Picander - Dissertatie 1899

 

 

 

PICANDER (CHRISTIAN FRIEDRICH HENRICI)

 

 

INAUGURAL-DISSERTATION ZUR ERLANGUNG DER PHILOSOPHISCHEN DOCTORWÜRDE DER UNIVERSITÄT LEIPZIG

 

VORGELEGT VON

 

PAUL FLOSSMANN

 

LIEBERTWOLKWITZ DRUCK VON FRANZ ZEUGNER

 

1899

 

Meinen Freunden Dr. Woldemar Haynel Arno Eichhorn Ri54040

 

I. Henrici als Litterat.

 

I. Jugend (1700-1723). Christian Friedrich Henrici^ wurde geboren am 14. Januar 1700^) in dem kleinen meissnischen Städtchen Stolpen. Sein Vater Conrad Heinrich Henrici, Bürger und Posamentiermeister, war mit Anna Dorothea Loosin aus Mtihlberg verheiratet. Die ärmlichen Verhältnisse der Familie wurden für die Kinder empfindlich, da der Vater, dessen zärtliche Liebe der Sohn noch 1727 in einem Gedichte (Band 2,61 ff*) rühmte, starb, als Christian Friedrich erst 3 Jahre alt war: — der mich als Kind gezeugt, der hat zum Erbtheil mir Zwar wohl den lieben Gott, iedoch kein Brodt gelassen. Gedd. 1,1. An den König von Fohlen. Die Witwe setzte aber trotzdem durch, dass ihre beiden Söhne die Stolpener Stadtschule fleissig besuchten, und sich eine Bildung aneigneten, mit der sie weiterkommen konnten.^) Gercke (Historie der Stadt und Bergvestung Stolpen. 1764) sagt, dass der Unterricht erteilt wurde „im Christenthume, Lesen, Schreiben, Kechnen und Sprachen, wie auch in der Music, und es haben sich immer noch Leute gefunden, die von hiesiger Schule die Universität mit Nutzen beziehen können." Aus Henricis Werken ersehen wir, dass er die beiden alten Sprachen kannte, auch sonst mancherlei Kenntnisse besass, besonders in der Musik. Kector war damals M. Samuel Berger (1669 — 1728). Es ist bezeichnend, dass Gercke von ihm ein paar lateinische Distichen mitteilt, worin er um Gaben bittet zur Wieder^) Ueber die Quellen zu Henricis Leben siehe den Artikel in der AUgem. Deutschen Biographie (Bd. 11, S. 784 f). ') Die bisweilen vorkommende Form Heinrici ist apokryph. 3) Das Stolpener Kirchenbuch ist 1728 verbrannt. ^) Ich eitlere Band 2, 4 und 5 nach der ersten Auflage, Band 1 nach der dritten, deren Seitenzahlen dieselben wie in der ersten, Band 3 nach der 2. Auflage (mit von der 1. abweichenden Seitenzahlen); s. S. 63 f. ^) Der Bruder nnsers Dichters hiess August Friedrich, wurde 1734 Land-Accis-Einnehmer (Egl. sächs. Hauptstaatsarchiv) und starb 1763 als Land-Accis-Obereinnehmer zu Leipzig.

 

— 6 — . herstellung.4ex Jjeim Brande von 1723 vernichteten Schulbibliothek; ' JedfenfaU»» hat^spm/ Schüler bei ihm früh die Technik des poetischen BettQUi8.g^rnt. Schon mit 14 Jahren „applicirte er sich, aus eignen '" l^rieb,: .fuif !iq' Jfeutsdie Poesie, und bekam darinnen eine grosse Fertigkeit« (J. C. Wetzel, Hymnopoeographie IV [1728J p. 225 ff). Er scheint sich auf der Schule gut geführt zu haben : als er abging erhielt er das Stolpener Stadtstipendium. Am 15. Mai 1719 bezog er die Universität Wittenberg, um, wie ihn „die Naturtrieb, die Eechte zu studieren" (Gredd. 1,1). Von seiner Wittenberger Studienzeit ist nichts bekannt, als die Namen der Dozenten, die der fleissige Collegienbesucher hörte. (Siehe Gercke a. a. 0.). Das stille Wittenberg war kein Boden für den jungen Mann mit litterarischen Talenten ; diesen fand er, als er nach einem Jahre nach Leipzig ging, wo er am 22. Mai 1720 in der Meissnischen Nation immatriculiert wurde. Leipzig war damals ohne jede Frage die deutsche Hauptstadt, soweit man für jene Zeit von einer solchen reden kann. Durch den ausgedehnten Handel und die verkehrsreichen Messen das mercantile Centrum, durch Buchdruck, Buchhandel und Universität der litterarische Brennpunkt Deutschlands war „PleissAthen" (cf. Gedd. 1,27. 52. u. ö.) auch in cultureller Hinsicht die deutsche Grossstadt. Ein prächtiges Aeussere verband sich mit der höchsten gesellschaftlichen Eleganz, die lange vor Goethes Zeit den Vergleich mit Paris herausforderte (Gedd. 4,294). Hunold sagte schon 1704 (in seinen Galanten, Verliebten und Satirischen Gedichten, S. 16) von Leipzig: Du fällst mir schöner Ort vor allen andern ein. So offt nur mein Gemüth an was Galantes denkt. Während Dresden durch das Hofleben zwar äusseren Glanz, aber auch eine gewisse Abhängigkeit und Unfreiheit erhielt, bewahrte Leipzig als gelehrte Republik eine mehr geistig — freie Signatur und bot weiten Spielraum für litterarisches Freibeutertum. Henrici war von einem D. Köhlau in eine Stelle als Informator bei dem Sohne des Leipziger Patriciers Joh. Theodor Koch berufen worden. Hier lernte er das Hauslehrerelend kennen, das er dann später in einem seiner Schauspiele verwertete. Er musste sich sehr dürftig behelfen und war auf Unterstützungen angewiesen. Als Koch 1723 das Eittergut Niederglaucha bei Düben gekauft hatte und mit seiner Familie dorthin übersiedelte, fand Henrici auch da eine Wohlthäterin in der Frau Dorothea Sophia Hommelin, der Witwe eines Handelsmanns und Cramerpeisters.^) Aber diese Unterstützungen waren natürlich unzureichend und unbequem. Und so sah sich der ^) Sicül in seinen Leipziger Annalen registriert ihren Tod am 21. Sept. 1727. Dazu cf. Pic. Gedd. 2,64 ff. junge Student durch die Not des Lebens getrieben, seine versificatorischen Talente in Geld umzusetzen und die gewöhnliche Laufbahn des akademischen Proletariats einzuschlagen: er versuclte sich als Gelegenheitsdichter. Schon vom Jahre 1721 haben wir 3 Gedichte, im folgenden Jahre sind es wieder 3, und aus dem Jahre 1723 finden wir 13 Gedichte, darunter 9 Hochzeitsgedichte in der Sammlung. Man sieht, es ist in diesen 3 ersten Jahren in der That nur ein „gelegentliches" Dichten. Aber er hatte doch das Lebenselement gefunden, für das allein er geschaffen war. Als darum Koch nach dem ländlichen Euhesitz Niederglaucha übersiedelte, blieb Henrici freilich zunächst nichts übrig, als mitzugehen. Aber unter der Hand machte er den Versuch frei zu kommen. Er bewarb sich um einen Platz im Üniversitäts-Conviet, um wenigstens die Nahrungssorgen los zu sein, und richtete darum noch vor der Abreise nach Niederglaucha, als der König am 18. April 1723 zur Messe nach Leipzig kam, an diesen ein Bittgesuch in Versen, das der Graf Vitzthum dem Könige überreichte.^) So gemein uns diese Bettelpoesie anmutet, muss man doch berücksichtigen, dass die Zeit in diesen Dingen weit weniger feinfühlig war. Ein Hancke konnte um Gehaltserhöhung in Versen bitten, und für Henrici speciell kommt die grosse äussere Not als Milderungsgrund in Betracht; er singt (Gedd. 1,2): „Gewähre meinen Wunsch, der nur darauf besteht: Dass mich der Hunger nicht aus Leipzig darf veijagen. Und gieb mir freyen Tisch in der Communität." Auf Bescheid wartend erfüllte er unterdessen in Niederglaucha seine Hauslehrerpflichten und unterhielt, dort mit den Leipziger Freunden regen Verkehr. Während dieses Landaufenthaltes begegnete ihm ei4 Abenteuer^, das ihn sehr stark berührte und ihm zu einem Dichternamen verhalf. Als er auf der Vogeljagd eine Elster schiessen wollte, traf er statt deren einen Bauern und verwundete ihn schwer; er wurde eine Zeit lang in Arrest genommen, doch lief schliesslich alles günstig ab. Die Sache machte aber so tiefen Eindruck auf ihn, dass er sich fortan als Dichter Picander^), d. h. Elstermann, nannte. So abenteuerlich uns diese Aetiologie auch scheint, weil jede Beziehung zwischen dem Unfall und der Schriftstellerei fehlt, und weil ^) Gercke, a. a. 0. erzählt über die näheren Umstände eine recht sonderbare Geschichte. «) Die ausführliche Darstellung bei Gercke a. a. 0. ^ Der Name ist übrigens ganz nach der Mode der Zeit gebildet: vgl. Talander, Polander, Sarcander, Leander, Verander etc. — Der Name Picander (auch der Plural Picandri) erscheint auch 1726 in dem Pasquillen-Kampf der Gottschedianer und des Mag. Fabricius als Spottname für den oder die Gottschedianischen Verfasser des Pasquills „Oratorum Novorum Pica cum remedio" (Pica::appetitus depravatus).

 

— 8 — man gar zu gern an den Elsterfluss denken möchte, so müssen wir sie doch glauben, da Picander selbst sie bestätigt (Gredd. 2,238). — Inzwischen hatte das Bettelgedicht Henricis guten Erfolg gehabt; nachdem Henrici nach Dresden gereist war („wozu man ihm die Post-Freyheit und Zehrungs-Geld nitro offerirte"), erhielt er eine königliche Stelle im Convictorium, die er allerdings bezahlen musste. Henrici, kühn gemacht, bat darauf in einem zweiten Gedicht um Verleihung eines Meissner Procuraturstipendiums (Gedd. 1,2.) Auch dieses Gesuch hatte Erfolg. — Henrici hatte Vertrauen in die Kraft seiner Dichtung gewonnen. Er gab die Glauchaer Stellung auf und setzte seine Leipziger Studien fort, hörte unter anderm Hofrath Mascov und Prof. Mencke, legte aber im übrigen den Schwerpunkt seiner Thätigkeit auf die Ausnutzung seiner immer bekannter und geschätzter werdenden Feder, die er dem lieh, der sie bezahlte. Mit ihr gedachte er sich Unterhalt und eine Stellung in der Gesellschaft zu erwerben. Bis jetzt war er Amateur gewesen, nun wurde er Berufsdichter. 2. Productive Periode (1723-1729). a. Einleitendes. Um Henrici als Dichter zu verstehen, vergegenwärtigen wir uns kurz die Stellung der deutschen Poesie in jener Zeit. Nicht um ihrer selbst willen pflegte man die Dichtung. Die einen trieben sie als galante Nebenstund^nbeschäftigung, die andern als gewerbsmässige Geschäftsreimerei. Ihr künstlerischer Wert war auf dem tiefsten Punkte angelangt, der möglich war. Eine gewisse Kenntnis des gelehrten Apparats und eine glatte Handhabung der poetischen Formen machten jeden zum Dichter. Das beides liess sich natürlich sehr schnell lernen, und an Lehrbüchern fehlte es nicht. Erdmann Uhse (Wohlinformirter Poet. 1726) definirte die Poesie als „eine Geschicklichkeit seine Gedancken über eine Sache zierlich, doch dabei klug und deutlich, in abgemessenen Worten undEeimen vorzubringen." Selbst Phantasie war kaum noch nötig. Der Lohensteinische Marinismus, der immer noch eine gewisse blühende Anschauungskraft voraussetzte, war überwunden, und die platte Selbstverständlichkeit der Prosa war Poesie, wenn sie gereimt war. Das Gelegenheitsgedicht in allen seinen Formen überwog durchaus. Mehr oder weniger bezahlt war fast alle Dichtung, bald mit Titeln und Aemtem, bald mit Geld. Die Absicht, sein „Glück** (fortune) zu machen, ist bei den meisten der letzte Zweck der Eeimerei. Erdmann Uhse (a. a. 0.) beantwortet die Frage: „Was nützet aber eigentlich die Poesie?"

 

— 9 — so: „Mehr als vielleicht mancher dencken sollte: Denn es bringet uns dieselbe auf allerhand artige Inventionen, manierliche Expressionen, verschaffet uns eine gute Copiam Verborum, belustiget unser Gemüthe, und machet uns bei andern Leuten offtmahls überaus beliebt." Und der höfisch-glatte Besser meint ganz offen in der Vorrede zu seinen Schriften : „Ich habe von Natur zur Poesie Neigung gehabt und mit der Zeit erfahren, wie unrecht man thut, Kinder von Etwas abzuhalten, wozu sie Lust haben, massen die Dichtkunst nicht allein zu meinem Glück am meisten beigetragen, sondern mir auch die meisten Einkünfte gebracht hat." Selbst Gottsched war gegen „Erkenntlichkeiten" stets bereit, Gelegenheitsgedichte zu fabrizieren, wie aus seinem Briefwechsel hervorgeht, so sehr er auch in seinen Zeitschriften gegen die Hungerdichter loszieht. — Die leichte Mühe, durch Versemachen Geld und Aemter zu gewinnen, hatte natürlich zur Folge, dass fast alles sich auf dieses Geschäft warf. Daher die Unmasse der dichtenden Individuen, daher auch die Productivität jedes einzelnen. Einen gewaltigen Anteil an dieser Production hat das Studententum : und hier im besondern entwickeln sich die ersten Typen des verlumpten Litteraten, Leute wie Hunold und Günther. Leipzig nimmt hier einen Ehrenplatz ein: hier wird die galante Weisische Dichtung mit Leipziger schalem Witz und den rohen Zoten der Burschenpoesie verbrämt, hier entwickeln sich poetische Charaktere wie Amaranthes (Corvinus) und Stoppe, hier auch Henrici. Henrici hatte das Talent zum Litteraten. Eine freie Beweglichkeit zeichnet ihn aus; leicht lässt er sich anregen, er ist empftlnglich für äussere Eindrücke, die er mit Gewandheit reproduziert. Originalität fehlt diesem durchaus imitatorischen Talent. Aber er weiss meist einen blossen Abklatsch zu vermeiden, und gescltickt die empfangene Anregung weiterzubilden. — Besonders für das Komische ist Henricis Begabung nicht gewöhnlich. Er hatte eine grosse Anlage, das Lächerliche im Leben scharf zu beobachten. Aber wie ihm jeder tiefere Gemütsernst abgeht, so haftet er auch im Komischen stets an der Oberfläche der Dinge. Er ist ein auf das Frohe und Leichte gestimmter Charakter, sanguinisch, eingenommen für Witz und Scherz, genussfroh, leicht verstimmt und leicht besänftigt (Gedd. 2,238). Eine stichelnde Mocquerie, ein witzelnder Spott, der nicht weh thun will, der nur lachen und lachen machen will, ist ihm eigen. Jedes Pathos^ jeder Sinn für Feierlichkeit fehlt ihm, und die Pedanterie, die dem humorlosen Gottsched so tief im Blute stak, ist ihm verhasst. Ungenirtheit ist vielleicht das beste Wort für die Bezeichnung seines Wesens. Als Kind des Volkes kennt er keine Kücksichten der Würde. Das hat seine guten Seiten — die frische Unmittelbarkeit mancher seiner Werke — ,hat aber auch seine schlechten.

 

— — 10 — Ein solcher Charakter war für das Leipziger Lehen wie geschaffen. Aher ehen dieses Leipziger Lehen war für den ärmlichen Studiosus unerreichhar: der Strom rauschte ihm nur von ferne in die Ohren. Aus kleinen Verhältnissen stammend, für seine Studien auf Gönnerschaft und Beneficien angewiesen und in harter Frohndichtung den oft hitteren Kampf um das tägliche Brot kämpfend (cf. Gedd. 2,511 ff), musste er sich hisweilen als ein Ausgestossner fühlen: daher die mitunter hemerkhare giftige Gereiztheit und die Freude am Schmutz. Seine nicht gerade glänzende äussere Erscheinung, die natürlich im galanten Leipzig nicht viel Glück machen konnte, mag viel dazu heigetragen hahen. Er sagt seihst, er sei von Person etwas klein (Gedd. 2,240) ; höse Zungen behaupteten er habe einen Buckel, wogegen er sich sehr beredt verwahrt (in der Vorrede zu den Schauspielen). — Er mag, wie seine Feinde ihm so oft vorwarfen, ein lüderliches Leben geführt haben; jedenfalls aber ist es kein frisches tolles Genussleben, sondern ein hässliches, verkommenes Treiben, das die Studenten und Frauen in seinen Satiren und Dramen führen. Und was ihn selbst angeht, so fühlt er sich immer unter der Aufsicht seiner Gönner. Er ist eifrig bemüht die Welt zu überreden, dass er die Liebe, die er in seinen Werken so detailliert zu schildern weiss, praktisch nicht kenne, dass er „still lebe und nicht viel Wesens mache" und seinen juristischen Studien mit Eifer und Fleiss obliege. Auch dieser Zug ist ein Ausfluss der üngenirtheit, mit der er alles dem einen Zwecke opfert, zu Geld und Amt zu kommen, sein Glück zu machen. Früh schon ist er kluger Realist, der die Dinge benutzt, wie sie liegen. L'gendwelche Ideale kennt er nicht Nicht nur die Gelegenheitsdichtung will er bezahlt haben, auch die religiöse ist aus keinen andern Motiven hervorgegangen (vgl. die Vorrede zu den „Erbaulichen Gedanclcen"). Er macht Zoten weniger weil er sie liebt, als weil sie beliebt sind. Seine Satire will weder strafen noch bessern, sondern sie will gekauft werden: darum auch das Ueberwiegen der frivolen Frauensatire. Gerade diese ist lehrreich. Er machte sich damit natürlich die Leipziger Frauenwelt nicht gerade geneigt; er will aber einmal eine reiche Heirat machen : deshalb spricht er es so oft aus, er meine es nicht ernsthaft: „das allermeiste, was ich geschrieben, ist vielmehr ein Spaass als ein saurer Ernst" sagt er in der Vorrede zu den Schauspielen, die „Dem schönen Geschlechte" gewidmet sind. Er versichert die Jungfern unzähligemale seiner Hochachtung; Heiratsannoncen in Versen haben wir in Masse von ihm in seinen Gedichten, und eine übertrifft die andere an Würdeund Geschmacklosigkeit. Bezeichnend für ihn ist, dass sich in seinen Gedichten nicht eine Spur eines Liebesverhältnisses findet; immer nur ist es die künftige — nicht Geliebte, sondern — Heirat, durch die er sein „Glück" machen will; dieses Glück, sein einziges Ideal, ist ihm aber ein anständiges Aus

 

— 11 — kommen. Ihm widmet er den ersten Band seiner Gedichte, und er bringt es Gönnern und Freunden immer wieder in Erinnerung, wenn auch nicht stets mit so naiver Offenheit, wie in dem Gedicht aus dem Jahre 1725 (1,408), wo es heisst: „Hilf mir doch ja! fein bald zu einem hübschen Weibe, Doch hänge mir zugleich ein kleines Aemtgen dran." b. Henrici als Gelegenheitsdichter. Es soll nicht die Aufgabe sein, Picanders Gelegenheitsdichtung im folgenden zu untersuchen; sie würde dies kaum vertragen. Nur was zur Illustrierung seines Litteratendaseins von Bedeutung ist, möge hier folgen. In den 5 Bänden seiner Gedichte^) stehen im Ganzen ungefähr sechs und ein halbes Hundert Gedichte, die sich auf 31 Jahre verteilen (1721 — 1751). Man kann 3 Perioden unterscheiden. In die Jahre 1721 — 1723 fallen seine Anfänge. Dann beginnt die eigentliche Blüteperiode seiner Gelegenheitspoesie (1724—1737), und hier sind es besonders die Jahre 1724 — 1726, also die Zeit vor seinem Amte, die sich durch reiche Production auszeichnen. Man kann berechnen, dass er neben seiner sonstigen litterarischen Thätigkeit als Zeitungsschreiber, kirchlicher Textdichter und Dramatiker in diesen Jahren pro Woche ein Gelegenheitsgedicht, manchmal von ziemlichem Umfang, schuf. Vom Jahre 1737 an beginnt die Production merklich dünner zu werden. — Von den 650 Gedichten sind nur ungefähr 2 Dutzend keine Gelegenheitsgedichte; Liebesarien oder geistliche Strophen. Alles andere ist durchweg für Feierlichkeiten bestimmt, und es entspricht Picanders Charakter, dass nur 56 Trauergedichten 436 Hochzeitsgedichte gegenüberstehen: er sagt selbst (Gedd. 2,212): „Picander kann ja! nichts als lustge Verse machen. Denn dass er bethen soll, das ist kein Werck vor ihn"; er meint es sei ihm angenehmer 4 Hochzeitslieder zu singen, als nur einen Grabe-Seuffzer zu erzwingen. Daneben treten die Gedichte für Geburtstage, Doctorund Magisterpromotionen, sonstige Festlichkeiten, und die Gedichte an fürstliche Personen stark zurück. In dieser reichen Production muss man 3 IQassen unterscheiden. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Gedichte ist bestellte und bezahlte Arbeit, für Leute bestimmt, denen die poetische Ader fehlte; hier tritt der Dichter als Person ganz zurück. Die Bezahlung erwähnt Picander mit naiver Offenheit selbst (Gedd. 1,421). Der Geschäftskreis des Dichters erstreckt sich auf ganz Sachsen: besonders Leipzig, die Lausitz und Thüringen sind kaufkräftige Abnehmer. — ^) Vergleiche S. 63 f.

 

— 12 — Eine kleine Zahl von Gelegenheitsgedichten sind freiwillige Arbeit des Dichters, der sie zur Verschönerung des Festes oder zur „Trauerklage*' eines seiner Freunde beisteuert. Hier nennt er sich gewöhnlich am Schluss mit seinem Namen Picander. Bezahlung ist hier wohl ausgeschlossen. Allein gerade derartige freiwillige Gedichte nahmen sehr leicht einen anrüchigen Charakter an. Der Begriff Freund wurde nicht allzu eng gefasst, und besonders hochgestellte, vermögende Persönlichkeiten, Minister und Fürsten, nahm mancher leichten Mutes für seine Freundschaft in Anspruch. Fiel nun bei einem solchen hohen „Freund" irgend ein besingbares Ereignis vor, so war das von dem Dichter dazu schleunigst verfasste Gedicht nicht mehr als unverfängliches Geschenk zu betrachten, sondern war natürlich mehr oder weniger auf den Satz: do ut des, abgestimmt. Die hohen Herren erwiesen sich meist mit Geld und Protection erkenntlich, und der Dichter nannte sie dafür „Gönner" und „Maecene". Dieses einträgliche Geschäft war so üblich bei den Bewohnern des Parnasses, dass diese Kategorie von Versemachern als eine Art besonderer Zunft den Namen „Gratulanten" erhielt. Sehr bezeichnend ist, dass Sicul in seinen Leipziger Annalen^) (IV, S. 23) zum Jahre 1726 unter der Rubrik, in der er nichtapprobierte Aerzte, Privatlehrer, Correctoren, Amanuenses verzeichnet, über die Gratulanten folgendes sagt; „Denen [sc. den Privati Academici] auch noch beyzurechnen diejenige Arth Leute, so man seit etlichen Jahren her Gratulanten nennet, und grösstentheils arme ohn beförderte Studenten oder auch unbrauchbare Conversi sind; haben den Gratulanten-Nahmen sich zugezogen, weiln sie mit Gratulationibus bey hohen Festen, Geburthsund Nahmens-Tagen, Hochzeiten und Kindtauffen, auch so gar bey der Heil. Communion etc. Verehrungen adquiriren, mithin unter die Armen gehören, die theils aus der Universitäts-AlmosenCasse und Fiscis Nationum, theils auch, vermöge Compactatorum, bey E. E. Hochw.-Raths Lazareth oder Waysen-Hausse, und dergestalt in gesundund krancken Tagen ihren nothdürfftigen Unterhalt und Verpflegung, gleichwie auch nach dem Tode die Begräbniss-Kosten haben, inmassen alle Jahre verschiedene Arme ex aerariis publicis begraben werden müssen." Diese poetische Bettelgarde („Hungerdichter" „Lumpendichter") war ein Hauptübelstand, der von der deutschen Satire heftig angegriffen wurde : sowohl wegen der moralischen Seite der Sache, als auch wegen der notwendig sich ergebenden Degeneration der Poesie. Rachel, Schupp, Canitz, Günther, Amaranthes eifern dagegen, und Hancke sagt geradezu: „Ein Bettler und Poet sind beides einerley." Die moralischen Wochenschriften Gottscheds eröffnen einen systematischen Kampf dagegen, dessen Verlauf und Erfolg wir später zu betrachten haben (S. 55 ff). ^) Exemplar auf der Stadtbibl. zu Leipzig. — Es ist das Werk eine Art aka^demisehes Adressbnch.

 

— 13 — Freilich war der Begriff Gratulant sehr dehnbar und stufenreich. Neben der extremen Art, wie sie bei Sicul erscheint, sind auch mildere Formen zu bemerken: dass Dichter, die im übrigen die ehrliche Berufsdichterei pflegen, gelegentlich ein Poem an einen hohen Herrn senden, um sich in empfehlende Erinnerung zu bringen. So ist auch ihr bitterer Feind Gottsched bisweilen unter ihnen zu finden: Sicul (IV, 333) führt für den Geburtstag des Königs (1727) von Gottsched und von Henrici in friedlicher Vereinigung je ein Glückwunschgedicht an, von denen sicher keines bestellt ist Ueberhaupt ist die Gratulantenbettelei in verhüllter Form gegenüber fürstlichen Personen gar nicht anstössig. — Henrici verwahrt sich verschiedentlich, unter die Gratulanten gerechnet zu werden (vgl. Akademischer Schlendrian 1,7). In Wahrheit aber ist er es doch, sowohl nach Absicht als Erfolg. Zunächst sind sehr viele Gedichte an Fürstlichkeiten, deren 22 in der Sammlung stehen, hierher zu rechnen : sie enthalten gewöhnlich eine verhüllte Hindeutung auf Empfänglichkeit für Wohlthaten. Neben dem sächsisch-polnischen Königshause erfreuen sich die Herzöge von Weissenfeis, Weimar und Anhalt-Cöthen Henricis Berücksichtigung. Die eigentlichen Privat-Maecene Henricis aber sind Graf Flemming und Graf Brühl. Von einzelnen dieser Gedichte wird später noch die Eede sein; künstlerisch sind sie wertlos, moralisch zeigen sie den ärgsten Byzantinismus. Graf Brühl ist die 2. Auflage des 1. Bandes der Gedichte gewidmet. Sonstige Gönner sind Graf Hennicke, dem der 4., Graf Solms-Tecklenburg, dem der 3. Band der Gedichte zugeeignet ist. In den Studentenjahren finden sich auch öfters Gedichte an akademische Grössen, und eine Wendung, wie die in dem Gedicht an Dr. theol. Ludwig (1,74): „Lass Deine Gütigkeit mich fernerhin vertreten" zeigt, wie fein er die Bettelei einzufädeln verstand. — cf. auch 1,55. — Die Gelegenheitsgedichte jener Zeit waren durchaus nicht immer nur für den betreffenden Adressaten bestimmt. Vielmehr fanden sie in Einzeldrucken auch einen weiteren Leserkreis, der sie rein aus Interesse an der Poesie selbst las. So konnte Neukirch seinen litterarischen Abfall von den Schlesiem in einem Hochzeitsgedichte proclamiren. So nur ist es auch erklärlich, wenn Picander sich in einem für Rippach bestimmten Hochzeitsgedichte vom 3. Dec. 1724 (Gedd. 4,144) auf ein Gedicht zu einer Erfurter Doctorpromotion (26. Oct. 1724. Gedd. 2,511) bezieht Hochzeitsgedichte Picanders, die durch die Originalität der Erfindung hervorragten, sind sicher in Einzeldrucken^) verbreitet worden, und haben so dem Verfasser ^) Huga Hayn, Bibliotheca Gennanomm Nuptialis (1890) weist noch 8 vorhandene Einzeldrucke (No. 306—313) Picanderscher Gedichte nach. Es

 

— 14 weitere Einnahmen verschafft Uebrigens zeigt sich, dass einzelne Stücke, die Erfolg gehabt hatten, entweder von Picander selbst oder von unberechtigten Dritten mit etwas verändertem Titel nach Jahren gleichsam als neu herausgegeben wurden (vgl. Hayn, a. a. 0.). Poetischen Wert wird man nicht einem einzigen der Hunderte von Gelegenheitsgedichten zuerkennen können. Es fehlt der innere Fond von Poesie, der bei Günther oft den faden Zwang der Convention siegreich durchbricht. Es fehlte auch die äussere Bedingung: In der Vorrede zum 1. Bande der Gedichte meint Picander selbst entschuldigend, es sei ihm wie einem Postillon gegangen, „er habe offt bey Nacht und Nebel den Pegasum satteln müssen". Deshalb muss man die relativ grosse sprachliche Correctheit immer noch anerkennen: die Angriffe Gottscheds auf die Sprachverhunzung der Gelegenheitsdichter treffen ihn wenig. Auch eine besondere UeberfüUe an Geschmacklosigkeiten^) ist nicht zu erkennen; freilich sind poetisch schöne Stellen^) noch seltner. Im Ganzen ist es eben eine matte und platte Reimerei, die in conventioneilen Versen conventioneile Gedanken vorbringt. — Bezeichnend ist es für den Hungerdichter, dass die Metaphern zum grossen Teile dem Gebiete des Essens entnommen sind. — Die Derbheit und Gemeinheit so vieler Gedichte, die uns so auffällt, ist weniger Picanders Schuld, als die des Zeitgeschmacks. — Refrain ist ziemlich häufig; ebenso die Anwendung von volkstümlichen Sprichwörtern und Redensarten. Der anfangs vorherrschende Alexandriner weicht mit der Zeit immer mehr der kurzzeiligen Strophenform. Eine kurze Erwähnung verdienen die Quodlibete, die meist in Knittelversen abgefasst sind. Picander hat diese schon von Hunold, Mencke-Philander, auch Günther u. a. geübte Form zu einer gewissen „Höhe" geführt, die nicht tiberschritten werden konnte. Ist das Quodlibet bei Amaranthes z. B. noch ein Pele-mele von lustigen und auch rohen Einfällen, „ein Mischmasch vieler Dinge" (Pic. 2,231), so muss man das Picandersche Quodlibet kurzweg als gereimten Blödsinn bezeichnen, der zumeist ausserdem noch roh und zotig ist. Hier ist Picander einfach widerlich, trotzdem gerade seine Quodlibete beliebt gewesen sein mtissen ; denn sie sind ziemlich häufig. Gottscheds Kampf in seinen Wochenschriften gegen diese Ausartung der Poesie^ sind meist solche Stücke, bei denen die persönlichen Beziehungen zurücktreten. Die Univ.-Bibl. zu Leipzig bewahrt ein paar weitere Dutzend von Hochzeitsgedichten Picanders, meist je ein halber Bogen Grossoctav („Hochzeitsgedichte des 4. Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts^^* ^) Solche finden sich z. B: Gedd. 3,184. 5,358. ^) Hier wären eigentlich nur zu nennen die 4 Verse üb. den Kuss: 3,460. ') Die deutsche Gesellschaft hatte einen Paragraphen, der die Quodlibete und ähnliche ^poetische Missgebnrten" ans ihrer Mitte verbannte. Danzel, Gottsched und seine Zeit. p. 83.

 

— 15 — ist vollkommen berechtigt und offenbar hauptsächlich gegen Picander gerichtet, ebenso was M. G. E. Müjler, Versuch einer Critik über die deutschen Dichter (1737) sagt (am Schluss). — Charakteristisch für Picanders Gelegenheitsdichtung ist der fast immer vorhandene satirische Charakter. Die deutsche Satire lässtsich in zwei Richtungen scheiden. Die eine ,, strenge" ist durchaus von antiken und französischen Vorbildern abhängig, und darum eifert sie in herber Bitterkeit gegen die Laster der Zeit (Canitz: „die Larve vom Gesicht des Lasters abzureissen"), meist in geschlossenen Satiren. Gottsched (An Thalia. Crit Dichtkunst 1737* p. 563 ff) beschreibt sie sehr vollständig: „Nachdem du mir den Trieb zur Besserung geschenckt, Wodurch du den Horaz und Juvenal getrieben, Durch den dein Persius und dein Despreaux geschrieben. Den Rachels Kiel erregt, den Canitz auch gefühlt, Bis Neukirch ihm gefolgt, dem Günther nachgespielt" etc. Günther und Mencke-Philander bilden schon den Uebergang zu der andern Richtung. l)iese ist die leichtere und freiere Satire, die in Gelegenheitsgedichten oder Epigrammen nebenbei auftretend, mehr die amüsanten Thorheiten bewitzelnd und belächelnd, am Stoffe selbst Behagen empfindet: Hunold-Menantes, der Leipziger Advocat Corvinus (=Amaranthes) und Picander sind ihre Hauptvertreter. Eigen ist ihr die Verschmähung der geschlossenen Form: sie giebt lieber eine Reihe von Bilderchen, als ein grosses Gemälde. Ihre consequenteste Ausbildung ist das satirische Quodlibet, wo womöglich in jeder Zeile der Inhalt sprunghaft wechselt. Besonders Picanders Hochzeitsgedichte sind fast durchgängig satirische Scherze. Neben der einfachen Abhandlung von Thesen (z. B.: „der Vorteil einen Priester zu heiraten**) werden allerlei Fragen pro und contra discutiert („ob ein Frauenzimmer schreien dürfe, wenn es geküsst wird"). Beliebt ist auch der bequeme Gebrauch, sich über den Namen des Bräutigams oder der Braut in allerlei billigen Gleichnissen und Beziehungen zu verbreiten. Wenn ein Gedicht für die Hochzeit eines Schmidt „die Liebe unter dem Bilde eines Schmiedes" heisst, so ist dies schon eine Allegorie beziehentlich Travestie, die die beliebteste Form zur Einkleidung der Satire ist. Liebe in allerlei Gestalten tritt uns da entgegen. Wir finden ein Orgelwerk der Liebe, ein Credo der Verliebten, von Kartenspielen ein Rummelpiquet, ein Lombre-Spiel (schon bei Amaranthes!) und Bassarowicz der Liebe; der Liebe Handelsschaft (schon bei Menantes!) und einen sehr geschmacklosen Kirchhof der Liebe. Liebe und Buchdruck, Liebe und Buchhandel, Liebe und Dintenfass werden in Parallele gesetzt. Hierbei ist immer nur der Inhalt travestiert, die Form ist die eines ge

 

— 16 — wohnlichen Gedichts. Weiter geht die Travestie, wenn sie sich auch auf die Form erstreckt; so ist es bei den zahlreichen „Ordnungen": Cupidos Teichund Fischordnung, Cupidens Verliebte Bergordnung, Neurevidirte Prozessordnung der Liebe, Neue Taxordnung der Liebe, Venus neues Forstpatent, Quartierreglement des Cupido u. s. w. (vgl. z. B. Amaranthes, Amors Feuerordnung). Hier wird die strophische Form des Gedichtes verlassen und der Stoif in Titel, Capitel und Paragraphen eingeteilt, überhaupt die Travestie bis in die kleinsten Einzelheiten getrieben. Auch Aktenstücke werden in dieser Weise parodisch auf die Liebe übertragen: ich nenne den „Ehe-Kauf", den „Extract aus denen verliebten Acten nebst den Bescheiden." Besonders ist auch die Buchform beliebt: wir finden ein Receptbüchlein der Liebe und vor allem viele Stücke mit Titeln französicher (fingierter und echter) Bücher : Maximes d' Amour, L'art de baiser, L'art de charmer les filles, L'ecole des filles, wobei der Verlagsort Paris und das Erscheinungsjahr, die angegeben werden, die Illusion noch unterstützen sollen. Hierher ist auch der umfangreiche Scherz zu rechnen, der den Titel trägt: Pauli Caji Institutionum Juris amatorii libri IV, worin sehr witzig von Anfang bis Ende ein vollständiges parodischsatirisches Eherecht in Versen gegeben wird^). Am wichtigsten aber von allen Travestieformen ist die journalistische Einkleidung der Gelegenheitsgedichte, weil sich aus ihr heraus wirkliche Journale entwickelt haben. c. Henricis Zeitschriften und ihre Nachahmungen. a. Entstehung der Zeitschriften. Die Stellung Leipzigs als litterarischer Centrale, wie sie sich im 18. Jahrhundert herausbildete, machte sich besonders früh und besonders einflussreich auf dem Gebiete des Journalismus geltend^). Die seit 1660 erscheinende Leipziger Zeitung, von der wöchentlich 6 Nummern herauskamen, war, wie eine der ältesten, so eine der bedeutendsten politischen Zeitungen. Mit Halle zusammen, das bei der geringen Entfernung als eine Art Leipziger Dependenz gelten kann, bildete Leipzig ferner die beherrschende Capitale des ausgebreiteten gelehrten Zeitungswesens, der daraus sich entwickelnden galanten Journalistik und später der moralischen Wochenschriften. — Bei der Bedeutung der Zeitungen kam es früh dazu, dass man sie ebenfalls als dankbares Travestie-Motiv für Gelegenheitsscherze verwandte^). Von Amaranthes *) cf. noch Ovidii Nasonis de proditione amoris mutni opus posthumum. ') cf. Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus. S. 355 f. 3) Hayn, Bibl. Germ. Nuptialis führt eine Reihe von Hochzeitsscherzen dieser Art an: So schon vom Jahre 1647 eine »Wöchentliche Zeitung" (No. 463); vom J. 1662 Kurandors „Zeitung aus dem Elb-Pamass'* (No. 226); v. J. 1664

 

— 17 haben wir vom Jahre 1710 ein Hochzeitsgedicht: „Die LindeiifeldischeFAMA welche den gegenwärtigen Zustand der vornehmsten Strassen entdecket. Der erste Theil. 1710"^). Titel, Dmck, die Angabe „1. Theil" beweisen das Vorhandensein der Travestie irgend eines der zahlreichen Fama-Journale. Als Hochzeitsgedicht ist der Scherz in Versen abgefasst, die aber, um die Travestie durchzuführen, in fortlaufenden Zeilen ohne Versabteilung gedruckt sind. Den Inhalt bilden fingierte Nachrichten („Aus der Apostel-Strasse", „Aus der Wald-Strasse" vl. ä.), die allerlei galante Geschichtchen und kleine Bosheiten gegen das schöne Geschlecht enthalten. Im Jahre 1714 verfasste Amaranthes zum Hochzeitsfeste eines Gleditsch die „Deutschen ACTA ERUDITORUM oder Geschichte der Gelehrten, welche den gegenwärtigen Zustand der Litteratur in Europa begreiffen. Erster Theil. Leipzig, Anno 1714". Manmuss wissen, dass Gleditsch der Verleger des gelehrten Journals dieses Namens war. Auch hier ist alles Travestie. In Alexandrinern ohne Versabteilung werden in Recensionenform allerlei fingierte Bücher über Liebessachen besprochen, wobei der Ton am Schluss in den „Nova Literaria" ziemlich frivol wird. Die Satire ist witzelnd und heiter. — Diese „Zeitungen" sind trotz der Angabe auf dem Titel („Erster Theil") nicht fortgesetzt worden; es waren Hochzeitsgedichte, wie andere auch. Picander liess sich diese Form der Einkleidung natürlich nicht entgehen. Es finden sich von ihm folgende Hochzeitsscherze dieses Genres vor: „Verliebter Patriot, aus welchem zu ersehen, was oflFfc vor tolles Werck im Lieben kan geschehen". (Gedd. 2,304; ungefähr 1725). Parodie des Hamburgischen Patrioten und Satire gegen die alten Junggesellen. „Das Gespräch im Reich der Liebe", ungefähr 1726. (Gedd. 2,298). Parodie d. Fassmannschen „Gespräche im Reiche der Todten" (s. unten). „Das neu-eröffnete Frauenzimmer-Cabinet" 1729. Parodie eines der zahlreichen „Cabinete". „Der verliebte Anzeiger" dessen, was in der Haushaltung vorfällig und zu wissen nötig ist". 1734. (Gedd. 4,814). Galante Travestie eines Börsenund Handelsblattes. „Poetische Neuigkeiten" 1736. (Gedd. 4,448). eine „Relation Aus dem Parnasso" (No. 220); v. J. 1714 „Deutsche Acta amantium" (No. 4), eine ganz offenbare Parodie der bekannten Acta Ernditorum; v. J. 1746 „Verlag des galanten Liebes-Mercurs" (No. 430). ^) Hayn schreibt sie Hunold zu, dessen , Satyrischem Roman" sie oft angebunden ist. Sie steht aber in Amaranthes' .Reiferen Früchten der Poesie. 1720". Der Titel Lindenfeldische Fama passt nicht auf den Inhalt, der Hamburger Strassen betrifft.

 

— 18 — Keines von diesen Stücken erfahr eine Fortsetzung. Anders aber war es mit zwei andern Picanderschen Zeitungstravestien^), den „Nouvellen" und den „Aufgefangenen Briefen". Es ist kein Zweifel, dass beide zunächst in je einer Nummer als Gelegenheitsgedichte erschienen sind ohne die Absicht einer periodischen Fortsetzung, Von deuAufgefangenenBriefen sagt er das selbst (im IV.Paquet; Gedd. 1,519), und es gilt auch von den Nouvellen: im VI. Extract derselben meint er, sie seien ursprünglich nur zur Lust für gute Freunde bestimmt gewesen. Die Bestimmung als Gedichte für festliche Gelegenheiten zeigen auch die späteren Nummern noch meistens : Paquet I der Aufgefangenen Briefe gratulirt einem M. J. J. G. zur Magisterpromotion, Paquet n einem A. B. C. zum Geburtstage, Paquet m enthält einen Reiseglückwunsch für Herrn S. G. J., Paquet IV einen Geburtstagsglückwunsch für Herrn W. A. v. R. Ebenso gratulirt Extract I der Nouvellen einem Herrn Döring zum Geburtstage, Extract n zu einer Hochzeit, Extract V zu einem Licentiatenexamen. — Wir haben uns vorzustellen, da,ss Picander nach dem Erfolge des 1. Stücks denselben Titel und dieselbe Form auch für weitere Gelegenheitsgedichte beibehielt. Die persönlichen Motive des Glückwunsches treten nun sehr stark zurück und verschwinden fast ganz gegenüber dem übrigen allgemeinen Inhalt. So werden diese Blätter, die für den betreffenden Adressaten als Gratulationsgedichte wirken, für das grosse Publikum durch die fortlaufende Titulirung, die fast periodische Erscheinungsweise, durch Inhalt und Form zu einem eigentlichen Journale : sie werden in grosser Auflage gedruckt und viel in und ausser Leipzig gekauft. Die Privat-Gratulation ist für das grosse Publikum Nebensache, darum fehlt sie auch im IV. und VI. Extracte der Nouvellen ganz und ist im lU. ganz allgemein gehalten. Die Nachahmungen sind denn auch consequent und lassen das Feigenblatt der Gratulation von vornherein weg^). ~ Dies ist die äusserliche Genesis der Journale, die uns eingehender beschäftigen sollen. Wollen wir sie aber in ihrem Wesen verstehen, so ist es nötig, sie mit dem galanten und dem moralischen Journalismus in Verbindung zu setzen. Die galanten Journale sind aus dem populär-historischen Zeitschriftenwesen hervorgegangen, vgl. Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus 1845 (S. 372 ff). Es sind diese sehr zahlreichen Journale in culturhistorischer Beziehung die Nachfolger der Romane. Sie bieten allerlei „curiöse" Nachrichten, besonders frivoler Natur, Abenteuer von historischen und fingierten Liebespaaren und ähnliches. ^) lieber die Einzelheiten der Travestie siehe unten den Abschnitt über die „Form der Zeitschriften". «) Vgl. unten Seite 20.

