerthums, einem unermeßlichen Schachte der Phantasie und der durchdringendsten, bis in die Gebiete nüchternster Mechanik hinausreichenden Kraft, deren kostbares Metall würdig zu gestalten. Es bedarf wohl nur der Erinnerung an Johann Michael und Johann Nikolaus Bach, um von neuem die Thatsache zu constatiren, daß Sebastian alle productiven Fähigkeiten des Geschlechtes in sich zusammenfaßte30.

[657] Bewundernd ruft einmal ein trefflicher Kunstkenner des vorigen Jahrhunderts aus, in dem unsterblichen Joh. Seb. Bach seien die verschiedenen guten Talente von hundert andern Musikern vereinigt gewesen31. Nicht nur das Rüstzeug des künstlerischen Schaffens war ihm in denkbarst vollständiger Weise eigen, er war auch ein ausgezeichneter Lehrer der Musik. Unter allen großen deutschen Musikern ist Bach der einzige, um den sich eine nennenswerthe Anzahl von Schülern schaart, Schülern, die nicht den größeren Theil ihres Rufes dem Meister verdanken. Von den Söhnen ganz abgesehen, sind Ziegler, Agricola, Altnikol, Ernst Bach, Homilius, Kirnberger, sind Goldberg, Müthel, Kittel, Transchel, Vogler und vor allem Joh. Ludwig Krebs Künstler von unleugbarer, zum Theil sehr hoher Bedeutung gewesen. Wurde als Componist keiner von ihnen bahnbrechend, so lag der Grund in der isolirten Höhe des Meisters selbst, an welche sich schwer anknüpfen ließ, und darin, daß das schöpferische Talent sich niemand geben, noch von einem andern empfangen kann. Die Stärke der Bachschen Schüler beruhte vorwiegend in der ausübenden Kunst, wo Fleiß und richtige Leitung die Hauptsache sind. Daß Bach ihnen diese angedeihen lassen konnte, verdankt er vor allem der sittlichen Größe seines Charakters, die ihn bewog, in selbstloser Entsagung das eigne Können für seine Nebenmenschen nutzbar zu machen. »Dem höchsten Gott allein zu Ehren, Dem Nächsten draus sich zu belehren«, schrieb er auf das Titelblatt seines köstlichen Orgelbüchleins, und danach handelte er auch. Es ist in gleichem Maße ehrfurchtgebietend und herzerquickend, diesen Mann, dessen titanische Phantasie jetzt nach dem höchsten Ideale die Hand ausstreckte, in der nächsten Stunde sich zu einem seiner Schüler niedersetzen zu sehen, schüchternen Organisten- und Cantorensöhnen aus einfachsten Verhältnissen, unverdrossen ihnen die Mechanik des Fingergebrauchs erklären, theilnehmend dem Ungeschick durch Niederschreibung besonderer Uebungsstücke zu Hülfe kommen, mit pädagogischer Einsicht durch eigne Musterausführungen sie zu höhern Zielen anspornen. So hatte er in Mühlhausen begonnen, [658] so trieb er es vierzig Jahre später noch, dem Greisenalter nahe. Der alt-Bachische, der idealdeutsche Geist erfüllte ihn mit seiner ganzen Tiefe und Bescheidenheit. Dann aber kam ihm auch als Lehrer der eigne Bildungsgang zu Statten. Gewiß ist ein Grund, weshalb die meisten großen Musiker zur Unterweisung mehr oder weniger ungeeignet waren, in der Ungeduld zu suchen, andern verstandesmäßig klar zu machen, was sie selbst instinctartig eingesogen hatten, ein eben so sicherer aber auch darin, daß sie sämmtlich ein bereits Begonnenes nur fortsetzten und vollendeten und ihnen deshalb jene lebendigste Erfahrung fehlte, die auch an den einfachsten Elementen Interesse hat. Auf dem Gebiete der Orgel ist auch Bachs Stellung keine andre. Aber grade die Clavierkunst hatte er nicht nur als Erbschaft seiner Vorgänger angetreten, sondern ihr aus dem Fonds der Orgelmusik soviel zugebracht, daß sie ein ganz verändertes Aussehen gewann; in demselben Verhältnisse hatte er deren Vehikel, die Fingertechnik, durch einsichtig erfundene Neuerungen dermaßen umgebildet, daß sie von Grund aus eine andre geworden war. Hier fühlte er sich auch den elementarsten Anfangsgründen gegenüber als Schöpfer, hier hatte er durch eigne unermüdliche Versuche die beste Bildungsmethode gründlich erprobt. Vom Claviere aber mußte, der Lage der Dinge nach, die Unterweisung ihren Ausgang nehmen. Es bewährte sich nun das alte schon vom Sokrates gesprochene Wort, daß in der Sache, die er kenne, ein jeder beredt sei. Und wie hätte dieser Beredtsamkeit die überzeugende Kraft fehlen können, wenn die Schüler sahen, zu welchen Resultaten Bachs Methode an ihm selbst geführt hatte, wie er neben dem genauesten Kennen auch das höchste Maß des Könnens besaß! Denn darin beruhte nun eine dritte Seite seiner Lehrbegabung, daß er in angemessenen Unterbrechungen den durchdringend klaren Verstand vor dem Schwunge des Genius zurückweichen lassen und in der vollen Entwicklung des eignen Vermögens den Schülern das Ziel zeigen konnte, dem an seiner Hand sie sich zu nähern begonnen hatten. Dadurch erfrischte und belebte er ihren Muth und wenn er einerseits den strengsten Arbeitsernst forderte, so bereitete er ihnen dann auch wieder Stunden, die sie eingestandenermaßen zu den glücklichsten ihres Lebens zählten32. [659] Ueber die Art seines Lehrganges sind wir ungefähr unterrichtet. Zuerst ließ er nur Uebungen im Anschlag, in der Fingersetzung und in der gleichmäßigen und unabhängigen Ausbildung der einzelnen Finger beider Hände vornehmen. Hierbei hielt er die Schüler wenigstens einige Monate fest, versüßte ihnen aber die bittre Kost durch anmuthige Tonstückchen, in denen er jedesmal eine bestimmte technische Aufgabe zum Motiv nahm. Auch die Verzierungen, die sogenannten Manieren, mußten sie von Anfang an in beiden Händen ausdauernd üben. War nun in diesen Elementen eine gewisse Fertigkeit erreicht, so ging er grundsätzlich gleich zu schwereren Stücken über, vorwiegend seinen eignen. Vor Beginn des Einstudirens spielte er sie vor und wußte den Schülern dergestalt Lust und Eifer zu erwecken, daß die günstigen Resultate nicht leicht ausblieben33. Auf den Fleiß legte er das höchste Gewicht, nur hierin stellte er sich ihnen selbst als Muster vor. »Ich habe fleißig sein müssen; wer es gleichfalls ist, wird eben so weit kommen«, pflegte er wohl zu sagen. Seiner wunderbaren Gaben schien er nicht zu gedenken.

Durch ein günstiges Geschick ist es auch möglich geworden, gleichsam einen praktischen Lehrcursus Bachs zu belauschen, wenigstens soweit sich derselbe neben rein mechanischen Uebungen an abgerundeten Musikstücken entwickelte. Als sein ältester Sohn das neunte Jahr überschritten und eine hohe musikalische Begabung gezeigt hatte, ging der Vater daran sie auszubilden. Am 22. Januar 1720 legte er ein »Clavier-Büchlein vor Wilhelm Friedemann Bach« an34, in das er, mit den ersten Elementen beginnend, nach und nach Compositionen von progressiver Schwierigkeit eintrug, hier und da auch den Knaben selber eintragen ließ. Auf dem ersten Blatte werden die musikalischen Schlüssel und die hauptsächlichsten Manieren erklärt35. Dann folgt das kleinere der schon erwähnten mit Fingersatz versehenen Stückchen, Applicatio genannt und durch die fromme Aufschrift: In Nomine Jesu geziert. Hier sind tonleiterartige [660] Gänge mit Manieren in Verbindung gebracht, besonders ist es, wie Takt 2, 6 und 8 beweisen, auf das Trillern des vierten und fünften Fingers der rechten Hand abgesehen. Das zweite Stück, ein 18taktiges Praeambulum in C dur, übt in Ausführung von Verzierungen die linke Hand, die rechte dagegen in gleichmäßiger Sechzehntelbewegung und im präcisen Ablösen der linken36. Nun kommt, für Bachs Stellung zur Clavierkunst bedeutsam, sogleich der dreistimmige Choral »Wer nur den lieben Gott läßt walten« mit Verzierungen in beiden Händen reichlich ausgestattet. Es ist in gefeilter Form derselbe Satz, den er in früheren Jahren mit Vor-, Zwischen- und Nachspielen versehen zum kirchlichen Gebrauche gefertigt hatte37; seitdem war er von einer so überladenen Begleitung des Gemeindegesanges zu rück- und zu der Einsicht gekommen, daß dergleichen nur zu Studienzwecken auf dem Claviere dienlich sei. Um ihn glatt und rund auszuführen, ist schon eine weit mehr als anfängerhafte Gewandtheit nöthig. Die vierte Lection besteht aus einem etwas längern Praeludium in D moll, ruhig gehende Achtel, zum Schluß eine Sechzehntel-Cadenz mit Ablösung der Hände38. Takt 9 und 13 haben einen jedesmal in den folgenden Takt hinüber reichenden Bogenstrich. Es konnte aber das eigentliche Legato auf dem Clavichord nur durch vergrößerten Druck, also auch erhöhte Tonintensität hervorgebracht werden, die Bogen bedeuten deshalb zugleich eine Schattirung des Vortrags, um so mehr, als sie keine vollständige Phrase umfassen, sondern im folgenden Takte sich gleichsam verlieren, d.h. also: Anfang forte, dann diminuendo bis zum piano – ein praktischer Wink, wie Bach auf ausdrucksvollen Vortrag hielt! An fünfter Stelle befindet sich wieder ein dreistimmiger Choral: »Jesu, meine Freude«, colorirt und verziert, wie der vorige; er ist aber nicht vollständig zu Ende geschrieben39. In ermunternder Abwechslung schließen sich zwei leichte Allemanden aus G moll an, deren zweite jedoch ebenfalls Fragment blieb. Dann folgen drei Praeludien aus F dur, G moll, dieses mit vollständigem Fingersatze versehen, und [661] nochmals aus F dur40. Die ersteren beiden zielen wieder auf ebenmäßige Geläufigkeit und glatten Fluß in Sechzehnteln und Achteln, worauf Bach augenscheinlich sehr viel gab, das dritte aber gehört schon ganz in die Kategorie jener schwereren Stücke, an welche die Schüler nach kurzem geführt wurden. Die in allen Stimmen herrschende, specifisch Bachsche Polyphonie, verbunden mit der eben so charakteristischen Beweglichkeit der Tongedanken setzt eine nicht unbedeutende Selbständigkeit und Geläufigkeit der Finger voraus. Der polyphone Satz übersteigt nicht die Dreistimmigkeit und wendet auch diese nur erst mit Vorsicht an, macht trotzdem aber an gebundenes Spiel, Dehn- und Spannkraft der Hände immerhin einige Ansprüche. Den Praeludien entsprechen eben so viele Menuette (in G dur, G moll, G dur)41, in welchen die Studien des polyphonen Spiels ihre Fortsetzung finden, im dritten wird auch eine der Deutlichkeit des Anschlags höchst nützliche rhythmische Figur unablässig durchgeführt. Man kann hier eine Station erkennen, das folgende Uebungsmaterial repräsentirt eine höhere Unterrichtsstufe. Es besteht zunächst aus elf Praeludien, welche später in mehr oder weniger veränderter Fassung im »wohltemperirten Clavier« wiederkehren. Ihre Anordnung beweist, daß die Absicht ganz methodisch zuerst auf erhöhte Geläufigkeit, Ausdauer und Ebenmäßigkeit, sodann auch auf gesangreiches und polyphones Spiel hinging. Die Reihenfolge ist nämlich: C dur, C moll, D moll, D dur, E moll (dieses nur als Uebung für die linke Hand entworfen), darauf E dur, F dur, Cis dur, Cis moll, Es moll, F moll. Die Praeludien sind nicht alle bis ans Ende eingetragen; auf ihr Verhältniß zur Gesammtgestalt des wohltemperirten Claviers, sowie auf ihren künstlerischen Werth kommen wir natürlich zurück. Nach ihnen begegnet uns zum ersten Male eine nicht-Bachische Composition in Gestalt einer Allemande aus C dur von J.C. Richter42, die nachfolgende Courante mag desselben Verfassers [662] sein. Aus einigen Geringfügigkeiten und Fragmenten heben sich dann heraus ein D dur-Praeludium und eine dreistimmige Fuge in C dur43. Bei der Fuge ist als technischer Zweck unter anderm die Ausbildung des vierten und fünften rechten Fingers deutlich erkennbar, für das Praeludium aber wird nur im allgemeinen die Bachsche Spielweise in Anspruch genommen; der frühere Zweck ist jetzt zum Mittel geworden, der Schüler auf einer neuen Stufe der Reife angelangt. Dies bestätigt vollauf der Rest des Büchleins, welcher fast ausschließlich mit den »Inventionen und Sinfonien« angefüllt ist, dem ersten jener drei großen Meisterwerke für Clavier, welche der Cöthener Periode ihr Dasein verdanken. Nur zwei kleine Suiten bleiben noch, die eine, dreisätzig aus A dur, zeigt zwar nicht Seb. Bachs Handschrift, mag jedoch seine Composition sein, die andre, viersätzig aus G moll, ist von dem gothaischen Capellmeister G.H. Stölzel; Bach hat sich den Spaß gemacht, zu dem Menuett derselben ein eben so reizendes wie gediegenes Trio hinzuzufügen44. Alle die genannten Originalcompositionen erfüllen nicht nur vollständig ihre instructiven Zwecke, sondern sind auch Musterleistungen nach der Seite ihres künstlerischen Werthes, ein bunter, duftiger Blumenstrauß, in dem neben Rosen, Lilien, Nachtviolen freilich auch allerhand wilde Anemonen und Schlüsselblumen wohlgemuth ihren Platz eingenommen haben, von denen aber doch keine des echten Reizes entbehrt. Die Formen sind zuerst ganz einfach, werden mit den gesteigerten technischen Anforderungen allmählig breiter, bis die Fugenform erreicht ist. Von der eigenthümlichen Gestalt der »Inventionen und Sinfonien« ist hier noch nicht die Rede, den letzteren nahe steht bis auf die Vierstimmigkeit das schöne D dur-Praeludium.

 

Aehnliche vorwiegend zu Uebungszwecken geschriebene Stücke giebt es von Bach noch manche, wenngleich die Ueberzahl sich mit seinen Schülern zerstreut und verzettelt haben wird. Vorzüglich ist ein kleines C moll-Praeludium, das harfenartig lispelnd von einer Harmonie zur andern träumt und die wundersame Romantik des Bachschen Geistes ahnungsvoll emporsteigen läßt45. Auch Fugen [663] sind noch vorhanden, mit und ohne Praeludien, die, wie oben, zu Prüfsteinen für die Fortschritte der Unterwiesenen gedient haben werden, dreistimmige Fugen von wahrhaft beglückender Vollendung nach Form und Inhalt und von jener Concentrirtheit der Fassung, die keine überflüssige Note duldet, kein Wort zu viel sagt und die ein Merkmal aller cöthenischen und späteren Fugen ist. Die Praeludien sind eben so kunstvoll als tief, besonders das ernst melancholische aus D moll, in welchem man ein Orgelstück erkennen möchte, wenn es Bach nicht eigenhändig mit einer offenbaren Clavierfuge zusammengeschrieben hätte46.

Die Verfolgung der mechanischen und Lehr-Talente Bachs hat uns somit wieder zu seinem Kunstschaffen zurückgeleitet. Es ist eine großartige Einheit in dieser Natur. Alle ihre verschiedenen Eigenschaften durchdringen sich gegenseitig zu völliger Untrennbarkeit. Wie jedes Uebungsstück nach seinem Gehalte ein echtes Kunstwerk, so ist umgekehrt auch jede freie Composition im höchsten Grade technisch instructiv. Er hat kein Clavierstück geschrieben, das nicht zur heilsamsten Fingergymnastik diente, eben so wenig aber auch eins, das keinen andern Zweck erfüllte, als diesen. Grade mit einigen seiner tiefsinnigsten Meisterwerke wendet er sich direct an die »lehrbegierige Jugend«, ihre Förderung und Heranbildung zum Kunstverständniß war ihm ein Gegenstand wärmsten Interesses, ein Impuls zu schöpferischer Begeisterung. Wie er sich so in seinen Schülern durch geduldig ausharrenden Fleiß allmählig sein Publikum heranbildete, darin ist er ein leuchtendes Vorbild für jeden Künstler, der, wie billig, den Wunsch hegt, seinen Ideen Eingang zu verschaffen. Fern ab lag jede Vornehmthuerei, jedes Befriedigtsein durch verständnißlose Bewunderung. Die Segnungen der Kunst der Instrumentalmusik wollen mehr noch, als die jeder andern, durch ein gewisses Verstehen, durch einen höheren Grad musikalischer [664] Cultur verdient sein; der Einzelne muß besonders zu ihnen erzogen werden, sonst verwandeln sie sich in einen Fluch, ein verweichlichendes, entsittlichendes Luxusmittel. Das wußte Bach sehr wohl. Auch sein Lehreifer ist im Grunde nur ein Ausfluß jenes einzig wahren Künstlerthums, in dessen Hand der Menschheit Würde gegeben ist, und das zwischen schön und gut keinen Unterschied kennt. Als er im Anfange des Jahres 1723 die »Inventionen und Sinfonien« zu der Form eines selbständigen Werkes redigirte, gab er ihnen folgenden Titel: »Auffrichtige Anleitung, Wormit denen Liebhabern des Clavires, besonders aber denen Lehrbegierigen, eine deutliche Art gezeiget wird, nicht alleine (1) mit 2 Stimmen reine spielen zu lernen, sondern auch bey weiteren progressen (2) mit dreyen obligaten Partien richtig und wohl zu verfahren, anbey auch zugleich gute inventiones nicht alleine zu bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuführen, am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und darneben einen starcken Vorschmack von der Composition zu überkommen«47. Hier haben wir noch einmal das vollständige Glaubensbekenntniß des musikalischen Pädagogen. »Anleitung« – der lehrhafte Zweck wird aufs klarste ausgesprochen; »aufrichtige« – der wirklichen Kunst ist mit keinem Scheinwesen gedient. »Den Liebhabern des Claviers« – d.h. des Clavichords, der Grundlage des Bachschen Unterrichts, auf dem allein auch eine »cantable« – eine gesangreiche, ausdrucksvolle Art des Vortrags möglich ist; »besonders aber den Lehrbegierigen« – der strebsamen Jugend, deren Verständniß gewinnen muß, wem die Zukunft gehören soll. Stücke mit zwei, hernach mit drei obligaten Stimmen werden vorgelegt – die Ausbildung des polyphonen Spiels ist der höchste Zweck; von diesem wiederum wird Reinheit, Richtigkeit und Anmuth verlangt. Das musikalische Gedankenmaterial soll die Phantasie des Lernenden befruchten und ergiebig machen sowohl für das Extemporiren (inventiones), wie für das gesammelte und bedächtige Künstlerwerk (Composition). An der Durchführung der Gedanken endlich soll er den Organismus eines Tonstücks studiren. Wie wenig Bach der Ansicht war, ein Clavierschüler brauche nur zum Fingerkünstler abgerichtet [665] zu werden – Clavier-Ritter pflegte er solche zu nennen –, wie er vielmehr den Spielenden zugleich zum Eindringen in Construction und Stimmung des Gespielten angeleitet, ja durch Erweckung des eignen Gestaltungsvermögens zur lebendigsten Reproduction veranlaßt wissen wollte, wird hieraus recht klar. Die Fassung des Programms erscheint auf den ersten Blick etwas wirr, doch ist es wohl nicht allzu schwer, die sich darin kreuzenden Gedankenrichtungen zu sondern. Er wollte ein Uebungswerk liefern zunächst für Clavierspieler, aber mit dem mechanischen sollte durch dasselbe auch das künstlerische Vermögen gefördert werden und zwar sowohl nach Seiten der für das damalige Generalbassspielen so wichtigen extemporirenden Erfindung, als auch der wirklichen Composition. Als einstiger Primaner der Michaelisschule zu Lüneburg hatte er aber seine Rhetorik noch nicht so weit vergessen, um nicht zu wissen, daß zur Erfindung (inventio) die Anordnung(collocatio) und der Ausdruck (elocutio) gehören, daher hinter der Bemerkung von den guten inventiones sogleich die Erwähnung von deren Durchführung(collocatio) und cantablem Vortrag (elocutio), während sonst eine andre Gliederung näher gelegen hätte. Die antike Rhetorik spielt auch noch an einer zweiten Stelle hinein, wenn er bei den zweistimmigen Stücken das Reinspielen, bei den dreistimmigen aber »richtig und wohl zu verfahren« lehren will, da doch gewiß die dreistimmigen nicht weniger rein, als die zweistimmigen richtig und wohl vorgetragen werden sollen. Ganz offenbar ist dies das emendatum (richtig),perspicuum (rein, d.i. sauber) und ornatum (wohl, d.i. gewinnend, anmuthig) der altrömischen Rhetoren, die drei Haupterfordernisse einer guten Darstellung. Es ist schon recht interessant zu sehen, daß Bach trotz seiner musikalischen Beschäftigungen in Lüneburg doch kein so ganz schlechter Lateinschüler gewesen sein muß, da er diese Dinge nach zwanzig Jahren noch gegenwärtig hatte und richtig anzuwenden wußte. Aber viel wichtiger ist es, daß er überhaupt darauf kam, das Clavierspiel mit der menschlichen Rede zu vergleichen. Er konnte dies unmöglich, wenn er nicht eben in der Tonkunst eine vollständig ausgebildete Sprache des Gefühls sah, in den Tonreihen seiner polyphonen Stücke gleichsam die Aeußerungen bestimmter Individuen, in dem Componisten eine Art von dramatischem Dichter. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er diesen Vergleich selber oft angewandt, um [666] den Schülern das innere Leben seiner Musikstücke zu erschließen48. Wie unter der Vorstellung eines solchen Bildes der Vortrag sich gestalten mußte, braucht nicht nochmals ausgeführt zu werden. Und auch das läßt sich nun begreifen, durch welche Ideen-Association er dahin kam, die zweistimmigen Stücke Inventionen zu nennen, nachdem ihm der Name »Praeambulum«, mit dem sie noch in Friedemanns Buche bezeichnet sind, nicht gefallen zu haben scheint. Etwas praeludienhaftes ist, etwa mit zwei Ausnahmen, in diesen strengen und einheitlichen Formen allerdings nicht zu erkennen, aber besonders passend ist der Name »Invention« auch nicht eben, dafür sind die Stücke zu wenig bloß erfunden, zu sorgfältig durchgeführt und höchstens im Gegensatz zu den nachfolgenden Sinfonien (so wurden diese glücklich aus »Fantasien« umgetauft) als leichter hingeworfene, unmittelbarer erzeugte Gebilde zu acceptiren49.

Betrachtet man nun dieses Werk, das wie kein andres den instructiven Zweck betont, auf seinen künstlerischen Werth, so ist es die glänzendste Illustration des Satzes, daß mit der Entschiedenheit der lehrhaften Absichten bei Bach in gleichem Verhältnisse sich der Schwung seiner Productionskraft steigerte. Den beiden Theilen des wohltemperirten Claviers und der »Kunst der Fuge« steht es nur in seinem bescheideneren Umfange und in den durch die Sparsamkeit der Mittel hervorgerufenen Beschränkungen, sonst aber wahrlich in keinem Punkte nach. Ja, in einer Hinsicht überragt es jene und mit ihnen alle spätere Claviermusik Bachs, in der vollständigen Neuheit der Form. Der Meister hatte wohl Grund, nach passenden Namen für die Stücke zu suchen, da es in der gesammten Clavierkunst jener Tage nichts ähnliches gab. Nicht nur die bei strengster Zwei- und Dreistimmigkeit keinen Augenblick unterbrochene Polyphonie, welche trotzdem immer die Harmonie mit ganzer Deutlichkeit und Fülle zu Tage treten läßt, nirgends durch abgebrauchte Wendungen das Interesse erkältet, niemals durch Wiederholungen ermüdet, sondern mehr noch die ganze Art der Entwicklung jedes Tonbildes, die mit[667] souveräner Freiheit geübten Künste des Canons, der Fuge, der freien Imitation, des doppelten und dreifachen Contrapuncts, der motivischen Gedankenbildung, der Umdrehung der Themen, welche alle in Formen von nur mäßiger Ausdehnung mit und neben einander wirken, ohne irgendwo ihre Existenz zu verrathen, machen die Inventionen und Sinfonien zu einem Unicum der gesammten Clavierlitteratur. Eine leichte Anlehnung an die Formen der damaligen italiänischen Musik ist wohl zu erkennen, etwas entschiedener noch bei den Sinfonien als den Inventionen. Aber hauptsächlich ist doch aus Bachs eignen Orgel- und Clavierstücken diese wunderbar feine Blüthe gleichsam als Quintessenz alles Errungenen hervorgestiegen. Und es läßt sich noch beobachten, welche Anstrengungen er gemacht hat, sie zu zeitigen. Denn neben den je funfzehn zweistimmigen Inventionen und dreistimmigen Sinfonien finden sich in seiner Hinterlassenschaft noch mehre Stücke desselben Stiles, welche beweisen, daß er aus dem reichlichen Er trag ernster Arbeit nur das gab, was ihm als das Beste oder doch für das Werk Angemessenste erschien. Nach der Idealform der Inventionen scheint er am längsten gerungen zu haben. Eine sogenannte zweistimmige Fuge in C moll ist der halb aus der Puppe geschlüpfte Schmetterling, Fuge eigentlich nur die ersten sechs Takte hindurch, hernach in der thematischen und motivischen Freiheit immer mehr Invention. Eine andre Seite des Entwicklungsprocesses enthüllen drei kleine Stücke aus D moll, E dur und E moll, von denen besonders das erste schon in hohem Maße jenes reizende Spiel mit Verkehrung und doppelter Contrapunctirung zeigt, das den Inventionen wie Sinfonien charakteristisch ist. Aber sie stehen sämmtlich in der zweitheiligen Liedform, die Bach bei Zusammenstellung des Gesammtwerks, bis auf eine Ausnahme, ausschloß, weil sie den hinströmenden Zug polyphoner Entwicklung unterbrach. Vollständig erreicht ist aber das Ziel in einem andern Stücke aus C moll, nur die Bezeichnung schwankt noch zwischen »Fantasia« und »Invention«50. Können die übrigen nur als Studien gelten, so ist dieses ein Paralipomenon, das seiner formellen Vollendung nach in das Ganze hätte aufgenommen werden dürfen. Ebendas muß von zwei zweistimmigen und zwei dreistimmigen Compositionen [668] gesagt werden, die aber ein andres Werk zu zieren für würdig befunden wurden, es sind die Praeludien aus Cis dur, Fis dur und A dur und aus B moll im ersten und im zweiten Theile des wohltemperirten Claviers. Ob das letzte auch schon in dieser Zeit entstanden ist, darüber kann man freilich zweifelhaft sein, doch finden sich nachweislich im zweiten Theile mehre Arbeiten aus früheren Jahren. Von den übrigen ist es wegen der bekannten Entstehungszeit des wohltemperirten Claviers an seinem ersten Theile gewiß. Daß Bach, was an andrer Stelle Sinfonia hieß, hier Praeludium nannte, – wir lernten jetzt schon drei verschiedene Namen für denselben Gegenstand kennen – zeigt wieder, wie unvergleichbar der darin entfaltete Stil war. Hingegen ist ein andres dreistimmiges Stück wieder als Studie anzusehen, man möchte gradezu sagen als Studie zu der ersten Sinfonie in C dur, mit der es auch die Tonart theilt. Es führt ebenfalls den Titel Praeludium51.

Wie über die Benennung, so war Bach auch über die Anordnung der zweimal funfzehn Stücke mit sich im Zweifel. Dies zu beobachten ist deshalb interessant, weil man sieht, daß immer nur instructive Rücksichten über dieselbe entschieden. In drei verschiedenen Autographen liegt das Werk vor. In Friedemanns Clavierbüchlein sind die Inventionen von den Sinfonien getrennt, das Princip der Anordnung ist aber dasselbe, da diese, soweit es Zahl und Tonart der Stücke erlauben, durch die Tonleiter auf- und wieder abwärts steigt52. In derselben Reihenfolge bietet die Stücke ein zweites Autograph, das ebenfalls in Cöthen geschrieben zu sein scheint, nur folgt auf je eine Invention gleich die Sinfonie derselben Tonart. Das dritte dagegen läßt den Grundsatz hervortreten, nach Maßgabe der Tonarten allmählig in der Tonleiter nur aufwärts zu steigen, hier sind zuerst sämmtliche Inventionen gegeben, dann erst die Sinfonien in der nämlichen Reihenfolge53. Heutzutage würde man eine solche Anzahl von Clavierstücken [669] nach ihrem inneren Charakter gegensätzlich anmuthig zu gruppiren suchen. Ein solcher Gedanke scheint Bach nie gekommen zu sein, brauchte es auch nicht, denn jedes ist so sehr anders, als alle übrigen, daß gar keine Permutation möglich ist, welche der erfrischenden Wirkung des Contrasts entbehrte.

Der den Inventionen zu Grunde liegende Plan ist meistens ein dreitheiliger und erinnert von weitem an die Form der italiänischen Arie. Der erste Theil pflegt sich durch eine entschiedene Cadenz auf der Dominante oder Obermediante deutlich abzutrennen, er kehrt mehr oder weniger verkürzt am Schlusse wieder. Nur die sechste Invention hat zweitheilige Liedform mit Repetition, doch wird auch hier am Ende des zweiten Abschnitts der erste im wesentlichen wiederholt, ein ausgebildeter Sonatensatz in der Verkleinerung! Die erste und siebente Invention sind dreitheilig, doch ohne cyklisch zu sein. In diesem Gehäuse entfaltet sich nun eine staunenswerthe Vielgestaltigkeit musikalischen Lebens. Die erste Invention wächst imitatorisch aus diesem Keime hervor:


 

2.


 

schon vom dritten Takte dient dessen Umkehrung einem längeren motivischen Gebilde, und wird auch im Verlauf der rechten Bewegung im abwechselnden Spiele entgegen gestellt. Unter allen funfzehn besitzt sie den kühlsten und reservirtesten Charakter, schon das Thema hat etwas conventionelles und offenbart erst allmählig seinen Gehalt. Ganz anders Nr. 2 (C moll). Ein leidenschaftlich suchender Gang stürzt hastig herein, sein Ebenbild folgt ihm sogleich auf demselben Wege, und so fliehen die Gestalten vor einander her, bald vorwärts, bald rückwärts gewendet. Es ist ein Canon in der Octave, bis Takt 10 zwischen Ober- und Unterstimme im Abstande von zwei Takten, dann kehrt sich das Verhältniß um: die Unterstimme ist voran, die obere folgt (bis Takt 20), nun eine taktweise Imitation – gleichsam ein Ausweichen nach rechts und links, und dann wieder die erste Richtung bis in den Schlußtakt hinein. Frei imitirend gaukelt die [670] heitere Nr. 3 (D dur) vorüber, verdüstert schießt mit bald rechtem bald verkehrtem Thema Nr. 4 (D moll) dahin. Es dur (Nr. 5) tritt von Anfang an zweistimmig auf, macht im doppelten Contrapunct der Octave seinen Lauf über B dur, C moll, F moll, durch motivische Erweiterungen in die Grundtonart zurück – ein stolz-graziöses Stück. Voll von anmuthiger Schalkhaftigkeit ist E dur (Nr. 6), in dem auch sogleich zweistimmig begonnen wird und der doppelte Contrapunct und die motivische Bildung eine hervorragende Rolle spielen. Formelle Verwandtschaft mit Nr. 1 zeigt Nr. 7 (E moll), der Ausdruck aber ist anders: drängend, flehend, und trotz der aufgeregten Bewegung die melodische Schönheit außerordentlich. Dagegen ist F dur (Nr. 8) ganz und gar harmlose, drollige Vergnügtheit; es beginnt canonisch, wird vom 12. Takte an freier und treibt allerliebste motivische Bildchen hervor. Das Gegenstück im entsprechenden Moll (Nr. 9), das der Form nach an Nr. 5 mahnt, aber an motivischen Gestaltungen reicher ist, bringt wieder trübe und leidenschaftathmende Weisen zu Gehör, die in den Takten 21–26 zu großer Eindringlichkeit gesteigert werden. G dur (Nr. 10) beginnt fugenartig, läßt sich aber dadurch keine Fesseln schmieden: hier imitirend, dort motivisch bewegt flattert es fröhlich auf und nieder. Ganz übermüthig lustig macht es sich, wenn bei der Rückkehr zum Anfang (Takt 27) die Oberstimme das Geschäft des Führers und Gefährten zusammen besorgt. Des folgenden Stückes (G moll) Charakter besteht in quälender Ruhelosigkeit. Ein chromatisches Contrasubject, vom Beginn dem zweitaktigen Hauptgedanken angeheftet, treibt im vierten Takte mittelst Umkehrung ein peinlich bohrendes Motiv hervor, das mit dem ursprünglichen Contrapunct abwechselnd, Takt 14 wiederkehrt. Die Perioden zählen je sechs Takte, die beiden letzten nur fünf und einen halben, sie zweigen sich ohne beruhigende Cadenzen in einander hinüber (Takt 12 auf 13, und Takt 18) – die Aufregung steigert sich von Pulsschlag zu Pulsschlag. Eine treuherzige, deutsche Lustigkeit kennzeichnet Nr. 12 (A dur), die Form entspricht Nr. 5 und 9. A moll und B dur, die beiden nächsten Inventionen, haben gemeinsam etwas praeludienartiges, indem Motive wie Entwicklungen sich fast nur in harmonischen Gängen bewegen; die zweite verräth sogar eine ganz nahe Verwandtschaft mit dem Praeludium der B dur-Partita im ersten Theile der »Clavierübung«. Die [671] Dreigliederung ist aber auch hier fest gehalten; in der B dur-Invention tritt der Hauptsatz bei seiner Wiederkehr (Takt 16, Mitte) canonisch auf, ihre Haltung strebt frisch in die Höhe, die der ersteren ist träumerisch mit wehmüthigem Zuge. Ernst, nicht ohne eine gewisse würdevolle Grazie zieht die letzte Invention auf, fugenartige Durchführungen wechseln mit motivischen Zwischensätzen ab, welche aus dem Contrapunct hervorwachsen. Auffällig bleibt, daß das Thema nicht allein anhebt, sondern sich harmonisch auf kurze Bassnoten stützt.

In einer andern der Inventionen geschieht dies nicht, durchweg dagegen in den Sinfonien, und ich glaube, daß diese hier eine Rückwirkung ausgeübt haben. Die Form der Sinfonien in ihren äußersten Umrissen ist durch das italiänische Instrumentaltrio bestimmt worden, welches, durch Corelli festgestellt, durch Albinoni, Vivaldi und viele andre fleißig cultivirt, auch in Deutschland die allgemeinste Verbreitung gefunden hatte. Wie Bach für seine Zwecke die italiänischen Formen auszunutzen wußte, ist schon früher dargethan. Hierin auch jetzt noch fortzufahren, lag um so näher, als in Cöthen der Kammermusik seine Hauptbeschäftigung galt. Die fugirten Sätze der gewöhnlich durch zwei Violinen, Streichbass und Continuo gebildeten Trios wurden gern so gestaltet, daß die themavorspielende Stimme nicht allein, sondern über einem stützenden Generalbass auftrat, der mit den zugehörigen Harmonien von einer vierten Person, einem besondern Accompagnateur, angeschlagen wurde. Nachher wurde der Generalbass mit in das fugirte Gewebe hineingezogen, und die harmonische Begleitung hatte sich den andern Stimmen unterstützend anzuschließen, um sofort wieder füllend einzutreten, wo die Gänge der andern Instrumente eine harmonische Lücke zeigten. An dieser Manier er kennt man, daß Bach von der Trioform ausgegangen sein muß. Aber wie sehr die Einwirkung nur eine äußerliche war, erhellt daraus, daß eigentlich außer einem spärlichen Reste in den jedesmaligen Anfangstakten von dem stützenden Continuo nichts geblieben ist; und auch hier tritt derselbe nicht als Grundlage einer accompagnirenden Accordreihe, sondern als freie, selbständige Stimme auf und erobert sich bald in der polyphonen Entwicklung sein volles und eigenthümliches Recht. Eine weitere Vergleichung ist deshalb völlig unstatthaft; das Bachsche Claviertrio ist etwas so durchaus originelles, [672] daß man überhaupt zweifeln muß, ob er wohl an das italiänische Instrumentaltrio geradezu gedacht habe und nicht vielmehr an seine eignen Arbeiten dieser Art, die wir alsbald dem Leser vorzuführen haben werden. Der dort herrschende Stil hat wenigstens eine allgemeine Aehnlichkeit mit dem der Sinfonien, wenn auch die Ausführung viel breiter und kühner ist. Hier wie dort aber war der speisende Urquell die Orgel. Die Polyphonie ist meistens fugenartig, seltener (Nr. 2, 5, 15) canonisch angelegt, obgleich weder von Canons, noch von wirklichen Fugen hier die Rede sein kann. Weiter noch etwas allgemeines über die Form der Sinfonien zu sagen ist schwer. In freiester Weise und doch mit einem staunenswürdigen Ordnungssinne werden alle Mittel polyphoner Thematik und Motivik zur Verwendung gebracht, jedes Stück ist ein künstlerischer Mikrokosmus, ein aufs kostbarste geschliffenes Krystallgefäß vom reinsten, goldigsten Inhalte erfüllt. Zur Erhöhung der Wirkung dient es, die entsprechende Invention jedesmal vorhergehen zu lassen. Denn daß der Componist je ein solches Paar zusammengedacht hat, ist unzweifelhaft. In Nr. 15, 12 und 6 stimmen sogar die Themen, wenn nicht Note für Note, so doch in den Hauptzügen ganz überein. Nicht weniger passen die Stimmungen zu einander, und auch in formeller Hinsicht lassen sich Zusammenhänge erkennen. C dur hat dasselbe glänzend polirte, kühl zurückhaltende Wesen, wie die Invention dieser Tonart, verwendet eben so meisterlich das Thema in seiner geraden, wie verkehrten Bewegung:


 

2.


 

 

C moll läßt auf die fieberhafte Unruhe der Invention eine von tiefster Sehnsucht erfüllte Sinfonie folgen, die aber von zuckenden Bewegungen bis ans Ende unterbrochen wird, die Imitationen sind canonisch wie dort, werden aber in der zweiten Hälfte zurückgedrängt durch motivische Entwicklungen schönster Art. D dur setzt dreistimmig die glückselige Heiterkeit des zweistimmigen Vorspiels fort, es mischt sich etwas von zärtlichem Kosen ein; wenn irgend etwas so ist diese Sinfonie eine goldne Frucht in silberner Schale. Welch ein entzückendes Thema:


 

2.


 

[673] dem, wenn es die zweite Stimme in A dur imitirt, sofort als zweites Thema entgegentritt das anmuthvoll gleitende:


 

2.


 

während beide mit innigem Gesange übertönt:


 

2.


 

Und nun geht es im dreifachen und doppelten Contrapunct weiter mit göttergleicher Leichtlebigkeit, zwischenhinein lugen motivische Schelmengesichter und verschwinden – fast über jeden Takt ließe sich etwas sagen! So wird der Spieler bei allen Nummern den innern Zusammenhang zwischen Invention und Sinfonie: wie das dort Angedeutete hier mit festeren Strichen ausgeführt, das Feste in mildere Contouren aufgelöst, das leicht Angeregte vertieft, das Unstete beruhigt und befestigt, zuweilen auch die bange Klage zum tiefsten Weh und schneidendsten Schmerze gesteigert wird, unmittelbar erkennen. Ich hebe nur noch heraus die schmeichelnde, fast mozartische Süßigkeit der Es dur-Sinfonie nach der stolzen Grazie der Invention, ein Stück, das auch in seiner Form – die Oberstimmen gehen frei canonisch, während im Bass dieselbe Figur Takt für Takt wiederkehrt – vor allen andern sich hervorthut. Dann die ergreifende Klage der E moll-Sinfonie, die dennoch so voll Ethos ist gegenüber dem Pathos der Invention, und von einer organischen Schönheit, wie sie nur Bach schaffen konnte. Verwandt in der Stimmung, auch in dem Gegensatze zur Invention ist die G moll-Sinfonie, doch zieht hier unablässig eine kostbare Melodie breitathmig und langtönend über den Unterstimmen einher, wie man es bei einem so polyphonen Stücke kaum für möglich halten sollte, auch hat die Form etwas arienhaftes. Wie herrlich ist der Stimmungsfortgang zu der A moll-Sinfonie, deren Thema und Durchführung (die Terzen- und Sexten-Gänge) an die schöne A dur-Orgelfuge deutlich erinnern! Eigenthümlich entwickelt die H moll-Sinfonie das Thema der Invention weiter: canonisch, dann mehr bloß motivisch, wie in Nr. 2,[674] dazwischen aber fahren heftige Zweiunddreißigstel auf- und abwärts, fangen einander auf und kreuzen sich sogar in Gegenbewegung, nebenbei eine schwierige Fingeraufgabe für das Clavichord, das keine zwei Claviere kennt. Ganz in Qual und Leid getaucht ist endlich die Sinfonie aus F moll, aber als gebührendes Gegengewicht gegen diese excentrische Stimmung ist die Form so central, wie nur möglich, richtiger noch: die Stimmung ist erst durch die Form zu solcher Intensität gelangt, und die Form erst durch die Stimmung zu ihrer staunenswerthen Geschlossenheit, beide Factoren wirken unzertrennlich in und durch einander. Das Stück ist im dreifachen Contrapunct aus drei Themen gewoben, deren keines dem andern an Bestimmtheit des Ausdrucks nachsteht, die aber obgleich äußerlich contrastirend, dennoch alle den nämlichen Gefühlszustand wiederspiegeln:


 

2.


 

Das erste Mal treten nur Thema I und II zusammen auf, dann aber noch neun Mal alle drei zusammen in vier Permutationen und verschiedenen, doch nahe liegenden Tonarten. Unterbrechung bringen fünf Zwischensätze, der erste ist frei gebildet, die andern aber sind motivisch aus dem ersten Thema gewoben; gerade Bewegung, verkehrte und Vergrößerung wirken mehre Male in complicirtester Verschlingung zusammen. Von den Durchführungen der Themen schließen sich bald zwei an einander, ehe ein Zwischensatz eingefügt wird, bald steht eine allein; aber es geschieht dies ebensowohl nach einem bestimmten Plane, als die Zwischensätze ihrer Form nach in Corresponsion stehen. Zur Erkenntniß der kunstvollen Periodisirung diene folgendes Schema, in dem durch die arabischen Ziffern die Zahl der jedesmaligen Durchführungen, durch die römischen die verschiedenen Zwischensätze angedeutet werden:


 

2.


 

[675] Nur der erste Zwischensatz (Takt 5 und 6) steht allein und beziehungslos; er befreit für einen Augenblick das Ohr aus der Spannung, in die es gleich durch die ersten Takte gebracht wird, und läßt es über die gehörten Themen zum Bewußtsein kommen. In der Entwicklung wird an kühnen Intervallenschritten, Wechselnoten, Querständen das Aeußerste gewagt, allein man hüte sich, darin gezwungene Künstlichkeit finden zu wollen. Grade in den Sinfonien liefert Bach die Beweise, wie er die unglaublichste Kunst mit dem schmeichlerischesten Wohllaut zu verbinden weiß. Nicht reflectirender Eigensinn führte in der F moll-Sinfonie die Feder, sondern ein wirkliches Phantasiebild gewann Gestalt. Es wird nachempfunden werden können, wenn man sich durch den verzerrten Eindruck, den vielleicht die meisten bei der ersten Bekanntschaft erhalten, nicht abschrecken läßt, in den Gesang der einzelnen Stimmen sich nachdenklich versenkt, und beim Spiel sie als lebendige Individuen zum Zusammenwirken zu bringen sucht. Dann wird es den Empfänglichen vielleicht schauernd überlaufen, daß ein solcher Abgrund von Leid sich in einer Menschenbrust aufthun kann, aber er wird des wohlthuenden Gefühles genießen, daß auch über ihn noch der in der Form wirkende sittliche Wille triumphirend seine Brücke schlägt. Kirnberger, der theoretisirende Schüler Seb. Bachs, betrachtete die F moll-Sinfonie als ein bis zum Unverständlichen kühnes Experiment des doppelten Contrapuncts und führte sie als Beleg an, wie Bach das Verbot der unvorbereiteten Einführung des tieferen Quartentons im Basse, des sogenannten Quartsextaccordes, übertreten habe54. Die Stellen, wo sich der Meister diese Freiheit nahm (Takt 4, 14, 19, 27, 32), klingen allerdings befremdend und zuerst unbefriedigend; ihre Rechtfertigung finden sie in seiner Gesammtanschauung von dem Wesen der Stimmenführung, welche nicht mehr im polyphonen,[676] sondern im harmonischen System wurzelte. Hierüber ist an einer andern Stelle zu reden.

Fußnoten

 

 

III.

 

Die ersten musikalischen Eindrücke hatte Sebastian Bach durch das Geigenspiel seines Vaters erhalten. Als Geiger hatte er selbst seine erste öffentliche Stellung in Weimar bekleidet, später in der herzoglichen Capelle neun Jahre hindurch seinen Platz am Violinpult eingenommen und war mit der Zeit sogar zum Concertmeister aufgerückt. Auch in älteren Jahren vernachlässigte er das Spiel eines Streichinstruments nicht, bei mehrstimmigen Instrumentalstücken bevorzugte er dann die Bratsche, weil es ihm Vergnügen machte, gleichsam von der Mitte aus die Harmonie nach beiden Seiten zu überschauen; gute Bratschisten und solche, die seinen Anforderungen genügten, waren überdies selten1. Zu einem Concertmeister gehört es allerdings nicht nothwendig, daß er Virtuose ist – ein tüchtiger Musiker mit solider, mittlerer Technik wirkt an dieser Stelle oft viel mehr2 – und in Hinsicht darauf, daß kein Zeitgenosse, auch nicht der Sohn Philipp Emanuel, Bachs Violinspiel erwähnt und daß dessen Hauptkraft sich offenbar ja auf Orgel und Clavier geworfen hatte, wird man kaum Unrecht thun, ihm den Besitz virtuosischer Fertigkeit auf der Geige abzusprechen. Aber damit ist nicht behauptet, daß er ein unbedeutender Spieler gewesen sei. Er wäre nicht der einzige unter Deutschlands großen Musikern, an dem die etwaigen Mängel einer nicht methodisch ausgebildeten Technik durch das Eigenthümliche und Großartige des schöpferisch wirkenden Geistes sich ausgeglichen hätten. So fehlte dem Clavierspiel C.M. von Webers mancherlei an Sauberkeit und Gleichmäßigkeit, und dennoch konnte es von hinreißendem Schwunge und Zauber sein. Ja, war doch auch Händels Violinspiel, obwohl er nach [677] seinem Hamburger Aufenthalte wenig Gewicht mehr darauf legte, feurig und bedeutend genug, daß große Virtuosen es sich zur Lehre dienen lassen konnten3. Bachs Vertrautheit mit der Geige erstreckte sich so weit, daß er sogar in zweckentsprechenden Veränderungen ihres Baues schöpferisch auftreten konnte: er erfand in Cöthen ein zwischen Bratsche und Violoncell in der Mitte stehendes Instrument, das wie eine Geige gehalten wurde, fünfsaitig und auf die Töne C, G, d, a, ē gestimmt war; er nannte es Viola pomposa, schrieb eine Suite dafür und ließ es in Leipzig zur leichteren Ausführung seiner schwierigen, raschfigurirenden Bässe benutzen4. Aber am klarsten ergiebt sich doch sein enormes Können auch auf diesem Gebiete aus seinen Compositionen für Streichinstrumente und insbesondere für Geige allein. Zugegeben, daß er in diesen nicht alles selber ganz vollkommen herauszubringen vermochte – er hätte sonst auch ein gewaltiger Violoncellspieler sein müssen, da er für dieses Instrument ähnliche Solocompositionen schrieb –, aber jedenfalls konnte nur der solche Werke erfinden, der um die äußersten Gränzen der Leistungsfähigkeit des Instrumentes Bescheid wußte. Einen solchen Bescheid holt sich aber Niemand bei der theoretischen Speculation, sondern allein vom praktischen Probiren.

Es läßt sich an der hervorstechenden Eigenthümlichkeit der Bachschen Violincompositionen, an ihrer Vielstimmigkeit, an gewissen Arten der Figuration, an der obligaten Einflechtung eines zweiten oder mehrer Instrumente leicht bemerken, daß ihr Stil zum Theile nicht aus dem Wesen der Geige hervorgewachsen ist. Auch hier den Einfluß des in Bach übermächtigen Orgelstils anzunehmen, der alles, was in seinen Bereich kam, sich unerbittlich unterwarf, liegt zu nahe, als daß man es unterlassen könnte. Was jedoch speciell das doppelgriffige Spiel betrifft, so muß hinzugefügt werden, daß es schon Corelli in seinen Violinsonaten mit Cembalo-Begleitung zu einer bedeutenden Höhe ausgebildet und auch den fugirten Satz so weit zur Anwendung zu bringen gesucht hatte, wie er sich bequem dem Instrumente anpassen ließ; sodann aber, daß die Deutschen gegen Ende des 17. Jahrhunderts, in Ausführung und Erfindung [678] sonst den italiänischen Violinspielern weit nachstehend, grade die vielstimmige Technik mit besonderer Energie cultivirt zu haben scheinen, was für ihr zunächst mehr nach harmonischer Fülle als melodischer Klarheit strebendes Wesen ganz bezeichnend ist. So wurde schon früher einmal Buxtehudes genialer Schüler Nikolaus Bruhns als hervorragender Geiger erwähnt, der sich auf doppelgriffiges Spiel hin so ausgebildet haben soll, daß es sich anhörte, als ob drei oder vier Geiger in Thätigkeit wären; er setzte sich dann zuweilen mit der Geige vor die Orgel und spielte mit den Füßen eine Pedalstimme zu den vollen Harmoniengängen, welche er jener entlockte5. Bei dem Cellenser Nikolaus Strungk (s. S. 198), dem Corelli nach Anhörung seines Spiels erstaunt zugerufen haben soll: »Ich heiße Arcangelo, aber Euch muß man Arcidiavolo heißen«, bestand vielleicht die Virtuosität ebenfalls hauptsächlich im vielstimmigen Spiele, da er ebenso wie Bruhns Orgel- und Clavierspieler war6. Der kurmainzische Secretär und Violinist Johann Jakob Walther (geb. 1650) stellt in seinem 1694 herausgegebenen Hortulus chelicus besonders an diese Seite der Technik nicht geringe Anforderungen und weist durch den Titel ausdrücklich darauf hin7. Bach setzte also in dieser Beziehung eine speciell deutsche Richtung fort, vermählte ihr aber alle Errungenschaften des italiänischen Formensinns und erweiterte diese vermöge seiner ungleich größeren Gestaltungskraft.

Er schrieb für Violine sowohl wie für Violoncell (beziehungsweise Viola pomposa) je ein Werk von sechs mehrsätzigen Compositionen ohne alle Begleitung. Ob er einen Vorgänger in dieser isolirten Behandlung eines Streichinstruments gehabt hat, weiß ich nicht, möchte es aber fast bezweifeln, da die allgemein maßgebenden Italiäner trotz aller Künste doch das gesangreiche einstimmige Spiel immer in den Vordergrund stellten, welches ohne stützende [679] Harmonie die Hälfte der beabsichtigten Wirkung einbüßte8. Ueber die Entstehungszeit der beiden Werke läßt sich mit Bestimmtheit nur sagen, daß sie nicht später als in die cöthenische Periode fällt. Die sechs Violinsoli bestehen aus drei Sonaten und drei Suiten, und wenn man heutigen Tags allgemein von den sechs Bachschen Violinsonaten spricht und schreibt, so ist das eine Ungenauigkeit, deren Bach selber sich nicht schuldig gemacht hat9. Der Unterschied beider Gattungen ist ein klar definirbarer, da die Suite ausschließlich aus Tanzstücken besteht, denen höchstens zur Einleitung ein Praeludium vorausgeschickt wird.

Die Kunstform der Suite, durch deren höchste Vollendung Bach einen neuen Lorbeerzweig seinem unvergänglichen Ruhmeskranze einfügen sollte, reicht mit ihren Wurzeln bis ins sechzehnte Jahrhundert hinab. Ihre Entwicklung glaube ich, wenn auch im Einzelnen vieles dunkel ist, doch im Allgemeinen wohl zu überschauen10. Beim Tanze geschah es zu erst, daß die Gresangweisen, unter denen er stattfand, auf nachahmende Instrumente übergingen und mit Beibehaltung der Liedform auf ihnen selbständig weitergebildet wurden. Es ergab sich leicht, daß man solche Tanzmusiken dann auch bei andern fröhlichen Veranlassungen zu hören wünschte, daß mit der steigenden Beliebtheit die Tonsetzer gern ihre Thätigkeit diesem Gebiete zuwendeten. Wandernde Musikanten trugen die ansprechendsten von Ort zu Ort, von Land zu Land. Um das Jahr 1600 waren die italiänischen Paduanen und Gagliarden oder Romanesken sehr verbreitet, und wie hübsches darin die Instrumentalkunst schon leistete, beweisen die fünfstimmigen Tonstücke dieser Art, welche [680] in den Jahren 1610 und 1611 der darmstädtische Hoforganist Johann Moller herausgab. Außerdem cultivirte man die Formen der Volta und des Passamezzo, der Balletti und Intraden; »Aufzüge« hießen letztere bei deutschen Componisten und bedeuteten eine besondere Art gravitätischer Musik, unter der zu einem weitläufigeren Reigen angetreten wurde. Von französischen Tänzen kommen der Ringelreihen (Branle) und die Courante vor, falls letztere nicht ebenfalls ursprünglich italiänisch ist. Als deutscher Tanz figurirt nur die Allemande, der allgemein gefaßte Name zeigt wohl, daß es hier verschiedene Arten nicht gab. Dagegen bewiesen die Deutschen schon damals ihre Eigenthümlichkeit im Bearbeiten der fremden Formen; so gab der Dresdener Johann Ghro im Jahre 1604 dreißig Paduanen und Gaillarden heraus und bemerkte in der Vorrede, daß sie »nach teutscher Art gesetzet« wären11. Einen gemeinsamen Namen für solche Tänze-Sammlungen kannte man eben so wenig, als sie nach einem durchgreifenden Kunstprincipe geordnet waren. Nur ließ man gern auf die Paduane die Gagliarde folgen, was schon der Gegensatz von geradem und ungeradem Takte nahe legte. Dann kam der dreißigjährige Krieg. Er der das entsetzlichste Elend über Deutschland brachte, hat nichtsdestoweniger hier die Entwicklung der Suite offenbar beschleunigt. Die Idee, aus den Tanztypen der civilisirten Völker Europas die originellsten und bildungsfähigsten auszuwählen und zu einem blühenden Ganzen kunstmäßig zu vereinigen, fand an der Unglücksstätte, wo der Kriegssturm Italiäner, Spanier, Franzosen, Schweden, Dänen, Polen Jahrzehnte lang im wildesten Tanze durch einander wirbelte, eine gewisse Förderung. Wenn nachher die Verhältnisse sich klären, werden die Bestrebungen, zu einer höheren Kunstform zu gelangen, ganz deutlich. Nothwendig war dazu vor allem, daß die Clavierkünstler sich der Sache annahmen und den bildungsfähigen musikalischen Gehalt der Tanzweisen aus dem Bereiche des verwilderten deutschen Kunstpfeiferthums in die stillen, reinlicheren Räume der Hausmusik hinüber retteten. Alle Anzeichen weisen darauf hin, daß die Erfinder der Claviersuite innerhalb der Sweelinckschen Schule zu suchen sind. [681] Daß es Deutsche waren, sieht man aus der nunmehr sich feststellenden Reihenfolge, in welcher die Allemande den ersten Platz hat, ihr folgt die Courante, zum Abschluß verwendet man zwei neu erworbene Weisen, die spanische Sarabande und die englische Gigue, entweder vereint oder eine von beiden. Die Deutschen fuhren fort, neben den eignen Formen fremdes Gut »nach teutscher Art« wie am Anfange des Jahrhunderts zu bearbeiten. Daneben verkümmerte aber natürlich unter den Kunstpfeifern die Tanzmusik nicht, sondern fand auch hier eine von ihrer ursprünglichen praktischen Bestimmung mehr oder minder losgelöste lebhafte Pflege. Es lag sehr nahe, daß zur Tafelmusik oder für andre festliche Gelegenheiten mehre contrastirende Tänze an einander gereiht wurden. Ob sich auch hierbei eine Art von gewohnheitsmäßigem Verfahren bildete, wovon ein Anfang schon in der Zusammenstellung von Paduanen und Gagliarden zu bemerken war, bleibt vorläufig dahingestellt. Jedenfalls hatten die Kunstpfeifer für solche Tanzsammlungen einen gemeinsamen Namen, den sich die Vertreter der Claviersuite aneigneten; er deutete ganz allgemein nur ein aus vielen Theilen bestehendes Ganzes an und war darum auch für die Claviervariation in Gebrauch gekommen. Es ist der Name Partie, italiänisirt Partita12. Mit den Variationenreihen war übrigens den Tanzreihen außer dem Namen auch das Festhalten derselben Tonart durch alle Theile gemeinsam, ihre Entstehung durch äußerliche Zusammenfügung brachte das von selbst mit sich. Die von den deutschen Claviermeistern gefundene Form gelangte nun in die italiänischen Kammersonaten eines Corelli und seiner Nachfolger. Aber die verschiedenartigen Anforderungen der Violintechnik und der überwiegend auf das Melodische gerichtete Sinn der Italiäner drohten das Charakteristische der einzelnen Typen bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen. Das Gegengewicht der Deutschen, denen es hauptsächlich um harmonische Vertiefung zu thun war, genügte hier nicht mehr. Da nehmen mit ihrem scharf ausgeprägten rhythmischen Gefühle die Franzosen sich der Tanzgebinde [682] an. In die deutschen Hofcapellen und Kunstpfeifer-Banden war die französische Orchestermusik schon länger eingedrungen13 und hatte von dort aus auch die Claviermusik beeinflußt; sollte doch selbst ein Pachelbel sich damit befaßt und als der erste die französische Ouverture auf das Clavier übertragen haben (s. S. 122). Doch genügte dies noch nicht; die Franzosen mußten an die Claviertänze selbst ihre Hand legen. Aber so fest stand bereits die Ordnung der Sätze, daß sie an dieser nicht zu ändern wagten. Den Grundbestand bilden auch bei ihnen Allemande, Courante, Sarabande, Gigue; nur lassen sie wohl noch eine Ouverture vorausgehen, hängen eigne Tanzstückchen wie Gavotte, Menuet, Rigaudon, Passepied, Bourrée, auch die eigentlich italiänische Chaconne hinten an, oder schieben sie vor der Gigue ein, oder verdrängen diese durch jene; alle aber führen sie auf den prononcirtesten Rhythmus zurück. Und da dieser beim Tanze das Wichtigste ist, so ist es nur natürlich, daß sie auch der Kunstform den endgültigen Namen gegeben haben. Als Suite kehrt sie nun nach Deutschland zurück, um hier ihre höchste Vollendung durch Sebastian Bach zu finden, dem ein Georg Böhm vorgearbeitet hatte und ein Händel mit wenigen, aber bedeutungsvollen Leistungen zur Seite trat. Bach endlich ließ auch die französische Benennung zum Theil wieder fallen; er restituirte sowohl in einem Hauptwerke für Clavier, als in den drei genannten Suiten für Solovioline den Namen Partie. Die Suite, als älteste vielsätzige Instrumentalform, ist ein deutsches Product, an dem aber fast alle damals bedeutenden Nationen Europas mehr oder weniger durchgreifend mitgearbeitet haben.

Schwieriger ist es den Begriff der gleichzeitigen Sonate abzugränzen. Sie entsagt nicht durchaus den Tanzstücken, besteht aber niemals nur aus ihnen. Was man am Anfange des 17. Jahrhunderts unter der Sonate des Joh. Gabrieli verstand, wie diese Form bis in Seb. Bachs Cantaten hinüberreicht, wie sie theils in ihrer ursprünglichen Einsätzigkeit verharrte, theils zur Zweisätzigkeit sich [683] erweiterte, ist früher (S. 122 f.) gesagt worden. Als in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unter den Italiänern mit dem Solo-Violinspiel die Kammermusik einen mächtigen Aufschwung nahm, griff Corelli die zweisätzige Form auf, fügte mit Freiheit zwei solcher Satzpaare zusammen und trug das Ganze als dreistimmige Sonata da chiesa aus der Kammer in die Kirche zurück, wo sie unter Orgelaccompagnement abgespielt wurde. Ging die Absicht nicht auf kirchlichen Vortrag, so konnten auch Tänze eingemischt werden, die dann bald suitenartig, die Allemande an der Spitze, aufzutreten pflegen, bald einzeln zur Verwendung kommen, namentlich macht wohl eine Gigue den Abschluß. Das Hauptprincip der Sonate besteht danach im Wechsel zwischen langsamen, breitgezogenen und raschen, meist fugirten Sätzen, die auch im Takt gern mit einander contrastiren, und werden Tanztypen angewendet, so müssen sie im allgemeinen nach diesem Principe eingeordnet werden. Wie bei der Suite, so ist auch hier die Normalzahl der Sätze vier. Darin aber, daß der zweite langsame Satz gern in einer andern Tonart steht, nähert sich die Sonate der Form des Concerts, welches auch auf die Construction der einzelnen Sätze, zumal des letzten, nicht ohne Einfluß blieb. So hatte die Gabrielische Sonate eine neue Kunstgattung bilden helfen, ohne doch in dieser aufzugehen. Und ebenso erhielt sich neben ihr auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch die weltliche, für vollen Instrumentenchor gesetzte Sonate durch die Pflege der deutschen Kunstpfeifer, die sie neben ihren verschiedenen Tänzen als ein »prächtig auf Motetten-Art gesetztes« Klingstück14 bei Tafelmusiken und sonstigen passenden Gelegenheiten vortrugen15. Diese beiden Gattungen sind also von der Corellischen Kirchen- und Kammersonate wohl zu unterscheiden. Da mit der Zeit die Suite sich immer ausschließlicher aufs Clavier zurückzog, bildete die Kammersonate nun auch insofern einen Gegensatz zu ihr, als sie recht eigentlich [684] eine Violin-Composition war und vorläufig blieb. Bekanntlich übertrug Kuhnau dieselbe aufs Clavier (s. S. 233), und Seb. Bach wurde darin, wie wir bald sehen werden, sein Nachfolger. Ein directer Fortschritt von dort zur modernen Sonatenform trat aber nicht ein; das polyphone Wesen der Allegrosätze, das dem Zeitgeiste nicht mehr zusagte, mußte zuvor durch eine andre Schreibart ersetzt werden. Der sie fand, war wiederum ein Italiäner, Domenico Scarlatti; er schrieb Claviersonaten, die nur aus je einem Satze in Liedform bestanden, homophon gesetzt und mit geschmackvollem, neuem Passagenwerk ausgestattet waren. Da man die dreisätzige Form im Concert schon kannte, so war nun endlich der Weg geöffnet, auf dem von Philipp Emanuel Bach über Haydn zu Beethoven sich die moderne Sonate vollenden konnte.

Die drei Sonaten Sebastian Bachs für Solo-Violine weisen die strengste und geläutertste Form der Gattung auf. Alle sind viersätzig. Da aber der zweite langsame Satz in einer andern, naheverwandten Tonart steht, während die übrigen in der Grundtonart verharren, so ist das Grundschema doch ein dreisätziges; das erste Adagio schließt sich mit dem folgenden Allegro zu einer Einheit zusammen und leitet in der Mehrzahl der Fälle durch ein Auslaufen auf den Dominantaccord geradezu in dasselbe hinüber. Die Verschiedenheit von der modernen Sonate besteht also nur im Stil der einzelnen Sätze, im übrigen sind die Verhältnisse gleich. Hier wie dort wird dem ersten Tonbilde ein zweites nach allen Seiten contrastirendes gegenüber gestellt, beider verschiedenen Inhalt sucht der Schlußsatz in sich aufzulösen, es ist also ein psychologischer Process, der das verknüpfende Band der Vielheit bildet. Hier wie dort ruht das größere musikalische Gewicht auf dem ersten Allegrosatze, während das Finale nach Form und Inhalt leichter bemessen ist. Das vorbereitende, wie zum Kampfe sich sammelnde Einleitungs-Adagio endlich ist für die spätere Sonate zwar nicht als unumgänglich nothwendig erachtet worden, aber in ihren bedeutendsten Gattungsmustern, zumal den Orchester-Symphonien, doch fast immer beibehalten, wenn auch in abgekürzter Fassung. Ebenso ist schon hier das einleitende Adagio in der Anlage von dem mittleren scharf unterschieden, es bewahrt durchaus ein praeludirendes Wesen, wogegen das zweite als festgefügtes Musikstück auftritt. Dieser Grundsatz [685] wird freilich in andern Sonatenwerken des Meisters nicht immer streng festgehalten, genug daß er überhaupt in einer Art hervortritt, die an dem bewußten Verfahren nicht zweifeln läßt.

Trotzdem nur ein Instrument benutzt wird, das im Vergleich zu Orgel und Clavier und nach der Richtung hin, in welcher des Tonsetzers höchste Bedeutung lag, in engste Gränzen eingeschlossen ist, haben die Sonaten dennoch etwas gewaltiges an sich. Durch die Ausgedehntheit des doppelgriffigen Spiels und die geschickte Verwendung der leeren Saiten wird oft eine fast unglaubliche Tonfülle erzeugt, die scharfen Rhythmen, die durch die polyphone Satzart nöthig gemachte kühne, zuweilen ans Gewaltsame streifende Ausführung, das Feuer und der Schwung namentlich der fugirten Allegrosätze geben den Sonaten mehr vielleicht, als andern Instrumentalcompositionen Bachs, den Charakter des Dämonischen. Der Typus der ersten Sätze ist schon durch Corelli in dessen Violinsonaten Op. 5 festgestellt, er ist ein breit melodischer, dem aber durch die vielen umspielenden Figuren verschiedenster Bewegung ein freiphantastisches Element beigemischt wird. Dasselbe wird bei Bach durch die Gestalt, welche seine Polyphonie hier annimmt, noch erhöht, indem der Ausführbarkeit wegen die Fortschreitungen der Nebenstimmen oft nur angedeutet werden und vom Ohre zu vervollständigen sind. In dem prachtvollen, leidenschaftlichen Einleitungs-Adagio der ersten Sonate in G moll liegt die Melodie zuerst in der Mittelstimme, die Oberstimme geht nur in einzelnen Tönen und Phrasen darüber her, scheint zu verschwinden, wird dann von dem Zuge der Melodie flüchtig gestreift und so wieder in Erinnerung gebracht und ist überhaupt immer vorhanden für den, welcher mit innerm Ohre zu hören vermag. Vom 14. Takte an, wo die Melodiezüge des Anfangs sich in C moll wiederholen, übernimmt dann die Oberstimme den Hauptpart, die Mittelstimme wird deshalb nicht unthätig, ja entwickelt oft eine ganz erstaunliche Selbständigkeit. Für die Fundamentalstimme gilt natürlich dasselbe Verfahren: oft muß die Melodie momentan unterbrochen werden, um den Basston kurz anzustreichen, oft klingt er durch das Figurenwerk nur unbestimmt hindurch. Mehr als dreistimmig ist der Satz nur ausnahmsweise, nicht gerechnet die vereinzelt zur Verstärkung angebrachten viertonigen Harmonien. Bei den Fugen versteht es sich, daß die Contrapunctirung nur eine [686] ganz einfache sein kann, oft bloße Accorde zum Thema genügen müssen, und daß trotz des bewegteren Tempos auch hier manches nur andeutbar ist. Nach Corellis Vorgange werden einstimmige laufende oder arpeggirte Gänge zwischenhinein gemischt, um dadurch für die polyphone Satzart die Empfänglichkeit wieder aufzufrischen. Uebrigens kann man sich denken, daß der Fugenmeister möglichst bemüht war, den strengsten Forderungen nachzukommen; man hat nicht nur freie Fugatos, sondern echte ausgewachsene Fugen vor sich von bewunderungswürdigem Reichthum combinatorischer Erfindung. Am bekanntesten ist jetzt die der ersten Sonate geworden; Mattheson stellte, was bei seiner Stimmung gegen Bach etwas bedeuten will, die der zweiten, aus A moll, in zweien seiner Schriften als Muster hin. »Wie lang etwa der Führer bei einer Fuge an Takten sein möge«, sagt er16, »ist einigermaßen willkürlich, doch hält man insgemein dafür, daß, je ehender und geschwinder der Gefährte seinem Anführer folge, je besser die Fuge sich hören lasse. Man findet oft die vortrefflichsten Ausarbeitungen über die wenigsten Noten. Wer sollte wohl denken, daß diese acht kurzen Noten:


 

3.


 

so fruchtbar wären, einen Contrapunct von mehr als einem ganzen Bogen ohne sonderbare Ausdehnung ganz natürlich hervorzubringen? Und dennoch hat solches der künstliche und in dieser Gattung besonders glückliche Bach in Leipzig Jedermann vor Augen gelegt, ja noch dazu den Satz hin und wieder rücklings geführet.« Beide aber dürfte an Wucht und Größe die Fuge der dritten Sonate in C dur übertreffen, bei der nur die enorme Schwierigkeit einer allgemeineren Verbreitung im Wege steht. Daß diese Schwierigkeit vermuthlich in der Entstehungsgeschichte der Sonate ihre Begründung findet, soll alsbald gezeigt werden. Als dritten Satz hat die G moll-Sonate ein schön gedachtes und polyphon bewundernswerth gearbeitetes Siciliano in B dur, aber der zarte Charakter dieses Tanztypus wird durch die beim mehrgriffigen [687] Spiele unvermeidliche Stärke und Schwere des Klanges beeinträchtigt; dies ist einer von den Fällen, wo das Fremdartige des Stiles recht greifbar wird. Der entsprechende Satz der A moll-Sonate steht in C dur und hat zweitheilige Liedform; über einer kurz gestoßenen Grundstimme zieht sich eine breite, innige Melodie hin, an deren Entfaltung sich die Mittelstimme in discreter Weise betheiligt. Die C dur-Sonate hat an dieser Stelle ein eben so ausdrucksvolles Largo in F dur, das sich aber in ununterbrochenem Zuge ausspricht. Gemeinsam ist allen dreien die Anlage des letzten Satzes. Einstimmig in zweitheiliger Form fliegt er in fast unaufhörlicher Sechzehntelbewegung vorüber; es ist ganz der Typus des von uns früher (S. 407) beschriebenen letzten Concertsatzes.

Der Standpunkt, von dem aus Bach an die Composition dieser Sonaten heranging, wird recht hell durch die Thatsache beleuchtet, daß alle drei sich ganz oder theilweise als Clavier- oder Orgelstücke wiederfinden. Ganz zu einer Claviersonate arrangirt ist die mittlere, die zu diesem Behufe von A moll nach D moll transponirt wurde17. Obgleich sie nicht in Bachs eigner Handschrift vorliegt, ist es doch wegen der hohen Meisterschaft der Bearbeitung außer Zweifel, daß sie vom Componisten selbst herrührt. Die claviermäßige Gestalt ist so viel reicher ausgestattet, daß das Original sich bisweilen wie eine Skizze dagegen ausnimmt; die Natürlichkeit, mit der sich der Reichthum der Polyphonie entfaltet, deutet an, wo die eigentliche Heimath so beschaffener Bachscher Geigencompositionen war. Gleichwohl steht es fest, daß die Sonate ursprünglich für Geige componirt wurde: nicht nur viele Einzelheiten verrathen es, sondern auch die Wahl der Tonart D moll, wodurch vieles in eine sonst bei Bach ungewöhnlich tiefe Lage kommt, die aber zur Verhütung einer zu zerstreuten Stimmlage nöthig war. Aus der G moll-Sonate existirt die Fuge in Uebertragung für Orgel; daß die violinmäßige Form die frühere war, sieht man hier sogleich aus der Beschaffenheit des Themas18. Das Verhältniß zum Original ist noch freier und sogar an zwei Stellen eine Erweiterung um je einen Takt eingetreten; es muß übrigens die [688] Bearbeitung sehr früh vorgenommen sein, da schon aus dem Jahre 1725 eine Abschrift derselben vorliegt. Verwickeltere Beziehungen herrschen bei der C dur-Sonate. Vom ersten Satze hat Bach eine Clavierübertragung gemacht, deren tiefere Lage (G dur) wiederum bezeugt, daß die Fassung für Violine eher dagewesen ist19. Mehr aber als anderswo hat hier bei der ursprünglichen Conception die im Clavierstile lebende Phantasie des Künstlers sich wirksam gezeigt. Nicht eine phantastisch figurirte Geigenmelodie erscheint, sondern jenes leise Fortwallen im langsamen Wechsel der Harmonien, worauf weder das Wesen der Geige führen konnte, noch auch ein Italiäner je verfallen wäre, deren Vorbild doch sonst überall erkennbar ist. Auch beim vorzüglichsten Vortrage wird die Intention auf der Geige niemals ganz herauskommen, das Anstreichen der drei- und vierstimmigen Accorde bringt etwas gewaltsames und rauhes unvermeidlich mit sich, was dem Charakter des Satzes widerstrebt. Spielt man ihn auf dem Clavier in jener reicher belebten Gestalt, die der Schöpfer selbst ihm gab, so hat man eines der wunderbarsten Stücke, die der Bachsche Genius hervorgebracht hat, eines jener Praeludien, in denen unter einem durchgehenden, einförmigen Rhythmus die Harmonien sacht wie Nebelbilder in einander überfließen, aus deren Zauberhülle eine langgezogene, sehnsuchtsvolle Melodie hervortönt. Alles, was dem Menschenherzen fehlt und was die Zunge vergeblich zu stammeln sucht, wird hier von wunderthätiger Hand auf ein Mal entschleiert, und doch bleibt es so fern, so unerreichbar weit! Niemand in der Welt hat je wieder solche Töne angeschlagen! Von den andern Sonatensätzen ist in Clavierbearbeitung nichts geblieben. Ob eine solche existirt hat? Von der Fuge wenigstens möchte man es verneinen. Ich glaube eher, daß diese nur die Umgestaltung eines Orgelstückes ist. Ihr Thema besteht – für eine Violinsonate etwas unerhörtes – aus der ersten Melodiezeile des Chorals »Komm, heiliger Geist, Herre Gott«. Die contrapunctische Kunst darin ist für eine Solo-Geige von solcher Complicirtheit, daß dem Spieler fast das Unmögliche zugemuthet wird, und gewiegte Techniker haben mir versichert, die Schreibart laufe zuweilen der Spielbarkeit so zuwider, als ob der Componist eine Geige garnicht dabei vor Augen [689] gehabt habe. Besondere Aufmerksamkeit aber muß es erregen, daß Mattheson in der »großen Generalbassschule« eine Disposition zu einer Orgel-Fuge über dasselbe Thema aufstellt, die fast ganz mit der Bachschen übereinstimmt. Er giebt das Thema so:


 

3.


 

und bemerkt zunächst, daß dies der Anfang eines Chorals ist, »2) daß mit der Risposta nicht die geringste Künstelei gesucht wird, 3) daß ein chromatischer Gegensatz füglich eingeführet, und also die Fuge verdoppelt werden kann, weil sie auch sonst zu einfältig ist, 4) daß sich der Hauptsatz auf zweierlei Art verkehren läßt, 5) daß rectum und contrarium zusammen gebracht werden und harmoniren können, 6) daß sich auch sonst verschiedene nette Einflechtungen mit dem Duce und Comite ganz nahe an einander vornehmen lassen u.s.w.« Hernach theilt er noch mit (S. 38), wie er sich selbst die Ausführung der Vorschriften gedacht habe20. In der Bachschen Violinfuge findet sich gleich von Anfang an das verlangte chromatische Gegenthema, hier die unter Nr. 6 angedeutete mehrfache Art der Engführung mit dem Einsatz bald nach der ersten, bald nach der vierten Note des Themas (vrgl. Takt 93 ff. und 109 ff.), hier ferner die Umkehrung (vrgl. Takt 201 ff.) und natürlich auch reichliche Anwendung des doppelten Contrapuncts. Was man von Matthesons Vorschriften bei Bach nicht ausgeführt findet, ist entweder für den freien, dämonischen Schwung der Fuge unwesentlich, wie die Umkehrung des Themas mit genauer Beachtung der Halbtöne, oder geschmacklos, wie die Verbindung des Thema rectum mit dem contrarium; eine solche Combination würde erst dann Reiz gewinnen, wenn eine Stimme später als die andre einträte. Wohl aber verarbeitet Bach noch ein reicheres Material, als Mattheson praeparirt. So führt er neben dem chromatischen Gegensatze noch ein zweites Contrathema ein


 

3.


 

(vrgl. z.B. Takt 135–136 [690] und die motivische Fortspinnung im Folgenden; ferner Takt 293–294, auch Takt 107–108); möglicherweise jedoch ist dergleichen unter Matthesons »u.s.w.« einbegriffen. Man kann nun durchaus nicht sagen, daß alles das, was Mattheson mit dem Thema vorgenommen wissen will, und Bach vorgenommen hat, durchaus selbstverständlich wäre; nur die Einführung des chromatischen Gegensatzes lag nicht fern und findet sich ähnlich mehrfach in Werken jener Zeit21. Also müßte jener wohl die Bachsche Fuge gekannt haben. Hat er das wirklich, so doch sicherlich nicht in der jetzigen Fassung. Es liegt zu nahe, die Bekanntschaft mit der Hamburger Reise in Verbindung zu bringen; auf diese nahm aber Bach schwerlich seine Violinsoli mit, wenn sie überhaupt schon componirt waren, sondern außer Vocalsachen gewiß nur Orgelstücke. Kenntniß der Violinsonaten verräth Mattheson zum ersten Male im Jahre 1737, das obige Fugenthema hatte er schon am 8. October 1727 bei einer Organistenprobe gestellt. Man wird sich auch erinnern, daß an derselben Stelle der »großen Generalbassschule« Thema und Gegensatz der großen Bachschen G moll-Fuge citirt wurden, welche der Verfasser zu einem gleichen Zwecke einst benutzt hatte (s. S. 634). Wahrscheinlicherweise gab es also eine Choralfuge Bachs zu dem Liede »Komm, heiliger Geist, Herre Gott«, die er in Hamburg im Jahre 1720 bekannt gemacht hatte, und welche er dann für die Violinfuge frei verwerthete. So wenig lobenswerth es ist, sich mit fremden Federn zu schmücken, so wäre es doch bei Mattheson nicht unerhört, da er es ja auch nicht über sich gewinnen konnte, Bach als Verfasser der G moll-Fuge zu nennen. Manche Aeußerungen klingen so, als wolle er seine Handlungsweise vor sich selber rechtfertigen, z.B. wenn er das Fugenthema ein leichtes nennt, hervorhebt, daß es einem Choral entnommen sei und die Einführung des chromatischen Gegenthemas mit der Bemerkung begleitet, daß die Fuge auch sonst zu einfältig wäre. Es kommt dabei doch wohl auf die Behandlung an.

Noch zwei Claviersonaten Bachs giebt es, die nicht Uebertragungen von bereits bestehenden Geigencompositionen, sondern [691] Originale vorstellen, welche in die Form der Violinsonate hineingebildet sind22. Wenn ich oben erwähnte, daß Bach als Claviersonaten-Componist Kuhnaus Nachfolger gewesen wäre, so meinte ich diese; von dem Jugendwerke, mit welchem er den Spuren des Verfassers der »biblischen Historien« folgte (s. S. 239 ff.) kann hier natürlich nicht die Rede sein. Nach den vorausgeschickten Erörterungen wird man schon vermuthen, daß etwas nicht unbedeutendes vorliegt, da der Künstler sich hier in seinem eigentlichen Elemente befand. So ist es in der That. Die eine der Sonaten, aus A moll, besteht aus Adagio, Fuge, Adagio und einer vollständigen Suite (Allemande, Courante, Sarabande, Gigue); die andre, aus C dur, enthält Adagio (Lento), Fuge, Adagio und Allemande. Die Form der italiänischen Violinsonate kommt nicht nur in dieser Anordnung, sondern auch besonders im Charakter der Adagiosätze zu Tage, wo die Nachbildung der Geigen-Cantilene und -Figuration auf den ersten Blick klar wird. Aber durch die gleichmäßige Betheiligung, welche der Meister allen Stimmen gönnt, sind die Rechte des Clavierstiles vollauf gewahrt. Die zweite Sonate ist ganz und gar straffe, kräftige Frische, schnell vorübergehend nur werden im zweiten Adagio zartere Klänge wach; die weit ausgeführte vortreffliche Fuge gehört noch mehr in das Gebiet der späteren weimarischen Claviercompositionen. Das Einleitungs-Adagio der ersten Sonate steht dem Clavierarrangement der Violinsonate aus C dur ebenbürtig zur Seite, aber die Stimmung ist viel dunkler: jenes tiefe Weh steckt darin, das an Herbsttagen die Brust durchzieht, wenn in der Waldesstille langsam und geräuschlos die bunten Blätter herabsinken, der Vogelgesang verstummt und die Abendsonne schwermüthig lächelnd über die moosigen Stämme und halbkahlen Zweige spielt. Die darauf folgende Fuge hat im Charakter bedeutende Aehnlichkeit mit dem geisterhaft phantastischen zweiten Satze der Fis moll-Toccate, und viel später als diese wird auch die ganze Sonate nicht geschrieben sein. Der allgemeinen Regel entgegen steht in ihr, wie in der andern, das zweite Adagio ebenfalls in der Haupttonart, die Stimmung des ersten klingt noch deutlich an, hat sich aber zu geringerer Intensität verflüchtigt. Selbst in dem dritten [692] und vierten Takte der Allemande kehrt eine Reminiscenz daran wieder, dann gewinnt eine ernste Lebenskraft immer mehr die Oberhand. Die große Einheitlichkeit des Werkes tritt auch darin hervor, daß die Courante ganz aus dem musikalischen Stoffe der Allemande gemacht ist, ja daß selbst die Anfänge von Sarabande und Gigue ihre Theilnahme daran zu erkennen geben. Unter den vor-Bachischen deutschen Suitencomponisten war es Brauch geworden, die Courante als musikalische Umbildung aus der Allemande hervorgehen zu lassen, und dieser Brauch hängt eng zusammen mit der bei den nordländischen Orgelmeistern beliebten zwei- oder dreitheiligen Fugenform, in welcher dasselbe Thema in veränderter Gestalt immer wieder von neuem durchgeführt wurde. Bei Buxtehudes Orgelcompositionen ist darüber ausführlich gesprochen und auch auf die Analogien mit der Suitengestaltung hingedeutet worden (s. S. 262 ff. und 270 f.). Der rhythmische Contrast, in dem die Courante zur Allemande steht und wiederum die Gigue zur Courante, ist ganz derselbe, in welchem sich die drei Theile von Buxtehudes großer E moll-Fuge befinden. Man kann deutlich sehen, daß außer Froberger die nordländischen Meister es hauptsächlich gewesen sind, welche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Suite weiterbildeten, weil sie eine specifische Eigenthümlichkeit ihrer Kunst derselben so nachhaltig eingeprägt haben. Noch Walther nennt die Allemande »in einer musikalischen Partie gleichsam die Proposition, woraus die übrigen Suiten, als die Courante, Sarabande und Gigue als partes fließen«23. Auch Händel ist im wesentlichen auf diesem Standpunkte stehen geblieben, namentlich die Suiten der zweiten und dritten Sammlung seiner Clavierstücke zeigen den motivischen Zusammenhang zwischen Allemande und Courante, aber auch in der ersten Sammlung findet er sich und sogar (in der E moll- Suite) bis auf die Gigue ausgedehnt24. Bach hat sich nur in seinen früheren Werken an die Vorgänger angeschlossen, in den drei Hauptwerken steht jeder Suitensatz vollständig für sich. Die Idee der Suitenform verlangt eben eine solche innere Verknüpfung nicht.