 

— 19 -Ich führe als ein Beispiel an das „Gespräch Im Reiche der Lebendigeü Zwischen Eosimentes und Audrodus'^, dessen „Dritte ZusammenkanfL Plauderstadt[sLeipzig] 1721"^) allerlei Geschichtchen von Leipziger Studenten, Commis und Frauenzimmern bald frivol, bald roh, bald leicht satirisch, aber immer nur zum Zwecke amüsanter Unterhaltung auftischt Im Anfange des 18. Jahrhunderts begann im Gegensatze zu dieser Litteratur aus dem BUrgerstande heraus in den Moralischen Wochenschriften sich eine periodische Litteratur zu bilden, die nicht mehr „curiös" unterhalten, sondern moralisch reformireü will. Aber nicht . alle zeigten in der Satire auf die Laster den ehrenfesten Ernst des Hamburger Patrioten oder die griesgrämige Nörgelei der Tadlerinnen. Das Unterhaltungselement begann sich auch hier einzuschleichen: so führt Kawczynski zum Jahre 1718 an eine „Lustige Fama aus der närrischen Welt" und einen „Lustigen Observateur** von 1724. Besonders die Frauensatire mit ihren novellenartigen Charaktertypenschilderungen führte leicht vom Moralischen ab. So wird der „Leipziger Spectateur" (1723), der Frauenzimmer und Studenten besonders aufs Korn nehmen zu wollen erklärt, nicht selten Mvol^, die „Assemblöe der unglücklich Verliebten im Reiche der Todten. Leipzig 1725** enthielt die „Liebeshändel Amorandors und Rosimenens mit moralischen Anmerkungen begleitet", wobei man sich leicht denken kann, welche von den zwei Seiten zu kurz gekommen ist. In die gleiche Kategorie ist zu stellen das „Lustige Moral und Frauenzimmer-Cabinet" Leipzig 1728. — So vereinigen sich die Ausläufer oder wenn mau will die Ausartungen der galanten und der moralischen Journalistik in einem Punkte, von dem nun ihrerseits Picanders Journale und ihre Nachahmungen ihren Ausgang nehmen. Beide Elemente sind hier gesteigert worden: das galant-curiöse zum schmutzig-Mvolen, das satirischmoralische zum pasquillarischen, und eng mit einander verschmolzen. So entsteht eine Gattung, der wir kaum Unrecht thun, wenn wir sie als die der unmoralischen Zeitschriften bezeichnen; denn die Tendenz ist fast einzig und allein die Unterhaltung des Lesers durch Frivolitäten und oft mit persönlichem und Local-Klatsch gepfefferte Satire, so sehr die Verfasser auch die moralische Absicht betonen*). ^) Stadtbibliothek zu Leipzig: L. Fr. 40. 42. '> Vgl. auch was die „Gründliche Nachricht Von den Frantzösischen, Lateinischen und Deutschen Journalen, Ephemeridibus, Monatlichen Extracten* Leipzig und Gardeieben 1718" p. 83 über den «Europäischen Niemand** sagt. ') Bisweilen mit Erfolg. So meinte der Censor Emesti bei Gelegenheit seiner Vernehmung über den Poetischen Postreuter, eine der Nachahmungen von Picanders Nonvellen, am 22. Juni 1724 (siehe unten S. 43) : „nechstdem i

 

— 20 — Für derartige Producte war Leipzig der günstigste Boden, Hjier hat immer der Winkeljournalismus und die Pasquinadenschreiberei geblüht^), und man hat mit Recht den Grund dafür in der engen Verbindung von Buchhandel und Universität gesucht: beide lieferten genug fragwürdige Existenzen, wie sie uns unten in dem Studenten Neubert, dem Buchdrucker Bauch und dem Verleger Boetius noch begegnen werden. Sicul führt in seinen Leipziger Annalen für das Jahr 1726 ausdrücklich an: „Zeitungs-Halter, die mit Communication gedrucktund geschriebener Zeitungen von allen Orthund Enden sich nähren". Nach dieser kurzen Skizzierung der Entstehungsbedingungen ißt es nötig, die Zeitungen im Einzelnen zu analysieren und für die allgemeinen Andeutungen die besonderen Belege zu geben. Die im folgenden behandelten Zeitungen sind: 1. Nouvellen, von Picander. 6 Nummern. Abgedruckt im 1. Bande der Gedichte und zwar leicht überarbeitet. Originalexemplar des 5. Stücks im Leipziger Ratsarchiv, der 2 ersten Stücke auf der Kgl. Bibl. zu Dresden. 2. Aufgefangene Briefe, von Picander. 4 Nummern. Abgedruckt im 1. Bande der Gedichte. 3. Poetischer Post-Reuter, von Neubert. 6 Nummern. Nummer 1 — 5 auf der Leipziger Universitätsbibliothek; Manuscript sämtlicher Nummern im Leipziger Ratsarchiv (Tit. XLVI, No. 173). 4. Poetischer Bothen-Läuffer. 2 Nummern. Leipziger Universitätsbibliothek. 5. Poetische Gedancken Ueber das raisonirende Frauenzimmer-Tabacks-Collegium. 2 Nummern. Leipziger Universitätsbibliothek. ß. Inhalt der Zeitschriften. Den Vorrang in den Stoffen hat ohne Zweifel die Frauensatire. Von neueren Satirikern hatte Rachel in seiner ersten Satire nach Simonides Recept die sieben Hauptlaster der Frauen mit juvenalischer Bitterkeit durchgezogen; auch seine andern Satiren sind davon voll. Im galanten Leipzig war natürlich der Stoff unerschöpflich: hier 80 wäre eine distinction unter einem galanten und satyrischen Scripte, welches letztere . . . vitia hominum censire, ersteres aber an denselben sich delectire" und bezeichnete den Postreuter als ein „satyrisches Scriptum". — Leipziger üniversitätsarchiv (Repert. I/IX Nr. 9)* *) Vgl. Wustmann, Grenzboten 1896, 2, p. 463 ff.

 

— 21 — stoppelte der ängstliche und conventionelle Philander von der Linde aus Juvenal, zwei französischen, einem englischen und einem italienischen Vorbild seine erste Satire „Wider die weiblichen Mängel" zusammen und tadelte — unter entschuldigenden Verbeugungen — Untreue, Spielsucht, Wissensdünkel, Verschwendung, Muckertum, Kleiderund Sprachmoden des schönen Geschlechts. Auch in Günthers^) satirischen Hochzeitsgedichten finden wir viele Motive frei und keck berührt. Besonders aber ist es die sondere, leichtere Richtung der Satire, die hier ein fruchtbares Feld für ihre schal-frivolen Bespöttelungen findet: Amaranthes stichelt in zahllosen Epigrammen auf die Frauen Leipzigs, und Musophilus^) schliesst sich ihm in einer recht gemeinen Satire „Von denen allgemeinen Lastern der Weiber" an. — Beide bleiben sehr auf der Oberfläche der kleinen Laster des alltäglichen Lebens und zeigen insofern Verwandschafb mit unsern Zeitschriften. Auch hier findet sich weit mehr lächelndes Behagen an witziger Bespöttelung als sittliche Entrüstung über die Laster. Die Sucht des Frauenzimmers, alle Welt durchzuhecheln (Nouv. I), die schnippische Mocquerie der Jungfern (Nouv. 11) und ihre Unfähigkeit, das Mundwerk in Ruh zu halten (Nouv. VI) erfahren witzelnde Verhöhnung, die der auch sonst etwas steifere Bothenläuffer ernsthafter variirt Die „Poetischen Gedancken Über das raisonirende FrauenzimmerTabacks-Collegium" sind nach Titel, Anlage und Durchführung eine einzige grosse Verspottung dieses Erbfehlers des weiblichen Geschlechts, gewissermassen die Ausführung des Picanderschen Gedankens vom Hechelorden in Nouv. I. Bosheit, Eitelkeit und Stolz werden den Frauen nicht geschenkt, die „Poetischen Gedancken" zeichnen in Klatschemunda das Bild eines weiblichen Ehedrachens, und sowohl Picander (Nouv. III) als der Postreuter (V) rechnen den Weibern, ähnlich wie Amaranthes in der 5. Satyre des 2, Bandes seiner „Proben"^) und wie die moralischen Wochenschriften, in spezialisierten Rechnungen die Summen vor, die sie vergeuden. Den Jungenmägden, den Lisetten, wird von den Poet. Gedancken ihr Sündenregister vorgehalten, insbesondere ihre Liebeleien mit Hausknechten, Informatoren und Soldaten. Der eigentliche Tummelplatz unserer Journale aber ist das sexuelle Verhalten der Frau: den Gipfel der Gemeinheit ersteigt wohl die fingierte Petition der Pariser Frauen in der 3. Staffette des Postreuters. Schier unerschöpflich sind die Methoden und Formen, in denen in versteckter und offener Weise das Thema der Jungfernschaft behandelt wird. Picander besonders kann sich nicht genug *) Sammlung von Job. Christ, Günthers . . . Gedichten. 1739. 2) «Musophili Vergnügter Poetischer Zeitvertreib .... Dressden und Leipzig .... Anno 1717." 8) Amaranthes, Proben der Poesie, etc. 1. Teil 1710. 2. Teil 1711.

 

— 22 — thnn in faunischer Skeptik gegenüber allem, was Jungfer heisst, und wie man ans Nonv. IV ersieht, war dies vor allem der Grund der tödlichen Feindschaft der Leipziger Frauenwelt gegen ihn. Demgegenüber kommen die Junggesellen mit der Geschichte von der Junggesellenuhr (Nouv. V) ziemlich glimpflich weg; nur die Hahnreye müssen sich ein paar Mal (Nouv. I u. HI) ihre unzählbare Menge vorrücken lassen. Aber auch in den andern Journalen nimmt das Thema einen breiten Raum ein. Dei: Postreuter (I) wirft sich auf das Gebiet der Statistik der unehelichen Kinder, und der Bothenläuffer berichtet von einem Buch mit dem Titel : Intactae virgines nostris temporibus sunt invisibiles. Die Poet. Gedancken stellen Wochenbett und Kloster in Parallele. — Realistischer noch ist der Stoff der Courtisane. Picander (Nouv. n) führt uns frei nach Ovid die Unterweisung einer Elevin durch eine Veteranin vor, und der Postreuter verquickt freie Liebe und Messhand^l zu einigen unappetitlichen Bildern (I u. IT), lässt uns auch einen tiefen Blick thun in das Tagebuch einer gefälligen Dame (TV), pie Liebe mit allen Narrheiten ist reich vertreten. Die Aufgef. Briefi (ü) führen uns die ganze Entwicklung des Liebesverhältnisses von der Anbändelung mit Hülfe der gefälligen Jungenmagd bis zu den sichtbaren Folgen vor. Wir bekommen von einem Spital für Liebeskranke ausführlich zu hören (Nouv. ü), und auch Verspottung allzu zarter Sentimentalität, die an Ohnmächten stirbt, fehlt nicht (Nouv. m). Für gewöhnlich aber richtet sich der Spott gegen die Thorheiten der Don Juans und Galanthommes, wie sie Amaranthes in der 1. Satire seiner „Reifferen Früchte"^) schon berührt hatte. Die Serenadengigerl bekommen verschiedene Hiebe (vgl. Tadlerinnen 1, 28), ebenso die fensterdrückenden Schönen. Nouv. H wird die Mienensprache lächerlich gemacht, ähnlich wie um dieselbe Zeit im Patrioten (I, 22) und vorher schon in den Discursen der Mahlem (IV, 8)^. — Neben den Frauen tragen die Studenten die Hauptkosten der Unterhaltung : ein Umstand, der bei den studentischen Autoren Picander und Neubert auffällig zu sein scheint, es aber nicht ist, wenn man bedenkt, dass sie eben wegen ihres schriftstellerischen Berufs ausserhalb des eigentlichen studentischen Lebens stehen. Schon Rachel hatte (Satiren 6 und 7) das Studentenleben in seinen Nachtseiten gezeichnet, Günther und Amaranthes thaten es ebenfalls gelegentlich, Picanders sonstige Gedichte sind voll davon. Aber auch hier herrscht kein Sittenrichterton, sondern hämisches Belächeln der Missstände, bisweilen auch humoristische Darstellung. Die Geldanleihe des Sohnes bei der Mutter, die Ermahnungen des Vaters (Nouv. m) ^) „Beiffere Früchte der Poesie .... von Gotüieb Siegmund Corvino 1720.') Aehnliches auch im Th^atre Italien (siehe unten) ; z. B. im Arlequin Misantrope ein „Projet d'nn Dictionnaire de Mines'' etc.

 

23 — sind in lebenswahren Farben gehalten; der Postreuter (IQ) führt eine ganze Woche eines Stndentendaseins vor mit dem ewigen Wechsel von Saufen, Lieben, Eauchen und Kaufen; er macht sich zum ironischpersiflierenden Organ der unzufriedenen Burschen gegen Wirte, Wucherer, Pferdeverleiher, Junge Mägde und Väter {IV und V). Wir erfahren auch, wo die Geldquelle zu diesem kostspieligen Leben fliesst: Nouv. V schildert uns einen mit Schürzenstipendien reich bedachten Studenten (vgl. die Epigramme von Amaranthes und Picanders Akad. Schlendrian). Das Sauflaster findet nur zweimal (Bothenl. I; Poet. Ged. II) eine Behandlung. Das eigentliche Modevergnügen der Studenten ist das schon von Menantes und Amaranthes berührte* winterliche Schlittenfahren, das Nouv. VI sehr scharf mitgenommen wird, ebenso wie Bothenl. n das Dorf laufen, gegen das die Regierung vergebens in Mandaten eiferte. Pferdegeschichten und Eencontres mit Nachtwächtern vervollständigen das Culturbild. — Die Modesitten des Kaffeetrinkens und Tabakrauchens, von denen die damalige Litteratur voll ist, bilden einen weiteren Gegenstand« Nouv. I malt hyperbolisch die Wirkung eines KaffeeVerbotes bei den Weibern aus (vgl. Picanders Weiberprobe); der Postreuter zotet über das Pfeifenrauchen und berührt die Frage, ob Frauen rauchen sollen. — Sehr reich fliesst der Spott über die Kleidermoden. Rachel hatte die französische Mode der Mönchen (Schönheitspflästerchen), Philander v. d. Linde die Contouchen, Amaranthes Hüte und Mäntel angegriffen, ganz abgesehen von Logau u. a. Die Discurse der Mahlem schliessen sich verschiedentlich dem Kampfe an (11, 22. 25. m, 6). Die Nouvellen beginnen gleich (I) mit einer lächerlichen Notiz über Schminken und Pflästerchen, und sie schliessen mit Hieben auf das Haarfärben (V) und die Muffmoden (VI). Reifenrock und Fingerring werden vom Postreuter (HI und IV) durchgezogen, der Bothenläuffer hält sich über die Entblössungen der Mode auf, und die Poet Gedancken geben eine eingehende satirische Beschreibung der Galanthomme-Kleidung. In der Satire gegen die einzelnen Stände und Berufe haben einen Hauptsündenbock immer die Aerzte abgegeben. Günther verurteilt gelegentlich den Schlendrian dei: Mediziner, und Amaranthes striegelt Curpfuscher und Charlatane. Picander (Nouv. I) stellt Arzt und Advocaten in eine Reihe mit dem Totengräber. Im Postreuter (R) praesentirt sich ein Charlatan, der über allerlei zweifelhafte Curen verfügt Die Advocaten kommen nicht besser weg. Der Causenmacher Crumpificus^) wird selbst von den Raubtieren für unverdaulich befunden (Nouv. I), und sein Geistesverwandter Mirificus vollführt Der Name schon bei Neukirch (S. 122 u. 202 der Gottschedischen Ausgabe). i

 

— 24 einetL haarsträubenden Verteidigungstaick (Postr. IQ). Die Alchymisten, denen Amaranthes eine ganze Satire widmet, erhalten nur einen — schiecht sitzenden — Hieb. (Nouv. IV). — Ein beliebtes Thema war der Magisterund Doctorenschwindel : wie man in Hochzeitsgedichten gern die Frauen angriff, so machte man in Glückwünschen zu Doctorschmäusen die Promotion lächerlich — natürlich stets die Anwesenden ausgenommen. Menantes in seinem „Gekrönten M. Auf teutsch Magister Lobesan" hatte ein Muster dieser Gattung der Satire geliefert: Amaranthes spottete über die Rolle, die das Geld bei der Promotion spielte, und Picanders Promotionsgedichte führen öfters denselben Gedanken aus. Das L Stück der Briefe — das zur Gratulation für einen Magister bestimmt ist — ist in seinem ganzen Umfange eine recht gelungene Persiflage der dummstolzen Ueberhebung eines neugebackenen Magisterleins ^). Auch der Bothenläuffer (I) spricht von der Windmacherei der Doctoren. Isoliert steht der Preis der Wissenschaft in Nouv. HE, der wohl als Captatio benevolentiae in akademischen Kreisen dienen soll. — Der Adel war besonders durch Canitzens üebersetzung von Boileaus 5. Satire als Stoff der Satire beliebt geworden. Neukirch in seiner 2. Satire richtete seine Bitterkeit besonders gegen den Stolz des erst durch Geld edel gewordenen Adels. Für die moralischen Wochenschriften ist der unwürdige Edelmann ein Hauptmotiv (Patriot I, 30. n, 75. Tadleriiinen n, 27; später: Biedermann 11, 60. 58). Picander widmet diesem Gebiet im V. Stück der Nouvellen zwei sehr ausführliche Artikel und zeichnete in Mr. de Wourm und Herrn v. Schufft die Typen eines französisierten Stammbaumsimpels und eines dünkelhaften Schwachkopfs. Die litterarische Satire tritt verhältnismässig zurück. Picander persifliert einmal (Nouv. I) die Büchertitelmode, alle Scharteken als „Gespräche im Reiche der Toten, Lebendigen" etc. zu bezeichnen^). Im I. Paquet der Aufgef. Briefe befindet sich ein offenbar parodistisches Madrigal^. Der Postreuter wendet sich am Anfang der 11. und der VI. Staffette in sehr kräftigen Tönen gegen die Gratulanten, indem er an der 1. Stelle ihnen vor allem ihre sprachlichen Sünden, an der 2. ihre Geldeinnahmen vorhält, beidemal mit Mitteilung fingierter und karikierter Proben. Als Lückenbüsser erscheinen auch nicht-satirische, rein unterhaltende Stücke, in Nouv. DI sogar ein mit Noten versehenes Liedchen. Weder Picander (Nouv. IV) noch der Postreuter (VI) verschmähen ^) Wie in allen satirischen Gelegenheitsgedichten ist auch hier die Technik so, dass der Adressat als Ausnahme (äer Gegenteil von dem verspotteten Laster gepriesen wird. 8) cf. unten Seite 58. *> vgl. £. Vossler, Das deutsche Madrigal 1898. S. 156.

 

— 25 — einen blossen Wortwitz, wenn er nur saftig ist. Nouv. VI findet sich eine harmlose Lügen nachricht von grosser Kälte in Africa, Postr. IV von der Ankunft eines Luftschiffes aus Indien. Oefters beziehen sich diese anekdotenhaften Bestandteile auf reale Vorfälle des Leipziger Lebens, doch ist dies nur im Postreuter der Fall; so ein Sturz ins Wasser, in den Strassengraben, ein Brandunglück, die Lynchung eines Juden, der Ausbruch einer Seuche, die Ueberraschung beim Tete-ä-tete: meist werden derartige Gegenstände durch frivole Auslegung pikant gemacht. — Pasquillarisches, auf bestimmte Personen Gemünztes ist für uns ebenfalls nur noch im Postreuter nachweisbar, wenn auch die andern Zeitungen davon nicht frei gewesen sein werden : so wird im VI. Stück ein gewisser Neander wegen mangelnder Logik weitläuftig verhöhnt, oder in Stück V von dem lächerlichen Auszug des relegierten Studenten „Nohriche" erzählt. Die Postwagengeschichte im VI. Stück bezieht sich ebenfalls auf einen realen Vorfall, wie in der Untersuchung durch das TJniversitätsgericht^) festgestellt wurde: Narnstedt ist gleich Altrannstedt bei Leipzig. Auch der zweimal durchgezogene Leporander ist als reale Persönlichkeit zu betrachten^. y. Form der Zeitschriften. Durchgehend ist das Prinzip der Travestie (siehe oben S. 15 ff). Die Nouv eilen (der genaue Titel der einzelnen Stücke lautet: „Extract, das . . Stück von allerhand Nouvellen"), in halben Bogen erscheinend, ^) Tgl. unten Seite 43. ^) Postr. I (am Anfang) heisst es: „In unsem Mauern wohnt ein lustiger Student, den das moqnante Volck Herr Leporander nennt." Dieser „Hasemann" hat mit seiner komischen Geckenhaftigkeit den Leipzigern lange Zeit Stofif zum Lachen geboten. Am frühesten und ausgiebigsten bespöttelt ihn Amaranthes. Schon im 1. Teil seiner „Proben" (1710), Seite 518, macht er auf seine lächerliche Protzerei mit dem gespickten Portemonnaie einen Witz. Im 2. Teil der „Proben" (1711) wird einmal (p.396) sein litterarischer Grössenwahn, das andere Mal (p. 461) sein Benehmen gehänselt. Noch in den „Reifferen Früchten" (1720), S. 598 wird er wegen einer Schlittenfahrt verhöhnt*. Günther, a. a. 0. S. 492 spielt auf diese satirische Behandlung durch Amaranthes an. Der Postreuter teilt in der I. Stafette von ihm ein (wohl fingiertes) Gedicht an ,, Julien" mit, in dem er diese seine Geliebte mit einer Fülle hyperbolischer und deplacirter, zum Teil sehr derber Bilder überschüttet (z. B. „Du Borstwisch meiner Noth"): es soll wohl damit auch der Lohensteinische Schwulst getroffen werden. In der V. Staffette wird er nochmals in uns unverständlicher Weise durchgezogen. Gottscheds Vernünftige Tadlerinnen führen ihn (I, 30 und I, 45) als eitlen Fensterpromenadeur vor. Schliesslich erscheint er bei Hancke (Gedichte 1. Theil 1731^ Seite 170) als sentimentaler Anschwärmer Sylviens. Doch ist er hier wohl nur litterarischer Typus. — Wer er eigentlich war, ist nicht mehr festzustellen.

 

— 26 — sind in Titel, Quartformat, Anlage und Druck eine genaue Imitation der wöchentlich erscheinenden Extracte der „Leipziger Zeitung" (genauer Titel der einzelnen Stücke: „Extract derer in der . . Woche des . . Jahres eingelauffenen Nouvellen"). Der Poetische Postreuter (in ganzen Bogen, Quart) imitiert die alten jährlich erscheinenden, stets in Versen abgefassten Nachrichten-Kalender, die „Postreuter", eine Vorstufe der politischen Zeitungen, und der Poetische Bothen-Läuffer (in halben Quartbogen) bildet das Pendant zu ihm, wie ehemals die „Hinckenden Bothen" und ähnliche Erzeugnisse zu den Postreutern (vgl. Prutz, a. a. 0. S. 177 ff). Die Aufgefangenen Briefe lehnen sich im Titel und Grundgedanken an an das populär-historische Journal: „Aufgefangene Brieffe, welche zwischen etlichen curieusen Personen über den itzigen Zustand der Staatsund gelehrten Welt gewechselt worden. Wahrenberg 1700 — 1702"^). Imitation der galanten Journale ist es, wenn die einzelnen Stücke möglichst gesuchte Bezeichnungen tragen: die Briefe erscheinen in „Paqueten", der Postreuter in „Staffetten", der Bothenläuffer in „Partien", die Poetischen Gedancken in „Nachrichten" und nur die Nouvellen in „Stücken"^. Sämtliche Zeitschriften sind in Alexandrinern abgefasst^, die aber wie Prosa, ohne Versabteilung, gedruckt sind: sie folgen also in dieser weitgetriebenen Illusion dem Vorbilde des Amaranthes (siehe S. 16 f). Aber die Travestie geht noch weiter: Die Picanterien und Satiren sind durchweg in Formen gekleidet, die die Praetension einer wirklichen Zeitung aufrechterhalten. Zwei Kategorien lassen sich unterscheiden. Zunächst die Form der Nachricht im weitesten Sinne, wie sie in der politischen Tageszeitung herrscht Sie wird besonders, den Titeln gemäss, in den Nouvellen, dem Postreuter und dem BothenLäufer angewandt. In den Tageszeitungen der damaligen Zeit, die noch nicht allzu alten Datums waren, nahmen die Stoffe der alten Localrelationen noch einen grossen Raum ein. Folgende Rubriken treten dort hauptsächlich hervor: Naturereignisse ungewöhnlicher Art, Wunderzeichen, Missgeburten, Hexenund Teufelsgeschichten, Unglücksfälle. ^) Die „Poetischen Gedancken Über das raisonirende FrauenzimmerTabacks-CoUegium^ sind im Titel anscheinend original. ^) Bei den galanten Journalen giebt es: Tuben, Missiven, Fasciculn, Oeffnungen, Vorstellungen ,Gäng:e, Ravagen, Functionen, Depeschen, Expeditionen, Entrevuen, Evectionen, Conferenzen etc. 8J A. Richter, Neues Archiv für Sachs. Geschichte 18 (1897) p. 89-97 meint, mit Unrecht, dass vor Picanders Zeitschriften Journale in Versen mit Ausnahme der politischen Postreuter nicht erschienen seien. Gerade die unpolitischen Localrelationen über Unglücksfälle, Wunder n. s. w. haben sehr oft gereimte Form.

 

— 27 — Aehnlich ist es in unsern Journalen ^). — In Wetternachrichten kleidet sich die Satire z. B. in Nouv. I und VI, Bothenl. I und 11; Nouv. VI haben wir eine Kriegsnachricht; Nouv. n wird das Banquerottiren als eine Pest, die ausgebrochen ist, dargestellt, Postr. V die damals grassierende Homviehseuche (vgl. das von Sicul a. a. 0. angeführte Edict des Kurfürsten vom 15. Jan. 1723) zu einer sexuellen Travestie gewendet. Sehr beliebt ist die Form des Polizeiberichts über Prügeleien (Postr. n, Bothenl. II), Unglücksfälle und Verbrechen (Postr. I. IE. m. V. VI). Daneben begegnen uns Berichte über wunderbare Stern fälle, Wunderpferde, Wundermäuse, über einen Androgyn, einen Tiermenschen, seltsame Auffindungen von Kindern oder Frauen und anderes derart Speciell an Leipzig erinnert der Bericht über die Messsehenswürdigkeiten (Postr. n). — In den Zeitungen jener Zeit, sowohl den tagesgeschichtlichen als den gelehrten, stösst man oft auf die Nachricht von wunderbaren Erfindungen. Schon der Patriot benutzte dieses Motiv als Einkleidung für seine Moral: so lieferte er z. B. ein Thermometer des Verstandes (I, 34), eine philosophische Uhr (I, 52), eine Gemütsproben-Maschine (11, 74), einen Universal-Gedächtnis-Schnupftoback (11, 87) und ähnliches. Ganz ebenso ist es bei Picander und dem Postreuter : da giebt es (Nouv. IV) ein allsehendes Perspektiv, ein Recept zur Reparatur der Jungfernschaft (Nouv. I), eine Junggesellenuhr und ein Jungfempulver (Nouv. V) und allerlei andere Erfindungen mit satirischer Spitze. — Statistische Berichte trifft man über uneheliche Kinder (Nouv. HI u. Postr. I), und Postr. n erzählt von den Steuerverhältnissen der Courtisanen. Zu diesem „amtlichen Teil" der Zeitungen ist auch die Persiflage eines Königlichen Mandats gegen das Kaffeetrinken (Nouv. I) zu rechnen. Eine zweite Kategorie sind die Sammelmotive, Formen, die einen ganzen Complex von Einzelmotiven in sich vereinigen, wie Congresse, Petitionen, Statuten, Inventare, Wochenund Stundenpläne, Rechnungen, Briefe, Tagebücher. Auch sie sind z. T. den Tageszeitungen und besonders den historischen Journalen populärer Art entlehnt und travestirt schon von den Satirikern und moralischen Wochenschriften angewandt worden. — Schon Günther lässt vor der Wahrheit eine Gerichtssitzung über die Frauen ergehen und kleidet Jede einzelne Nachricht in den Nouvellen, dem Postreuter und dem Bothenläuffer ist aus irgend einer Stadt datiert. Meist ist natürlich alles auf Leipzig bez. Sachsen zu beziehen. Aber selten nur wird Leipzig genannt (so Nouv. I) ; gewöhnlich nimmt man einen verhüllenden Namen, der aber doch leicht erkennen lässt, was gemeint ist. Maus chreibt entweder willkürliche andere Städtenamen (Paris, Constantinopel, Venedig), besonders Universitäten (Oxford, Upsala, Leiden), oder statt Leipzig Peilzig, Peilgitz, statt Berlin Beblin, sagt für Leipzig Lindenpol, Handelsburg (Mr Hamburg?), statt Wittenberg: Elbenau und statt Dresden Albipolis, oder wendet schliesslich d^m Inhalt der Nachricht angepasste freigeschaffene Namen wie Pfeiffengrün , Franenstadt u. ä. an.

 

— 28 — sein bitteres Pasquill gegen Crispinus ein in eine Verhandlung vot Apollo und den Musen, was ihm Philander in der 5. Satire nachmacht. In ganz ähnlicher Weise lässt Picander (Nouv. HI) einen Junggesellencongress Gericht halten über die Weiber, die Zunft der satirischen Dichter sich vor dem Stadtrath versammeln (Nouv. IV). In Staffette IV und V des Postreuters treten die Studenten vor Minerva auf dem Helicon zu einem Eeichstag zusammen und überreichen ihr in einer Petition ihre Klagen ; ganz ebenso machen es in Staffette V die Kauf leute vor Mercur. Die Petition der Pariser Frauen (Postr. rH) gehört ebenfalls hierher. — Aehnlich, und mit Aehnlichem in den moralischen Wochenschriften leicht zu parallelisieren, sind der Hechelorden der Weiber (Nouv. I), der Gratulantenorden (Postr. II) und die Grundidee der „Poet. Gedancken": hier finden wir auch, wie z. B. im Patrioten, parodistische Statuten. — An den Usus der Tadlerinnen erinnern die „Regeln" für die Schlittenfahrer in Nouv. VI. — Eine bequeme Form war ferner der Wochenplan. In Nouv. V beschreibt uns der von den Frauen allzusehr in Anspruch genommene galante Student seine Ritterpflichten Tag für Tag von Sonntag bis Sonnabend. Die „Poet. Gedancken" (11) geben uns die Wochentagsbeschäftigungen eines faulen Ehemannes, und im Postr. m ziehen die unsauberen Erlebnisse eines wüsten Studenten in 8 Tagen und Nächten an uns vorüber. Wir erfahren sie aus einem gefundenen Tagebuch. Gefunden wird überhaupt sehr viel^) : in der IV. Staffette des Postr. das saftige Tagebuch einer Dame der Halbwelt, wohl eine Nachahmung des Tagebuchs der Caelia in Menantes Satyrischem Roman (2. Edition p. 207), in der I. Partie des Bothenl. ein Buch mit pikantem Titel, in der n. ein Studentenalmanach. Das I. Paquet der Aufgef. Briefe besteht überhaupt nur aus zufällig gefundenen Briefen, und das IE. Paquet ist die Ausbeute einer durchstöberten Correspondenz. Einen Blick in die Intimitäten gewähren auch die Inventaraufnahmen Gestorbener oder Verreister^. Nouv. I wird uns der Nachlass eines verstorbenen „galanten Mädgens" Stück für Stück aufgezählt, und Nouv. m bewundern wir mit den Gläubigern die wüsten Reste der Habe eines relegierten Studenten. Verwandt damit ist das Motiv der Kostenberechnung, das schon vom Patrioten (I, 2) angewandt, vorher noch von Amaranthes benutzt worden war. Es werden mit Vorliebe den Frauen die einzelnen Posten ihrer Ausgaben genau vorgerechnet und so ihre Verschwendung satirisch beleuchtet. So macht es Picander Nouv. m und der Postreuter in Staffette V. — Die Briefform geht durch in den „Aufgef. Briefen", ist aber besonders als Studentenbrief auch in den Nouvellen und dem Postr. häufig genug. — Es bleibt 1) So auch im Patrioten (I, 6. 11, 56) und den Tadl. (II, 40. H, 47). *) Vgl. Picanders Hochzeitsged. „Cupidens Inventarium von raren Sachen" und ähnliches.

 

— 29 — • noch übrig die umfangreiche Eubrik der Inserate und Bücheranzeigen. Als Inserattravestie ist wohl zu fassen die Ankündigung des haarfärbenden Doktors in Nouv. V und vielleicht auch die ähnliche Stelle im Postreuter 11. Die fingierten Bücheranzeigen verdienen eine genauere Betrachtung. Sie stehen, stets am Ende einer Nummer und finden sich sowohl in den Nouvellen, als im Postr. und Bothenläuflfer. Sie parodieren in ihrer Form offenbar die Anzeigen der gewöhnlichen Zeitungen und dienen gern zu allerlei Scherzen erotischer Natur. Sie waren in jener Zeit sehr beliebt und begegnen uns auch sonst, bisweilen zu ganzen Büchercatalogen vereinigt^). Eine Uebersicht über diese Litteratur giebt Hayn, „Vorschlag zu einer Lesebibliothek für junge Frauenzimmer. Ein bibliographisch-erotisches Curiosum vom Jahre 1780. Borna-Leipzig 1889"; im Anhang II führt er nicht weniger als 35 derartige „livres imaginaires" auf. So stehen z. B. in Amaranthes „Deutschen Acta Eruditorum" (s. o.) am Schluss unter „Nova Literaria" 28 fingierte Büchertitel, die ganz von derselben Art sind, wie die bei Picander und seinen Nachahmern. Auch die moralischen Wochenschriften pflegen das Motiv öfters zur Einkleidung ihrer Satire zu benutzen (vgl. Patriot I, 32). — Picander sucht den zotigen Inhalt dieser Anzeigen bisweilen durch Anwendung der lateinischen Sprache (Nouv. I) oder griechischer Buchstaben (Nouv. HI) zu verdecken. — 6. Chronologie der Zeitschriften. Eine besondere Schwierigkeit liegt in der chronologischen Bestimmung der einzelnen Blätter^). Zunächst steht fest, dass Picander — abgesehen von den oben genannten Hochzeitsgedichten von Amaranthes^ — die Ehre der Priorität gebührt. Er ist der Erfinder dieser poetischen Journale, alle andern sind Nachtreten am Schluss des IV, Paquets der Aufgef. Briefe sagt er selbst; „Nur dieses jammert mich, dass ich den Weg gebrochen, da mir ein grosser Schwann mit Hauffen nachgekrochen." Das I. Stück der Nouvellen gratuliert einem Herrn D[öring] zu seinem Namenstage, dem 3. August. Da die folgenden Stücke in die ersten Monate des Jahres 1724 fallen, so ist als Geburtstag der ^) So z. B. in Picanders Hochzeitsgedicht „Gatalogus libromm Miscellaneornm' etc. ^) A. Richter, a. a. 0. hat 8ie zuerst in grossen Umrissen versucht. ^) Zu blossen Hochzeitsgedichten verwandte die Joumalform späterhin auch Stoppe. Im .Pamass im Sattler"" 1735 (S. 318 u. 419) stehen 2 Hochzeitsgedichte (das erste aus dem Jahre 1730), die durchaus nichts anderes siud als Imitationen der Picanderschen Nouvellen. Der Titel Novellen-Extract, die Yersform (Alexandriner in Prosadrnck), und die Nachrichtenform beweisen dies. Der Inhalt ist sehr matt. Wirkliche Jonmale, wie Picanders Nouvellen, sind es natürlich nicht. i

 

 3Ö — Nouvellen der 3. August 1723 anzunehmen. Weiter hinaufzugehen ist deswegen unmöglich, weil Henrici schon im I. Stück mit seinem nom de guerre Picander zeichnet, den er, wie wir sahen, erst 1723 angenommen hat. Das 11. Stück der Nouv. scheint in die Messzeit zu fallen, wenigstens nimmt die 2. Nachricht (aus Handelsburg) Bezug auf die vielen Bankerotte, die zur Messe eintraten. Sicul berichtet nun in seinen Leipziger Annalen von einem Kurfürstlichen Edict vom 1. Januar 1724 gegen die Banqueroutiers: das IE. Stück der Nouv. fällt also mit grosser Wahrscheinlichkeit in die Octobermesse 1723. Im Jahre 1723 ist auch das I. Paquet der Aufgef. Briefe erschienen: es ist gerichtet an „Herrn M. J. J. G.", dem es die Gratulation zur Magisterpromotion überbringt. Dieser M. J. J. G. ist als der von Sicul im „Itzt-lebenden Leipzig 1724" aufgeführte Mag. Johann Jacob Greiff zu bestimmen, der zu Wittenberg 1723 promovierte. Verwickelter gestalten sich die chronologischen Verhältnisse im Jahre 1724; denn mit diesem setzen die Nachahmer ein. Als Terminus ante quem für alle Zeitschriften ist das Erscheinen von Veranders Plissenischem Pamass (s. u.) zu betrachten, der sie ja sämtlich kennt. Henrici denunzirte diese Schrift bei der Leipziger Büchercommission am 6. März 1724; dazu stimmt, dass Verander selbst die „andre Fastnachtswoche" als Entstehungszeit angiebt. Ende Februar 1724 ist also Terminus ante quem. Das IH. Stück der Nouvellen enthält einen Neigahrswunsch, ist also Neujahr 1724 anzusetzen. In derselben Zeit beginnt der Postreuter zu erscheinen, dessen einzelne Nachrichten genaue Daten tragen: die erste Staffette enthält Nachrichten vom 1. bis 6., die zweite vom 7. bis 13. Januar. Am Schluss der I. Stafifette wird wöchentliche Fortsetzung versprochen. Doch ist diese nicht genau eingehalten worden: Staffette DI ist datiert vom 14. bis 21. Januar, Staffette IV vom 22. Januar bis 2. Februar, Staffette V vom 3. bis 7. Februar, Staffette VI vom 10. bis 20. Februar. In Staffette DI spricht der Autor am Schluss von einer längeren Verzögerung des Erscheinens. Da diese in der Datierung nicht zum Ausdruck kommt, so dürfen wir diese Datierung überhaupt nicht als genau ansehen^). Mit Ende Februar .aber muss der Postreuter ganz zu erscheinen aufgehört haben; denn am 28. Februar erfolgte das weiter unten zu besprechende Mandat, das ihn verbot: da die Manuscripte aller 6 Staffetten mit der Censur versehen sind, so muss auch die 6. Staffette vor dieses Datum fallen. — Die 1. Partie des Bothenläuffers ist in den Januar 1724 zu setzen, da die erste Nachricht vom 12. Januar datiert ist. — Wahrscheinlich zwischen Postreuter IV und Postreuter V, jedenfalls aber vor Postreuter V *) Sie beruht wohl auf der Piction des Titels „Postreuter", die, wie oben gesagt, Jahres-Ealender waren.

 

— 31 — feilt das IV. Stück der Picanderschen Nouvellen. Auch das DI. Paquet der Briefe, das auf das IV. Stück der Nouvellen Bezu^ nimmt, scheint noch vor die V. Postreuterstaffette zu fallen: wenigstens scheint diese den Passus vom Bellen und Beissen der Hunde aus einer Bemerkung Picanders im DI. Paquet ühernommen zu hahen. Ein ähnliches Herühernehmen eines Vergleiches aus der V. Staflfette des Postreuters (wo sich der Verfasser mit dem generösen Löwen vergleicht) erlaubt uns, das IV. Paquet der Briefe nach dieser anzusetzen; da aber in ihm auch schon die Veranderschrift erwähnt wird, so fällt es auch nach Postreuter VI. — Die „Poetischen Gedancken", die auf dem Titel die Bemerkung „Anno MDCCXXIV" tragen, und das n. Paquet der Aufgefangenen Briefe sind nicht genauer zu datieren: doch fallen sie ebenfalls vor Veranders Satire. Das V. und VI. Stück der Nouvellen fallen in eine viel spätere Zeit (s. u.). d. Die „Raserey bei den Poeten*'. Interessant waren die Grazetten gewiss, allein sie wurden genirt. Sie waren allerdings zum Teil selbst daran schuld. Es konnte unmöglich bei der Menge der Concurrenten, die um die Gunst des zahlenden*) Publikums sich bemühten, an Eeibungen und Zänkereien fehlen : einer suchte den andern tot zu machen und selbst das Monopol zu erlangen. So entstand eine Katzbalgerei auf dem Parnass, die ihr Vorbild im Hunold-Wernickischen Streite hatte. — Von Picanders Nouvellen zeigen die ersten drei Stücke keine Anspielung auf seine Gegner; ebenso sind das erste Paquet der Aufgefangenen Briefe und die vier ersten Staffetten des Postreuters frei von persönlichen Anzapfungen. A. Richter (a. a. 0.) meint zwar, dass die scharfe Satire auf die Gratulanten in der 11. Staffette des Postreuters auf Henrici gemünzt sei, speciell der dort mitgeteilte Neujahrs wünsch in sächsischer Orthographie sich auf den Neujahrswunsch in Henricis drittem Stück der Nouvellen beziehe. Allein Gratulanten gab es auch ausser Henrici eine reichliche Menge, und der sprachliche Charakter des vom Postreuter vorgebrachten Schreibens passt durchaus nicht auf Henricis Poesie. Es ist vielmehr Henrici, der die Fehde eröffnet. Den ersten Hauch des ausbrechenden Sturmes spürt man im 11. Paquet der Aufgefangenen Briefe. Indem er sich ^) Gewiss war an den Journalen etwas zu verdienen. Der Verleger der Nouvellen, Boetius, sagte am 4. Sept. 1725 vor der Büchercommission aus, er erhalte „von ieden Thaler vier Gr. von Autore das übrige berechne er ihn, und verkaufe das Stück k «echs Pfg.' Das V. Stück der Nouvellen wurde in einer Auflage von einem Eies gedruckt (Leipziger Rats-Archiv). Derselbe Boetius erklärte am 6. Juli 1724 betreffs des Postrenters, er liesse von jedem Exemplar einen Bogen drucken und von jedem Bogen ein Ries auflegen, dem Autor gäbe er für jeden Bogen zwei Thaler (Leipziger Universitäts-Archiv).

 

32 — stellt, als sei er all des Schreibens müde, verteidigt er sich gegen die Annahme, seine Schriften seien Pasquille auf bestimmte Personen i), beruft sich auf die Bibel, die ja sage, dass man sich gegenseitig vermahnen solle ^), giebt sich äusserst fromm und sagt schliesslich pathetisch: „Doch wenn ein Läster-Maul verdammte Schrifften streuet und auf ein reines Kind vergiffte Schmähung speyet, so sagt, ich bitte sehr, nicht das ich das erdacht, (wie man mich ietzo kränckt), es hats ein Schelm gemacht." Man sieht, es passierte ihm schon damals das gewöhnliche Unglück, dass die Thaten der Epigonen dem Bahnbrecher in die Schuhe geschoben wurden. Auf welche Schrift Henrici zielt, wissen wir nicht; möglich ist es, dass er das in der vierten Staffette des Postreuters erschienene Tagebuch einer Courtisane im Auge hatte. Unterdessen aber trat eine Reaction des Publikums ein: die Aufregung unter der besseren Leipziger Gesellschaft stieg mehr und mehr, und besonders die Leipziger Frauenwelt war empört über die Angriffe, die ihre Ehre erfuhr^). Man scheint die Sache zunächst an den Rat gebracht zu haben. Im vierten Stücke der Nouvellen nämlich berichtet Henrici von einer Versammlung der Dichterzunft auf dem Rathause, wohin sie befohlen worden sei. Der Regierende habe eine Rede gehalten : „Man hat bey uns geklaget, dass ihr die gautze Stadt mit Stachel-Schrifften plaget", und habe die Satiren verbieten wollen. Da habe ein alter Greis, würdig und ernst wie Socrates, eine feurige Verteidigungsrede der Satiren vorgetragen: Pasquinaden auf Personen seien zu verdammen, aber Satiren auf Laster seien heilsam; „die Sitten bessern wir in angeführten Schrifften. Wer kan ein bessres Heil in einem Lande stifften? Hat Aristophanes nicht weiland mehr gefrucht, als was der Solon selbst durch sein Gesetz gesucht?"*) Der Rat habe, damit vollständig zufriedengestellt, ihnen die Erlaubnis erteilt, „die Thorheit, wo sie herrscht, zu ^) Schon Thomasius im zweiten Monatsgespräch hatte gesagt, das deutsche Publikum wisse keinen Unterschied zu machen zwichen Satire und Pasquill, alles werde persönlich gedeutet. 2) Dieses Bibelcitat beruht wohl auf einer Anleihe bei Philander von der Linde, der es in der Vorrede seiner „Schertzhafften Gedichte" (1713) zur Verteidigung seiner Satiren herangezogen hatte. Picander kannte sie und benutzte sie auch sonst (s. Anm. 4). ^) Im Akademischen Schlendrian spielt Picander mit Selbstironie darauf an in Scene 3 des zweiten Akts, wo Frau Vielgeldtin „einem gewissen Menschen, der auf das Frauenzimmer solche stachlichte Verse schreibt" gern etwas auszahlen möchte. ^) Dieser Gedanke, der für Henrici etwas zu gelehrt klingt, stammt auch wirklich nicht von ihm, sondern ist einfach die Versificirung dessen, was Philander a. a. 0. sagt: „So hat meines Erachtens Aristophanes durch die in seinen Gomödien eingebrachte Satyren bey denen Atheniensem weit mehr als Solon und die Areopagiten mit allen ihren Gesetzen .... gefhichtet.'

 

— 33 — tadeln und zu schrauben." Auch eine Erinnerungsmedaille sei geprägt worden, die im Kupferstich dem Extract beigegeben ist. Die eine Seite stellt einen Satyr dar, der von einer Frauengestalt eine Blume erhält ; die Unterschrift lautet : Satyr, libert. Restaurata, die Umschrift : Eidendo dicere verum Quis vetat. Die zweite Seite zeigt, wie ein Satyr einen Mann barbiert, mit der Umschrift: aut vulnus aut silentium. Das ist natürlich nur poetische Fiction: wer sie deuten will, wird als Kern herausschälen, dass man eine Unterdrückung der Blätter versucht hat, der Rat damals aber nicht darauf eingegangen ist. — Trotzdem aber war dieses (IV.) Stück der Nouvellen vorläufig das letzte. Am Schluss heisst es nämlich in ganz verändertem Tone: „Nun komm, Picander, komm, und stampffe deinen Kiel, und setze dir einmahl das allerletzte Ziel." Er nimmt Abschied von der Poesie und kündigt an, dass schwerlich von ihm noch ein Extract herauskommen werde. Er klagt: „Verfolgung ist mein Lohn"; er verwahrt sich dagegen, dass er weiter nichts thue, als Verse reimen, d. h. mit andern Worten, dass er seine Studien vernachlässige. Für ihn als Stipendiaten war das freilich ein gefährlicher Vorwurf. Es scheint also, dass von irgend einer Seite Henrici die Unvereinbarkeit seiner Stellung und seiner Thätigkeit nahegelegt worden ist, und dass Henrici, um durch die That zu documentiren, dass er nicht bloss Verse mache, eines seiner Journale eingehen Hess. Er that dies aber in einer Weise, die notwendig dazu führen musste, dass erst recht ein Hexensabbath entstand. Man hatte ihm wahrscheinlich auch die Verfasserschaft der übrigen Blätter, die ja alle anonym erschienen, zugeschrieben. Dagegen verwahrt er sich mit Entschiedenheit: „Inzwischen will ich auch hier vor der Welt bekennen, dass sich die Schrifften nicht nach meinem Namen nennen, die hier in Lindenstadt im Floren wollen stehn, und auf der Dichter-Post bald reuten [Postreuter!] oder gehn [Bothenläuffer!]." Denn an solchen „Zoten" erfreue er sich nicht. Ebenso stellt er klar, was noch viel nötiger war, dass die vor wenig Wochen erschienenen 3. und 4. Stücke der Nouvellen eine unechte Nachahmung seien von einem, der nur „ums liebe Brodt" schriebe^). Ironisch ermahnt er alle diese „Poeten-Sonnen", vor denen sein „Dichterlämpgen" erbleichen müsse, weiter zu schreiben und zu dichten: „des Scherzens Artigkeit, der ganz besondre Greist, die gründliche Moral, die sich in allen weist," stemple einen jeden zum vollkommenen Poeten. Endlich, nach einer höhnischen Mahnung an die Jungfern, ihn im Andenken zu behalten und sich zu bessern, damit, wenn er je wieder auf^) Diese falschen Nouvellen sind mir nicht auffindbar gewesen. — Auch sonst erschienen in Leipzig in dieser Zeit noch eine Reihe anderer, ebenfalls verlorener, Blätter im Nouvellensti! ; vgl. nuten S. 36. i

 

— 34 — erstünde, keine Not mit ihnen hätte, schliesst er verheissungsvoU : „Ich bin auch noch nicht todt". Von den Angegriffenen war alles eher zu erwarten, als dass sie den Hieb ruhig hinnehmen würden. Entweder der Autor des Postreuters selbst (stud. jur. Neubert) oder ein ihm Nahestehender schrieb ein kräftiges Pasquill in Knittelversen ä. la Hans Sachs, der damals als Prototyp eines Poetasters galt. Bevor es aber noch einen Drucker fand, geriet es, wie Picander im IH. Paquet der Aufgef. Briefe berichtet, in die Hände von dessen Freund „Menander", der es ihm zusandte, so dass Picander es im IH. Paquet der Briefe, die jetzt sein alleiniges Organ waren, als letzten Brief abdrucken konnte. Es l^eginnt: „Da Herr Picander schimpfft und schmäht mit grossen Zorn auf seinesgleichen. Will ihm ein treuer Freund hierdurch ein Grallen-Pulver überreichen." Nach diesen einleitenden Accorden geht der Autor Picander zu Leibe: „Ist er nun denn der Haupt-Poet Neben welchen kein gleicher geht? Ach! ja er ist der kluge Geist, Nach dem sich letzt ein ieder reist" u. s. w. Seine Vielschreiberei, sein Hochmut, seine Beliebtheit, seine Vernachlässigung des Studiums, alles muss herhalten. Dann heisst es : „Er lasse den Post-Reuter seyn, Nebst dem Bothen-Läuffer hübsch und fein. Sie sind so gut als seine Waar An der offt nicht viel gute Haar. Und soll denn keiner mehr Nouvellen Als nur bloss er ans Tags-Licht stellen?^' Schliesslich wird ihm mit einer neuen Streitschrift gedroht; „Man wird ihm mehr als deutlich weisen, Dass seine Sachen Possen heissen." u. s. w. Picander ist witzig genug, den ganzen Text am Fusse mit kritischen Noten zu begleiten, die sich zu Alexandrinern zusammensetzen, und in denen die Behauptungen des Gegners widerlegt oder lächerlich gemacht werden. So heisst es z. B. in dem Pasquill: „Und wo das noch nicht helffen will, So schweig ich darum doch nicht still*'; dazu die Note: „Er belle wie ein Hund, es wird mich wenig kräncken." Am Schluss hängt er zum Ueberfluss noch einige Verse an, und sagt, sein bester Trost solle „das ei' fie ovog*' sein.

 

— 3S -Picander hatte durch diese vorgreifende Veröffentlichung naturlich die Gegenpartei vollständig blamirt. So erklärt es sich, dass der Bothenläuffer, der ja auch sonst etwas zahm ist, überhaupt nicht antwortet, der Postreuter dagegen in seiner V. Staffette sich darauf beschränkt, den über derlei Gezänk erhabenen zu markiren, wobei er es sich aber nicht versagen kann, seinem Groll in einigen derben Wendungen Luft zu machen. Am Schluss des Stückes heisst es : „P. S. Es wird in kurtzer Zeit hier eine Hetze seyn. Die Dichter wollen sich des Vorzugs wegen beissen, ich lass mich aber nicht in ihren Kampff mit ein. Warum! ich will mich stets dem Löwen gleich erweisen. Sein genereuser Geist gibt nicht das minstedrauff, ob schon die Klauntschrigen ihm um den Hintern kläffen" u. s. w. ; dann noch deutlicher auf Henrici anspielend : „Eä hat sich zwar bissher schon einer vorgethan, der mich aus purem Neid und Missgunst angebissen . Er belle, oder nicht, es ist mir einerley, und will mich künfftig hin ein ^iölpscher Mopsus beissen, wohlan! so geh ich ihm von hinten alles frey, ich will ihm noch darzu das Fleckgen selber weisen." Noch bevor Henrici auf diese saftige Einladung ä la Götz von Berlichingen antworten konnte, hatte die Fastnachtsstimmung einen Unbekannten, der sich Verander nennt, dazu gebracht, seiner Entrüstung über derartige pöbelhafte Litteratenproducte in einer Schrift Ausdruck zu geben, die betitelt ist: „Kurtze Nachricht von dem Plissenischen PARNASSO Des daselbst solennangestellten DichterCamevals entworffen. Von VERANDERN. Leipzig, druckts Johann Gottlieb Bauch."!) (12 Seiten). Diese Satire hatte das Gute, über den Parteien zu stehen, ui^d zeugte vom besten Willen, den schmählichen Zuständen ein Ende zu machen. Leider aber beging sie den Fehler, den Teufel mit Beelzebub austreiben zu wollen. Der Ausdruck ist ebenso roh und gemein, wie in den Journalen, die sie bekämpfte^), ja der Sprachstil steht noch bedeutend tiefer als dort: oft hat man Mühe, aus den Rattenkönigen des Satzbaues einen Sinn herauszulösen. Es ist darum nicht erlaubt, wie Wustmann ^) that, Gottsched als eventuellen Verfasser zu bezeichnen, ganz abgesehen davon, dass Gottsched sich ja in einer andern besondern Satire ausgelassen hat (s. u. S. 39). *) Das (sehr schlecht erkennbare) Titelkupfer zeigt ein dreiteiliges Bild. Oben: 3 Narren tanzen in einem Saale; darüber steht: ,Pritz Meister*; auf einem Spruchband: ,O tempora! mores!  — In der Mitte: ein Trupp Frauen und Männer und ein Hund, auf einer Strasse (?). — Unten: Berg, auf den eine auf einem Esel verkehrt sitzende Person hinaufreitet, dabei: „sie itur ad Pamassum». — Exemplar auf der Leipziger Stadtbibliothek. *) Wie diese ist sie auch in fortlaufend gedruckten Alexandrinern abgefasst. 3) Aus Leipzigs Vergangenheit I. Seite 194 if.

 

— 36 — Die Erfindung ist glücklich. Der Verfasser fingiert, dass die Dichter einen Carneval zu feiern beschlossen hätten, und beschreibt ihren Aufzug. Fast alle Leipziger Winkelpoeten und Journalisten erscheinen in leichter Verhüllung, die für die Zeitgenossen gewiss unschwer zu lüften war. Für uns sind einige der Figuren heute nicht mehr erkennbar. So gleich die „Fama", die den Reigen eröffnet. Der Titel und die Beschreibung VeraAers lehren uns, dass sie ein Journal im Stile der Aufgefangenen Briefe Picanders war, indem sie eines der zahlreichen galanten Journale des Namens Fama nach der Seite der sexuellen Satire hin travestierte; vielleicht ist sie identisch mit der „Verliebten Fama, welche aus dem geheimen Cabinet der Venus die remarquabelsten Passagen referiret". Erwähnt wird sie von Picander im IV. Paquet der Briefe (s. u. S. 37). An zweiter Stelle kommt Henrici als „Ritter auf einer Schinder-Mehre"; er wird besonders scharf angegriffen, und besonders deutlich als „eine Elster, die ihren heischem Hals auff jeden Strauche zwinget, und mit der wilden Gans^) nur um die Wette singet", charakterisiert. Seine auffällige Tracht, sein schlechter Ruf bei den Mädchen, seine Gratulanten-Geldgier, • seine UnSauberkeit werden verspottet, er selbst als „wilder Hacksch" bezeichnet. An dritter Stelle erscheint eine Gestalt, die als „Robinson" vorgeführt wird; der Schilderung Veranders nach muss man an eine frivole Umgestaltung des Robinsonmotivs denken: eben damals wurden die Robinsonaden Mode (s. u. S. 81). Darauf folgt ein „Petersqentz", der ein „Anatomicus" genannt wird: es ist sicher, dass damit eine der in dieser Zeit häufigen „JungfernAnatomien" getroffen werden soll. Hierauf kommt der Verfasser der „Poetischen Gedancken über das raisonirende Frauenzimmertabakscollegium" als „Tabaksbruder" und dann Henrici zum zweiten Male als Autor der „Aufgefangenen Briefe", dem Lisette wünscht, dass der „strenge Krampff" ihm die „spottbeseelte Faust" rühren möge. Schliesslich werden der Postreuter als „Post-Courrier" wegen seiner „Tändeley" und der Bothenläufi'er als „lahmer Bote" wegen seiner „Einfalt" scharf durchgezogen. Am Schlüsse folgt noch , einmal ein Hieb auf Picander mit deutlicher Beziehung auf dessen IV. Stück der Nouvellen : „Mehr Nachricht giebt dir nicht, mein Leser, dieser Kiel, der aus Verdruss ^) Entweder ist damit irgend ein anderer berüchtigter Leipziger Bratendichter gemeint, oder Henrici selbst soll mit dem Vergleiche als solcher charakterisiert werden. Uebrigens bringen die „Poetischen Gedancken ** u. s. w. in ihrer ersten Nachricht ein ausserordentlich derbes Schmähgedicht auf diese „Wilde Gauss**: „Die wilde Gauss frist alle Blumen Den Schwaanen vor den Maule weg" n. s. w. Im Akad. Schlendrian 3, 3 sagt Harlekin von Galanthomme: „er lebt ziemlich mit der wilden Gauss um die Wette".

 

— 37 — nicht mehr zu Hofe gehen will, drum will ich ihn auch gern zerstampfft in Winckel werfen, und wie PICANDER, nie zu neuen Grillen schärffen." Picander hatte, wie man sieht, die Hauptkosten des Spottes zu tragen. Dass er sich schwer getroffen fühlte, sollte sich hald in seiner Eache zeigen. Zunächst aber mochte er wohl durch die Derbheiten des Postreuters und die Rohheiten Veranders zu der Erkenntnis gekommen sein, dass es das beste sei, auch sein zweites Journal eingehen zu lassen: es begann ihm angst zu werden vor den Geistern, die er gerufen ; auch ahnte er wohl das am Himmel der Behörden drohende üngewitter. So gestaltete er das IV. Paquet seiner Aufgefangenen Briefe zu einer Schlussabrechnung mit Freund und Feind: Der ganze Inhalt von Anfang bis Ende ist persönlich. Picander richtete es bezeichnenderweise an einen Herrn W. A. v. R.; gewiss nimmt er einen adligen Namen, um besser geschützt zu sein. Der beigegebne Kupferstich zeigt einen Satyr auf einem Felsen, verächtlich auf höllische, Geifer speiende Gestalten hinunterblickend, mit dem Spruchband: Je m'en mocque. Einleitend spricht Picander von dem heraufziehenden Donnerwetter, das ihn bedroht, klagt in elegischen Tönen über Verfolgung und beteuert pathetisch seine Unschuld : er habe niemandes Person im Auge gehabt, er sei kein Pasquillant Er verweist die, die sich getroffen fühlten, vor das Gericht. Geschickt springt er dann auf seine Gönner über und widmet dem Hochwohlgebomen Herrn diese Schrift — so seltsam es auch klingt — zum Geburtstage; auch hier kann er es sich nicht versagen, eine Bettelei anzubringen: „Und wenn ich einsten noch muss unversorget wandern, so dencken Sie doch auch an Ihren Knecht Picandern." Darauf beginnen die eigentlichen Briefe. Es sind acht an der Zahl. Der erste, von Seladon an Picander gerichtet, beschäftigt sich mit dem Postreuter und erzählt von Anschlägen der Feinde auf Picander (mit deutlicher Beziehung auf Postreuter V), sowie von einem Versuche derselben, Seladon durch Bestechung zu einem Pasquill gegen Picander zu gewinnen. In noch schwärzeren Farben erscheinen uns Picanders Gegner, wie er sie malt, im folgenden Briefe. Incognito berichtet dem Dichter von veritablen Mordanschlägen auf ihn: er solle sich besonders vor einem hüten, der ihn auf der Strasse niederstossen wolle! Nachdem so bei dem geneigten Leser ein gelindes Gruseln erregt worden ist, fangen mit dem dritten Briefe die eigenen Expectorationen Picanders an. Diplomatisch weiss er mit einer captatio benevolentiae zu beginnen: Der dritte Brief ist gerichtet an die Verehrer seiner Muse: er weist beschämt das unverdiente Lob zurück und will nur das der Wahrheit für sich in Anspruch nehmen. Der „Fama", die ihn anfangs gelobt habe, vor kurzem aber von ihm geschrieben habe, „er sey civiliter gestorben", droht er wegen

 

— 38 — dieses Ausdrucks mit der Anzeige beim Rate. Stolz setzt er darunter: „Gegeben Pleissenstadt, in eben diesem Jahr, da eineRaserey bei den Poeten war". — Den vierten Brief adressiert Picander „An die So wider mich geschrieben". Er sagt, sie verständen es nicht, wie sie ihn „empfindlich beissen" sollten. Er kenne seine eigenen Fehler selbst zu gut: „Doch aber wollt ihr grob an meine Thüre klopffen, so will ich euch das Maul, wie bald Verändern, stopffen." Er lehnt es genau wie der Postreuter, allerdings etwas post festum ab, sich in eine Fehde einzulassen : „Beisst immer wie ihr wollt, und murmelt mit einander, ich thu, als hört ichs nicht, und bleibe doch Picander." Der fünfte Brief ist wieder seinen „Grönnern" gewidmet. In ihm sucht er sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen, die man aus seiner Poesie heraus gegen seine Lebensführung erhoben hatte, und bittet, doch ja nicht zu glauben, „als trieb er spät und früh, wenn er studieren soll, das Werck der Poesie"; seine Reime seien in Mussestunden verfasst Auch den Vorwurf des unsittlichen Lebenswandels sucht er eifrig zu entkräften: er leugnet nicht, in seinen Dichtungen „manchmal verliebtes Zeug berührt zu haben", aber das sei nur faQon de parier; niemand solle denken, dass er die Liebe praktisch kenne, (s. o* S. 10). — Wie tief Henricis Satiren die Leipziger Frauen erregt hatten, sieht man aus dem sechsten Briefe „An die So sich noch Jungfern nennen, und mich dem Hören nach aus meinen Schrifften kennen". Henrici sucht hier offenbar zu beschwichtigen. Er macht es sich sehr bequem, scheidet sittsame und unsittsame Jungfern und meint von den ersteren: „die hat der Himmel lieb, warum Picander nicht?", und von den letzteren: „die hasst der Himmel selbst, warum Picander nicht?" Im übrigen bittet er, ihn für keinen Unmenschen anzusehen und — echter Picander! — bei einer etwaigen künftigen Werbung ihm keinen Korb zu geben. — Den siebenten Brief „soll die Wahrheit lesen". Picander versteht hier sehr gut, ernste pathetische Töne anzuschlagen und sich als unentwegten Freund der Wahrheit, der selbst das Märtyrertum nicht scheut, hinzustellen („Mein letzter Tropffen Blut, mein Alles steht Dir feil" etc.) ; als Grabdenkmal will er einst Rosen und Dornen haben. — Das wäre gewiss ein wirkungsvoller Abschluss gewesen ; allein er kann nicht anders als einen achten Brief an den Neid anzuhängen, worin er in seiner bekannten Weise sein „Glück" herbeisehnt. — Den Beschluss macht endlich ein Wort „Zur Poesie": er habe anfangs nur ein Paquet Briefe geplant, nun seien es doch wider seinen Willen vier geworden. Er habe das befriedigende Gefühl, den Zoten feind gewesen zu sein (!) und kein Pasquill geschrieben zu haben, „das voller Schmähung schäumt"; nur das thue ihm leid, dass er der Bahnbrecher für so viele unberufene Nachahmer („Quacker") gewesen sei. Wehmütig wirft er den Kiel weg und nimmt Abschied von der Poesie. —

 

— 39 — Mit dem „Pasquill, das voller Schmähung schäumt", ist wohl sicher Veranders Parnass gemeint; möglicherweise ist nebenbei darunter auch Gottscheds „Deutscher Persius" zu verstehen, wenn er schon erschienen war^). Er ist im Gregensatz zu Veranders Satire auch in der Form durchaus würdig gehalten und geisselt die wüsten Zustände scharf und heftig, wenn auch vielleicht etwas zu wichtigthuerisch. Wie bei Verander, so ist auch bei Gottsched Henrici der Hauptsündenbock: er gilt als Führer und Typus der Litteratenschar. Davon legt gleich das boshaft gewählte Motto Zeugnis ab, Verse aus Persius, in denen die Lohnpoeten als Raben und Elstern erscheinen: Corvos quis olim Caesarem salutare Picasque docuit nostra verba conari? Magister artis, ingenique largitor Venter; etc. Die Satire^ wendet sich demgemäss besonders gegen die Hungerliederdichter. Sachsen sei erstarrt, die deutsche Welt erschrocken, ruft er hyperbolisch aus. Im Altertum gab es nur von Zeit zu Zeit einen gottbegnadeten Dichter, heute aber: „Die Mücken wären fast in warmen Sommertagen, Viel leichter, als der Schwärm der Sänger zu verjagen. Der um die Pleisse, Saal, und Elb und Oder summt. Man gebe doch nur acht, wie alles heult und brummt." Wie man sieht, zieht Gottsched den Kreis seiner Satire viel weiter als Verander. — Er klagt, dass die grossen deutschen Dichter tot seien; jetzt: „Erhebet sich ein Schwärm, der um ein Frühstück reimt. Der lauter Eastrum säuft und von den Hefen schäumt." Selbst ein Hans Sachs ^) würde sich solcher Sudelpoesie schämen und sie in Knittelversen verspotten. Der Pöbel aber bewundere den „ungehirnten Chor" und frage täglich, „Ob Bav und Mäv kein Lied dem Drucker hingetragen?" Im folgenden hat Gottsched ganz deutlich die Journale im Auge, wenn er — pedantisch — tadelt, dass sie die Verse fortlaufend ohne Absetzen drucken, „dass nirgends Reim ^) Was nicht wahrscheinlich ist, da Gottsched erst am 18. Febr. 1724 nach Leipzig kam (Eugen Wolff, ZfdPh. 31, p. 112). ^) Sie ist in Alexandrinern abgefasst. Uebrigens ist sie in ihren Gedanken und Motiven keineswegs originell, sondern zeigt yielfache Betiutzung der deutschen Satiriker (Canitz. Günther. Philander. Amaranthes), wie leicht zu zeigen ist. ^) Hans Sachs gilt damals als Typus eines Versifex: vgl. Weise, Zweifache Poeten-ZunfPt 1,10; Wemicke, Hans Sachs (1701); Musophilus (a. a. 0.), Sat. I; Philander-Mencke, Verm. Gedd. 1710 p. 195. Hancke, Gedichte II, 8. Satyre.

 

— 40 — und Reim an seinem Ort erscheint". „Geht auf den Trödelmarkt, da hat man Briefe feil" ruft er aus, deutlich genug auf Henricis eine Zeitung hinzielend, und indem er an die Reime auf „Picander", an die Datierungen im Bothenläuffer etc. denkt, meint er bitter: „Selbst Name, Jahr und Tag hat an den Versen Theil. unerhörte Kunst! wo hast du deines gleichen?" Henricis Partei besonders nimmt er aufs Korn, wenn er schreibt: „Wie mancher lässt uns noch ein abgeschmackter Wesen, In neuen Zeitungen [Nouvellen!] vom Venussterne lesen? Was heckt Frau Fama [s. oben] nicht für saubre Jungen aus ?", während er den Postreuter — namentlich wenigstens — nicht durchzieht. Dann kommen die wirkungsvollen Verse: „Kurz dieser Helikon ist wie ein Narrenhaus, Wo Aberwitzige mit offnen Augen träumen. Und wie Besessne thun, in ihrem Anfall schäumen. Ich sage nicht zu viel. Der halbverrückte Sinn Kleckt alles, was ihm träumt, auf seine Blätter hin. Da sieht man Geilheit, Spott, Verläumden, Lästern, Schmähen, Und tausend Possen mehr in allen Zeilen stehen." Er spielt auf das „Beissen des Dichterchors", die Concurrenzfehden, an. Weniger berechtigt erscheint uns Gottscheds Tadel der Sprache : gewiss sind die Nouvellen und ihre Nachahmungen keine Musterschriften für gutes Deutsch, aber der Vorwurf der Fremdwörterei ist bei ihnen ganz unbegründet, und es ist übertrieben, wenn Gottsched auf sie den Spruch Canitzens: „Ein Deutscher ist gelehrt, der euer Deutsch versteht" anwendet. Beistimmen muss man dagegen zum Teil dem, was er über den Inhalt der Zeitungen sagt: Claus Narr habe klügeres Zeug geträumt; man quäle sich um ein Dutzend glatter Batzen, witzig zu sein. Das kleinlichste und schmutzigste werde bedichtet: „Drum kan ein edler Geist diess stankerfüllte Wesen, Das nach dem Schreiber riecht, unmöglich überlesen." Durchaus verständlich ist seine Apostrophe des Zotendichters: „Man hört dich allezeit von lauter Ehebrechen, Und der verletzten Zucht geschwächter Nymphen sprechen, Was ist dir Leipzig sonst, als ein verdächtig Haus?" Er mache den Kuppler und den Priap, und Lucretia werde der geilen Phantasie zur Thais. — Zum Schluss beklagt er, dass kein Horaz, Juvenal oder Boileau mehr lebe und den Dichterlingen, den „Gänseschnäbeln", das Handwerk lege. —

 

— 41 — Gottsched, der die Satire unter dem Titel „Die Reimsucht" in seiner Critischen Dichtkunst (Leipzig 1737^ p. 550 ft) als Musterbeispiel abdruckt, sagt dort, diese Satire „habe ich im Frühlinge des 1724. Jahres gemacht, als Leipzig mit einer unzählbaren Menge wöchentlicher poetischen Zettel überschwemmet war. Ich Hess es unter dem Namen des deutschen Persius drucken, und veranlassete dadurch, dass alle die fliegenden Blätter auf einmal verbothen wurden". Gottsched scheint hier das Verbot der Zeitungen als directe Wirkung seiner Satire hinzustellen. Dem ist nun freilich nicht so. Wie wir sahen, war schon einmal der missglückte Versuch gemacht worden, den Rat zum Einschreiten zu veranlassen. Durch die gegenseitigen unflätigen persönlichen Beschimpfungen Henricis, des Postreuters und Veranders mögen auch weitere Kreise unliebsam berührt worden sein. Henrici witterte das kommende Unheil und liess „freiwillig" seine Zeitung eingehen. Den Postreuter aber ereilte das Verhängnis in Gestalt eines kurfürstlichen Mandats aus Dresden vom 28. Februar 1724: die Zeitverhältnisse lehren, dass Gottscheds Satire hierfür nicht Ursache gewesen sein kann ; sie wird wohl sicher erst nach dieser Zeit erschienen sein. — Das erwähnte Mandat befahl der Leipziger Büchercommission^) die Unterdrückung des Postreuters und eine Untersuchung, „ob dieses Scriptum censiret"^; als Grund des Verbotes wurden die „darinnen befindlichen unfläthigen und andern bedencklichen Expressionen" angegeben. — Daraufhin ordnete die Büchercommission am 3. März 1724 die Beschlagnahme der Exemplare des Postreuters bei den „Disputationshändlern" an. Dem Verleger H. G. Boetius wurde befohlen, seine sämtlichen Exemplare abzuliefern. Dieser gab auch ein „starckes Paqvet" ab, erklärte aber zugleich, dass das „Scriptum von H. E. M. Ernesti censiret sey", „und der Autor, so ein Sprachmeister wäre, beym Becker an Grimmischen Thore wohne, dessen Nahmen aber wisse er nicht zu nennen." Am 4. März hielt darauf die Commission eine Sitzung ab, in der Heinrich Gottfried Boetius bekannte, er habe den Postreuter beim Buchdrucker Zschauen drucken lassen; der Autor Messe Neubert, „ein Studiosus"; zugleich berief er sich wieder auf die erteilte Censur, die er „in originali producirte". Die Commission citirte darauf Johann Gottfried Neubert, Jur. Studiosus, ^) Sie bestand aus 2 Mitgliedern, einem auf Lebenszeit gewählten Professor der Universität (damals D. Johann Schmid) und einem jährlich ernannten Rathsdeputirten; sie hatte über Pressvergehen, Privilegund Nachdruckstreitigkeiten zu entscheiden. Ihr Execntivbeamter war der Bücherinspector ; vgl. Wustmann, Aus Leipzigs Vergangenheit I, S. 194 ff. ^) Acta Commissionis den Poetischen Post-Renter und andere Poetischen Schrifften betr. Anno 1724. Ergangen aufu Rathhausse zu Leipzigk. — Leipziger Ratsarchiv XL VI. No. 173.

 

— 42 — für den 6. März vor sich: Er bekannte sich als Autor, erinnerte sich aber nicht, Ungebührliches geschrieben zu haben, „sonsten es der Herr Censor nicht würde haben stehen lassen"; schliesslich „hätten ja die alten Poeten, Ovidius und andere nicht alle Zeit so reine geschrieben, und dennoch würden sie in Schulen gelesen". Die Commission untersagte ihm „ernstlich" die Fortführung des Postreuters und „alles dergleichen unflätige Schreiben". — Henrici hatte offenbar von dieser Sache gehört. Er hatte im IV. Paquet gedroht. Verandern das Maul zu stopfen, d. h. doch wohl, ihm zu erwidern. Jetzt aber hielt er es für geratener, sich ebenfalls an die Büchercommission zu wenden, mit folgendem Briefe: „Magniflce, Hoch Ehrwürdiger, Hoch Edle, Veste, und Hochgelahrte, auch Hochweisse Hoch geehrteste Herrn! Ew: Magnificenz Hoch Edl. und Hochweiss. Herr, geruhen aus der Beylage zuersehen, was massen Johann Gottlob Bauch ein Buchdrucker im grossen Fürstem Collegio alhier sich nicht gescheuet, eine Schmähund Ehrenrührige Schrifft zudrücken, insonderheit aber bin ich vor allen andern in diesen Scripto mit unverantwortlichen Injurien so mir auch rechtlich zu vindiciren vorbehalten will, tractiret worden, als da der Verfasser 1.) p. 6 lin . . . . mein Nomen fictum Picander /: von dex Elster :/ lächerl. durchziehet, und lin. 20 mich einen wilden Hacksch genennet 2.) p. 7. lin. 3 einen Lügner betittult 3.) p. 10. bey Gelegenheit meiner aufgefangenen Briefe mich einen Spion gescholten, 4.) p. 11. lin. 5 mich an einen mal honetten Orth verweiset. Weil nun dergleiches Unternehmen zu meiner grösten Prostitution vorgenommen, und ich damit vor der Welt öffentl. blamiret werden soll ; Alss ersuche Ew : Magnificenz Hoch-Edl. und Hochweiss. Herr, hiermit gehorsamst, meine Ehre und Renommee, davon ohne dem mein gantzes Glück dependiret hochgeneigt zu retten, sothane Schmäh Schrifft gäntzl. zu unterdrücken, und solche weiter zu verkaufen, verkaufen zu lassen, zu verschencken oder sonst zu distrahiren, noch weiter aufzulegen, bemeldten Bauche zu untersagen ; Sothäne Hochgeneigte Willfahrung werde mit gehorsamsten Danck erkennen, und aUstond verharren Ew. Magnificenz, Hoch-Ehrwürd., Hoch Leipzig Edl. und Hochweiss. Herr, am 6. Martij. gehorsamster Diener 1724. Christian Friedrich Henrici."

 

— 43 — Noch am selben Tage erging daraufhin an den Drucker Bauch der Befehl, die Verbreitung des Plissen. Parnasses einzustellen. Doch kam man damit zu spät: Bauch hatte schon sämtliche Exemplare verkauft oder nach auswärts gesandt*). Zum üeberfluss produzirte auch er das censirte Manuscript [bei den Akten). In dem Berichte an das Consistorium, datiert vom 10. März, referirte die Büchercommission nicht nur über das Verfahren gegen den Postreuter, sondern fügte auf eine Beschwerde der Universität zu Halle noch folgendes hinzu: „Hiemechst sind ausser den Poetischen Post Reuter zeithero noch unterschiedene andere Poetische Scripta zum Vorschein kommen, womit doch dem Publico nicht gedienet, sondern nur viele junge und gute Gemüther geärgert werden, inmassen auch die Universität zu Halle darüber sich beschweret und dass sie, dergleichen Poetischen Scripta bey Strafe der Confiscation, in denen Buchläden zuführen und zu verkauffen, verbothen, gemeldet." Unter den „anderen Poetischen Scripta" sind sicherlich die übrigen „unmoralischen" Zeitschriften zu verstehen. Das Eingreifen der Hallischen Universität erfolgte vielleicht auf Gottscheds Betreiben hin, der ja in Halle einen grossen Bekanntenkreis besass: seine Vernünftigen Tadlerinnen erschienen anfangs dort. — Am 20. März erfolgte die Kückäusserung von Dresden : auch die „anderen Poetischen Scripta" wurden verboten, das Verfahren gegen den Autor und den Censor des Postreuters aber sollte an die Universität zu Leipzig weiter gegeben werden. Am 31. März führte die Commission den Befehl aus: sämtlichen Buchdruckern und Buchhändlern wurde das Verbot „insinuirt", und sie mussten es unterschreiben; die Acten über den Postreuter gingen an die Universität. Diese sollte Ernesti über die Gründe vernehmen, weswegen er dem Postreuter die Censur erteilt habe, sowie dem stud. jur. Neubert die etwa innegehabten Beneficien entziehen. Was Neubert anbetraf, so berichtete^) die Universität am 11. October zurück, dass er keine Beneficien genossen habe, übrigens wegen Verletzung des Duellmandats Leipzig bereits verlassen habe. Ernesti wurde am 22. Juni vernommen und verteidigte sich, indem er sagte, der Postreuter „wäre ein scriptum satyricum, und taxire die vitia hominum, und wäre ein scriptum poeticum so der Poesie nicht genommen werden könnte, gleichwie die Satyre Horatii, Petronii und anderer mehr^*; „es ginge niemanden in specie an, und bestände aus lauter generalioribus" ; ausserdem hätte ^) Man sieht hieraus, dass diese Leipziger Fehden auch ausserhalb Leipzigs Interesse erregten. Besonders mag man an das benachbarte Halle denken (s. weiter unten). 2) Acten des Leipziger UniversitätsArchivs: Bepert I/IX. No. 9. („Acta .Das unter der Rubric: Der Poetische Post-Reuter herausgegebene und confiscirte Scriptum betr.").

 

— 44 — der Autor ihm im Falle der Verweigerung der Censur mit Beschwerde beim König gedroht. Die Regierung erkannte diese Gründe nicht an, sondern befahl der Universität, am 27. Nov. Ernesti einen Verweis zu erteilen. — Für eine Zeit lang waren so die Zeitungen unterdrückt worden: eine dauernde Verbesserung des Geschmackes der Leserwelt aber war dadurch natürlich nicht erreicht, ebensowenig wie durch Veranders und Gottscheds Strafgedichte, wie später sich zeigen wird. e. Die Periode der geistlichen Dichtung. Henrici hatte im IV. Paquet der Briefe Abschied von der satirischen Poesie genommen, die ihm soviel Verdruss machte, und mit Kunstreitergewandheit warf er sich auf die geistliche Dichtung: Hunold, Amaranthes, Neumeister u. a. sind weitere Beispiele für diese uns so seltsam anmutende Vereinigung von Frivolität und Frömmigkeit. — Dabei kam Henrici in Verkehr mit Johann Sebastian Bach, den man nicht unter seinen Freunden erwartet. Henricis geistliche Dichtung ist ziemlich umfangreich^). Vom ersten Advent 1724 an brachte er bis zum ersten Advent 1725 jede Woche seine Einfälle über die Evangelien in Reime und gab diese in wöchentlichen halben Bogen (in Octav) heraus, die er dann 1725 gesammelt, mit einer Widmung an den Grafen Sporck, erscheinen liess unter dem Titel „Sammlung Erbaulicher Gedancken über und auf die gewöhnlichen Sonnund Fest-Tage, in gebundener Schreib-Art entworffen von Picandem. Leipzig, Bey Boetius im Durchgange des Rathhauses"^). (Den etwas abweichenden Titel auf dem ersten Stück führt Spitta, a. a. 0. n, 171 an). Die Vorrede zum ersten Stück (in der Gesamtausgabe stehen statt ihrer nur ein paar kurze Worte an den Leser) benutzt Picander zu einer Rechtfertigung seines neuen Unternehmens und zugleich zur erneuten Verteidigung gegen den Vorwurf, dass er sein Studium vernachlässige. Er könne nötigenfalls glaubwürdige Zeugnisse seines akademischen Fleisses beibringen. Ausserdem werde ihm das Versemachen leicht und koste ihn wenig Zeit. Warum er also dies natürliche Talent für seine Existenz nicht verwenden und verwerten solle ?^) Den Inhalt bilden gereimte religiöse Betrachtungen, die von Kirchenliedern nach bekannten Choralmelodien begleitet werden: die Lehre der Gottesfurcht soll durch die Poesie „verzuckert" werden. Solcher Kirchenlieder sind achtundsechzig, die Wetzel (Hymnopoeographia) trefflich nennt, *) Ich verweise für dieses Kapitel auf Philipp Spittas Bachbiographie (zweiter Band). 2) Exemplar auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin. ^) Ich eitlere nach Spitta. A

 

— 45 — die aber zum grossen Teile recht wertlos und unselbständig sind: die Anklänge an ältere Choräle sind oft wörtlich und treten meist schon in den Anfängen zu Tage; (sie sind einzeln aufgezählt bei Wetzel, a. a. 0.). Koch^) bezeichnet drei davon als solche, die „weitere Verbreitung fanden und noch im Gebrauche stehen". (Nach Gottschaldt, Sammlung von allerhand auserlesenen Lieder-Eemarquen, Leipzig 1748, sind fünf andere Choräle Picanders, die im fünften Band der Gedichte (S. 389 — 400) stehen, ins Universalgesangbuch übergegangen ; nach G. L. Eichter, Allgemeines Biographisches Lexicon alter und neuer geistlicher Liederdichter, Leipzig 1804, drei ins Dahmische Gesangbuch aufgenommen). Es findet sich in den Erbaulichen Gedancken auch vieles nicht Erbauliche: z. B. sehr dick aufgetragene Lobhudeleien auf den Kurfürsten und auf Leipzigs Bürger, mit allzu deutlicher Absicht. Gelegentlich benutzt Henrici die Erbaulichen Gedancken auch, um über seine Armut und Not zu klagen: S. 173: „Bin ich nicht auch ein Mensch, der Witz im Busen führt, Wie kommt es, dass die Welt mich nicht mit Ehren ziert?" Ueberhaupt ist viel Persönliches vorhanden; er redet z. B. von den „Lästermäulern" seiner Feinde. Am interessantesten ist aber jedenfalls, dass er, der sich aus Verdruss über die Satire der geistlichen Dichtung zugewandt hatte, bisweilen doch von neuem in regelrechte Satire verfällt, S. 81 eifert er gegen religiöse Heuchelei und S. 161 ff giebt er eine ganz Eachelische Satire der sieben Hauptlaster (Vgl. auch S. 58 ff S. 312 ff). Die Erbaulichen Gedancken sind noch nicht auf Composition gedichtet. Vielleicht mag Bach aber durch dies Unternehmen auf Picander aufmerksam geworden sein^). Er brauchte für seine Compositionen einen gewandten Textdichter und zog sich ihn in Henrici heran. Es berührt eigentümlich, zwei so diametral verschiedenen Gestalten wie Henrici und Bach als intimen Freunden zu begegnen, den kleinen Frivolitätenhändler und den grossen, ernsten religiösen Componisten. Picander war von der Schule aus nicht ohne tiefere Kenntnisse in der Musik; seine Gedichte lassen dies öfters erkennen (I, 303. n, 389. m^ 207, 359). Dem dritten Stück der Nouvellen sind sogar zu einer Arie Noten beigegeben. Er war, wie aus seinen Gedichten hervorgeht, Mitglied eines Musikvereins (des Bachschen?). Seine grosse Bibelfestigkeit machte ihn zum geistlichen Textdichter noch besonders geeignet. Weltliche Cantaten hatte Picander schon öfters gedichtet. *) Geschichte des Kirchenlieds und KircheDgesangs V» (1868) Seite 500. *) Spitta vermutet, dass Bach vielleicht schon 1723 zur Ratswahl oder 1724 zu Neujahr Henrici als Textdichter in Anspruch genommen hat.

 

~ 46 — Aus dem Jahre 1725 stammt die erste geistliche (Michaelis-)Cantate, die Bach nachweislich komponirt hat: Picander schloss sich hier formell an Neumeisters Vorbild an. In den Erbaulichen Gredancken befindet sich übrigens auch die erste (mangelhafte) Passionsdichtung Picanders, nach Brockes Vorbild (s. Spitta, a. a. 0.). Allmählich wurde der künstlerische Verkehr mit Bach enger. In den Jahren 1728 und 1729, mit dem Johannisfest beginnend, gab Picander eine Sammlung Cantaten heraus („Cantaten auf die Sonnund Fest-Tage durch das gantze Jahr, verfertiget durch Picandem. Leipzig, 1728". Exemplar auf der Königlichen Bibliothek zu Dresden. = Gedd. ni^, p. 71 — 169), die nach der Vorrede ausdrücklich zu dem Zwecke gedichtet waren, um von Bach komponirt zu werden. Dasselbe ist der Fall mit dem kraftlos-schwülstigen Texte der Bachschen MatthäusPassion, den er für Charfreitag 1729 dichtete. (Gedd. II, 101 — 112). Mit dem Texte der Marcus-Passion (Gedd. III^, 44 — 61), die Charfreitag 1731 in der Thomaskirche aufgeführt wurde, ist es umgekehrt : Picander passte diesen in geschickter Weise der bereits vorhandenen Bachschen Musik an, die ursprünglich zu einer — Gottschedischen Trauerode gehörte! (s. Spitta). Dies ist der gedruckte Bestand der Picanderschen geistlichen Musiktexte für Bach, wie er uns noch vorliegt. Spitta*) macht es aber wahrscheinlich, dass Picander auch später noch eine reiche Productivität als geistlicher Textdichter Bachs entfaltet hat, nur dass nichts davon gedruckt wurde; Picander wäre der einzige Mann in Leipzig gewesen, der für diese Aufgabe geeignet war. Bach setzte übrigens auch weltliche Sachen von Picander in Musik, z. B. die Caflfee-Cantate (Gedd. IIP, 496 ff.), die sogar in Frankfurt 1739 aufgeführt wurde. Dass Henrici auch später noch in intimem Verkehr mit Bach lebte, beweist der Umstand, dass 1737 Henricis Frau bei einem Bachschen Kinde als Pathe erscheint^. f. Fehden mit Gottscheds Tadlerinnen. Länger als l^/g Jahr hielt es Henrici nicht aus, immer nur die Harfe zu schlagen: es juckte ihn, wieder einmal Satiren zu schreiben und seine früh verblichenen Nouvellen wieder aufleben zu lassen. Er kannte sein Publikum wohl und wusste, dass er Erfolg haben würde, als «r im Sommer 1725 seinen „Extract, das V. Stück von allerhand Nouvellen" erscheinen Hess; zum Unterschied von Extract I— IV trägt diese Fortsetzung noch den weiteren Titel: „die Wahrheit, Scherz und Ernst der Welt vor Augen stellen". ^) a. a. 0. 2, 176 if. *) Spitta, a. a. 0. 2, 956. —

 

— 47 — lieber die Zeit des Erscheinens irrt sich A. Richter (a. a. 0.), wenn er den Winter 1724/25 (Februar 1725) annimmt. Freilich ist daran Picander selbst schnld, der am Beginn des V. Stückes sagt: „Es ist bereits ein Jahr, mein Leser, überhin, seit ich das ftinffte Stück Nouvellen schuldig bin." Aus den Büchercommissionsacten ergiebt sich als frühester möglicher Termin des Erscheinens Anfang Juli 17251), als wahrscheinlicher aber erst Ende August 1725. — Ein Hauptgrund für Henrici zur Wiederaufnahme des Unternehmens waren die Aufforderungen dazu aus dem Leserkreise seiner früheren Schriften, wie er selbst am Beginn des Stückes sagt. Dass Boetius trotz der gemachten schlechten Erfahrungen und trotzdem er das Verbot vom 31. März 1724 unterschrieben hatte, bereitwillig wieder den Verlag übernahm, ist ebenfalls ein Zeichen, dass die Nouvellen ein rentables Geschäft waren. Henrici hielt es aber doch für nötig, gleich a priori zu erklären, dass er nur „böse Sitten tadeln", niemanden persönlich angreifen wolle; wer sich trotzdem getroffen fühle, solle schweigen; wer aber behaupte, dass dieser oder jener gemeint sei, den solle man als Verleumder verklagen. Und indem er den fröhlichen Anfaiig an das traurige Ende knüpft, sagt er: „Und also gehts drauf los, die Eitelkeit zu straffen ; Wach auf mein Pegasus, du hast genung geschlaffen; Der Vorrath meines Wercks ist ietzo trefflich viel. Komm, komm, Picander komm! und schärffe deinen Kiel." Man kann nicht sagen, dass sich die Fortsetzung von den früheren Nouvellen viel unterscheide: es findet sich darin die saftige Wocheneinteilung des Schürzenstipendiaten, und damit die Würze des persönlichen Elements nicht fehle, bildet den Schluss ein scharfer Ausfall gegen einen Gegner, der ihn angegriffen hatte ^. Es heisst dort: „Es hat iemand auf mich nechst ein Pasquill geschrieben, doch wenn der gute Mensch zu Hause war geblieben, so hätt er klug gethan, und hätte nicht der Welt, dass er ein Haase sey, ans TageLicht gestellt" Er habe ihn erst wieder striegeln wollen, habe sich aber eines bessern besonnen: „ich kan nicht so, wie er, ein grober Flegel seyn." — Wer der „Haase" ^) sei und welches Pasquill gemeint sei, kann ich nicht aufklären. Die Schriften des Postreuters, Veranders und Gottscheds liegen sämtlich zu weit zurück. Wir müssen uns auf ein non liquet beschränken. Natürlich dauerte es nicht lange, so erregte dies neue Henricianum Aergernis. Es war ohne Censur gedruckt worden, und das war schon ein genügender Anlass zum Einschreiten. Am 29. August Bittorf, der Drucker des V. Stückes erklärt nämlich am 4. Sept. 1725, dass er erst 8 Wochen in Leipzig wohne; seitdem habe er nur einen Kalender und dieses V. Stück gedruckt. >) Er fehlt in dem Abdruck in den Gedichten.. •) Vielleicht der mysteriöse Leporander?