Unter den Hauptwerken verstehe ich die drei unter den Namen [693] der französischen Suiten, der englischen Suiten und der sechs Partiten bekannten Clavierwerke. Man darf die Beobachtung aber auch weiter ausdehnen. So, mit unbeträchtlicher Einschränkung, auf die drei übrigen Violinsoli und sämmtliche Compositionen für Solo-Violoncell, mit denen wir hier noch immer zu thun haben. Festzustellen ist nur zunächst, daß Bach in ihnen nur ganz lose an die Italiäner anknüpft, sehr eng dagegen an die Claviersuite, wie sie nunmehr durch Deutsche, Franzosen und endlich durch ihn selbst ausgebildet war. Mehr noch als bei den Sonaten kann man hier von einer Stilübertragung sprechen. Als das Verdienst der Franzosen ist schon die sorgfältige Herausarbeitung des Rhythmus bezeichnet, der bei den Italiänern fast unkenntlich wird, obgleich er bei einer Tanzmusik doch das Wesentlichste ist. Corellis Sarabanden sind oft nichts weiter, als verlangsamte Sicilianos, zuweilen haben sie bis auf den ungeraden Takt alles prägnante abgestreift. Seinen Gavotten fehlt der charakteristische Anfang mit der zweiten Hälfte des geraden Taktes, einmal beginnt sogar eine mit kurzem Vorschlag. Bei den Allemanden ist absolut garkein rhythmischer Typus zu erkennen; eine würdevolle Bewegung, eine polyphone Haltung, manchmal auch nur die letztere im Allegro- oder Presto-Tempo scheint für genügend befunden zu sein. Die alte Courante erhielt, ihrer Etymologie gemäß, durch die Italiäner eine Ausbildung zum Flüchtigen und Eilenden hin, dagegen gaben die Deutschen und Franzosen ihr einen ernsten und nachhaltig leidenschaftlichen Charakter. Aber der italiänische Typus hatte sich in der Kunstübung schon zu fruchtbar erwiesen und zu sehr festgesetzt, insbesondere auf die Bildung der letzten Concertsätze (s. S. 407) einen zu namhaften Einfluß geübt; er ließ sich nicht wieder verdrängen, und so blieben zwei ganz verschiedene Typen neben einander bestehen. Man thut gut, geradeweg zwischen Corrente und Courante einen Unterschied zu machen. Aus der Sucht, das rhythmisch Hervorstechende abzuschleifen, erklärt sich die weitere Neigung eben der Italiäner, die Bestandtheile der Suite mit denen der Sonate und des Concerts zu verflößen. Dagegen haben die Franzosen nicht nur durch schärfste Hervorhebung der contrastirenden Rhythmen zur Entwicklung der selbständigen Suitenform ein sehr Erhebliches beigetragen, sondern auch durch die Geschmeidigkeit ihrer Tongänge, durch die Eleganz und den Reichthum [694] ihrer Verzierungen einen schätzbaren Fortschritt bewirkt. Da dies jedermann willig anerkannte, so meinte freilich die gallische Eitelkeit nun nach allen Seiten in der Suitencomposition musterhaft zu sein. Aber so blind war man glücklicherweise nicht, deshalb die wenigstens eben so großen Verdienste der Deutschen hintanzusetzen, und Mattheson sagt ganz richtig und mit erfreulicher Bestimmtheit: »Es setzen zwar die Franzosen, oder prätendiren vielmehr Couranten aufs Clavier nicht weniger als Allemanden zu setzen, machen sich auch insonderheit mit jenen sehr breit; allein wer die kahle und hackbrettische Klimperei gegen eine tüchtige,nerveuse, vollstimmiggebrochene teutsche Courante halten wird und sonst nicht in praejudiciis stecket, der wird ihrer wahrhaftig sehr wenig achten«25. Er hätte noch mehr sagen können: für die Vereinigung der Tänze zu einem Ganzen haben die Matadore der Franzosen nicht nur nichts gethan, sondern dem Richtigen vielmehr entgegen gearbeitet. Durch die Hinzufügung vieler neuer Tanztypen haben sie der knappen viersätzigen Form weit weniger eine Bereicherung, der sie fähig war, zugeführt, als ihre gesunden Proportionen aus den Fugen getrieben. Marchand bringt in einer Suite aus D moll nach einem Praeludium zuerst Allemande, zwei Couranten, Sarabande, Gigue, dann aber noch eine Chaconne in vier Couplets, eine Gavotte und einen Menuett. Der abschließende Zweck der Gigue ist also entweder unverstanden geblieben oder ignorirt. Bei Couperin gar kann man kaum noch von Suiten sprechen. Die zweite Reihe seiner Pièces de Clavecin enthält (D moll): Allemande, zwei Couranten, Sarabande, ein frei erfundenes Zwischenstück in D dur, Gavotte, Menuett, les Canaries (eine Gigue-Art) mit Variation, Passepied mit Trio, Rigaudon mit Trio, elf freie Stücke abwechselnd in Dur und Moll, ein Rondeau und nochmals ein freies, gigueähnliches Stück zum Schlüsse. Die fünfte Reihe (A dur) besteht aus Allemande, zwei Couranten, Sarabande, Gigue und sechs Rondos mit eingemischten freien Stücken. Er selbst hat trotzdem den Boden der Suite nicht verlassen wollen, weil er immer in demselben Tone bleibt, sogar dort, wo er nicht mit den üblichen Stücken beginnt. Aber es erhellt, daß ihm der Trieb, die Vielheit zu einem Ganzen von wechselseitigen Beziehungen zusammenzuschließen, ganz [695] fehlte. Warum er fehlen mußte, zeigen die Ueberschriften, mit denen Couperin seine Clavierstücke ausstattete, womit er sicherlich einen allgemeineren Gebrauch befolgte oder einführte, wenn ich ihn gleich bis jetzt nur noch bei Gaspard de Roux wiedergefunden habe. Er will bestimmte Persönlichkeiten, ja zusammenhängende Handlungen derselben, oder auch allgemeinere gesellige Vorgänge durch sie illustriren. So finden sich Ueberschriften wie: die Erhabene, die Majestätische, die Arbeitsame, die Spröde, die Finstere, die Gefährliche, individualisirter noch bei den Rondos und freien Stücken z.B. die Florentinerin, die provençalischen Matrosen, die Gevatterin, Nanette, Manon, Mimi, dann einmal ein Stück »die Pilgerinnen« in drei Theilen, von denen der erste die Wallfahrt vorstellt wo es übrigens recht französisch leichtsinnig hergeht), der zweite das Erbitten eines Almosens, der dritte den Dank dafür26. Ein andres dreitheiliges Stück heißt les bacchanales und zerfällt inenjouements bachiques, tendresses bachiques, fureurs bachiques. Selten nur sind es Naturbilder oder irgend welche bewegte Erscheinungen, wie die Wellen, die Bienen, der flatternde Schleier, welche illustrirt werden. Der Schwerpunkt fällt also fast überall aus den Stücken heraus, die musikalische Empfindung ist accessorisch; es ist, kurz gesagt, eine verfeinerte. Art von Balletmusik, das Genre der Orchestertänze aus Lullyschen Opern wird auf dem Claviere fortgesetzt. Das entspricht, wie wir schon bei einer andern Gelegenheit bemerkten (S. 242), dem theatralischen Wesen der Franzosen, hält aber die Thätigkeit des frei wirkenden musikalischen Genius nieder. Im Besondern möge erwogen werden, daß die Franzosen, wenn auch nicht die Allemande, so doch die andern orchestischen Formen theils selbst ausführten, theils täglich auf ihren Theatern ausführen sahen, und schon deshalb dahin kommen mußten, sie mit bestimmten Vorstellungen und Bildern zu verbinden. In Deutschland war das anders; die Höfe äfften freilich auch das französische Ballet nach, aber das Volk blieb glücklicherweise unberührt davon und konnte sich auf den rein-musikalischen Werth der Tanztypen ungestört einlassen.

[696] Aus der stofflichen Abhängigkeit der übrigen Tanzstücke oder wenigstens der Courante von der Allemande, aus dem oben citirten Zeugniß Walthers und Erscheinungen, wie Buxtehudes Suite über den Choral »Auf meinen lieben Gott« (s. S. 125), geht klar hervor, daß die Deutschen ursprünglich die Einheit, welche den verschiedenen Stücken gegeben werden sollte, im Wege der Variationenform zu erreichen suchten. Sie mußten jedoch bald gewahr werden, daß dadurch der charakteristischen Ausbildung der Tanztypen zu schwere Fesseln angelegt wurden, und beschränkten sich nun meist darauf, nur die Courante variationenhaft zu gestalten. War aber das Princip einmal aufgegeben, so konnte auch diese Observanz leicht zu Fall kommen. Sebastian Bach sah, daß die Einheit allein durch innere Mittel hergestellt werden konnte, da die vier Grundtypen schon so glücklich geordnet seien, daß sie einander innerlich bedingten und ergänzten. Deshalb hat er durchaus an ihnen festgehalten und die wenigen Ausnahmen, welche er sich gestattet, bestätigen nur die Regel. Es ist nicht schwer, auch in der Suite das weittragende künstlerische Princip der Dreitheiligkeit herauszuerkennen. Allemande und Courante hängen auch ohne gleichen Gedankenstoffes zu sein eng zusammen. Die Allemande ist durchaus von einer mittleren Stimmung, nicht rasch, nicht langsam, weder ruhig noch aufgeregt, sie trägt, wie Mattheson sagt, »das Bild eines zufriedenen oder vergnügten Gemüths, das sich an guter Ordnung und Ruhe ergötzet«27. Immer steht sie im Viervierteltakt, hat zwei ziemlich gleich lange Theile von durchschnittlich 8 bis 16 Takten und die äußerliche Eigenthümlichkeit, mit einem Vorschlage von einer kurzen Note oder dreien (bei Böhm ein einziges Mal mit sieben, bei Bach mit vier Sechzehnteln) anzufangen. Ihr Harmoniengang ist breit, die Bewegung gern in gebrochenen Accorden und die Oberstimme bunt figurirt. Zu einer gegensätzlichen Wirkung ist dieser Charakter nicht entschieden genug. Er bekommt darum durch die nachfolgende Courante eine Schärfung, die auch, wo sie nicht auf italiänische Art gesetzt ist, doch schon durch den Tripel-Rhythmus einen belebteren Eindruck macht. Typisch sind in ihr außer dem Auftakte, welchen sie sowie die ungefähre Länge der Theile mit der Allemande gemeinsam hat, [697] gewisse durch Mischung von Tripel- und Dupel-Rhythmus hervorgebrachte aufregende Accentrückungen, indem in den 3/2 Takt der 6/4 Takt hineinspielt (regelmäßig am Schlusse der Theile) und umgekehrt. Nach Mattheson drückt die Courante »die Hoffnung« aus, womit er zu viel sagt, insofern ein bestimmter Affect der Instrumentalmusik überhaupt unerreichbar ist, aber im Grunde das Richtige trifft28. Die Allemande bereitet also auf die Courante vor, beide bilden ein Ganzes in ähnlicher Weise, wie Einleitungs-Adagio und Fuge der Sonate. Die Sarabande nun nimmt in der Suite dieselbe Stellung ein, wie das zweite Adagio in der älteren, das Adagio überhaupt in der modernen Sonate. Ihre Bewegung ist ruhig und würdevoll, entsprechend der spanischen Grandezza, die Stimmung ernst und gesammelt. Im ungeraden Zeitmaße gesetzt beginnt sie regelmäßig mit dem vollen Takte, liebt die Betonung des zweiten Takttheils und dessen punktirte Verlängerung oder vollständige Verschmelzung mit dem letzten Takttheile. Ihre Ausdehnung beschränkte sich ursprünglich auf zweimal acht Takte; für den ersten Theil sind dieselben auch später eine selten überschrittene Regel geblieben, der zweite aber wurde auf zwölf, sechzehn und mehr Takte ausgedehnt; zuweilen folgte auch noch ein dritter. Die abschließende Gigue endlich entspricht ganz dem letzten Sonaten- und Concertsatze, an dessen Stelle sie auch oftmals verwendet wird; zur Allemande und Courante wie zur Sarabande tritt sie durch ihr flüchtig gleitendes und hüpfendes, einer nachdenklichen Vertiefung abholdes Wesen in scharfen Gegensatz, in ein heiter belebtes Bild werden die ernstern vorhergehenden Eindrücke zusammengefaßt und der Hörer scheidet in angenehm erregter Stimmung. Ihre Zeitmaße wählt sich die Gigue aus den ungeraden, beweglichsten Taktarten: 12/8 (oder 3. mit Triolen), 6/8, 3/8, doch kommen auch 6/4, 9/8, 9/16, 12/16, 24/16 vor. Die Form ist natürlich zweitheilig, die Länge, wegen der verschiedenen Zeitmaße nach Takten nicht wohl angebbar, den übrigen Tänzen proportional. Durch die italiänische Behandlung einerseits und die deutsche andrerseits nahm sie freilich nicht, wie die Courante, zwei ganz verschiedene Gestalten an, modificirte aber doch ihre Miene. Dort giebt sie sich wesentlich homophon, accordisch begleitet vom Generalbass und den übrigen Instrumenten, [698] hier ist sie polyphon bis zur wirklichen Fugirung ausgebildet. Ein neues Merkmal der formbildenden Hand der nordländischen Meister! Wie sie ihre mehrsätzigen Orgelfugen im Zwölfachtel- oder Sechsachtel-Takt abzuschließen liebten, so gestalteten sie hier das schließende Stück im Zwölfachtel- oder Sechsachtel-Takt fugirt. Und wie sie es waren, die zuerst den Weg thematischer Umbildung mit großer Erfindungskraft verfolgten, so werden wir ihnen auch die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts typisch werdende Anlage des zweiten Theils der fugirten Gigue verdanken, in welchem das Thema des ersten Theils in der Umkehrung auftritt. Es liegt aber auf der Hand, daß hierdurch, unbeschadet der Heiterkeit des Ausgangs, doch erst das rechte Gegengewicht gegen die bedeutungsvollen übrigen Tonformen hergestellt, und das Gefäß der Suitenform zur Aufnahme eines reicheren Inhalts nach allen Seiten hin fest und geräumig gemacht wurde. Die fugirte Gigue mit Verkehrung im zweiten Theil wird in den Claviercompositionen Bachs fast ausschließlich angewendet, wogegen Händel fast eben so oft sich der italiänischen Form bedient, in andern Fällen das Thema nicht ohne harmonische Stütze eintreten läßt, und nur ein Mal, in der F moll-Suite der ersten Sammlung seiner Clavierstücke, von einer Umkehrung im zweiten Theil Gebrauch macht. Die Franzosen haben in Ausbildung der Gigue nichts erwähnenswerthes geleistet. – Sollte nun noch, woran bei der Mannigfaltigkeit unverwendeter, pikanter französischer Tanztypen der Gedanke nahe lag, eine Erweiterung dieser in sich vollständigen Form vorgenommen werden, so zeigte sich dazu der Platz zwischen Sarabande und Gigue geeignet. Wie der erste Haupttheil aus Allemande und Courante zusammen gebildet wurde, so konnte auch ohne Störung des Gleichgewichts noch der Gigue etwas vorgeschoben werden, ja je inhaltreicher diese durch den polyphonen Satz wurde, desto mehr konnte bei der gemessenen Gediegenheit der Allemande, dem leidenschaftlichen Streben der Courante, der ruhigen Würde der Sarabande jenes Bedürfniß nach leicht geschürzten munteren Zwischenstücken entstehen, welches der modernen Symphonie zu ihrem Menuett und Scherzo verholfen hat. So kam man denn darauf, je nach Verhältniß eines auch wohl zwei und drei solcher Stücke einzuschieben, zu welchem Zwecke sich die Gavotten, Passepieds, [699] Menuette, Bourrées und andere darboten29. Ob der Anstoß hierzu von französischer oder deutscher Seite ausging, wird die Specialforschung festzustellen haben. In den Suiten von Dieupart und Grigny, welche Bach sich abschrieb, und die um 1700 entstanden zu sein scheinen, finden sich je zwischen Sarabande und Gigue eine Gavotte und ein Menuett eingesetzt (s. S. 199). Und in Deutschland gab Johann Krieger im Jahre 1697 sechs Partien heraus »bestehend in Allemanden, Couranten, Sarabanden, Doublen [d.i. Variationen eines Tanzstücks] und Giguen nebst eingemischten Bourréen, Menuetten und Gavotten«. In jedem Falle trieb die Franzosen ihr theatralischer Sinn bald vom rechten Wege ab. War aber einmal die Aufnahme solcher Zwischenstücke entschieden, so konnten sie mitunter auch freier verwendet werden, und wie sich in Beethovens späteren und spätesten Werken wohl das Scherzo vor dem Adagio findet, ist bei Bach einige Male vor der Sarabande eine Gavotte und ein Passepied, oder ähnliches anzutreffen. Vergleichen wir nunmehr Suiten- und Sonatenform in Hinsicht auf ihren allgemeinen Werth, so erscheint eine Bevorzugung der letzteren nicht gerechtfertigt, man wird beide als gleich vollkommen neben einander belassen müssen. In der Sonate ist der innere Zusammenhang insofern enger, als durch einen in fremder Tonart stehenden Satz ein Element des Widerspruchs eingemischt wird, von dessen Ausgleichung die ganze Existenz des Kunstwerks abhängt. Mit der Unerbittlichkeit eines Causalnexus drängt diese Form vorwärts, ihr Charakter ist die Bewegung, das Pathos. Die Suite hat nichts widersprechendes in sich zu überwinden, sie stellt auf dem Boden einer und derselben Tonart eine einträchtige, vernünftig gegliederte Mannigfaltigkeit dar; ihr Charakter ist die Ruhe, das Ethos. Die von Bachs Zeiten an wachsende Vorliebe für die Sonate entspricht dem in der deutschen Instrumentalmusik nunmehr stärker hervortretenden Zuge nach subjectivem und leidenschaftlichem Ausdruck, der entschiedeneren Hinneigung zum Poetischen, während in der Suite eine naivere, reiner musikalische [700] Kunstanschauung sich äußert. Demgemäß sind die Bestandteile der Sonate von Künstlern erfunden, die der Suite aus der Naturkraft der Nationen herausgeboren. Die Suite ist trotz der Vielheit ihrer Sätze dennoch der Sonate gegenüber das Einfache; sie ist nur ein in vielen Facetten geschliffener Stein, die Sonate ein aus mehren Steinen bestehender Ring. So konnten die Suitensätze auch niemals eine solche Ausdehnung gewinnen, wie die der Sonate; eine Entwicklung, wie sie von hier aus zur Symphonie stattfand, war dort unmöglich. Aber wie auch die Sonate bei einer Ausbildung über drei Sätze hinaus, da sie ja doch einmal Instrumentalmusik ist, des Suitenprincipes nicht entrathen konnte, beweist die Einführung des Menuetts oder Scherzos, das mit Anfangs- und Schlußsatz dieselbe Tonart zu theilen pflegt. In den Satzverhältnissen beider Formen leuchtet die allgemeine künstlerische Logik ein. Je strenger aber der rein musikalische Charakter ausgeprägt ist, desto unbeschränkter entscheidet über die Zweckmäßigkeit der formellen Gestaltung im Besondern das unmittelbare Gefühl. Ist also schon die Notwendigkeit in der Zusammenfügung der Sonatensätze für jeden einzelnen Fall ein schwer zur Evidenz zu bringendes Ding, so steigert sich bei der Suite diese Schwierigkeit. Die Kunstforderung bleibt trotzdem bestehen, und das fleißige Studium der Meisterwerke dieser Gattung ist auch deshalb so sehr bildend für den musikalischen Geschmack, weil es zur Erfassung der feineren und feinsten Grade des Angemessenen und der Innigkeit in dem Verhältnisse zwischen Theil und Ganzem wie kaum ein andres Mittel hinanführt.

Es ist noch übrig, in das Einzelne der Violin- und Violoncell-Suiten einen Blick zu thun. Die drei Violinpartien entsprechen im Charakter ungefähr den drei Sonaten, mit denen zusammen sie der Meister zu einem Werke vereinigte. Er hat den Gegensatz zwischen beiden Kunstformen gleichsam als künstlerisches Motiv benutzt, indem er je auf eine Sonate eine Partie folgen ließ. Alle drei haben merkwürdigerweise eine unregelmäßige Bildung. In der H moll-Partie zieht jeder Satz eine Variation wie seinen Schatten hinter sich her. Daß die Einfügung der Variation in die Suite eine Nachwirkung des Bestrebens war, die der Allemande folgenden Tanztypen ganz zu Variationen derselben einzuschmelzen, ist eine naheliegende Vermuthung. Jedenfalls kommt dies schon früh vor, z.B. in einer trefflichen [701] Fis moll-Suite Christian Ritters (Kammerorganistens zu Dresden von 1683–168830, später schwedischen Capellmeisters), wo der Sarabande zwei Variationen angehängt sind, in einer Partie Johann Ernst Pestels (geb. 1659), wo dasselbe geschieht, und, ganz wie bei Bach für alle Tanzstücke, in den Violinsuiten des WaltherschenHortulus chelicus (z.B. Nr. XX und XXIII). Mit Maß angewendet hatte ein Verfahren nichts bedenkliches, das den Gehalt eines Tonstückes dem Hörer nachdrücklicher zu Gemüthe führte und demselben gewissermaßen einen stärkern Resonanzboden unterschob, nur durften die Grundverhältnisse darunter nicht leiden, und die Zahl von zwei Variationen möchte das höchste Maß des Zulässigen bezeichnen31. Bach hat sich fast immer mit einer begnügt. Da er in der H moll-Partie den Variationen-Gedanken an allen Theilen zur Ausführung bringen wollte, konnte er als Schlußsatz die Gigue nicht wohl brauchen, denn sie läßt sich schlecht variiren. Er wählte statt dessen die Bourrée, einen Tanztypus von leichtem, gefälligem und etwas nachlässigem Charakter (3. mit Auftakt, ziemlich rasche, glatte Bewegung), der aber hier einen Anstrich von derber Lustigkeit erhalten hat und erst im Double mehr zu sich selbst zurückkehrt. Im Uebrigen verdient es Bewunderung, wie scharf trotz der beschränkten Mittel das Eigenthümliche der Typen herausgearbeitet ist; am schwersten war es wohl bei der Allemande, die harmonischen und polyphonen Reichthum mit bunter Figuration der Oberstimme verbindet. Der Courante in französisch-deutscher Form ist als Variation eine in italiänischer gegenüber gestellt, welche wild und unaufhaltsam vorüberschießt. Gewichtig und stolz in drei- und vierstimmiger Harmonie kommt hinter ihr die Sarabande hergezogen. – Die zweite Partie, in D moll, hat die gewöhnlichen vier Sätze. Bei dem raschen Tempo der Gigue kann natürlich dem einzelnen Instrumente kein fugirter [702] Stil zugemuthet werden; diese hier ist durchaus einstimmig, bringt aber durch die Art Her Passagen doch das Gefühl von harmonischer Fülle hervor. Es folgt nun noch eine Ciacone. Sie ist länger als alle übrigen Theile der Partie zusammengenommen, kann daher nicht als letzter Satz derselben, sondern nur als angehängtes Stück gelten; die eigentliche Suite ist mit der Gigue beendigt. Beliebt war die Einmischung einer Ciacone bei den Franzosen, aber in etwas anderer als der uns bis jetzt bekannten Gestalt. Man pflegte nämlich in Claviersachen Ciacona und Passacaglio sehr viel freier zu behandeln. Entweder wurde gar kein Grundthema angenommen, sondern nur eine Anzahl viertaktiger, gleich rhythmisirter Sätze im Dreivierteltakt an einander gereiht, wo denn die Kunst darin bestand, dieselben immer belebter und überraschender zu erfinden; so ist eine Ciacone in Muffats Apparatus musico-organisticus beschaffen. Oder es wurde ein viertaktiger Hauptsatz mit Reprise aufgestellt und zwischen einer beliebigen Menge selbständiger Perioden (Couplets) jedesmal einfach wiederholt; so pflegten es Couperin und Marchand zu machen, aber auch Muffat liefert in dem genannten Werke einen Passacaglio nach diesem Schema. Die Form geht damit ganz ins Rondo hinüber und selbst den wesentlichen Dreivierteltakt hält Couperin nicht immer fest: das einzig Auszeichnende ist noch die etwas würdevollere Bewegung. Bach hat von dieser Rondoform insofern angenommen, als er mehre Male, besonders in der Mitte und am Ende mit großem Effect, auf die acht Anfangstakte zurückkommt und inzwischen neue Gedanken einführt, andrerseits ist er in der gründlichen Durchführung der Hauptgedanken wieder bei der alten, tiefsinnigen Form verblieben. Hier paßt denn überall auf seine Behandlungsweise die früher (S. 276 f.) zur Unterscheidung vom Passacaglio gegebene Definition; eine freie Behandlung der Themen war auch um so mehr nöthig, als ja eine einzige Geige alles allein ausführen sollte. Eine Disposition des Ganzen wird nicht unerwünscht sein, da die Töne der Themen in dem Gewinde der Figurirung oft durch verschiedene Octaven zerstreut und deshalb in ihrem Zusammenhange nicht immer leicht kenntlich sind. Das erste und hauptsächliche lautet:


 

3.


 

[703] wird einmal durchgeführt, dann folgt mit Takt 17:


 

3.


 

Rondoartig, aber in neuer Ausstattung, kehrt das erste Thema einmal wieder, das zweite, das bald in Sechzehntelfigurationen geschmeidig hineingeschlungen wird, zweimal. Das dritte, von Takt 49 an, tritt in einfacher Gestalt nicht auf, würde sich aber ungefähr so ausnehmen:


 

3.


 

wobei zu bemerken, daß die Terzenschritte auch zu Decimen erweitert oder in Sexten verkehrt werden. Dies wird viermal durchgeführt, dann kehrt (Takt 81), immer figurirt, das zweite zurück und vermittelt in seinem zweiten Theile eine neue Erscheinung des ersten32, so wie dieses in derselben Weise einen vierten Gedanken vorbereitet, der mit Takt 97 voll anhebt:


 

3.


 

und bis Takt 121 durchgeführt wird; dann treten, genial in einander verschlungen, alle vier Themen abschließend herzu, das dritte in dieser Gestalt:


 

3.


 

in sausende Zweiunddreißigstel und Sechzehntel aufgelöst mit vier Takten, darauf das erste breit und wuchtig, wie am Anfange, ebenfalls [704] mit vier Takten, endlich mit vier Takten das zweite und vierte zusammen, so daß jenes in der Oberstimme, dieses mit seiner von Takt 113 an erlittenen Umbildung in der untersten liegt. Bei Gavotten, Menuetten, Bourrées und so auch bei den Chaconnen waren trioartige Gegensätze beliebt; ein solcher erscheint auch hier jetzt in D dur mit einer Umbildung des dritten Themas, die man aber wegen ihrer selbständigen Behandlung als fünftes auffassen muß:


 

3.


 

Von 133–209 wird es großartig und in immer freierer Weise, zuletzt einzig durch Festhaltung des Grundrhythmus variirt, dann kehrt das Moll wieder, in dem alle fünf Themen von neuem bearbeitet werden: bis 229 das dritte, bis 237 das fünfte (in der von Takt 161 erhaltenen Umbildung) mit dem zweiten combinirt, bis 241 das vierte, bis 249 noch einmal das dritte, schließlich krönt das erste in seiner Anfangsgestalt die in jeder Beziehung ungeheure Entwicklung. Der Hörer steht dieser Ciacone gegenüber wie einer elementaren Erscheinung, welche in ihrer unbeschreiblichen Großartigkeit entzückend, begeisternd wirkt und zugleich schwindelerregend und sinnverwirrend. Der überfluthende Gestalten-Reichthum, aus wenigen kaum bemerkbaren Quellen sich ergießend, verräth sowohl die genaueste Kenntniß der Violintechnik als die absoluteste Herrschaft über eine Phantasie, wie sie colossaler wohl niemals ein Künstler besessen hat. Man bedenke: das alles ist für eine einzige Geige geschrieben! Und was läßt einen dieses winzige Instrument erleben! – von der ernsten Größe des Anfangs an durch die nagende Unruhe des zweiten Themas zu den dämonisch auf- und abwärts jagenden Zweiunddreißigsteln, welche die Gestalt des dritten düster umhüllen; wieder von jenen zitternden Arpeggien, die kaum merklich sich regend wie Wolkenschleier über finsterer Bergschlucht hängen, die aber der stärker herwehende Wind nun zusammentreibt und dicht geballt mit Brausen in die Baumkronen hineinpeitscht, daß sie sich ächzend hierhin und dorthin neigen und abgerissene Blätter umherwirbeln, bis zu der feierlichen Schönheit des D dur-Satzes, wo der Abendsonnenschein sich ins Thal senkt: golden fließt es durch die Luft, golden ziehen die [705] Wellen des Stroms und werfen das Bild der Himmelskuppel zurück, der majestätischen, ins Unermeßliche aufragenden! Der Geist, des Meisters beseelt das Instrument zu den unglaublichsten Aeußerungen; am Schlusse des Dur-Satzes strömt es wie Orgelklang, zuweilen glaubt man wenigstens einen ganzen Chor von Geigen zu hören. Wer die musikalischen Gedanken einmal abstract betrachtet, wird glauben, das Instrument müsse bersten und brechen unter dieser riesigen Wucht, und vieles davon würde sicherlich selbst den Klangmassen der Orgel und des Orchesters gewachsen sein. Diese Ciacone ist ein Triumph des Geistes über die Materie, wie er sich glänzender noch nicht wiederholt hat. Viel ist man in neuerer und neuester Zeit bemüht gewesen, das kostbare Material auch für andere Instrumente umzuschmelzen. So wenig ästhetisch bedenklich dies ist – hat doch Bach durch seine eignen Ueberarbeitungen den Weg gewiesen33 – so sicher bedarf es aber auch einer Meisterhand zur glücklichen Ausführung, und es war keine zu geringe Aufgabe für zwei der größten Musiker der Neuzeit, Mendelssohn und Schumann, eine angemessene Pianofortebegleitung zu der Ciacona zu erfinden. Die mächtige Wirkung zeigt, wie intensiv und ausgiebig der Originalstoff ist. Doch hat Schumann, der bekanntlich sämmtliche sechs Violinsoli in dieser Weise bearbeitete, sowohl den allgemeinen Musik-Gehalt weit tiefer erfaßt, als auch die Ciaconen-Form insbesondere, durch genauere Verfolgung der Entwicklung von Periode zu Periode, klarer ins Licht gesetzt. Die Furcht, dadurch einen zerstückelten Eindruck hervorzurufen, wäre eben so unbegründet, als sie es beim Vortrag einer vollständigen Suite sein würde. Denn das Suitenprincip ist es, welches auch den Organismus dieser Ciacone belebt. Hier wie dort das Nebeneinndaer verschiedener Sätze und Satzgruppen auf dem Boden derselben Tonart, hier wie dort trotz allem Stimmungswechsel, aller Leidenschaftlichkeit als vorherrschender und jedem sich unmittelbar eröffnender Zug die ungestörte Einheit, die Ruhe. Und so hätte der Ciacone Verbindung mit der Suite endlich doch wohl noch einen tieferen Sinn, nämlich den, zwei gleich gestaltete Formen zu einem höheren Ganzen [706] zu verbinden, und damit der ihnen innewohnenden Idee die größtmögliche Steigerung zu Theil werden zu lassen. – An der Spitze der dritten Partie (E dur) steht ein unablässig in Sechzehnteln bald laufendes, bald arpeggirendes ungemein frisches Praeludium. Die Claviersuiten mit einem Praeludium einzuleiten, war nichts seltenes. Daß hier eine Stilübertragung stattgefunden hat, wird durch des Componisten eignes Thun bezeugt, der später den Satz, für obligate Orgel mit Orchester arrangirt und nach D dur transponirt, als Instrumentaleinleitung einer Rathswahlcantate von 1731 voranschickte34. Auf das Praeludium folgt weder Allemande, noch Courante, noch Sarabande, alle drei Formen fehlen in dieser Suite ganz. Bach hat einmal ganz frei nach dem Princip der Gegensätzlichkeit gestaltet, was er sonst nur noch in seinen Orchestersuiten sich erlaubte, wo er ein historisches Recht dazu besaß. So tritt denn zunächst im gemessenen Sechsvierteltakt eine Loure auf, eine ins Besonnene und Gemüthvolle hinüberspielende Nebenart der Gigue35. Sodann in Rondoform eine Gavotte, mit ihrer jauchzenden, den Boden stampfenden Fröhlichkeit ein echtes Stück ur-Bachischer Derbheit. Zwei Menuetten stehen ungefähr an Stelle der Sarabande, zierlich und würdevoll der erste, zart und anmuthig schwebend der zweite, Männlein und Fräulein. Zwischen ihnen und der endigenden Gigue ist noch eine Bourrée eingeschoben. Diese letzte Partie bedeutet in dem Gesammtwerke der sechs Soli etwa das, was die Gigue in der Einzelsuite: ihr heller Frohsinn läßt von der dämonischen Größe der übrigen kaum noch etwas merken; den Zusammenhang der Stimmungen vermittelt aber das Schluß-Allegro der C dur-Sonate.

Auch bei den sechs Compositionen für Violoncell allein36 drängt sich die Wahrnehmung eines Gesammtcharakters auf, welcher von dem des Violinwerkes in demselben Maße verschieden ist, wie die Instrumente an Ausdrucksfähigkeit einander entgegengesetzt sind. Die leidenschaftlich vordringende Energie, die oftmals zum Unheimlichen [707] gesteigerte innere Gluth ist hier einer ruhigeren Pracht und meist wohlthuenden Großartigkeit gewichen, wie sie die tiefere Stimmung, der gesättigtere Ton des Instrumentes nahe legten. In demselben Verhältniß, wie dort die Molltonarten vorherrschten (4:2), überwiegen hier die Durtonarten; während dort die Hälfte aus Sonaten bestand, werden hier nur Suiten geboten; während dort jede der Suiten in der Form verschieden war, stimmen sie hier sämmtlich auf das genaueste überein. Jedesmal beginnt ein mächtiges Praeludium, das aus breiten Arpeggien und wuchtigen Passagen kühn gewoben ist, ja in der fünften Suite hat Bach gar eine vollständige Ouverture im französischen Stil an diese Stelle gesetzt, deren düster-imposantes Adagio mit seinen langen Orgelpunkten über C und G vielleicht das einzige Beispiel bietet, wo Bach die chromatische Tonleiter durch zwei Octaven als Passage angewendet hat. Regelmäßig folgen darauf Allemande, Courante, Sarabande, und vor der abschließenden Gigue je zwei Intermezzi, die in den ersten beiden Suiten (G dur und D moll) aus Menuetten, in der dritten und vierten (C dur und Es dur) aus Bourréen, in den beiden letzten (C moll und D dur) aus Gavotten bestehen. Die durchaus conforme Anlage beweist auch, daß die letzte Suite mit den übrigen als Eins gedacht ist, und deshalb begreifen wir sie ohne weiteres unter die Violoncellsoli mit ein, obwohl sie für die von Bach erfundene Viola pomposa componirt ist. Der große Tonumfang, den dieses Instrument eröffnete, mag neben anderem ein Grund für die ausgezeichnete und ganz eigenartige Schönheit des Werkes sein und es muß auf das lebhafteste beklagt werden, daß mit dem Wiederverschwinden dieser Viola auch die Möglichkeit, die ihr bestimmte Suite originalgetreu zu hören, verschwunden ist37. Da Bach das Instrument selbst ersann, wird er es und auf ihm die Suite auch wohl selbst gespielt haben; man darf dies um so eher annehmen, als ihm überliefertermaßen ja auch die Spielart der Bratsche ganz geläufig war. Die technischen Schwierigkeiten derselben gegen die der Violinsoli abzuschätzen, darf ich mir als Laie nicht erlauben, doch scheinen sie höchst bedeutend zu sein. Für das Violoncell hatte er jedenfalls in dem Gambisten Abel einen Mann, der ihm mit technischen [708] Rathschlägen zur Hand gehen konnte und für den vermuthlich die Suiten auch geschrieben sind. Ihr Werth ist ebenfalls ein sehr hoher; die Entschiedenheit, mit welcher die Tanztypen ausgeprägt sind, stellt sie fast über die Violinsuiten, die unerschöpfliche Erfindungsfülle ist ihnen mit diesen gemeinsam. Ein einziges Mal, in der C dur-Suite, wird die Courante aus der Allemande entwickelt; es ist dies die Einschränkung, mit der oben (S. 694) ein zusammenfassendes Urtheil abgegeben wurde. Auch auf den großartigen Aufbau der C moll-Courante, die sich über einem taktweise aus der Tiefe emporsteigenden und im zweiten Theile eben so langsam wieder absinkenden Tonleitergange hinbewegt, sei als auf eine hervorstechende Merkwürdigkeit aufmerksam gemacht. –

Die Art, in welcher Bach Violine und Violoncell als allein stehende Instrumente behandelte, mußte sich natürlich ändern, sobald durch Hinzutreten eines andern, stützenden Instruments alle die Kunstmittel zur Verdeutlichung der Harmonie fort fielen, die, mochten sie mit noch so meisterlicher Geschicklichkeit gehandhabt werden, doch nicht immer den Schein des Gezwungenen ganz fern halten konnten. Die gebräuchlichsten Verbindungen waren die eines, oder zweier beziehungsweise dreier Streichinstrumente mit dem Flügel, jenes nannte man Solo, dieses Trio, was insofern nicht ganz consequent war, als beim Trio der Streichbass, wenn er überhaupt zugezogen wurde, nur den Cembalobass verstärkte, beim Solo aber ein accompagnirendes Cembalo stillschweigend mitverstanden wurde. Das Geschäft des Begleiters war ein secundäres; er hatte nur den Hintergrund herzustellen, auf dem die andern Stimmen sich bewegen könnten, deshalb zeichnete man auch seinen Part nicht vollständig auf, es genügten die über der Bassstimme durch Ziffern angegebenen Harmonien, welche zu einem lücken- und fehlerlos fortgesetzten Gewebe aus dem Stegreif verbunden werden mußten. Bach schloß sich dieser Sitte an, doch nicht ohne sie von seinem Standpunkte aus zu modificiren. Ein in bloßen Accordfolgen sich fortschiebender Satz, dessen Bedingungen ganz außerhalb desselben lagen, entsprach zu wenig seinem überall nach organischer Einheit trachtenden Kunstsinne. Der Basso continuo hatte seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts, wo ihn der Italiäner Ludovico Viadana zum ersten Male bei ein- und mehrstimmigen Vocalsachen anwendete, bis auf Bachs Periode [709] in allen Gattungen der Kunst – denn es gab kaum eine nennenswerthe, in der er ganz fehlte – einen überaus fördernden Einfluß geübt: alle Tonkräfte hatten sich mit einer freien Sicherheit zu geben und zur Geltung zu bringen gelernt, die ohne ihn schwerlich so und jedenfalls nicht in so auffallend kurzer Zeit erfolgt wäre. Aber das höchste Ziel war nun doch auch, sich entweder von dieser Stütze ganz los zu machen oder durch emsigste Pflege sie selbst zum Ausschlagen und zu so fröhlichem Wachsthum zu bringen, daß sie die an ihrem Stamme emporrankenden Pflanzen übergrünte, durch ihre Zweige umhüllte und mit sich Eins werden ließe. Die gesammte Kunstentwicklung drängte auf den zweiten Weg. Bach übertrug den polyphonen Clavierstil auch auf dieses Gebiet und so ist seine Schreibweise für die vom Cembalo gestützten Instrumente wohl eine weniger fremdartige, als bei den eben besprochenen Solocompositionen, aber doch wieder eine nicht ausschließlich durch deren innere Natur, sondern durch das bereits ausgebildete Wesen Bachscher Polyphonie bestimmte, wenn man will, orgelgemäße.

Es ist von Wichtigkeit, über die Bachschen Grundsätze in Ausführung des Accompagnements zur größtmöglichen Klarheit durchzudringen, weil dieser üppige Zweig damaliger Kunstpraxis jetzt ganz abgestorben ist und doch auf seiner richtigen Wiedererweckung ein wesentlicher Theil der Möglichkeit beruht, die Bachschen Kunstwerke für unsere Zeit ganz zugänglich zu machen. Vor allem sind – wir reden hier zunächst nur von Kammermusik – zwei Fälle zu unterscheiden. Ueber die Gewohnheit der Zeit hinaus hat Bach grade in seinen vorzüglichsten Werken das Clavier obligat behandelt. Diese Werke sind fast durchaus strenge Trios, wirkliche dreistimmige Sätze, zu denen das Clavier zwei Stimmen, eine Geige, Gambe oder Flöte die dritte liefert; ein einziges Largo giebt sich als Quatuor, in dem dann das Clavier drei Stimmen übernimmt. Der harmonische Hintergrund ist fast ganz aufgelöst. Nur wenn zur Eröffnung eines Satzes oder einer neuen Durchführung im Satze das Thema von dem concertirenden Instrument über dem stützenden Basse zum ersten Male vorgetragen wird, sollen, um es mit allseitiger Bestimmtheit hinzustellen, füllende Accorde angeschlagen werden. Bach, der es beim Nieder- oder Ausschreiben seiner Werke mit der Bezifferung meist sehr genau nahm und dazu um so mehr Grund hatte, je weiter [710] seine Praxis, wie es hier der Fall war, von der gewöhnlichen abwich, läßt uns über diese Absicht durch seine eignen Handschriften nicht im Zweifel. Außerdem finden sich noch wenige zerstreute Stellen, und zwar immer solche, in denen das concertirende Instrument über dem nackten Cembalobasse notirt ist, welchen ein paar leicht ausfüllende Accorde zugedacht sind; das ist dann durch Bezifferung angedeutet oder mit einem Worte gefordert und kennzeichnet sich dadurch genügend als Ausnahme. Im Allgemeinen aber wird eine harmonische Ergänzung durch den bewunderungswürdig belebten, perfecten dreistimmigen Satz nicht nur überflüssig, sondern gradezu unmöglich gemacht, wenn anders nicht die Schönheit der Linien gründlich verdorben werden soll. Wo einmal eine Stimme zur Mehrtonigkeit erweitert wird, geschieht dies, einen vereinzelten volleren Accord nicht gerechnet, in durchaus organischer Weise und wird in der Clavierstimme so genau aufgezeichnet, wie in der Violinstimme. Es ist der Freiheit des Kammerstils und dem trocknen, unwirksamen Cembalo-Tone zuzuschreiben, wenn überhaupt ein Satz nicht von der ersten bis zur letzten Note nur dreistimmig ist. Bachs Ideal war dies wenigstens; man sieht es mit aller erforderlichen Deutlichkeit aus den sechs großen Orgelsonaten für zwei Manuale und Pedal, welche uns für später noch zu betrachten bleiben und formell ganz mit den meisten Kammertrios übereinkommen, man hat es bereits aus den dreistimmigen Clavier-Sinfonien gesehen, und wie wir diese als einzig in ihrer Art preisen durften, ist auch die accompagnirte Violinsonate durch Bach in einer Weise idealisirt, die einen Vergleich mit andern, auch den besten, Zeitgenossen von vornherein unmöglich macht38.