 

— 48 — 1725 stand der Verleger Boetius vor der Büchercommission : er musste zugestehen, das Patent vom 31. März 1724 unterschrieben und trotzdem das V. Stück der Nouvellen verkauft zu haben. „Der Autor Messe Henrici, ein Studiosus und wohne in den Hommelischen Hausse auf der Reichstrasse, der Buchdrucker aber wäre Bittorff vorm Grimmischen Thor." Ob das Scriptum censirt sei, wisse er nicht; „er hätte nichts darinnen gefunden, so wieder den Hoff und Estaat wäre, dahero er nicht vermeinet, dass es etwas zu bedeuten." Die Commission „deutete ihm nochmals an", sich des Verkaufs von dergl. Poetischen .Schriften zu enthalten; die Sache selbst würde weiter untersucht werden. Darauf wurde am 4. September der Buchdrucker Bittorff vernommen, der zugestand 1 Ries gedruckt zu haben für den Studiosus Henrici ; er hätte gedacht, da es schon das V. Stück gewesen sei, hätte es nichts auf sich gehabt, und bat um Nachsicht. Auch er erhielt von der Commission eine entsprechende Verwarnung. Endlich wurde am 11. September 1725 Henrici selbst citiert: er bekannte sich zur Autorschaft, und als man ihm „allerhand bedenckliche expressiones" und vornehmlich den Flegel am Schlüsse vorhielt, sagte er: „er wolte nicht hoffen, dass in seinen Poetischen Schrifften etwas ärgerl. zu befinden, dass er aber gegen demjenigen, der ihm angegriffen, nicht so gelinde aufgeführet, wäre deswegen geschehen, dass er sich nur melden möchte, indem er ihn in einen andern Carmine so angegriffen, dass er es auch nicht auf sich ersizen lassen können"; er gestand, „dass er dieses Scriptum nichtcensiren lassen, indem solches nicht ihm sondern den Buchdrucker zu käme." Die Commission „deutet Henrici an, sich aller ärgerl. Poetischen Schrifften zu enthalten, wegen des iezigen Scripti aber solte die Straffe noch ausgesezt verbleiben." Es kam also bei der Untersuchung nichts rechtes heraus, und Henrici setzte wohlgemut trotz der Verwarnung die Nouvellen zum dritten Male fort Das VI. Stück der Nouvellen ist, wie aus den Anfangsworten hervorgeht, im Winter erschienen, ob im Winter 1725/26 oder 1726/27 lässt sich nicht sicher feststellen; doch ist das erstere wahrscheinlich, da der gesamte Inhalt des Stückes ausschliesslich auf die abnorm hohe Kälte Bezug nimmt und Sicul (a. a. 0.) von dem Winter 1725/26 die Strenge besonders anmerkt. Persönliche Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern fehlen in diesem Extracte vollkommen. Doch bald sollte es wieder dazu kommen. Zunächst gab es kleine Plänkeleien. Gottsched führte in seinen Tadlerinnen den Kampf gegen die Entwürdigung der Poesie weiter, zwar immer allgemein-satirisch, aber doch unverkennbar im Hinblick auf die Gattung Henrici. Schon im 1. Jahrgang finden sich Stellen, die der empfindliche Henrici auf sich beziehen konnte, wie z. B. das 12. Stück

 

— 49 — und den Passus über den „elenden Poeten Reimgeist" im 25. Stück (20. Juni 1725). Der 2. Jahrgang beginnt gleich mit einer Abhandlung gegen die Neuj^hrsgedichte, und das nächste Stück ist durchaus dem Kampfe gegen das Zeitungsdeutsch und die unflätige Schreibart gewidmet, die Gottsched schon im Deutschen Persius gegeisselt hatte. Es wird da von jedem Scribenten verlangt, dass er nicht einem wilden Vogel gleich sei, der singe, wie ihm der Schnabel gewachsen sei (man denkt an die Elster und die wilde Gans bei Verander!), besonders aber, dass er nicht um jeden Preis witzig sein wolle; denn das führe zu Unflätereien und Zoten. Henrici, der anscheinend eine 4. Fortsetzung der Nouvellen doch nicht riskieren wollte, antwortete auf diese Angriffe bei passender Gelegenheit: so in der Vorrede zu seinen Anfang 1726 erscheinenden Schauspielen^); auch im Akademischen Schlendrian selbst kann er es sich nicht versagen, den Tadlerinnen einen kleinen Stich zu versetzen: im 2. Auftritt des 2. Aufzugs rät Stockblind seiner Tochter, der Frau Vielgeldtin, ihren Lebenswandel zu ändern: „Du weist es giebt itzund spitzige Federn, wie bald können sie dich einmahl in dem Patrioten, oder in denen so genannten vernünfftigen Tadlerinnen abmahlen". Auch die Stelle 2, 9, wo Harlequin von dem burlesken Briefe Peters sagt: „Lauter bons mots, du soltest dich in die Zunfft der hiesigen Bonmotistenund Raisonneur-Lade wohl schicken", geht vielleicht auf Gottscheds Deutsche Gesellschaft. In dieser Weise gehen die Plänkeleien fort: im 20. Stück des 2. Jahrg. der Tadlerinnen (17. Mai 1726) findet sich wieder ein Ausfall gegen die Zotendichter; im 29. Stück (19. Juli) wird von „gemeinen Reimschmieden" gesprochen; im 35. Stück (30. Aug.) werden die „Phantasien des verrückten Gehirns", die „Chimären, Hirngespenster und albernen Zoten" der „Pritschmeister" gestriegelt. Gewiss ist Henrici nicht der einzige, der hier gemeint ist, aber er gehörte doch zu der Klasse, und er lühlte dies selbst. In einem Hochzeitsgedichte vom 22. Juli 1726 (I, 422) sagt er von seinen Gedichten: „Lass Tadler oder Tadlerinnen Auf sie nur immer neidisch schmähn. Es sind nur weibische Gedanken Und solt ich mich desswegen nun Mit allen tollen Vetteln zancken So hätt ich warlich viel zu thun." Bald bot sich Henrici eine Gelegenheit zu ausgiebigerer Vergeltung. In ihrem 25. Stück vom 21. Juni 1726 waren die Tadlerinnen ^) Ueber die Verhinderung der AufführuDg des Akad. Schlendrians siehe unten S. 71 f.

 

— 50 — über die Grenzen der Satire hinausgegangen nnd hatten ein Pasquill gegen Leipziger Persönlichkeiten gebracht Als Beispiel nämlich für ihre moralischen Ausführuungen gegen die Geldheiraten hatten sie eine Geschichte erzählt von einer reichen vierzehnjährigen Waise Chloris, die von dem klugen, tüchtigen aber armen Thyrsis geliebt wird. Chloris Vormund Scharffsicht sucht diese Liebesheirat zu verhindern; er will sein Mündel nur einem reichen Manne geben. Damit noch nicht genug: im 28. Stück vom 12. Juli unterreden sich Nimmersatt und Gutherz über den stutzerhaften Sohn des reichen Trax^); dann wird ein Brief von Thyrsis mitgeteilt, worin derselbe erklärt, dass ein reicher Hofbedienter um Chloris freie, Chloris ihn aber abgewiesen habe. Thyrsis teilt schliesslich ein Gedicht von sich mit. — Diese beiden Stücke der Tadlerinnen erregten grosses Aufsehen, weil man bald erfuhr, dass hinter den fingierten Namen bekannte Leipziger Patricier sich verbargen. Der Scharflfsicht des 25. Stückes war nämlich der Leipziger Ratsherr und Proconsul Dr. Johann August Hölzl, Chloris sein Mündel, Jungfer Johanna Salome Wincklerin. Der unbekannte Autor des 25. Stückes aber war ein Liebhaber der Jungfer, dessen Antrag Hölzl nicht unterstützt hatte und der sich damit rächen wollte ; er hatte den Brief anonym an Gottsched eingesandt. Trax Sohn und Vater des 28. Stückes waren Dr. Oertel, Ratsherr und Assessor des Oberhofgerichts und des Consistoriums^, und dessen Vater. — Die Tadlerinnen suchten vorzubeugen. Im 30. Stück (26. Juli) definirten sie in langen Ausführungen den Unterschied zwischen Satire und Pasquill^: eine Satire sei die Schrift eines wohlgesinnten Moralisten, der Laster bessern will; ein Pasquill die Schrift eines boshaften Menschen, der den guten Namen rechtschaifener Personen kränken wolle : Das 28. Stück sei mit Unrecht als Pasquill betrachtet wprden. Das half ihnen aber wenig. Henrici stürzte sich, vielleicht von den Verspotteten angeregt, auf die Sache: jetzt konnte er seinem angesammelten Groll Luft machen, dem verhassten Gottsched etwas auswischen und sich zugleich den Leipziger Patriciern empfehlen. Am 30. August 1726 erschien sein offener Brief*): „An die Vernüniftigen Tadlerinnen den 30. Augusti 1726" mit dem Motto: „Canitz. Weh dem ! der thöricht ist, und dennoch klug will heissen." Man muss diese Schrift als Henricis treffendste und zugleich feinste. ^) Schon bei Günther ist Trax der Typus eines reichen Gecken (a. a. 0. p. 419; mit Beziehung auf Leipziger Verhältnisse p. 528). ^) Wustmann, Aus Leipzigs Vergangenheit. I. S. 194 ff. Freilich stimmen dazu Siculs Angaben (a. a. 0.) nicht. 3) z. T. wörtlich übereinstimmend mit Philander (Vorrede zu seinen Schertzhafften Gedichten). ^) Exemplar auf der Stadtbibliothek zu Leipzig.

 

— 51 — massvoUste Satire bezeichnen. Schon die Form ist bitter: Er parodiert die bis zur Ermüdung in den Tadlerinnen beliebte Form der eingesandten Briefe, indem er selbst seine Schrift als solchen giebt Das zeigt die Wahl eines Mottos und die Anrede: „Scharffsinnige Tadlerinnen". Das zeigt auch der Inhalt: Cordula, die als Freundin der Tadlerinnen erscheint, berichtet von einer Gesellschaft, in der man sich über dieselben unterhalten habe. Indem sie die Tadlerinnen gegen die Vorwürfe der Gesellschaft verteidigt, macht sie sie lächerlich. Henrici beschränkt sich dabei nicht auf das 25. und 28. Stück, sondern nutzt die Gelegenheit aus, alles anzubringen, was anzubringen ist: Zunächst habe einer aus der Gesellschaft den Titel getadelt, weil die darin enthaltene Fiction nicht festgehalten sei, und Herr Dr. Gleichdurch*) habe gemeint, man höre immer die Männerstimmen: „Die lieben Herren erkennen, dass sie die Wahrscheinlichkeit^) ihrer Erdichtung gar bald verlohren, und also wider die Regeln der Kunst gesündigt haben". Cordula habe geantwortet, dass der Verfasser etliche, wo nicht ein junger Magister sei : „Unsere Tadlerinnen sind alles noch unreife WeltWeise, und ihre Sitten-Lehren sind noch, wie die jungen Sperlinge, furchtsam, und trauen sich nicht in der Höhe fortzukommen. Deswegen gesellen sie sich zu dem schwachen Werckzeuge, damit ihre Fehler aus höflicher Barmhertzigkeit möchten übersehen werden." Darauf meinte Dr. Rechtso, noch schlimmer sei das marktschreierische Selbstlob, das in dem Worte „Vemünfftig" liege. Cordula entgegnete, man sehe öfter bei ihnen an sie gerichtete Lobschriften und das Verzeichnis der Buchläden Deutschlands, wo sie sich öffentlich feil haben wollten; „sie müssen doch also so gar unvernünfftig nicht seyn können". Dr. Scharffauge habe dann den Tadlerinnen vorgeworfen, dass sie die Fehler ihrer Mitmenschen aufstöberten und Spione hielten : das sei selbst wieder ein Laster. „Und wie man mich versichert, so sollen sie ihre Vernunft schlecht verrathen, wenn sie sich sogar an denen Personen vergreiffen, dass man ihnen auch zu Halle den Weg nach dem Thore gewiesen; sonsten würden die Herren des Orts eine schwere Verantwortung auf sich laden, wenn sie die Vernunfft aus ihren Mauern vertreiben wolten" ; Cordula habe dagegen gemeint, „ob das nicht eine grosse Liebe vor den Nechsten anzeigte, dass die Tadlerinnen ihre eigne Andacht und Christenthum auf eine Zeitlang vergässen, und vor die allgemeine Erbauung bemühet wären". Darauf sei Herr Sinnfreund gegen das 28. Stück losgezogen: das Vorhaben der Tadlerinnen sei nicht gewesen, „die thörichten Wünsche eines Missvergnügten zu verlachen, sondern die unschuldige Aufführung eines wackern Mannes unter dem Nahmen Trax zu lästern." Die *) Auch diese Namen parodieren den Usus der Tadleripnen. ^) Das A und der Gottschedischen Kunsttheorie !

 

— 52 — Verteidigung dieses Stückes im folgenden Stück (No. 30) sei nur eine Bekräftigung der Schmähung: denn indem man Nimmersatts Schmähung veröffentliche, sei man mitschuldig an ihr. ,,Wäre es nicht ebenso viel, wenn ich spräche : Herr M. Neunmahlklug hat jüngst geprediget^ und, sobald er von der Cantzel, sich zu Hause ausgekleidet, um der Chloris, in die er sich verliebet, auf dem KirchWege sein Compliment zu machen" ^). Wer der Trax sei, wisse er nicht, aber der Angriff auf ihn sei heimtückische Bosheit Cordula habe auf das 30. Stück zur Verteidigung hingewiesen, man habe aber gemeint, das habe die Sache nur verschlimmert: „Ich als eure Freundin durfte euch nicht loben und musste das Urtheil der Wahrheit überlassen." Schliesslich habe Herr Lachaus den Brief von Thyrsis im 28. Stück verspottet: „Ein Unvemünfftiger ist einmahl ein Narr, wer sich aber weise zu seyn düncket, und ist es nicht, ist zweymahl ein Narr. Und wer sich dieses Dünckels noch beständig rühmet, ist dreymahl ein Narr." Orontes habe schliesslich 8 Eegeln für die Tadlerinnen aufgestellt^, die Cordula mitteilt. Cordula wünscht am Schluss, die Tadlerinnen möchten sich bessern, und hängt dann folgendes boshafte Postscriptum an: „P. S. Berichtet mich doch, ob es wahr, was euch Herr Colerus beygemessen**), nehmlich, ihr hättet aus dem Spectateur vieles zu euem Blättern entlehnet." 5 Tage nach Henricis Schrift (am 4. Sept. 1726) wurden die Tadlerinnen wegen des 25. und 28. Stückes beim Rate der Stadt denuncirt, den Dr. Hölzl und den Dr. Oertel nebst seinem Vater durchgezogen, sowie den Grafen Manteuffel der Bestechlichkeit beschuldigt zu haben*). Der unbekannte Denunciant sagte in dem Schreiben: „es wäre betrüblich, wenn alles, was in Leipzig vorgehe, des Autoris ürthel unterworffen seyn und von ihm den Ausschlag, ob es wohl oder übel ausgeführet worden, erhalten solte." Zugleich aber scheint auch Henricis Schrift An die Tadlerinnen der Büchercommission denunzirt worden zu sein; denn als am selben Tage der Verleger der Tadlerinnen, Andreas Braun, vorgefordert wurde und als Autor der Tadlerinnen Gottsched angab, sagte er nach dem Protokoll weiter: „Wer aber Autor von der, am 30. Augusti an die Tadlerinnen gerichteten Schrifft sey, wisse er nicht, sondern Boetius, von dem er etliche Exemplaria bekommen, müsse solches wissen." Boetius erschien ebenfalls noch am 4. Sept. und erklärte, es wären ihm von ^) Dies scheint eine persönliche Spitze zu haben, die wir nicht mehr kennen. ^) Auch dies natürlich eine Parodie der Gottschedischen Regelwut. ') vgl. Leipz. Zeitungen v. Gelehrten Sachen. 1725. No. LXXX. p. 777. *) Acta Commissionis Die Vemünfftigen Tadlerinnen betr. Anno 1726. — Leipz. Ratsarchiv XLVI. No. 177.

 

— 53 — unbekannter Seite 100 Stück der Schrift An die Tadlerinneu zugeschickt worden, über Censur und Drucker derselben wisse er nichts, als Autor vermute er Henrici. Diese Auskunft befriedigte nicht: am 9. Sept. stand er zum zweiten Male vor der Commission, konnte aber nichts neues aussagen, ausser dass er inzwischen von Henrici selbst erfahren habe, dass er der Autor sei und ihm die 100 Exemplare zugesandt habe ; Henrici befände sich jetzt auf einer Reise in Thüringen. Boetius erhielt darauf die übliche Verwarnung. Am 11. Sept. wurden dann sowohl die Tadlerinnen als die Henricische Schrift An die Tadlerinneu confiscirt. Henrici selbst scheint iiicht weiter behelligt worden zu sein, während das Verfahren gegen Gottsched weiter ging, aber schliesslich ohne rechten Erfolg endete^). In der nächsten Zeit blieb es einigermassen still. Dazu trug wahrscheinlich der Erlass eines scharfen kurfürstlichen Schreibens vom 17. Aug. 1726 an das Consistorium^ viel bei, worin festgestellt wurde, dass in Sachsen „viele mit ganz unwahrhafften Nachrichten und unzulässigen anmasslichen judiciiren auch ungebührlichen Expressionen, Schmähund Lästerungen angefüllte, theils geschriebene so genannte Zeitungen und privat Nachrichten, auf allerhand Arth divulgiret, theils auch derselben oder andere Schrifften . . . durch öffentlichen Druck bekannt gemacht worden", und dem Consistorium eingeschärft wurde, gegen die Missbräuche vorzugehen, streng auf die Einhaltung der Censurordnung zu sehen und eventuell ein Mandat zu erlassen. So ruhen für ungefähr ein Jahr die Fehden mit Gottsched, und Henrici hat Zeit an das zu denken, was Not thut. g. Henricis Anstellung als Beamter. Henrici war allmählich in die Semester gekommen und hielt es für geraten, wieder einmal am sächsischen Hofe sein Glück zu versuchen, das er in Leipzig nicht finden konnte^). Am 24. Februar 1727 sandte er an den Grafen von Flemming ein Gedicht, worin er dem Kurfürsten Friedrich August zu dessen Genesung gratulierte und als „allerunterthänigst gehorsamstes Landes-Kind die Pflichten seiner allerunterthänigsten Treue bezeigte." (Das Gedicht ist im ^) vgl. Wustmann, Aus Leipzigs Vergangenheit I, 213 ff. — In der Buchausgabe der Tadl. sind das 25. u. 28. Stück stark verändert worden (vgl. die Vorrede). ^ Acta Die Censur der Bücher und anderer Schrifften betr. Eönigl. Hauptstaatsarchiv in Dresden. 3) Acta Des Gen: Feld-Marschalls Hn. Qt: von Flemming gehabte Correspondenz mit Henrici, Studiosus in Leipzig. Königliches Hauptstaatsarchiv in Dresden.

 

— 54 — 2. Band der Gedichte (Seite 1) abgedruckt). Der Wink wurde verstanden: ausser einem conventioneilen Danke liess der König ihm durch den Grafen v. Looss den Antrag machen, sich eine Gnade auszubitten, auch noch überdies 50 Gulden aus der Kämmerei-Kasse auszahlen^). Henrici griff zu und bat sich die Anwartschaft auf das Actuariat bei dem Königlichen Oberpostamte zu Leipzig aus. Er reiste nach Dresden, und am 3. Juli 1727 wurde er dem Actuar beim Oberpostamt Leipzig als Adjunct cum spe succedendi und ohne Besoldung substituiert^). Schon zu der Namensfeier des Königs am 3. August 1727 übersandte Henrici wieder durch Flemmings Vermittlung ein neues Gedicht (Gedd. 2, 11). Flemming forderte in seiner Antwort ihn freundlich auf, seine ferneren Publikationen ihm zuzuschicken, und frohgemut sandte ihm Henrici die „Geburten seiner poetischen EinMle" — der 1. Band seiner Gedichte war eben erschienen^) — und bat ihn, „ein mächtiger Beschüzer seiner gekränckten Muse zu bleiben" (19. Sept. 1727). Henricis Gegner scheinen ihm damals allerlei Hindemisse in den Weg gelegt zu haben und sich sogar nicht gescheut zu haben, die Ehre seiner Mutter anzutasten: In einem Gedichte vom 30. October 1727 (Gedd. 2, 527), für eine Magisterpromotion bestimmt, das das bezeichnende Motto trägt: Dat veniam corvis, vexat censura columbas, klagt er, dass die Lasterhaften in Euhe gelassen, die Tugendhaften geschmäht würden : „Ich kan davon ein Lied, mein Herr Magister, singen, Die Neider stehn mir nach, und martern ihren Sinn. Es thate warlich noth, ein Zeugnis vorzubringen, Dass ich ein ächter Zweig aus reiner Ehe bin."^) Mit einem sonst nicht an ihm bemerkbaren democratischen Stolz betont er seinen Ursprung aus dem niederen Volke, und mit Hindeutung auf sein Amt kündigt er den Gegnern an, dass, „wenn im Spiele ein Trümpffgen seyn werde", er auf sie einhauen werde, wie der Feind in die Dragoner. Am 21. November 1727 konnte Henrici endlich nach dem Tode seines Vorgängers das Amt antreten, in das er schon seit einigen Wochen sich eingearbeitet hatte. Am 10. Januar 1728 wurde er formell verpflichtet. Sein Gehalt betrug 350 Thaler im Jahr (nebst dem 4. Teil der eingehenden Strafgelder), und er fand Gelegenheit seinem grossen Diensteifer in einer Neuordnung des verwahrlosten Postarchivs Gentige zu thun. Uebrigens 1) Gercke a. a. C, der dies aber fölschlich in die Mich.-Messe 1727 setzt. 2) Acta Das Actuariat bey dem Oberpostambte zu Leipzig betr. — Königliches Hauptstaatsarchiv zu Dresden. 3) In der Vorrede sagt er einige bittere Worte gegen seine Feinde. ^) Der Vorwurf mag übrigens schon früher erhoben worden sein; vgl. das Hochzeitsged. i^om 24. Februar 1726 (Gedd. 2, 237).

 

— 55 — verspricht er ausdrücklich (Gedd. 2, 34), auch als Beamter der Dichtkunst nicht untreu zu werden. In der That seheint er in der ersten Zeit seines Amtes im Grefühl der Sicherheit sogar einige persönliche Gedichte freier Art gemacht zu haben. Wenigstens fallen vor 1729 die Gedichte „lieber das angenehme Vogelstellen" (2, 92), „Auf die Hasen Jagd" (2, 96), die beide die zufriedene Genügsamkeit preisen, sowie die Uebersetzung der ähnlich gestimmten 3. Ode des 2. Buchs von Horaz. Aus derselben Zeit finden sich auch in den Hochzeitsgedichten ähnliche Empfindungen des Glückes in der Beschränkung. Die lauten Wünsche nach einer Frau ertönen jetzt wieder von neuem (z. B. 2, 344), und er ist eifrig bemüht, den schlechten Euf, den er beim Frauenzimmer geniesst, als ungerechtfertigt zu beweisen (vgl. besonders das Hochzeitsged. vom 16. November 1728). h. Fehden mit Gottscheds Biedermann. So war dem Gratulanten ein Hauptstreich gelungen : er befand sich an der sicheren Brodstelle der Staatskrippe. Gerade in dieser Zeit nun hatte sich Gottsched nach dem Eingehen der Tadlerinnen eine neue moralische Zeitschrift geschaffen, den „Biedermann" i). der bald einen systematischen Kampf gegen das Gratulantenunwesen (s. oben) eröffnete. Im 22. Stück des ersten Jahrgangs (29. Sept. 1727) bringt der Biedermann die ironisch-satirische Ankündigung, dass der Verleger auf seinen Eat beabsichtige, ein Corpus Gratulantium herauszugeben, „eine vollständige Sammlung aller der Gedichte, die seit 1700 in Leipzig von Jahr zu Jahr, auf alle Hochzeiten, Geburtsund Nahmens-Feste, Neujahrs-Tage, Doctorund Magister-Promotionen und Leich-Begängnisse, theils gedruckt worden, theils noch in MS. verborgen liegen"; er rechnet auf 25 bis 30 Folianten, die mit den lorbeerumkränzten Bildnissen der Herren Poeten geschmückt werden sollen. Schon das nächste Stück des Biedermanns (6. Oktober 1727) enthält eine neue Verspottung der Gratulanten : es wird ein fingierter Brief mitgeteilt, der in dick aufgetragenem sächsischem Dialekte von der Vereinigung der Gratulanten, der „Boedischen Faculdät" in Leipzig verfasst ist und deren gemeine Geldgier geissein soll. Die Satire des 22. Stücks wird im 34. Stück (22.December 1727) wieder aufgenommen und auf die specielle Kategorie der Quodlibete angewandt. Es wird als demnächst erscheinend angekündigt ein „Quodlibet aller Quodlibete der gesunden Vernunfft und dem Altertum zu Trotz herausgegeben" u. s. w. Auch Henricis dramatische Production bekam im 44. Stück des ersten Jahrgangs (1. März 1728), wo gegen die ^) Zwei Teile, Leipzig 1728 und 1729. Exemplar auf der Stadtbibliothek zu Leipzig.

 

— 56 -Harlekinaden losgezogen wird, eine schlechte Note. Dann kam am 15. März (46. Stück) wieder eine Satire auf die Gratulanten; durch ein Gedicht in ihrem Genre, voll unglaublicher Sprachversttimmlungen, wird ihre künstlerische Unfähigkeit, sowie ihre Geldgier aufs schärfste verhöhnt. Gegentiber diesen Angriifen glaubte Henrici nicht schweigen zu dürfen. Er fühlte in seinen Dresdner Gönnern einen starken Rückhalt, besonders dem Grafen Flemming sandte er immer neue Proben seiner Muse und versicherte ihiÄ in einem französischen Briefe vom 20. Januar 1728: „La lettre, dont Votre Excellence a daign6, de m'honorer, a inspir6 ä. ma petite muse des transports de joie si grande, et en meme tems tant de hardiesse, qu*elle ose*' etc. Hin und wieder spricht er sich in Hochzeitsgedichten gegen die Anfeindungen aus (vgl. Gedd. 2, 404 vom 25. Mai 1728), aber diese Form beengte doch zu sehr. So griff er zu seinem alten Mittel und Hess seine Nouvellen zum vierten Male auferstehen; freilich nicht in der früheren Form: Er hatte mit der Censur zuviel Scherereien gehabt, vielleicht fand er auch keinen Verleger und Drucker, der das Risiko übernehmen wollte. Darum entschloss er sich, eine geschriebene Zeitung herauszugeben, ein Unternehmen, wie es damals sehr gewöhnlich war (s. oben S. 20) und das den grossen Vorteil hatte, dass die Censur wegfiel. Wir haben uns zu denken, dass Henrici wöchentlich eine gewisse Anzahl Exemplare durch Schreiber herstellen und in den Häusern bei den gewiss zahlreichen Liebhabern von Skandälchen circulieren Hess, sie wohl auch nach auswärts versandte, natürlich gegen Bezahlung i). Erhalten ist erklärlicherweise nichts; wir haben Kenntnis davon überhaupt nur aus dem letzten Stück des ersten Jahrgangs des Gottschedischen Biedermanns (12. April 1728). Es wird dort ein angeblich eingeschicktes Schreiben in französischer Sprache abgedruckt^ es lautet: „Voila la Reflexion, k laqueUe m'engage la Conduite d'un pauvre Nouvelliste, qui ebloui par son pretendu merite, a coutume de menager si peu les gens dans ses fades Nouvelles, qu'il attaque meme des personnes de distinction: ce Nouvelliste, dis je, qui n'a point de honte de les nommer, et qui pour avoir de quoi subsister, et pour plaire aux Medisans de la Ville ses 6gaux, ne les repait que de saletes. C'est ä, Mr. Biedermann, le miserable objet, qui auroit besoin d'une correction publique. La charite et Thonneur du Prochain vous obligent k la lui faire, le ^) Ganz 80, wie bei dem im Winter 1730/31 in Leipzig wöchentlich herausgegebenen geschriebenen „Leipziger Blätgen'', das — wohl eine Nachahmung des Henricischen Vorbildes — von einem ganzen Consortium, meist Studenten, fabriziert, unflätige und pasquillarische Apercus (in Prosa) brachte. Vgl. Universitätsarchiv zu Leipzig Repert. A. A. I, 35, wo auch ein Exemplar sich befindet.

 

— 57 — pMtot qn'il Vons sera possible. H n'y a personne, qni pnisse Tentreprendre avec plus de succes. Si par malheur il se trouvoit si incorrigible, qa41 ne put mettre ä profit nne Morale anssi saine qne la Votre, Vons seriez, je m'assure, plaisir an Public, de Ini bien expliqaer le Quatrain qni sait. L'on y parle d'nn medisant: On dit que c'est nn chien, qni mord meme les Siens, Mais je trouve, qu41 est d'un humeur bien contraire: Car ä coups de bäton on fait crier les chiens; Mais ä conps de tricot on le fera bien taire. Peutetre cela lui fermera-t-il la beuche, et lui fera eviter les chatimens, que ses grossieres pointes lui attireroient infailliblement dans la suite. Je suis etc/' Gottsched knüpft daran einige Bemerkungen, warum gerade in Leipzig derartige Unternehmungen so häufig seien und immer florierten, und erklärt dies aus der „unordentlichen Neugierigkeit" der Einwohner. Dass die geschriebenen Nouvellen im Allgemeinen denselben Inhalt hatten wie ihre gedruckten Vorgänger, erhellt aus den drei Eegeln (!), die Gottsched im Anschluss an diese Sache für die Zeitungsschreiber aufstellt. Schliesslich warnt er „wohlmeynend" den „angeklagten" Nouvellisten vor dem Schaden, der ihm aus seinem lichtscheuen Handwerke erwachsen könne. Henrici wird, wie man sieht, nicht mit Namen genannt. Dass er aber in der That der Verfasser war, kann kaum zweifelhaft sein: die Schilderung passt vorzüglich auf ihn*). Die fortwährenden Zurechtweisungen durch Gottsched erbitterten Henrici noch mehr, und in der Vorrede zu seiner Cantatensammlung, die vom 24. Juni 1728 datirt ist, sprach er sich darüber aus: „Es will zu Leipzig alles zu Spectateurs, Patrioten und Haupt-Moralisten werden, ohne seine Kräfte zu prüfen, und es ist nur zu bejammern, dass der sonst weltberühmte Name Leipzig ein eitler Deckel solcher öfters unwürdigen Schriften bedeuten muss" u. s. w. — Gottscheds unermüdlicher Kampf gegen die Gratulanten hatte indessen einen Erfolg zu verzeichnen. Am 4. Juni 1728 erschien ein Kurfürstliches Mandat an die Universität zu Leipzig^): „Es will uns glaubwürdig verlauten, ob selten bey der Universität zu Leipzig sich ein und andere Personen eingeschlichen haben, die zwar den Nahmen derer Studenten führen, auch wohl inscribiret seyn mögen, sich aber weder in Studiis, noch sensten im Leben u. Wandel ihrem Stande gemäss bezeigen, sondern sich aufs betteln legen, und nicht allein die ankommende, Hohe und Niedrige^ sondern auch in Leipzig wohnende Personen, an ihren Geburthsund Nahmens-Tägen, ingleichen. Auch Waniek, Gottsched ' und die deutsche Litteratur seiner Zeit (1897) nimmt Henrici als selbstverständlichen Verfasser an. >) Sicul, a. a. 0.

 

— 58 — wenn sie communiciret, unter dem Nahmen einer Gratulation anzulaufen, oder Briefe und carmina ins Haus zu schicken sich nicht entblöden." Die Universität erhielt den Befehl, einen Anschlag gegen diese „Betteley** zu erlassen und die Zuwiderhandelnden aus der Matrikel zu streichen und zu relegiren. Am 9. October erging der Anschlag am Schwarzen Bret. Henrici konnte damit natürlich nicht mehr getroflf^en werden. Interessant ist es übrigens, dass die Universität noch einen besonderen Passus gegen die „male literatos et male moratos,, hinzufügte, in dem missbilligend die schlechte sittliche Aufführung der Gratulanten hervorgehoben wurde („vitae vestrae mores sordidi et squalidi"): eine Illustration zu den Beschuldigungen, die man gegen Henricis Lebenswandel erhoben hatte. Henrici aber, der sich in seinem Amte sicher fühlte, suchte in seinem Herzensdrange nach scandalös-litterarischer Bethätigung neue Felder. Die Nouvellen waren etwas abgegrast. Da verfiel er auf die Form, die in jener Zeit wohl die beliebteste war, wenn man etwas sagen zu können meinte und einen pikanten Titel suchte: Die „Gespräche im Reiche der Toten". Populär war der auf den alten Lukian zurückgehende Titel geworden vor allem durch David Fassmanns galant-historisches Journal „Gespräche in dem Eeiche derer Todten" (seit 1718,) die einen ungeheuren Erfolg hatten, viele Auflagen und noch weit mehr Nachahmungen erlebten: Prutz (a. a. 0. S. 404 Anm.) giebt davon eine kleine Liste. Auch die Tadlerinnen (I, 26) ahmten sie parodierend nach; 1725 führte die Neuberin sogar ein Drama dieses Titels auf, das das Mode-Journal lächerlich machen sollte (s. unten S. 70). In den Tadlerinnen 1,25 steht ein Brief, worin ihnen geraten wird, „lieber einen hälliBchen Eobinson, eine neue Art von Gesprächen im Reiche der Affen, der Narren, der Schulfüchse etc. zu schmieren"; das habe Erfolg. Auch Henrici machte sich über die Titelmode lustig (s. oben S. 24); vgl. ausserdem Biedermann 11,52; Grit. Dichtkunst 2. A. Seite 565; König, Dresdener Frauenschlendrian Scene 5. Henrici wäre nicht Picander gewesen, wenn er sich diesen lucrativen Litteratur^tikel hätte entgehen lassen^). Es that ihm wenig, dass er ihn einmal verspottet hatte. Er wusste aber auch, dass er bei der Menge der Concurrenz dem schon verblassten Glänze durch eine besondere Picanterie neue Strahlen verleihen musste. So schrieb er sein: „Gespräch Im Reich der Todten Zwischen der CONTOUCHE und ANDRIENNE. Erste und Letzte Unterredung. Anno .17292). In Commission zu haben bei BOETIUS." Das war *) Auch in seinen Gedichten finden sich^ „Gespräche im Reiche der Liebe' (IH^ p. 293).und „Sendschreiben aus dem Reiche der Todten" (V,196). 2) In Wahrheit 1728. — Exemplar auf der Stadtbibliothek zu Leipzig.

 

— 59 — pikant genug. Man ahnte allerlei und fand es anch: das Granze giebt sich zwar als Satire auf Modethorheiten ; man merkt aber zu deutlich; dass das nur ein Anstandsmäntelchen für die gepfefferten Histörchen ist Das Werk erschien anonym, auch der nom de guerre Picander ist nicht angewandt i): freilich war der Inhalt auch nichts weniger als für einen Staatsbeamten passend. t)ie Form ist Prosa. Die Bekämpfung der Modenauswüchse ist eines der ältesten Themata der deutschen Satire, und die Contouche^ speciell war schon von Philander, Musophilus und Amaranthes bespöttelt worden. Auch die moralischen Wochenschriften haben in dieser Richtung den Geschmack ihrer Zeit zu bessern gesucht, voran der Patriot; wir haben auch gesehen, wie in den „unmoralischen'^ Zeitschriften das Thema einen breiten Eaum einnahm. Besonders die Entblössungsmoden boten zu strengem Tadel und leichter Bewitzelung reichen Stoff. Der Patriot bringt im 22. Stück eine Satire darauf, die Henrici wahrscheinlich gekannt hat, denn sie berührt sich eng mit einer Stelle seines Gesprächs; vgl. femer Patriot I, 32 (über die Contouchen !) . und Tadlerinnen I, 47. n, 15. — Henrici beginnt seine Satire damit, dass er die Personifizierung weiblicher Kleidungsstücke entschuldigt mit Hinweis auf die Tierreden in.Aesops Fabeln und den Brief des Carreaububen im Biedermann (ü, 76. 18. Oct. 1728). Er lässt im Kleiderschranke Plutons sich eine Andrienne und eine Contouche treffen; sie becomplimentiren sich und erzählen einander ihre Abenteuer, wobei eine Menge von Streiflichtern auf allerlei Thorheiten fällt. Andrienne beklagt sich über die Verstümmelung ihres Namens zu Hadeijeng^), Contouche secundirt ihr und klagt besonders über die Kleidemarrheiten niedriger Leute, die zu Gelde gekommen seien*). Andrienne meint, sie würden dafür aber auch ausgelacht und von der guten Gesellschaft gemieden. Contouche erklärt, noch lächerlicher sei der Kleiderluxus armer Leute, und erzählt zwei Geschichten von einer Leipziger Advocatenund einer Doctors-Tochter, die offenbar Stadtklatsch waren. Dann giebt sie ihren Lebenslauf zum besten: zuerst gehörte sie dem Nähmädgen einer Brantweinund Eaffeeschenkin, deren Wahlspruch war: Porta patens esto. Die Schilderung ihres Treibens lässt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Andrienne revanchirt sich mit der Erzählung ihrer Erlebnisse bei einer Jungfer: auch hier ist alles Zote. So geht es denn noch eine Weile weiter: Contouche erzählt eine Novelle von einem Eichhörnchen im Stile >) Darum ist es auch wohl bis jetzt unbekannt geblieben. 2) Contouche = vom offenes Frauenkleid. Andrienne = langes Schleppkleid der Frauen. 3) cf. Tadlerinnen I, 23: „hadrichähne**. *) Dabei Locus communis über das Geld: vgl. Bachel 4. Sat; Neukirch 3. Sat; Amaranthes, Proben 1, p. 420 etc.

 

— 60 — Boccaccios; endlich lenken sie wieder in die Erörterung der Modethorheiten ein und verurteilen das zu starke Schnüren und das zu weite Ausschneiden der Kleider (vgl. Patriot I, 22), wobei der neueste Localwitz colportirt wird. Es folgen noch eine Beihe von Bonmots über dieses Thema, bis man auf die Haarund Perrückenmoden kommt, vom Pudern auf das Haarfärben und von da auf Zobelpelze, Halstücher und Müffchen überspringt, um plötzlich mit einem „ein andermahl ein mehrers^^ abzubrechen. Man hat das Gefühl, dass das Ganze eine Sammlung der neuesten Messwitze für die Besucher der Neujahrsmesse sein soll. Diesen Zweck konnte die Scharteke aber nicht erfüllen; denn auch sie fiel dem wachsamen Auge des Gesetzes zum Opfer. Der Buchdrucker Bauch hatte die Frechheit besessen, die Schrift, trotzdem sie die Censur zu censiren abgelehnt hatte, doch zu drucken. Der Censor Lic. Gottlob Friedrich Jenichen sandte deshalb, als er von dem Druck erfuhr 1), am 4. Dez. 1728 ein entsprechendes Promemoria an die Büchercommission^). Daraufhin beschlagnahmte am 17. Dec. der Bücherinspector beim Verleger Boetius das einzige noch aufzutreibende Exemplar, während er beim Drucker Bauch nichts vorfand. Bauch leugnete überhaupt die Schrift gedruckt zu haben und gab vor, sie sei in Grimma gedruckt worden. Am nächsten Tage stand Boetius vor der Commission, nannte als Autor „H. Heinrici auf der Post", der ihm 6 Buch zum Verkauf gegeben habe, wusste im übrigen von nichts, musste beschwören, dass er kein Exemplar mehr besitze, und entschuldigte sich wegen der Verlegerschaft: „er hätte gemeint, weil der Autor bekannt, hätte es nichts zu sagen". Doch damit gab sich die Commission nicht zufrieden: sie argwöhnte — gewiss mit Recht — , dass Henrici Exemplare mit der Post nach auswärts versandt habe, von wo sie dann wieder an Boetius nach Leipzig gesandt würden, so dass auf diese Weise der Misserfolg der Beschlagnahme bei Boetius erklärlich war. Sodann aber schenkte sie der Angabe Bauchs, dass er die Schrift nicht gedruckt habe, keinen Glauben. Sie verhörte deshalb am 11. Februar 1729 Bauchs Lehrjungen nach einer grossen „Inquisitionstabelle", und es stellte sich in der That heraus, dass die Schrift trotz verweigerter Censur in Bauchs Druckerei — von seinem Gesellen gedruckt worden war; die Exemplare seien an Henrici abgeliefert worden. Am selben Tage musste Bauch selbst dies alles als richtig zugeben, er entschuldigte sich „er hätte es aus ^) Möglicherweise war es Gottscheds Biedermann, der ihn darauf aufmerksam machte. Wenigstens brachte dieser am 6. Dez. (ü, 83) eine scharf missbilligende Notiz über das Gespräch, worin ausdrücklich auf die fehlende Censur hingewiesen wurde. Jenichens Promemoria ist zwar vom 4. Dec. datiert, aber bei der Commission anscheinend erst am 17. eingelaufen. •) Acten der Büchercomm. Vol. V.: Leipz. Ratsarchiv Tit. XL VI. 152.

 

— 61 — Armuth gethan und weiln H. Heinrici ihn versprochen vor allen Schaden zu stehen"; wenn er Exemplare benötigt hätte, hätte er sie von Henrici holen lassen. — Leider brechen hier die Akten ab. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Henrici irgendwie bestraft worden ist. Henrici schien also trotz Gottscheds Tadel immer frecher zu werden : denn in der That ist das Gespräch von allen seinen Schriften die gemeinste. Gottsched hatte vollkommen recht, wenn er im 83. Stücke des Biedermanns der Anzeige des Gesprächs den Joseph Zuchtfreund noch einige sehr scharfe Worte „über unsere Poeten" hinzufügen Hess: „Vorzeiten redeten die Poeten die Sprache der Götter; itzo sprechen* sie wie Gassenjungen. Sonst trug sie Pegasus über Berge und Hügel weg, itzo kriechen sie mit den Schnecken im Staube. Sonst wohnte Apollo auf dem erhabenen Parnass, itzo will man uns bereden, dass er in ein sumpfigtes Thal gezogen sey. Die Musen, so sonst Töchter Jupiters waren, sind itzo grobe Bauernmägde geworden, die ihren Verehrern lauter Dorf-Schwäncke eingeben." Im 90. Stück (24. Jan. 1729) werden wieder die „Pritschmeister und Possenreisser" durchgezogen ; auch die Harlekinskomödie erhält nochmals am 20. Dez. 1728 eine Abweisung. Ueberall fühlte sich Henrici natürlich getroffen, und so mag er sich wohl wieder irgendwie gegen Gottsched ausgelassen haben. Das muss man wenigstens schliessen aus dem Briefe, den der damals noch mit Gottsched eng befreundete Dresdener Ho^oet J. TJ. v. König am 28. Febr. 1729 an Gottsched richtete^). Es heisst darin: „Der H. von Kirchbach ist fast täglich bey mir oder mit mir in Gesellschaft, er ist ein Cavalir, den man so wohl wegen seiner Gemüthsgabe als wegen seiner Wissenschaft hochschätzen muss, Er ist ihr sonderbahrer Freund, u. hat sich wegen der pi^ce des Piccanders wieder Sie sehr geärgert." Diese Pi^ce können wir leider nicht mehr nachweisen. Schlenthers^) Vermutungen darüber sind haltlos ; vielleicht ist es eine nur geschrieben verbreitete Satire gewesen. — In demselben Briefe erkundigt sich König neugierig, ob das Gerücht wahr sei, das in Dresden circuliere, dass die Studenten Picander „wegen seiner verse auf eine neul. Schlittenfahrt wacker ausgeprügelt hätten"; er bittet Gottsched, ihm näheres darüber zu berichten. Das Gedicht, das hier gemeint ist, kann nur sein die „Nachricht von dem letzt gehaltenen Schlitten-Feste", das im zweiten Bande der Gedichte steht und in dem in frischer humoristisch-satirischer Weise die winterlichen Narrheiten der studirenden Jugend durchgezogen werden (ähnlich wie im' VI. Stücke der Nouvellen). Man sieht übrigens aus Königs Mitteilung, wie Henrici bis nach Dresden hin eine bekannte Persönlichkeit war, zugleich, wie schlecht er bei den Studenten angeschrieben stand. Gottscheds Briefwechsel (Leipz. Univ.-Bibl.). ^) Frau Gottsched und die bürgerl. Komödie (1886) S. 131 f.

 

62 3Henricis ferneres Leben (1730-1764). 1730 beginnt Gottscheds Glanzperiode. Er wird der litterariscli angesehenste Mann Deutschlands. Henrici aber versinkt im Philistertum. Gottsched hat das Verdienst, durch beharrliche Bekämpfung der Picanderschen Auswüchse diese unmöglich gemacht zu haben: es war dies sein erster Erfolg in den Bestrebungen, den Augiasstall des Parnasses zu säubern, und Kost in seinem ^„Vorspiel" (Vermischte Gedichte 1769. S. 20 ff.) lässt mit ganz richtigem Gefühl Gottsched seine Thaten vom Kampfe gegen Picander an datieren: „Fängt vom Pikander an, der Schweizer unvergessen, Bis auf den Mauvillon die lange Eeih zu messen.'^ Freilich dichtet Picander noch dreissig Jahre weiter: meist Gelegenheitsgedichte, auch einiges Geistliche. Am Ende des dritten Teils der Gedichte (1732) befinden sich zwölf „Arien,,* die recht geschickt gemacht und von warmem Gefühl durchdrungen, sind. Obwohl die Gedichte mehr traditionelle Stilübungen sein werden, als Producte persönlicheo' Erlebnisse, repräsentiren sie doch das Beste der Picanderschen Lyrik. In der dritten Arie spricht sich ein grosser Stolz auf die eigene Persönlichkeit aus. Die Satire aber, auf deren Gebiet er das Charakteristischste leistete, ist bei ihm tot*). In den Kämpfen Gottscheds mit den Schweizern ist er nur Zuschauer, und wo er von den Parteien mit hineingezogen wird, ist es immer der Picander der zwanziger Jahre, der gemeint ist. Gottsched selbst spricht sich in einigen Noten zur Uebersetzung der Ars poetica (in der Critischen Dichtkunst) gegen seine Dichtung aus; vielleicht ist auch in der Satire „An Thalia" (Critische Dichtkunst. 1737^ S. 553 ff), wo von dem Pöbel die Rede ist, „der auch Schmierandern lobt und sich nach Zoten sehnet", Picander gemeint^). Steinauer in seinem gegen D. Steinbach gerichteten Pasquill^) „Gespräche zwischen Johann Christian Günthern aus Schlesien In dem Reiche der Todten Und einem Ungenannten In dem Reiche der Lebendigen" etc. 1739 lässt Heinrici, wie er ihn nennt, zusammen mit Stoppe, einen Jagdwagen ziehen, dem *) Höchstens ist zu nennen „Der Frauenzimmer Taschen-Calender auf das Jahr 1731 mit Eupffem", worin er die alte Frauensatire neu variierte, indem er zu zwölf Eupfei-stichen teilweise sehr schmutzigen Genres entsprechende Verseben dichtete. ^) Mit Qottsched und anderen zusammen wird Henrici scharf getadelt in der Uebersetzung der Schrift Longins „Vom Erhabenen" (Leipzig und Hamburg 1738) von Graf Brühls Privatsekretär C. H. Heineke. (vgl. S. 325. 329. 330. 356. 358.) 3) Exemplar auf der Breslauer Stadtbibliothek. Sign. 8 E 1728 b.