Es fehlen nun aber auch solche Compositionen nicht, in denen der allgemeinen Sitte gemäß das Cembalo nach einem bezifferten Basse zu begleiten hat. Noch am Ausgange des 17. Jahrhunderts war nicht selten eine dreistimmige Begleitung genügend erschienen, in der folgenden Periode aber die vierstimmige zur allgemeinen Regel erhoben, die, um der Klangarmuth des Cembalo abzuhelfen, noch beliebig verdoppelt werden konnte39. Daß auch Bach vollstimmig [711] zu begleiten liebte, ist uns durch mehre seiner Schüler ganz sicher bezeugt. Natürlich schließt das nicht ein beständiges Arbeiten mit vier oder mehr Stimmen ein; sondern giebt nur die Durchschnitts-Beschaffenheit an, denn zu einem guten Begleiter gehörte es, sich in jedem Augenblicke nach Form und Ausdruck des betreffenden Tonstückes zu richten40. Johann Christian Kittel, einer der letzten Bachschen Schüler (geb. 1732), giebt eine interessante Schilderung, wie es in Leipzig bei den Proben zu einer Cantate unter des Meisters Direction zuzugehen pflegte: Es »mußte allemal einer von seinen fähigsten Schülern auf dem Flügel accompagniren. Man kann wohl vermuthen, daß man sich da mit einer magern Generalbassbegleitung ohnehin nicht vorwagen durfte. Demohnerachtet mußte man sich immer darauf gefaßt halten, daß sich oft plötzlich Bachs Hände und Finger unter die Hände und Finger des Spielers mischten und, ohne diesen weiter zu geniren, das Accompagnement mit Massen von Harmonien ausstaffirten, die noch mehr imponirten, als die unvermuthete nahe Gegenwart des strengen Lehrers«41. Hier trat das Talent des Improvisirens, das Bach in so erstaunlichem Maße besaß (s. S. 640 f.), in sein Recht ein. Am meisten Raum war ihm gegenüber einem Solo gewährt. »Wer das Delicate im Generalbass und was sehr wohl accompagniren heißt recht vernehmen will,« sagt sein Leipziger Freund Mizler, »darf sich nur bemühen, unsern Herrn Capellmeister Bach allhier zu hören, welcher einen jeden Generalbass zu einem Solo so accompagnirt, daß man denket, es sei ein Concert und wäre die Melodey, so er mit der rechten Hand machet, schon vorhero also gesetzet worden«42. Und in noch helleres Licht stellt Bachs Kunst, polyphon zu begleiten, die Ueberlieferung Heinrich Gerbers, der unter seiner Anleitung das Generalbassspiel an den Bässen der Albinonischen Violinsoli hatte üben müssen, und dieselben »nach Bachs [712] Manier« so ausführte, daß der Sohn »besonders in dem Gesange der Stimmen unter einander nie etwas vortrefflicheres gehört« haben wollte, und meinte, das Accompagnement sei schon an sich so schön gewesen, daß keine Hauptstimme etwas zu dem Vergnügen, welches er dabei empfunden, hätte hinzuthun können43. In etwas können auch wir noch die Wahrheit des Gerberschen Urtheils bestätigen. Zu einem kleinen Menuett einer Flötensonate in C dur44 ist das vollständig ausgeschriebene eigne Accompagnement Bachs erhalten, und in der That wie ein selbständiges Stück beschaffen. Es ist, der zarten Natur des Menuetts gemäß, meistens dreistimmig, die Oberstimme gleitet in graziösen Achtelgängen dahin, markirt immer die Hauptschritte der Melodie und schwingt sich im Uebrigen frei über sie weg oder unter ihr her. Sodann giebt es eine italiänische Cantate mit ausgeführtem Accompagnement für deren letzte Arie, das man, da die Singstimme in lückenlosem melodischen Zuge hinströmt, nicht eigentlich obligat nennen kann, obgleich eine gewisse Sechzehntelfigur darin vielfach durchgeführt wird. Beide Hände sind hier in contrapunctirenden Passagen, in Arpeggien und vollgriffigen Accorden unausgesetzt in Thätigkeit und die Begleitung würde fast überladen erscheinen, wenn nicht eben die Tonarmuth des Cembalo sie rechtfertigte45. Solchen Thatsachen gegenüber kann man sich des niederschlagenden Gefühles nicht erwehren, daß eine gänzlich dem Sinne Bachs genügende Ausführung seiner Instrumentalsoli mit beziffertem Basse für uns jetzt unmöglich geworden ist. Hätte jedoch der Meister seine Art der Begleitung für die Gesammtwirkung als wesentlich erachtet, so würde er auch hier eine obligate Clavierstimme hingeschrieben haben. Er ließ sie aber mit einfachem Generalbass durch seine Schüler unter die Leute verbreiten, er mußte also alles, was für einen vernünftigen Spieler nöthig ist, ausgedrückt zu haben glauben, und wir dürfen uns damit trösten, daß also auch ein ganz einfaches Accompagnement seinen Intentionen nicht zuwider gewesen ist.

Je mehrstimmiger aber ein Satz wurde, desto weniger Spielraum [713] blieb für die freie Improvisation. Bei der großen Kunst und Vorliebe, mit welcher Bach den dreistimmigen Satz behandelte, muß man überzeugt sein, daß schon beim Trio mit beziffertem Basse nichts zur notwendigen Ergänzung übrig blieb. Und ein glücklicher Umstand liefert dafür den unumstößlichen Beweis. Ein Trio für zwei Flöten und Cembalo ist vom Componisten später zu einer Sonate für Gambe und obligates Clavier umgeändert46. Beide Male liegen die Autographe vor. Zu der ersten Fassung ist die Bassstimme sorgfältig beziffert, zu der zweiten findet sich von einer Bezifferung auch nicht die leiseste Andeutung. Es leuchtet ein, daß dann im ersten Falle das Accompagnement unmöglich sehr selbständig gewesen sein kann, daß sein Zweck nicht sowohl der einer harmonischen Ergänzung, als einer Vermittlung der verschiedenen Klangkörper war. Sollte einmal das Cembalo den Bass vertreten, so mußte zwischen dessen sprödem, kurzem Tone und der saftigen Fülle der Flöten oder in andern Fällen der biegsamen Eindringlichkeit der Geigen ein gewisses Gleichgewicht hergestellt werden; dies war nicht nöthig, sowie das Cembalo zwei Stimmen übernahm und dadurch in die Tonlage des andern Instruments hinübergriff. Die Vierstimmigkeit des Accompagnements ist durch einen von des Meisters besten Schülern, Johann Philipp Kirnberger, bezeugt, der zu einer Trio-Sonate desselben ein solches ausführte, und es deutlich als den Willen Bachs hinstellte47. Dasselbe schließt sich durchaus dem Gange der aufgezeichneten Stimmen an, verdoppelt sie mit Hinzufügung eines vierten Tones oder giebt nach der Grundregel, daß beim Accompagnement die Hände sich nicht zu weit von einander [714] entfernen sollen48, ihre Harmonie in anderer Lage; von eigenmächtigem Gebahren ist nirgends eine Spur. Bach selbst mag hierin manchmal anders gehandelt haben. Seinem harmonischen Scharfsinne gefiel es zuweilen, wenn ihm jemand ein Trio vorlegte, zu den drei Stimmen eine durchgehende vierte zu extemporiren, und was er bei fremden Sachen that, konnte auch wohl bei den eignen geschehen. Aber dies waren mehr die Wirkungen guter Laune und eines freudigen Kraftgefühls, ebenso wie er wohl aus einer bloßen Bassstimme ein vollständiges Trio oder Quatuor abspielte, oder aus drei neben einander gelegten Stimmen ein unbekanntes Stück ohne Anstoß zusammenlas49. Regel blieb das einfach stützende vierstimmige Accompagnement. Der Klangcharakter des Cembalo sorgte schon dafür, daß die Linien der Hauptstimmen nicht verwirrt noch verwischt wurden. Zu diesem Geschäfte ist der moderne Flügel weit weniger angemessen und erfordert doppelte Vorsicht und Discretion.

In den Concerten nun gar und Orchestersuiten folgt die Begleitung durchaus den Harmonienwendungen der ausgeschriebenen Stimmen, welche sie sich nach Bedürfniß vereinfacht. Die durchgehenden, Neben-und Wechselnoten bleiben gewöhnlich unberücksichtigt, die Ausführung geschieht in der mittleren Tonlage, so daß in jeder Hinsicht nur die Darstellung des harmonischen Kerns die Aufgabe des Begleiters bildet. Bei fugirten Stellen pflegte man in älterer Zeit, wo die Contrapunctirung so sehr viel einfacher war, jedesmal die Stimme, welche das Thema hatte, mit wirklichen Noten über dem Continuo anzudeuten, ja von Bach selbst existiren noch zwei Clavierfugen, die mit Hülfe der Bezifferung nur auf ein System geschrieben und freilich auch im Verhältniß zu seinen übrigen von sehr einfacher Beschaffenheit sind50. Sonst aber pflegt er auch bei Fugen alles, was er von der Begleitung verlangt, mit bewunderungswerther[715] Deutlichkeit durch die Ziffern auszudrücken, so daß noch jetzt jeder einigermaßen in die Kegeln des Generalbassspiels eingeweihte Musiker ohne Mühe einen fließenden Tonsatz daraus herzustellen vermag, in jener Zeit aber ein an Bachs Schreibweise gewöhnter Begleiter den Continuo ganz leicht und fehlerlos ausführen konnte. Seine Schreibweise war allerdings in vielen Punkten abweichend und dem eignen Stile angepaßt, er forderte von seinen Schülern, daß sie dieselbe. etwa so wie die Musikschlüssel, richtig lesen lernten. So notirte er, um bei den vielen durchgehenden Bassnoten seiner Compositionen jeden Zweifel über die zugehörige gemeinsame Harmonie auszuschließen, dieselbe immer mit Ziffern, welche von dem ersten Tone des betreffenden Notencomplexes aus berechnet waren, mochte derselbe dissonirend sein oder nicht; die Harmonie blieb dann liegen bis zur nächsten Bezifferung oder bis die Wendung dem Ohre eine Auflösung in den Dreiklang anzeigte51. In Betreff der Bachschen Clavierconcerte mit Orchester ist es merkenswerth, daß hier die Generalbass-Begleitung auf einem zweiten Flügel ausgeführt, der erste also ganz als Soloinstrument angesehen wurde52. In den Kammermusikwerken für Gesang wurde noch bei den Ritornellen der Arien, die allein zum Cembalo gesungen werden, eine besondere Anforderung an den Begleiter gestellt, insofern hier eine ganze Periode auch melodisch zu gestalten und abzurunden war. Gewöhnlich ließ sich das Material dazu aus der folgenden oder vorhergehenden Gesangsmelodie entnehmen. Zuweilen lag es jedoch im Basse selbst, dann war es die Aufgabe, in den Oberstimmen eine richtige und fließende Contrapunctirung vorzunehmen.

Resultat ist also, daß Bach bei obligater Behandlung des Claviers dem freien Accompagnement bis auf wenige, ganz bestimmte Fälle garnichts zu thun übrig ließ, daß er bei Ausführung eines bezifferten Basses einem Soloinstrumente oder einer Solostimme gegenüber [716] seinem Improvisationstalente nachzugeben liebte, ausnahmsweise nur bei Trios oder reicher gewobenen Tonstücken, daß er überall aber, wo er bloße Bezifferung vorschrieb, eine correcte vierstimmige Ausführung derselben für genügend hielt. Vom dreistimmigen Satze aufwärts sind seine Harmonien keiner Ergänzung mehr bedürftig, der Zutritt des Cembalo dient alsdann nur noch der Zusammenschmelzung des Tonmaterials. Seine Bedeutung wird aber dadurch um nichts geringer. Dem äußeren Blicke fast entzogen, bestimmt es dennoch dynamisch das ganze Kunstgebilde, denn seinem Wesen sind die concertirenden Instrumente assimilirt, nicht umgekehrt. Es bleibt die verborgene Wurzel, welche dem Stamm die Säfte zuführt. Diese Wurzel aber wird größtentheils wiederum durch den Orgelquell getränkt. Dadurch rechtfertigt sich der Hauch von Fremdartigkeit, der für uns auch über dieser Kammermusik liegt und eine freilich schnell erreichte Gewöhnung fordert, weil eben grade dasjenige, was Cembalo und Orgel gemeinsames hatten, dem zu substituirenden modernen Flügel fehlt. Was nun in der Kammermusik das orgelbeeinflußte Cembalo bedeutet, genau das ist in der Kirchenmusik die Orgel selbst und alles was von der Begleiterrolle jenes Instrumentes gesagt wurde, gilt unter den genannten Verhältnissen ausnahmslos von diesem. Daß der Stil von Bachs Kirchencompositionen bis in alle seine Specialitäten aus der Orgelmusik hervorgegangen ist, haben wir an früherer Stelle nachgewiesen. Um das Gefühl davon unablässig wach zu erhalten war das unausgesetzte Eingreifen dieser die disparaten Elemente beherrschenden und zusammenhaltenden Macht nothwendig, wie denn auch sie allein noch im Stande war, eine wirkliche Kirchenmusik herzustellen. Und darum ist es eben so bedeutungsvoll wie zugleich selbstverständlich, daß Bach, obgleich schon damals unter der Autorität der Italiäner auch in die Kirchen das accompagnirende Cembalo sich einzudrängen suchte, unverrückt zum Generalbassspiel dennoch nur die Orgel verwendete. Man nehme sie hinweg und dem Tonwerke ist die Seele entzogen, ein Automat bleibt übrig. Entscheidende Belege dafür, daß Bach die Sache so ansah, sind auch hier drei von ihm selbst aus Kirchencantaten für die Orgel allein arrangirte Sätze, zwei dreistimmige und ein vierstimmiger, welche in den Cantaten, wo sie aus Singstimmen und Instrumenten über einem Continuo gebildet sind, [717] eine Generalbass-Begleitung haben, während sie als Orgelstücke ganz frei dastehen53. Natürlich änderte sich die Beschaffenheit des Accompagnements nach dem Charakter des Instrumentes, auf saubern vierstimmigen Satz wurde noch strenger gesehen, die vollgriffigen Verdopplungen des Cembalos waren ausgeschlossen, weil durch Registrirung herstellbar. Aber eine Theilnahme der Art, daß der Orgel auch das Speciell-Wesentliche für jedes einzelne Musikstück anvertraut gewesen, und somit Bachs gesammte Kirchenmusik uns nur skizzenhaft überliefert wäre, hat nicht stattgefunden. Es war genug geschehen, wenn die Orgel die allgemeine Ausdrucksweise bestimmt hatte, als mitwirkendes Instrument blieb sie secundär, die Hauptsachen wurden in Notenschrift aufgezeichnet54.

Von Sonaten für Violine und obligates Clavier vereinigte Bach wiederum sechs zu einem Ganzen. Das Jahr ihrer Entstehung oder Vollendung läßt sich nicht genau ermitteln, doch meldet eine sehr zuverlässige Ueberlieferung, daß sie in Cöthen geschrieben wurden55. Den Verhältnissen nach ist von drei Sonaten für Gambe und Clavier und eben so vielen für Flöte und Clavier dasselbe äußerst wahrscheinlich. Die Vergleichung dieser drei collectiven Werke zeigt aber mit überraschender Klarheit, wie sehr Bach, obschon er nicht zunächst aus der Idee einer Geige, Gambe, Flöte heraus schuf, dennoch auf dieselben Rücksicht nahm, so daß, den allgemeinen Stil einmal abgerechnet, in der That der Charakter eines jeden jener Instrumente hell und deutlich durch die ihnen bestimmten Compositionen zurückgespiegelt wird. Die Violinsonaten sind sämmtlich durchzogen von dem Hauche jener gesunden Männlichkeit, die, wenngleich der verschiedensten Schattirungen fähig, doch immer der Grundcharakter der Violine bleiben muß. Zu [718] diesem gemeinsamen Zuge kommt die Uebereinstimmung der Gesammtform, welche, mit einziger Ausnahme der letzten Sonate, die schon bekannte viersätzige ist. Mit der bei den Solosonaten gegebenen Beschreibung der Einzelformen reichen wir aber hier nicht mehr aus; nicht umsonst hatte Bach die Violinsonate in sein eigenstes Gebiet hinüber gezogen. Zu so kühnen Dimensionen erweiterte er theilweise den Bau der einzelnen Sätze, daß er mit ihnen fast über ein Jahrhundert hinüber neben die voll ausgebildeten Formen der Beethovenschen Sonate tritt. Der Hauptfortschritt besteht in der Benutzung der italiänischen Arienform und deren genialer Verschmelzung mit dem fugirten Kammerstil; dadurch wird die Dreitheiligkeit mit derselben Entschiedenheit, ja fast noch entschiedener hervorgekehrt, als im Beethovenschen Sonatensatze, auch das Verhalten der Theile zu einander ist dasselbe, indem der dritte den ersten repetirt, der zweite meisten- und größtentheils gegebenen Stoff verarbeitet; nur insofern bleibt ein Unterschied bestehen, als der neuere Sonatensatz sich aus der zweitheiligen Lied- oder Tanzform, der ältere aus der Fuge entwickelte und demgemäß dort das homophone, hier das polyphone Wesen mit seinen Consequenzen vorherrscht. Es wurde oben schon erwähnt, daß die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Sätze der älteren Sonate, wenn man das erste Adagio als Einleitungssatz auffaßt, von denen der neueren Sonate nicht weiter verschieden sind. Wie nun hier das erste Allegro den eigentlichen Typus des dreitheiligen Organismus abgiebt, so auch meistens bei Bach; für das letzte Allegro pflegt er, wie es allgemein Brauch war, nun auch seinerseits die zweitheilige Tanzform zu benutzen, und combinirt mit ihr die Fugenform in nicht minder bewunderungswürdiger Weise. Daß er von hier aus nicht zu jener ausgeführten Beethovenschen Dreitheiligkeit fortschritt, geschah weil die zweitheilige Form mit Repetition die freie Entfaltung seines Stils zu sehr hemmte. In der Ausdehnung jedoch, wie sie bei Philipp Emanuel Bach und meistens auch noch in den Claviersonaten Haydns und Mozarts als erster Sonatensatz angewendet wird, war sie ihm längst geläufig, hierauf wurde schon bei der E dur-Invention hingewiesen, und der Solosatz für Cembalo in E moll aus der letzten der Violinsonaten ist ein ganz vollendetes Muster der Art. Neue Instrumentalformen sind überhaupt in der nach-Bachischen Zeit garkeine [719] mehr geschaffen, nur Modifikationen der schon vorhandenen und von Bach mit Meisterschaft cultivirten fanden noch statt, und die Summe aller Umbildungen des nachfolgenden Jahrhunderts erreicht noch lange nicht die Anzahl der Formen, welche er allein zur Vollendung brachte.

Die sechs Violinsonaten stehen in H moll, A dur, E dur, C moll, F moll, G dur56 und sind trotz ihrer übereinstimmenden Anlage von einer staunenswerthen Verschiedenheit. Die erste wird durch ein Adagio im 6/4 Takt eröffnet, gleich breit und prachtvoll in Melodie wie Harmonie. Trotz seines vorbereitenden Charakters hat es doch eine ganz geschlossene Form, indem erstens sowohl ein bestimmtes Bassmotiv, als ein und dieselbe schwankende Achtelbewegung durch das ganze Stück festgehalten wird, zweitens der von Takt 13 bis 20 in der Dominante erscheinende Abschnitt von Takt 24 bis 31 in der Haupttonart wiederkehrt, wonach dann die letzten Gänge auf den Anfang des Satzes zurückdeuten, so daß die beiden Haupttheile je zwei Unterabtheilungen haben, welche sich chiastisch entsprechen 3.. Dann folgt ein kräftiges fugirtes Allegro in dreitheiliger Arienform; im zweiten Theile (Takt 41–101) zeigt Bach seine in der Schule der Nordländer erworbene hohe Kunst motivischer Entwicklung des im ersten streng durchgeführten Themas; der dritte Theil ist die unveränderte Wiederholung desselben. Niemals tritt im Beginn dieser Fugensätze das Thema ohne unterstützenden Bass auf, eine aus dem italiänischen Kammerstile herübergenommene Freiheit, die schon bei den Clavier-Sinfonien ihre Erwähnung fand. Nun das zweite, das eigentliche Adagio, hier Andante in D dur, ein wunderholdes, wie aus lauter Blumenketten gewobenes Stück, und von einem Organismus, wie ihn kein Beethovensches Adagio tadelloser besitzt; besonders verdient Beachtung, mit welch feinem Kunstgefühl das zart-innige Seitenthema nach Wiederkehr des Hauptthemas in der Unterdominante erscheint (Takt 22 ff.). Den Beschluß macht ein zweitheiliger Satz mit Repetitionen, fugirt, doch so, daß das Thema gleich mit zweistimmiger Contrapunctirung auftritt; sein Charakter ist trotzig und herausfordernd, man sehe außer dem[720] vortrefflich erfundenen Thema die plötzliche Wendung auf die Dominante am Schlusse des ersten Theils, die kühne Einführung des Sextaccordes von C dur dicht vor dem Ende. Die zweite Sonate, jetzt wohl die bekannteste unter den sechsen, hebt mit einem Satze im 6/8 Takt an, welcher aus einem eintaktigen Thema, nachher in Verbindung mit einem flüsternden Sechzehntelmotiv (aus Takt 8), sehr zart gesponnen wird. In markigen Gegensatz dazu tritt das herrlicheAllegro assai 3/4. Die Form ist wie in der H moll-Sonate, der letzte Theil die genaue Wiederholung des ersten, die Beschaffenheit des mittleren aber eine andre. Hier tritt nämlich (Takt 30–33) ein neuer Gedanke auf, den alsbald das Hauptthema ablöst, so daß nun eine Durchführung in der früher beschriebenen Form des Concertsatzes entsteht; endlich entwickeln sich aus dem neuen Gedanken breite Violinarpeggien, zu ihnen spinnt über einem mächtigen Orgelpunkte von 19 Takten der Flügel das Hauptthema motivisch aus und schwingt sich dann in den dritten Theil hinüber. Von dem allbekannten, tiefsinnigen und melodieschönen Fis moll-Canon sei nur erwähnt, daß seine zwei Abschnitte sich ungefähr umgekehrt zu einander verhalten, wie die des ersten Satzes der H moll-Sonate: die viertheilige Anfangsperiode führt nach Cis moll, und beginnt dort gleich von neuem, weiß aber durch Einschiebung eines Mittelgliedes und Wiederholung des zweiten schon hier nach Fis moll zurück zu gelangen; nach Abschluß ertönt dann der innig-wehmüthige Anfang noch einmal wie ein Nachklang entschwundener Zeiten und bereitet mit einem Halbschlusse das letzte Presto vor. Es ist zweitheilig und fugirt, doch arbeitet der zweite Theil vorzugsweise sein eignes Thema durch und nimmt erst am Ende das erstere in neckischen Engführungen wieder auf. Von der dritten Sonate der erste Satz läßt die Geige frei und gesangreich schweifen über einem mit gewohnter Consequenz durchgeführten Begleitungs-Motive; der zweite stimmt formell mit dem der A dur-Sonate überein, nur wird die Wiederholung des dritten Theils abgekürzt. An dritter Stelle findet sich ein Adagio in Cis moll von ergreifendstem Ausdruck. Es ist eine Ciacone mit 15maliger Wiederholung des Bassthemas, außerdem hat aber Bach auch in den Oberstimmen ein selbständiges Thema durchgeführt und dem Ganzen genau die zu größeren Proportionen erweiterte Form des Fis moll-Canons [721] gegeben, zu welchem dies Adagio überhaupt wohl das Gegenstück bilden sollte. Der letzte Satz ist nicht zwei- sondern dreitheilig, im Mitteltheile wieder concertmäßig ausgeführt, seine Repetition eine vollständige. An der Spitze der vierten Sonate begegnet uns als Largo ausnahmsweise ein Siciliano, ganz in Leid und Klage getaucht, im Beginne übereinstimmend mit der berühmten H moll- Arie der Matthäus-Passion »Erbarme dich, mein Gott, um meiner Zähren willen«. Ein ungemein kraftvolles und kerniges Allegro reißt aus dieser Stimmung empor: der reichste und breiteste Satz seiner Art in der gesammten Sonatensammlung. Die große Gedankenfülle trieb hier zur Erweiterung auf vier Theile, indem dem dritten noch ein zusammenfassender Epilog angehängt wurde (Takt 89–109), auch ist jener (55–89) durchaus nicht bloße Repetition, sondern mit großer Freiheit umgebildet und mehr noch als der zweite Theil (Takt 34–55) Schauplatz interessanter motivischer Hervorbringungen. In schöner Ruhe, warm und mild wie ein Sommerabend, zieht das Es dur-Adagio vorüber; zu einem einfachen Triolen-Accompagnement ertönt der Geige Gesang, sinnend sich unterbrechend und dem eignen Echo lauschend, erst gegen Ende in einen vollen Empfindungsstrom gesammelt. Ein von Bachischer Arbeitsfreudigkeit beseeltes zweitheiliges Allegro macht den Schluß; auch hier hat der zweite Theil seine eigne Fugirung. Es folgt die fünfte Sonate, eingeleitet von jenem Largo, das allein vier reale Stimmen verwendet. Schon dadurch besonders hervorgehoben, ist es auch sonst eins der machtvollsten Stücke der Sammlung und unter den Bachschen Kammermusikwerken überhaupt. Der dreistimmige Clavierpart ist so selbständig, daß man ihn fast durchweg auch allein spielen kann, die Geige redet hinein bald in abgebrochenen Sätzen, bald im breitesten – es ist 3/2 Takt – und scheinbar unendlichen melodischen Ergusse. Und weit entfernt, in dem Organismus ein fremdartiges Element zu bilden, erhebt sie diesen vielmehr auf eine edlere Stufe, keine seiner wirkenden Kräfte schädigt sie, allen nur giebt sie eine gemeinsame höhere Richtung – gleichsam die musikalische Nachbildung eines ewigen Naturprocesses. Hundert und acht Takte gliedern sich in vier scharf begränzte Theile, deren erster auf der Durparallele schließt (T. 37); der zweite, imitatorisch und motivisch weitergehend, gelangt nach C moll (T. 59), der dritte greift in dieser [722] Tonart auf den ersten zurück, doch mehr nur um ihn in Erinnerung zu bringen, kommt dann davon ab und erst als (T. 88) wieder in die Haupttonart eingelenkt wird, folgt im vierten Theil eine wirkliche Repetition, welche abkürzend Anfang und Ende des ersten Theiles an einander fügt. Das Thema, aus welchem ausschließlich der Claviersatz gewirkt ist:


 

3.


 

 

findet sich unmerklich abweichend in einer achtstimmigen Motette wieder: »Komm, Jesu, komm, gieb Trost mir Müden, Das Ziel ist nah, die Kraft ist klein«57, und nahe verwandt sind auch die Stimmungen. Eine nicht stürmische, aber unermeßlich tiefe Sehnsucht nach Erlösung und Frieden lebt in dem Satze, und spannt endlich mit einer solchen Allgewalt ihre Flügel aus, als ob sie alle irdischen Bande zu sprengen gewillt wäre. Stellen, wie Takt 90 ff. waren es auch besonders, welche befruchtend in Schumanns tief empfindende Brust fielen und von dort neue, herzerquickende Blüthen, wie das Andante seines Clavierquartetts, hervortrieben. Die Allegrosätze folgen in umgekehrter Reihe, der zweitheilige steht an zweiter, der dreitheilige an vierter Stelle, zwischen ihnen ein Adagio in C moll, das jenen träumerischen, nur auf harmonische Entwicklungen gegründeten Clavierpraeludien nachgebildet wurde: die Geige streicht in langsamer Achtelbewegung zweistimmige Accorde an, denen durch arpeggirende Sechzehntel der abwechselnden Hände größere Fülle gegeben wird58. – Die letzte Sonate weicht, wie gesagt, in ihrer Gesammtform wesentlich ab. Zunächst zählt sie fünf Sätze, drei langsame werden von zwei schnellbewegten eingerahmt, indem der erste Allegrosatz am Schlusse wiederholt werden soll. Es giebt kein zweites Beispiel einer solchen Formerweiterung unter Bachs Werken, und doppelt auffallend ist sie an einer Composition, die mit fünf andern, durchaus unter einander gleichgestalteten ein Gesammtwerk auszumachen bestimmt war. Künstlerische Gründe können es kaum gewesen sein, die grade an dieser Stelle eine solche Unregelmäßigkeit [723] hervorriefen; ich glaube eher an persönliche, im Leben des Componisten gegebene Motive, für deren Erforschung jedoch jede sichere Handhabe fehlt. Uebrigens waltet in der Form die höchste künstlerische Vernunft: den Kern des Organismus bildet, auch dem Gehalte nach, der dritte Satz: Cantabile, ma un poco Adagio (G dur), um ihn ziehen die beiden andern Adagiosätze, E moll und H moll, und weiter hinaus die Allegros ihre concentrischen Kreise. Alle sind von ganz eigener Beschaffenheit und mit sichtbarer Vorliebe geschrieben. Im ersten, dreitheiligen, Satze eilen Sechzehntelgänge unaufhörlich geschäftig auf und nieder, lockende, neckende Rufe tönen herüber und hinüber; es ist als sähe man in eine fröhlich wimmelnde Menschenmenge. Der ernste zweite Satz, Largo, ebenso wie der schmerzlich verlangende vierte, Adagio, sind mit weiser Ueberlegung kurz gehalten, um das Herz des Ganzen nicht zu beklemmen. Dieses, ein weit ausgeführtes Stück im 6/8 Takt und in vollentwickelter dreitheiliger Form, ist durch eine seltsame, bräutliche Stimmung ausgezeichnet; ein süßer Duft und, was bei Bach höchst selten sich findet, ein Hauch schöner Sinnlichkeit umschweben es. Auffallen muß schon die weitläufige Ueberschrift, dergleichen der Meister sonst zu verschmähen pflegt; dann aber entwickelt sich ein verständnißinniger Verkehr der beiden Oberstimmen unter einander, ein Austausch wie von Mund zu Munde, ein Verschmelzen beider zu einem Gedanken über einem nur stützend thätigen Basse, welches alles von dem sonstigen Triostile Bachs ganz abweicht. Und eben so einzig ist es auch, daß nicht alle drei Stimmen zusammen endigen: die Claviermelodie verstummt schon zwölf Takte vor dem Schlusse, während die Violine die gesammte melodische Partie des Eingangs über dem Generalbasse noch einmal zu Gehör bringt. Zur Rechtfertigung der »bräutlich« genannten Stimmung diene der Hinweis auf gewisse Arien in Bachschen Hochzeitsmusiken, vor allem auf die A dur-Arie der später für das Pfingstfest umgearbeiteten Cantate »O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe«59, sodann auf die G dur-Arie der Cantate »Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen«60. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß es [724] mir nicht einfällt, aus dieser Stimmung Schlüsse auf die Lebenslage Bachs zu ziehen, in welcher das Adagio entstanden sein könnte. Aber Dinge, die ihn persönlich nahe berührten, haben sicherlich eingewirkt; man erkennt es auch daraus, daß er in späteren Jahren, unbefriedigt durch die Gesammtform der Sonate, ihren Bestand zweimal, das letzte Mal noch am Abend seines Lebens veränderte, und daß keine dieser Aenderungen glücken wollte: bekanntlich lassen sich vorwiegend subjective Erzeugnisse mit dem vorrückenden Lebensalter schwerer und schwerer umformen. Ich wenigstens kann nicht finden, daß durch die Umarbeitungen, von denen die erste zwei, einer Clavierpartite bestimmte Tanzgebilde einmischt, die zweite dagegen an dritter Stelle gegen allen Brauch einen zweitheiligen Sonatensatz für Cembalo allein auftreten und diesem zwei ganz neue Schlußsätze folgen läßt, die Form irgendwie vervollkommnet werde, so schön die letztgenannten drei Sätze an sich sind. Der Mittelpunkt, das G dur-Adagio, ist in beiden Fällen herausgenommen, vielleicht weil es dem großartigen Kunstgefühle des Schöpfers mit der Zeit wegen seiner persönlichen Haltung nicht mehr behagte; dadurch aber mußte der ganze Bau ins Wanken gerathen61. –

Die Gambe war ein fünf- und mehrsaitiges Instrument, das an Umfang der Bachschen Viola pomposa ungefähr gleichkam – der tiefste Ton war D, der höchste ā – sich aber wesentlich von dieser dadurch unterschied, daß es Quarten- und Terz-Stimmung hatte und außerdem wie das Violoncell zwischen den Knieen gehalten wurde. Es gewährte also eine große Mannigfaltigkeit für die Tonbildung, der Grundcharakter war aber weniger markig als zart und empfindsam. Deshalb konnte Bach ein Trio, das anfänglich für zwei Flöten und Continuo gesetzt war, ohne Schädigung seines Grundcharakters für Gambe und obligates Cembalo umarbeiten62. Es ist diese viersätzige Sonate in G dur das lieblichste, reinste Idyll, [725] das sich erdenken läßt; nur in dem hochromantischen Andante (E moll) flüstert es leis und schaurig wie von schwach bewegten Blättern in Waldesnacht, und ein gespenstisches Tönen zieht bang durch die stillen Gründe (das genial erfundene viertaktige e der Gambe), sonst ist überall der blaueste Himmel, wohliger, fröhlicher Sonnenschein. Im letzten Satze, einer Fuge von jener ganz Bachischen, kräftigen Anmuth, treten zwischen die einzelnen Gruppen der Durchführung nach Corellischem Muster leicht und reizend gewobene Episoden, nach welchen jedesmal der unerwartete und doch so natürliche Eintritt des Themas doppelt erfreulich wirkt. Eine Vereinigung dieser Sonate mit den beiden andern zu einem Collectivwerke hat der Tonsetzer nicht vorgenommen und wie es scheint auch nicht beabsichtigt, da von zweien die sehr sorgfältigen Einzelautographe vorhanden sind. Die zweite Sonate (D dur) steht an Werth etwas zurück, und ist sogar im ersten Allegro nicht von einer gewissen Steifheit frei63. Hingegen ist die dritte (G moll) wieder ein Werk von höchster Schönheit und frappantester Eigenart64. Sie hat nur drei Sätze, wie ein Concert, und an der Bildung der Allegros hat auch die Concertsatzform einen sehr wesentlichen Antheil. Das erste Allegro beginnt wohl in Sonatenmanier, aber das lange, an motivischem Stoff reiche Thema läßt sofort eine freiere Entwicklung voraussehen. In der That erfolgt gar keine fugengemäße Fortführung in der Dominante, sondern eine reicher ausgestattete Wiederholung in der Tonika, dann motivische Arbeit bis zum Abschluß des ersten Theils (T. 25). Zur Einleitung des zweiten dient zunächst nur eine fugenartig beantwortete Partikel des Hauptthemas, bald schließt sich jedoch ein halbtaktiges, neues Motiv an (T. 30):


 

3.


 

Notiren wir dazu gleich noch den mit Takt 53 auftretenden viertaktigen Satz:


 

3.


 

[726] so haben wir mit dem Hauptthema das gesammte Material, aus dem sich von nun an der ganze Verlauf rein concertmäßig entwickelt. Demnach ist auch von einem dritten Theile keine Rede mehr; ohne Rast und Ruh, unablässig sich aus sich selbst verjüngend, jagt es vorüber. Wenn man fast bei jedem neuen Bachschen Werke über die schier unerschöpfliche Phantasiefülle zu staunen gezwungen ist, so zeigt dieses noch im besonderen, einer wie scharfen Charakterisirung der Bachsche Stil trotz seiner polyphonen Beschaffenheit fähig war. Hier ist eine Composition von magyarischem Temperament: auf wilden, feurigen Rossen saust es über die Haide, wie Peitschenhiebe pfeifen die ungestümen Nebenmotive, jetzt fallen die Tongestalten klirrend in eine verminderte Septimenharmonie und arbeiten sich unter hellem Triller einer Oberstimme hindurch, jetzt vereinigen sie sich im Hauptthema zum wuchtigen, vom Tonsetzer so selten angewendeten Unisono, unter dessen Gestampf der Boden erdröhnt. Der unwiderstehliche Schwung, welcher durch immer neue und unerwartete Impulse die Bewegung bis zum Aeußersten zu steigern weiß, ist ungefähr derart, wie man ihn allgemein an den Weberschen Ouverturen bewundert. Wie sehr Bach selber durch ihn fortgerissen wurde, zeigt außer den häufigen Unisonos der 64. Takt, in dem das Grundthema in der Clavierstimme plötzlich dreistimmig auftritt, die Gesammtharmonie also vierstimmig wird, und dann der colossale Schluß (von T. 95 an), wo die Schaar der Töne sich tumultuarisch aus einer verminderten Septimenharmonie in die andre stürzt. Auf die Zartheit des Gambencharakters ist in diesem Satze allerdings keine Rücksicht genommen, sondern nur auf den großen Tonumfang und die Beweglichkeit des Instruments. Ein herrliches Adagio in B dur (3/2 Takt) befriedigt das melodische Bedürfniß durch einen weihe- und seelenvollen Gesang, aus dessen Beginn eine Ahnung Beethovens verständlich entgegenklingt. Auch das letzte Allegro gießt ein Füllhorn schönster Melodien aus und leistet zugleich das Außerordentlichste [727] in der Erzeugung neuer Gedanken aus und an einem gegebenen Stoffe, was man jetzt die Kunst der thematischen Arbeit zu nennen pflegt; wir haben zum Unterschied von der fugirten Durcharbeitung eines unveränderten Themas dafür von Anfang an den Ausdruck: motivische Gestaltung eingesetzt. Mit Ausnahme des Anfangs beherrscht wieder die Concertform das Ganze. Das Thema


 

3.


 

wird zweimal durch alle Stimmen durchgeführt und schließt in B dur. Hier bildet sich aus seinem ersten Takte eine sanftklopfende Figur für den Cembalobass, über der die Gambe eine ganz neue, innige Melodie anstimmt, während die rechte Hand in Sechzehnteln gebrochene Harmonien ausführt, dann in F dur mit der Gambe die Rollen tauscht. Nachdem das Hauptthema einmal wieder dazwischen getreten ist, wird nun jene Sechzehntel-Begleitungsfigur motivisch ausgesponnen, dazu tritt abermals eine neue, gleich reizende Melodie auf (T. 37–55). Dann folgt thematische und motivische Durcharbeitung des Hauptthemas und Einführung des ersten Seitensatzes in D moll, dem ein dritter Gedanke, wetteifernd an charakteristischer Anmuth, als Gegenmelodie gegeben ist (T. 69–79). In die Cadenz der Periode setzt, C moll, eine vierte Durchführung des Hauptthemas ein, leitet nach G moll zurück, wo (T. 90) unter gleicher Begleitung, wie beim ersten Seitengedanken nun ein vierter in der Gambe auftritt, der nach einer fünften Thema-Durchführung auch im Clavier erscheint und abschließt. So treibt hier am Schafte des Themas eine Blüthe die andre hervor in einer nicht nur für die Zeit bewunderungswerthen Weise; auch in der Beethovenschen Periode, die dem veränderten Instrumentalstil gemäß der motivischen Arbeit mehr als der thematischen zugewendet sein mußte, wird man schwerlich etwas geistvolleres und erfindungsreicheres in dieser Art aufzeigen können. Bach beherrschte die motivische Kunst eben so unbedingt, wie die thematische; während seine Vorgänger die erstere oft bevorzugten, erfahren bei ihm beide die gleiche Verwendung und ergänzen und heben unablässig einander. –

Die Flötensonaten sind ebenfalls im Ganzen wie im Einzelnen sehr stark von der Concertform beeinflußt, zum Theil sogar gänzlich [728] in sie eingegangen. Dreisätzig sind alle, die Es dur-Sonate ist Concert vom ersten bis zum letzten Takte65. Die Form wird im ersten Satze noch etwas schüchtern gehandhabt, die Sonate mag deshalb unter die ersten Versuche gehören, ein Trio in dieser ganz neuen Art zu construiren. Mittelsatz (Siciliano) und Schluß-Allegro sind vollendet, der weiche, wohllautende Gesammtausdruck stimmt so recht zu dem Charakter der Flöte. Es war diese Empfindungsweise, welche den Werken Philipp Emanuel Bachs und seiner Nachfolger ihr gemeinsames Gepräge verlieh. Joseph Haydns Claviersonaten wurzeln großentheils in ihr, ja bis zu Mozart läßt sie sich verfolgen, weil sie eben die allgemeine Signatur der Zeit bildete. Die hohen und hehren, strengen und tiefen Gewalten in Sebastian Bachs Musik zu erfassen, war das nachlebende Geschlecht nicht fähig, aber in einer den Verhältnissen angemessenen Art wußte es doch auch sich aus diesem musikalischen Urborn zu tränken. Unscheinbar ist freilich nur die Verbindung zwischen Bach und Haydn, aber sie besteht doch, und nicht die Es dur-Sonate allein deutet sie an. Dieselbe Stimmung durchzieht eben so gleichmäßig und stark eine Sonate in G moll, die in ihrer jetzt vorliegenden Gestalt für Violine und Cembalo bestimmt ist, sicherlich aber vom Componisten ebenfalls für Flöte gedacht und mit der Es dur-Sonate zu gleicher Zeit verfaßt wurde: so durchaus bis ins Einzelste übereinstimmend ist auch die Factur66. Und unter den späteren Werken tritt der Zusammenhang – ich rede immer nur von Haydns Claviermusik – noch einmal überraschend hervor in dem großen Orgelpraeludium, durch welches der dritte Theil der Clavierübung eingeleitet wird67, ein vollgültiger Beweis, daß jenes Empfindungselement im Innern von Bachs Natur begründet war. Auch von der Flötensonate in A dur68 ist der erste, leider nur verstümmelt erhaltene Satz ganz concerthaft geformt, natürlich nicht so, daß Clavier und Flöte je ein nur ihnen gehöriges Thema hätten, das sie [729] gegen einander durchführten; nur das allgemein musikalische Princip hat, wie auch schon in der Es dur-Sonate, Bach hier acceptirt. Der frische, kernige Schlußsatz, dieses Mal die Krone des Ganzen, hat dagegen dreitheilige Form; sein Mitteltheil zerfällt wieder in zwei Gruppen: Fis moll (T. 53–118) und E dur (T. 118–209), in welchen das Hauptthema mit je einem neuen Gedanken in meisterlicher Weise concertirt; eine geistreichere, überraschendere Art, ins Thema zurückzukommen, als sie T. 160–166 zu finden ist, läßt sich kaum denken. Bei weitem am höchsten unter den dreien steht aber die H moll-Sonate, ja, ihre großartig freie Formenschönheit, ihre Tiefe und nach allen Seiten hin überquellende Innigkeit erhebt sie wohl zu der vorzüglichsten Flötensonate, welche überhaupt existirt. Unter den Werken späterer großer Meister findet sich kein in seiner Art ebenbürtiges; und dem Charakter eines Instrumentes, das allerdings weich und wohlthuend, aber verglichen mit der Geige und verwandten Tonwerkzeugen doch nur von mäßigem Ausdrucksvermögen ist, entspricht es auch vollkommen, daß es sich mit dem äußerlich gleichmäßigen, aber von Innen überall nach Ausdruck drängenden Bachschen Stile am innigsten verschwisterte. Der erste Satz ist dreitheilig in breitesten Proportionen. Aber von seinen sonstigen Gepflogenheiten in Gestaltung des Anfangs- und Mitteltheiles ist der Tondichter hier ganz abgegangen. Weder ein fugirter Eingang und frei motivischer oder concerthafter Fortgang, noch vom Beginn her eine concertmäßige Anlage entsprach einem Phantasiebilde, das wie eine große Elegie vorüberziehen sollte, eine einzige, tiefe Herzensempfindung in ungehindertem Zuge auszuströmen. So ging der Meister ans Werk und bildete einen Theil aus zwei, schlicht neben einander gestellten Gedanken. Nicht Themen sind es, sondern zwei wie ins Unendliche hinausgesungene Melodien; die erste bewegt sich durch zwanzig weite Viervierteltakte in den herrlichsten Linien und von einer sanft wallenden Begleitung getragen, die zweite schließt sich in derselben Tonart an, geht aber dann nach D dur hinüber. Der Entwicklungsprocess besteht nun darin, daß dieser ganze Theil zuerst in Fis moll und dann abschließend wiederum in H moll repetirt wird; nur tritt zwischen die beiden letzteren Gruppen ein aus Partikeln der ersten und zweiten Melodie concerthaft gebildetes Stück von T. 61–77, um den Eindruck der rückkehrenden Haupttonart zu heben. Man wird [730] sich schon denken, daß der Theil nicht dreimal in derselben Gestalt auftritt; wie genial ihn aber Bach variirt hat, davon kann sich dennoch Niemand, der nicht selbst gehört und gesehen hat, eine Vorstellung machen. Takt für Takt wird die Entwicklung verfolgt, aber überall anders gewendet, reicher ausgestattet, dem entsprechend erweitert, besonders durch herrliche canonische Führungen, die unbemerkt wie durch eine Naturgewalt von Innen herausgetrieben werden; ein besonderer Reiz wird noch durch mehrfache Umstellung einzelner Perioden erzielt. Eine bewunderungswürdige kleine Coda, aus Motiven der ersten Melodie gewoben (T. 111–117), schließt das unvergleichlich schöne Stück. Die der italiänischen Arie nachgebildete Form verräth sich auch an einem Zuge des Eingangs; wie hier die Melodie gleichsam versuchend einsetzt, nach zwei Takten sich unterbricht, und mit dem vierten von neuem beginnt, eben so legte Bach sehr häufig seine kirchlichen Arien an69. Der zweite Satz in D dur, largo e dolce, einfach zweigetheilt mit Reprisen, ist seines Vorgängers vollauf würdig; im Besonderen wird der überaus schmerzlich-süße Ausdruck des vorletzten Taktes, wo die Flöte in langsamen Synkopen durch den verminderten Septimenaccord abwärts steigt, niemanden unberührt lassen. Durch den letzten Satz scheint der Componist nachholen zu wollen, was er im ersten unterließ: im Presto schwingt sich eine leidenschaftlich schöne Trio-Fuge daher. Aber es scheint nur so; bald wird auf der Dominante Halt geboten und den Forderungen der Concertform folgend schwebt eine italiänische Gigue im 12/16 Takt vorüber, ganz neu und doch bekannt, da sie aus dem Fugenthema in Buxtehudes Weise auf das schönste entwickelt ist. So gehorcht dem Winke des Meisters der gesammte Formenapparat seiner und der vorhergehenden Zeit; alles errungene fügt sich unter der Hand seines schöpferischen Genius zu immer neuen und überraschenderen Gebilden in einander.

Die von Bach vorhandenen selbständigen Kammertrios mit obligatem Clavier sind hiermit vollständig vorgeführt bis auf eins, das weder Sonaten- noch Concertform zeigt, sondern sich frei an die Suite anlehnt. Eine wirkliche Suite in der strengsten Bedeutung des [731] Kunstausdrucks ist diese in A dur stehende Composition für Violine und Clavier nicht, und ist auch nur unter dem Titel »Trio« überliefert. Denn sie wahrt freilich die Einheit der Tonart und besteht überwiegend aus Tänzen, aber Zahl und Anordnung ist abnorm: sieben weit ausgeführte Stücke bilden den Bestand, deren letztes ein freierfundenes Allegro im 3. Takt ist, sowie eine freie Fantasia den Eingang bildet70. Die Composition steht unter Bachs Werken ganz allein, eine Ausnahmebildung, wie sie der mit allen Formen frei schaltende Meister sich gestatten durfte, um so mehr als die Orchestersuite eine solche Freiheit nahe legte. Das vollständige Gelingen hat den Versuch begleitet; die meisterlich gestalteten Stücke sind nirgends ins Großartige hineingebaut, aber Muster von Anmuth und feiner Arbeit, erquickliche, frische Musik, der volle Ausdruck unangetasteter Gesundheit. –

Solosonaten zum accompagnirenden Cembalo waren als nicht gänzlich durchgebildete Kunstorganismen weniger nach Bachs Geschmack. Bekannt sind solcher nur vier, nebst einer vereinzelten Fuge. Für Violine und Cembalo in E moll gesetzt ist die eine: auf ein Praeludium in laufenden und arpeggirenden Sechzehnteln folgt ein kostbares Adagio, dann Allemande und italiänische Gigue – der ältere, Corellische Zuschnitt. Denselben Instrumenten ist die großartige Fuge in G moll bestimmt; solche Compositionen mögen als Vorstufen zu den Fugen der Solo-Violinsonaten gedient haben71. Für Flöte und Clavier sind die andern drei Sonaten. Aus C dur die eine hat ebenfalls ein etwas älteres Aussehen, den vierten (Schluß-) Satz bildet ein reizendes Menuettenpaar, zu dessen ersterem Bach selbst den Begleitungspart vollständig ausgeschrieben hat. Die andern, aus E moll und E dur, haben die regelmäßige Gestalt, ihre Allegrosätze sind aber meistens zweitheilig, und überhaupt kann von einer so reichen Entfaltung des Tonlebens wie in den Sonaten mit obligatem Cembalo keine Rede sein. Schönes und Interessantes bieten sie sämmtlich in Fülle72.

Auch das Trio für zwei Instrumente mit Generalbass ist nur [732] durch ganz wenige Exemplare vertreten. Daß aus einem derartigen Flöten-Trio die Gambensonate in G dur entstand, wurde erwähnt. Eine Sonate derselben Tonart für Flöte, Violine und Bass ist mit ihren blanken, knappen und von holder Anmuth durchwehten Formen wie aus dem Schmuckkästchen genommen73. Eine andre Sonate für zwei Violinen und Bass in C dur steht wohl an Werth jener nicht ganz gleich; zum letzten Satze dient hier eine Gigue. Sonst sind die Formen regelmäßig74. –

Das Princip concerthafter Gestaltung, das in Bachs Kunstschaffen eine so beachtenswerthe Rolle spielt, wurde bis jetzt nur an solchen Werken constatirt, die nicht zugleich äußerliche Concerte waren. In der That eignete er sich zunächst nur das Princip an, um es für seine Zwecke auszunutzen (vrgl. S. 407 ff.); wirkliche Concerte wird er schwerlich früher als in Cöthen geschrieben haben. Um diese in die vollständig richtige historische Beleuchtung zu bringen, ist einer Licenz zu gedenken, welche sich die damaligen Componisten in der Ausarbeitung des Concertsatzes häufig gestatteten. Der Regel nach wurden ein Tutti- und ein Solo-Gedanke neben einander gestellt, und Soloinstrument und Tuttiinstrumente freuten sich wetteifernd der Ausgiebigkeit ihres Besitzes. Die Haupttonart und nächsten Nebentonarten waren gleichsam die gewechselten Kampfplätze; wenn die Ringer in ihre Anfangsposition zurückkamen, war das Spiel aus. Dem Klangcharakter seines Trägers gemäß war das eine Thema wuchtig und fest, das andre leicht und geschmeidig. Daneben kam es aber auch vor, daß man sich mit nur einem Haupt-Gedanken begnügte. Er wurde vom Tutti vorgespielt und nun vom Soloinstrumente aufgenommen und fortgesetzt. Strict durchgeführt ergab diese Anlage ein ärmliches Gebilde, wer jedoch motivische Erfindungskraft besaß, konnte einen Einzelzug des Tutti-Gedankens aufgreifen, daraus [733] immer neue Solo-Gedanken entwickeln und so der Form einen besondern Reiz verleihen. Der gleichsam dramatische Kampf zweier Individualitäten wurde allerdings dadurch sehr abgeschwächt, die Form trat entschiedener noch auf das Gebiet des Reinmusikalischen hinüber. Was aber Bach hauptsächlich an ihr interessirte, war eben die rein musikalische Zweiheit, ihr Gegensatz, ihre Verflechtung, die in ihrem Antagonismus liegen den Impulse zu motivischer Arbeit. Daher ließ er schon in den concertmäßigen Flötensonaten nach musikalischem Bedürfniß Clavier und Flöte die Themen tauschen. Und so kommt es auch in seinen Concerten vor, daß der Tuttisatz schon das ganze Material des Sologedankens mit enthält. Von der Art der Besetzung hängt es ab, wie weit dies abweichende Gestaltungsprincip in Wirksamkeit treten soll. Bescheidener macht es sich in den Violinconcerten geltend. Hier, wo die Sologeige dem vom Cembalo vervollständigten Streichorchester gegenüber steht, drängte sich der Contrast beider Tonkörper zu natürlich hervor. Die Gattung ist von Bach mit Interesse gepflegt, was sich bei jemandem, der so gründlich den Bau der Vivaldischen Concerte hatte studiren mögen, leicht begreift. Drei Concerte besitzen wir noch in ihrer Originalgestalt, zwei nur in späteren Ueberarbeitungen für Clavier mit Instrumentalbegleitung, und auch von den drei Originalwerken erfuhren zwei dieses Schicksal75. Diese Ueberarbeitungen haben nach der Beschaffenheit des Autographs zu schließen in Leipzig stattgefunden; daß die Originale in Cöthen entstanden sind, wird zwar nicht ausdrücklich überliefert, wir wissen es aber von einer Reihe andrer Instrumentalconcerte, zu denen diese in ihrer weit einfacheren Construction die natürliche Vorstufe bilden, und auch wegen der amtlichen Stellung Bachs ist es äußerst wahrscheinlich. Wenn trotz des Mangels an gediegenen Violincompositionen mit Orchester diese Concerte bis heute noch nicht diejenige Verbreitung gefunden haben, deren ihr hoher musikalischer Werth sie würdig macht, so liegt der Grund zum Theil in dem verhältnißmäßigen Zurücktreten der einfachen, allgemein eingänglichen Cantilene, da der bewegliche Cembalostil, welcher auch diese Gattung sich unterworfen hatte, die Passage und Figuration [734] bevorzugte. Einen zweiten Grund bildet die uns fremd gewordene Form. An beides wird man sich gewöhnen, an letzteres um so leichter, da die ältere Concertform viel übersichtlicher und faßlicher ist als die neuere, mehr oder weniger ganz mit der modernen Sonatenform zusammengeflossene. Der Reiz motivischer Arbeit ist bei Bach in Wahrheit um nichts geringer, als bei den besten Concertcomponisten der Beethovenschen Periode. Bewunderungswürdig ist nach dieser Seite besonders der erste Satz des E dur-Concerts mit der Durchführung des Motivs


 

3.


 

den Bach außerdem in die dreitheilige Form hineingegossen hat, welche wir aus den Violinsonaten mit Cembalo zur Genüge kennen. In dem zweiten Satze hat man eine jener freien Umbildungen allbekannter Formen, wie sie nur ein Bach herstellen konnte. Er ist eine Ciacone, deren Anwendung schon in der E dur-Violinsonate entgegen trat; aber das Bassthema wandelt nicht nur frei durch die Tonarten, sondern wird auch taktweise zerlegt und ausgesponnen; oft schweigt es ganz, um dann mit nur wenigen Noten sofort wieder die Ueberzeugung wach zu rufen, daß in ihm trotz alledem der Schwerpunkt des ganzen Stückes beruht. Der Mittelsatz des A moll-Concerts hat, was man mit dieser Entschiedenheit in den Adagios selten findet, einen wuchtigen Tuttigedanken und einen leicht figurirenden Sologegensatz, aus deren Verkehr der Organismus sich bildet, ohne daß es zu einer ordentlichen Violin-Cantilene käme. Dem D moll-Concert ist unstreitig der höchste Werth eigen und in dieser Eigenschaft findet es auch unter der heutigen musikalischen Welt schon eine erfreuliche Beachtung. Zwei Soloviolinen sind hier herangezogen, doch kann man nicht wohl von einem Doppelconcerte reden, da die beiden Geigen weniger unter sich, als vereinigt gegen den Instrumentalchor concertiren. Eine jede ist natürlich mit der Selbständigkeit behandelt, die bei dem Bachschen Stile ohne weiteres vorausgesetzt wird. Im Mittelsatze, einer wahren Perle an edlem, innigem Gesange, verhält sich das Orchester fast nur accompagnirend, wie es bei den Concertadagios ja das Gewöhnliche war.

Ihre völlige und uneingeschränkte Entfaltung jedoch gewann die frei musikalische Concertform in einem Gesammtwerke von sechs Concerten, welches im März 1721 vollendet war. Es hatte damit [735] eine besondere Bewandtniß. Einige Jahre zuvor nämlich war Bach, vielleicht in Karlsbad, mit einem kunstliebenden preußischen Prinzen zusammengetroffen, der an seinem Spiel großes Gefallen gefunden und ihn zur Uebersendung einiger Compositionen für seine Hauscapelle aufgefordert hatte76. Es war Christian Ludwig, Markgraf von Brandenburg, geb. am 14. Mai 1677 als jüngster Sohn des großen Kurfürsten aus zweiter Ehe. Eine Schwester desselben hatte der Herzog Ernst Ludwig von Sachsen-Meiningen zur zweiten Gemahlin, mit dessen Hof Bach wahrscheinlicherweise von Weimar aus in Verbindung trat. Der Markgraf, zugleich Dompropst von Halberstadt und unvermählt, lebte abwechselnd in Berlin und auf seinen Gütern in Malchow, neben dem gewöhnlichen ritterlichen Zeitvertreib der Wissenschaft und der Kunst, vor allem der Musik ergeben, und hierfür seine bedeutenden Jahreseinkünfte verbrauchend77. Im Frühjahre 1721 verweilte er in Berlin und dorthin wird Bach jene sechs Concerte gesendet haben, mit denen er sich unter dem 24. März des ihm gewordenen ehrenvollen Auftrages entledigte. Die französische Fassung der Dedication, in welcher er die Veranlassung zu diesen Compositionen angiebt, dürfte von einem Cöthener Höfling herstammen. Er selbst war des Französischen augenscheinlich nicht in dem Maße mächtig, um in einem solchen Falle den eignen Kenntnissen vertrauen zu können, außerdem herrscht hier ganz jene fehlerhafte Art, in welcher man damals an deutschen Höfen das Französische sprach und schrieb. Wie der Markgraf die Gabe aufgenommen hat, ist unbekannt geblieben. An Kräften, diese schwierigen Sachen entsprechend zu executiren, fehlte es in seiner Capelle wohl nicht; wir kennen den Namen eines seiner Kammermusiker, Emmerling, und erfahren, daß dieser als Componist, Clavier- und Gambenspieler erwähnenswerthes leistete78. Nach dem Tode des Markgrafen, der am 3. September 1734 in Malchow eintrat, lief das kostbare Bachsche [736] Manuscript Gefahr, unbeachtet verschleudert und in einem Convolute unter andern Instrumentalconcerten für einen Spottpreis verkauft zu werden. Ein glückliches Geschick hat es uns erhalten und mit ihm die Werke, welche das Höchste darstellen, zu dem die ältere Form des Concerts entwickelt werden konnte79.

Bach nennt sie Concerts avec plusieurs instruments. Mit Rücksicht auf die damalige Sitte würden hierunter sogenannte Concerti grossi zu verstehen sein, in denen nicht ein Instrument, sondern mehre, gewöhnlich drei gegen das Tutti concertirten. Aber in diese Gattung passen nur allenfalls das zweite, vierte und fünfte Concert; das gemeinsame Merkmal, welches sie zu einer einzigartigen Einheit verbindet, ist vielmehr der zur höchsten musikalischen Freiheit entwickelte concerthafte Formgedanke. Auf der Fährte dieses Kunstideals befand sich Bach schon lange. Man erinnert sich an die großen Instrumentaleinleitungen der weimarischen Cantaten »Uns ist ein Kind geboren«, »Gleichwie der Regen« und »Der Himmel lacht, die Erde jubiliret« (s. S. 482, 486 f. und 535). Aber nicht nur den einzelnen Satz, auch die gesammte mehrtheilige Form hat er mit größter Entschiedenheit auf ihre idealmusikalische Grundlage gestellt. Durchweg herrscht in seinen Concerten die Dreisätzigkeit, welche für Violinconcerte freilich schon der feine Forminstinct des Vivaldi zum Canon erhoben hatte; jedoch beim Concerto grosso band man sich daran durchaus nicht, brachte bald vier Sätze mit Anlehnung an die Sonate, bald auch mehr, und mischte gar Tanzstücke ein. Der Raum von drei Sätzen aber reicht für die Kräfte, welche sich im Concert entfalten sollen, nach allen Seiten hin aus: für den ernst fesselnden Kampf zwischen dem kühngewandten Solo und dem machtvoll aufgerichteten [737] Tutti, für die breite, von geistreichen Ornamenten umwobene Cantilene, für die fröhlich triumphirende und alles mit sich fortreißende Bravour. Deshalb ist auch die Dreitheiligkeit des Instrumentalconcerts bis auf den heutigen Tag allgemeiner Grundsatz geblieben. Die Besetzung der Bachschen Concerte ist sehr stark, besonders sind auch die Blasinstrumente in reicher Auswahl vertreten, welche an sich übrigens im Kammerconcerte keine Fremdlinge mehr waren. Eine Verwendung freilich, wie sie sie hier fanden, hatte sich kein andrer träumen lassen; ganz und gar wurden sie gleich den Streichinstrumenten unter das Gebot jener Bachschen Polyphonie gestellt, die alles belebt und zum eignen Handeln zwingt. Sehen wir nun die Concerte einzeln an.

Erstes Concert, F dur. Besetzung: Streichquartett, im Bass durch Violone grosso (den Contrabass), in der ersten Geige durch Violino piccolo (eine hellklingende, um eine Quart höher stehende, kleinere Geige) verstärkt; zwei Hörner, drei Oboen, Fagott und selbstverständlich accompagnirendes Cembalo (Continuo). Die üblichen Begriffe von Solo und Tutti sind in diesem Concerte ganz aufgehoben, ebensowenig wird ein Tutti- und ein Solo-Gedanke hingestellt. Den Grundstoff des ersten Satzes legen die vereinigten Instrumente von Takt 1–13 dar. Dann beginnen sie zu drei Chören – Hörnern, Oboen und Fagott, Streichern – gruppirt diesen Stoff concertmäßig zu verarbeiten. Der erste Takt:


 

3.


 

wird nun zum Tutti-Motiv erhoben und bezeichnet mit seinem Eintritte jedesmal einen neuen Abschnitt, das Uebrige gilt als Solo-Gegensatz. In der Vertheilung auf die Instrumente aber tritt dieser Antagonismus nicht weiter hervor, die Ausführung erfolgt nach frei musikalischen Gesetzen, allerdings so, daß es immer ein Concertiren zwischen den drei Gruppen genannt werden kann, die sich an Höhepunkten zu einem großartigen zehnstimmigen Tongeflecht vereinigen. Die Disposition ist, wie in allen gut concertmäßig angelegten Sätzen, sehr klar und faßlich; ihre Theile sind, die Exposition mitgerechnet: A: 1–13 (F-dur); B: 13–27 (F dur); C: 27–43 (D moll); D: 43–52 (C dur); E: 52–57 (G moll); F: 57–72 (F dur); G: 72–84 [738] (F dur). Von besonderem Interesse sind die gegenseitigen Beziehungen der Theile: die ersten beiden, welche die Grundtonart festhalten, kehren am Schlusse wieder und nehmen die übrigen in die Mitte; dies geschieht aber in umgekehrter Reihenfolge, so daß folgende Corresponsion entsteht:


 

3.


 

Die Form ist also in derselben Weise chiastisch-cyk lisch, wie. mit Ausdehnung auf ein ganzes Werk, die der Violinsonate aus G dur, die der Cantate »Gottes Zeit« (vrgl. S. 458). Genau diese Anlage kehrt auch im dritten Satze wieder, hier entsprechen die Takte 1–17 den Schlußtakten 108–124, die Takte 17–40 den Takten 84–108, die eigentliche Durchführung wird in die Mitte genommen. Wiederum umschließen diese beiden gleichgestalteten, frischen und lebenstrotzenden Sätze in dem Adagio (D moll 3/4) das wahre Herz des Ganzen. Das Adagio gehört zu den leidenschaftlichsten Klagegesängen, die je geschrieben sind. Ein schneidendes, oft zum schrillen Aufschrei gesteigertes Weh tönt aus der Melodie, mit der die Oboe rücksichtslos sofort auf der Dominante anhebt, welche sodann die Quartgeige und die düstern Bässe nach einander sich aneignen, mit der im enggeführten Canon Oboe und Geige einander nachdrängen; traurig und still ziehen die Achtel der begleitenden Instrumente darunter her. Der Schluß, kühn und genial wie der Anfang war, zerbröckelt, gleich dem Trauermarsche aus Beethovens Eroica; das unersättliche Klagewort verstummt plötzlich, nur ein leises Schluchzen tönt durch die öden Räume. – Angehängt sind dem Concerte ein Menuett und eine Polacca, beide mit Trios. Feine, geistvolle Musik, die jedoch mit dem eigentlichen Concerte nichts mehr zu thun hat! Man liebte, wie gesagt, auch im Orchesterconcert die Tanzsätze, obwohl diese der Idee seiner Form widersprachen. Bach hat diese Concession an den Zeitgeschmack nur hier gemacht; da man die Tänze beliebig abtrennen kann, schädigen sie auch kaum das Werk.

Zweites Concert, F dur. Besetzung: Trompete, Flöte, Oboe, Violine und das Tutti des Streicherchors. Es ist also ein wirkliches Concerto grosso, nur daß das Concertino, d.h. der dem Tutti gegenüberstehende Complex durch vier, sämmtlich hochliegende Instrumente, nämlich ein streichendes und drei blasende, hergestellt wird, [739] also in einer Weise, die nach allen Seiten von dem Ueblichen abweicht, denn man pflegte gemeinhin das Concertino aus zwei Geigen und Violoncell zu bilden. Die Anlage des ersten Satzes ist von musterhafter Klarheit und Einfachheit, aber eine unbeschreibliche Fülle motivischer Erfindung und feinster Combination perlt und sprudelt überall entgegen. Das Andante (D moll) besteht aus einem Quatuor von Flöte, Oboe, Violine und Violoncell mit Cembalo; der Schlußsatz, Allegro assai, aus einer Fuge des Concertinos mit dem Basse, zu der das Tutti discret und meisterlich begleitet. Schon wegen seines krystallhellen, durchsichtigen Organismus ist dieses Concert eingänglicher, als das dicht gewobene erste; aber auch die Gesammtstimmung ist eine durchaus populäre. Das wunderschöne Andante klagt nur sanft und mädchenhaft, die Außensätze schwärmen und tummeln sich in zauberhafter Frische und Jugendlust. Fürwahr, wenn auch Bach noch nicht über die satten Farben Späterer verfügt, doch lebt in seiner Instrumentalmusik die ganze deutsche Romantik. Dieser erste Satz! Wie er dahin zieht gleich einer Schaar jugendlicher Reiter mit blitzenden Augen und flatternden Helmbüschen! Ein Einzelner läßt sein jubelndes Lied in die Waldeskronen hinaufwirbeln, ein Zweiter, ein Dritter, und machtvoll fällt der Chor der Genossen dazwischen; nun verliert sich der Gesang in der Ferne, schwächer und schwächer, zuweilen dringt er durch eine Lichtung vernehmlicher herüber, dann verweht ihn der Wind, das Flüstern der Blätter übertönt ihn –


 

Immer weiter und weiter die Klänge ziehn

Durch Felder und Haiden, wohin? ach wohin? –


 

Was ist hier aus der simpeln Concertform geworden!

Drittes Concert, G dur. Besetzung: drei Violinen, drei Violen, drei Violoncelle, Violone und Cembalo. Der erste Satz gleicht in der Entwicklung dem des ersten Concerts, überragt aber diesen wohl noch an kunst- und reizvoller Behandlung. Die Geigen, Bratschen und Celli concertiren chorisch, unter sich werden sie theils polyphon geführt, theils nicht, oft auch zum Unisono zusammen gezogen. Was aus den Motiven


 

3.


 

 

und


 

3.


 

gemacht [740] wird, ist erstaunlich, thatsächlich entwickelt sich aus ihnen der ganze Satz. Ueberhaupt funkelt alles von Geist und Leben. Eine Stelle (von T. 78 an), wo zum Hauptthema in der zweiten Geige unerwartet die erste Geige einen gänzlich neuen Gedanken bringt, der dann auch in der zweiten Geige erscheint, mehr Instrumente heranlockt, endlich von der dritten Geige und dritten Bratsche mit aller Wucht auf der G-Saite erfaßt wird und, wie ein Signal, eine von allen Seiten hereinbrechende Tonfluth entfesselt, in deren Wogenschwall für mehre Takte alle Polyphonie ertränkt wird – diese Stelle gehört wohl zu den genialsten Erfindungen, welche die deutsche Instrumentalmusik zieren. Ein ordentliches Adagio fehlt. Nur zwei langgezogene Accorde lassen die Phantasie für einen Augenblick frei; dann geht es hinein in den Schlußsatz, ein echtes Concertfinale im Zwölfachteltakt.

Viertes Concert, G dur. Besetzung: Violine, zwei Flöten und das Tutti der Streichinstrumente. Ein Concerto grosso in der Weise von Nr. 280. Der erste Satz, Allegro 3/8, hat einen sehr freundlichen Charakter. Das Material wird von Takt 1–83 exponirt, größtentheils schon hier durch das Concertino, das Tutti greift nur mit Unterbrechung ein. Wieder begegnet uns, zum Zeichen, daß dies ein festes Formideal des Meisters war, die chiastisch-cyklische Anordnung. Auf die Exposition A folgt von T. 83–157 eine Durchführung B, welche nach der Mollparallele hinüber geht, dann bis T. 235 eine weitere Durchführung C, jetzt kehrt mit einigen Veränderungen und Erweiterungen B wieder bis 345, und zum Schlusse A. Das Adagio in E moll verläuft ganz im Wechselspiel zwischen Tutti und Concertino, es ist ein schönes ernstes Stück, gemessen und wehmüthig, wie die Begleitungsmusik eines Trauerzuges. Den letzten Satz bildet eine in jeder Beziehung grandiose Fuge, Presto 3.. Sie zählt 244 Takte und steht an Schwung, Wucht der Gedanken, Reichthum der Entfaltung, spielender Beherrschung der complicirtesten Technik, Brillanz und Grazie unter den derartigen Werken Bachs in allererster Reihe.

[741] Fünftes Concert, D dur. Besetzung: Flöte, Violine. Cembalo und das gewöhnliche Tutti. Es ist kein eigentliches Clavierconcert mit Begleitung, sondern das Clavier bildet mit der Geige und Flöte vereinigt den Gegensatz gegen das Tutti; zu diesem wird vermuthlich ein zweiter, nur accompagnirender Flügel in Anspruch genommen sein, wie das Bach ja auch bei reinen Clavierconcerten zu thun pflegte. Demnach gehört auch dieses Werk streng genommen ins Gebiet der Concerti grossi, oder muß wenigstens aus ihnen abgeleitet werden. Daß jedoch in einer solchen Verbindung das Clavier einigermaßen dominirt, liegt schon in seiner Beschaffenheit an sich und ist bei der großen innern Bedeutung, welche das Cembalo für diese Art der Bachschen Kammermusik hat, doppelt leicht begreiflich. Ein Tutti- und ein Solo-Gedanke treten hier voll ausgestaltet einander gegenüber, um dann das entzückendste Wechselspiel auszuführen. Namentlich ist es eine Partikel der Tutti-Periode:


 

3.


 

die in den reizendsten Combinationen durchgearbeitet wird. In der Mitte spinnt sich einmal (in Fis moll) ganz still und heimlich ein neues Motiv an:


 

3.


 

schwimmt auf leise wallenden Accordfluthen weiter und weiter und verliert sich wie im unabsehbaren Ocean, nur ein eintöniger Rhythmus lenkt nunmehr die Fahrt, bis der Wind die Segel stärker zu schwellen anfängt und wir endlich glücklich anlanden (T. 71–101). Vor dem Schlußtutti tritt ein großes Claviersolo ein; es beansprucht, wie auch der übrige Clavierpart, eine Fingergeläufigkeit, welche außer Bach damals wohl so leicht kein Zweiter besitzen mochte. Den Mittelsatz stellt ein lieblich-zartes Affettuoso dar aus H moll. Ueberhaupt ist der Charakter des ganzen Concerts nicht sowohl tief und großartig, als heiter, fein und gewählt. So auch der letzte Satz. Er führt jene Form vor, die zuerst in den Violinsonaten mit obligatem Cembalo bemerkbar wurde, beispielsweise im zweiten Satze der [742] A dur-Sonate. Der Bau ist dreitheilig nach Maßgabe der italiänischen Arie: der erste Theil, welcher als dritter vollständig wiederholt wird, ist fugirt, der zweite führt einen Seitengedanken ein, um ihn mit dem Hauptgedanken concertiren zu lassen. Dieser Seitengedanke entsteht aber in unserem Falle aus dem Hauptgedanken und ist von ausnehmender melodischer Anmuth; in der Harmonisirung macht sich ein immer wiederkehrender, schnell vorüberschwebender Querstand ganz merkwürdig gut.

Sechstes Concert, B dur. Besetzung: zwei Bratschen, zwei Gamben, Violoncell, Violone mit Cembalo. Ein Tutti- und Solo-Gegensatz ist vorhanden (T. 1–17 und 17–25), aber nur ideal-musikalisch, nicht durch besondere Instrumente inscenirt. Das Tutti besteht aus einem Canon der beiden Bratschen im Abstande eines Achteltakts81, die andern Instrumente haben dazu eine einfach harmonische Achtelbegleitung, so daß ein der Gabrieli-Bachschen Kirchensonate ähnliches Tonbild entsteht. Erst in der Solo-Periode bringt das Motiv:


 

3.


 

alle Stimmen zu lebendiger Theilnahme. Der ganze weitausgespannte Satz ist ein seltsam verschleiertes Stimmungsbild, dergleichen wohl nur einem Bach beikommen konnte, doppelt seltsam, wenn man den ursprünglichen Zweck eines Concerts ins Auge faßt. Eine herrliche Melodie bildet das Thema des Adagio (Es dur 3/2), welches nur die beiden Bratschen über den Bässen verwendet. Sie fugiren in verschiedenen Tonarten das Thema eine lange Zeit allein, bis es endlich mit prachtvoller Wirkung auch die Bässe ergreifen. Der endgültige Schluß erfolgt merkwürdig genug in G moll. Dieses Stück ist ungemein edel und groß. Der letzte Satz ist Concertfinale im Zwölfachteltakt, kräftig ohne die Grundstimmung des ersten Satzes aufzugeben, und verlangt sehr tüchtige Bratschisten. Im allgemeinen Charakter der italiänischen Gigue gehalten hat er übrigens die dreitheilige Form, jedoch in durchweg concerthafter Ausführung.

[743] Von einer Kunstleistung höchster Genialität und Meisterschaft, wie diese sechs brandenburgischen Concerte genannt werden müssen, richtet sich der Blick naturgemäß auf die entsprechenden Schöpfungen der Bachschen Zeitgenossen. Das Concerto grosso war im Anfange des 18. Jahrhunderts rasch beliebt geworden und die besten Kräfte versuchten sich darin. Aber nur zum Theil folgten sie der Vivaldischen Form, ein andrer Theil legte, wie schon angedeutet, die Corellische Sonate zu Grunde. Diese Künstler hielten also zunächst an der Viertheiligkeit fest in der bekannten Ordnung: Adagio, Fuge in derselben Tonart, Adagio in einer verwandten Tonart, Finale, vergaßen dabei aber nicht, daß die Form auch mehr Sätze gestatte und Tanztypen nicht ausschließe. Auf die Gestalt der einzelnen Sätze übte diese Anlehnung aber ebenfalls einen starken Einfluß aus. Das Concertiren zwischen Soli und Tutti blieb ein äußerliches Alterniren verschiedenartiger Klangmassen bei stofflicher Einheitlichkeit, nicht viel mehr als ein periodenweises Abwechseln zwischen stark und schwach; in der Clavier- und Orgelmusik stellte man es so durch die verschiedenen Manuale her, in den Fugensätzen der französischen Ouverture durch den Contrast des Gesammtorchesters gegen das Trio der Oboen und des Fagotts. Auf das Wesen der Sache gesehen darf man also hier von Concerten garnicht reden, es sind Orchestersonaten. Telemann liebte diese Form, ohne sich ihr ausschließlich hinzugeben; der das Größte darin leistete, war Händel. Händels Concerti grossi soll man mit den Bachschen nicht vergleichen, sie haben fast nur den Namen gemeinsam. Man könnte dies ohne Einschränkung aussprechen, wenn er sich in ihnen von der Form des Vivaldischen Concertsatzes ganz fern gehalten hätte. Wo er sie dennoch benutzt, bleibt er freilich immer der große Künstler, verräth aber doch, daß für dieses Gebiet sein Genius nicht geschaffen war82. In den breiten Adagios, Fugen und einfachen Tänzen der Corellischen Sonate fand er die Impulse, welche das Reinmusikalische seiner Natur am sichersten in Bewegung setzten. Gemäß seiner auf das [744] Glänzende und Prachtvolle gerichteten Anlage übertrug er diese Form in großartigere Verhältnisse, um sie hier mit mächtigem Inhalt zu füllen. Eine ganz ähnliche Bewandtniß hat es mit Händels Orgelconcerten, deren Erwähnung das fünfte der brandenburgischen Concerte nahe legt. Auch sie sind in Form und Anordnung der Sätze durch die Sonate merklichst beeinflußt. Die Orgel aber ist ihm nur ein potenzirtes Clavier, von eigentlichem Orgelstil findet sich so gut wie nichts. Doch treten hier mehr noch, als in denConcerti grossi, auch wirkliche Concertsatzformen entgegen, weil das selbständige und vollkommene Wesen des Claviers oder der Orgel zu nachdrücklich darauf hinwies83. So weit nun die Italiäner, namentlich also Vivaldi, die Satzform ausgebildet hatten, so weit wird sie auch von Händel mit Meisterschaft beherrscht. Gefördert hat er aber ihren wahren Organismus nirgends. Es ist für seine musikalische Natur bedeutsam, daß überhaupt keine der vielen damals sich entwickelnden Instrumentalformen durch ihn eine Weiterbildung erfahren hat. Was ihm davon während der Zeit seiner Ausbildung entgegentrat, eignete er sich an, und eine ungleich überlegene Gedankenfülle ließ ihn die betreffenden Werke Anderer leicht überflügeln. Wo er daher schon etwas verhältnißmäßig ausgebildetes vorfand, gelang es ihm auch, Instrumentalwerke von bleibenderem Werthe zu schaffen. Sieht man von den Unentwickeltheiten der Corellischen Sonate in Anordnung und Zusammenhang der Sätze ab, dann sind Händels Concerti grossi, soweit sie auf jener beruhen, bedeutend genug um für immer einen Ehrenplatz in der deutschen Instrumentalmusik einzunehmen; wir wünschen die Zeit nicht zu erleben, in der Werke wie das E moll-, A moll- und G moll-Concert ihre Wirkung verloren haben84. Denn feste, geschlossene Einzelformen sind wenigstens vorhanden. Für die Form des Concertsatzes aber hatten die Italiäner kaum mehr, als ein nacktes Gerüst hingestellt; das Beste mußte erst noch geschehen und zwar vorzugsweise durch das Mittel motivischer Kunst. Gleich den Italiänern besaß Händel von ihr nur wenig, und daraus erklärt sich das Unbefriedigende, was seinen concerthaft geformten [745] Sätzen mehr oder minder anhaftet. Es entwickelt sich nichts, alles ist von Anfang an zur Stelle und harrt nur der Aufstellung85. Andere deutsche Künstler, wie Telemann und mehr noch der Dresdener Kammermusicus Dismas Zelenka, haben im Concertsatze wenn auch nicht Gedankenreicheres, so doch Angemesseneres geleistet. Diese aber stehen wiederum an Begabung zu weit hinter Bach zurück, als daß sie von dem Ruhme, die Concertform zur höchstmöglichen Blüthe gebracht zu haben, sich einen Theil aneignen dürften.

Die brandenburgischen Concerte bilden in der deutschen Orchestermusik, denn dahin muß man sie rechnen, eine Gattung ganz für sich. Wie in Bergesgegenden die höchsten Spitzen sich einander zu nähern scheinen und dem frei durch den Luftraum schwebenden Blicke die Kluft fast verschwindet, deren Durchwandern mühselige Stunden erfordert, so winken sie deutlich hinüber zu der modernen Symphonie und doch führt von ihnen kein directer Weg dahin. Sie ruhen auf anderer, viel dürftigerer Grundlage, von der aus nur eine riesige Schöpferkraft sie zu dieser Höhe emporbauen konnte. Die eigentliche Orchestermusik jener Zeit waren nicht die kaum erfundenen Concerti grossi, sondern die Orchestersuiten. Diese Form fand zugleich mit der Claviersuite, welche sich im 17. Jahrhundert aus ihrer Wurzel abgezweigt hatte, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die mögliche Vollendung. Von einem so vernunftgemäßen Ganzen, wie es die Claviersuite darstellte, konnte bei der Orchestersuite wegen der Umgebung, in der sie aufwuchs, nicht die Rede sein. Ob überhaupt eine halbwegs feste Gewohnheit für die Anordnung der Tänze vorhanden war, ist vorläufig unklar, sicher dagegen, daß die gewichtigsten Vertreter eine solche nicht anerkannten und die einzelnen Bestandtheile jedesmal nach Gutdünken gruppirten. Aber dieser Mangel an formeller Bestimmtheit war nur die Kehrseite des eben so bedeutenden Vorzugs, daß die Orchestersuite unmittelbar aus dem deutschen Volksleben herausgeboren ist. Der frisch sprudelnde Volksliederquell älterer Jahrhunderte drang aus dem Schutt des dreißigjährigen Krieges in zwei Arme getheilt von neuem hervor, [746] als geistliches Lied, dessen sich die Orgelkunst alsbald bemächtigte und als gespielter Tanz, welcher der Pflege der Kunstpfeifer anheim fiel. Es verschlägt nichts, daß so viele andre Völker, namentlich die Franzosen von ihren Weisen und ihrer Manier beigesteuert haben. Im Gegentheil, es wurde dadurch der deutsche Geist in jener ihm eigenthümlichen Thätigkeit befeuert, die erst an der Verarbeitung fremder Elemente die ganze Fülle der eignen Kräfte in Fluß bringt; es war dies, wie schon früher bemerkt, eine gradezu aus der Verwirrung des Krieges gewonnene Förderung. Zur feineren Ausbildung der Rhythmik in der deutschen Tanzmusik haben jedenfalls die Franzosen sehr viel beigetragen, und nicht nur das, wir verdanken ihnen auch die erste freie Orchesterform weltlichen Charakters, die sogenannte französische Ouverture. Aber an der kunstmäßigen Entwicklung und Veredlung dieser Ouverture und der Tanztypen haben die Franzosen sich kaum betheiligt. Ebensowenig haben sie aus diesen Elementen ein Kunstganzes zu machen gesucht. Schon die Italiäner waren ihnen in diesen Dingen weit voraus: es giebt Ouverturen von Antonio Lotti im französischen Stil, wie sie in solcher Vortrefflichkeit nie ein wirklicher Franzose hätte machen können, des italiänisch gebildeten Händel garnicht zu gedenken. Die Deutschen aber schlossen eine passende Reihe von Tanzstücken, der sie eine französische Ouverture voranschickten, zu einer rein musikalischen Collectivform zusammen. Man sieht dies aus dem merkenswerthen Umstande, daß der Name »Suite« für die analoge Orchestermusik nicht im Gebrauch ist, was doch der Fall sein würde, wenn die Franzosen auch nur so viel dafür gethan hätten, wie für die Tanzgebinde des Claviers. Es existirt überhaupt kein zusammenfassender Name dafür. Mit der dem echten deutschen Musiker eignen Bescheidenheit, die sich unbekümmert um die äußere Repräsentation nur an die Sache hält, zählte man auf dem Titel solcher Werke entweder die einzelnen Bestandtheile auf oder begnügte sich abkürzend mit: »Ouverture u.s.w.«, worauf dann die Angabe der verwendeten Instrumente folgte. Die einzelnen in eine gewisse Reihenfolge gebrachten Tänze aber nannten die Kunstpfeifer »Partien« (»Partheyen«), und wir erweisen den Deutschen nur das gebührende Recht, wenn wir die Gattung hinfort mit dem deutschen Namen »Orchesterpartien« belegen.

[747] Wenn jemand bestimmt war, in dieser Gattung etwas ausgezeichnetes hervorzubringen, so war es sicherlich Sebastian Bach. Zum Beweise genügt wohl eine einfache Zurückdeutung auf seine Vorfahren. Vater, Oheim, Großvater hatten ausschließlich dem Kunstpfeiferberufe gelebt. Wie hätte es anders sein können, als daß in dem Musiker, welcher alle die durch hundert Jahre entwickelten Fähigkeiten seines Geschlechts in sich zusammenfassen sollte, auch diese Richtung deutschen Kunstlebens ihre Vollendung feierte? Ist die Anzahl seiner Orchesterpartien gleich nicht groß – denn dazu war die ganze Form nicht tiefsinnig und ausgiebig genug, auch absorbirte einen guten Theil des nach dieser Richtung drängenden Schaffenstriebes die Claviersuite –, so reicht doch allein ihr Vorhandensein schon hin, zu zeigen, wie durch und durch volksthümlich die Individualität Bachs war. Wolle Niemand, wir sagten es einmal schon86, von der musikalischen Bedeutung gering denken, welche dem Kunstpfeiferthum des 17. Jahrhunderts zukommt. Einerlei, daß Rohheit und Zügellosigkeit bei ihm nicht spärlich gedieh; roh und zügellos waren zum Theil auch die Volkssänger des 16. Jahrhunderts. Nichtsdestoweniger kam durch die Lieder derselben ein unverfälschtes Stück der deutschen Volksseele zum mustergültigen Ausdruck, und eben so war es mit den Instrumentaltänzen der späteren Periode. Man nehme hinzu, daß in Bachs Geschlecht das entschiedenste Streben herrschte, sich von allen Gemeinheiten der Standesgenossen nach Möglichkeit rein zu erhalten. Der große Künstler brauchte sich wahrlich nicht zu schämen, auch diesen Theil der Erbschaft seiner Altvorderen anzutreten. Und in der That, mit freudigem Muthe hat er von ihm Besitz ergriffen, mit dem vollen Ernst, dieses Ideal volkstümlicher Tonkunst mit dem ganzen Reichthum seiner Kräfte zu bedienen. Das Herz lacht einem im Leibe bei diesen drallen, aus echtestem Kernholz geschnitzten Gestalten, bei diesen gesunden Stimmungen, die uns wie der kräftige Brodem frischgeackerten Landes entgegenströmen. Seine vier Orchesterpartien sind sämmtlich Bildungen einer Meisterhand und in dieser Hinsicht von gleicher Vorzüglichkeit. Ihre Tonarten sind C dur, H moll [748] und zweimal D dur87. Alle beginnen mit einer weit ausgeführten französischen Ouverture: voran ein Grave mit Repetition, dann eine Fuge, die schließend ins Grave zurückleitet und mit ihm ebenfalls repetirt wird. Der typische, in der Abwechslung zwischen breiter Pracht und feurigem Flusse bestehende Charakter ist deutlich erkennbar geblieben, aber unvergleichlich verfeinert worden, man hört keine Opernmusik mehr sondern die distinguirteste Kammermusik, namentlich in der H moll-Ouverture. Die C dur-Partie läßt nun folgen: Courante, Gavotte, Forlane (ein venetianischer Tanz im 6/4 Takt, gigueähnlich), Menuett, Bourrée, Passepied. Außer der Courante und Forlane sind alle Stücke doppelt vorhanden, um den für einzelne Perioden beliebten Gegensatz von kräftig und zart auch auf abgeschlossene Tongebilde anzuwenden. Der allgemein bekannte Name »Trio« stammt von dieser Sitte her, da der zarte Gegensatz nur von drei Instrumenten, oder dreistimmig ausgeführt zu werden pflegte; bald jedoch nahm man es mit der Stimmenzahl nicht mehr so genau, nur der allgemeine musikalische Charakter blieb bestehen. Trios im strengsten Sinne haben hier nur Bourrée und Passepied; letzterer erscheint ungemein geistreich als sein eigner Gegensatz, indem sämmtliche Violinen und Bratschen die in die Mitte gelegte Melodie geigen, die Oboen aber in Achtelgängen sich darüber hin wiegen. Das Trio der Gavotte ist eigentlich auch nur dreistimmig, die vereinigten Geigen und Bratschen lassen in Intervallen und ohne damit bis zu Ende zu reichen einen leisen, fanfarenartigen Gang hineintönen – ein Spaß, den sich Bach auch im ersten Satze des ersten brandenburgischen Concerts mit den Hörnern gemacht hatte. Das Trio des Menuetts dagegen wird vierstimmig nur von den Saiteninstrumenten vorgetragen; duftig süß und heimlich kosend schwebt es mit elastischem Tritt. In der H moll-Partie folgen auf die Ouverture: Rondo, Sarabande, Bourrée, Polonaise, Menuett und ein freies Stückchen im 2/4 Takt, »Tändelei« (Badinerie) überschrieben; Bourrée hat ein Trio, Polonaise eine Variation. Durchweg hat diese Partie, in der außer dem Streichquartett nur eine Flöte mitwirkt, ein ganz besonders vornehmes und gewähltes Wesen; sie steht hiermit sogar [749] in einem gewissen Gegensatze zu den übrigen, ohne jedoch des populären Zuges ganz zu entbehren. Die Rondoform, welche uns in Bachschen Werken hier zum ersten Male begegnet, scheint aus Frankreich importirt zu sein; in ihr wechselt ein kurzer, gewöhnlich achttaktiger Satz mit etwas längeren Zwischensätzen von beliebiger Anzahl ab. Das in Rede stehende Rondo bewegt sich frei innerhalb dieses Schemas, indem es auch in den Zwischenperioden den Hauptsatz anklingen läßt, dieser ist eine wahre Perle an musikalischer Erfindung und ganz in Bachsche Melancholie getaucht. Die Sarabande beschäftigt das Ohr durch interessante Canonik zwischen Oberstimme und Bass, die erste Bourrée ergötzt durch eine burleske Durchführung des Basso ostinato


 

3.