 

— 63 — der „Deutschfranzos" Trömer (Jean Chr^tien Toucement vgl. S. 104) als Courier voranreitet, und den König als Kutscher im Pritschmeisterkleide lenkt. Er nennt Henricis Gedichte unsinnig und meint, er unterscheide sich von Stoppe nur dadurch, „dass er fliessender als jener geschweinet hat". „Die Urtheilskraft fehlt überall. Die Einbildungskraft herscht ganz allein". „Er schreibt recht fliessend und weit reiner, als Stoppe und König, und ist überhaupt ganz aufgeweckt. Wenn er sich in seinen Studentenjahren so gut mit der Philosophie als mit den jungen Mägden bekannt gemacht, und fleissiger in die Poeten der Alten, als in den merseburger Bierkrug gesehen hätte, so würde Leipzig eben so viel .Ehre mit seinem Heinrici eingelegt haben, als es itzo Schande an demselben erlebt." „Seine Verse machen das Sprichwort war, welches Seneca anführet: Talis hominibus fnit oratio, qualis vita". Schönaich, in seinem „Neologischen Wörterbuch" (Neudruck von A.Köster 1898 p. 71) lässt P-k-nd-r zusammen mit Brockes und Stoppe als poetische „Strausse" auftreten, mit denen sie die Flügellahmheit und Laufgeschwindigkeit teilten; „Quodlibethecker und Recitativenschreiber" höhnt er sie. Hüten muss man sich aber zu glauben, Picander sei als Gelegenheitsdichter durch Gottsched in der Beliebtheit beim Publicum geschädigt worden. Es ist hier ähnlich wie mit Schillers und Goethes Verhältnis zum Lesepublicum ihrer Zeit Gottscheds Eeformen sind meist nur von akademischer Geltung (abgesehen vom Drama). Die Herrschaft über die Leserwelt haben gerade die, die er bekämpft, voran Picander. Picanders Gelegenheitsdichtung ist der adaequate Ausdruck für den herrschenden Geschmack der Leipziger Gesellschaft in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Steinauer (a. a. 0.) nennt Picander den Heerführer der Dichter und kann nicht leugnen, dass seine Zoten Beifall finden: er erzählt ganz ernsthaft, dass ein Leipziger Prediger, M. Weise, Picanders Gedichte als Leetüre für die Jugend zu formaler Ausbildung empfohlen habe! Auch Schönaich (a. a. 0.) nennt Henrici den „beliebten Picander".^) Dass dies berechtigt ist, zeigen uns auch die Auflagen seiner Gedichte^). Der erste Teil erschien 1727 in erster, 1732 in zweiter, 1736 in dritter, 1748 in vierter Auflage; der zweite Teil 1729 in erster, 1734 in zweiter, 1749 in dritter; der dritte Teil 1732 in erster, 1737 in zweiter, 1750 in dritter; der vierte Teil 1737 in erster, 1751 in zweiter Auflage. Ein fünfter Teil (Picanders neu herausgegebene Emst-Schertzhafte ') vgl. auch : Franz Hern, Die Poesie und Beredsamkeit der Deutschen. 1823. S. 353. if. — Zedier, Universal-Lexicon 28. Band (1741), Sp. 21. — Wetzel, Hymnopoeographia. 4. Teil (1728) S. 225—228. — Jördens (2,849) dagegen tadelt ihn heftig. ^) Eine genaue und vollständige Bibliographie ist nicht zu geben her absichtigt; vgl. Goedeke, bei dem aber manches fehlt.

 

— 64 — und Satyrische Gedichte, Fünfter und letzter Theil; bei Goedeke fehlend) 1751. Ausserdem wurde sogar noch nach Picanders Tode eine ,,Sammlung vermischter Gedichte. Frankfurt und Leipzig 1768" herausgegeben. — An äusseren Lebensumständen ist nicht mehr viel zu erwähnen^)* Am 4. Februar 1732 erhielt Henrici das Praedicat eines Secretarius, am 17. Juli 1734 das eines Ober-Post-Commissarius. Am 14. Oktober 1738 wurde er wirklicher Ober-Post-Commissarius. Inzwischen hatte er am 24. Juli 1736^ die von ihm so oft herbeigesehnte Ehe geschlossen und sich mit einer der von ihm einst so misshandelten Leipziger Jungfern, der Tochter des D. Joh. Heinr. Mehlich, Assessors der Juristen-Facultät, Jungfrau Johanna Elisabeth vermählt. Die Ehe blieb ohne Kinder, die Frau starb 1755. Am 4. Januar 1740 erhielt er die Anwartschaft auf das einträgliche Creyss-Steuer-Einnehmeramt zu Leipzig, auf das er am 12. Februar 1740 verpflichtet wurde; gleichzeitig wurde er zum Stadt-Tranck-Steuereinnehmer, WeinInspector und Visir zu Leipzig ernannt. 1758 wurde ihm der Titel eines Commissionsrathes „ohne sein Suchen" (Gercke a. a. 0.) verliehen. Als Beamter erfüllte er seine Pflicht: 1731 stellte ihm das Oberpostamt auf sein Ersuchen ein anerkennendes Zeugnis aus. — Auch zu dem neuen Kurfürsten stand sich Henrici gut: 1743 schenkte ihm dieser „auf sein unterthänigstes suppliciren . . . aus besonderen Gnaden . . . den zu Unserm Schloss und Festung Pleissenburg gehörigen, ohnweit des Petersthores . . . innerhalb der Stadt gelegenen, dermahlen mit Bäumen besezten . . . Platz . . . dergestalt erbund eigenthümlich, dass er auf diesem Raum ein Wohnhaus . . . nebst einem Gärtgen erbauen und anlegen, auch beydes . . , gegen alleinige Uebernehmung eines jährlichen Erb-Zinses an zehen Meissn. Gülden, nach Verfliessung sechs Frey-Jahre ... als sein wohl erlangtes Eigenthum nicht nur selbst besizen, nuzen und gebrauchen, sondern auch . . . auf seine Erben .... transferiren möge". Noch als Neunundfünfzigj ähriger hat er zum zweiten Male geheiratet und zwar am 11. Februar 1759 die Leipziger Kaufmannstochter Jungfrau Christiana Eleonora Adlerin. Auch diese Ehe blieb kinderlos. Am 10. Mai 1764 — wenige Monate vor seinem alten Gegner Gottsched, dessen Sturz er noch erlebte, ein Jahr bevor Goethe nach Leipzig kam— starb Henrici. Seine Grabschrift hat er sich selbst gesetzt : 1726 sagte er in einem Hochzeitsgedicht (Gedd. 2,240): „Schreibt, werd ich einst gestorben seyn, Auf die Beerdigung: Hier ist Picanders Leichen-Stein, Er war noch gut genung." Bas folgende meist nach Akten des Königlichen Hauptstaatsarchivs zu Bresden. ^) Gottschaldt, Lieder-Bemarquen 1748. — 65 — Damit hat er seinen Wert selbst am besten erkannt: Henricis relative Bedeutung besteht darin, dass er uns ein treuer Repräsentant des litterarischen Milieus der Zeit vor Gottsched ist, aus dem heraus die reformatorische Persönlichkeit Gottscheds sich erhebt. Dass Henricis natürliche Begabung zu etwas besserem nicht unbefähigt war, erkannte schon Steinauer (a. a. 0.) mit den Worten an : „Ich beklage in der That das Schicksal dieses sonst lebhaften Eopfes^^ £inen Beweis dafür wird uns die Betrachtung seiner dramatischen Thätigkeit liefern.

 

— 66 IL Henrici als Dramatiker L Vorbemerkungen. a. Das deutsche Lustspiel vor Henrici^). Gryphius ist der erste deutsche Kunstdramatiker, dem mit seinem schlesischen Bauernstücke „Die geübte Dornrose" (1660) ein frisches realistisches Bild aus dem Leben gelingt. Er überliefert zugleich in dem lebendigen und raschen Dialog seinen Nachfolgern ein wertvolles Gut. Von diesen ist die hervorragendste Erscheinung Christian Weise ^. Als Zittauer Rektor erhob er das alte Schuldrama, das wesentlich paedagogisch war, ohne diesen paedagogischen Zweck aus den Augen zu verlieren, allmählich fortschreitend zur Darstellung des realen Lebens und lieferte in seinen letzten Stücken die ersten Beispiele des rein bürgerlichen Schauspiels (Liebesalliance 1703; Verfolgter Lateiner 1695). In drei Gattungen zerfallen seine Stücke: Biblische, historische und frei erfundene, und diese letzten besonders sind es, die bedeutsam werden. — Er hebt überall — ein Vorläufer Gottscheds — das Gesetz der Nachahmung der Natur hervor: die Comödien haben den Nutzen, sagt er in der Vorrede zur Liebes-Alliance, „dass junge Leute mit guter bequemlichkeit einen Blick in das gemeine Leben thun"; darum verwirft er, wie Gottsched, das Verslustspiel: „denn ich finde keinen casum im menschlichen Leben, da die Leute mit einander Verse machen"; deswegen verlangt er in der Sprache „gemeine Expression, gewöhnliche pronunciation und freimüthige Gelassenheit.*' Er tritt energisch für den Dialekt ein : „Ein Cavallier, ein fürnehmes Frauenzimmer, ein liederlicher Kerl, ein gemeiner Mann, ein Bauer, ein Jude muss den accent führen, wie er im Vgl. Schienther, Frau Gottsched und die bürgerliche Komödie 1886. — Creizenach, Zur Entstehungsgeschichte des neueren deutschen Lustspiels 1879. ^) Vgl. Palm, Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur. 1877. S. 1 ff. ^ L. Fulda, Eiul. zu Band 89 von Kürschners Deutscher NationalJiitteratnr. ^

 

— 67 — gemeinen Leben angetroffen wird." Mit denselben Gründen verteidigt er auch — hier ist er viel vernünftiger als Gottsched — die komische Figur und sucht sie, indem er ihr den Rang der ^^allgemeinen satyrischen Inclination'^ anweist, über den gemeinen Possenreisser zu erheben. Freilich bleiben seine Stücke selbst hinter diesen theoretischen Forderungen zum Teil zurück. Er betont oft den paedagogischen Zweck seiner Spiele (z. B. Vorrede zum „Zittauischen Theatrum"), die er nur aus dieser Absicht heraus „mit unvergleichlicher Gedult" schreibt ; denn im übrigen hält er sie für ^,Eitelkeit". Die Regeln der Tugend und der Klugheit sollen in anmutigen Reden und Exempeln recommendirt werden ; aber nicht der moralische Zweck ist die Hauptsache, sondern der „politische"^): Die jungen Patriciersöhne sollen ihre Blödigkeit in „freyer und negligenter Action" ablegen (Vorr. zur Poetenzunft) und zu politen Weltmenschen erzogen werden, besonders auch in sprachlicher Hinsicht. Die Comödien sind „ein guter Weg zur galanten Manier in unsrer deutschen Sprache", hier wird „prudentia oratoria" gelernt. Daher ist es zu erklären, dass der Dialog bei Weise eine so kunstvolle rhetorische Ausbildung erfahren hat, die keineswegs der Forderung der „natürlichen Expression" entspricht. Alle oratorischen Motive sind hier vorhanden: ein ausgebreiteter Parallelismus der Sätze, Anaphern, Antithesen, Responsionen, Pointen und ein grosser Schematismus in der Aufeinanderfolge der Redenden. — Weises dramatische Technik ist ebenfalls nur halb. Er selbst sagt (Vorr. zur Comödien-Probe) : „Der ist der beste Künstler, der sich den nothwendigen Umständen nach an keine Regel bindet, und gleichwohl die besorglichen Absurdidäten zu vermeiden und zu verbergen weiss". Die Menge und Eile seiner Production thuen das ihrige: Einheit der Zeit und des Ortes kennt er nicht, meist fehlt überhaupt jede Angabe der Scene; die Einheit der Handlung wird oft durch Episoden unterbrochen. Auftreten und Abgehen der Personen geschieht willkürlich und unmotiviert. Die Personenzahl der Komödien leidet fast stets an einer Hypertrophie, die Weise selbst schmerzlich fühlt (Vorr. zur Comödien-Probe; Vorr. zu Lust und Nutz der spielenden Jugend), die aber unvermeidlich war im Schuldrama. — So beschränkt sich Weise darauf, einen „schnellen Wechsel und das lebendige Spielen des Affekts, der die Curiosität immer in Atem halten müsse", zu fordern (Vorr. zu Lust und Nutz) und zu geben : „lustig und traurig, getrost und verzweifelt, verliebt und höhnisch, schrecklich und furchtsam, herrisch und knechtisch" solle der Affekt variiert werden, und in allen Scenen solle er „penetrant hervorspielen"; die Affekte müssen „wohl miteinander vermischt" werden, ein jeder einzelne „ohne allen Zwang und gleich») vgl. 0. Kämmel, Christian Weise 1897. --.

 

68 — dam in natürlicher Gestalt" dargestellt werden (Vorr. zu „Neue Proben von der vertrauten Redens-Kunst"). Ausserdem solle der Comödiensclireiber auf viele „inexspectata" hinarbeiten und Contrastscenen auf einander folgen lassen. In der That beruht Weises grösster Vorzug auf der ungemeinen Lebendigkeit seiner Stücke. Und wenn er hierbei oft derb wird, so hat er diese Derbheiten, die zur Charakterisierung nötig sind, selbst am besten verteidigt (Vorr. zu Lust und Nutz). Weises Stücke sind nach seinen eigenen Worten (Vorr, zur Comödien-Probe) „auff andern Theatris", natürlich Schulbühnen, vielmals wiederholt worden. Sie fanden auch Nachahmungen: so ist z.B. das 1701 in Leipzig erschienene Stück: „Der Schlimme Causenmacher" ganz in der Weisischen Art gedichtet, selbst die Personennamen sind von ihm entlehnt oder den seinigen nachgebildet. Eeuter, König, Henrici haben von Weise gelernt: erst von den Gottschedianem wurde er verurteilt. — Das eigentliche Theater aber eroberten diese Dramen nicht: hier herrschten noch die alten Volksdramen der englischen Comödianten, von denen Veiten noch zahlreiche Stücke aufführte, die Hauptund Staatsaction, z. T. nach spanischem Muster (vgl. Zfvergl. Lit.-Gesch. N. F. H, 165 ff 395 ff IV, 1 ff) und die Stegreifposse nach französisch-italienischem Vorbilde. Wichtig für das deutsche Theater wurden vor allem die Stücke des Th^ätre Italien, d. h. der italienischen Schauspielertruppe, die zuerst 1682 — 1697 in Paris im Hotel de Bourgogne ihre Vorstellungen gab. Gherardi hatte sie in sechs Bänden veröffentlicht^). Anfänglich italienische Stücke mit eingelegten französischen Scenen wurden sie immer mehr rein französische Possen, die von verschiedenen Verfassern herrührten. Meist dreiaktig sind sie ausserordentlich tolle Schwanke, die durchgehends mit stehenden Figuren und dem Verkleidungsmotiv arbeiten. Sie bieten eine unerschöpfliche Fülle von „Lazzi", die das deutsche Theater von Stranitzky^ bis Lessing*) weidlich ausgebeutet hat, trotzdem Gottsched mit Boileau sagte: Laissons ä Tltalie De tous ces faux brillans L'6clatante folie". Wie Ekhof 1765 an Löwen berichtet*), bestritt Veiten aus diesem Theater fast sein ganzes Repertoire, indem er seine Schwankmotive extemporierend ausführte. Und „dieser Geschmack hat bey den nachfolgenden Gesellschaften die Oberhand behalten . . . weswegen man in den mittleren Zeiten (1700 — 1730) von französischen Uebersetzungen bis zur Neuberin gar keinen Ge>) Le Th^ätre Italien de Gherardi. 6 Tom. Amsterdam 1721 (5. Ausgabe). Band 3 eitlere ich nach der Ausgabe von 1717. •) vgl. R. M. Werner, Wiener Neudrucke Band 10. 3) vgl. Albrecht, Leszings Plagiate 1888 ff. *) Löwen, Schriften 4, p. Iß ff. — Reichard, Theatenoumal (1781) p. 74 ff.

 

— 69 — brauch mehr gemacht hat".^) — Speciell für Leipzig ist uns die erste französische Komödie für das Jahr 1699 bezeugt (Blümner, Geschichte des Theaters in Leipzig. S. 37). Der Einfluss des Th^ätre italien tritt uns überall entgegen. Am wenigsten noch bei Eeuter, der von Weise und Moli^re^) abhängig ist. Eeuter ist der erste, der die Komödie zu persönlicher Satire in Anspruch nimmt: seine zwei Stücke von der Ehrlichen Frau sind Pasquille auf eine bestimmte Leipziger Familie^; ähnlich ist es mit seinem „Graf Ehrenfried". Für Stranitzky (OUa potrida 1711) ist das Th6ätre italien aber eine Hauptquelle, und Stranitzkys Scherze wieder waren für die deutschen Schauspieler eine viel benutzte Fundgrube. Auch bei dem unmittelbaren Vorgänger Henricis, Johann Ulrich von König, ist das Th6ätre italien in seinen Einwirkungen noch leicht erkennbar, besonders in den kleinen Nachkomödien. König hatte 1724 seinen „Geduldigen Sokrates" und das Nachspiel „Der Dresdener Frauen Schlendrian" aufführen lassen, 1725 sein Singspiel „Die verkehrte Welt.'* König suchte hierin den sprachlichen Geschmack zu heben und fand dafür Anerkennung bei Gottsched. Königs Frauenschlendrian ist in seiner Satire nicht pasquillarisch wie Reuters Stücke, aber von ausgesprochener Localfarbe. b. Gottscheds und Henricis Theorie. So dürftig war der Bestand des deutschen Lustspiels, als Gottsched und Henrici beide sich mit ihm zu beschäftigen begannen, der eine kritisch, der andere productiv. Gottscheds Komödientheorie war damals noch nicht ausgebildet, sie war vorläufig nur negierend. Doch hatte er schon im 17. Stück der Tadlerinnen (25. Apr. 1725) die Grundlinien gezogen. Dort fordert . er, dass die Komödie die Laster und üblen Gewohnheiten der Menschen lächerlich mache und durch deren lebhafte Vorstellung die damit behafteten Zuschauer veranlasse, sich ihrer zu entledigen: also „corriger les hommes en les rendant ridicules". Die Komödie solle den Sittenlehrer vertreten ; besonders sollten die Dichter danach streben 1.) nur solche Laster abzuschildern, die im gemeinen Leben unter Leuten von allerlei Ständen häufig vorzukommen pflegen; 2.) unnötige Verwirrungen zu vermeiden, vor allem Verkleidungen, Ermordungen, Auswechslungen u. s. w. : „Dahin gehören die Vorstellungen des Affekts der Liebe, die man insgemein so unsinnig werden und so heftig rasen lässt, als gottlob nirgends unter uns geschiehet". 3.) in 1) vgl. J. B. Mencke, De charlataneria Eruditorum. Lps. MDOCXV. p. 8. 3) Seit 1670 in Uebersetzungen bekannt. Creizenach, a. a. 0. S. 4 f. *> vgl. Zarncke, Christian Beuter 1884.

 

-70 — jedem Schauspiele nur ein Laster vorzustellen, und zwar mit der Strafe am Schluss. Nach diesen Grundsätzen hielt er dann Musterung: Im 44. Stück der Tadlerinnen (31. Oct. 1725) berichtet er als Logophilus über seinen Besuch der Leipziger Komödie. Er lobt die Schauspieler^) und teilt die aufgeführten Stücke in 3 Klassen 2): 1 ) ,, Etliche sind . . nach dem läppischen und fantastischen Geschmacke der Italiener eingerichtet. Scaramutze und Harlequin sind mit ihren Possen allezeit die Hauptpersonen darinnen und diese verletzen mit ihren zweydeutigen Zoten alle Regeln der Sittsamkeit und Ehrbarkeit.'^ 2.) Andre hingegen sind ganz spanisch, und gehen auf Stelzen. Alle Gespräche und Redensarten sind so hochtrabend, dass sie alle gesunde Vernunft übersteigen". Die 3. Gattung bilden einige lobenswerthe Stücke; Pradons Eegulus, Königs Verkehrte Welt und das „Gespräch im Reiche der Todten" (s. oben S. 58). Um dieselbe Zeit versucht Henrici seine drei Dramen am Leipziger Theater anzubringen; er selbst sagt (Im Vorbericht), er habe sie „anfangs nicht zum öffentlichen Druck, sondern zum Dienst, und nach dem Geschmack des hiesigen Schau-Plazes, und deren Zuschauer abgezielt." Und in der That; die 3 Gattungen, die Gottsched unterscheidet, kehren in den 3 Dramen Henricis sehr deutlich wieder. Die „Weiberprobe" ist ganz im Geschmack des Th6ätre Italien, der „Säuifer" zum grossen Teile im spanischen Genre und der „Akademische Schlendrian" im wesentlichen in der Manier Königs, wie sich, im Einzelnen noch weiter zeigen wird. Schon daraus geht hervor, dass Henricis Dramen keinen einheitlichen Kunststil besitzen. Sie sind Producte einer Uebergangszeit und durchaus unoriginell: allen gemeinsam ist eine starke Abhängigkeit von Weise in Motiven und in scenischer Gestaltung; auch der Einfluss des Theätre Italien ist überall, wenn auch ungleichmässig, vorhanden. Daneben sind im Einzelnen allerlei andere Einwirkungen zu constatieren : Henrici selbst erinnert im Vorbericht nicht unpassend daran, dass er „die alte und neue Comödien-Schreiber zu seinen Vorgängern habe." Von einer bewussten Kunsttheorie ist nicht die Rede, es sind wildgewachsene Pflanzen: Henrici sagt selbst, er habe es „vor nüzlich befanden, die Regeln der Kunst nicht so genau, als wohl billig, in acht zu nehmen", und er beruft sich dafür auf Lope de Vegas Gedicht „Arte nuevo de hazer comedias en este tempo". Lope de Vega hatte hierin (1609) das spanische Drama von den antiken Kunstregeln befreit, um Naturwahrheit und modernen Geist zur Geltung zu bringen 3) : er verlangte nur Schilderung von Menschen und Sitten, Einheit der Charaktere *) Es war die Truppe der Witwe Joh. Casp. Haackes. vgl. Wustmann, Quellen zur Geschichte Leipzigs I, 483 f. ^) vgl. auch die Vorrede zu seinem Gate (1732). 3) vgl. Prölss, Geschichte des Neueren Dramas 1, 276 ff.

 

— 71 — und Einheit der Handlung. — Diese volkstümliche, regelfreie, schon von Weise geübte Kunst ist auch bei Henrici durchaus vorhanden. Das musste Gottsched missfallen, und nicht nur das. Henrici ist auch als Dramatiker durchaus Satiriker: ,,eine Comödie und ein Stachelgedichte sind Kinder einerley Mutter*', sagt er im Vorbericht, und er schmeichelt sich, in seinen Dramen „Zucker und Pfeffer nicht gespart zu haben", und verteidigt weitläufig die Berechtigung der dramatischen Satire; allein von einer moralischen Absicht der Satire kann man höchstens beim „Säuffer^* reden: hier erscheint in der That am Ende des Stückes das Laster bestraft, ja vielleicht sogar gebessert Die Bestrafung der ehebrecherischen Paare in der Weiberprobe kann kaum moralisch wirken: sind doch die Ehemänner nicht besser als ihre Frauen gewesen. Der Akademische Schlendrian vollends endet mit dem Triumph der schlauen Schlechtigkeit über die dumme: eine ehrliche Person kommt im ganzen Stücke nicht vor. Gottscheds Forderungen sind also auch in dieser Beziehung nicht erfüllt Freilich versucht Henrici in seinem Vorbericht an die Leser, seine Stücke mit Gründen zu verteidigen, die ganz Gottschedisch klingen. Er nimmt als seine Absicht „die Verbesserung der herrschenden Schwachheiten" in Anspruch; er ver>drft die Hauptund Staatsactionen und sagt ganz «wie Gottsched, dass die „lediglichen Liebesverwirrungen mehr in eine Opera und Trauerspiel als in eine Comödie gehören"; die Laster zu tadeln sei sein Hauptzweck, die Liebe könne man nur zu „Neben-Ümständen" verwenden. Er setzt, wie Gottsched, Komödiendichter und Prediger in Parallele ; er betont auch ganz besonders sein Streben nach Reinheit der Sprache. Aber diesen theoretischen Aufetellungen schlagen die Stücke selbst nur zu oft ins Gesicht. Nimmt man dazu die sittliche Unreinheit, die die Stücke auszeichnet, so begreift man, dass Gottsched sich mit ihnen nicht befreunden konnte. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass, als Henrici den „Akademischen Schlendrian" 1725 an der Leipziger Bühne zur Aufführutig zu bringen suchte, Gottsched es war, der die Ablehnung veranlasste^). Keinesfalls übte er damals schon einen bestimmenden Einfluss auf das Repertoire aus. Der Grund der Ablehnung ist vielmehr anderswo zu suchen. Henrici drückt sich allerdings stets sehr geheimnisvoll über den Punkt aus. Im Vorbericht an die Leser verwahrt er sich mit Entschiedenheit gegen die Unterstellung, „als ob alle seine Satyren aus lebendigen Exempeln bestünden"; wenn man seine Satire so auslege, so sei es nicht seine Schuld; „dieses habe ich absonderlich mit Schmerzen erfahren, da der Academische Schlendrian auf hiesigen Schau-Plaze sollte aufgeführet werden. Ein zur Zeit mir *) Wie Waniek, a. a. 0. S. 107 meint; vgl. Eugen Wolff, ZfdPh. 31, p. 112.

 

— 72 — noch dunkel seyn wollendes Schicksal verhinderte das ganze Vorhaben, und meine unschuldige und löbliche Absicht wurde vor der Zeit sehr unrecht angesehen. Aber mein gutes Gewissen hat endlich gewiesen, dass ich gerechte Sache, und alle Muthmassungen falschen Grund haben". Er erbietet sich schliesslich, „alle Zeilen und Worte, so er iemahls geschrieben und noch schreiben werde, mit dem allerschärffsten Eyd-Schwure zu betheuren, dass er mit seinem Wissen und Willen niemandes Ehre zu verlezen iemahls gesonnen, auch keinen insonderheit durch die Vorstellung einer und der andern Schwachheit gemeynet" u. s. w. Der Zusammenhang zeigt deutlich, dass der Grund der Zurückweisung kein künstlerischer, auch kein moralischer war. Sondern man argwöhnte in den satirischen Schilderungen persönliche Pasquille, wie sie etwa die Reuterschen Stücke enthielten: inwieweit Henricis Ableugnung berechtigt war, darüber unten. Die drei Stücke erschienen zuerst Ende 1725 einzeln, ohne Ort und Firma. Dann liess sie Henrici 1726^) zusammengebunden als „Picanders Teutsche Schau-Spiele, bestehend in dem Academischen Schlendrian Ertztsäuffer^) und der Weiber-Probe, zur Erbauung und Ergötzung des Gemüths entworffen. Auff Kosten des Autoris. Berlin, Frankfurth und Hamburg 1726" erscheinen. Gewidmet' sind „die Erstlinge seiner Theatralischen Arbeit" „dem schönen Geschlechte", das Picander um Verzeihung wegen früherer Angriffe bittet, und dem er seine Aufrichtigkeit und „allerslnnlichste Verehrung" beteuert — 2. Akademischer Schlendrian.^) a. Inhalt* Mr. Galanthomme, der echte Typus des Leipziger Studenten, sitzt in der tiefsten Misere und macht trostlos verzweifelte Zukunftspläne; sein Diener Harlequin liest ihm die Moral, hat aber schliesslich Erbarmen mit der pecuniären und geistigen Hilflosigkeit seines Herrn und verspricht ihm kraft seines Genies wieder auf die Beine zu helfen. Sie schlängeln sich in die Familie des reichen Leipziger Kaufherrn Vielgeld ein: der Mann ist alt und kalt, die Frau jung ^) Die Widmung ist datiert: „Leipzig. Neu Jahr-Markt 1726**. 2) Der Titel vor dem Stück selbst lautet nur „Der Sänffer'*. ^) Das Blatt des Einzeltitels fehlt in dem Exemplare der Stadtbibl. zu Leipzig. Der Knpferstich stellt das Innere eines Hauses dar, man sieht zwei durch eine Wand mit Thür getrennte Stuben; in der linken ein Mann auf einem Stuhl, neben ihm ein junges Mädchen weinend an der Thttr; in der rechten eine jnnge Frau, die ihrem Manne ein Geweih aufsetzt, hinter ihnen der Galan halb bintqr einem Wandbild hervortretend. Ueber dem Hause ein Spruchband: „So geht es alle Tage**.

 

— 73 — und weltfroh, unbefriedigt von ihrer Ehe, lässt den Haushalt und die Kindererziehung durch freche Dienstboten und gewissenlose Informatoren verlottern. Ausserdem ist noch eine junge Nichte, Carolingen, vorhanden, eine echte höhere Tochter, die Ciavier spielt. Französisch kann, soweit es nötig ist, und Verse macht. — Sie finden Carolingen schon von Galanthommes Herzbruder Jolie mit Beschlag belegt; aber Frau Yielgeld ist so zuvorkommend gegen Galanthomme, dass er zufrieden sein kann. Die beiden jungen Herrn schneiden nun regelrechte Cour: Jolie poussiert= Carolingens Hund, um sich Liebkind zu machen, und Galanthomme geht dem argwöhnischen Ehemann um den Bart. Harlequin, als erfahrener Diplomat, sucht Liessgen, Frau Vielgelds Jungemagd, für seines Herrn Sache zu gewinnen, und diese eröffnet die günstigsten Prospecte. Während hier alles nach Wunsch geht, fällt der lächerliche Geck Capriol, der ebenfalls in Frau Vielgeld verliebt ist und von seinem Diener Peter souverän genasführt wird, mit seiner Werbung um Liessgens Fürsprecherschaft blamabel ab. Aber auch Liessgen hat Unglück : Frau Vielgeld entdeckt ihre Durchstechereien mit dem Informator Donat, und so wird das „liebe Donatgen" von ihr in einer Laune sittlicher Entrüstung fortgejagt. Liessgen selbst muss sie behalten : sie weiss zu viel. Frau Vielgelds Verkehr mit den Studenten ist unterdessen ruchbar geworden. Der alte Stockblind, ihr Vater, richtet salbungsvoUe Ermahnungen an sie, die aber keinen Eindruck machen. Frau Vielgeld hat sich an Galanthomme ganz und schrankenlos verloren und gegenüber Carolingen, die für Jolie schwärmt, weil er ihren Hund geküsst hat, giebt sie ihrer Leidenschaft ungehemmten Ausdruck. Galanthomme und Jolie aber freuen sich faunisch über die Dummheit der Weiber, die alles glauben, und gestehen sich offen die Absicht, die beiden Verliebten auszubeutein, so gut es geht. Aber Herr Vielgeld hat Unrat gewittert : erregt macht er Galanthomme Vorwürfe, dass er seine Ehemannsehre mit Füssen trete. Galanthomme weiss erst geschickt den Entrüsteten zu spielen verspricht aber schliesslich aus der Rolle fallend, dass er Vielgelds Haus nie wieder betreten wolle. Vielgeld ist beruhigt Da bringt aber Harlequin die ins Stocken geratene Sache wieder in Fluss: den mutlosen Galanthomme stellt er wieder auf seine Beine und überbringt ihm von Frau Vielgeld Versicherungen der Liebe und Dukaten. Er selbst einigt sich mit seinem Eivalen Peter dahin, in dem Liebesdienst bei Liessgen Tag für Tag abzuwechseln, was durch eine Prügelei bekräftigt wird, bei der der auf dem Umzug begriffene Donat die Hauptkosten trägt. — Frau Vielgeld hat inzwischen die Offensive ergriffen und mit Carolingen und Galanthomme — man vermisst Jolie — ein Rendezvous auf einem Bauemgute arrangiert, wohin sie sie unter dem Vorwand einer Kindtaufe eingeladen hat. Während man hier Gevatter steht, versucht Harlequin

 

— 74 — bei Liessgen sein Glück, fällt aber ab und weiss nichts besseres zu thun, als seine gekränkten Gefühle an einem einfältigen Bauern auszulassen, dem er Hühner, Geld und Kleidung abnimmt Plötzlich erscheint in eifersüchtiger Wut Herr Vielgeld, der von dem Stelldichein Kunde erhalten hat, um das Pärchen in flagranti zu ertappen. Harlequin verrät in komischer Dummheit das Nest — aber die Vögel sind schon weggeflogen. — Nachdem Harlequin bei Liessgen kein Glück gemacht hat, versucht es Peter: er bringt der Angebeteten eine Serenade und girrt ein Lied zur Violine ; zugleich aber erscheint auch Jolie mit einer Compagnie Musicanten, um Carolingen eine nicht minder gefühlvolle Arie darzubringen. Dieses Doppelabendconcert erregt aber die Galle eines Hausbewohners: ein herabgegossner Geschirrinhalt zerstört alle Eomantik und führt dazu, dass die begossenen Musicanten sämtliche Fensterscheiben einwerfen. — Herr Vielgeld ist bei seinem missglückten Ueberraschungsversuch von dem Gutsbesitzer verprügelt worden : Galanthomme ist darüber wieder zaghaft geworden, sodass Harlequin ihm wieder Mut einblasen muss. Frau Vielgeld hat Galanthomme auf den Abend an die Hausthür bestellt, um ihm ein Geschenk zuzustecken. Auch Liessgen hat ihr Donatgen zu gleichem Zwecke bestellt; in der Dunkelheit kommt es, wie es kommen muss : Harlequin ei-wischt die für Donat bestimmte Bouteille Wein und Donat den für Galanthomme bestimmten Korb mit Kleidern und Geld; beide merken das Quiproquo^), da sie aber nur dabei gewinnen, lassen sie es sich gefallen. Nachdem sich inzwischen Capriol noch einmal im Glänze seiner Dummheit gezeigt hat und von Peter um einen Gulden geprellt worden ist, erscheint Galanthomme, um sein Praesent in Empfang zu nehmen, findet aber verschlossene Thüren und muss mit leeren Händen abziehen. (Frau Vielgeld wird uns noch mit zwei andern Frauen in einer Wochenstubengesellschaft vorgeführt). — Carolingen ist unterdessen an Jolies Treue zweifelhaft geworden : sie hat einen Brief gefunden von Jolies Vater an Jolie, worin dieser aufgefordert wird, schleunigst nach Hause zu kommen und sich dort mit einer reichen Doktorstochter zu verheiraten. Carolingen ist ausser sich; sie fürchtet ihn zu verlieren, aber Jolies glatter Eede gelingt es, sie wieder zu beruhigen. Auch Frau Vielgeld ist in Nöten: ihr Mann liegt von den Prügeln her todkrank darnieder, und nun hat sie Angst, dass Galanthomme sie nach dem Tode ihres Mannes sitzen lassen werde. Sie sucht ihn auf, überschüttet ihn mit Zärtlichkeiten, er aber weist kalt auf seine Behandlung am vorigen Abend hin und giebt ihr ihre 50 Liebesbriefe zurück — für jeden einen Thaler verlangend. Zum Glück kommt Harlequin dazu mit einem Briefe Donats ^) dessen Situationskomik darin liegt, dass die Frauen gerade die von ihnen Verschmähten oder Verjagten beschenken.

 

— 75 — an Galanthomme; worin Donat mit höhnischen Worten sich für das Galanthomme Zugedachte bedankt. Frau Vielgeld ist nun wieder bei Galanthomme rehabilitiert, der Donat Rache schwört: beide wünschen, dass Herr Vielgeld bald sterben möge, und Harlequin hat für diesen Fall bereits eine Vertuschung bereit. Da aber zerstört Liessgen alle frommen Hoffnungen mit der Meldung, Herr Vielgeld sei wieder munter und gesund. Nun jagen sich die Ereignisse. Galanthomme hat Donat auf der Strasse niedergestochen und ist entwischt; der ewige Pechmeier Capriol, der schon von einer Heirat mit Frau Vielgeld phantasiert, obwohl sie beide noch kein Wort mit einander geredet haben, wird statt Galanthommes von der Wache als Mörder arretiert. Galanthomme wird der Boden zu heiss. Mit Frau Vielgeld, die ihrem Manne mit der Kasse durchgebrannt ist, reist er ab, indem er Harlequin zurücklässt, damit er Capriol aus der Klemme rette. Auch Jolie ist abgereist, und Carolingen, der er ein unliebsames Andenken zurückgelassen hat, ist rasend; doch Liessgen hat Routine in solchen Sachen und wird ihr helfen. Zum Schluss erscheinen die beiden Jammergestalten Stockblind und Vielgeld; so peinlich ihnen das Durchbrennen des Pärchens ist, so wollen sie doch, um einen Scandal zu vermeiden, alles schweigend erdulden, wenn nur Frau Vielgöld wieder käme. Und das geschieht denn bald. Harlequin kommt mit einem Briefe Galanthommes, den dieser eben aus Tripstrille gesandt hat: nachdem ihm Frau Vielgeld die Kasse übergeben habe, habe er die Frau selbst nicht mehr nötig; da sie kein Geld zur Rückreise habe, solle Herr Vielgeld sie abholen! Und Harlequin meint zum Beschluss: „Ja, ja, wie wir es treiben so gehts, es ist so der gemeine Schlendrian". b. Motive und Charaktere. Frauen und Studenten waren die Objecte der Picanderschen Journalsatire: Frauen und Studenten sind auch die Träger der Handlung und der Satire im Schlendrian. — Das alte Schwankmotiv der Ueberlegenheit des studentischen Genies über das geprellte Frauenzimmer war in der letzten Vergangenheit zweimal in verschiedener Weise dramatisch behandelt worden. Der tolle Student Christian Reuter hatte 1695 aus persönlicher Rachsucht die „Honnete Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissine" geschrieben und den Leipziger Studiosis gewidmet. Er hatte darin frisch und frech geschildert, wie die beiden Leipziger Studenten Edward und Fidele an den verkommenen Töchtern der „ehrlichen" Frau Schlampampe, Charlotte und Clarille, sich mit einem bösen Streiche für ihre Missachtung rächen. Im folgenden Jahre (1696) hatte mit ganz anderer Absicht Christian

 

— 76 — Weise seinen „Verfolgten Lateiner" herausgegeben. Hier heissen die beiden findigen Studenten Balduin und Donat : sie spielen den beiden kleinstädtischen Gänschen Urselchen und Villenchen denselben Possen wie bei Reuter^), nur dass der Ausgang hier erfreulicher ist und es zu einer Heirat kommt Picanders Akademischer Schlendrian hat mit dem Reuterschen und dem Weisischen Stücke das Grundthema gemeinsam : Bei Weise kapern sich die beiden Glücksritter trotz aller Intriguen die beiden Jungfern und beweisen so ihre Ueberlegenheit ; bei Reuter sagt die alte Camille am Anfang von ,,La Maladie et la mort de Thonnete Femme, das ist: der ehrlichen Frau Schlampampe Kranckheit und Tod" (1696) mit Bezug auf den Inhalt des ersten Stückes: „Ja man verwirre sich nur mit den Studenten, ich wollte lieber mit dem Hencker zu thun haben, als solchen Leuten was in den Weg legen" .... „es lässt sich . . . kein Studente gerne von einem Frauen-Zimmer verachten, und wenn er auch kein Hembd da auff dem Leibe hätte, so will er doch so wohl respectiret seyn, als der vornehmste Stutzer"; und ganz ähnlich fasst Liessgen nach verlorner Schlacht das fabula docet resigniert zusammen (A. Seh. 5 a. E.) : „So gehts. Traut doch mein Lebtage keinem Studenten nicht"^). Für die Schilderung des eigentlichen Schlendrians gab es andere Vorbilder: Das Studentenleben war seit alters ein dankbarer Gegenstand des Dramas gewesen, über dessen Entwicklung man Erich Schmidt, Die Komödien vom Studentenleben (Leipzig 1880) vergleiche. Die wichtigsten Erzeugnisse sind Christoph Stymmels Studentes, Comoedia de vita studiosorum (1549), worin zwei Studenten im Saufund Liebesleben versinken, schliesslich aber sich wieder emporraffen; Albert Wichgrevs Cornelius Relegatus (3. A. Lipsiae 1602), worin Cornelius im Studentenschlendrian moralisch zu Grunde geht; endlich Schochs Comödia vom Studentenleben (1657 u. ö.), worin der eine Student verdirbt, der andere gerettet wird. In allen drei Stücken waren Saufen, Raufen und Lieben die ausführlich geschilderten Seiten des akademischen Schlendrians: Henrici hat diese auf zwei seiner Stücke verteilt und im Akademischen Schlendrian die Liebeslumperei, im Säuffer das Trinklaster dargestellt. Der Unterschied ist nur, dass, während Stymmel und Wichgrev moralisch wirken wollten, Schoch einfach schildern, Henrici stark satirisch das Studentenleben kritisiert Wie einmal gelegentlich Pickelhäring bei Schoch von den Leipziger Studenten Nämlich den Verkleidungsstreich, der aus Molieres Pr^cieuses Ridicules stammt; vgl. Ellinger, Hall. Neudruck 90 und 91. S. XI. ^) Das scheint sprichwörtlich gewesen zu sein: In Schochs Comödia vom Studentenlebeu (1657) sagt Pickelhering 1,5 ad spectatores: „Da sehet ihrs, ihr Jungfern, wie es hergehet, trauet bey Leibe jo keinem Studenten, wenn er gleich schwüre, dass ihm die Augen bluteten" etc. Vgl. noch A. Seh. 2,6 und Picanders Gedd. 2/263.

 

— 77 — sagt: „Studenten, Sind das nicht Caldannen-Schluckers? Seind es nicht Kerl, sie gehen stralf gebutzt ; so Pflastertreter, die den gantzen Tag müssig und schlinckelieren gehen, die da immer Schreyen Hop! hop! he! Wetz! wetz! ha! ha! seind das Studenten?", so spricht sich Harlequin mehrfach aus: 3,3 meint er z. B.: „Bald möchte ich auch ein Studente werden. Warum nicht? Da gehört wohl eine schlechte Kunst dazu. Den Degen wüste ich endlich wohl noch anzustecken, den Hut die qvere zu sezen, eine Pfeiffe Cnaster zu rauchen, L'ombre zu spielen, Merseburger zu trincken, die Gläser zu schrauben, mit dem Degen zu wezen, desperat zu thun, Menscher beschlaffen, Schulden zu machen, und nicht zu bezahlen, dem Frauenzimmer Ständgen zu bringen, schöne Kleider zu schencken, und was mehr zu denen Studenten gehöret." Einzelnes von dem, was hier Harlequin den Leipziger Studenten vorwirft, passt allerdings in seiner Eohheit mehr auf die Jenaer: in dem 1725 auf dem Leipziger Theater gespielten „Gespräche im Eeiche der Todten" (vgl. Tadl. I, 44) ist der Vertreter Jenas ein „Schläger'^ und heisst Ungestüm, der Leipzigs aber ein „galanthomme" Zuallemgut; in den Tadlerinnen ü, 22 stellt Gottsched die vier Universitäten Jena, Halle, Leipzig, Wittenberg in ihren Bewaffnungen gegenüber: der Jenaer hat ein „schwarzes eisernes Gefäss", der Leipziger einen „kleinen Galanteriedegen"; Picander selbst sagt (Gedd. 1,451) von den Leipziger Studenten, dass sie „Lombem, Toback rauchen, öffters Spaniel gebrauchen, tantzen, täglich Coffee trincken, und wie Bisam-Kätzgen stincken". Diesen wirksamen Gegensatz zwischen Jena und Leipzig, der schon in Menantes' Satjrrischem Roman (2. Edition, S. 50) scharf durchgeführt ist, der dann das Leitmotiv von ZachariäsEenommisten bildet, hat sich Henrici im Akademischen Schlendrian nicht entgehen lassen: Liessgen meint (1,2), sie habe vorher „auf einer benachbarten Universität gedienet", fühle sich aber hier in Leipzig bedeutend wohler. Dort hätten die Burschen sie angeschrien: „Dass euch der Donner und das Wetter erschlüge! Liese, puzt mir doch die Schuhe!", hier aber seien die Studenten ganz anders gewöhnt: „Jungfer Liessgen, seyn sie doch so gütig, und lassen mir ein Känngen Wasser zum Caffee übersezen!" — In der That sind die beiden Studenten im Akademischen Schlendrian weit mehr vom Schlage derer, die Liessgen rühmt, als derer, die Harlequin tadelt. Schon die Namen weisen darauf hin: Galanthomme und Jolie. Galanterie ist das gesellschaftliche Ideal jener Zeit, galant das Modewort.^) Galant ist keine Jungemagd, die nicht guten Kaffee zu kochen versteht (A. Seh. 1,3), und zu den Blaustrümpfen, die nicht wissen, was die französischen Actien bedeuten, sagt Frau Vielgeld: „Habt ihirs denn ^) Thomasius schon macht sich darüber lustig; vgl. Waldberg, Die galante Lyrik (1885) S. 1. — Siehe auch Tadl. I, 10.