 

die Variation der reizenden Polonaise bringt von Anfang bis zu Ende die Melodie im Basse, wozu die Flöte figurirt, gestützt von den Accorden des Cembalo. Mit ihr muß die prächtig wohllautende G dur-Polonaise aus Händels E moll-Concert vergleichen, wer sich die Verschiedenheit beider Meister auch auf diesem Gebiete einmal recht hell ins Bewußtsein bringen will88. Die Badinerie am Schlusse repräsentirt zwar keinen bestimmten Tanztypus, ist aber doch ganz in der zweitheiligen Form gehalten. Die Verwendung solcher Stücke hatte man, wie schon der Name sagt, von den Franzosen angenommen. Man gab auch wohl wirklichen Tänzen Ueberschriften à la Couperin, so nennt Bernhard Bach einmal eine Bourrée les plaisirs, ein andres Mal eine solche la joye, doch mischt grade dieser Künstler auch wohl Stücke ein, die von der Tanzform ganz abgehen, andrerseits kenne ich eine Orchesterpartie von Telemann, in der alle Stücke in Tanzrhythmen stehen, aber kein einziges einen Namen hat. Es herrschte, wie man sieht, große Freiheit. Eine zusammenfassende Bezeichnung solcher freier Tanzformen war Air, welche keineswegs nur von einfachen und gesangreichen Stücken gebraucht wurde89. In derselben Weise wie die H moll-Partie endigt auch die eine der beiden in D dur stehenden.Réjouissance heißt hier das Finale, und [750] bewegt sich frisch und keck im Tripeltakt. Die übrigen Nummern sind, von der Ouverture aus gezählt: Bourrée 1 und 2, Gavotte, Menuett 1 und 2. Den Bestand der andern D dur-Partie machen aus: Air, Gavotte 1 und 2, Bourrée, Gigue im italiänischen Stil. Außer der Tonart haben sie noch die stärkere Besetzung gemeinsam, dieselbe besteht neben dem Streichquartett in drei Trompeten, drei, beziehungsweise zwei Oboen, und Pauken. Die letztgenannte Partie wird auch in unserer Zeit wieder gern und häufig gehört, die andern sind dessen nicht minder würdig. Sämmtliche Orchesterwerke Bachs werden sich hoffentlich dauernd in unserm öffentlichen Musikleben einbürgern, sobald die materiellen Hindernisse beseitigt sind, welche einem großen Theile von ihnen den Einzug bis jetzt versperren. Vor allem ist die Herstellung der alten beweglichen, umfang- und ausdrucksreichen Trompeten unerläßlich. Das Instrument, welches man an ihrer Stelle jetzt zu verwenden hat, kann das Geforderte entweder garnicht leisten, oder vergröbert durch seinen auf dringlichen Ton die feinen Bachschen Linien dergestalt, daß nur ein Zerrbild entstehen kann.

Es ist früher darauf hingewiesen90, daß auch Bernhard Bach, der Vetter Sebastians, als Componist von Orchesterpartien Ausgezeichnetes geleistet habe. Auch bei diesem Künstler treten dadurch die Einwirkungen des Kunstpfeifergeschlechts, das ihn hervorgebracht hatte, recht greifbar zu Tage. Er darf wohl das Recht beanspruchen, als der erste in dieser Kunstgattung nach Sebastian Bach angesehen zu werden. Ludwig Bach in Meiningen ist der Nachwelt nur durch eine einzige Partie bekannt geworden, aber auch aus dieser spürt sich jener urwüchsige Zug heraus, der bei der Neigung dieses Meisters zu Weichheit und italiänischem Wohlklang um so merkenswerther ist. Jedenfalls stehen alle Orchesterpartien andrer Componisten, die ich kennen lernen konnte, weit hinter den Erzeugnissen der Bachs zurück. Händel hat sich meines Wissens auf diesem Felde nicht versucht.

Wir nennen Händel im Gegensatze zu Bach das universalere Talent; mit Recht, insofern darunter sein Verhältniß zum Culturleben der Völker und seine Wirkung auf dasselbe verstanden sein [751] soll. Er schulte sich in Deutschland, durchwanderte Italien, studirte französische Musik, lebte in England. Wie kein andrer unsrer großen Meister vermag er es, diejenigen Saiten des Menschengemüthes in Schwingung zu setzen, die von Nationalität und Zeit unabhängig mehr oder weniger überall dieselben sind und bleiben. Sieht man dagegen auf die in der Gesammtheit seines Schaffens zu Tage tretenden musikalischen Grundstoffe, so findet sich, daß er einen beträchtlichen Theil der Elemente, welche damals die musikalische Atmosphäre erfüllten, ganz unbenutzt gelassen hat. Universal im Zusammenfassen aller Musikformen der damaligen Culturvölker war nicht er, sondern Bach. Der Gang unsrer Darstellung berechtigt dazu, es schon an dieser Stelle auszusprechen, daß keine einzige musikalische Form im Laufe des 17. Jahrhunderts oder am Beginn des 18. entstanden ist, welche nicht durch Bach entweder allein, oder durch Bach im Verein mit Händel zur endgültigen Entwicklung gebracht wäre. Schon beim Abschluß der Schilderung seiner weimarischen Periode war auf den gewaltigen, von Bach verarbeiteten Reichthum der Formen aufmerksam gemacht. Rechnet man zu ihnen noch die Kammersonate, die Suite und die Orchesterpartie mit der französischen Ouverture, so ist thatsächlich alles erschöpft, was auf rein musikalischem Gebiete Deutschland, Italien und Frankreich boten. Wenn also das Urtheil treffend bleiben soll, daß Händel sich mehr ausbreitete, Bach mehr vertiefte, so darf es nicht so verstanden werden, daß letzterer nur auf ein Kunstgebiet oder wenige beschränkt geblieben wäre. Das Wesen der Musik geht an und für sich in die Tiefe, und wird es um so mehr thun, je reicher es sich entfaltet. Vielmehr überwog bei Händel die poetische und durch das gesungene Wort allgemeiner verständliche, bei Bach die rein musikalische Seite ihrer Kunst. Ohne Frage gelangt auch in Händel eine Reihe echt deutscher Züge zum reinsten, preiswürdigen Ausdruck: jene Neigung, sich dem Fremden hinzugeben, um es in der eignen Persönlichkeit zu überwältigen, zu reinigen, zu vervollkommnen; dazu die Unerschrockenheit, die Ausdauer, der gerade Sinn, die sittliche Hoheit! Aus diesen Gründen ist und bleibt er der unsere, mehr jedoch als ganzer Mensch, als speciell in seinem Musikerthum. Denn grade die eigentlich deutsche Kunst seiner Zeit, die Orgelkunst mit dem Choral als Mittelpunkt, hat er vernachlässigt. [752] Daß dieselbe bei Bach recht eigentlich der Focus war, in den alle Lichtstrahlen gesammelt wurden, um von dort aus zu neuen Wirkungen entlassen zu werden, das macht diesen nun im eminentesten Sinne zu einem nationalen Musiker. Nicht seine Persönlichkeit bildete das Ferment, welches alle Kunstelemente der Zeit durchsäuerte, sondern diejenige Musik, welche damals allein der vollste und reinste Ausdruck des deutschen Wesens war, und die an ihm nur ihren berufensten Vertreter hatte. Auf ihrem Grunde erbaute er in Weimar die Kirchencantate, von ihr aus durchdrang er dort und energischer noch in Cöthen jede nur irgend berechtigte musikalische Form und füllte sie mit edlerem Inhalte. Aber damit nicht genug. Diese neugeschaffenen Tonwesen wirken lebenzeugend weiter, umschlingen sich, senden ihre Kräfte hierhin und dorthin, streben von entfernten Polen einander entgegen, scheiden Trennendes aus, schießen krystallisch zusammen zu neuen und neuen, größeren und größeren Bildungen. Bachs Entwicklung, wenn man nur einmal das treibende Element darin erkannt hat, wächst und blüht auf wie eine Blume, es ist als sähe man in die großartige Werkstatt der Natur:


 

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem Andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

Und sich die goldnen Eimer reichen,

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all' das All durchklingen!


 

Ja wohl, nicht nur die Bachschen Schöpfungen klingen, klingen das Wesen der Tonkunst reiner vielleicht zurück, als die eines andern deutschen Meisters, nein, sein eignes Werden, Wachsen und Leben ist Musik, Musik in jenem tiefsten Verstande, wie ihn die Worte des Goetheschen Faust zum Ausdruck bringen, ein Spiegelbild der ewigen Harmonie des Makrokosmus. Jene sittlich kräftigende und beglückende Wirkung, welche der Versenkung in die Natur wie dem Genusse jeder echten Musik entströmt, ruht auch in dem scheinbar einfachen, bewegungs- und abwechslungsarmen Lebensgange des großen Mannes; schlummernd bisher; möchte es gelingen, sie zur Freude und Erhebung seines Volkes zu erwecken!

Fußnoten

 

 

IV.

 

Nach den Lebensanschauungen, die im Bachschen Geschlechte herrschten, war es ziemlich selbstverständlich, daß Sebastian im Wittwerstande, zu welchem er durch den plötzlichen Tod seiner ersten Gattin verurtheilt war, nicht verblieb. Sein Vater hatte in gleichem Falle und bei viel vorgerückterem Alter schon nach sieben Monaten eine neue Ehe geschlossen. Wußte sich nun gleich der Sohn nicht während einer so kurzen Zeit über den schmerzlichen Verlust zu trösten, so traf er doch am Ausgange des Jahres 1721 zu einer neuen Vermählung Anstalt. Schon seit lange war er mit der herzoglichen Capelle zu Weißenfels bekannt; einen der dortigen Kammermusiker hatte er im Jahre 1714 zum Pathen seines Sohnes Philipp Emanuel erwählt. In der jüngsten Tochter des Hof-und Feld-Trompeters Johann Caspar Wülken fand er diejenige, welche ihm die so jäh zerstörte Häuslichkeit von neuem gründen sollte. Anna Magdalena Wülken war damals einundzwanzig Jahre alt; die Hochzeit fand am 3. December in Bachs Hause statt. So hatte es der Fürst Leopold befohlen, der um so innigern Antheil an diesem bedeutungsvollen Schritte seines Schützlings nahm, als er, genau acht Tage später, seine eigne Vermählung mit der neunzehnjährigen Prinzessin von Anhalt-Bernburg, Friederike Henriette, feierte1. Die junge Frau wurde dem Meister eine Quelle andauernden, innigen Eheglückes. Sie war sehr musikalisch und nahm an der Künstlerthätigkeit des Gatten weit mehr als nur genießenden Antheil. Mit einer vortrefflichen Sopranstimme begabt wirkte sie bei der Ausführung von Sebastians Compositionen freilich nicht öffentlich mit, desto eifriger aber im Familienkreise, und bildete den Mittelpunkt der kleinen Hauscapelle, welche Bach von nun an allmählig aus dem Bestande seiner eigensten Familienmitglieder heranzuziehen begann. Anmuthig schreibt er darüber am 28. October 1730 an seinen Freund [754] Georg Erdmann: »Ingesamt aber sind sie [näml. die Kinder] gebohrne Musici und kann versichern, daß schon einConcert vocaliter und instrumentaliter mit meinerFamilie formiren kan, zumahle da meine itzige Frau gar einen saubern Soprano singet, auch meine älteste Tochter schlimm einschläget [d.h. tapfer mit eingreift]«. Auch mit der Notenfeder wußte Anna Magdalena sehr wohl umzugehen, und nicht selten setzte sie sich, wenn die häusliche Arbeit gethan war, nieder, um dem vielbeschäftigten Gatten beim Copiren eigner oder fremder Musikalien behülflich zu sein. So hat sie an einer schönen Handschrift der Solo-Sonaten für Violine und Violoncell mitgearbeitet, und eine Abschrift von Händels Composition der Broc kes'schen Passionsdichtung ist zum größten Theile von ihr gefertigt. Ihre Notenschrift ist etwas weniger leicht als die Sebastians und von dieser in der Form des C-Schlüssels, der Quadrate und Kreuze und andrer Kleinigkeiten unterschieden, doch sehr flüssig und ausgeschrieben, ohne eine Spur weiblicher Ungeübtheit, ebenso die Buchstabenschrift, welche gleichfalls in einzelnen Formen von der des Gatten abweicht; aber der ganze Ductus von Noten sowohl als Buchstaben ist oft der Bachschen Handschrift so ähnlich, daß die Unterscheidung schwer fällt. An ihren lateinischen Lettern läßt sich dagegen die Hand sofort erkennen und ein mit großen Zügen hingemaltes


 

4.


 

wird man charaktervoll und schön nennen dürfen. Aber hiermit nicht genug; sie wurde auch eine eifrige Schülerin des Gatten im Clavierspiel, ja sogar im Generalbassspiel. Zeugen sind zwei von beiden Eheleuten gemeinsam mit mannigfaltigem Inhalte gefüllte Notenbücher, die ein inniges, zärtliches Verhältniß in rührender Weise zu Tage treten lassen2. Das ältere von beiden ist in klein Querquart, hat einen bescheidenen grünlichen Einband mit Rücken und Ecken von braunem Leder. Auf der Innenseite des Einbandes steht mit gothischen Buchstaben nicht sehr regelmäßig geschrieben: »Clavier-Büchlein | vor | Anna Magdalena Bachin | ANNO 1722. |« Dann folgt noch der Buchstabe B in [755] einer neuen Zeile, als ob noch etwas hätte hinzugefügt werden sollen; sodann von Bachs Hand Folgendes:


 

»Anti Calvinismus und von D. Pfeifern.

Christen Schule item von D. Pfeifern.

Anti Melancholicus von D. Pfeifern.«3


 

Das Büchlein war also unmittelbar nach der Verheirathung angefangen worden. Die unter dem Titel stehenden Worte bezeichnen in gedankenvoller Spielerei den Zweck des Buches: gegen die kunstfeindliche, schwunglose calvinistische Religionslehre, welche in Cöthen die herrschende war, gegen alle Leiden und bittren Erfahrungen des Lebens, die »Schule des Christen«, gegen alle trüben Gedanken und Verstimmungen sollte es ein Mittel sein. Kann man die Zwecke der Musik für Kirche und häusliches Leben naiver und vollständiger bezeichnen? Dominus Pfeifer stellt vermuthlich den Geber des Buches dar. In Cöthen lebte Keiner dieses Namens4, im übrigen ist derselbe zu häufig, als daß mit einiger Sicherheit auf die Persönlichkeit zu rathen wäre. Der Titel deutet auf einen Geistlichen, das Büchlein war vielleicht ein Brautgeschenk. Seinen Inhalt machen größtentheils die »französischen Suiten« aus, auf welche wir gleich zurückkommen. Außerdem steht ein colorirter dreistimmiger Choral: »Jesus, meine Zuversicht« darin5, eine fragmentarische Fantasie für Orgel, – wollte Anna Magdalena auch die Orgel spielen lernen? – eine Arie mit darüber begonnenen Variationen und ein Menuett6. Das zweite, größere Buch tritt in einem grünen, goldgepreßten Einbande mit Goldschnitt und braunseidnem Hebebande am Oberdeckel anspruchsvoller auf. In der Mitte des Deckels steht mit Gold-Buchstaben und Zahlen:


 

A. M. B.

1725.


 

Es gehört also schon in die Leipziger Zeit und wird ein Geschenk des Gatten sein. Außer zwei Clavierpartiten (A moll und E moll des [756] ersten Theils der Clavierübung), zwei der »französischen Suiten«, dem C dur-Praeludium des »wohltemperirten Claviers« und der Arie zu den Goldbergschen Variationen (im vierten Theile der Clavierübung veröffentlicht), stehen darin hauptsächlich kleinere, von Anna Magdalena selbst geschriebene Stücke, Polonaisen, Menuette, Märsche und dergleichen, die wohl nicht alle Sebastians Compositionen sind, ein Menuett (auf Seite 70) trägt ausdrücklich die Aufschrift »fait par Mons. Böhm«. Doch stößt man auch auf verschiedene Gesangstücke. Zuerst begegnet das schöne Lied des Paul Gerhard: »Gieb dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens«. Es muß ein Liebling Bachs gewesen sein, denn es findet sich dreimal hinter einander und mit zwei ganz neuen Melodien, aus F dur und E moll (oder G moll), versehen. Bei letzterer ist Bach ausdrücklich als Componist bemerkt, und mit Recht wurde auf diese Melodie ein besonderes Gewicht gelegt, sie ist eine der ergreifendsten geistlichen Arien, die es giebt, und wer je Gelegenheit hatte, sie in Bachs vierstimmigem Tonsatze in würdiger Umgebung zu hören, wird einen unvergeßlichen Eindruck fürs Leben davon getragen haben7. Gegen das Ende hin hat Bach noch eine schöne eigne Composition des Liedes von B. Crasselius eingeschrieben: »Dir, dir, Jehovah, will ich singen«8, vor und nach diesem finden sich die Gesänge »Schaffs mit mir, Gott, nach deinem Willen« und »Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen«9. Außer diesen zwischen Gemeinde- und Kunstgesang in der Mitte sich haltenden Tonstücken stehen einige für Anna Magdalenas Stimme berechnete wirkliche Arien darin. Den Preis unter ihnen trägt das kostbare Stück davon: »Schlummert ein, ihr matten Augen, fallet sanft und selig zu«, nebst dem zugehörigen Recitativ aus der Kirchen-Cantate »Ich habe genug, ich habe den Heiland« herübergenommen und, um es der Sängerin bequem zu machen, aus Es dur nach G dur transponirt10. Eine zweite, mehr liedhafte Arie [757] in Es dur: »Gedenke doch, mein Geist, zurücke ans Grab und an den Glockenschlag« u.s.w. mahnt zur Vorbereitung auf den Tod; auch sie ist jedenfalls eine Composition Sebastians und weist Anna Magdalenas Handschrift auf. Ihr folgt, wenngleich in anderer Tonart, so doch jedenfalls in der Stimmung der Schreiberin mit ihr verbunden der Choral: »O Ewigkeit, du Donnerwort«. Eine dritte, ähnliche Arie in F moll: »Warum betrübst du dich und beugest dich zur Erden, mein sehr geplagter Geist« handelt von der Ergebung in Gottes Willen. Wie innig das Verständniß der jungen Frau für die großartige, melancholisch beleuchtete Gedankenwelt des Gatten sein mußte, wird aus der Beschaffenheit dieser Gesangstücke recht deutlich. Traulicheren Charakters sind zwei andre Lieder. Die »erbaulichen Gedanken eines Tabakrauchers« zeigen den Hausvater Bach in bürgerlicher Behaglichkeit, aber auch hier ernsten Betrachtungen hingegeben:


 

So oft ich meine Tabakspfeife,

Mit gutem Knaster angefüllt,

Zur Lust und Zeitvertreib ergreife,

So giebt sie mir ein Trauerbild,

Und füget diese Lehre bei,

Daß ich derselben ähnlich sei.


 

Diese Aehnlichkeit zwischen der zerbrechlichen Thonpfeife mit ihrem rasch verdampfenden Inhalte und dem hinfälligen Menschenleibe wird sodann in fünf Strophen durchgeführt. Das Lied ist zweimal vorhanden, zuerst in D moll, sodann für den Sopran nach G moll transponirt; Anna Magdalena wollte es selbst singen und hat es auch geschrieben. Das zweite ist, seiner cyklischen Form wegen, wieder mehr Arie zu nennen. Sein Text:


 

Bist du bei mir, geh ich mit Freuden

Zum Sterben und zu meiner Ruh.

Ach wie vergnügt wär so mein Ende,

Es drückten deine schönen Hände

Mir die getreuen Augen zu.


 

der, wie man sieht, als Anrede des Mannes an das geliebte Weib gedacht ist, hat einen merkwürdig empfindsamen, ganz zart ans Sinnliche streifenden Charakter; Bach setzte eine innige, keusche Musik dazu (Es dur 3/4). Auch sie ist dem Sopran bestimmt, auch sie [758] hat Anna Magdalena selbst geschrieben, nur ein paar Auflösungszeichen wurden, wenn ich mich nicht täusche, nachträglich vom Gatten hineincorrigirt. Dieses An- und Nachempfinden der Stimmungen eines Mannesgemüths ist ein Zeugniß inniger, kindlicher Hingabe11.

Die Musikalien des Buches reichen bis zu dem Choral »O Ewigkeit, du Donnerwort« auf Seite 121; hiermit hört die Paginirung auf. Dann folgt nach einer leeren Seite ein zweistrophiges Hochzeitsgedicht; natürlich kann es nur Anna Magdalena selbst gegolten haben. Daß es nach einer Reihe von seitdem verstrichenen Jahren hier noch seinen Platz fand, ist wohl ein sprechender Beweis glücklicher Ehestimmung:


 

Ihr Diener, werthe Jungfer Braut,

Viel Glücks zur heutgen Freude!

Wer sie in ihrem Kränzchen schaut

Und schönen Hochzeit-Kleide,

Dem lacht das Herz vor lauter Lust

Bei ihrem Wohlergehen;

Was Wunder, wenn mir Mund und Brust

Vor Freuden übergehen.


 

Cupido, der vertraute Schalk,

Läßt keinen ungeschoren.

Zum Bauen braucht man Stein und Kalk,

Die Löcher muß man bohren,

Und baut man nur ein Hennen-Haus,

Gebraucht man Holz und Nägel,

Der Bauer drischt den Weizen aus

Mit groß und kleinem Flegel.


 

Mit diesen beiden, durch beliebte Zweideutigkeiten gewürzten Strophen hatte sich der »übergehende Mund« des Verfassers, sicherlich eines Cöthener Localpoeten, wohl kaum Genüge gethan; wir werden den Verlust des Weiteren verschmerzen können. Auf der Kehrseite [759] des Blattes beginnen dagegen, über vier Seiten fortlaufend, Generalbassregeln. Die erste, kleinere Partie, worin Dur- und Moll-Tonleiter, und Dur-und Moll-Dreiklang erläutert werden, hat Anna Magdalena wohl nach einem Concept Sebastians abgeschrieben, alles folgende, was eine wirkliche Anweisung zum Spielen von bezifferten Bässen enthält, hat Bach eigenhändig eingetragen, und in einer Schlußbemerkung angedeutet, daß der mündliche Unterricht das Weitere thun solle. Auf den Inhalt dieser Generalbass-Regeln kommen wir bei einer andern Gelegenheit zurück.

Anna Magdalena gebar ihrem Gatten in 28jähriger Ehe dreizehn Kinder, nämlich sechs Söhne und sieben Töchter; Bach hat also mit seinen beiden Frauen im Ganzen zwanzig Kinder gezeugt. Ein Oelbild von ihr, zwei Fuß einen Zoll hoch und 23 Zoll breit, von Cristofori gemalt, besaß später der Stiefsohn Philipp Emanuel12. Die in jenen Ständen damals seltene Auszeichnung, portraitirt zu werden, erfuhr sie jedenfalls auf Sebastians Veranlassung; ein neuer Beweis seinerseits von der Liebe und Hochschätzung, auf welche das musterhafte eheliche Leben dieses Künstlerpaares gegründet war.

Als Bach im Jahre 1707 die erste Ehe schloß, überraschte ihn ein Legat seines kurz vorher gestorbenen Oheims Tobias Lämmerhirt aus Erfurt13. Es war ein merkwürdiger Zufall, daß wenige Monate vor seiner zweiten Verheirathung auch dessen Wittwe ohne Nachkommen starb und laut testamentarischer Bestimmung ihm ein Theil des Vermögens zufiel. Sebastian hatte mit der Tante in gutem Einvernehmen gestanden und sie auch zu seinem ersten Kinde als Pathe gebeten. Er fand jetzt Gelegenheit zu beweisen, daß seine Gesinnung gegen sie über das Grab hinaus reichte, da über ihre Hinterlassenschaft alsbald Erbschaftsstreitigkeiten ausbrachen. Tobias Lämmerhirt hatte nämlich kurz vor seinem Tode ein Testament aufgesetzt des Inhalts, daß im Falle seines Hinscheidens zunächst an seine Geschwisterkinder, seine Pathen und Halbgeschwister Legate von einem genau bestimmten Umfange ausgezahlt werden sollten. Das Uebrige solle seiner Wittwe als Universalerbin anheim [760] fallen, jedoch mit der Einschränkung, daß, wenn sie im Wittwenstande bliebe, nach ihrem Tode die Hälfte des Vermögens an seine nächsten Blutsfreunde zurückgehe. Die Wittwe zahlte die Legate aus, blieb im Wittwenstande und setzte am 8. October 1720 ihrerseits wieder ein Testament auf, in dem sie das Vermögen ihres Gatten als ihr Erbe und Eigenthum ansah, davon nach ihrem Tode eine Reihe von Legaten abgeführt wissen wollte und was übrig blieb unter zehn Erben zu gleichen Theilen vertheilte, deren fünf, dem Willen ihres Mannes gemäß, nächste Verwandte desselben, fünf ihre eignen waren. Eröffnet wurde das Testament am 26. September 1721; man war dessen Verordnungen zuerst auch nachgekommen, hatte von der Hinterlassenschaft die Legate abgezogen und den Rest in zehn gleiche Theile zerschlagen. Hernach erst kam einigen der Verwandten des Tobias Lämmerhirt der Gedanke, das Testament noch mehr zu ihren Gunsten ausdeuten zu können. Sie verlangten vor allem die Hälfte des Vermögens zur Herausgabe, das Tobias Lämmerhirt bei seinem Tode hinterlassen und dessen Vollbestand sie auf 5507 Thlr. 6 ggr. berechneten. Von der andern Hälfte sollten dann zuerst die von der Wittwe ausgesetzten Legate abgezogen und der Rest noch einmal in zehn Theile zerlegt werden. Dieser Antrag wurde am 24. Januar 1722 im Namen von sämmtlichen fünf erbschaftsberechtigten Verwandten eingebracht, nämlich Johann Christoph Bach aus Ohrdruf, Johann Jakob Bach, Johann Sebastian Bach, Maria Salome Wiegand geb. Bach, und Anna Christine Zimmermann geb. Lämmerhirt, einer Bruderstochter des Tobias Lämmerhirt. Aber thatsächlich ging er nur von den beiden letzten Personen aus, die, um ihrer Sache mehr Nachdruck zu geben, ohne weiteres Befragen die Zustimmung der Bachschen Brüder zu diesem Vorgehen vorausgesetzt hatten. Mit welcher Leichtfertigkeit sie hierbei zu Werke gegangen waren, wird einleuchtend, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Johann Christoph Bach schon seit dem 22. Februar 1721 nicht mehr am Leben war. Dabei hatten sie den Anwalt, welcher ihnen die Imploration aufsetzte, so oberflächlich informirt, daß dieser in derselben für die Zustimmung Sebastians in Cöthen seinen Bruder Jakob in Stockholm gut sagen ließ, wenn man nicht gar dahinter vermuthen soll, daß sie jenem, dessen noble Denkungsart ihnen bekannt sein mußte, mit dem ganzen Handel garnicht zu kommen [761] wagten. In der That erfuhr Sebastian nur durch die dritte Hand davon. Er sandte darauf dem Rathe zu Erfurt folgenden Brief:


 

»HochEdle, Veste und Hochgelahrte,

auch Hochweise Herren,

Insonders Hochgeehrteste Herren Patroni.


 

Ew. HochEdlen ist albereit bekant, welchergestalt ich und mein Bruder, Joh. Jacob Bach, (so in Königlich Schwedischen Diensten ist) MitErben bey der Lemmerhirtischen Verlaßenschafft seynd. Weil ich nun eußerlich vernehme, daß die andern Herrn MitErben gesinnet seyn, einen process über solche Verlaßenschafft anzuspinnen, gleichwohl aber mir und meinem abwesenden Bruder damit nicht gedienet ist, indeme nicht gesinnet bin das Lemmerhirtische Testament rechtlich anzufechten, sondern mit deme zufrieden bin, was mir und meinem Bruder darinne gegönnet und verordnet worden, maßen ich vor mich und sub cautione rati nomine meines Bruders hiermit allenprocess-Wesen krafft dieses renunciiret und mit gewöhnlicher protestation verwahret haben will. So habe diesem nach es vor nöthig erachtet, solches an Euer HochEdlen dienstlich zu eröffnen, mit gehorsamster Bitte, diese meine respective renunciation und protestation hochgeneigt anzunehmen und die mir und meinem Bruder noch zukommenden Erbschaffts quotas, so wohl von deme, was albereit in deposito liegen als was noch künfftig deponiret werden möchte, hochgütigst abfolgen zu laßen, welche hohe Faveur ich mit ergebensten Dancke erkenne und dafür beharre


 

Ew. Hochedlen

ergebenster Diener

Joh: Seb: Bach.

Hochfürstlich Anhalt-Cöthenischer

Capellmeister.

Cöthen. d. 15. Martij

4.: 1722.


 

[Adresse:]

Denen HochEdlen, Vesten, Hochgelahrten und | Hochweisen Herren Stadt-Schultheißen, Bürge- | meistern, Syndico und andern Raths-Collegen! | Meinen insonders Hochgeneigten Herren Patronis | in Erffurth.|«14


 

[762] Nach dieser entschiedenen Erklärung wird es wohl zur Einleitung des Processes garnicht gekommen sein, es sind auch keine Spuren von Acten, die darauf Bezug nähmen, vorhanden. Um das pietätlose Vorgehen seiner Verwandten zu hindern, trat Sebastian zugleich im Namen seines Bruders Jakob auf, dessen gleich anständiger Gesinnung er sicher war. Johann Jakob Bach hatte, nachdem er 1704 der stillen Heimath Valet gesagt15, alle die kühnen Züge des Schwedenkönigs Karls XII. tapfer mitgemacht, an der Schlacht bei Pultawa theilgenommen und mit seinem königlichen Herrn das türkische Bender erreicht. Dort hatte er bis zum Jahre 1713 treulich ausgehalten und dann die Erlaubniß bekommen, sich als Hofmusicus nach Stockholm in den Ruhestand zu begeben. Er war von Bender zuerst nach Constantinopel gegangen und hatte dort eine Weile das Flötenspiel studirt bei Pierre Gabriel Buffardin, dem späteren Dresdener Kammermusiker und Lehrer des berühmten Quanz, welcher sich zufällig bei der dortigen französischen Gesandtschaft aufhielt und späterhin selber die Thatsache an Sebastian Bach erzählte16. Ob er dann durch Deutschland nach Schweden ging und bei dieser Gelegenheit seine Geschwister in Thüringen besuchte, wissen wir nicht. Nachweislich bezog er von 1713 an aus der Hofkasse in Stockholm seinen Jahresgehalt bis zum Jahre 1721 einschließlich. Im Jahre 1722 muß er gestorben sein, kaum 40 Jahre alt und vermuthlich durch die übermäßigen Anstrengungen des russischen Feldzuges gebrochen. Er hat also wahrscheinlich von der Angelegenheit, in welcher Sebastian seine Ansprüche vertrat, nichts mehr erfahren. Dieser aber mußte nach dem kurz zuvor eingetretenen Tode Johann Christophs, des brüderlichen Lehrers, und einer hochgeschätzten Anverwandten nunmehr auch den Verlust des letzten Bruders betrauern17.

[763] So waren denn wechselnd zwischen Lust und Leid schon mehr als vier Jahre in Cöthen verlebt worden; was aber die Grundlage von Bachs Glücke dort bildete, war sich stets gleich geblieben. Das lebendige, verständnißvolle Kunstinteresse des Fürsten hatte ihn auch die Enge des musikalischen Kreises, in welchen er dort gebannt war, die ausschließliche Beschränkung auf die Kammermusik, das Fehlen jeder kirchlichen Kunstthätigkeit, ganz vergessen lassen. Da sich jedoch Bach hierfür eigentlich bestimmt fühlen mußte, so bedurfte es nur irgend eines äußerlichen Anstoßes, um ihm zum Bewußtsein zu bringen, daß sein Genius ihm nicht gestatte, an dieser wenngleich noch so geliebten Stelle auf immer seine Hütte zu bauen. Diesen Anstoß gab die schon gemeldete Verheirathung des Fürsten. Dessen Gemahlin war nicht musikalisch und nahm die Aufmerksamkeit des jungen Gatten um so mehr für sich in Anspruch, als sie zart und schonungsbedürftig war. Das Interesse für Musik schien bei ihm etwas abzunehmen, und jetzt wurde es Bach plötzlich klar, daß er nicht dazu da sei, mit seinen überragenden Gaben einen einzigen dilettantirenden Fürsten zu bedienen. In dem schon erwähnten Briefe an Erdmann erzählt er dies mit schlichten Worten selbst18. »Von Jugend auf«, schreibt er aus Leipzig, »sind Ihnen meine Fata bestens bewust, bis auf die mutation, so mich als Capellmeister nach Cöthen zohe. Daselbst hatte einen gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten, bey welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen. Es muste sich aber fügen, daß erwehnter Serenissimus sich mit einer Berenburgischen Princeßin vermählete, da es denn das Ansehen gewinnen wolte, als ob die musicalische Inclination bey gesagtem Fürsten in etwas laulicht werden wolte, zumahle da die neue19 Fürstin schiene eine amusa zu seyn: so fügte es Gott, daß zu hiesigem Directore Musices, und Cantore an der Thomas Schule vociret wurde. Ob es mir nun zwar anfänglich gar nicht anständig seyn wolte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden. Weßweg auch meine Resolution auf ein vierthel Jahr trainirete, jedoch wurde mir dieseStation dermaßen favorable beschrieben, daß endlich |: zumahle [764] da meine Söhne denen Studiis zu incliniren schienen :| es in den höchsten Nahmen wagete und mich nacher Leipzig begabe, meine Probe ablegete und so dann die Mutation vornahme.« Daß das zeitweilige Erkalten des musikalischen Interesses beim Fürsten wirklich nur der äußere Anstoß zu einem Schritte war, dessen Notwendigkeit ganz allgemein in Bachs künstlerischem Wesen begründet lag, ergiebt sich deutlich daraus, daß sein Entschluß bestehen blieb, obgleich die »musenfeindliche« Persönlichkeit, die Fürstin Friederike Henriette, schon am 4. April 1723 starb; erst im Mai des Jahres verpflichtete er sich in Leipzig zur Uebernahme des Cantorats an der Thomas-Schule. Unterdessen erfolgte in Cöthen die Beisetzung der Verstorbenen ohne jede musikalische Feierlichkeit20. Der Fürst verheirathete sich zum zweiten Male am 2. Juni 1725 mit Charlotte Friederike Wilhelmine, einer Prinzessin von Nassau-Siegen. Hatte er sich gleich örtlich von Bach trennen müssen, so blieb dieser doch sein Capellmeister »von Haus aus«21. Als solcher componirte er zum 30. November 1726, dem ersten Geburtstage der zweiten Fürstin nach ihrer Vermählung, eine Gratulations-Cantate, zu welcher der Leipziger Gelegenheitsdichter Christian Friedrich Henrici, oder Picander, wie er sich als Jünger Apolls zu nennen pflegte, die Worte geliefert hatte22. Sie beginnt mit einem Chore: »Steigt freudig in die Luft zu den erhabnen Höhen« (D dur 3/4), bringt dann zwischen vier Recitativen drei anmuthige Arien, deren zweite sich vielleicht nicht ohne Absicht besonders hervorthut; sie ist für den Bass geschrieben und Fürst Leopold war selbst ein tüchtiger Bassist. Den Abschluß macht ein fröhlicher, homophoner Chor im Gavotten-Rhythmus, Recitativ-Sätzchen sind hineingefügt; sein Anfang stimmt, beiläufig bemerkt,[765] fast genau mit dem Thema von Beethovens Chor-Fantasie überein. Das freundliche, wenn auch nicht sehr bedeutende Werk wurde später mit etwas verändertem Text noch zu einer andern Geburtstags-Huldigung verwendet und endlich auch zur Cantate auf den ersten Advents-Sonntag umgearbeitet, wo denn die Recitative ausgeschieden und statt deren Choralbearbeitungen eingesetzt wurden23. Bald darauf hatte Bach die Todtenfeier des geliebten Gönners durch seine Kunst zu schmücken, der am 19. November 1728 sein kurzes Leben beschloß24. Es geschah dies durch eine großartige Trauermusik, welche er 1729, vermuthlich am Anfange des Jahres, selbst in Cöthen aufführte. Das musikalische Personal dazu (wohl auch schon zu der Gratulationscantate) wird er von Leipzig mit herüber gebracht haben; in Cöthen selbst war man auf dergleichen nicht eingerichtet. Den Text machte wieder Picander25. Er besteht aus vier Abtheilungen und ist auf Doppelchöre angelegt. Die Musik existirte noch bis zum Jahre 1819; dann verschwand sie spurlos, und wir haben nichts, das uns für diesen vielleicht auf immer eingetretenen Verlust entschädigen kann, als das begeisterte Lob ihres letzten Besitzers26. Unfraglich hatte der Meister dafür seine ganze Kraft zusammen genommen. So zerriß erst der Tod das Band, das die Ferne nicht hatte lösen können. Wehmutherfüllt und schweren Herzens zog Bach jetzt davon27. Aber was der Cöthener Aufenthalt für ihn sein konnte, war er gewesen: durch eine mehr als fünfjährige fast ausschließliche Beschäftigung mit der instrumentalen Kammermusik hatte er seinen Genius an der reinsten und unmittelbarsten Quelle der Tonkunst weiter gekräftigt, um nun gerades Weges jene allerhöchsten Ziele zu erreichen, für welche er geboran war.

[766] Er hatte die Zeit redlich benutzt. Wir versuchten die dichte Fülle der Kammermusikwerke zu überblicken, welche theils nachweislich, theils wahrscheinlich in Cöthen componirt sind. Noch fehlen aber in dem Gesammtbilde jene zwei Werke, welche mit den Inventionen und Sinfonien zusammen die höchsten Spitzen der cöthenischen Claviercompositionen darstellen. Es sind die »französischen« Suiten und das »wohltemperirte Clavier«.

Die französischen Suiten stehen, wie gesagt, größtentheils in Anna Magdalenas erstem Büchlein und füllen dasselbe fast ganz aus28. »Französische« hat man sie später, wohl ohne Zuthun des Componisten, wegen der knappen Formen ihrer Bestandteile genannt, die sich auch in den äußern Dimensionen möglichst eng an den zu Grunde liegenden Tanztypus anschließen. Hiermit stehen sie zu den breiten, symphonischen Formen der späteren Partiten und sogenannten englischen Suiten im Gegensatz. Im übrigen ist an eine Nach- und Weiterbildung besonderer französischer Eigenthümlichkeiten nicht zu denken; dergleichen findet sich bei Bach überhaupt nicht vor und konnte auch nur in frühesten Jugendwerken möglich sein29. Eher läßt sich von einer gewissen Verwandtschaft mit Georg Böhms Suiten reden, der ja allerdings von französischer Seite stark beeinflußt war; aber die Verwandtschaft ist eben nur eine innere. Die Gestalt der französischen Suiten ist durchweg die oben ausführlich beschriebene; Allemande, Courante, Sarabande, Gigue bilden die notwendigen Bestandteile; zwischen die beiden letzten Stücke sind Intermezzi eingeschoben. Ein Praeludium besitzt keine; zu der vierten scheint ursprünglich eins vorhanden gewesen, dann aber der Einheitlichkeit wegen getilgt zu sein30. Ueberhaupt macht das Werk den Eindruck nicht einer durch Zufälligkeiten entstandenen oder bestimmten Collection, sondern eines mit künstlerischem Verstande geordneten und aus einem Gusse gestalteten Ganzen. Wie bei den Inventionen und Sinfonien, so finden sich auch hier Paralipomena in nicht unbeträchtlicher Anzahl, die beweisen, mit welcher Sorgfalt der Meister das Beste auswählte. Nicht weniger als [767] drei vollständige Suiten von derselben Beschaffenheit im Einzelnen und Ganzen liegen noch außerdem vor. Sie stehen in A moll, Es dur und E moll und sind so vortrefflich, daß es schon etwas ausgesucht schönes sein mußte, was sie zurückdrängen konnte31. Mit sorgfältiger Abwägung stehen die drei ersten der französischen Suiten in Moll (D moll, C moll, H moll), die drei letzten in Dur (Es dur, G dur, E dur). Aber auch die Moll-Suiten sind weniger tiefen und ernsten, als sinnigen, elegischen Charakters, der sich jedesmal durch die Gigue am Schlusse kräftig und elastisch emporrichtet. Eine formelle Seltsamkeit ist die Gigue der D moll-Suite; sie steht im 4. Takt und schreitet gewichtig und entschieden daher, fast wie das Grave einer französischen Ouverture; der Typus ist jedenfalls ganz unkenntlich geworden. Eine entzückende Stimmung waltet in den drei letzten Suiten, eine selige und beseligende Fröhlichkeit, ein zufriedenes, glückliches Gefühl, daß die Welt so schön ist und der Mensch sich ihrer freuen darf; Frühlingssonnenschein und Veilchenduft glänzen und duften überall hervor. Fürwahr, der rechte Antimelancholicus! Die einzelnen Stücke überbieten einander an unaussprechlichem und stets verschiedenem Reize; eitles Bemühen wäre es, über sie im Besondern etwas sagen zu wollen. Die Formen sind die allereinfachsten. Schumann meint einmal32, über manches in der Welt lasse sich garnichts sagen, z.B. über die C dur-Symphonie mit Fuge von Mozart, auch über einiges von Beethoven. Wenn wir fortfahren: über vieles von Bach, zumal über die französischen Suiten, wird es wohl in seinem Sinne geschehen. Daß ihn, den Bach-verwandten Geist, grade auch dieses Werk ganz gefangen genommen hatte, hat er unabsichtlich bewiesen durch die Nachbildung, welche die Gavotte der E dur-Suite in einem seiner Streichquartette erfuhr33.

[768] Viele einzelne Beispiele haben uns bereits gezeigt, zu welcher alles überragenden Meisterschaft es Bach in der Fugenform gebracht hatte, vor allem auf der Orgel, dann aber auch in der Clavierfuge. Es mußte ihm der Gedanke nahe sein, auch von Tonstücken dieser Gattung eine Anzahl zu einem Sammelwerke zusammenzuschließen. Die Ausführung des Planes fand im Jahre 1722 statt. Dem Werke gab er folgenden Titel: »Das wohl temperirte Clavier oder Praeludia und Fugen durch alle Tone und Semitonia so wohltertiam majorem oder Ut Re Mi anlangend, als auchtertiam minorem oder Re Mi Fa betreffend. Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend als auch derer in diesem Studio schon habil seyenden besondern Zeit Vertreib aufgesetzet und verfertiget von Johann Sebastian Bach p.t. Hochfürstl. Anhalt. Cöthenischen Capell-Meistern und Directore derer Cammer-Musiquen. Anno 1722.« Der instructive Zweck ist also auch hier deutlich ausgesprochen. Er war es jedenfalls zunächst, der das Princip der Zusammenstellung bedingte: einen Lauf durch alle 24 Dur- und Moll-Tonarten, deren einige damals noch ganz ungebräuchlich waren, und zu denen durch die neue Methode des Fingersatzes und seine Art, das Clavier zu stimmen, Bach zuerst den Zugang eröffnet hatte34. Auch darin tritt die lehrhafte Absicht in ihrer ganzen Schlichtheit hervor, daß Bach die 24 Tonarten nicht nach dem Gesetze innerer Verwandtschaft geordnet hat, wie eine solche schon zehn Jahre zuvor Heinichen in seinem »musikalischen Zirkel« dargelegt hatte, sondern in einfacher chromatisch aufsteigender Folge. Und nicht minder ist diese Schlichtheit den einzelnen Musikstücken eigen. Sie verzichten auf jeden äußerlich bestechenden Schmuck; höchste Solidität, ein keusches, bis in die letzte Note bedeutungsvolles Wesen ist ihr gemeinsames Merkmal. Den bei weitem größten Theil derselben hat Bach jedenfalls während der Cöthener Periode, ja wahrscheinlich in einer und derselben Zeit rasch hinter einander geschrieben. Eine glaubwürdige Tradition berichtet, daß dies an einem Orte geschehen sei, wo er jede musikalische Beschäftigung, ja alle musikalischen Instrumente habe entbehren müssen; hier habe er Unmuth und Langeweile durch einen [769] solchen Zeitvertreib von sich fern zu halten gesucht35. Vermuthlich war dies auf einer der Reisen gewesen, auf denen er seinen Fürsten zu begleiten hatte. Jedoch derartig aus einem Guß, wie die französischen Suiten oder auch die Inventionen und Sinfonien, ist das Werk nicht: einmal tragen einige, wenngleich nur wenige Fugen deutlich den Stempel einer früheren Entstehungszeit, sodann sind auch nicht alle mit ihren Praeludien zusammen gedacht und geschaffen. Am greifbarsten verräth sich als älteres Werk die Fuge aus A moll, zunächst durch den am Schlusse eintretenden Pedalton – ein unorganischer Effect, auf den wir an verschiedenen Stellen aufmerksam gemacht haben, und den der Componist in reiferen Jahren gänzlich verschmähte. Außerdem tritt an diesem Pedalton zu Tage, daß die Fuge ursprünglich für Cembalo gesetzt war. Hiermit steht sie aber zu der Intention des Gesammtwerkes im Gegensatz, das zunächst für eine Ausführung auf dem Clavichord bestimmt ist. Nach der Stellung, welche Bach zum Clavichord einnahm, ist dies bei einem Werke, wie das wohltemperirte Clavier, schon an sich fast selbstverständlich; es läßt sich aber auch aus Takt 15 auf 16 der Es moll-Fuge beweisen, wo jedenfalls nur deshalb in der Oberstimme nicht von 4. nach 4. fortgeschritten wird, weil dieses auf den meisten Clavichorden fehlte; ferner geht es aus Takt 30 der A dur-Fuge hervor, wo der beschränkten Claviatur zu Liebe die regelrechte Imitation der rechten Hand abgeändert wurde36. Desgleichen schreitet der Bass, von einigen unwichtigen Octavenverdopplungen abgesehen, nicht unter C hinab, während das Cembalo nach beiden Seiten größeren Umfang hatte, den Bach auch ohne Anstand benutzt37. Nun aber kommt weiter hinzu, daß die A moll-Fuge eine offenbare Nachbildung einer Buxtehudeschen Orgelfuge gleicher Tonart ist38. Dies tritt besonders in der Disposition hervor. Erst erfolgt eine Durchführung in motu recto [770] bis T. 14, dann in motu contrario bis T. 27; dann Engführung in motu recto bis T. 48, Engführung in motu contrario bis T. 64; von hier an tritt zunächst Engführung zweier Stimmen in motu recto ein, zweier andrer dagegen in motu contrario, dann noch eine eben solche Engführung zwischen Alt und Bass in F dur, endlich von T. 76 an das Thema in verkehrter Bewegung, der Gefährte eine Secunde höher in rechter, Engführung in rechter Bewegung von T. 80 und Schluß über einem Orgelpunkt. Das Hin- und Wiederspielen zwischen rechter und verkehrter Bewegung bildet nun genau so das Entwicklungs-Motiv in Buxtehudes Fuge, nur hat derselbe nach seiner Weise den Bau durch Taktwechsel mit motivischer Umbildung und ein passagenreiches Nachspiel erweitert. Bach bewahrt äußerlich eine größere Concentrirtheit, allein seine ganze Anlage erscheint mehr verstandesmäßig kühl ersonnen, als lebendig in der Phantasie geschaut. Die Fuge hat etwas studienhaftes, entwickelt sich nicht innerlich und bringt es zu keinen Höhepunkten. Ein Hauptgrund liegt darin, daß das Thema sich zu so ausgedehnten Engführungen nicht eignet, sie bewegen sich fast durchhin in Sexten- und Terzen-Intervallen, klingen also nur als Harmonisirung des Themas mit und binden eine reichere harmonische und polyphone Entfaltung; auch ermüdet der Rhythmus. Noch weniger kann die Umkehrung des Themas befriedigen. Der charakteristische Septimenschritt4. -gis ist zerstört, in der Umkehrung erscheint er nicht mehr als eine nothwendige melodische Folge, sondern als eine unmelodische, willkürliche Versetzung des Themas in die höhere Octave, denn das Ohr verlangt an dieser Stelle jedesmal einen halben Ton abwärts geführt zu werden. Auch wird die Tonart unsicher, das Thema geräth dabei immer aus Moll nach Dur und aus Dur nach Moll. Es bedarf nur eines Blickes auf die ganz ähnlich angelegte B moll-Fuge im zweiten Theile des wohltemperirten Claviers, um zu erkennen, wie ein reifer Meister mit derartigen Kunstmitteln schaltet. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir die Entstehungszeit der A moll-Fuge um 1707 oder 1708 suchen. Auch in der Gis moll-Fuge ist eine Jugendarbeit ziemlich klar erkennbar. Das Thema fällt durch eine etwas steife Bewegung auf, die mit der unvergleichlichen Elasticität andrer Bachscher Gedanken merkwürdig contrastirt; die accordische Contrapunctirung, welche hier nicht selten aufstößt, läßt man sich wohl [771] bei Buxtehude, Buttstedt und andern Künstlern der älteren Generation gefallen, von Bach erwartet man sie nicht, eben so wenig das Hinaufschieben einer und derselben Tonphrase auf höhere Tonstufen. In der Behandlungsweise sind einige Aehnlichkeiten mit einer früher genannten A moll-Fuge vorhanden39, die mit dieser dieselbe Entstehungszeit haben mag, doch ist sie viel zierlicher und graziöser40.

 

Was die Praeludien betrifft, so war schon Rob. Schumann, in gewisser Hinsicht der competenteste Bach-Beurtheiler neuerer Zeit, der Meinung, daß wohl viele derselben in keinem ursprünglichen Zusammenhange mit den Fugen ständen41. Wir wissen in der That auch schon, daß Bach das Praeludium als selbständige Form cultivirte42. Und weiter läßt sich nachweisen, nicht nur daß alle Praeludien beider Theile des wohltemperirten Claviers auch ohne die Fugen von Bach zu einem selbständigen Ganzen zusammen gefaßt wurden – es geht dies aus der Beschaffenheit eines an andrer Stelle beschriebenen Autographs deut lich hervor –, sondern auch daß eine Anzahl der zum ersten Theil gehörigen als in sich abgeschlossene Stücke anfänglich gedacht sind. In Friedemann Bachs Clavierbüchlein nämlich, das 1720 angelegt wurde, finden sich alleinstehend die elf Praeludien aus C dur, C moll, D moll, D dur, E moll, E dur, F dur, Cis dur, Cis moll, Es moll, F moll. Ist schon an sich nicht der geringste Grund vorhanden, anzunehmen, daß dieselben weniger selbständig sein sollten, als die andern im Clavierbüchlein enthaltenen Praeludien, so wird diese Selbständigkeit noch fester dadurch begründet, daß mehre von ihnen zur Verwendung im wohltemperirten Clavier eine ausweitende Bearbeitung erfuhren. Es geschah dies [772] nachweislich bei den Praeludien aus C dur, C moll, D moll und E moll43. Auch ist es nicht schwer zu erkennen, daß die Stimmung manchmal nicht recht mit der der Fuge harmoniren will, so namentlich bei dem C dur-Praeludium, und auch das winzige A moll-Praeludium ist vor der in voller Waffenrüstung einher stolzirenden Fuge nicht recht am Platze.

Nichtsdestoweniger bleibt das wohltemperirte Clavier auch als Ganzes eins der größten instrumentalen Meisterwerke Bachs. Was darin sich nicht auf der höchsten Höhe hält, ist doch noch immer bedeutend genug, um mit Würde seinen Platz zu behaupten; ohne das hätte es auch der Meister, der eine so scharfe und unermüdliche Selbstkritik übte, sicherlich verworfen; um einen Ersatz konnte er ja nicht verlegen sein. Daß er selbst bedeutende Stücke auf das Werk hielt, beweisen die drei (beziehungsweise vier) Originalhandschriften, in denen es sich erhalten hat, eine für ein so umfangreiches Werk seltene Anzahl! An eine Herausgabe hat er jedoch wohl kaum gedacht, obgleich Mattheson den »berühmten Herrn Bach in Leipzig, der ein großer Fugenmeister ist«, öffentlich zu etwas derartigem aufforderte44. Bei der gewöhnlichen Art von clavierspielenden Liebhabern war mit solch tiefsinniger, origineller Musik kein Glück zu machen, und die Organisten schilt Mattheson unwissende Leute, die gern einträgliche Dienste haben wollten, aber nichts thun noch lernen, »als was sie umsonst erschnappen«. Für vorgerücktere Clavierschüler benutzte Bach das Werk als Uebungs- und Bildungs-Material45, und schuf zu ihm in späteren Jahren noch einmal 24 Praeludien und Fugen als Gegenstück, auf die wir am gehörigen Orte zurück kommen. Man begreift sie mit dem jetzt in Betrachtung stehenden Werke gewöhnlich unter dem Gesammttitel »Das wohltemperirte Clavier«, obgleich diese originelle Benennung von Bach nur bei der älteren Reihe angewendet ist46.

[773] Was der ästhetischen Gesammtbetrachtung vor allem auffällt, ist die großartige Mannigfaltigkeit im Charakter der 24 Fugen. Jede ist in der That ganz und gar von jeder andern verschieden. Auch von den weniger bedeutenden gilt das, und das Streben danach war vielleicht der Grund, weshalb Bach die in ihrer Jünglingshaftigkeit eigenartigen Stücke aufnahm. Nicht weniger mannigfaltig sind die Praeludien, obgleich die Mehrzahl in einer und derselben Form gehalten ist, derjenigen nämlich, die Bach auch für seine alleinstehenden Praeludien zu nehmen pflegte. Aus einem ganghaften Motiv wird der ganze Satz herausgesponnen, zuweilen neigt sich dasselbe schon zu den festeren Umrissen eines Themas hinüber, oft ist es gar nur rhythmisch ausgeprägt, und träumt ganz in sich gekehrt von Harmonie zu Harmonie weiter. Ein Muster dieser Compositionsart, von der wir schon mehre Beispiele zu verzeichnen hatten, ist das berühmte C dur-Praeludium, ein Stück von unsäglichem Zauber, über das eine große, selige Melodie körperlos hinzieht, wie Engelsgesang durch die stille Nacht über flüsternde Büsche und Bäume. Die zugehörige Fuge ist wohl nicht ohne Grund zu einem höchst complicirten Ricercar herausgearbeitet, sie sollte ihren ersten Platz würdig ausfüllen. Eine staunenswürdige Kunst offenbart sich in den verschiedenartigen Engführungen in der Quinte, Octave, Terz, Septime, Quarte, welche abwechselnd auf dem dritten, fünften und siebenten Achtel und großentheils auch im doppelten Contrapunct ausgeführt werden, in der rechten und umgekehrten Verwendung des Gegensatzes und seiner Versetzung in den Contrapunct der Duodecime47. Auch für den Spieler wird eben keine leichte Aufgabe darin gestellt. Das Fugenthema beginnt mit dem zweiten Achtel des vollen Taktes; es darf nicht unbemerkt bleiben, daß darin jene, Bach eigenthümliche, innige Erregtheit sich offenbart, indem erst nach dem Verlaufe von fast einem Takte der stärkste Accent hörbar wird, dem alles vorhergehende in eigner Unbefriedigung zustrebt. Es ist dies ein innerliches Crescendo, dem der Meister so viel als thunlich auch beim Spiel Ausdruck gegeben haben wird. Bei weitem die meisten Themen seiner Clavierfugen sind so oder ähnlich geformt. Von den 48 Nummern der beiden Theile des wohltemperirten Claviers beginnen [774] sie bei achtzehnen nach dem ersten Achtel (beziehungsweise Sechzehntel), bei sieben nach dem ersten Viertel, und bei dreien nach den ersten anderthalb Vierteln. Auch bei der Mehrzahl der übrigen Clavierfugen Bachs, z.B. in den Toccaten aus E moll, Fis moll, C moll macht man dieselbe Bemerkung. Mit dem vollen Takte beginnen in beiden Theilen des wohltemperirten Claviers nur vierzehn Themen und mit Auftakt gar nur sechs. Bei den Orgelfugen ist das Verhältniß ein anderes, der Einsatz mit dem vollen Takte herrscht hier vor, doch findet sich auch das Entgegengesetzte, namentlich nicht selten in früheren Werken, und ist hier um so fühlbarer, da die Orgel accentuirungsunfähig ist und somit das Gefühl für das richtige rhythmische Verhältniß erst allmählig durch andre Mittel hergestellt werden kann. Dem Wesen der Orgel nachgebend beschränkte Bach solche Aeußerungen innerer Bewegtheit und Unruhe später mehr auf das intimere Clavier; hier setzte er dann auch jene rhythmischen Spannungen fort, für welche die Fis moll-Fuge im zweiten Theil des wohltemperirten Claviers ein vorzügliches Beispiel liefert48. – Das C moll-Praeludium theilt mit dem vorhergehenden die allgemeine Anlage, doch ist es, auch abgesehen von der Tonart, trüber und krauser; das Motiv besteht nicht nur in einem gebrochenen Accorde, sondern hat auch etwas von melodischer Gestalt; gegen den Schluß bricht sogar eine heftige Leidenschaft hervor. Auch der unbeschreiblich graziösen, reizenden Fuge, die durch kühnen Gebrauch des harmonischen Querstandes etwas besonders pikantes erhält, fehlt nicht ein nachdenklicher Zug. Das Cis dur-Praeludium haben wir schon früher als ein Paralipomenon der zweistimmigen Inventionen angeführt; es gehört mit der fünften, neunten und zwölften in eine Kategorie. Voll gilt dies aber nur von seiner älteren und kürzeren Gestalt, die später um fast 40 Takte erweitert wurde. Man erinnert sich, daß Bach die Inventionen ursprünglich Praeambulen genannt hatte. So wie dort sind auch hier beide Hände in der abwechselnden Verarbeitung einer vollständigen melodischen Periode thätig; ein höchst anmuthiges, heiter auf- und niedergaukelndes Tonstück zieht vorüber. Ueber ein genial erfundenes, kühnes Thema ist die ausgezeichnete Fuge gebaut, welche die glückliche, lebensfreudige Stimmung [775] des Praeludiums fortsetzt und erhöht. Das Cis moll-Praeludium geht in eine Gattung hinüber, die schon an den späteren weimarischen Orgelcompositionen zu beobachten war; es liegt ihm ein imitatorisch verarbeitetes wirkliches Thema zu Grunde49. Zu diesem herrlichen, tief schwermüthigen Satze stimmt die nachfolgende fünfstimmige Tripelfuge, eine der allergroßartigsten Schöpfungen im gesammten Bereiche des Claviers. Zu einem viernotigen, wie aus Granitquadern gebauten Hauptthema gesellt sich vom 35. Takte ein zweites in gleichmäßigem Achtelflusse, endlich Takt 49 ein energisch drängendes drittes, und nun breitet sich, noch über sechzig Takte lang, ein Tonsatz aus von so ungeheurer Fülle und Erhabenheit, so riesiger, fast zermalmender harmonischer Kraft, wie selbst Bach nur wenige geschaffen hat. Es ist als triebe man auf weitem Meer: Woge auf Woge steigt schaumgekrönt so weit das Auge reicht, ernst und groß spannt sich der Himmel über das gewaltige Naturschauspiel und den willenlos hingegebenen Menschen.

Die Praeludien in D dur und D moll sind aus ganghaften Sechzehntelmotiven gesponnen und fast durchaus zweistimmig und homophon; anmuthig spielend ist das erste, unruhig suchend das zweite. Ein scharf geschnittenes Charakterbild bietet die D dur-Fuge, deren Thema mit trotzigem Lockenschütteln das Haupt erhebt, um dann stolz und mit etwas steifer Würde einher zu schreiten. Höchst interessante motivische Bildungen nehmen einen nicht unbedeutenden Raum ein, was bei der eigentümlichen Gestalt und der Kürze des Themas geboten war; von Takt 17 an tritt es garnicht wieder auf und grade hier entfaltet das Stück erst seinen höchsten Glanz, die beiden Gegensätze, welche das Thema enthält: jähes Aufbrausen und pathetische Grandezza neben und mit einander entwickelnd. Die D moll-Fuge ist merkwürdig durch ihre künstlichen Umkehrungen und Engführungen und durch eine außergewöhnliche Sparsamkeit im Verbrauch des musikalischen Stoffes; der Ausdruck ist herbe und eigensinnig, wie es auch des Componisten Wesen zu Zeiten sein konnte50. Eine eigentümliche Erscheinung tritt uns in dem Es dur-Praeludium [776] entgegen. Dasselbe ist aus zwei Themen breit, kunstreich und streng vierstimmig gewoben; sie werden aber zuvor allein nach einander in freier und mehr nur andeutender Weise durchgeführt, zuerst das bewegte Thema bis Takt 10, von da das ruhige, in Viertel- und halben Noten gehende bis Takt 25. Der scharfe Gegensatz zwischen den beiden Gruppen erinnert sofort an die Form der Toccate, wie dieselbe auch Bach zu beginnen pflegte; auch eine solche Exposition des Materials ist uns von dorther schon bekannt51. Was in dem letzten Satze der D moll-Toccate mehr nur versucht war, ist hier in jeder Beziehung meisterlich hinausgeführt. Der Ausdruck ist höchst edel, tief und bedeutend. Alles das gereicht freilich der folgenden Fuge zum Nachtheil, die trotz ihrer Anmuth und Lieblichkeit doch gegen das Praeludium zu leicht wiegt, während eigentlich dieses nur auf sie vorbereiten und zu ihr hinanführen müßte. Keinesfalls sind beide Stücke ursprünglich zusammen concipirt; Bach wird den schönen Toccatensatz in dem Werke haben verwenden wollen, und da er als wirkliches Praeludium zu gewichtig war, so drehte er hier einmal das Verhältniß um und fügte ihm absichtlich eine ganz leicht geschürzte Fuge an, dreistimmig und ungefähr nur zur Hälfte so lang. Zu den allergenialsten Praeludien gehört dasjenige aus Es moll. Aus diesem Keim


 

4.


 

der bald in der rechten, bald in der linken Hand, nach verschiedenen Richtungen gewendet, bald zerlegt, bald in Figurationen aufgelöst erscheint, während dazu in lastenden Accorden dieser Rhythmus 4. sich durchzieht, entwickelt sich ein unter Bachs Werken einzig dastehendes Stück. Der Triumph, den die motivische Kunst hier feiert, ist um so größer, als man sich ihrer garnicht bewußt wird bei der magisch bannenden Stimmung, die uns schwer und dumpf umfängt, wie an schwülen Gewitterabenden, wenn kein Lüftchen sich regt und bläulicher Wetterschein am schwarzen Horizonte aufflackert: todestraurig wird der Ausdruck vom 29. Takte an, schaurig haucht das Dur des Schlusses. Vortrefflich paßt hierzu die dreistimmige Fuge, wiederum ein wahres Ricercar und das einzige Stück des ersten Theiles, in dem das Mittel der Themavergrößerung angewendet wird [777] (von Takt 62 an). Die Kunst ist hier auf eine solche Spitze getrieben, daß, nachdem schon früher Engführungen und Umkehrungen reichlich verwendet waren, von der genannten Stelle an das Thema in vergrößerter und gewöhnlicher Gestalt in rechter und verkehrter Bewegung zusammengeführt wird, von T. 77 an sogar in allen drei Stimmen. Dies dicht geschlungene Stimmengewebe macht den Eindruck nervöser Aufgeregtheit, ängstlichen und leidenschaftlichen Suchens, man höre dazu noch die Gänge der Oberstimme in Takt 15–16 und Takt 48–52, die sich in der contrapunctirenden Geigenstimme zu dem Choral: »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, ich bitt, erhör mein Klagen« wiederfinden, welcher den Schluß der Cantate »Barmherziges Herze der ewigen Liebe« bildet52. Auf Joh. Ludwig Krebs hatte diese Fuge einen so tiefen Eindruck gemacht, daß er eine Nachbildung derselben versuchte53. – Ein fröhliches, reizend aus einem Motiv von sechs Achteln herausgearbeitetes Praeludium haben wir in E dur, noch entzückender ist die Fuge, deren Thema mit keckem Sprunge ansetzt und dann ebenmäßig fortgleitet. Man muß nur andre Fugenwerke jener Zeit vergleichen, um die unerhörte Erfindungskraft Bachs, die in der Verschiedenartigkeit der Themen zu Tage tritt, in vollem Umfange zu würdigen; das sind Gebilde, die man nie wieder vergißt, wenn man sie einmal mit Antheil gehört hat. Das E moll-Praeludium ist, so wie es jetzt vorliegt, die Ueberarbeitung eines kleinen Stückes, das für Friedemann Bach zur Uebung der linken Hand geschrieben zu sein scheint: in dieser rollen Sechzehntel hin und her, während die rechte kurze Accorde anschlägt. Mit der nur ihm eignen Meisterschaft hat Bach zu dem Basse eine freie Melodie erfunden. Als Formideal schwebten ihm dabei offenbar jene phantastischen Adagiosätze der italiänischen Violinsonate vor, deren er ja selbst in seinen Sonaten so vortreffliche geschaffen hat. Vom 23. Takte an wird dann aber in schnellerem Tempo das Bassmotiv einer weiteren Durchführung beider Hände unterworfen, die von der Zweistimmigkeit ausgehend endlich zum vierstimmigen Satze anwächst. Diesem höchst originellen Praeludium folgt eine eben so merkwürdige Fuge, die einzige zweistimmige des Werkes. [778] Eine für den zweistimmigen Satz unerhörte Freiheit ist das zweimal vorkommende Unisono (Takt 19 und 38), das man ohnehin schon in der Bachschen Schreibweise nicht erwartet, geschweige denn grade hier. Es finden sich jedoch einige Stellen, aus denen hervorgeht, daß der Meister auch dieses Mittel nicht verschmähte, wenn es ihm auf eine besondere Wirkung ankam. Einen Fall haben wir schon bei Gelegenheit der Cantate »Bereitet die Wege« kennen gelernt, in deren erstem Recitativ Singstimme und Instrumentalbass zweimal ins Unisono hinein und wieder herausströmen, um die Vereinigung des Christen mit dem Heilande zu illustriren54. Ein andres Beispiel gewährte der wilde erste Satz der Gambensonate aus G moll. Eine dritte Stelle findet sich in dem kleinen G moll-Praeambulum aus Friedemanns Clavierbüchlein55, im fünften Takte vom Schlusse; eine vierte in der Burlesca der A moll-Partite aus dem ersten Theile der Clavierübung, Takt 16 des zweiten Theils56. Auch in unserer E moll-Fuge ist die Absicht auf eine besondere Wirkung unverkennbar. Beide Male fließen die Stimmen nicht auf ihren natürlichen Wegen zusammen, sondern die eine bricht gewaltsam und eigenwillig ins Gehege der andern hinein. Dieser Charakter des Eigenwilligen, ja Widerborstigen ist aber der ganzen Fuge eigen, und wird schon durch das heftig sich durchs Tondickicht hindurchzwängende Sechzehntel-Thema festgestellt. F dur-Praeludium und -Fuge sind freundlich und wohlklingend, formell ohne hervorstechende Eigenthümlichkeiten. Sehr tief und leidenschafterfüllt ist dagegen das folgende Paar in F moll; hochvortrefflich wird das Praeludium fast durchaus aus diesem Motive


 

4.


 

 

gestaltet, von der ergreifenden Innigkeit der Fuge kann schon allein das Thema


 

4.


 

Zeugniß geben, das in breitester Form durchgeführt wird. Praeludium in Fis dur ist wieder eine zweistimmige Invention, und bildet mit der glücklich sich hin-und herschaukelnden Fuge eine unbeschreiblich [779] reizende Einheit. Fis moll entspringt aus einem rollenden Sechzehntelmotiv von der Länge eines Taktes, das mit großer Erfindungskraft ausgebeutet wird; das Ganze ist sehr rund und knapp, die Stimmung trüb und seltsam. Dem langathmigen Fugenthema im 6/4 Takt tritt dieser echt-Bachische Contrapunct gegenüber:


 

4.


 

und gewinnt im Verlaufe der Fuge einen immer innigeren Ausdruck, besonders von Takt 35 an, indem er nunmehr in Terzen- und Sexten-Verdopplungen erscheint. Solche Contrapuncte meint Kirnberger, wenn er sagt57: »Sobald der Cantus floridus (wo mehr Noten gegen eine gesetzet werden) der Vorwurf des Componisten ist, so nimmt Bach gleich einen bestimmten Charakter an, den er durch das ganze Stück durchführt.« In dieser Allgemeinheit ausgesprochen ist die Behauptung freilich nicht richtig, vielmehr ist Bach ja grade in der Erfindung stets neuer Contrapuncte so groß und unerschöpflich. Doch hat Kirnberger, wie aus dem Zusammenhange sich erkennen läßt, auch noch etwas andres im Sinne gehabt, die Kunst nämlich, mit der Bach seine Contrapuncte aus dem ersten Gegensatze zu entwickeln pflegt; denn durch dieses Mittel wird ein großer Theil jener bewunderungswürdigen Einheit und charakteristischen Bestimmtheit erreicht, die jede Bachsche Fuge zu einer musikalischen Persönlichkeit machen, während die meisten seiner Vorgänger und Zeitgenossen zufrieden waren, nur überhaupt zu contrapunctiren, eben so wie ihnen auch die Durchführung eines Motivs im Orgelchoral unnöthig erschien. Auf das fröhlich gaukelnde Praeludium in G dur folgt eine sehr frische, lustige Fuge, in der besonders die Umkehrung des Themas eine übermüthige Keckheit ausspricht. Zu der Form des G moll-Praeludiums scheinen wieder die zuvor erwähnten Violin-Adagios den Anlaß gegeben zu haben: eine aus langen Tönen und bunten Figuren gewobene Melodie zieht über interessanten Harmonienfolgen dahin; doch werden nun auch die Rollen getauscht, der Bass übernimmt zeitweilig die Melodie und concertirt dann mit den Oberstimmen. [780] Ernst und tief ist der Ausdruck und bleibt es auch in der sehr gemessenen Fuge. Das muntere As dur-Praeludium dankt sein Leben gänzlich dem Motiv:


 

4.


 

an der Fuge fällt außer der Kürze des Themas noch auf, daß es aus der Tonart kaum herausgeht und melodisch nicht bedeutend ist; so wirkt es denn auch im Fortgange mehr in der Stille und äußerlich wenig bemerkbar. Ein sehr geistvolles Stück von subtilster Textur ist das Gis moll-Praeludium, über die Fuge wurde schon gesprochen. Das A dur-Praeludium gehört in die Gattung der dreistimmigen Sinfonien und steht diesen herrlichen Kunsterzeugnissen ebenbürtig zur Seite. Prächtig erfunden ist wieder das Thema der Fuge, das mit seinem ersten Tone gleichsam anklopft und dann nach einer Pause von drei Achteln behaglich hineinwandelt; später bringt ein Contrapunct in Sechzehnteln erhöhtes Leben. Der Werth der A moll-Fuge und ihr Verhältniß zum Praeludium ist schon oben erörtert. Auf ein feuriges, in Zweiunddreißigsteln bald sich wiegendes, bald auf- und niederstürmendes Praeludium folgt eine Fuge von schmeichlerischem, überaus wohllautendem Charakter, und an die schöne D dur-Sinfonie nicht undeutlich erinnernd. Das ungewöhnliche Ebenmaß der Perioden trägt dazu bei, den Charakter herzustellen58. Von tief melancholischer Schönheit ist das B moll-Praeludium; in genialer Weise läßt es Bach aus dem Keime


 

4.


 

hervorwachsen. Bemerkenswerth sind in Takt 20–22 die Anklänge an den fünften Satz des HändelschenConcerto grosso in F moll, zu dem Bach die Stimmen ausgeschrieben hatte59. Eine großartige, durch ein lapidares Thema, mächtige Harmonien und kunstvolle Engführungen ausgezeichnete Fuge schließt sich ah. Die beiden letzten Praeludien und [781] Fugen bringen die Gegensätzlichkeit, welche zwischen allen 24 Paaren des Werkes besteht, am Schlusse noch einmal recht lebhaft zum Bewußtsein. Das H dur-Praeludium sproßt vor uns auf aus dem Motiv


 

4.


 

in wundervollster Ordnung und Freiheit; herzerquickend in der frischen Stimmung, sauber und blank bis auf die unbedeutendste Note läuft es mit dem 19. Takte ab, ein wahres Cabinetsstück der Kammermusik. Dagegen das H moll-Praeludium, allein unter allen des ersten Theils zweitheilig mit Repetition, ist ein imitatorisches Duett über einem stetig in Achteln wandelnden Basse, meisterlich ebenfalls bis in alle Kleinigkeiten, doch scheinbar als Praeludium zu streng und geschlossen. Scheinbar; so lange man die Fuge nicht betrachtet hat. Während die dem H dur-Praeludium zugehörige fröhlich, wohlgemuth und unbehindert ihren Weg nimmt, zieht diese:


 

4.


 

langsam, seufzend, mit herben, ja schmerzverzerrten Zügen auf endlos scheinendem Pfade vorüber. Sie gehört in das Stimmungsgebiet der früher analysirten F moll-Sinfonie, aber der Ausdruck des Schmerzes ist hier fast zum Unerträglichen gesteigert60. Nur muß man sich auch bei dieser Fuge hüten, in ihrer schneidenden Herbigkeit das Resultat bloßer contrapunctischer Künstelei sehen zu wollen. Darauf hin betrachtet leistet sie garnichts außergewöhnliches, und selbst wenn sie es thäte – Bach hat wohl genugsam gezeigt, daß er auch bei größter Complicirtheit wohllautend zu bleiben weiß. Nein! er wollte ein solches Bild menschlichen Jammers entwerfen, wollte es grade in seiner Lieblingstonart, wollte es am Schlusse dieses herrlichen [782] Werkes, in dem er seine tiefsten allgemein menschlichen Empfindungen Gestalt gewinnen ließ. Denn das Leben ist Leiden; dieser Gedanke durchdringt wie ein Orgelpunkt die vielgestaltige, bunte, unübersehbare Schaar der Werke, welche der rastlose Fleiß des Meisters allmählig aufthürmte, und zieht sie endlich in seinen Accord zurück.

Noch ein andrer Gedanke drängt sich bei diesem Ausgange des wohltemperirten Claviers von neuem auf. Wie mußte der so gar nicht auf die Theilnahme des großen musikalischen Publikums rechnen, der einem seiner vorzüglichsten Instrumentalwerke, das doch als Ganzes gedacht war, eine solche Dornenkrone aufsetzte! Was ihm ein Gott in die tief empfindende Brust gelegt, das sagte er ohne Nebenrücksichten. An den allerkleinsten Kreis williger Schüler und verständnißvoller Freunde nur wendete er sich. Aber ihre Zustimmung, der er sicher sein durfte, verführte ihn nicht, in willkürlichen Phantasien seine Empfindungen auszugießen; die strengstmögliche Form mußte sie reinigen und verklären. Nie genug hervorzuheben ist diese wahrhaft hehre künstlerische Sittlichkeit. Es ist ungemein schwer, über die einzelnen Fugen etwas allgemein charakterisirendes zu sagen. Ihre Formen sind mit geringen Einschränkungen dermaßen vollendet, daß sich ihr Unterscheidendes nur durch eingehende technische Analysen aller oder doch der meisten von ihnen aufzeigen läßt, was sich an dieser Stelle von selbst verbietet. Der Totalcharakter aber ist, trotz seiner ungemeinen Schärfe, dem beschreibenden Worte viel schwerer noch erreichbar, als bei andern Instrumentalwerken, wegen der hohen Idealisirung, die der Inhalt durch die Strenge der Form erfährt. Die Sage erzählt von einer im Meere versunkenen Wunderstadt: aus der Tiefe dringt noch der Glocken Ton hervor und bei stillem Wasser erblickt man durch die klare Fluth Häuser und Gassen und ein buntes, bewegtes Bild menschlichen Treibens und Leidens, aber es bleibt unerreichbar weit und jeder Griff nach ihm trübt nur und zerstört die Erscheinung. So ist es dem, der sinnend diesen Tönen lauscht. Alles was an Liebe und Haß, an Seligkeit und Schmerz durch die Brust des Tondichters zog, liegt mit seinen zufälligen und flüchtigen Anlässen tief im Grunde; leise, leise klingt es herauf, und hinabschauend durch den reinen Spiegel der Tonfluth werden wir inne, daß er lebte, litt und fröhlich war, [783] wie wir. Nur was ihn bewegte, läßt sich nicht ergreifen. Und daß ein jeder noch das Selbsterlebte mit anheimelndem Gefühle darin begrüßen konnte, ein jeder von allen denen, die seit anderthalb hundert Jahren mit Ernst sich in dies Werk versenkten, das hat es bis auf den heutigen Tag zu einer vollströmenden Quelle der Freude, der Erhebung, der Stärkung gemacht. Ja, bei ihm gilt im vollsten Maße, was wir früher aussprachen, daß Bach seine Clavierwerke für ein ideales Instrument geschrieben habe, dessen Gewinnung erst unserer Zeit beschieden war. Ein von tiefster Wehmuth überströmender Satz wie das Cis moll-Praeludium, und dessen Fuge, durch welche Gottes Odem schaurig erhaben hindurch braust, hatten in dem Clavichord keinen irgendwie ausreichenden Interpreten. So erschließt sich erst uns die ganze Wunderpracht, welche des Meisters Phantasie erfüllte, wir hören stärker den Glockenton aus der Tiefe und deutlicher grüßen von unten die Gestalten herauf. Aber das Werk wird auch unsere Tage überdauern, es wird bleiben, so lange die Grundfesten der Kunst bestehen, auf denen Bach bauete. Es habe am Ende dieses Abschnittes seinen Platz, zum Abschiede noch einmal das Wesen der ganzen Cöthener Periode zurückspiegelnd, ihre Sinnigkeit und Stille, ihre tiefe und ernste Sammlung.

Fußnoten

 

 

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750) naar een portret door Elias Gottlob Hausamann, olie, 1748. Bach toont de Canon triplex a 6 vocibus (BWV 1076).

 

 

 

 

 

Fußnoten

 

I

 

1 Gerber, N.L. II, Sp. 615 f., nach Hiller, Wöchentliche Nachrichten I, S. 213 ff. Heinichen wird aber wohl erst in Rom und dann in Venedig gewesen sein. Nach einer, übrigens sehr dürftigen, Skizze seiner Reise verweilte Prinz Leopold vom 2. März bis zum 6. Juni 1712 in Rom, um sich dann über Florenz nach Wien zu wenden. Heinichen wird ihn theilweise begleitet haben und in Venedig zurückgeblieben sein, wo er 1713 zwei Opern componirte. Das Manuscript der Reiseskizze befindet sich auf der Cöthener Schloßbibliothek.


 

 

2 Chrysander, Händel I, 229.


 

3 M. Joh. Christoph Krausens Fortsetzung der Bertramischen Geschichte des Hauses und Fürstenthums Anhalt. Zweiter Theil. Halle, 1782. S. 672 ff. – Stenzel, Handbuch der Anhaltischen Geschichte. Dessau, 1820. S. 279.


 

4 Ein guter Kupferstich in Samuelis Lentzii Becmannus enucleatus. Cöthen und Dessau, 1758. fol.


 

5 Walther unter »Rolle« und die Kirchenregister der Kathedralkirche zu Cöthen.


 

6 Ich gehe davon aus, daß die jetzige ziemlich verfallene Orgel der Schloßkirche schon zu Bachs' Zeiten bestand. Aus einer Bemerkung an den Bälgen, die unlängst erneuert werden mußten, ging hervor, daß dieselben 1733 verfertigt waren. Daraus folgt nicht, daß die Orgel selbst nicht älter sein kann, denn die Bälge sind nicht selten das erste, was reparirt werden muß. Sie kann sehr wohl zugleich mit der Vollendung des Schloßflügels, in dem die Capelle liegt, also um 1670 erbaut sein. Aber wenn auch nicht – größere Dimensionen als die jetzige konnte keine Orgel dort haben, schon weil der Raum fehlt. Eher wäre noch zu glauben, daß dann die Capelle bis 1733 gar keine Orgel besessen.


 

7 Das Inventar, welches sein Bruder und Nachfolger August Ludwig unter dem 20. April 1733 hatte aufnehmen lassen, ist auf dem herzoglichen Archiv zu Cöthen. Im übrigen s. Gerber, a.a.O.


 

8 Walther, Lexicon.


 

9 Mattheson, Critica musica, 1. Bd. 3tes Stück, S. 85.


 

10 Gerber, Lexicon I, Sp. 3 und 4.


 

11 Walther, Lexicon. Der Artikel zeigt wieder, wie wenig sich Walther für die Lebensschicksale seines großen Kunstgenossen Bach interessirt hat. Er wußte nicht einmal, daß Bach 1720 noch in Cöthen war, oder er hielt es nicht für der Mühe werth, sich darauf zu besinnen.


 

12 Autograph auf der königl. Bibl. zu Berlin.


 

13 »Erhöhtes Fleisch und Blut«, im Autograph ebenfalls auf der königl. Bibl. zu Berlin.


 

14 Das Datum dieser und der zweiten Reise ergiebt sich aus den Verordnungen für die betreffenden Bitt-Gebete, die von den Kanzeln des Landes gethan werden mußten (Archiv zu Cöthen). Daß der Fürst in der Zeit von 1718–1723 nur diese beiden Male in Karlsbad war, scheint gewiß zu sein, da es mit den Angaben einer alten Karlsbader Chronik stimmt, wie mir Herr Dr. Hlawacek daselbst gefälligst mittheilte.


 

15 Kirchenregister der Kathedralkirche S. Jacobi: »1718 den 17. November hat der Fürstliche Capellmeister Hr. Johann Sebastian Bach, mit seiner Ehefrau Marie Barbara, einen Sohn, welcher den 15.hujus geboren, in der Schloßkirche taufen lassen; Namens Leopold Augustus«. Folgen die Pathen.


 

16 Pathen der Tochter waren: der Pastor Eilmar aus Mühlhausen; Martha Katharina, die Wittwe des Oheims Tobias Lämmerhirt aus Erfurt; Joh. Christoph Bachs aus Ohrdruf Gattin Johanna Dorothea. Wilhelm Friedemanns: Wilhelm Ferdinand Baron von Lyncker, Kammerjunker am weimarischen Hofe, ein talentvoller junger Mann, der früh verstarb (vrgl. Salomo Francks Geist- und weltliche Poesien II, S. 372–377), außerdem die Buch III, 1, Anmerk. 33 genannten. Karl Philipp Emanuels: Adam Emanuel Weltig, Secretär, Pagen-Hofmeister und Kammermusicus zu Weißenfels; Georg Philipp Telemann; Katharina Dorothea Altmann, Gattin eines fürstlichen Kammerdieners zu Arnstadt. In der Genealogie giebt Emanuel seinen Geburtstag auf den 14. März an. Ich habe mich an die Pfarr-Register gehalten, gestehe aber, daß es nicht wahrscheinlich ist, er sei über den Tag der eignen Geburt im Irrthum gewesen. Johann Gottfried Bernhards: Johann Andreas Schauer, Registrator in Ohrdruf; Johann Bernhard Bach in Eisenach; Sophia Dorothea Emmerling, Gattin des fürstlichen Mundkochs zu Arnstadt.


 

17 Die Nachricht von diesem Ereigniß aus Christoph Ernst Siculs »anderer Beylage zu dem Leipziger Jahr-Buche, aufs Jahr 1718. Leipzig Anno 1718«. S. 198 f. zuerst wieder ans Licht gezogen zu haben ist ein Verdienst A. Dörffels. Vrgl. Musikal. Wochenblatt (Leipzig, E.W. Fritzsch) Jahrg. I, S. 335 f.


 

18 Ich theile in diesem Falle durchaus die Ansicht Chrysanders, Händel II, S. 18, Anmerk.


 

19 Chrysander, a.a.O. S. 232 f.


 

20 Forkel, S. 47.


 

21 Beide Manuscripte auf der königl. Bibl. zu Berlin. Bei letzterem, zu dem Herr Dr. Rust eine Partitur angefertigt hat, fehlt die Angabe des Autors. Herr Dr. Chrysander theilt mir mit, daß der Händelsche Ursprung unzweifelhaft sei, da Motive des Concerts in späteren Händelschen Werken wiederkehrten. Auch mir sind gewisse Stellen des dritten Satzes, einer Fuge, aufgefallen, die mit den doppeltcanonischen Führungen im Schlußchor des »Messias« die sprechendste Aehnlichkeit haben. Im fünften Satze dagegen finden sich Gänge, welche ziemlich genau im B moll-Praeludium des 1. Theils des »wohltemperirten Claviers« (Takt 20–22) wiederkehren.


 

22 Des Herrn Dr. Härtel in Leipzig. Die Cantate heißt Armida abbandonata; die von Bach in seiner Leipziger Zeit geschriebenen Stimmen bestehen aus Violine I. II. und Continuo. Daß die Partitur ein Autograph Händels sei, behauptet Chrysander, der als zuverlässiger Gewährsmann gelten muß.