 

— 78 — niemahls in Hübners Zeitungs-Lexico gelesen? Ihr Leute seyd auch gar nicht galant." (A. Seh. 4,6). Ein Galanthomme^) ist der vollkommene Lebemann, der polite Cavalier und channante Courtisan (Tadl. I, 10), der die äusseren Lebensformen beherrscht, alle Moden mitmacht, raucht, schnupft, Caffee trinkt, die Komödie besucht, schöne Kleider trägt, Schulden macht, die er nicht bezahlt, und, wenn er Student ist, ausserdem säuft und sich schlägt. Der Charaktertypus des Galanthommes war litterarisch öfters gezeichnet worden (z. B. Von Amaranthes in dessen Satiren); das unmittelbar anregende Vorbild für die zwei Picanderschen Galanthommes (denn auch Jolie ist einer) waren Gottscheds Tadlerinnen (I, 10). Sie geben zwei verschieden nuancirte Formen desselben Galanthomme-Typus : die zartere Art, Seladon, spielt Violdigamba und Ciavier, liest Hoffmannswaldau und Menantes; er liebt es zum Fenster hinauszusehen, macht sorgfältig Toilette und versteht sich auf Complimente und Eeverenzen; er dinirt bei einer Familie, wo ein „geduldiger Ehemann", eine „artige Frau" und eine „schöne Tochter" vorhanden sind, conversirt nach Weggang des Mannes mit dem Frauenzimmer beim Lombre und Caffee über Eomane und sagt ihm Flatterien; abends bringt er ihnen ein Ständchen. Die zweite Form repraesentiert der Herr von Eittersdorf: früh 5 Uhr geht er auf die Reitbahn, liest dann im Bette französische Romane und geht um 10 Uhr ins Caffeehaus zum Politisieren, um 11 Uhr auf den Fechtboden, von dort zum Diner ins Weinhaus, nachmittags zum Billard ins Caffeehaus, abends zum Schmaus, wo er sich einen Rausch holt ; dann randaliert er auf der Strasse und wetzt mit dem Degen. — Hierin erinnert sehr vieles an den A. Seh.; zunächst die Situation Seladons bei dem geduldigen Ehemann (Vielgeld!), der artigen Frau (Frau Vielgeld 1) und der schönen Tochter (Carolingen !), insbesondere die Unterhaltung beim Caffee (=A. Seh. 1,4). Wichtig aber ist vor allem, dass die beiden Typen Seladon und Herr von Rittersdorf in Jolie und Galanthomme fast unverfälscht wiederkehren: Jolie ist musicalisch (1,7), er sieht zum Fenster hinaus hinüber zur Nachbarin (1,6), er strotzt von Complimenten und Schmeicheleien gegen die Frauen (1,4 ff.), er bringt am Abend Carolingen ein Ständchen (1,7). Mit der Schilderung des Herrn von Rittersdorf aber vergleiche man, wie Harlequin 3,3 Galanthomme charakterisiert: „Manchmahl stund er doch früh auf, ging eine Stunde auf die Reitschule, von dar auf den Fechtboden, hernach auf das Caffeehauss, und ein Biliardgen gespielet (eventuell ins CoUeg, wo Unfug ge^) Thomasius Definition eines Galanthomme siehe bei Waldberg a. a. 0. S. 10, sein Treiben S. 15. — J. B. Mencke, De charlataneria Ernditorum(1715) tadelt ebenfalls die ,homines ad genium secnli compositi, quos galant-hommes lingua Gallica dicimus*'. Vgl. noch König, der Dresdener Frauen Schlendrian Scene 5.

 

— 79 — trieben wird) . . . Nachgehends zu Tische, von Tische auf den Tuchsteinkeller, von dar auf das Dorf, vom Dorfe wieder herein, auf den Grassen herumgegangen, und der erste Bekannte, der Licht auf der Stube hatte, ward beschmauset, auf der Gasse gewezet und geschrien" u. s. w.: also Zug für Zug der Herr von Eittersdorf. — Im Stücke ist Galanthomme als Charakter weit stärker betont als Jolie, analog dem Unterschied zwischen Frau Vielgeld und Carolingen. Natürlich sitzt er tief in Schulden, das ist Standespflicht (vgl. Biedermann I, 40. n, 52): bis auf die Tressen am Hut ist alles versetzt, und das Hemd hat er von Harlequin geborgt. Im Punkt der Ehre ist er empfindlich, und hitzig sticht er Donat auf offner Strasse nieder. Eigentümlich ist seinem nervösen Temperament eine psychologisch ganz gut zu motivierende Schwäche in den entscheidenden Augenblicken : gegenüber Vielgelds Vorwürfen braust er erst auf, dann aber verspricht er ihm, nicht mehr sein Haus betreten zu wollen; Harlequin sagt, er habe kein Herz im Leibe; auch vor dem Rendezvous ist er ängstlich und als Vielgeld todkrank liegt, fürchtet er die Entdeckung : „Was werden die Leute von mir sagen?" Doch immer gelingt es Harlequin leicht ihm Mut zu machen. — Jolie ist weit mehr girrender Seladon. Er zögert nicht Carolingens Hund zu küssen^), er singt sentimentale Arien und besänftigt die Eifersüchtige durch Schmeichelei und Liebkosung. Im Grunde haben beide über die Liebe dieselben Ansichten: Ausbeutelung der Weiber ist beiden Hauptzweck. Sie zählen sich gegenseitig mit grosser SelbstgefäUigeit ihre Schürzenstipendien auf; Galanthomme besonders wird von Frau Vielgeld mit „trostreichen" Geldbriefen überreichlich bedacht^). Beide lachen über die Dummheit der Frauenzimmer: Jolie meint: „es giebt doch noch barmherzige Dingergen, die sich behandeln lassen", und Galanthomme bemerkt cynisch: „Wer arbeitet, muss auch gelohnet kriegen". Auch sonst ist Galanthomme eine Nuance gemeiner als Jolie: er will die 50 Liebesbriefe nur gegen Baarzahlung ausliefern und prellt am Schlüsse die betrogene Frau noch um die Kasse, während Jolie sich mit treuloser Verlassung begnügt. Beide sind gleich virtuos in dem galanten Gespräch, in gedrechselten Complimenten über den schönen Garten und artigen Sätzchen über die schönen Insassinnen (vgl. den Spott von Menantes ^) Das Motiv schon bei Günther, a. a. 0. S. 431, und im 40. Stück von Steeles Tatler. 2) vgl. Menantes, Satyr. Eoman (2. Edit.) S. 42: „Ich weiss nicht was viele galante Kaufmanns-Frauen zu Lindenfeld vor eine Kunst besitzen, aus dem vermögensten Studenten da oft Stipendiaten zu machen, welches sonsten nur bedürftige sind.** — Gottsched führt im 2. Teil des Nöthigen Vorraths für 1750 an: ,Die Weiberstipendien, oder wohlfeile Wirthe der Studenten, ein Lustspiel. Gotha. S**.

 

— 80 — über die Complimentensncht der Leipziger Stndenten im Sat Born. (2. Edit.) S. 52 ff). Artig ist das Wort, das die Conversation beherrscht, und wie in La Coquette (Th^ätre italien Band III) Colombine zu Mezzetin sagt: „Ha, Monsienr qne vons dites les choses galamment'^, so bedeutet es in Frau Vielgelds Munde das höchste Lob, wenn sie sagt: „Sie können artig scherzen"^). Auch die gegenseitige Begrüssung der Studenten durch Kuss und die Anrede „Herzens-Brüdergen" zeugt von ihrer Kenntnis des Cavaliertones ; vgl. Weises Verfolgten Lateiner, wo die beiden sich „Monsieur Mon Fr^re" tituliren. Diesen beiden Virtuosen des akademischen Schlendrians hat Picander recht glücklich zwei contrastierende Studentenfiguren gegenübergestellt. Der eitle Capriol^), in vielen Zügen ein Ahnherr des Sylvan in Zachariäs Eenommisten, ist eine Caricatur des Seladontypus: wie dieser kleidet er sich vor dem Spiegel an, trainirt s|ch in Reverenzen und geht auf der Strasse mit der Tabaksdose in der Hand. Alle vier Wochen kehrt er eine Kleiderbürste entzwei, meint Peter 2,4. Er fühlt sich sehr beleidigt, als Liessgen die Echtheit seiner Waden anzweifelt. Er raucht nicht, um den Weibern nicht lästig zu fallen, und besucht den Tanzboden. Wenn er auf der Scene erscheint, so „cabriolirt, battirt und Msirt" er immer, wie Arlequin als Maitre k danser in L'op^ra de Campagne (Th. I. Band IV). Er glaubt, alle Frauen seien in ihn verliebt, hat angeblich immer ein Rendezvous (wie Herr von Windau in den Tadl. ü, 18) und redet viel von seinem exclusiven Geschmack. Dabei ist er aber rührend naiv und kindlich unbeholfen; er liebt Frau Vielgeld, hat aber nie ein Wort zu ihr geredet, sondern nur aus ihren „nachdencklichen Blicken" die Erwiderung seiner Gefühle gelesen und mit einer „zarten Gebehrdung seines Gesichts" geantwortet. Wie der Octave in Les deux Arlequins (Th. J. Band DI) ist er mit Trinkgeldern knickrig und fällt darum, wie dieser, bei den Zofen immer eclatant ab. — Daneben steht der verhungerte Donat^), der pedantische Informator der Kinder der Frau Vielgeld. Liessgen liebt ihn merkwürdig treu, und er lebt von Liessgens Küchenalmosen; sein Tod ist so jämmerlich, wie sein Leben. — Von Henricis Frauensatire, wie wir sie in seinen Journalen kennen gelernt haben, finden sich viele Motive wieder. Doch hat Henrici auch im Drama Vorgänger darin: Moliere und das Theätre Italien, Reuter und besonders den „Dressdner Frauen Schlendrian. ^) Galanterie= l'art d'exprimer joliment des sentiments et des idees; siehe Berblinger, Das Hotel Rambouillet. Berlin 1875. S. 25. (M^aldberg, a. a. 0. S. 12;. 2) Im Arlequin Misantrope (Th. J. (=Th6ätre Italien) Band VI) heisst ein Tanzmeister Mr. de la Cabriole. ') Name des einen Studenten in Weises Verfolgtem Lateiner!

 

— 81 — In einem Nachspiel Verfertiget von Herrn J. IT. von König^* (gedruckt 1742). Wie König die Dresdnerinnen, so nimmt Henrici die Leipzigerinnen aufs Korn. König schildert in dem kurzen und schwachen Einacter in der Frau Eechts und Links eine Dresdner „galante Witwe" mit mannigfachen Ausfällen auf allerlei Laster. Zu Henricis Frauenfiguren vergleiche man noch: Weise, Die drei ärgsten Erznarren (S. 214 des Hall. Neudrucks); Menantes, Sat. Eoman; Leipziger Spectateur; Gottscheds Tadlerinnen 1,8 und sonst; Picanders Gedd. 2,407, — Vielleicht unter dem Einflüsse von Moliöre und dem Th6ätre Italien, sicher aber dem der speciellen Leipziger Verhältnisse, tritt das Precieusentum stark hervor (vgl. Reuter, Ehrliche Frau 3,11). „Bald singen sie ein Lied, bald lesen sie Romane", sagt Picander Gedd. 1,365 von den Leipziger Jungfern: das erstere thut Carolingen 2,3; sie liest sogar ein eigenes Poem vor, über das Frau Vielgeld entzückt ist. Die Romane bilden einen der vielen Gesprächsstoffe der Wochenstubengesellschaft (4,6) : Der Leipziger Spectateur hatte sich im 5. Stück gegen das Lesen von Romainen, besonders der „Mexicanischen Reise-Beschreibungen", bei Frauen und Studenten gewandt. Wie Colombine in der „Cause des Femmes" (Th. J. ü) in der Scene sur les Romans die Romane der Scud6ry verspottet, so wissen Picanders Blaustrümpfe 20 deutsche Romane geläufig herzuzählen, meist von den damaligen Modedichtern Ziegler, Menantes und Talander (vgl. Günther a. a. 0. S. 170 und Neukirchs 5. Satire i. d, Gottschedschen Ausgabe); Frau Vielgeld meint von ihnen: „An den teutschen Romanen kan ich gar keinen Geschmack finden. Es ist lauter Einfalt, und gezwungen Zeug. Die Intrigven sind zu plump, und die Reden nicht zärtlich genug abgefasset .... Was Menantes und Talander geschrieben, mag noch so mit gehen, aber was Seladon, Salamintes, Ircander u. andere geschmieret, ist nicht werth, das maus lieset". Sie liest nur französische Romane. Der eine Blaustrumpf schwärmt für die eben aufgekommenen Robinsonaden (vgl. oben S. 36) und hat sich eine grosse Bibliothek derselben zugelegt Aber Frau Vielgeld verdammt auch diese in Grund und Boden. Man liest auch französische Zeitungen : freilich ist eine der Frauen so naiv, die französiscihen Aktien für eine Schnupftabakssorte zu halten, und Frau Vielgeld muss sie aus Hübners Zeitungs-Lexicon belehren. Als man über Ammen redet, wird von Frau Windmüllerin sofort die einschlägige Literatur citiert (ein 1724 erschienenes Werk des berühmten Arztes G. E. Stahl; vgl. Leipz. Zeit, von Gelehrten Sachen 1724. No. XXVL p. 254). — Natürlich besucht Frau Vielgeld auch die Comödie. Sie und Carolingen machen überhaupt alle galanten Lästerchen mit: sie trinken Caffee, sie rauchen sogar Tabak und spielen L'hombre: 1,4 constatiert man befriedigt, dass die Sitte des Tabakrauchens schon sehr verbreitet sei in der Damenwelt,

 

— 82 — genan wie im „Arlequin D6fenseur du beau sexe" (Th. J. V). Das Kartenspiel, von Philander in der 1. Satire und Amaranthes, auch in den Discursen der Mahlem (No. 15 des 1. Teils) durchgezogen, ist auch für die Precieusen des Th^ätre Italien, die Isabellen, eine „douce fondation": wie dort Bassette und Lansquenet, so ist hier das „Lomberspiel" unvermeidlich, das übrigens auch König im Frauenschlendrian heftig gegeisselt hatte. — Während bei alledem Carolingen immer noch ein relativ harmloser Backfisch bleibt, ist Frau Vielgeld mehr das emancipierte vorurteilslose „neue Weib". Schon vor dem Verhältnis zu Galanthomme ist sie ihrem Manne untreu gewesen; sie folgt zügellos ihren Leidenschaften und weiss das mit sophistischen Gründen zu rechtfertigen, Sie ist derselbe Charakter, wie die Colombine in der ernsten „Femme vang6e" (Th. J. n.): wie diese kümmert sie sich wenig um das Gerede der Leute. Colombine sagt: „Le monde a parl6 de tout temps et de tout temps on Ta laisse parier. Quoy! Parce que suis jeune, folastre, enjoü^e et que j'aime a voir compagnie, il faudra pour estre en bonne odeur parmy les vieilles Critiques de mon voisinage, que j'aye toujours quelqu'une de ces Anticailles-lä ä mes trousses? . . . Apres tout, pourquoy se rendre malheureux pour le Qu'en dira-t-on?". Und Frau Vielgeld: „Was gehen mich andere Leute an? ... Sie mögen reden, biss sie genug haben . . . Herr Vater, es ist meine Art so, dass ich lustig bin, und ungezwungen lebe." Darum macht auch der warnende Hinweis auf den Patrioten und die Tadlerinnen (siehe Seite 49) keinen Eindruck auf sie: sie lacht darüber und dreht sich auf dem Absätze herum: „Solche Leute sind nicht vermögend, über mich ein Einsehen zu haben." Ihre herrschende Leidenschaft ist Wollust (vgl. Frau WoUüstrin Tadl. 1,51), und sie benimmt sich so aggressiv gegen Galanthomme, dass dieser anfangs weit mehr Verführter, als Verführer ist. Es kitzelt sie, Carolingen gegenüber ihre Leidenschaft ungeniert zu verraten^). Galanthomme geht ihr über alles: „meine Sonne" redet sie ihn an, während ihr Mann der „alte Bärnheuter" und „Ehe-Krüppel" heisst. In Geschenken kann sie sich nicht genug thun; sie weiss, was Arlequin im „Defenseur du beau sexe" sagt: „L'art d'aimer c'est Part de donner" ; als Galanthomme für jeden der fünfzig Liebesbriefe, die sie an ihn geschrieben, einen Thaler fordert, giebt sie ihm eine Uhr, die weit mehr wert ist; sie hat ihm sogar ihr Silberzeug aufdrängen wollen. Um ihr Hauswesen kümmert sie sich nicht, die Köchin schaltet wie sie will. Nur für die Mode hat sie grosses Interesse, sie hält sich eine französische Modeagentin und lässt sich französische Die Seene hat Aehnlichkeit mit Heinrichs Julius von Braunschweig Bnhler und Buhlerin I, 2.

 

— 83 — Puppen kommen, bringt auch in der Wochenstube das Gespräch immer wieder auf die Mode. Sie schwärmt für das Galante und Artige und darum besonders für die Federhüte der adligen Studenten, ebenso wie Reuters Precieusen (Ehrl. Frau 3,7) ; vgl. auch die „Plumets" im Th. J. — Um so roher benimmt sie sich gegen ihr Gesinde, das sie oft wechselt; Liessgen wird von ihr mit den bösesten Schimpfworten belegt: ein beliebter aus Juvenal stammender Zug der Frauensatire, der sich bei Eachel, Philander, Musophilus, Hancke und im Patrioten (Ly 6) findet. — Für ihre Kinder, um die sie sich sonst nicht kümmert, zeigt sie eine unvernünftige Affenliebe, die nicht dulden will, dass Donat sie bestraft: auch das ein conventioneller Zug (vgl. z. B. Musophilus „Von denen allgemeinen Lastern der Weiber", a. a. 0.). — Auch Carolingens Figur hat viel traditionelles; in manchem erinnert sie an die precieusen Isabellen des Th. J. Im „L'empereur de la Lune" (Band I) schwärmt Isabelle im reinsten Precieusenstil: „Pour moy je suis teUement engou6e de vers, qu'un Poete me meneroit saus peine jusqu'aux fronti6res de la tendresse", und Carolingen meint von einem Lied: „Wenn mir das Mr. Jolie fürgesungen, so hätte ich ihm ein Küssgen unmöglich können abschlagen". Wie Isabelle in der „Pr6caution inutile" (Th, J. Band I) hat sie einen Hund in ihr Herz geschlossen. Ihre Erziehung ist die der Wandala im 8. Discours der Mahlern (1. Teil): Französisch, Klavier, deutsche Poesie nnd Tanz. Sie ist eine sonderbare Mischung von jüngferlicher Zimperlichkeit und Frühverdorbenheit. Diese Demi-Vierge weiss zwar nicht, was chatr^ heisst, redet aber andrerseits über die heikelsten Materien sehr einsichtig und sieht bewundernd zu der „vertrackten" Frau Vielgeld auf. Als richtiger Backfisch überträgt sie die Liebe zu ihrem Hündgen, von dem sie in den zärtlichsten Deminutiven redet, vertrauensselig auf Jolie; nach der treulosen Verlassung aber kreischt sie in gut beobachteter psychologischer Reihenfolge dem Verräter zuerst einen recht spanisch-lohensteinischen Fluch nach, rast dann auf dem Theater herum und endet schliesslich mit stillem Weinen. — Die WeibergeseUschaft am Wochenbett ist ein altes beliebtes Motiv der Satire und des Dramas. Von dem Werke des Antoine de la Salle „Les Quinze Joye de Mariage" (15. Jh.) war 1726 eine neue Ausgabe erschienen (vgl. Neue Zeitungen v. gelehrten Sachen 1726. 9. Dec): In der Tierce joye wird eine Wochenstubengesellschaft geschildert (Albrecht, Leszings Plagiate p. 610 f.); ebenso in den „Caquets de l'Accouchöe" von 1622 (Albrecht, a. a. 0. p. 606 f.), die Holberg, 'Barselstuen eller mulier puerpera benutzt*. Bei Günther ist die Wochenstube stehendes Requisit der Satire auf die Verläumdungssucht der Weiber; ebenso bei Musophilus. Auch der Patriot hatte im 5. und 27. Stück des 1. Jahrg. das Motiv benutzt; vgl. ferner 6*

 

— 84 — Pic. Gedd. 2, 128 und König, Frauenschl. Sc. 2^). — Die drei Klatschbasen (ausser Frau Vielgeld) sind nicht angeschickt auseinander gehalten. Die Hauptrednerin ist die Frau Windmüllerin, die sich „gottloss ärgern kann, wenn ein Mensch nicht nach der Mode zu leben weiss," eine Doktorsfirau, die ihren Mann stark unter dem Pantoffel hat und etwas protzt Die Wöchnerin ist dagegen timid und ungebildet, aber dummstolz auf ihr Kind und eifersüchtig auf ihre Jungemagd; in der Mitte steht die Frau Wohlgemuthin, die richtige Tratsche ; sie ist auch die Liebhaberin der Robinsonaden. Der Klatschbasenton ist gut getroffen; bezeichnend ist z. B. die häufige Anwendung der Worte „allemahl" und „immer". Der üebergang von einem Thema zum andern geschieht möglichst unlogisch sprunghaft und sehr häufig. Hierin, sowie in dem stofflichen Inhalte hat wohl die Klatschgesellschaft der neun Weiber in Weises Liebesalliance 3,18 eingewirkt: die lieben Kinder, die schlechten Männer und die bösen Dienstboten, dazu die Nachbarn und Bekannten, die Mode und die Litteratur bestreiten die Kosten der Unterhaltung. Zwei nicht schlecht gezeichnete Jammergestalten sind der betrogene Ehemann und sein Schwiegervater. Herr Vielgeld ist alt, verdriesslich, ein „Holtzbock", „der seiner Frau keine einzige Freude macht" Er weiss, dass diese ihn betrügt, aber er liebt sie, will sie für sich haben: „Es ist ein Schäfgen vor mich, und mein Hühngen allein". In seiner verzehrenden Eifersucht kann er sehr energisch drohen und sehr kläglich bitten. Sein Schwiegervater, Herr Stockblind, trägt den Namen mit Recht: er ist ein harmlos vertrauensseliger Alter, der seiner Tochter nichts böses zutraut und, als er eines bessern belehrt wird, geschwätzige Moralpredigten mit wässrigen Sentenzen hält, schliesslich aber Galanthomme den Verkehr mit seiner Tochter gestattet und nur um Schonung der Kasse fleht — Für das Rendezvous (3,1), das den Angelpunkt des Stückes bildet und sich als harmlose Kindtaufe ausgiebt, ist wohl eine Stelle im 8. Discurs der Mahlern (1. Teil 1721) anregend gewesen; es heisst dort von einem Mädchen der modernen Art: „Sie ist sinnreich Zusammenkünffte mit ihm [sc. dem Amanten] anzustellen, es seye dass sie es dahin kartet, dass sie auf dem Lande ein Kind mit einander aus der Tauffe heben, oder dass sie zu gleicher Zeit eine BadenFahrt machen." — Die Störung einer stimmungsvollen Serenade durch die rauhe Wirklichkeit hat Picander der Komödien-Tradition entnommen. In Weises Alfanzo (3,9) giebt es ein Ständchen mit Prügelei, in „Les Originaux" (Th. J. IV) wird sogar geschossen; vgl. auch Schochs Com. V. Studentenl. 5,3. Auch das besonders drastische Pot de ^) Aus späterer Zeit: Leipziger Socrates (1728) Stück 42; die Kaffeegesellschaft in Königs Mägdeschlendrian (1729).

 

— 85 — chambre-Motiv ist nicht Picanders Eigentum. Im „Mercure Galant" (Th. J. L) erzählt Arlequin: „una servanta m'a vuid6 un pot de chambre dessus" ; vgl. noch Moli^re, L'6tourdi in ; Amaranthes Proben 1, 482 (u. öfter) ^). Der satirische Charakter der Picanderschen Muse bringt es natürlich mit sich, dass sich auch im Drama einzelne in der Handlung oder den Charakteren der Personen nicht begründete Ausfälle satirischer Natur finden, sogleich im I.Auftritte der Spott über das Hof leben. Auch der Adel bekommt etwas ab. Frau Vielgeld schwärmt für adlige Studenten, Jolie aber verteidigt die Gleichwertigkeit der Bürgerlichen. Man muss wissen, dass in Leipzig erst im Jahre 1722 zwischen den bürgerlichen und adligen Studenten grosse Streitigkeiten sich abgespielt hatten, die sogar ein kurfürstliches Mandat zur Folge hatten (9. Nov. 1722)2). Wenn Jolie sagt: „der Adel ist eine oder mehr Nullen, und wenn die Eins der Tugend darbey steht, kan er sehr viel bedeuten, ausser dem aber sehr wenig", so ist das ein schon von Lohenstein ausgesprochener Gedanke, der sich sehr oft in der satirischen Litteratur wiederholt (vgl. Waldberg, Galante Lyrik S. 132 Anm.). Man darf nicht wegen dieser einen Stelle das ganze Stück mit Gervinus als „dramatische Satire auf die adligen Studenten" bezeichnen. — Die zerstreuten Ausfälle auf die Junggesellen (4, 6), Landpfarrer (3,4), die Jungfern, die nur Doktoren heiraten wollen (4,6; vgl. Patr. 1,29. Tadl. 1,9. Pic. Gedd. 2,516 u. ö.), übergehe ich. 4,6 verbreiten sich die Weiber auch über die Mode der Männer; der Satz: „Sie tragen grosse Hüte wie die Paresoll und die Periiqven bedecken kaum die Ohren" klingt an die Stelle in den „Filles errantes" (Th. J. III.) an, wo gleichfalls die Herrenmoden Revue passiren: „Aujourd'hui ils portent des perruques qui leur pendent jusqu'aux genoux, demain ils en auront^ d'autres qui ne leur passeront pas les oreilles". — Das Benehmen der (studentischen) Theaterbesucher, über das sich Frau WindmüUerin 4,6 beklagt, hat Henrici nicht als erster zum Gegenstand der Satire gemacht. In den Stücken des Theätre Italien (z. B. „La Critique de l'homme ä, bonne fortune") wird oft das Umhergehen der Theatergecken auf offener Bühne zwischen den spielenden Komödianten verspottet; ähnlich auch bei König, Frauenschi. 8. Sc. Frau WindmüUerins Klage im besondem ist nur eine Wiederholung dessen, was Gottsched die Eburina im 17. Stück des 1. Jahrgangs der Tadl. über ihren Besuch der Leipziger Komödie berichten lässt: beide beschweren sich über das Trampeln und Stampfen mit den Füssen, über die schlechten Scherze, die sich ^) Auch Holberg (in der Lucretia) bat das Motiv, das auch in der Schwanklitteratur weitverbreitet ist: vgl. z.B. Val. Schumann, Nachtbüchlein 2, 12=2, 34 Bolte. 2) Sicul, a. a. 0.

 

— 86 — die Studenten mit dem Lichtputzer erlanben, and über das Betreten der Bühne durch die Zuschauer während des Spieles. — Pasquillarisches, d. h. persönliche Satire, die die Seele von Eeuters Komödien ist und die man auch Picanders Ak. Seh. zum Vorwurf gemacht hat — so noch Schienther, a. a. 0. — , findet sich für uns erkenntlich nicht mehr vor. Es ist möglich, dass Frau Vielgeld und Mr. Galanthomme lebende Modelle hatten, wahrscheinlich ist es aber nicht: die Gestalten sind viel zu wenig individuell, zu sehr traditionell-typisch. Eher anzunehmen ist, dass das 4,6 als Hauptstätte des Stadtklatsches, als „allgemeine Richtbank" bezeichnete Leder-Gewölbe der Herren Pfennig und Heller, sowie manche andere in dieser Wochenstubenscene gestriegelte Persönlichkeiten (Dr. Rundhut, Jungfer Zschatsche, Mr. Lautermilch, Topf gen -Marie, Mad. Biebergeilin) Leipziger Originale darstellen. — Localcolorit hat Picander seinem Stücke durch gelegentliche Erwähnung der Messen (3,4. 4,6), von Auerbachs Hof (4,6) und ähnlichem zu geben versucht : schon die ganze Mischung der Personen aus akademischen und Kaufmanns-Kreisen ist echt leipzigisch: auch wird auf die Todfeindschaft zwischen den Kaufmannsdienem (Commis) und Studenten angespielt (vgl. Menantes, Sat. Rom. S. 58). — 3. Weiberprobe. ^^ a. Inhalt. Zwei alte Ehemänner, der Weinphilister Nillhorn und der Knauser Ohnesafft, sitzen beim Weinwirt Buonconto und unterhalten sich über ihre jungen Frauen, deren Treue und Liebe sie nicht genug rühmen können. Einer überbietet hierin den andern, sodass es Buonconto endlich zu toll wird und er meint: „Aber ihr Herren, ihr seyd schon wie die altbacknen Pfennig-Semmeln, und habet beyde junge Weiber. Es kau nicht seyn, dass sie nicht einmahl das alte Böckel-Fleisch solten überdrüssig werden." Die beiden Alten stellen dies aber entschieden in Abrede, obwohl Nillhorn zugiebt, dass bei ihm ein Mediciner, Doctor Wurmsaamen, und Ohnesafft, dass bei ihm ein Advocat, Doctor Rübezahl, verkehre, was natürlich für den skeptischen Buonconto nur ein Anlass mehr ist, sie eifersüchtig zu machen. Zunächst aber scheint es, als ob er damit Unrecht thäte. Denn als die beiden jungen Weiber kommen, erdrücken und ersticken sie ihre alten Ehe*) Titel: „Die Weiber-Probe oder die Untreue der Ehe-Frauen in einem Schau-Spiele vorgestellet von Picandem. 1725*. Das Titelknpfer zeigt in einer Landschaft einen Satyr mit einer Wage in der Hand, in deren einer sinkenden Schale ein Mann, in deren andrer steigenden eine Frau sitzt, beide je ein Herz haltend. Darüber ein Spruchband: „Eine leichte Wahre*.

 

— 87 — männer fast vor lauter Zärtlichkeit. Baonconto wird abgeschickt, um den D. Rübezahl zu holen, den Ohnesafft in einer juristischen Angelegenheit sprechen will; Frau Nillhom benutzt dies, um sich krank zu stellen, so dass Buonconto auch den D. Wurmsaamen zu holen beauftragt wird. Währenddessen überbieten sich Frau Nillhorn, Frau Ohnesafft und Frau Buonconto in der Versicherung der Treue gegen ihre Männer, und die beiden Alten hören mit heimlichem Behagen zu. Endlich kommt Buonconto mit den beiden Doctoren. Während nun Ohnesafft mit Rübezahl seinen Prozess bespricht, wobei sich Ohnesafftals schmutziger Geizhals und Betrüger, und Rübezahl als feiler Rabulist zeigen, und Nillhorn ihnen zuhört, schäkert D. Wurmsaamen mit Frau Nillhorn; als dann Wurmsaamen in dünkelhafter Redseligkeit Herrn und Frau Nillhorn seine medicinische Theorie auseinandersetzt und zum Aerger des empfindlichen Nillhom die Pulsuntersuchung der Frau Nillhom nach dem Recept des Mephistopheles vornimmt, kosen hinter ihrem Rücken — Herr Ohnesafft ist eingeschlafen — D. Rübezahl und Frau Ohnesafft traulich zusammen. Beidemal macht Frau Buonconto durch ein Hüsteln die Aufpasserin und Wamerin, es gelingt aber Herrn Buonconto doch soviel von dem Tete-ä.-tete zu sehen, als nötig ist. Er hält deswegen, indem die beiden Frauen nach zärtlichem Sträuben in Begleitung der beiden Doctoren nach Hause gehen, die Ehemänner zurück, schickt seine Frau in den Keller und entdeckt darauf den beiden Alten seine Beobachtungen. Halb müssen sie es glauben, halb wollen sie es nicht, und man beschliesst endlich eine Probe zu veranstalten. Auf Buoncontos Rat wollen die Beiden ihren Frauen den Kaffee verbieten, den sie als gute Leipzigerinnen leidenschaftlich lieben: befolgen sie dieses Verbot, so ist das ein Zeichen ihrer Liebe zu ihnen, die selbst dieses schwerste des Schweren fertig bringt; befolgen sie es nicht, so soll es ein Zeichen ihrer Untreue sein. Die drei machen darauf zusammen einen Messbummel, wobei — adest omen! — ein Bänkelsänger eine Ehebruchsmordgeschichte singt, Ohnesafft das Portemonnaie gestohlen wird und schliesslich alle verprügelt werden. — Die Probe hat einen unerwarteten Erfolg: Frau Nillhorn und Frau Ohnesafft sind tief unglücklich und fallen in Weinkrämpfe. Doch werden sie einig, nicht vom Kaffee zu lassen und ihre Männer „auch sonst^^ zu betrügen, Frau Buonconto, die das Complott der Männer durchs Schlüsselloch belauscht hatte, verrät ihnen überdies den Zweck des Kaffeeverbots, und sie wissen nun, wie sie sich zu benehmen haben. Als die Männer erscheinen, stellen sich die Frauen ganz entzückt und beglückt darüber, dass sie keinen Kaffee mehr trinken: es sei ihnen zwar erst schwer gefallen zu entsagen, aber „aus Liebe" thäten sie alles und nun fühlten sie sich noch einmal so wohl und glücklich. Als die beiden Alten mit Andeutungen auf das Verhältnis zu den

 

— 88 — beiden Doctoren kommen, spielen sie so geschickt die Entrüsteten, dass sie die alten Tröpfe vollständig von ihrer Liebe tiberzeugen. Sobald sie wieder fort sind, wird — Kaffee gekocht. — Buonconto ist unzufrieden mit seinem Geschäft, bei dem er nur Schulden macht, und in einem Anfalle von Ehrlichkeit glaubt er, dies sei die Strafe für seine unverschämte Wasserpanscherei ; er erklärt deshalb unter die Soldaten gehen zu wollen, und als bald darauf Rübezahl kommt, um ein Glas Ungarwein zu trinken, bekennt er ihm offen seinen bisherigen betrug. Rübezahl ist hocherfreut, einen brauchbaren Schurken zu finden, und will ihn sofort „aus Liebe" als Actuar engagieren, stellt ein Examen an und giebt ihm auf, eine Probe-Rüge aufzusetzen. Während dies geschieht, bespricht Rübezahl mit Frau Buonconto den Plan einer Zusammenkunft der beiden Doctoren mit den beiden jungen Frauen und giebt ihr einen Zettel von den letzteren, den sie an Wurmsaamen abgeben soll. Buonconto erscheint mit seiner burlesken Rüge, sie gefällt, Buonconto bittet sich aber Bedenkzeit aus. Der Zettel an Wurmsaamen, der mit dem Motto „aus Liebe" eine Bestellung zum Rendezvous für den Abend enthält, fällt in Buoncontos Hände, und als nun die beiden Alten erscheinen und glückstrahlend von der so günstig verlaufenen Kaffeeprobe berichten, hält ihnen Buonconto den Zettel entgegen. Sie sind wie aus den Wolken gefallen: die Untreue ist so gut wie erwiesen, denn am selben Abend hätten sie ins TabakscoUeg gewollt Buonconto legt den Zettel wieder an seine Stelle und schlägt vor, am Abend die Pärchen in flagranti zu überraschen. Die beiden Alten stimmen nolentes volentes zu, sie rächen sich für ihre Blamage aber, indem sie auch die Treue von Buoncontos Frau anzweifeln. Buonconto fühlt sich ganz sicher und erbietet sich sofort zu einer Probe. Die beiden Alten verstecken sich, Buonconto ruft seine Frau herein und erzählt ihr, ein Wahrsager habe prophezeit, dass in diesen Tagen alle Hahnreye Hundegesichter bekommen würden ; er fürchte, auch er würde darunter sein. Frau Buonconto lacht ihn aus, aber als Buonconto unvermerkt eine Hundemaske aufsetzt und ganz hundemässig zu bellen beginnt, bekommt sies mit dem Schreck zu thun; sie sucht ihren Mann zur Vernunft zu bringen, als es nicht gelingt, bricht sie in Weinen aus: sie hätte ja doch nur ein einziges Mal mit D. Wurmsaamen ihn betrogen! Buonconto wird, sofort wieder Mensch, ermahnt die reuige zur Besserung und wird von den beiden Alten jämmerlich ausgelacht und als College begrüsst — Buonconto brütet zunächst Rache gegen Wurmsaamen. Als dieser in seiner Weinstube erscheint, um ein Glas zu trinken, giebt er vor, seine Frau sei krank und er lasse sie von einem heute aus Paris angekommenen Doctor behandeln. Der eitle Wurmsaamen will sogleich den berühmten Collegen kennen lernen. Buonconto erscheint darauf verkleidet als Mr. de la Vermine,

 

— 89 — schneidet furchtbar auf, setzt ihm seine wüste Würmertheorie auseinander und redet Wurmsaamen schliesslich ein, dass er einen Wurm im Gehirne habe: er wolle ihn durch eine geniale Operation davon befreien; Wurmsaamen, malade malgr6 lui, willigt nach einigem Sträuben ein, muss sich entkleiden und wird von Buonconto auf den Operationsstuhl festgebunden. Buonconto geht mit Wurmsaamens Kleidern ab. Nun erscheint von Buonconto geschickt (oder ist er es selbst in Verkleidung?) zunächst ein Zahnarzt mit einer Schmiedezange, der dem wehrlosen Wurmsaamen einen Zahn zieht; darauf stopft ein französischer Schnupftabakshändler ihm die Nase voll Schnupftabak, ein Barbier rasiert ihn mit einem Eüchenmesser und pudert ihn mit Sägespänen, und ein Spitzbube raubt ihn aus und bedroht ihn mit dem Degen : auf sein Schreien kommt Buonconto, spielt den Unschuldigen, bindet den Misshandelten los und giebt ihm seine Kleider wieder. Mit diesen hatte Buonconto unterdessen Nillhorn ausstaf&rt gehabt, der darin seine eigene Frau besucht hat, die ihm als dem vermeintlichen Wurmsaamen ein Schäferstündchen gewährt hat. So hat Nillhorn den untrüglichen Beweis ihrer Untreue. Nun will auch Ohnesafft nicht zurückstehen. Frau Ohnesafft und Rübezahl halten am Abend ihr Rendezvous ab, und Frau Nillhorn leistet ihnen Gesellschaft: sie erzählt, wie, nachdem sie Wurmsaamen (d. i. Nillhorn) entlassen habe, ein zweiter Wurmsaamen (der echte) gekommen sei; das sei wahrscheinlich ein Spion gewesen und sie habe ihn tüchtig begossen. Als sie von Rübezahl, der Wurmsaamen getroffen hat, erfährt, dass der begossene Wurmsaamen der echte gewesen sei, bedauert sie dies, meint aber, zweimal kurz hintereinander zu kommen sei zu viel. — Buonconto hat sich unterdessen in die Kleider Liessgens, Frau Ohnesaffts Junger Magd gesteckt, und während nun Rübezahl in drangvoll süsser Enge zwischen den beiden Weibern „wie eine Perle im Golde" sitzt und sich trefflich amüsiert, hat sich das PseudoLiessgen unter den Tisch versteckt und die zwei Liebenden mit den Kleidern so, wie sie sich umarmen, zusammengenäht. Als man gerade beim Küssen ist, pfeift Buonconto ; die vor der Thür wartenden Ehemänner stürzen herein und es setzt Prügel, von denen Wurmsaamen und Frau Buonconto, die als Friedensstifter hinzukommen, ebenfalls ihren Teil erhalten, „und das alles aus Liebe." b. Motive und Charaktere. Cocu mari6, mari6 Cocu, cela s'appelle jus verd, verd jus (Les Chinois, Th. J. IV.) könnte das Motto des Stückes sein. Das Thema ist dasselbe, wie etwa in der Precaution inutile; die Ehemänner sind ausnahmslos Hahnreye. — Auch das Motiv der Probe ist nicht neu:

 

— 90 — in anderen Fonnen findet es sich in der Schwanklitteratar und bei Meliere. — Eingewirkt hat auf das Stück ausser Keuters „Grat Ehrenfried" (1700)^) vor allem das Thöätre Italien, besonders in formeller Hinsicht.^ Die Ehepaare Nillhom und OhnesaflPt gehören wie die Vielgelds im Akademischen Schlendrian zu den mal-assortis : die Männer sind alt, die Frauen jung. Im Gegensatze zu Frau Vielgeld sind aber die beiden Frauen so diplomatisch, dass sie ihre Männer lange in dem Wahne erhalten, sie seien ihnen treu. Sie verfügen über ein virtuoses Talent der Heuchelei: wenn sie ihre „lieben Vätergen" erblicken, strömen sie über von zärtlichen Schmeicheleien und liebevollen Besorgnissen; wenn sie sic|i von ihnen trennen sollen, stellen sie sich unglücklich. Sie bekennen offen, ihre Männer seien alt: aber sie verstehen das begnügsame, leidenschaftslose Glück warm zu rühmen: „Wir essen und trincken mit einander was Gutes, und da bin ich schon zufrieden; andere Weiber hätten sich lange nach etwas andern umgesehen. Aber nein! Ich bedencke mein Gewissen". Vortrefflich können sie die Entrüsteten spielen, als die Männer ihre Treue anzweifeln: sie wollen sich durchaus nicht besänftigen lassen und thuen, als ob ihre Frauenehre tief verletzt sei. Die gute Psychologie, die Picander in dieser Scene zeigt, hat er offenbar Weise abgesehen. Im „Keuschen Joseph" (1,13) sagt Seres, Potiphars Gattin, in ganz gleicher Situation, wie hier die beiden Frauen: „So habe ich das mit meinem bissherigen Wandel verdienet, dass" u. s. w., und: „Ach hätte ich nur dem Sclaven seinen Willen gethan" u. s. w. Fast wörtlich ebenso ruft Frau Ohnesafft aus: „Habe ich das um dich verdienet mit meiner so aufrichtigen Liebe?" und Frau Nillhorn: „Je wenn ich es doch nu> thäte". Wie bei Weise werden auch bei Picander die Männer, als sie Abbitte leisten, das erste Mal schroff zurückgestossen. — Wirksam contrastiert es hierzu, wenn sie die Männer, als sie ungestört sind, die „alten Bärnheuter" nennen und von ihren Galanen als „unsern Kebs-Männem" reden, überhaupt die Alten nach Kräften betrügen, hierbei auch, ohne auf einander eifersüchtig zu sein, in schönster Harmonie z. B. beide den D. Rübezahl umhalsen: „Wir nehmen es nicht so genau mit einander." Sie sind im Ganzen wenig differenziert, und nur bisweilen zeigt Frau Nillhorn eine etwas grössere Activität. Als galante Weibergen verteidigen beide die Schönheitspflästerchen (Mönchen), und als Leipzigerinnen lieben sie leidenschaftlich den Kaffee. Beide Motive sind uns schon mehrfach begegnet: hier wird besonders ^) vgl. Prutz, Deutsches Museum 5,2, 660 ff. <) Möglicherweise auch im Stoff, wenigstens führt Gottsched im Nöth. Vorrath zum Jahre 1752 an: „Die Hahnreyprobe, ein Lustspiel von 19 Auftritten. Frft. gr. 8' als eine Uebersetznng von La Coupe enchantde des Theätre Italien, (wo es sich aber nicht findet).

 

— 91 — die KafiFeesucht lächerlich gemacht. Auf ihr beruht die ganze Probe. Picander sagt (Gedd. 2,407) von Leipzig: „Wer hier nicht Caffee trinckt, wird schrecklich ausgelacht, Man fängt des Morgens an, und kocht bis in die Nacht" In der von Bach komponierten Caffee-Cantate Picanders (Gedd. 3, am Ende) kann Herr Schlendrian seiner Tochter Liessgen den Kaffee nur dadurch abgewöhnen, dass er dies zur conditio sine qua non für — einen Mann macht. Vgl. noch Königs Frauenschi. Sc. 7. Die grosse Zahl der Kaffeeschenken in Leipzig wird von Sicul (a. a. 0.) und Iccander^) besonders hervorgehoben. Die hyperbolische Ausführung dieses Kaffeemotivs — Buonconto meint z. B., den Frauen wäre das Fegefeuer mit Kaffee lieber als das Paradies ohne Kaffee — wäre darum auf der Leipziger Bühne gewiss sehr wirksam gewesen. Uebrigens erinnert die Scene 2,1 zwischen den beiden Frauen mit ihrer komischen Eetardation der Pointe sehr an die 8. Scene von Königs Frauenschlendrian. — Während die beiden Frauen im Grunde ganz parallele Charaktere sind, hat Picander die beiden Hahnreye sehr glücklich differenzirt. Nillhorn^ und Ohnesafft sind sich gleich in dem Vertrauen auf die Treue ihrer Weiber; „Wir haben ehrliche Weiber" sagen sie, während sie den Frauen im Allgemeinen wenig zutrauen, und beide lieben sie sie als ihre „Müttergen", die ihnen den Kopf „krappein" oder bei Tische „das Marck aus den Kindsbeinen klopfen".^) Aber schon, wie sie die Anzweiflung der Treue ihrer Frauen durch Buonconto und ihre Bestätigung aufnehmen, ist verschieden. Nillhorn sagt in verhältnismässig ruhigem Tone: ,Jch kann es unmöglich glauben", und als er es glauben muss, ist er gefasst, nimmt die Sache fast humoristisch und freut sich an dem Gelingen der Ueberrumpelung mehr, als er sich über den Betrug ärgert. Ohnesafft dagegen ist cholerisch, wird bei den Sticheleien Buoncontos aufgeregt, sogar wütend; er ist es auch, der zuerst die Treue von Buoncontos eigner Frau in Zweifel zieht. Charakteristisch ist dabei, dass er öfters die Ausdrücke doppelt sagt (z. B. „Was zu thun, was zu thun"). Gegen Ende nimmt allerdings auch er die Sache mehr von der heitern Seite. Schon in der I. Scene sind die beiden scharf auseinander gehalten. Philister sind sie beide: aber Ohnesafft ist ein schäbiger Geizhals, dem bei jedem Tropfen Wein die Geldausgabe schwer aufs Herz fällt: „Ich bin ein armer Mann, die Zeiten werden immer schlechter und schlechter; der Wein kostet Geld; man muss das Seinige. zurathe halten". ^) Siehe Seite 98, Anmerkung 2. ^) Der Name kommt auch Gedd. 4,323 vor. — Ein Dr. Nilhom erscheint auch in der gegen Hunolds „Gecröntes M. Auf Teutsch Magister Lobesan'' gerichteten Schrift „Das Verlheidigte Herr Magister M'*. ^) Diese letztere Kunst rühmt auch die alte Lndomilla, die einen Manu haben will, als ihre Mitgift bei Weise, König Wenzel 2,7.

 

— 92 — Nillhorn dagegen ist der behäbige Weinphilister, der mit guter Gelassenheit seinen Schoppen trinkt, für den ihn kein Geld dauert: ;;Ein Mensch, der an sich selber geizet, ist ein Mörder an seinem eigenen Leibe" sagt er, und bezahlt freiwillig die Zeche für seinen knausrigen Freund. Dieser ist übrigens so gemein, dass er aus Geiz einen Wechsel von 100 Thalem nicht bezahlen will, sondern lieber einen Meineid — den er als solchen selbst eingesteht — schwören will. Als darüber der biedere Nillhorn den Kopf schüttelt und an sein Gewissen appelliert, meint er: „Ey das ist e^en reservatio mentalis, das verstehet der Herr Gevatter nicht". Es ist nur recht und billig, dass gerade ihm auf der Messe die Börse gestohlen wird. — In den beiden Galanen der Ehefrauen begegnen uns die uralten Theaterfiguren des Advocaten und des Arztes. Der „Docteur" ist eine stehende Figur des Thöätre Italien, so gut wie der Arlequin, und meist der Prügelknabe des Stückes. Weise hat ähnliche Figuren, und Eeuter und König übernehmen direkt die traditionellen Gestalten des französischen Theaters. Dies ist auch bei Picander so; man kann aber trotzdem nicht sagen, dass die Typen nur litterarische waren: in der That waren sie gerade damals noch oft im Leben zu finden. Man vergleiche nur die Gestalt des Dr. Friedel, der 1719 eine Beschreibung des Lauchstädter Brunnens veröffentlichte (Wustmann, Aus Leipzigs Vergangenheit I.), mit den Picanderschen (bes. mit dem Doctor im „Säuffer"), man lese nur das Kurfürstlich sächsische Mandat zur Abstellung der Missbräuche im Advocatenstande vom 12. April 1723 (Sicul a. a. 0. IH, 460 ff.). — Die Advocaten (Eabulisten, Causenmacher) sind uns schon als Gegenstand der Satire aus den Zeitschriften bekannt: man vergleiche noch Philanders Vermischte Gedd. S. 208 ff. und sein Buch „De Charlataneria Eruditorum", sowie die moralischen Wochenschriften (Patriot I, 19). 1701 erschien in Leipzig das im Weisischen Stile verfasste Drama „Der schlimme Causenmacher". Ueberreich ist die Verspottung der „gens de la robe" im Th. J.: in den „Avantures des Champs Elisees" (Th. J. IV) heisst es: „Procureur, Voleur, c'est comme qui diroit Barl3ier, Perruquier". Dazu nehme man Reuters La Maladie et la mort etc. — Dr. Rübezahl hat alle Eigenschaften dieses reich entwickelten Typus. Die wichtigste ist die Geldgier: für Geld und nur für Geld ist er zu allem bereit. Sein Hauptmittel, einen Prozess zu gewinnen, ist der Meineid (vgl. den Nigritius im „Schlimmen Causenmacher"), und er rät auch Herrn Ohnesafft dazu. Er meint, ein Advocat müsse entweder gar kein oder ein paar Tausend Gewissen haben. Der Weinfälscher Buonconto scheint ihm zum Advocaten sehr geeignet zu sein. Er ist ausserdem hochmütig, eingebildet und angeblich immer überbürdet: in 2 Jahren hat er 300 wichtige Processe geführt (1,5). Natürlich redet er sehr viel, und zwar einen deutsch-lateinischen Mischmasch

 

— 93 — voll juristischer Fachausdrucke^). Auch das süssliche Amantentum, das er gegen Frau Ohnesafft zeigt, ist traditionell, ebenso, dass er dabei schliesslich Prügel bekommt. Besonders scheint bei ihm die Figur des Fleckschreibers Iiyurius in Keuters Lustspiel „Grraf Ehrenfried" Pathe gestanden zu haben: dieser ist wie Rübezahl ein Winkeladvocat und Rabulist, wie Rübezahl Specialist für „Hurenprocesse", alter Geck und Weibeijäger, hat immer viel zu thun, ist Stammgast in dem Weinkeller des lustigen Weinschenken Herrn Johannes (Buonconto !), verleitet andere zum Meineid und wird geprügelt (Siehe Prutz a. a. 0. und Zamcke, Christian Reuter, S. 574). — Das von Buonconto 2,7 aufgesetzte juristische Aktenstück mit derbzotigem Inhalt parodiert ganz lustig den Amtsstil, ähnlich wie z. B. der Patriot n, 72 oder später der Biedermann I, 45. — Auch der Arzt ist eine vielverspottete Figur; ich erinnere nur an Moliere. W^urmsaamen ist ebenso eitel und eingebildet wie Rübezahl; er sagt: „die Welt wird immer klüger, und zwar in der Arzney-Kunst durch mich" ; den „gemeinen Schlendrian" der andern Aerzte verachtet er. Seine Redseligkeit ist aber noch bedeutend grösser als die des Advocaten, wenn auch lange nicht die masslose Hyperbolie sich findet wie bei den Aerzten im Th. J. (z. B. in den „Intrigues d'Arlequin" Bd. 11} ; er redet seinen besonderen Jargon: er schwelgt in gehäuften Fachausdrücken und Anführung von medicinischen Autoritäten, flicht auch gern lateinische und griechische Verse ein. Seine Milztheorie, seine Würmerund Zeugungstheorie sowie sein Hymnus auf den Anis sollen sicher medicinische Theorien der Zeit verspotten. Als Amant ist er im Gegensatz zu Rübezahl seinem Stand entsprechend cynischer: er untersucht den Puls der Frau Nillhom in einer Weise, dass Nillhorn sagt: „Herr Doctor, das kan ich und meine Frau nicht wohl vertragen, da thut ihr auch nichts weh." Er begnügt sich auch nicht mit Frau Nillhorn, sondern bändelt noch mit Frau Buonconto an; darum geht es ihm auch ganz besonders schlimm. — Das Motiv des Belauschens aus dem Versteck, das sich zweimal findet und das am Schluss die Lösung des Knotens bewerkstelligen muss, ist alt. Wie Buonconto sich unter den Tisch versteckt, so thut es auch der Mann in den Caquets de rAccouch6e2) (1622), der von da aus die Wochenstubengesellschaft belauscht. — Die Scene 1,5, in der erst Wurmsaamen mit Frau Nillhom, dann Rübezahl mit Frau Ohnesafft schäkert, erinnert in der ganzen . Gestaltung der Situation sehr an eine Scene in der „Retour de la Foire de Bezons" (Th. J. ^) Vgl. den Scibilis in Weises Macchiavellus, den Arleqnin als Advoeat im „Mercnre Galant". Picander spricht sich über dieses Gharakterisierungsmittel im Yorbericht aus. 3) und danach Corfiz in Holbergs Müller pnerpera.

 

— 94 — VI. Bd.): hier wird durch ein Gespräch Mezzetins der Bailly festgehalten, während hinter seinem Kücken Octave mit Ang^lique sich abgiebt: am Schluss veranlasst der Handkuss Octaves das Eingreifen Pierrots, wie bei Picander Wurmsaamens Puls-Kuss die Entrüstung Nillhorns. — Auch der Weiberprobe hat Picander Localfarbe zu geben gesucht, indem er 1,7 eine auf der Leipziger Mesne spielende Scene einfügte, die recht lebendig ist. 4. Säuffer/) a. Inhalt. Der Student Polyzythus, dessen einzige Liebe das Bier ist, wird von Jungfer Antonine geliebt, deren Jungemagd Liessgen aber den Säuffer nicht leiden kann und den kreuzbraven Liebhaber Orontes begünstigt. Darin wird sie bestärkt, als sie bei einem Besuche Polyzyth berauscht im Bette liegend findet. Als Polyzyth aufwacht, teilt ihm sein Diener Mischmasch die günstigen Aussichten des Orontes mit, und Polyzyth zeigt sich darüber einigermassen besorgt. Er schickt aber zunächst Mischmasch ab, den Mantel zu versetzen und dafür Bier zu holen. Mischmasch bringt Bier und sie teilen es redlich. Da erscheint Valentin, Polyzyths Vater, um bei seinem Sohne, von dessen schlechter Aufführung er gehört hat, Visitation zu halten. Polyzjrth versteckt sich schnell, und Mischmasch empfängt den Alten. Er weiss ihm allerlei Flausen und Finten vorzumachen, dass er seinen Sohn, der angeblich gerade Betstunde hält, nicht zu Gesicht bekommt. Valentin trägt darum Mischmasch auf, Polyzyth zu sagen, dass er sich bessern solle: er habe zwischen dem Segen und dem Fluche des Vaters zu wählen; dies jührt Mischmasch dermassen, dass er in Thränen ausbricht Als dann nach Valentins Weggang Polyzyth erscheint, und Mischmasch die Moralpredigt reproduzieren will, wird er bald von dieser Dummheit durch erneutes Duett-Saufen kuriert Aber auch jetzt wird diese Beschäftigung unterbrochen. Hocuspocus, der lustige Diener Fräulein Dorindens, erscheint, komplimentiert sich mit Mischmasch herum und bringt von seiner Jungfer eine Eendezvousbestellung an Polyzyth, wofür er mit Bier traktiert wird und den letzten Gulden von dem versetzten Mantel erhält. — Antoninens Bruder Camillus sucht seine Schwester von ihrer Liebe zu dem Säuffer zu kurieren, er will nur Vemunftliebe anerkennen, Antonine aber *) Titel: „Der Säufifer in einem Schau-Spiele vorgestellet von Picandern. Berlin, Franckfart und Hamburg 1725." Kupfer: Polyzyth auf einem Lager liegend, Mischmasch ihm hilfreich assistierend, indem er ihm ein Gefass unter den Mund hält. An der Wand zwei Regale mit Bechern, Pokalen und Bierkrttgen.

 

— 95 vertritt den Standpunkt der Neigung, verteidigt ihren Polyzyth gegen die Verleumdungen, und als ihr Camillus seinen Freund Orontes empfiehlt, rennt sie entrüstet weg. Dorinde erscheint, um Polyzyth zu erwarten; Camillus, der sie liebt, wird von ihr als nicht vorhanden betrachtet: auch sie ist sterblich in den Säufif^er verliebt. Endlich erscheint Polyzyth, dem Mischmasch die Bierkanne nachträgt. Dorinde bietet ihm ihre Liebe an; Polyzyth meint aber, das störe den Menschen nur in seiner Euhe, bietet ihr Bier an, und selbst als sie Antoninens Treue verdächtigt, hat er nur ein laues Wort für sie. Auch Orontes, der dazukommt, erhält Bier angeboten: er schlägt es aus, und Polyzyth giesst es ihm ins Gesicht, um darauf vom Leder zu ziehen, wobei Mischmasch Eeissaus nimmt. Antonine trennt hinzukommend die beiden Gegner, Orontes zieht sich begossen zurück. Antonine und Polyzyth versichern sich nach gegenseitigen Eifersüchteleien ihrer Liebe, Antonine giebt Polyzyth sogar darüber ein mit ihrem eigenen Blute geschriebenes Dokument Polyzyth schwört gerührt, hinfort das Trinken zu lassen. Als dies Mischmasch erfährt, ist er ganz unglücklich, er versucht seinen Herrn zu „bekehren", das gelingt nicht, und so hält er eine burleske Abschiedsrede an das Bierglas. Er will Liessgen, in deren Zuträgerei er die letzte Ursache von Polyzyths Sinneswechsel mit Recht sieht, verprügeln, sie ist aber resolut und prügelt ihn. — Die Bierabstinenz schlägt aber bei Polyzyth schlecht an, er wird krank und schickt Mischmasch mit dem Uringlas zum Doktor. Dabei begegnet diesem Hokuspokus, der in gleicher Sendung von Dorinden, die die Eifersucht aufs Krankenbett geworfen hat, kommt. Es giebt eine unappetitliche Possenscene, die eine burlesk-satirische Fortsetzung erfährt, als der Doktor erscheint. Mischmasch erhält schliesslich von Orontes, den er beleidigt, Prügel und entflieht schleunigst. Orontes ist unglücklich über Antoninens Kälte und klagt seine Schmerzen Camillus, der ihm darauf eine akademische Vorlesung über die Liebe hält. Die Lehren zu erproben hat Orontes sofort Gelegenheit, da Antonine erscheint. Sie ist tiefbetrübt über Polyzyths Krankheit und hat natürlich für Orontes fussfäUige Liebeswinselei kein Ohr, so dass Orontes sich begnügen muss, für gutes Geld sich Liessgens fortdauernder Fürsprecherschaft zu versichern. — Mischmasch hat unterdes Polyzyth von seiner Krankheit geheilt, indem er selbst den Arzt gemacht und Polyzyth das einzig richtige Mittel verordnet hat, um sein Leben zu retten — wieder Biertrinken. Als der Schenkwirt Mischmasch auf den Leib rückt und Bezahlung der Schulden Polyzyths verlangt, weiss er geschickt davon zu sprechen, dass Polyzyth bei dem nahen Ende seines Vaters Valentin reich erben werde, so dass der Wirt ihm noch Geld geben muss, damit er Polyzyth nichts von der Mahnung sage. Um so schlimmer geht es ihm,

 

— 96 — als eine Schar Gläubiger anrückt, die alle von Polyzyth Geld haben wollen: er wird verprügelt. — Valentin ist unterdessen todkrank geworden, und Polyzyth besucht ihn an seinem Sterbebett. Während nun Valentin moraltriefende Ermahnungen an den ungeratenen Sohn richtet, beschäftigt sich Polyzyth, dem das Zuhören zu langweilig ist, hinter seinem Bücken mit Biertrinken. Als er gerade den Kopf in die Bierkanne steckt, dreht sich Valentin um und sieht es. Das giebt seinem Herzen den Stoss und er stirbt bald, — Polyzyth aber ist im Testament unberücksichtigt geblieben. Er tröstet sich im Saufhaus. — Antonihe ist über dieses Unglück trostloser als Polyzyth, und als Hokuspokus die falsche Nachricht bringt, Polyzyth sei todkrank, will sowohl Antonine als Dorinde sich als „Opfer" töten, damit Polyzyth leben bleibe. Der edle Wettstreit wird aber zu schänden, indem im letzten Augenblicke Camillus hinzukommt und den verrückten Weibern den Dolch entreisst. Camillus sucht die Gelegenheit zu benutzen und Dorindens Gleichgültigkeit zu erweichen, er bekommt aber nicht einmal Antwort. Dorinde will eben abgehen, um Selbstmord zu begehen, als Mischmasch vorbeikommt und das Gerücht von Polyzyths Tod für Unsinn erklärt. Dorinde meint sehr richtig: „Wenn Polyzythus lebet, warum soll denn Dorinde sterben?" Jetzt aber will Camillus sterben, er hält eine entsetzliche Schwulstrede über die unglückliche Liebe, setzt sich den Dolch auf die Brust, besinnt sich aber vernünftigerweise wieder und vermag sogar dem Orontes, der wieder einmal Liebesjammer hat, sehr schulmeisterliche Katschläge zu geben. Mischmasch erscheint als Polyzyths Vorläufer, er ahnt, dass, wenn Orontes von dem betrunkenen Polyzyth angetroffen wird, es ein Unglück giebt, und bringt Orontes und Camillus hinweg. Polyzyth hat sich einen Riesenrausch angetrunken, dem Schenkein die Fenster eingeworfen und vollführt auf dem Theater den wüstesten Radau. Er sieht Mischmasch für Orontes an und will ihn erstechen, bis endlich eine Bande Nachtwächter ihn fest nimmt — Polyzyth ist so heruntergekommen, dass er nicht einmal Geld hat, um sich aus der Haft loszukaufen. Er will deshalb durch Mischmasch Dorinden anpumpen, — das ist aber selbst dieser zu stark, und als sie darauf vom Wirt erfährt, dass Polyzyth sogar Antoninens Blutversicherung bei ihm versetzt hat, ist sie von der Liebe zu ihm geheilt. Camillus erscheint denn auch bald, Dorinde trägt ihm reumütig ihre Liebe an; er bleibt erst kalt, schliesslich aber findet sich das Paar. Dorinde entdeckt nun Antoninen, was sie von dem Wirte erfahren hat: Antonine ist verzweifelt und weiss nicht, ob sie es glauben soll oder nicht. Sie muss es aber bald glauben, als Polyzyth selbst erscheint und von ihr zur Rede gestellt alles eingesteht. Zerknirscht fällt er ihr zu Füssen; da wirft sich aber Orontes, der im rechten Moment erscheint, ihr

 

— 97 — ebenfalls zu Füssen: sie hebt Orontes anf and sagt sich von Polyzyth los. Die zwei Paare gehen darauf ab unter höhnischen Worten gegen Polyzyth; Liessgen findet in Hocuspocus auch ihren Mann und weist Mischmasch ab, sodass die beiden nassen Brüder am Schlüsse dastehen „wie die Gänse, wenn das Wetter leucht^ b. Motive und Charaktere. Der Säuffer ist von den beiden andern Stücken dadurch scharf getrennt, dass die lustige Satire zurücktritt gegen die ernsthafte Moral. Er entspricht der Gottschedischen Theorie am meisten, indem hier im Gegensatz zum Akademischen Schlendrian und zur Weiberprobe das Hauptgewicht auf die Schilderung eines lasterhaften Charakters gelegt ist, der schliesslich seine Strafe findet, ja sogar anscheinend zum Guten bekehrt wird. Die besondere Art des Lasters bringt es freilich mit sich, dass die Darstellung desselben oft rein komisch wirkt. Auch in dem Motiv der Liebe bedeutet der Säuflfer ein vollständig anderes Genre als die übrigen Stücke. Dort waren es unsittliche Verhältnisse, die satirisch behandelt wurden, hier hat Picander die Darstellung ernster Liebesverhältnisse poetisch versucht und gezeigt, dass er hierfür vollkommen unfähig war. Auch im Säuffer finden sich die beiden Milieus, die Picander beherrschte, das akademische und das weibliche wieder, aber beide in ganz veränderter Beleuchtung, zum Schaden des Stückes. Gewirkt haben auf dieses in seiner akademischen Seite vor allem die Studentencomödien, in der Liebesdarstellung die Volksdramen. — Polyzyth ist eigentlich keine Leipziger Gestalt, das zeigt der ausgesprochene Gegensatz zu dem echt Leipzigischen Galanthomme. Er ist eher einer jener Jenaer wilden Studenten, die Günther besungen hatte und von denen Zachariä sagt, ihr Beruf sei Saufen. Solche Typen hatten die moralischen Wochenblätter gern geschildert, wie der Patriot (ü, 54) den Bibamus und (H, 58) den Sauffejus; der Zythophilus in den Tadl. ü, 13 (also später als Picanders Säuffer!) klingt nicht nur mit dem Namen an Polyzythus an : er hat wie dieser auch einen fromm ermahnenden Vater zur Seite. Die Picandersche Gestalt ist wenig gelungen: sie ist eine conventioneil durchgeführte und masslos karikierte Figur ohne rechte Lebenswahrheit, wie fast alle Gestalten des Stückes. Polyzyth ist der rechte Biermörder. Sowie er am Morgen erwacht, schreit er: „Ach wie durst mich" und verlangt zehn Kannen Merseburger Bier; er trinkt bei der feurigen Liebeserklärung Dorindens ebenso ungeniert wie am Sterbebette seines Vaters; Mischmasch meint, noch vier Wochen nach seinem Tode würde er saufen müssen; um Bier zu bekommen versetzt er seinen

 

— 98 — Mantel; versetzt er auch Antoninens Liebesversicheruug. Das Bier ist ihm das Mass aller Dinge: Orontes ist in seinen Augen nichts wert, da er „nicht capabel ist, nur ein Bass-Glass Bescheid zu thun." Dabei ist er freigebig: mit seinem Diener teilt er stets redlich den Merseburger und bietet jedem zu trinken an, trotz seiner Geldnot giebt er den letzten Gulden als generöser Student Hokuspokus als Trinkgeld. Von Natur phlegmatisch hält er wenig von der Liebe: „Die Liebe ist eine Schwachheit der Seele, stöhret die Gemüths-Kuhe, und entkräftet den Leib"; sein Verhältnis zu Antonine beruht nur auf der Hoffnung, durch die Mitgift seine Schulden zu decken, nicht auf Neigung. Um Antonine nicht zu verlieren, rafft er sich einmal auf und schwört das Bier ab, gern und bald aber lässt er sich von Mischmasch wieder „curieren". Diese Cur mit dem Merseburger Bier, „welches zu hauptsächlicher Erwärmung und Stärkung des Magens dienet", braucht man nicht durchaus als rein komisches Motiv aufzufassen, sie kann sehr wohl auch als Satire auf medicinische Theorien gemeint sein^). — Ohne Bier ist Polyzyth blöde, das Bier macht ihn „aufgeweckt, artig, sinnreich, schertzhafft und lustig." Dann tritt auch seine Raufboldnatur hervor, dass er Orontes die Bierkanne in die Augen giesst oder in toller Raserei seinen eigenen Diener erstechen will Diese Schilderung eines rasenden Trunkenbolds hat ihre Vorbilder bei Weise im „Niederländischen Bauer" (4,5) und besonders deutlich in der Raserei Masaniellos (Masaniello 5,14 — 18), der sich genau so benimmt wie Polyzyth. Wenn Polyzyth dabei mit Mischmasch Brüderschaft macht, und Mischmasch fortwährend die Worte „Herr Bruder" wiederholt, wenn der „Bruder" für den „Bruder" jeden Feind desselben niederzustechen sich erbietet, so sind diese Motive von Picander vielleicht aus Weises „Unvergnügter Seele" entnommen, aus der Scene, wo Vertumnus in eine betrunkene Gesellschaft kommt. Mit dem Rufe des Betrunkenen nach dem Bordell vergleiche man die Antwort der Beani im 2. Akt von Wichgrevs Com. Relegatus, auch Harlequins Schilderung der Studenten im Akademischen Schlendrian. Die tolle Scene endigt mit der Abführung des Randalirers durch die „Lampen-Männer"^). Das ist ein stehendes Motiv aller Studentenpoesie: schon in Stymmels Studentes tritt die Scharwache und die Polizei auf, wird aber dort ^) 1726 erschien von dem Kursächsischen Arzte Dr. J. F. Henckel die Schrift „Bethesda portuosa'', worin das Bier ernsthaft als wichtiges Heilmittel gepriesen wird, besonders „das gantz unvergleichliche Mersebarger Bier", welches ,ohne allen Streit eines der besten in gantz Teutschland' etc. (Wustmann, Aus Leipzigs Vergangenheit L). >) d. 8. die Laternenanzünder. lieber diese Leipziger Institution vgl. Iccander (= J. C. Crell^ «Das In gantz Europa berühmte, galante und sehenswürdige Königliche Leipzig." Leipzig 1725, Seite 57. (Leipziger Stadtbibliothek).

 

— 99 — von den Studenten verprügelt; in Wichgrevs Cornelius Relegatus werden die Studenten wegen des Sturmes auf das Haus des Weinschenken Asmus durch die Scherganten abgeführt; auch in Schochs Comödia vom Studentenleben geraten (5,1 und 5,3) Amandus und Pickelhering in Kampf mit der Wache. Heranzuziehen ist noch die Verhaftung Capriols im Akademischen Schlendrian 5,7 durch den Pedell. Nicht minder unentbehrlich — um dies anzuschliessen — war für die Studentencomödie das Erscheinen der Manichäer auf der Bühne. Wichgrev lässt im 4. Akt Hauswirt, Weinschenk, Krämer, Buchhändler, Schneider, Schuster, Apotheker, Barbier und Wäscherin dem armen Cornelius auf den Leib rücken und ihm die Kleider wegnehmen; ebenso erscheinen bei Schoch (5,6) die Gläubiger, um den Ruin des verlumpten Studenten Amandus zu markieren. Picander hatte aber noch andere Vorbilder zur Verfügung: auch bei Weise im Alfanzo (4,4) wird Alfanzo von seinen Gläubigem angefallen und ausgeplündert; schliesslich hat auch der Patriot in der Schilderung des Studenten Cordenio (11, 67) nicht vergessen, den Kaufmann, Weinschenken, Traiteur, Kaffeeschenken, Schneider, Perrückenmacher, Pferdeverleiher, Wucherer und die Kupplerin als Geldheischende aufziehen zu lassen. Picander hat folgende Reihe: den Kaufmannsdiener, Mäckler, Schneider, Gastwirt, Schuster. Wie bei Wichgrev der Krämer, so spielt bei Picander der Mäckler die Führerrolle; von Weise hat Picander entlehnt das Unisono der Geldforderer und die Wegnahme der „Meubles". Die Enterbung Polyzyths durch seinen sterbenden Vater Valentin mag Picander ebenfalls aus Wichgrevs Stück haben: dort enterben die todkranken Eltern ihren ungeratenen Sohn, den verlotterten Studenten Cornelius. Wie im Akademischen Schlendrian Galanthomme und Jolie Capriol als Contrastfigur gegenübersteht, so hier dem Polyzyth Camillus und Orontes: aber nicht wie dort als lächerliche Caricatur, sondern als ernsthaft aufzufassende Charaktere, die freilich als solche ganz misslungen sind. Camillus Grundzug ist eine unausstehliche Lehrhaftigkeit: er benimmt sich das ganze Stück hindurch wie ein Privatdozent der Kunst zu lieben. Als Pädagog seiner Schwester Antonine hält er dieser fortwährend Vorträge über die „vernünftige" Liebe: „Alle Liebe, die die Tugend nicht zur Mutter, und die Vernunft zum Vater hat, wird zu einer Missgeburth". Auch Orontes gegenüber spielt er den Lehrer und Berater. Alle seine Auseinandersetzungen bewegen sich in allgemeinen Lehrsätzen und moralisierenden Sentenzen und sind in pedantischem Tone gehalten. — Hat Camillus noch eine gewisse Selbständigkeit der Ansichten, so ist Orontes still, ehrbar, christlich, gutthätig und ohne Feuer, sanftmütig und fromm. Er lehnt es ab ein Glas Bier auf das Wohl seiner Geliebten zu trinken, würdelos nimmt er alle Beleidigungen von Polyzyth hin; in seiner 7*

 

— 100 — Liebe zu Antoninen ist er mehr als selbstverleugnend, und er versteckt sich atets hinter Camillus, dessen Lehren er andächtig anhört und der für ihn wirbt. Die beiden Frauen des Stückes sind ebenfalls, trotz der Gleichheit der Charaktere, auseinander gehalten. Antonine liebt Polyzyth aus reiner Neigung, deren Berechtigung sie gewandt verteidigt: „Die blosse Zuneigung ist ein zulängliches, und das glücklichste Mittel, einzelne Seelen zu verbinden." Ihre Liebe ist rein: Verleumdungen gegen Polyzyth weist sie energisch zurück, und sie kämpft länger als Dorinde gegen die Erkenntnis des Unwertes ihres Geliebten. Sie kennt sein Laster, aber sie will durch ihre Liebe ihn davon heilen. Bezeichnend für sie ist, dass sie alle Annäherungsversuche des von ihr verschmähten Orontes durch sofortiges Weglaufen von der Bühne abschneidet (so 2,1; 3,4; 4,4): dieser Zug ist wohl von der Seres in Weises Keuschem Joseph entlehnt, die ja schon für die Weiberprobe von Einfluss war. Dorinde schweigt in solchen Fällen stets. Sie ist im Gegensatz zu Antonine von recht deutlicher Sinnlichkeit, sodass sie recht thut, wenn sie Polyzyth um Entschuldigung bittet, „die Gränzen der weiblichen Schamhafftigkeit" überschritten zu haben. In dem alten Valentin hat Henrici es unternommen, eine durchaus rührende Figur zu zeichnen. Er ist ein schwacher, bisweilen sentimentaler Greis, schlicht und fromm, der über den Wandel des Sohnes schweren Kummer empfindet Er hat etwas Patriarchalisches, und seine zwei grossen Reden — die vor Mischmasch (1,4) und die auf dem Sterbebette — zeigen ihn als Mann von strenger Moral und warmer Kindesliebe: sie sind wirkungsvoll aus poetischer Diction und biblischen Wendungen zusammengesetzt und pathetisch stilisiert. Sicher hat Henrici hier ernsthaft wirken wollen, wenn auch beidemal durch Mischmaschs und Polyzyths Lazzi diese Wirkung zerstört wird. Vgl. übrigens die Dramen vom verlornen Sohn. — Der Schenkein, der immer betont, dass er ein „ehrlicher Mann" sei (vgl. Reuters Ehrliche Frau) und fortwährend um sein Geld besorgt ist, sowie die Gläubiger sind lebenswahre Gestalten. Der Doktor dagegen, der 3,2 auftritt, ist ganz traditioneller Typus (vgl. oben S. 92, und ferner den Arzt Cratippo bei Reuter, La Maladie etc. 3,5). Er kommt im Eilschritt gelaufen, denn als Berühmtheit hat er in einer Stunde 20 Patienten zu besuchen; bevor er Auskunft giebt, versichert er sich der Bezahlung. Seine Diagnose und seine Recepte (vgl. das gleiche Motiv in den Intrigues d'Arlequin) sollen in der burlesken Behandlung zugleich satirisch wirken. — Locale Satire findet sich ganz verstreut: 1,4 sagt Mischmasch zu Valentin: ,Jhr soltet nicht dencken, was es in der Stadt vor leichtfertige Mäuler giebt"; vgl. Pic. Gedd. 2,471 (1729). —

 

— 101 — Ganz eigentümlich sind in diesem Stücke die Liebesscenen. Im Ak. Schi, und der Weiberprobe waren sie komisch-satirischer Natur, hier hat Picander ernste Liebesdarstellnng versucht und ist dabei, während er sonst Realität und Natürlichkeit selbst um den Preis der Plattheit erstrebt, durchaus unwahr und verstiegen in Motiven und Stil. Das hat seinen Grund darin, dass er sich an Vorbilder anschloss, an die Volksdramen der Bühne nach spanischer Art, von denen Gottsched (s. oben) sagte: „man lässt sie (die Liebe) insgemein so unsinnig werden und so heftig rasen, als Gott Lob nirgends unter uns geschiehet", und an die Dramen im Stile der englischen Comödianten. Mit der Liebesdarstellung in diesen letzteren Stücken, wie sie besonders in der Sammlung des Liebeskampfes i) hervortritt, zeigt die Picandersche frappante Berührungspunkte: Zunächst die ganze Geschraubtheit und Uebertriebenheit der Liebesverhältnisse^), die jeder Motivierung entbehren. Antonine und Dorinde lieben Polyzyth grundlos und masslos, grundlos und masslos verabscheuen sie Orontes und Camillus, und der Umschlag erfolgt zwar motiviert, aber ganz unpsychologisch schnell und gründlich, sodass beide den eben noch heiss geliebten mit spöttischem Hohne übergiessen und die eben noch verabscheuten liebevoll anschwärmen. Die beiden Liebhaber selbst sind ebenso unwahre Ideale : siegirren und schmachten, ja winseln kniefällig um Erhörung und fangen die Thränen der Angebeteten auf, nachdem sie eben einen Fusstritt erhalten haben. Wie in den Stücken des Liebeskampfes, so strömen sich die Liebenden besonders gern in herzbrechenden Klagen aus und halten erbärmliche Monologe, wenn der geliebte Gegenstand krank wird (4,2; 4,3; 4,4; 5,3). Wie es im Liebeskampf vorkommt, dass 4 Liebhaber ihr Schwert zum Selbstmord ziehen, aber immer rechtzeitig durch Vertraute oder durch Handlähmung oder sonstwie daran verhindert werden, so streiten sich Antonine und Dorinde heiss um den Vorzug sich zu erdolchen, bis Camillus ihnen die Waffe entreisst, um dann selbst das Schwert auf seine Brust zu richten und schliesslich nach tiefsinnigem Monologe wieder einzustecken. Zwischen den sentimentalen Klagen stehen wuttriefende Expectorationen über die hartherzigen „Tyger-Seelen" der Geliebten. (Auch Carolingen im A. Seh. 5,11 gehört hierher mit dem Fluche, den sie Jolie nachsendet). Neben diesem Gefühlsüberschwang steht hart eine sonderbare Lehrhaftigkeit in den Erörterungen über die Liebe: wieder genau wie im Liebeskampf. Camillus zeichnet sich hierin besonders aus, aber auch die drei anderen reden gelegentlich wie Lehrbücher. Dem entspricht 1) Vgl. Greizenach, Schauspiele der englischen Komödianten, o. J. Einleitung. (Kürschners Deutsche Nat.-Litt. Bd. 23). >) Siehe Antoninena Liebesversicherung und Dorindens Liebeslied (5,3).

 

— 102 der Stil : da finden wir die alten Vergleiche der Liebeswerbung mit einem kriegerischen Angriff auf eine Festung, der Liebesverwirrung mit einem Seesturm, der spröden Greliebten mit dem nassen Holze, die sich ähnlich schon im Liebeskampf vorfanden. Bemerkenswert ist, dass die Personen sich selbst so häufig mit ihrem eigenen Namen nennen: statt „ich" heisst es: „die unglückselige Dorinde" u. s. w. Die Namen selbst sind in ihren romanischen Formen bezeichnend. Selbst die sprachlichen Formen sind in diesen Partien feierlicher und steifer: da heisst es noch „derer*' und „denen" für der und den, u. ä. 5. Die komischen Figuren und Motive. Die komischen Figuren des deutschen volkstümlichen Dramas (Hans Wurst, Pickelhering etc.) waren im wesentlichen Possenreisser. Einen höheren Eang suchte ihnen Weise anzuweisen. Zunächst zog er die von dem Stücke losgelöste Pickelheringsfigur in den Verband der Handlung hinein, indem er sie verhüllend zum „lustigen Diener" machte. Zugleich hob er den blossen Spassmacher dadurch künstlerisch höher, dass er ihn zum Träger der Kritik und Satire machte. In der Vorrede zu „Lust und Nutz" etc. sagt er: „Wenn etliche Personen auf dem Theatro vorgestellet werden, so geschieht es darum, dass die Zuschauer sich darbey verwundern und von der Sache selbst ernsthatft oder höhnisch raisonniren sollen. Damit nun den Leuten in solcher Verwunderung gleichsam eine Secunde gegeben werde, so wird eine Person darzu genommen, welche gleichsam die Stelle der allgemeinen Satyrischen Inclination vertreten muss". „Der Pickelhering", sagt er anderswo, „muss vielmahl unvermerckt den besten Commentarium über die wichtigsten Actiones machen". Praktisch freilich sind Weises lustige Diener, die sich in fast allen seinen Stücken finden, nicht eben viel mehr als Lazzimacher. üebrigens dringt Weise öfters auf „moralitas facetiarum" (Vorr. zur PoetenzunflPt) und hält sich fast immer trotz der Derbheit seiner Possen von Zoten fern. — Reuter hat ganz nach Weisischem Recept in „La Maladie" etc. einen „lustigen Haussknecht" Lorenz; im ersten Stücke Reuters vertreten der Briefbote Laux und Schelmuffsky das komische Element. In seinen komischen Singspielen dagegen hat Reuter bereits den italienischen Harlequin. Im Gegensatz zu Weise ist der Arlequin des Th6ätre Italien meist unverhüllter Typus, obwohl auch oft Diener. Charakteristisch ist für ihn die leitende Stellung, die er in der Intrigue einnimmt, und das fruchtbare Motiv der Verkleidung. Fast regelmässig hat er 1 bis 4 andere komische Figuren zur Seite, die im Prolog zu „Les Originaux" folgendermassen charakterisiert

 

— 103 — werden: le bouffon de Mezzetin, Tagilit^ de Pasqaariel, le naif de Pierrot; Arlequin selbst werden „les bons mots" und „la souplesse d'esprit^ nachgerühmt; auch Scaramonche ist eine solche Figur des Theätre Italien. — Dieser Harlequin beherrscht auch die deutsche Stegreif komödie der Zeit:, noch 1733 (14. Aug.) schreibt Steinwehr aus Berlin an Gottsched: „Illi (sc. comoediae) quam spectabam et Pantalon et Scaramuzzo et. Arleqnino et Johannes Farciminalis (Hanswurst) ornamento erant". Gegen ihn führte Gottsched den erbittertsten Kampf. — König, Gottscheds gepriesener „deutscher Moliere" hat im Dresdener Frauenschlendrian in dem Bedienten Valentin den Weisischen lustigen Diener mit dem Verkleidungsmotiv des italienischen Arlequin ausgestattet. Auch in seiner Verkehrten Welt ist Harlequin vertreten. — Henrici selbst ist mehr Weisianer. In dem Vorbericht redet er ganz wie Weise: die bitteren Tropfen der Satire müssten mit süssem Saft vermischt werden; „dahero ist die lustige Person in einer Comödie unentbehrlich, weil die satyrischen Wahrheiten dadurch nicht so trocken, auch nicht zu empfindlich werden." Auch die Ablehnung der „safftigen und unflätigen EedensArten" teilt er ^mit Weise. So sind auch Mischmasch und Hokuspokus im Säuffer, wie der Klangnamenbildung nach (vgl. Flinckfleck im „Betrogenen Betrug"), so in ^er Bezeichnung als „lustige Diener" Weisisches Gut. Im Akademischen Schlendrian treten uns in den Namen Harlequin und Peter der Arlequin und Pierrot des Th6ätre Italien allerdings unverhüllt entgegen, aber diese Figuren beruhen trotz der Namen weit mehr auf Weise: sie sind nicht so sehr Intriguanten „par int6ret" — obwohl sie besonders am Anfang des Stückes auch davon Züge haben — , als die „lustigen Diener" Weisens: sie regieren nicht den dramatischen Gang der Handlung, sondern raisonniren nur über den Herrn, machen ab und zu Spässe und vertreten die „satirische Inclination". In der That sind Harlequin, Peter, Mischmasch am besten als „lustige Studentenjungen" zu definieren, etwa wie es der Pickelhering in Schochs Comödia vom Studentenleben ist. — Etwas komplizirt ist die Figur des Buonconto. Nach Namen, Intriguantenstellung und Verkleidungen ist er ganz italienisches Produkt; doch tritt der Typus der lustigen Person äusserlich fast vollständig hinter der Individualität des Weinschenken zurück. Auf ihn hat wohl der lustige Weinschenk Johannes in Eeuters Graf Ehrenfried eingewirkt, dessen Frau Walpe dann mit Frau Buonconto zu vergleichen wäre. — Die Diener zeigen durchgängig eine grosse Ueberlegenheit über ihre Herren, die von ihnen je nach Bedarf abgekanzelt oder getröstet werden: denn sie kennen Weiber und Liebe weit besser als sie ; ist der Herr vollends ein Geck wie Capriol, so behandeln sie ihn mit Spott und Hohn. Auch Buonconto zeigt diese selbstgefällige Ueberlegenheit über die beiden alten Ehemänner. Sie haben eine grosse diplomatische und

 

— 104 — rhetorische Gewandtheit, sie haben Gedanken, wenn der Herr keine hat : so oft Galanthomme auf dem Trocknen sitzt, hilft ihm Harlequin wieder auf, und Mischmasch ist es, der seinen Herrn von seiner Krankheit kuriert. Natürlich sind sie sich ihres Wertes voll bewusst : „Keinen bessern Diener kriegt mein Herr nicht, wie ich bin, und wenn er sich nicht zu rathen und zu helfen weiss, so muss ich her. Und allemahl geräth mirs wohl", sagt Mischmasch, und ähnlich die andern. Das hindert natürlich nicht, dass sich Harlequin der komischen Wirkung halber auch sehr dumm zeigen kann (A. Seh. 3,5). — Der Narr als Brief bote war schon in den Stücken des Liebeskampfes und bei Ayrer sehr beliebt; in Weises Keuschem Joseph erscheint No als solcher, dazu nehme man Laux in Reuters Ehrlicher Frau, auch Valentin in Königs Frauenschlendrian. Im Akademischen Schlendrian zeigt sich Harlequin zweimal in dieser Eigenschaft (2,8 ; 5,4), ebenso Hokuspokus im Säuffer 4,3, natürlich unter allerlei Spässen; auch Buonconto macht den Laufburschen (Weiberpr. 1,3). — Gross ist die Mannigfaltigkeit der einzelnen komischen Motive : viele davon sind internationales Gemeingut. Ein beträchtlicher Teil der Bethätigung des Witzes der Harlekine liegt auch bei Picander im Herumjagen auf der Bühne, im Hinund Herzerren von Personen und last not least in Prügeleien; Grimassenschneiden und ähnliches fehlt nicht. An Zoten sind die Narren nicht arm, ebensowenig an handgreiflichen Caressen gegenüber den Jungen Mägden (A. Seh. 5,5): die waren alte Pickelheringstradition (vgl. Unzeitiger Vorwitz 2,2). Der Witz Harlequins im Akademischen Schlendrian 5,9 — er bedauert, dass niemand das Blut Donats zu Blutwurst verarbeitet habe — ist eine rohe Copie des Witzes Allegros in Weises Masaniello 1,12. — Von sprachlichen Scherzen ist ausser den wohlfeilen Satzverdrehungen Mischmaschs (S. 3,5) besonders hervorzuheben das Motiv des Eadebrechens. In der „Pr6caution inutile" stottert ein englischer Kaufmann einen englisch-französischen Mischmasch zusammen; im Deutschen^) war besonders beliebt das gebrochene Französisch-Deutsch, das vor aUem Jean Chr6tien Toucement (Job. Christian Troemer) ausbildete (vgl. Biedermann 11, 84: Albrecht, Leszings Plagiate S. 1271 f., 1653 ff.) und womit noch Lessings Eiccaut de la Marliniere gewirkt hat. In der Weiberprobe lässt Henrici den französischen Kaufmannsdiener ein ähnliches ergötzliches Idiom reden. Uebrigens findet sich das Motiv schon in Freys Gartengesellschaft, Cap. 65 und 110. — Mehr ins Gebiet der dialogischen Scherze fallen das gleichzeitige Reden der beiden Diener im Säuffer 3,2, das in Weises „Unvergnügter Seele", „Niederländischem Bauer" Weise, König Wentzel lässt die böhmische Leimhändlerin Marinka ein tschechisches Deutsch lallen.