 

23 B.-G. X, Nr. 47.


 

24 »Auffmunterung | Zur | Andacht, | oder: | Musicalische | Texte, | über | Die gewöhnlichen Sonn- und | Fest-Tags Evangelien durchs | gantze Jahr, | Gott zu Ehren | auffgeführet | Von | Der Hoch-Fürstl. Capelle | zu Eisenach. | Daselbst gedruckt und zu finden bey Johann | Adolph Boëtio. 1720. |« Befindlich auf der gräflich stolbergischen Bibliothek zu Wernigerode. Eine Notiz über die Persönlichkeit Helbigs findet sich bei Mattheson, Ehrenpforte unter »Melchior Hofmann« S. 118.


 

25 S. Anhang A. Nr. 35.


 

26 Im Originaldruck beginnt das Recitativ: »Der Mensch ist Koth, Stanck, Asch' und Erde«. Bach hat mildernd »Staub« componirt.


 

27 Aeltere Handschrift der Gottholdschen Bibliothek in Königsberg i. Pr. Sammelband 250862.


 

28 B.-G. XVIII, Nr. 74.


 

29 Ich kenne diese Cantate nur nach der Copie auf der königl. Bibl. zu Berlin. Der Schlußchoral fehlt, nach dem Texte ist es »Christe, du Lamm Gottes«.


 

30 Walther, Lexicon unter »Scheidemann«.


 

31 Ehrenpforte S. 293.


 

32 Adlung, Anl. z.m. Gel. S. 183, l. Reinkens Adjunct und Nachfolger wurde Johann Heinrich Uthmöller (1720–1752).


 

33 Critica musica I, S. 255 f.


 

34 Mizler, Nekrolog S. 165 f.


 

35 Adlung, Musica mechanica I, S. 66 Anmerk. Die Disposition bei Niedt, Musikalische Handleitung II, S. 176.


 

36 Adlung, a.a.O. I, S. 288. Anmerk. α.


 

37 H. Schmahl, Nachrichten über die Orgel der St. Catharinen-Kirche in Hamburg. Hamburg, Grüning. 1869. S. 4 f. und 8.


 

38 H. Schmahl, Bericht über die Orgel der St. Jacobi-Kirche. Hamburg, 1866. Gerber, N.L. IV, Sp. 106. Die Orgel enthielt 60 klingende Stimmen und wurde 1865–1866 erneuert.


 

39 Mattheson, Der musicalische Patriot. Hamburg, 1728. S. 316. Was das Kirchenarchiv der Jacobikirche auf den Gegenstand bezügliches enthält, hat mir Herr Organist Schmahl daselbst gefälligst in Abschrift mitgetheilt.


 

40 Vrgl. S. 392.


 

41 Ehrenpforte, S. 206.


 

42 »Der berühmte Bach, dessen ich so wie vormahls, also auch itzo, absonderlich wegen seiner Faustfertigkeit in allen Ehren erwehne« u.s.w. Volk. Capellm. S. 412; »der künstliche, und in dieser Gattung [Fugen über kurze Themata] besonders glückliche Bach« u.s.w. ebend. S. 369.


 

43 Auch »exemplarische Organisten-Probe« genannt; Hamburg, 1731. S. 34 ff.


 

44 Praeludium und Fuge B.-G. XV, S. 177. – P.S. V, C. 2, Nr. 4. Beigegeben daselbst eine Variante, deren Abweichungen mir jedoch nur Zufälligkeiten zu sein scheinen. Ein Manuscript, das die älteste Gestalt der Fuge enthielte, ist bis jetzt nicht bekannt.


 

45 Forkel, S. 33.


 

46 Scheibe, Kritischer Musikus. Neue Aufl. 1745. S. 839 f. und 875.


 

47 Scheibe, a.a.O. S. 843 und 875 Anmerk. 15.


 

48 Auch J. Peter Kellner hatte beider Spiel kennen gelernt (F.W. Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge u.s.w. I. Berlin, 1754. S. 444), aber ohne daß man seine Meinung darüber wüßte.


 

49 Critica musica I, 326.


 

50 Vollkommener Capellmeister (Hamburg, 1739), S. 479.


 

51 Daß Händel schon 1707 in Italien war, hat Chrysander (Händel I, S. 139–141) nachgewiesen.


 

52 Wie das besonders in seinem »neu eröffneten Orchestre« hervortritt.


 

53 Chrysander, a.a.O. III, S. 212, dessen ganze der meinigen entgegengesetzte Ansicht (S. 211–213) überhaupt zu vergleichen ist.


 

54 Chrysander, a.a.O. S. 213.


 

55 Kirnberger, Die wahren Grundsätze zum Gebrauch der Harmonie. Berlin und Königsberg, 1773. S. 53. Anm.; Mizler, S. 171; Forkel, S. 22. Letzterer bemerkt, daß die beschriebene Weise Bachscher Improvisation eben die Orgelkunst sei, welche Reinken für ausgestorben gehalten habe, was wir insofern anerkennen, als die Nordländer viel auf Registrirung gaben, den Choralzeilen gern selbständige Themen gegenüberstellten, Umbildungen der Fugengedanken vorzunehmen pflegten, und überhaupt sich weit auszubreiten liebten.

 

II

 

1 B.-G. III, S. 311 und S. 322. – P.S. I, C. 4, Nr. 4 und 5. S. Anhang A. Nr. 36.


 

2 B.-G. III, S. 334. – P.S. I, C. 4, Nr. 2. Handschriftlich bei Andreas Bach.


 

3 Mizler, S. 171.


 

4 Praetorius, Syntagma musicum II, S. 44.


 

5 Unmittelbar ergiebige Quellen giebt es für diesen Gegenstand so gut wie gar keine. Wenige Applicaturen für Scalen und Passagen aus dem 17. Jahrhundert hat C.F. Becker (Hausmusik in Deutschland S. 60 und 61) mitgetheilt und Hilgenfeldt S. 173 und 174 wiederholt. Einen wirklichen Einblick in die Spielweise könnten nur mit Fingersatz versehene Tonstücke gewähren. Bis diese gefunden sind, muß man sich mit Vermuthungen und Rückschlüssen begnügen.


 

6 Karl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. 3. Auflage, Leipzig, 1787. I, S. 12. Die erste Auflage des ersten Theils erschien 1753.


 

7 Mizler, S. 171 und 172.


 

8 Kirnberger, Grundsätze des Generalbasses S. 4, Anmerk. 2. Vrgl. Ph. Em. Bach, a.a.O. S. 18.


 

9 Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. 3. Aufl. 1789. S. 232; Forkel, S. 12 ff. Vrgl. Ph. Em. Bach, S. 13. – S. Anhang A. Nr. 37.


 

10 Scheibe, a.a.O. S. 840.


 

11 Adlung, Musica mechanica II, S. 24.


 

12 L'art de toucher le clavecin. Paris, 1717. fol.


 

13 Im Königsberger Autograph. Es sind Bearbeitungen von »Allein Gott in der Höh«, »Wir glauben all an einen Gott«, »Wo soll ich fliehen hin« (Vers 3).


 

14 J.D. Heinichen, Der General-Bass in der Composition. Dresden, 1728. S. 522.


 

15 Chrysander, Händel III, S. 218; nach Burney.


 

16 Vrgl. die Mittheilungen aus Elias Nikolaus Ammerbachs »Orgel oder Instrument Tabulatur« bei Becker a.a.O. S. 59.


 

17 L'art de toucher le clavecin S. 66 letztes System. Aus dem 2. Buche der pièces de clavecin; in der neuen Ausgabe von J. Brahms (Denkmäler der Tonkunst IV) S. 121.


 

18 Kleine Generalbassschule (Hamburg, 1735) S. 72.


 

19 In dem Clavierbüchlein für Friedemann Bach, mitgetheilt als Beilage 3 a und b.


 

20 Außer Kirnberger kann auch noch Mizler dafür angeführt werden, der (Musikal. Biblioth. II, S. 115) auf einige Tonleitergänge diese Applicatur anwendet und wenn auch nicht Schüler so doch ein guter Bekannter von Bach und lebhafter Anhänger seiner Kunst war.


 

21 Mattheson, Vollkommener Capellmeister. S. 55.


 

22 F.W. Marpurg, Versuch über die musikalische Temperatur. Berlin, 1776. S. 213: »Der Herr Kirnberger selbst hat mir und andern mehrmal erzählet, wie der berühmte Joh. Seb. Bach ihm, währender Zeit seines von demselben genoßnen musikalischen Unterrichts, die Stimmung seines Claviers übertragen, und wie dieser Meister ausdrücklich von ihm verlanget, alle große Terzen scharf zu machen.«


 

23 Hiervon sowie vom Tieferstimmen der Quinten und Probiren der Terzen spricht auch Phil. Em. Bach a.a.O. Einl. §. 14, der in der Temperatur schwerlich Veranlassung hatte, vom Verfahren seines Vaters abzuweichen.


 

24 Mattheson war ein abgesagter Feind gewisser Leute, die aus der Musik einen Zweig der mathematischen Wissenschaft machen wollten, und wußte sich hier mit Bach in Uebereinstimmung. Zu der Autobiographie Mizlers in der »Ehrenpforte« fügt er S. 231 bei Erwähnung von dessen Umgange mit Bach die Anmerkung: »Dieser hat ihm gewiß und wahrhafftig eben so wenig die vermeinten mathematischen Compositions-Gründe beigebracht, als der nächstgenannte [Mattheson]. Dafür bin ich Bürge.« Was von der Composition gesagt wird, gilt natürlich auch von den übrigen Zweigen der Kunst. »Unser seel. Bach ließ sich zwar nicht in tiefe theoretische Betrachtungen der Musik ein, war aber desto stärker in der Ausübung.« Nekrol. S. 173.


 

25 Forkel, S. 17.


 

26 Heinichen, a.a.O. S. 837 ff.; zuvor schon in dem 1711 erschienenen kleineren Werke über den Generalbass. Das Probestück S. 885–895 ist in einem Manuscript auf der königl. Bibl. zu Berlin (sign. P. 295) fälschlich als Bachsche Composition aufgeführt. Ebenda findet sich auch das »kleine harmonische Labyrinth«.


 

27 Ph. E. Bach, a.a.O. Einl. §. 15: »Spielt man beständig auf dem Flügel, so gewöhnt man sich an, in einer Farbe zu spielen, und der unterschiedene Anschlag, welchen blos ein guter Clavicord-Spieler auf dem Flügel herausbringen kann, bleibt verborgen.«


 

28 Adlung, Musica mechanica II, S. 116 f.


 

29 Adlung, a.a.O. II, S. 139.


 

30 Bitter behauptet in seinem Buche über J.S. Bach I, S. 141, derselbe habe eine Spieluhr für das Cöthener Schloß gefertigt, die sich jetzt noch auf dem Schlosse zu Nienburg a.d. Saale befinde. Herr Pfarrer Albert daselbst hat auf meine Bitte die Uhr untersucht, sie trägt auf einer Scheibe im Innern die Worte: Johann Zacharias Fischer Fecit. a. Halle.


 

31 Marpurg, a.a.O. S. 234.


 

32 So Heinrich Gerber. S. Gerber, Lexicon I, Sp. 492.


 

33 »Mein seliger Vater hat in dieser Art glückliche Proben abgelegt. Bey ihm mußten seine Scholaren gleich an seine nicht gar leichte Stücke gehen.« Ph. E. Bach, a.a.O. I, S. 10. – Forkel, S. 38, 39 und 45.


 

34 S. darüber erstes Buch, I, Anmerk. 23. Das Format ist klein Querquart.


 

35 Die zu diesem Zwecke aufgestellte kleine Tabelle über die Manieren ist mitgetheilt B.-G. III, S. XIV.


 

36 P.S. I, C. 9, Nr. 16, I.


 

37 S. zweites Buch, IV, Anmerk. 3.


 

38 P.S. I, C. 9, Nr. 16, V.


 

39 Das Fragment ist mitgetheilt P.S. V, C. 5, hinter den Varianten.


 

40 P.S. I, C. 9, Nr. 16, VIII. XI. IX. Genau genommen sind die beiden ersten Praeambulen genannt; ein Unterschied jedoch zwischen einem solchen und einem Praeludium ist nicht erkennbar.


 

41 P.S. I, C. 13, Nr. 11, I-III.


 

42 Vermuthlich der spätere Hoforganist in Dresden Johann Christoph Richter, s. Gerber, N.L. III, Sp. 855 f. Ueber eine Verbindung zwischen ihm und Bach ist sonst nichts bekannt.


 

43 P.S. I, C. 9, Nr. 16, IV und Nr. 9.


 

44 P.S. I, C. 9, Nr. 16, X.


 

45 P.S. I, C. 9, Nr. 16, III. Andre sind ebenda II, VI, VII, XII.


 

46 Es sind vier Fugen mit zwei Praeludien, veröffentlicht P.S. I, C. 9, Nr. 4, 5, 8, 11. S. dazu die Vorrede Griepenkerls. In demselben Bande stehen noch zwei andre Fugen, aus D moll und A moll (Nr. 12 und 6), die zu den andern jedoch nicht passen. Anhaltepunkte über Entstehung und Zweck fehlen gänzlich, nur daß sie nicht später als jene componirt sind, dürfte ihre innere Beschaffenheit unzweifelhaft machen. Werthlos sind sie keineswegs, die A moll-Fuge neigt zum Orgelmäßigen hinüber.


 

47 B.-G. III, Vorwort. Ich habe dieses Autograph nicht selbst gesehen.


 

48 Da Forkel S. 24 ganz dasselbe sagt, was sich uns aus der Prüfung von Bachs Worten unmittelbar ergab, so zweifle ich nicht, daß seiner Aeußerung eine Mittheilung von Friedemann oder Philipp Emanuel Bach zu Grunde liegt.


 

49 Daß Bach den Namen »Invention« für ein Musikstück überhaupt zuerst gebraucht hat, ist unwahrscheinlich. S. darüber Anhang A. Nr. 41.


 

50 P.S. I, C. 7, Nr. 2; Nr. 1, III, V, VI; C. 9, Nr. 10.


 

51 P.S. V, C. 8, Nr. 7. Es steht hier unter den Orgelsachen und scheint auch für dieses Instrument benutzt zu sein. Seinen Zusammenhang mit den Sinfonien wird es jedem näher prüfenden Blicke verrathen.


 

52 Nämlich: C dur, D moll, E moll, F dur, G dur, A moll, H moll, B dur, A dur, G moll, F moll, E dur, Es dur, D dur, C moll. Uebrigens sind von der D dur-Sinfonie nur 12 Takte vorhanden, und die C moll-Sinfonie fehlt ganz.


 

53 Das zweite Autograph ist ein Büchlein in klein Querquart auf der königl. Bibliothek zu Berlin. Die Schrift ist noch nicht die Leipziger, sondern schärfer und spitzer, aber auch von der Art wie Bach in Weimar zu schreiben pflegte, wesentlich verschieden. Das dritte Autograph habe ich, wie gesagt, nicht selbst gesehen; da manche Fehler des zweiten darin verbessert sind, dürfte es das späteste sein. Nach ihm ist die Ausgabe der B.-G. besorgt.


 

54 Kunst des reinen Satzes II, 2, S. 39 ff. Es werden hier alle sechs möglichen Permutationen der drei Themen vorgeführt. Die zweite und sechste hat aber Bach in der Sinfonie nicht angewendet.

 

III

 

1 Forkel, S. 46. – Quantz, Versuch einer Anweisung u.s.w. S. 207 ff.


 

2 Quantz, a.a.O. S. 179: »Doch ist es eben keine dringende Nothwendigkeit, daß er [der Anführer der Musik] die Fähigkeit besitzen müsse, besondere Schwierigkeiten auf seinem Instrumente hervor zu bringen: denn dieses könnte man allenfalls denen überlassen, so sich nur durch das gefällige Spielen zu unterscheiden suchen; deren man auch genug findet.«


 

3 Chrysander, Händel I, S. 226.


 

4 Vergl. darüber Anhang A. Nr. 38 (zu Anmerk. 9).


 

5 Mattheson, Ehrenpforte S. 26.


 

6 Gerber, L. II, Sp. 604. Strungk stimmte vorher die Geige um, was auch wohl zur Erleichterung des harmonischen Spiels geschah.


 

7 »Hortulus Chelicus. Das ist Wohl-gepflanzter Violinischer Lust-Garten Darin – auch durch Berührung zuweilen zwey, drey, vier Seithen, auff der Violin die lieblichiste Harmonie erwiesen wird.«


 

8 Man müßte denn eine Aeußerung Matthesons in der Critica musica I, (1722) S. 224, i. dahin deuten: »Man hat mir neulich eine Suonata per Violino solo del Sigr: M.M. gezeiget, welche, zu geschweigen des Tones F mol, solche lange Finger erfordert, daß ich niemand so leicht wüste, der hierinn praestanda praestiren könnte. Dennoch kann ich solche Arbeit nicht tadeln, falls die Absicht derselben, mehr auf seinen besondern Vortheil an langen Fingern, oder sonst auf ein Exercitium, als auf jedermanns execution und Prahlerey gerichtet ist.« Aber der Sprachgebrauch ist dagegen.


 

9 P.S. III, C. 4. – S. Anhang A. Nr. 38.


 

10 Mir liegt zur Begründung meiner Ansichten freilich nur ein lückenhaftes Material vor. Wer die Lage kennt, in der sich die Musikgeschichte dem 17. Jahrhundert gegenüber befindet, wird dies verzeihlich finden.


 

11 Vrgl. Carl Israël, Die musikalischen Schätze der Gymnasialbibliothek und der Peterskirche zu Frankfurt a.M., 1872. S. 41.


 

12 Der »lustige Cotala« (vrgl. S. 20, Anmerk. 10) erzählt S. 181: »Einer fragte uns, ob wir keine Sonaten oder andere auff Instrumenta gesetzte Sachen bey uns hätten? Ich sagte ja: schlosse mein Felliß auff, und nahm etliche Stücke und Partheyen heraus«. Ueber Kuhnaus Partien s. S. 233, Anmerk. 29; über die Partie als Variation S. 125.


 

13 Vrgl. S. 197. Den Kunstpfeifern war in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts das Hautbois oder die »französische Schalmey« schon ein ganz geläufiges Instrument, wie aus »Battalus, der vorwitzige Musicant«. Freyburg, 1691. S. 63 und 64 hervorgeht. Vrgl. auch das Verzeichniß auf S. 166.


 

14 Wie die bekannte Definition bei M. Praetorius imSyntagma musicum III, S. 22 lautet.


 

15 Der »lustige Cotala« sagt S. 44 bei Schilderung einer hochzeitlichen Tafelmusik: »Wir machten damals eine Sonata, in welcher eine Fuga war; er selbst spielte die Bratsche darin.« Battalus a.a.O. S. 63: »Gleich itzt fiengen die Musicanten an zu musiciren. Sie machten eine Sonata mit zwo Trommeten, zweyen Hautbois und einem Fagotto, welche sich sehr wohl hören ließ.«


 

16 Kern melodischer Wissenschaft. Hamburg, 1737. S. 147. – Vollkommener Capellmeister, S. 369. Mattheson citirt an beiden Stellen ungenau, am ungenauesten an der ersten, wo er das Thema im Dreivierteltakt schreibt; das Kreuz vor 3. fehlt auch an der zweiten.


 

17 P.S. I, C. 3, Nr. 3.


 

18 B.-G. XV, S. 149; transponirt nach D moll. – P.S. V, C. 3, Nr. 4. Vrgl. Anhang A. Nr. 38.


 

19 P.S. I, C. 3, Anhang S. 1 und 2.


 

20 Auch in dem Vollkommenen Capellmeister S. 368 wird das Thema angeführt.


 

21 Z.B. in einer Pachelbelschen Fuge über ein fast übereinstimmendes Hauptthema bei Commer, Musica sacra, I.S. 156; auch in Seb. Bachs Orgel-Canzone.


 

22 P.S. I, C. 3, Nr. 1 und 2.


 

23 Lexicon, S. 28.


 

24 Ausgabe der deutschen Händel-Gesellschaft, Bd. II.


 

25 Neu eröffnetes Orchestre, S. 187.


 

26 Couperins Werke, herausg. von J. Brahms. 1. Band. Bergedorf bei Hamburg, 1871. S. 55 f. Ebendaher die übrigen Beispiele.


 

27 Vollkommener Capellmeister, S. 232, § 128.


 

28 Vollkommener Capellmeister, S. 231, § 123.


 

29 Intermezzi nennt treffend diese Zwischenstücke G. Nottebohm, der eine Reihe von besonnenen und eingehenden Artikeln über das Wesen der Suite verfaßte (Wiener Monatsschrift für Theater und Musik. Jahrg. 1855. S. 408–412, 457–461; Jahrg. 1857. S. 288–292, 341–345, 391–396); er hat auch schon auf das gegenseitige innere Verhältniß der übrigen Sätze hingewiesen.


 

30 Fürstenau, Zur Geschichte der Musik am Hofe zu Dresden I, S. 267 und 299.


 

31 Joh. Jak. Walther beginnt seine 1676 erschienenen Scherzi da Violino solo mit einer regelrechten viersätzigen Suite, in welcher der Allemande nicht weniger als sechs Variationen nachfolgen, während die Courante nur eine, Sarabande und Gigue garkeine haben. Da aber Courante, Sarabande und Gigue sämmtlich auch aus dem Stoff der Allemande gebildet werden, so ist es eigentlich nur eine fortlaufende Variationenreihe.


 

32 Die Deutung dieser Stelle (von Takt 89–97) ist nicht zweifellos, einen klaren Eindruck vom ersten Thema bekommt man nicht. Es ist aber ordnungsgemäß, daß es nach so langem Schweigen sich einmal wieder vernehmen läßt. Mendelssohn und Schumann sind, wie aus ihren Bearbeitungen hervorgeht, derselben Ansicht gewesen.


 

33 Und dadurch seines Schülers Kirnberger merkwürdige Behauptung, man könne zu den Violin- und Violoncellsoli keine Stimme hinzusetzen, ohne Harmoniefehler zu machen (Kunst des reinen Satzes I, S. 176), selbst widerlegt.


 

34 B.-G. V, 1, Nr. 29. Die ganze Suite ist auch im Clavierarrangement vorhanden (kgl. Bibl. zu Berlin), dessen Autograph ebenfalls noch existiren soll.


 

35 Mattheson sagt (Vollkommener Capellmeister S. 228, §. 102), die Louren hätten ein «stoltzes, aufgeblasenes Wesen« an sich, wovon wenigstens die Bachschen Louren das genaue Gegentheil sind.


 

36 P.S. IV, C. 1.


 

37 In der Peters'schen, durch Fr. Grützmacher besorgten, Ausgabe ist sie für Violoncell eingerichtet und nach D dur transponirt, wodurch natürlich vieles verloren ging.


 

38 S. Anhang A. Nr. 39.


 

39 Heinichen, Der Generalbass in der Composition. Dresden, 1728. S. 131 und 132.


 

40 Quantz, Versuch einer Anweisung u.s.w. S. 223: »Die allgemeine Regel vom Generalbaß ist, daß man allezeit vierstimmig spiele: wenn man aber recht gut accompagniren will, thut es oft bessere Wirkung, wenn man sich nicht so genau hieran bindet.«


 

41 Johann Christian Kittel, Der angehende praktische Organist. Dritte Abtheilung. Erfurt, 1808. S. 33.


 

42 Musikalische Bibliothek, vierter Theil. Leipzig, 1738. S. 48. Den Grundsatz empfiehlt übrigens auch Heinichen, a.a.O. S. 547 f.


 

43 Gerber, Lexic. I, Sp. 492.


 

44 P.S. III, C. 6, Nr. 4.


 

45 B.-G. XI, 2, S. 97 ff.


 

46 B.-G. IX, S. 175 ff. und 260 ff.


 

47 Nämlich zu der im »Musikalischen Opfer« befindlichen für Flöte, Violine und Clavier. P.S. III, C. 8, Nr. 3. Die Begleitung zum dritten Satze hat Kirnberger auch in seinen »Grundsätzen des Generalbasses« mitgetheilt, und sagt dazu S. 87: »Um endlich einen überzeugenden Beweis von der Notwendigkeit der Kenntniß der verschiedenen Bezifferungen zu haben, habe ich Fig. LI. ein Exempel von Johann Sebastian Bach aus einem Trio beigefüget, welches, ohngeachtet es nur ein Trio ist, dennoch vierstimmig accompagnirt werden muß, und kann dieses zur Widerlegung der gemeinen Meinung dienen, als müßten Trios, Sonaten, für eine concertirende Stimme und den Baß; imgleichen Cantaten, die nur von einem Flügel begleitet werden, nicht vierstimmig accompagniret werden.«


 

48 Quantz, a.a.O. S. 233.


 

49 Forkel, a.a.O. S. 16 und 17.


 

50 P.S. I, C. 4, Nr. 7 und 8. – Auf der königl. Bibl. zu Berlin ist ein Heft mit der Aufschrift: »Praeludia et Fugen | del signor | Johann Sebastian | Bach. |Possessor | A.W. Langloz | Anno 1763.« | Es enthält 62 Praeludien und Fugen, ebenfalls nur einsystemig und mit Bezifferung. Kein einziges Fugenthema ist aber sonst als Bachisch bekannt und die Compositionen sind so dürftig, daß ich nicht an den Bachschen Ursprung glaube. Vielleicht sind es Uebungsstücke für das Generalbassspiel, die sich ein Schüler Bachs gesammelt hatte und der genannte Langloz abschrieb. – Vrgl. noch über die ältere Manier, Fugen in der Continuo-Stimme zu notiren Niedt, Musikalische Handleitung, I. Hamburg, 1710. Bogen E.


 

51 Kirnberger, a.a.O. S. 87.


 

52 Hierauf hat zuerst W. Rust aufmerksam gemacht B.-G. IX, S. XVII; zu vergl. B.-G. XVII, S. XV.


 

53 Die Orgelchoräle »Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ«, »Meine Seele erhebet den Herren«, »Wachet auf, ruft uns die Stimme« (P.S. V, C. 6, Nr. 2. C. 7, Nr. 42 und 57), vom Componisten selbst mit drei andern bei G. Schübler in Zella herausgegeben; entnommen den Cantaten »Bleib bei uns, denn es will Abend werden« (B.-G. I, Nr. 6), »Meine Seele erhebet den Herren« (B.-G. I, Nr. 10), »Wachet auf, ruft uns die Stimme« (Winterfeld, Evang. K. III, Beilage S. 172).


 

54 S. Anhang A. Nr. 40.


 

55 Forkel, S. 57 sagt es ganz bestimmt, muß es also von Bachs Söhnen erfahren haben.


 

56 B.-G. IX, S. 69–172. P.S. III, C. 5.


 

57 Motetten von Johann Sebastian Bach. Leipzig, Breitkopf und Härtel, Nr. 4.


 

58 Später hat Bach an deren Stelle Zweiunddreißigstel-Gruppen gesetzt; die erste Gestalt ist mitgetheilt B.-G. IX, S. 250 f.


 

59 B.-G. VII, S. 146 ff.


 

60 B.-G. XIII, 1, S. 34 ff.


 

61 Ueber das Verhältniß der verschiedenen Gestaltungsversuche zu einander, deren letzter in der Ausgabe der Bach-Gesellschaft wiedergegeben ist, vergleiche man die sorgfältigen Untersuchungen W. Rusts in der Vorrede von Bd. IX, S. XX f. Die Abweichungen des ersten finden sich dort im Anhange S. 252 ff.


 

62 B.-G. IX, S. 175 ff. (die ältere Gestalt im Anhange S. 260 ff.). – P.S. IV, C. 2, Nr. 1.


 

63 B.-G. IX, S. 189 ff. – P.S. IV, C. 2, Nr. 2.


 

64 B.-G. IX, S. 203 ff. – P.S. IV, C. 2, Nr. 3.


 

65 B.-G. IX, S. 22 ff. – P.S. III, C. 6, Nr. 2.


 

66 B.-G. IX, S. 274 ff. Daß die Sonate nicht unecht sein kann, so lange der Ursprung der Es dur-Sonate unbezweifelt ist, hat schon W. Rust bemerkt ebend. S. XXV. Außerdem ist auch im Adagio der Anklang an das Largo des Concerts für zwei Violinen unverkennbar.


 

67 B.-G. III, S. 173 ff. – P.S. V, C. 3, Nr. 1.


 

68 B.-G. IX, S. 245 ff. und 32 ff. – P.S. III, C. 6, Nr. 3.


 

69 Daß der Anfang der Melodie mit einem Fugenthema aus einer Bernh. Bachschen Orchestersuite übereinstimmt, ist S. 26 bemerkt.


 

70 B.-G. IX, S. 43 ff. – P.S. III, C. 7, Nr. 1.


 

71 P.S. III, C. 7, Nr. 2 und 3.


 

72 P.S. III, C. 6, Nr. 4, 5 und 6. – S. Anhang A. Nr. 41.


 

73 B.-G. IX, S. 221 ff. – P.S. III, C. 8, Nr. 2. Die autographen. während der Leipziger Zeit geschriebenen Stimmen besitzt jetzt Herr Capellmeister J. Rietz in Dresden.


 

74 B.-G. IX, S. 231 ff. – P.S. III, C. 8, Nr. 1. Die zu diesem und andern Stücken in der Peters'schen Ausgabe von Fr. Hermann gelieferte Ausführung des Bachschen bezifferten Basses ist gewandt gemacht und sehr gut musikalisch; nur wäre überall ein strenger Anschluß an die originale Bezifferung wünschenswerth gewesen. – S. Anhang A. Nr. 42.


 

75 P.S. III, C. 1, 2 und 3. Vrgl. die Untersuchungen von W. Rust in B.-G. XVII, S. XIII ff.


 

76 Bach selbst nennt in seiner Zueignung den Zeitraum, welcher seitdem verstrichen sei, »une couple d'années«. Will man dies, was übrigens kaum nöthig erscheint, ganz wörtlich fassen, so ergäbe sich das Jahr 1719, aus dem eine Karlsbader Reise des Fürsten Leopold allerdings nicht bekannt ist.


 

77 Sie beliefen sich zeitweilig auf ungefähr 48,945 Thaler, womit er aber nicht immer ausreichte.


 

78 Walther, Lexicon.


 

79 Das wenige, was ich hier über den Markgrafen Christian Ludwig mittheilen kann, sind Ergebnisse meiner im königl. Hausarchiv zu Berlin angestellten Nachforschungen. Der ansehnliche musikalische Nachlaß wurde inventarisirt und abgeschätzt. Neben Concerten von Vivaldi, Venturini, Valentini, Brescianello u.a. ist Bachs Werk der Ehre einer namentlichen Aufführung nicht für werth erachtet, muß sich also unter einem von folgenden beiden Convoluten befunden haben: »77 Concerte von diversen Meistern, und für verschiedene Instrumente à 4 ggr. [zusammen:] 12 Thlr. 20 ggr.« und »100 Concerte von diversen Meistern vor verschiedene Instrumente. No. 3. 16 Thlr.« Ueber die späteren Schicksale des Autographs s. B.-G. XIX, Vorwort. Außerdem sind die Concerte veröffentlicht mit facsimilirter Dedication P.S. VI, Nr. 1–6.


 

80 Mit Unrecht von W. Rust in der Ausg. der B.-G. ein Violinconcert genannt. Das ripieni des Titels bezieht sich nur auf die Geigen, denn Flauti ripieni gab es nicht. Außerdem wird ja das Verhältnlß aus dem Werke selbst ganz klar. Dehn in der Peters'schen Ausgabe bezeichnet richtig.


 

81 Kirnberger in der »Kunst des reinen Satzes« II, 2, S. 57 f. führt ihn als Muster an.


 

82 Z.B. im C dur-Concert (Ausg. d. Händel-Ges. XXI, S. 63), das abzüglich der Schlußgavotte ganz die Vivaldische Form hat; im zweiten Satze des großen G dur-Concerts (H.-G. XXX, Nr. 1).


 

83 H.-G. XXVIII. Man vergl. besonders die Concerte 1, 2, 4 und 6 aus Op. 4; aus Op. 7 die Concerte 3–6.


 

84 H.-G. XXX, Nr. 3, 4, 6.


 

85 Vergl. die verständnißvolle und erschöpfende Untersuchung über Händel als Instrumentalcomponisten bei Chrysander, Händel III, S. 174 ff.


 

86 S. Buch I, VII. (S. 150).


 

87 Drei derselben sind veröffentlicht P.S. VI, Nr. 7, 8, 9. – S. Anhang A. Nr. 43.


 

88 H.-G. XXX, S. 40.


 

89 Vrgl. S. 567 f. Complicirte und bunte Gebilde bietet unter diesem Namen auch Dismas Zelenka.


 

90 S. 26 f.

 

IV

 

1 Gerber, L. I, Sp. 76. – Pfarr-Register der Kathedralkirche zu Cöthen. In Weißenfels geboren scheint Anna Magdalena nicht zu sein, da die Pfarr-Register daselbst keine Auskunft über sie geben.


 

2 Beide befindlich auf der königl. Bibl. zu Berlin.


 

3 Genau gelesen wohl: »Ante Calvinismus«, was auf Verschreibung beruht, wenn es nicht eben nur eine Undeutlichkeit ist.


 

4 Wenigstens haben wiederholte gründliche Nachforschungen zu dieser Vermuthung geführt.


 

5 P.S. V, C. 5, Anhang Nr. 2.


 

6 P.S. I, C. 13, Nr. 11, I.


 

7 Veröffentlicht durch L. Erk, Johann Sebastian Bachs mehrstimmige Choralgesänge und geistliche Arien. Leipzig, C.F. Peters. I, 43 und 44; II, 208.


 

8 L. Erk, a.a.O. I, 19 und 20.


 

9 Die Melodie des ersteren hat L. Erk mitgetheilt a.a.O. I 111. Beides waren bekannte Dichtungen und stehen auch in dem Schemellischen Gesangbuch.


 

10 B.-G. XX, 1, Nr. 82. Die Begleitung ist nicht hingeschrieben, da Bach nach der Cantaten-Partitur die Begleitung aus dem Stegreif transponirt haben wird.


 

11 Diese letzte Arie beginnt auf S. 75 und setzt sich auf S. 78 fort; vermuthlich schlug die Schreiberin aus Versehen ein Blatt zu viel um. In den leeren Raum der S. S. 76 und 77 ist nachher die Arie der Goldbergschen Variationen eingetragen. – Ueber die Unechtheit des Bach zugeschriebenen, und ebenfalls in diesem Buche befindlichen, bekannten Liedes »Willst du dein Herz mir schenken« s. Anhang A. Nr. 44.


 

12 Gerber, L. II, Anhang S. 60; jetzt leider verloren gegangen.


 

13 Vrgl. S. 336.


 

14 Befindlich nebst den Acten, welche der Darstellung zu Grunde liegen, auf dem Stadtarchiv zu Erfurt, Abth. IV, Nr. 116. Ein paar Abkürzungen in dem Briefe habe ich aufgelöst. Die erste Kunde von seiner Existenz verdanke ich Herrn Ludwig Meinardus in Dresden.


 

15 Vrgl. S. 231.


 

16 Nach der Genealogie und Fürstenau II, S. 95.


 

17 Kinder hat Johann Jakob Bach nicht hinterlassen. Auch ob er überhaupt verheirathet war, konnte ich nicht erfahren. In den »Rechenschaften« des königl. schwedischen Hofes figurirt er als »Johann Jakob Back«. Die Gehalte wurden damals aus bekannten Gründen nicht sehr pünktlich ausbezahlt; so hat denn »Back« fast jedes Jahr eine Forderung an die Krone, die ihm in den Rechenschaften creditirt wird. Zum letzten Male geschieht dies im Jahre 1723; die Zahlung werden seine Erben, vermuthlich in Deutschland, erhalten haben.


 

18 Das Original des Briefes befindet sich im kaiserlich russischen Archive zu Moskau; s. darüber das Vorwort.


 

19 So vermuthlich. Der Moskauer Copist scheint das Wort nicht haben lesen zu können.


 

20 Die zu diesem Zwecke gehaltene Leichenpredigt wurde mit sämmtlichen Trauer- und Lobgedichten auf die verstorbene Fürstin 1724 in Folioformat gedruckt. Eine Trauer-Cantate oder sonst ein Text für Musik, den Bach hätte componiren können, ist nicht darunter. Die Schloßbibliothek zu Cöthen besitzt ein Exemplar dieser Funeralien, das auch mit dem Kupferstich der Fürstin geziert ist.


 

21 So meldet die Genealogie. Das Verhältniß bestand also auch noch im Jahre 1735.


 

22 Sie finden sich gedruckt in: »Picanders | Ernst-Schertzhafft | und | Satyrische | Gedichte | Mit Kupffern. | LEIPZIG, | In Commission zu haben bey Boetio. | Anno 1727. | « S. 14–17.


 

23 In dieser Gestalt herausgegeben B.-G. VII, Nr. 36; s. dazu das Vorwort und den Anhang des Bandes.


 

24 Nicht am 17. Nov., wie in J. Ch. Krauses Geschichte des Hauses Anhalt angegeben ist.


 

25 »Picanders | bis anhero herausgegebene | Ernst-Scherzhafte | und | Satyrische | Gedichte, | auf das neue übersehen, | und in einer bessern Wahl und Ordnung | an das Licht gestellet. | Vierte Auflage. | «Leipzig, 1748. I. Theil, S. 328–333.


 

26 Es war Forkel, der im Jahre 1818 starb. Ueber das Werk redet er S. 36.


 

27 Mizler, Nekrolog S. 166.


 

28 P.S. I, C. 7, Nr. 5. – B.-G. XIII, 2, S. 89–127. – S. Anhang A. Nr. 45.


 

29 Vrgl. S. 199 und 207.


 

30 Es findet sich auf der königl. Bibl. zu Berlin in einer Handschrift sign. P. 289.


 

31 P.S. I, C. 3, Nr. 6, 7, 8. – Außerdem existiren noch Praeludium, Sarabande und Gigue in F moll (P.S. I, C. 9, Nr. 17), und handschriftlich: Allemande und Gigue in C moll; Praeludium, Fuge, Sarabande, Gigue in C moll. Letzteres Werk schwankt zwischen Violin- und Claviermäßigem und ist vielleicht, wie es vorliegt, nur ein arrangirtes Geigenstück. Seine Echtheit bezeugt Philipp Emanuel Bach. Befindet sich in mehren Handschriften auf der königl. Bibl. zu Berlin, die Anfänge der Sätze im thematischen Katalog S. 84, Nr. 2. Die erstgenannten beiden Stücke sind auf derselben Bibl., aber nur in neuerer Abschrift.


 

32 Gesammelte Schriften I, S. 198 (erste Aufl.).


 

33 Das Quasi Trio im Finale des A dur-Quartetts Op. 41, Nr. 3.


 

34 Heinichen sagt in seiner Generalbasslehre S. 511, §. 17, daß man »heut zu Tage« (das Buch erschien 1728) in H dur und As dur nur selten, in Fis dur und Cis dur aber überhaupt kein Stück zu setzen pflege.


 

35 Gerber, L. I, Sp. 90. Glaubwürdig ist die Tradition deshalb, weil der Lexicograph sie von seinem Vater, Heinrich Gerber, haben wird, der bald nach 1722 Bachs Schüler in Leipzig war.


 

36 Auch im zweiten Theile des wohltemperirten Claviers kommt 4. nicht vor, mit einziger Ausnahme von Takt 68 des As dur-Praeludiums.


 

37 Vrgl. in der Ouverture der D dur-Partite (Clavierübung, 1. Th. Nr. 4) Takt 68–70 und 90–91 der Fuge, und für die dreigestrichene Octave viele Stellen der Goldbergschen Variationen.


 

38 Vrgl. S. 271.


 

39 Vrgl. S. 428 f.


 

40 Die Ansicht, daß im ersten Theile des wohltemperirten Claviers einige Jugendarbeiten enthalten seien, äußert auch Forkel (S. 55), wie ich glaube nicht ohne eine allgemeine Information von Seiten der Söhne Bachs. Im Besondern kann ich freilich seinem Urtheil keineswegs immer beipflichten, zumal ist er wohl im entschiedensten Irrthum, wenn er die Fugen aus C dur und F moll für frühe Werke hält. F dur, G dur und G moll erscheinen auch mir nicht zu den bedeutendsten der Sammlung zu gehören, doch kann ich keine Anzeichen finden, die gradezu verböten, daß sie gleichzeitig mit den bedeutendsten entstanden wären.


 

41 Gesammelte Schriften II, S. 102.


 

42 Vrgl. z.B. S. 429 ff.


 

43 Das C dur-Praeludium ist in der Fassung, die es in Friedemann Bachs Clavierbüchlein hat, mitgetheilt als Beilage 4. Uebrigens s. Anhang A. Nr. 46.


 

44 Vollkommener Capellmeister S. 441, §. 66.


 

45 Gerber, L. I, Sp. 492.


 

46 Von Ausgaben nenne ich hier nur die von Franz Kroll besorgte B.-G. XIV. Im Vorworte daselbst findet man ein sehr sorgfältiges Verzeichniß der Handschriften und Drucke. Ueber ein bis jetzt unbekannt gebliebenes Autograph s. Anhang A. Nr. 47.


 

47 Vrgl. Kirnberger, Kunst des reinen Satzes II, 2. S. 192 f.


 

48 Vrgl. S. 249.


 

49 Vrgl. S. 582.


 

50 Die Fuge ist erschöpfend analysirt von S.W. Dehn, Analysen dreier Fugen aus Joh. Seb. Bach's wohltemperirtem Clavier und einer Vocal-Doppel-fuge A.M. Bononcini's. Leipzig, C.F. Peters, 1858. S. 1–7.


 

51 Vrgl. S. 436.


 

52 Vrgl. S. 541.


 

53 Aus A moll; handschriftlich in meinem Besitz.


 

54 Vrgl. S. 551, Anmerk. 36.


 

55 P.S. I, C. 9, Nr. 16, XI.


 

56 B.-G. III, S. 78. – P.S. I, C. 5, III.


 

57 Gedanken über die verschiedenen Lehrarten in der Komposition. Berlin, 1782. S. 8.


 

58 Durch dieses Ebenmaß bewogen hat R. Westphal, Elemente des musikalischen Rhythmus. Erster Theil. Jena, H. Costenoble, 1872. S. 227–240 die Fuge rhythmisch analysirt. Daß im übrigen grade die Fuge als polyphone Form zur Lieferung des Nachweises wenig geeignet ist, daß die rhythmischen Lehrsätze des Aristoxenus auch auf unsere Musik Anwendung finden, ist ihm nicht entgangen. Wenn auf dieser Basis nennenswerthe Resultate erreicht werden sollen, muß man die Bachschen Suitensätze auf ihren Rhythmus untersuchen. Hierüber vielleicht später ein Mehres.


 

59 Vrgl. S. 623.


 

60 Ihre harmonische Construction entwickelt Kirnberger, Die wahren Grundsätze zum Gebrauch der Harmonie. S. 55 ff. Ich benutze noch diesen Ort, um auf Carl van Bruyks Technische und ästhetische Analysen des wohltemperirten Claviers (Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1867) hinzuweisen. Kann ich gleich mit den dort ausgesprochenen Ansichten nicht immer übereinstimmen, so enthält das Buch doch manche hübsche Bemerkung und ist mit wirklicher Begeisterung für die Sache geschrieben.

 

 

 

 

 

 

SCHAMELIUS - DISSERTATIE PICANDER - SPITTA VOORWOORD -  SPITTA 1 - SPITTA 2 - SPITTA 3 - SPITTA 4 - SPITTA 5 - SPITTA 5a - SPITTA 6 - BIJLAGEN - REGISTER

 

 

 

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