 

— 105 — und dem Stück des Th^ätre Italien „Ulisse et Circe" Vorbilder hatte, sowie das burleske Motiv im Säuffer 3,1, wo Mischmasch auf alle Fragen nichts als „Nein" antwortet; wofür sich im Thöätre Italien mehrfache Beispiele finden (z. B. in „La Precaution inutile, Bd. I). Hierher ist auch zu stellen die dialogische Durchführung des Motivs (A. Seh. 3,5), dass Harlequin durch seine dummen Eeden das Eendezvous, das er zu verheimlichen sucht, gerade verrät, wie Lorentz bei Reuter, La Maladie etc. HI, 6 ; vgl. auch Stranitzky, OUa potrida Cap. XXVI. — Das komische Operiren mit der Logik durch möglichst unpassende Anwendung des Ergo (Sffr. 1,2; A. Seh. 5,6) war schon im Theätre Italien (La These des Dames; L'empereur dans la lune; Les Chinois) beliebt. Auch mischen sämtliche Narren gern lateinische Brocken in die Reden ein, wie bisweilen auch bei Weise geschieht; und wenn einer bei Weise verdrehterweise sagt fabula in lupo, so verhunzt Buonconto dasselbe Citat zu lepus in fabula. Mischmasch sagt im Säuffer 1,2: „Wir Gelehrten haben ein Sprichwort," — die Beispiele für dieses Motiv sind überall zu finden (vgl. Lessings Jungen Gelehrten: „Wie wir Lateiner sagen"). — Nicht minder sind die komischen Komplimente ein stehendes Requisit in den Spässen der lustigen Person: „Serviteur, Serviteur*' begrüssen sich im Säuffer 3,6 Mischmasch und der Schenkein, wozu man Weises Keuschen Joseph (5,15) vergleiche. Mit feierlicher Grandezza reden sich im „Arlequin Prot6e" (Th. J. I.) die zwei Clowns mit Seigneur Arlequin und Seigneur Mezzetin an, — bei Picander titulieren sich Mischmasch und Hokuspokus in einer langen Stichomythie (1,6) nicht weniger als sechzehnmal mit „Mein Herr"; vgl. Weise, LiebesaUiance 3,6, wo sich Mustardo und Ejiips als „ehrliche Kerle" bekomplimentieren. — Noch verbreiteter waren die Lazzi mit Weinen und Lachen, besonders die ersteren. Mischmasch (1,5) zerfliesst über die Moralrede Valentins in burleskes Heulen und Schluchzen, wie eine „alte Spitalfrau"; Buonconto unterbricht seine moralische Ehebruchsgeschichte (1,2) durch einige seiner Mutter geweihte Zähren (wie Valentin bei König, Frauenschi. Sc. 6), und Harlequin begleitet mit seinen Thränen den Weinkrampf Liessgens (A. Seh. 5,10), genau wie Arlequin im „Tombeau de Maitre Andre (Th. J. V.): „je pleure par conversation". In demselben Stück sagt Pasquariel elegisch von dem toten Andre: „En mourant il disoit: Adieu, adieu, Mezzetin, adieu Pasquariel" ; ähnlich wieder Harlequin von dem abgereisten Galanthomme : „Lebe wohl Harlequin! waren seine letzten Worte". — Fast noch vielgestaltiger sind die Trinklazzi: Buonconto macht sich (1,2) allerlei Scherze mit den beiden Alten, besonders reichhaltig ist daran, gemäss dem Stoffe, der „Säuffer": man sehe die Saufduette des Herrn und des Dieners (1,3), der beiden Diener (1,7), u. ähnliches. Auch von diesen Motiven haben viele eine lange Vorgeschichte und finden

 

— 106 — sich z. B. im Th^ätre Italien. In der „Lingere" (Bd. I) legt Arlequin um eine zerschlagene Weinflasche Trauerkleider an: im Säuifer (3,1) erscheint Mischmasch mit einem Trauerflor, als Polyzyth das Bier verschworen hat In den „Intrigues d' Arlequin" hält Arlequin an die Flasche als an seine Geliehte eine Ansprache, im „Tomheau de Maitre Andr6" wird sie sogar angesungen: nicht anders macht es Mischmasch, der (2,6) auf sein Bierglas eine Lobrede schwingt, die er folgendermassen ausklingen lässt: „Du liebes Glass! (küsset es bey ieden Worte) du schönes Glass! du göldnes Glass! du MarcipanGlass! du Zucker-Glass ! du Honig-Glass! du gläsernes Glass, ach du Glass über alle Glässer!" Diese Apostrophe hat Picander aus Weises Keuschem Joseph (V, 6) entnommen, wo No den Fuss Metacompses anredet: „Ach du schöner Fuss, du göldner Fuss, du wohlriechender Fuss, du galanter Fuss, du rothstrümpfigter Fuss." — Bei derartigen Scherzen ist schon unverkennbar ein Nebenzweck die Parodie der litterarisch-sprachlichen Modethorheiten^); besonders beliebt war in dieser Hinsicht die dankbare Verspottung des poetischen Schwulststils. Im Theätre Italien werden sehr oft derlei parodische Gedichte verlesen, Weises lustige Diener parodieren mit Vorliebe die Liebeslieder ihrer Herren, und Reuter travestiert in Harlequins Hochzeitsschmaus geradezu ein Hoffmannswaldauisches Sonett (vgl. Ellinger, Einleitung zu seinem Neudruck): so ist wohl auch Mischmaschs Grabepigramm auf das Bierglas (2,6) als litterarische Parodie zu fassen. Hervorzuheben sind femer die Liebesbriefe Harlequins und Peters an Liessgen (A. Seh. 2,9), die sehr lustig die Art der galanten Briefsteller verspotten: wie Arlequin im „Empereur de la Lune" Colombinen seine Liebe in lauter pharmazeutischen Vergleichen oder der Musiker La Gamme in lauter musikalischen Metaphern erklärt, so führen auch Peter und Harlequin ein Motiv durch: Harlequin holt seine Gleichnisse sämtlich von der Orgel ^ (z. B.: „Lass mich das Pedal deines Herzens treten"); Peter schreibt als Studentenjunge in akademischen Phrasen (z. B. : „nachdem ich, der PedeU deiner Schönheit, an dem schwarzen Brete deines schönen Busens angeschlagen, dass in dem Auditorio deines Herzens schöne CoUegia werden zu hören . . . seyn" etc.). Den juristischen Aktenstil travestiert Buoncontos „Probe-Rüge" (Weiberpr. 2,7): auch hier konnten Weise (z. B. in der „Zweifachen Poetenzunfft") und das Th6ätre Italien (z. B. im „Arlequin Phaeton" Bd. IH) zahlreiche Muster an die Hand geben^). — Lügengeschichten^), wie sie Buonconto (1,3) den beiden Alten ^) Amaranthes hat z. B. in der That den Fuss der Geliebten angedichtet. 2) Man erinnert sich an Picanders Gedicht: „Der Liebe Orgelwerck." 3; Burleske Briefe und Urkunden finden sich übrigens schon bei den engl. Comödianten. *) s. oben Seite 25.

 

— 107 — aufhängen will, waren schon bei den Schwankdichtern beliebt, finden sich auch im Vincemtius Ladislaus des Herzogs Heinrich Julius (vgl. Haupts Zft. n, 560. Xm, 578); auch der Mr. de la Grillerie im Patrioten ü, 94 gehört hierher. Bekannt ist Eeuters Schelmuffsky-Figur. Als Harlekinszug tritt das Motiv besonders im Th6ätre Italien hervor: im Mercure Galant liest Arlequin unglaubliche Nachrichten von den Antipoden, Tartaren u. s. w. vor; im Arlequin Jason (=Toison d'or) erzählt er von Marinekavallerie und Gebirgsmarine : desselben Genres sind Buoncontos Geschichten von Luftschiffen u. ä., und es ist dies ein Hauptcharakteristikum für Buoncontos Harlekinnatur. Ein alter Zug des Narrentypus ist die Feigheit: Falstaff ist das klassische Beispiel dafür. Auch Weises Narren (z. B. Nabal in „ Jephthas Tochtermord") und der Arlequin des Thßätre Italien (z. B. in „Colombine Avocat pour et contre". Bd. I) erwählen oft das bessere Teil der Tapferkeit. So sind auch Hokuspokus und Mischmasch gezeichnet, der 2,6 sagt: „Herze habe ich wohl genung, ich kan es aber nur nicht von mir geben." Mit Worten thuen beide natürlich sehr tapfer, wenn sie weit vom Schuss sind ; ganz ergötzlich ist das Eencontre der beiden Helden (3,2) scenisch durchgeführt. — Gern spricht auch die komische Person die Absicht aus, in den Krieg zu ziehen und da ihr Glück zu machen (so z. B. im „Ph6nix", Theätre Italien HI. Bd., und in der „These des Dames"), und wenn Buonconto (2,4) dieselbe Absicht kundgiebt, so ist das ein weiteres Zeichen für seine Harlekinschaft. — •Das Verkleidüngsmotiv ist das eigentliche Hauptmittel der Komik im Th6ätre Italien und hat dort eine sehr vielseitige Ausbildung erfahren; höchst selten fehlt es ganz in einem Stücke. Die hauptsächlichste Art der Verwendung ist die, dass Arlequin sich in die Kleider irgend einer andern Person steckt und darin einen Possen verübt. So findet sich das Motiv auch bisweilen bei Weise (im Alfi^tnzo, Masaniello, Verfolgten Lateiner) und Reuter (Ehrliche Frau), sowie bei König (Frauenschi. Sc. 6). Picander arbeitet damit nur in der Weiberprobe, ein Beweis für die Abhängigkeit gerade dieses Stückes vom Theätre Italien und für Buoncontos Harlekinisches Wesen: Buonconto erscheint als französischer Arzt verkleidet, um an Wunnsaamen, als Jungemagd Liessgen, um an Rübezahl Vergeltung zu üben; vielleicht (s. Seite 89) ist er es auch, der hinter dem Zahnarzt, Kaufmannsdiener, Barbier und Spitzbuben steckt, Figuren, die fast alle dem Th6ätre Italien nicht unbekannt sind: so tritt z. B. in Regnards „Divorce" Arlequin als Barbier in einer Scene auf, die mit derselben Groteskerie durchgeführt ist, wie die der Weiberprobe; vgl. dazu noch Stranitzky, OUa potrida Cap. XLDI. — Die Maskierung als Hund, die sich Buonconto 2,9 leistet und die Gottscheds besonderen Zorn erregte, hat noch viel tollere Gegenstücke im Theätre Italien. — Auch der Besuch Nillhorns in den

 

— 108 — Kleidern Wurmsaamens bei seiner eigenen Frau, durch den er deren Treue in eigner Person erprobt, hat in einer Scene der „Femme vang6e" ein genaues Vorbild, nur dass hier die Probe ein günstiges Resultat hat. — Wenn Buonconto im letzten Akt der Weiberprobe das Liebespärchen unvermerkt zusammenbindet und so ihr Vergehen dem Ehemanne ad oculos demonstriert, so erinnert das — ausser an das Netz des Hephaistos bei Homer — auffällig an den letzten Auftritt von Hunolds Thörichtem Pritschmeister (1704), wo Wecknarr (Wernicke!) in der Dunkelheit unbemerkt mit der Schustermagd, die er gerade umarmt, zusammengefesselt und dann verspottet wird. Die Uebertölpelung des bigotten und dummen Bauern durch das überlegene Genie Harlequins ist ein altes Motiv, das auch Weise in seinen Dramen öfters variiert. Die besondere Variante, dass dem Bauern so lange vorgeredet wird, irgend ein Wertgegenstand, den er bei sich hat, sei etwas ganz anderes, als er meine, bis er es glaubt und das Objekt hergiebt, findet sich ähnlich schon in den Gesta Romanorum (Oesterley S. 486), dem Eulenspiegel (No. 68), bei Pauli (Schimpf u. Ernst, No. 632) und sonst sehr häufig: vgl. Oesterley in seiner Ausgabe von Pauli. Bei Picander sind das Object Hühner, und Harlequin schwatzt ihm unter anderm vor, es seien kleine Teufel; da diese der Bauer natürlich um jeden Preis los sein wiU, muss er Harlequin noch Geld und seine Kleider geben, damit dieser sie überhaupt nehme ^). — Uralt ist auch der wenig anmutende Scherz mit den Uringläsem (Säuffer 3,1): Mischmach und Hokuspokiis begegnen einander, jeder das Glas in der Hand, keiner will weichen und schliesslich zerbricht Mischmasch sein Glas, was allerlei unappetitliche Consequenzen hat: das Motiv, das sich schon im Mittelalter nachweisen lässt (v. d. Hagen, Gesammtabenteuer H, 502) und in zwei Stücken des Liebeskampfes (Macht Cupidinis 4,5 ; Aminta 5,3) wiedererscheint^, hatte auch Reuter (La Maladie etc. 3,2) sich nicht entgehen lassen; von ihm kann es Henrici haben. — Weit verbreitet in der Weltlitteratur (z. B. bei Shakespeare, Antonius und Cleopatra; Ayrer, Der verlohren Engelländisch Jahn Posset; Herzog Heinrich Julius von Braunschweig; Th. J., Colombine Avocat pour et contre) ist auch das Motiv im Säuffer 1,2: Mischmasch wird von seinem Herrn weggeschickt, kehrt aber dreimal um, ehe er wirklich abgeht. — Ein beliebter Lazzo ist es auch, wenn Hokuspokus (Sffr. 1,7) ein Trinkgeld angeboten bekommt, sich standhaft weigert es anzunehmen und Der Bauer ist übrigens in seinen Reden gut charakterisiert: „Wir müssen arbeiten, dass wir auf dem Maule möchten liegen bleiben, und haben doch kaum das liebe Leben Den ganzen Winter hab ich mich geplackt, und ihnen (den Hühnern) den klaren klammetigen Haber zu fressen gegeben, und kriege irgends vor eine 3. gl. dass es pufft **, u. s. w. 2) Siehe Creizenach, Schausp. d. engl. Komöd. p. CVI. — ZfdPh. XX, 294.

 

— 109 — endlich es doch nimmt: vgl. Pr6caution inutile; La fille de bon sens; Weises Unvergnügte Seele, Markgraf v. Ancre, Jephthas Tochtermord, Liebesalliance. — Mischmasch, der schon die Heirat Polyzyths mit Antoninen als sicher annimmt, freut sich im voraus auf die Hochzeitskrause, die er dann erhalten wird: er teilt diesen Zug mit dem Passetems in Weises Unvergnügter Seele. — Picander ist wohl der früheste Dramatiker, der die für die spätere sächsische Komödie bis auf Lessing so ungemein charakteristische Figur der Lisette, „des Stubenmädchens zu Leipzig'*, voll ausgebildet hat, jene Figur, deren „verbesserte Auflage" Scherer Lessings Franziska nennt. Er hat natürlich die Figur nicht geschaffen. Sie ist aus dem Colombinenund Marinettentypus des Theätre Italien und aus den Weisischen „lustigen Kammermädgen" zusammengesetzt Reuters Ursille (Ehrl. Frau) ist derber und compakter, Schnürtzgen (La Maladie etc.) ist nur Ansatz geblieben. Der Name Liessgen findet sich bei Picander zuerst, sowohl im Akademischen Schlendrian als im Säuffer. — Dieses Liessgen ist das weibliche Gegenstück zum Harlequin. „Interpretes fidelles des sentimens d'un jeune coeur que la pudeur empeche de s*expliquer" definiert Arlequin im „Bel-esprit" (Th. J. V.) die Suivantes der Komödie : auch Liessgen ist in beiden Stücken die Vermittlerin und Zuträgerin zwischen ihrer Herrin und deren Geliebtem^). Darum wendet sich Galanthomme diplomatischerweise durch Harlequins Vermittlung an Liessgen, um durch sie Frau Vielgeld zu erobern, und Orontes macht es im Säuffer entsprechend ebenso. Aber nur für Geld arbeitet sie, und Capriol kommt schlecht an, als er dies ausser Acht lässt. Mit Eecht sagt Harlequin (A. Seh. 1,2): „Regula: Wer einem Cammerkäzgen die Hände versilbert, erlangt alle gute Tugenden"; vgl. Colombine im „Marchand dupp6" (Th. J. n.). Orontes, der anfangs noch nicht die nötige Routine in solchen Sachen besitzt, macht sie durch allerlei Wenn und Aber klar, dass nur einige Gulden ihre Fürsprache wirksam machen können (Sffr. 3,4), ähnlich wie auch Rübezahl (Weiberpr. 1,3) auf einen guten Gedanken erst kommt, wenn er Geld sieht; vgl. den Portier im „Banqueroutier" (Th. J. I.) und Scibilis in Weises Macchiavell. — Liessgen ist schlau und falsch wie eine Katze: „der verschlagenste Teuffei wird einer listigen Junge-Magd nichts abgewinnen können." Sie ist eitel, geht in Reifröcken und empfindet es in ihrem grossen Selbstbewusstsein als unwürdig, mit Du angeredet zu werden ; sie will nicht eine Junge-Magd, sondern eine HausJungfer heissen'^) (A. Seh. 1,2, ^) Wie Herr Buonconto eine Art Arlequin ist, so hat Frau Buonconto etwas vom Liessgen: sie fungiert als Aufpasserin (1,5), Zwischenträgerin (2,2) und Gteiegenheitsmacherin (2,6) der verbuhlten Ehefrauen. ^) Vgl. Menantes, Satyr. Roman S. 64, wo der Jenaer mit der „Hausmagd*, der Leipziger Student mit der , HansJungfer*' sich belustigt. -^

 

110 Sffr. 5,1), die einmal mindestens einen Magister heiraten will: „Ein Mädgen meines gleichen wirfft sich nicht so leichte weg" (A. Seh. 1,2). Darum hält sie es nicht mit den gemeinen Dienern, die natürlich ausnahmslos in die artige Jungemagd verlieht sind; sondern im Gegensatz zu den Weisischen lustigen Cammermädgen (wie Metacompse im Keuschen Joseph) und den Colombinen des Th^ätre Italien, die gewöhnlich ihren lustigen Diener oder Arlequin heiraten, lässt Liessgen sowohl Harlequin und Peter als auch Mischmasch zu wiederholten Malen sich einen Korb holen, wofür sie dann von den Beleidigten ein „abgefäumtes Treppenfleisch" genannt wird: A. Seh. 1,5, Sffr. 2,7. In beiden Stücken liebt Liessgen die vornehmeren Informatoren des Hauses; das Liessgen im Akademischen Schlendrian ist überhaupt eine ausgesprochene Studentenfreundin, was sie mit der (von unerwartet feiner Psychologie zeugenden) Bemerkung begründet: „die Studenten haben so feine, weiche Hände." Mit der jüngferlichen Ehre nehmen es die Liessgen nicht allzu genau: das Liessgen im Säuffer hat von ihrem Informator ein Kind und muss froh sein, am Schluss Hokuspokus zum Manne zu erhalten. — Liessgen ist nicht nur couragös (Sflr. 2,7), sie verfügt vor allem über eine sehr schnippische Zungenfertigkeit (A. Seh. 1,9. Sffr. 2,7). Das Liessgen im Säuffer zeichnet sich durch reichlichen Gebrauch von französischen Fremdwörtern aus; sie sagt: „Ein bissgen Französch ziert doch allemahl den Menschen". Das ist Leipziger Mode, Philander hat in der 1. Satire dieselbe Sentenz: „Ein Wort Frantzösisch ziert den gantzen Menschen aus." Natürlich verstümmelt und verwechselt sie dabei die Ausdrücke, ein Motiv, das im Th^ätre Italien dem beschränkten Pierrot eigen ist. Sie sagt muncquiren für mocquiren, Minuwe für Menuet und ähnliches mehr; vgl. auch den Wilhelm von hohen Sinnen in Gryphius Gelibter Dornrose (4. Akt). Ungeschickt ist es, dass Picander dieses Motiv nicht durchgehends zur Charakterisierung verwandt hat, sondern es nur in einer Scene (1,2) verwertet: späterhin sagt Liessgen nur ganz selten einmal Concept für Recept (3,2). In ähnlicher Weise ist das Liessgen des Akademischen Schlendrians ausgestattet, indem es eine Menge echt Leipzigische Eedensarten im Munde führt, deren „schöne Naivetät", ebenso wie die Fremdwörter des anderen Liessgens bei Mischmasch, bei Harlequin Bewunderung und Liebe erregen, sodass er sie aufzeichnet. Interessant ist die Geschichte dieses Motivs der Sprichwörtersammlung Harlequins. Menantes, der in seinem „Satyrischen Roman" Hamburger, Jenaer und Leipziger Verhältnisse, vor allem solche scandalöser Natur, satirisch verwertete, macht sich an einer Stelle auch über die Redensarten der Leipzigerinnen lustig^): „Das Frauenzimmer in 1) Siehe Bobertag, Geschichte des Romans H, 2, p. 155 f.

 

— 111 — Lindenfeld (=Leipzig) hat sonsten den Enhm, dass es klug^ and man sich in ihrer Compagnie gescheut und behutsam aufführen müsse; Alleiu unsere Cavalliers fanden einiger ihren Charakter so beschaffen, dass sie zweiffelhaffcig blieben, ob das Frauenzimmer in Lindenfeld vielen Studenten, oder die Studenten vielen Frauenzimmern den Verstand benommen. Ihre gantze Galanterie bestund in possirlichen Sprüchwörtern, gezwungenen und zuweilen höhnischen Minen, unzeitigem Complimentjren, keinem scharfsinnigen Schertze, und einem Wesen, das durchaus mehr Coquettenals Tugendhaft war; Denn wenn es das geringste gab, oder einer von den Studenten, darunter ein paar artige und sehr geschickte Leute, einen galanten Schertz anbrachten, waren sie alsofort mit ihren gewöhnlichen Sprüjchwörtem fertig," und nun folgt eine Liste von 10 derselben, die beginnt mit: „Ich dachte, was mich bisse ^ und endet mit: „Ich habe meinem Affen heut Zucker gegeben." Der Hamburger Patriot (I, 7) berichtete von einer Hamburger Gesellschaft zur Pflege der von dem Patrioten verspotteten Redensarten, die sich nannte „vam schönen Wedder", und die auch die Sprichwörter der Fremden, besonders der Leipzigerinnen, sammelte. Hier finden sich ausser zwei schon bei Menantes mitgeteilten 6 neue Eedensarten (Von: „Ey ja! warum das nicht?" bis „Je he (sie!) taugt jo mit samt, dem heele nischt"). Gottscheds Tadlerinnen fingierten dann (I, 23) den Brief einer Leipziger Jungfer, die von dieser Sammlung des Patrioten Kenntnis nimmt und dazu einen Nachtrag giebt, der 8 weitere Leipziger Sprichwörter umfasst, (von: „Ist das nicht ein Gethale?" bis „Ey nu ja!"), üebrigens tadelt Gottsched diese Eedensarten. Picanders Liessgen erweitert die Liste solcher Schlagwörter um eine ganze Reihe neuer, grösstenteils recht zweideutiger Wendungen; Harlequin zeichnet sich 35 Nummern auf, von denen nur 2 schon bei Menantes, dem Patrioten oder den Tadlerinnen sich finden. Rechnet man dazu noch 2 weitere von Liessgen später einmal (5,5) gebrauchte und einige vom Liessgen im Säuffer 1,2 produzirte, ähnlich geprägte Ausdrücke, so erhält man eine recht stattliche Collection^). Man sieht daraus, mit welcher Liebe zur Sache Picander den Sprachschatz der Leipziger Coquetten studiert hat Die Redensarten geben in der That in ihrer halbschürigen Frivolität, der selbstgefälligen Verdorbenheit der Phantasiesphäre, der bequemen, schnippischen Gebrauchsfertigkeit ein gutes und echtes Charakterisierungsmittel der damaligen Leipziger Frauenwelt. Picander hat es aber nicht recht ausgenutzt. Statt Liessgens Zofentum durch Aufsetzen der verschiedenen Lichter auf die einzelnen ^) die sich aus Picanders Gedd. und sonstigen Werken leicht vermehren Hesse; vgl. bes. Gedd. IV, 406. — Auch bei Günther, Amaranthes und Philander findet sich einzelnes.

 

— 112 — Reden im ganzen Stück in die charakteristische Beleuchtung der Localfarben zu setzen, lässt er das Feuerwerk in einer einzigen Scene wirkungslos verpuffen. Vielleicht war ihm, wie Menantes, dem Patrioten, den Tadlerinnen, hauptsächlich um die satirische Verspottung der Sache zu thun. — 6. Die Technik. Die dramatische Technik Picanders ist durchaus nicht so roh und lüderlich, wie man immer behauptet: Picander hat auch hierin von seinen beiden Lehrmeistern, Weise und dem Theätre Italien, gelernt. Der Akademische Schlendrian und der Säuffer zählen fünf Akte, die Weiberprobe nur drei, womit sie wieder ihre grössere Abhängigkeit von dem italienisch-französischen Theater verrät. Einheit des Ortes und der Zeit fehlen. Die Angabe des Schauplatzes ist nicht einmal immer vorhanden (bei Weise fehlt sie fast stets), und wenn sie vorhanden, beschränkt sie sich meist auf die einfache Forderung eines „Zimmers", einer „Gasse** u. ä. Merkwürdig ist A. Seh. 3,1, wo es heisst: „Der Schauplaz ist ein Dorff-Guth oder Wald": die Wahl, die hier dem Eegisseur gelassen wird, ist um so befremdender, da die folgenden Scenen offenbar ein Gut, insbesondere ein Haus voraussetzen. — Zum Zwecke eines Öcenenwechels innerhalb eines Aktes dient die damals allgemein übliche mittlere Scene, d. h. eine im Fond der Bühne befindliche, von deren vorderem Teile durch die sogenannte „Mittel-Guardine" getrennte, zweite Scene. Es heisst dann einfach: „Die Mittel -Guardine wird aufgezogen und praesentiret ... ."^); so ist es auch bei Weise oft und im Th6ätre Italien. Häufig aber wird der Scenenwechsel überhaupt nicht angemerkt, sondern, wie bei Weise (und z. B, auch in Königs Frauenschlendrian) die Eegel ist, bedeutet das Abgehen aller Personen von der Bühne für den Zuschauer einen idealen Scenenwechsel. So wird z. B. im Säuffer nach 4,1 die Bühne leer; 4,2 spielt also, wie auch der Inhalt zeigt, an einem ganz anderen Platze, obwohl die ausdrückliche Angabe fehlt; ganz in gleicher Weise ist Scenenwechsel bei leerer Bühne anzunehmen zwischen Säuffer 4,7 und 4,8, Weiberprobe 2,3 und 2,4. — Zwischenräume von einem Tage muss man öfters zwischen den einzelnen Akten annehmen (so zwischen Akt 5 und 4 des Akademischen Schlendrians und Akt 5 und 4 des Säuffers), längere Zwischenräume sogar zwischen Scenen desselben *) Weiberprobe 1,7 heisst es: „Der Schauplatz verändert sich und zeiget eine Gasse" u. s. w. Offenbar bedeutet dies dasselbe wie die Oeffnung der Mittelgardine.

 

— 113 — Aktes, wenn Scenenwechsel stattgefunden hat (so zwischen Scene 4,2 und 4,1 des Säuffers, da Antonine 4,2 schon den 4,1 erfolgten Tod Valentins weiss). Zeitliche Unmöglichkeiten sind ebenfalls nicht ohne Beispiel: im Akademischen Schlendrian 5,13 kommt ein Brief von Galanthomme an, der doch erst 5,11 abgereist ist. — Einheit der Handlung ist im Grossen und Ganzen vorhanden, auch im Säuffer, wo zwei Handlungen nebeneinander her laufen, die eng mit einander zu einer Einheit verbunden sind: die Entwicklung des Charakters des Säuffers und die Liebeshandlung. — Klaren und durchsichtigen Aufbau weist vor allem der Akademische Schlendrian auf: Akt 1: Exposition: Bekanntwerden der Liebenden. Akt 2 : Steigerung und Verwicklung : Eifersucht des Ehemannes. Akt 3: Höhepunkt: Rendezvous. Akt 4: Stillstand: Komische Episoden. Akt 5: Katastrophe. Weniger ist dies im Säuffer der Fall, doch liegt auch hier der Gipfel der Handlung, der Schwur Polyzyths, ungefähr in der Mitte des Stückes (2,5). Die Weiberprobe ist so construiert, dass im 1. Akt der Plan einer Probe gefasst wird, die nicht gelingt, worauf im 2. Akt ein neuer Anlauf genommen wird, der im 3. Akt zum Ziele führt. — Die Exposition erfolgt in der Weiberprobe und im Akademischen Schlendrian in der ersten Scene durch Dialoge, während im Säuffer nach Art des Th^ätre Italien (siehe auch Königs Frauenschlendrian) der Harlekin, Mischmasch, in einem burlesken Monolog uns über Polyzyths Charakter aufklärt, dann in einem Dienstbotengespräch zwischen ihm und Liessgen die eigentliche Expositon beginnt. Während im Akademischen Schlendrian schon im 1. Akt sämtliche in die Handlung eingreifenden Personen auftreten, ist der Säuffer so gebaut, dass der 1. Akt das Spiel, der 2. das Gegenspiel vorführt. — Eine gewisse Spannung hat Picander in der Weiberprobe im 1. Akt dadurch erreicht, dass in den ersten Scenen von den Ehefrauen lange gesprochen wird, ehe sie selbst auftreten, und dies ebenso bei den beiden Doktoren der FaU ist. Freilich macht er den Fehler, die Intrigue vorher verkündigen zu lassen, offenbar in Anlehnung an die Technik Weises (dem Reuter hierin folgt), in dessen Stücken meist ganz offen der „Possen" auseinandergesetzt wird, ehe er ausgeführt wird; das Theätre Italien giebt viel wirksamer meist nur eine dunkle Andeutung der kommenden Intrigue. Picander versteht es aber, die Spannung dadurch wieder herzustellen, dass er zwischen die Fassung des Intriguenplans und seine Ausführung (beziehentlich deren Bekanntwerden für den Zuschauer) meist den Aktschluss legt: so ist es zwischen Akt 1 und 2, Akt 2 und 3 der Weiberprobe, und ähnlich auch zwischen Akt 3 und 4 des Akademischen Schlendrians, wo die Ueberraschung des Liebespäi'chens am Ende von Akt 3 vor 8

 

— 114 — nnsem Augen eingeleitet wird, wir über das Resultat aber erst in Akt 4 aufgeklärt werden. — Die falsche Todesnachricht im Säuffer, die zur Hemmung und Verwirrung der Handlung dient, ist ein Weisisches Motiv (vgl. Schienther, a. a. 0. S. 103). — Die Peripetie ist besonders scharf ausgeprägt in der Weiberprobe. In der Scene 2,8 kommen die beiden Ehemänner voll sicherer Freude über die eben glücklich erprobte Treue ihrer Frauen auf die Bühne, um unmittelbar darauf den documentarischen Beweis der Untreue zu erhalten. — Die Katastrophe ist ebenso scharf markiert im Akademischen Schlendrian, wo von der 1. Scene des letzten Aktes an ganz deutlich die Lösung der beiden Verführer von den verführten Frauen anhebt und sich -bis zu der letzten Scene immer mehr steigert. Im Säuffer erfolgt die eine Katastrophe, die des Säuferthemas, schon im 4. Akt, die Katastrophe der Liebeshandlung im 5. In der Weiberprobe sagt sehr wirksam Frau Ohnesafffc unmittelbar vor der Ueberraschung: „Sie dencken zwar, sie wollen uns einmahl erlauschen, aber es soll ihnen so gut nicht werden"; das ist eines der inexspectata, die Weise gefordert hatte. — Die Sceneneinteilung ist ziemlich willkürlich; im Allgemeinen beginnt Picander beim Kommen einerneuen Person eine neue Scene, ohne dass Ausns^men davon ganz fehlten. Im Einzelnen hat er es wohl in Acht genommen, die Scenen untereinander in Beziehung und Verbindung zu setzen, nachfolgendes vorher anzudeuten und angedeutetes nachher auszuführen. Ich weise nur auf ein Beispiel hin : im Säuffer 1,4 droht Valentin seinem Sohne mit Enterbung, wenn er sich nicht bessern werde, — 4,1 findet dies seine Verwirklichung in Valentins Testament. Derartige technische Feinheiten finden sich mehrere (vgl. Akademischer Schlendrian 1,8 und 2,1. 1,6 und 2,3. 5,1 und 5,11. Säuffer 1,1 und 2,7. Weiberprobe 2,2 und 2,8). Von Weise hat Picander gelernt, aufeinanderfolgende Scenen contrastierend zu gestalten: Weiberprobe 1,4 überbieten sich die Frauen in Versicherungen der ehelichen Treue, die Scene 1,5 beweist sofort das Gegenteil. Die ernsten Ermahnungen Valentins (im Säuffer 1,4) gegen das viele Trinken sind von zwei wüsten Saufscenen eingerahmt (1,3 und 1,5). Akademischer Schlendrian 5,6 schwelgt Capriol in den kühnsten Liebeshoffnungen, 5,7 wird er von der Wache abgeführt; Säuffer 3,6 rühmt Mischmasch sein AUerweltsgenie, 3,7 wird er von den Gläubigern verprügelt (vgl. noch Akad. Schlendrian 2,2 und 2,3; 5,4 und 5,5. Säuffer 2,3 und 2,5). ~ Neben den Contrastscenen finden sich auch Parallelscenen, besonders infolge der Parallelisierung der Handlung der niederen Personen mit der der Helden. Pierrot liest in den „Originaux" als Diener einer Precieusen den Quintus Curtius — Harlequin und Peter galanisieren mit der Jungemagd, wie ihre Herren mit der Frau,

 

115 — Mischmasch sanft so gut wie sein Herr, und die Heirat von HokaspokUB und Liessgen ist das Pendant zu den Heiraten ihrer Herrinnen. Das beste Beispiel für die scenische Dnrchf ühmng der Parallele sind die Scenen 3,6 und 3,7 des Akademischen Schlendrians, wo erst Peter, dann Jolie der Geliebten ein Ständchen bringt; vgl. noch Akad; Schlendrian 4,2 nnd 4,3; Säuffer 2,1 nnd 2,2; Weiberprobe 2,8 nnd 2,9, und Weiberprobe 1,5 in ihren beiden Teilen). — Episodische Scenen, die den Fortgang der Handlung auf kurze Zeit unterbrechen, finden sich nicht selten, vor allem Harlekinsscenen, wie die Bauernscene Akad. Schlendrian 3,14, die zu der Handlung durchaus ohne Beziehung ist, während andere, wie die üringläserund DoktorScenen (Säuffer 3,1 und 3,2) wenigstens lose angeknüpft sind. Satirische Zwecke verfolgt die grosse Episode der Wochenstube am Ende von Akt 4 des Akademischen Schlendrians, ebenfalls ohne Beziehung zur Handlung. Hier stört vor allem die Länge: diese eine Scene ist fast doppelt so umfangreich, wie die sämtlichen übrigen Scenen des 4. Akts. Auch im 2. Akt der Weiberprobe kommt die Handlung durch derartige satirische Scenen sehr ins Stocken (2,4 — 2,7). Die Bänkelsängerund Mess-Scene am Ende des 1. Akts der Weiberprobe ist nicht als Episode, sondern ~ mit dem Ehebruchscarmen — als eine Art stimmendes Moment für das Stück zu betrachten. — Die Aktschlüsse liebt Weise durch eine Prügeloder Possenscene theatralisch wirksam zu gestalten, und auch das Theätre Italien lässt den Akt gern in Tanz oder Prügelei ausklingen. Noch consequenter ist hierin Picander: Akt 2 und 3 des Akademischen Schlendrians, Akt 1 und 3 der Weiberprobe, Akt 2, 3 und 5 des Säuffers endigen sämtlich mit Prügeln: wie man sieht, ist besonders Akt 3, der Höhepunkt, markiert. Akt 2 der Weiberprobe schliesst mit der tollen Hundescene, Akt 1 des Säuffers mit Hokuspokus Trinkgeldlazzo, Akt 4 desselben Stückes mit der geräuschvollen Arretierung des betrunkenen Polyzyth durch die Lampenmänner; auch die schnippische Abweisung Capriols am Ende von Akt 1 des Akademischen Schlendrians durch Liessgen ist wirksam. Weiberprobe und Säuffer vereinigen nach Art des Th6ätre Italien am Ende des Stückes alle Personen zu einer Ensemblescene ; der Schluss des Säuffers mit der dreifachen Heirat erinnert an Königs Frauenschlendrian. Jedes der drei Stücke endigt mit einem scharf geprägten Schlagworte (s. Inhaltsangaben); die Weisischen Schlussalexandriner, die auch Reuter adoptiert hatte, fehlen bei Picander. — Auftreten und Abgehen der Personen geschehen oft ohne jede Motivierung. „Wenn man der guten Freunde von nöthen hat, so kommen sie" sagt Scibilis in Weises Macchiavell, und es ist dies auch Weises Technik. Picander macht es sieh nicht viel schwerer. Hin und wieder fehlt sogar die scenarische Bemerkung, dass jemand die Bühne verlässt. Das Auftreten einer Person wird 8*

 

— 116 — mit grosser Regelmässigkeit durch ein; „Hier kömmt er selber" oder „Da kommt ja der Herr X" und ähnliche Wendungen angekündigt, wie im Th6ätre Italien durch ein bequemes voicy. Das successive Abgehen der Personen, deren jede ein Abgangswort sagt, wie es am Ende des Säuffers der Fall ist, ist ein Weisisches Motiv; vgl. z. B. König Wenzel 2,6. Technische Schwerfälligkeiten fehlen natürlich nicht: im Akademischen Schlendrian 2,4 rekapituliert Peter in einem Monologe, was wir auf der Bühne in Scene 1,9 haben vor sich gehen sehen; Weiberprobe 3,10 erzählt Buonconto seine Eache an Wurmsaamen noch einmal. Auch Wiederholungen von Motiven stossen uns auf. Im Akademischen Schlendrian versucht Harlequin immer wieder von neuem Liessgens Liebe zu gewinnen, und immer wieder wird er abgewiesen; ebenso hartnäckig sind Camillus und Orontes in ihren Werbungen, Camillus spricht es geradezu als Lehrsatz aus: „stöst sie euch 10 mal zurück, so müsst ihr 20 mal wiederkommen". Dramatisch wirken diese neuen, aber nicht verbesserten Auflagen desselben Motivs nur langweilig. — Nachlässigkeiten der Motivierung finden sich ebenfalls. So kommt z. B. die Heirat zwischen Hokuspokus und Liessgen am Schlüsse des Säuffers ganz unerwartet, da die beiden im Laufe des Stückes sich gar nicht näher getreten sind. Akad. Schlendrian 4,2 erscheint Donat in demselben Kostüm wie Galanthomme, wodurch allein das Quiproquo zustande kommt: diese auffallende Gleichheit des Kostüms ist nicht motiviert. Für den Dialog hat Picander von Weise manches entlehnt. Weisisch ist die Parallelisierung der Reden. Weise geht hierin ausserordentlich weit; Picander ist massvoller, wenn es z. B. Säuffer 2,5 heisst: „Antonine: Wie könt ihr so reden, Polyzythus? Polyzyth: Und wie könt ihr euch verstellen, Antonine?" Echt Weisisch ist auch die vierfache Anaphora im Säuffer 4,7, einer Scene, die ja auch sonst Weisischen Einfluss zeigt. Das Auffangen eines Wortes, an dem sich dann der Dialog fortrankt, findet sich z. B. Säuffer 2,1. — Einzig steht die Responsion des Dialogs in den Scenen 2,2 und 5,3 des Säuffers: 2,2 weist Dorinde die Werbung des CamiUus folgendermassen ab: „Dorinde: Verzeihet mir, ich habe eure Stimme verkennet. Camillus: Meine Stimme, so nach euch seuffzet. Dorinde: Die ich nicht hören will. Camillus: Mein Hertze, so euch anbethet Dorinde: So ich wenig achte. Camillus: Meine Treue, die nicht wanket Dorinde: Die ich nicht verlange" u. s. w.

 

— 117 — 5,3 dagegen weist Camillus die Werbung Dorindens zurück: „Camillus: Verzeihet mir, ich habe eure Stimme verkennet. Dorinde: Meine Stimme, die — — — Camillus: Die ich nicht hören will. Dorinde: Die euch die Übergabe Camillus: So ich wenig achte. Dorinde: Meines Herzens Camillus: Das ich nicht verlange. Dorinde: Endecken will." Diese genaue Responsion hat Picander im vorliegenden Falle der ganz gleichen 6. Scene des 2. Aktes von Mr. de Palaprats Fille de bon sens (Th^ätre Italien Band IV) zwischen Arlequin und Colombine nachgebildet; nur folgen dort die beiden respondirenden Teile unmittelbar aufeinander, während sie im Säuffer, zum Nachteil der Wahrscheinlichkeit und der Wirkung so weit auseinander stehen. — Derartige rhetorische Motive, die dem Dialog bei Weise etwas pedantisches geben, sind bei Picander nicht zu häufig angebracht, vielmehr zeigt der Dialog im Allgemeinen einen flotten, beweglichen Zug. Diese Lebhaftigkeit wird durch verschiedene Mittel erreicht, vor allem durch das bei Weise seltene des Unterbrechens eines Redenden durch seinen Gegner (z. B. Säuffer 1,2. 1,4. 4,1. 4,4). Auch freiwilliges Abbrechen des Redenden findet sich, als Charakterisierungsmittel (z.B. Säuffer 1,2. 2,5). Am Scenenbeginn führt uns der Dialog bisweilen in medias res hinein, so, dass das Gespräch bereits im Gange ist, als die Scene beginnt (Säuffer 4,2. 5,2). Retardierung der Pointe, um Spannung zu erzeugen, begegnet uns in der Weiberprobe 2,1. Im Säuffer 3,2 finden wir den komischen Zug, dass die beiden Diener immer zu gleicher Zeit auf den Doktor einreden. Gut ist im Akademischen Schlendrian 5,1 die Eifersucht der sich mit Recht betrogen glaubenden Caroline im Dialog durch ihr mehrmaliges Recurrieren auf den Namen der Nebenbuhlerin Marianne ausgedrückt. — Daneben fehlt es, besonders im Säuffer, nicht an sehr steifen, fast monologischen Abhandlungen einer Person^ während die anderen fast stumm auf der Bühne stehen (2,1. 3,3. 4,1.). — Als charakteristische Probe für die Lebendigkeit des Dialogs, in der aber deutlich auch die Weisische Rhetorik zu erkennen ist, gebe ich die 6. Scene des 1. Akts der Weiberprobe, in der Buonconto den beiden Ehemännern seine Beobachtungen mitteilt: „Buonc: Ihr guten lieben alten Herren, ich bedaure euch von Grund der Seelen. Eure Weiber — — Ohnes.: Unsere Weiber — — Nillh.: Sind ehrliche Weiber. Buonc: Sind ungetreue Weiber. 118 Ohnes. : Ach Herr Wirth, sey er doch nicht immer so kurzweilig, sage er uns was er uns zu sagen hat, ohne Umstände. Buonc: Im rechten Ernst, meine Herren; was ich sage. Nillh.: Warum, warum? Buonc: Herr D. Rübezahl redet mit Herr Ohnesafft und Herr D. Wurmsaamen und die Fr. Nillhomin — — Nillh.: Reden mit einander? Buonc: Courtesiren mit einander. (Nillhom schlägt verwundernd die Hände zusammen.) Buonc: Und wenn ich darzu kam, so hat meine Frau — — Nillh.: Es ihm gesaget? Buonc : Gehustet Ohnes.: Sieht er Herr Gevatter, dass seine Frau nicht so ehrlich ist. als die Meinige. Ich ehre mir mein Dorgen. Buonc : Halt ! halt ! Herr Ohnesafft, ich muss noch mehr erzehlen. Herr D. Wurmsaamen spricht mit Herr Nillhomen und seiner Fr. Liebste, und Herr D. Rübezahl und die Frau Ohnesafftin — — Ohnes.: Behorchen uns mit einander? Buonc: Courtesiren mit einander. (Ohnesafft murmelt.) Buonc.: Und meine Frau, wenn ich darzu kam — — Ohnes.: Hat es auch nicht besser gemacht. Buonc: Ey der Teuffei! sie hat gehust" Den Monolog — den Gottsched verdammte — wendet Picander in ziemlich ausgebreitetem Masse an. Neben den burlesken Monologen der Harlekine (A. Seh. 2,4. Sffr. 3,5 u. ö.) findet sich besonders häufig das Motiv, dass eine Person nach einem Gespräch mit anderen, wenn diese abgegangen sind, auf der Bühne zurückbleibt und ihre Empfindungen und Ansichten über das eben vernommene, sowie ihre daraus folgenden Absichten, am Ende der Scene in kürzeren oder längeren monologischen Ausführungen kundgiebt (A. Seh. 1,9. 3,3. 3,4. 4,2. 4,6. Weiberpr. 2,4. 2,5. 3,3. 3,9. Sffr. 1,1. 2,5. 2,6. 3,6. 4,4. 5,3). Nicht selten sind diese Monologe am Scenenschluss ad spectatores gerichtete Verdeutlichungen der Intrigue. In diesem Beiseite-Sprechen^) zeigt Picander sonst keine besonderen Eigentümlichkeiten. Meist dient es zur Verdeutlichung der Gefühle des Redenden, oder wie Weise (Vorr. zu den „Neuen Proben von der vertrauten Redens-Kunst") sagt: „hierdurch werden die Gedancken verstanden, welche bey den vertraulichsten Reden mit dem Munde nicht allezeit übereinstimmen"; bisweilen auch zu satirischen Seitenhieben oder komischen Wirkungen (wie A. Seh. 4,4). — ») ,a part** heisst es im Th. J., bei Weise ,ad spectatores", bei Picander .vor sich". Im Grunde ist alles dasselbe.

 

— 119 ^ In den Personen ist das Princip der paarweisen Zusammengehörigkeit paralleler Figuren, wohl nach Weise, fast überall durchgeführt (Galanthomme-Jolie ; Nillhom-Ohnesafft ; ihre Frauen ; Frau Vielgeld-Carolingen; RübezahlWurmsaamen ; Orontes-Camillus ; Antonine-Dorinde : Harlequin-Peter ; Mischmasch-Hokuspokus). — Die Personennamen sind nicht nach einem Princip gewählt, und die Sitte, die Namen zu Etiketten der Charaktere zu machen, wie sie vor allem in den Stücken der Gottschedin bis zum Unerträglichen geübt wird, hält sich noch in bescheidenen Grenzen. Schon Weise hat gelegentlich derartige Namen, besonders für niedere Personen; auch im Th^-eätre Italien giebt es einen Arzt Tuetout, einen Oberst Ravageon, 3 Schergen Rapiniere, Füret und Grippetout. In den Namen Galanthomme, Jolie, Capriol, Polyzyth, Buonconto wirkt noch die fremde Sprache verhüllend, aber Vielgeld, Ohnesafft und Stockblind sind schon ganz gottschedisch. Regel sind diese Namensformen für nur gelegentlich im Stücke erwähnte, nicht auftretende Personen; Akad. Schlendrian 5,4 begegnet uns sogar eine Frau Aushelfferin. Die romantischen Namen für die Liebespaare im Säuffer sind bezeichnend für den Stil der ganzen Liebeshandlung in diesem Stücke (s. oben S. 102), Die Bühnenanweisungen oder besser die scenarischen Bemerkungen hat Picander in sehr reichem Masse angewandt, zunächst zu Vorschriften für die schauspielerische Gestaltung der Rollen, sehr eingehend z. B. in der Scene des betrunkenen Polyzyth (Sffr. 4, 7). Oefters dagegen geht die scenarische Bemerkung über diesen natürlichen Rahmen hinaus und wird zur erklärenden Note des Autors für seinen Leser; so, wenn es Weiberprobe 1,6 (am Anfang) heisst: „Indem Buonconto kömt, hustet seine Frau wiederum, dass die Frau Ohnesafft und Hr. D. Rübezahl nicht verraten werden"; oder Säuffer 5,3: „will weggehen, den Camillo wird das Hertz gerühret, dass er sie zurücke hält." Sehr ausführlich sind besonders, wie auch bei Weise, die scenischen Anweisungen in den Harlekinsscenen, und es ist öfters anzunehmen, dass sie dann nur die allgemeine Directive für dem Schauspieler überlassene extemporierte Stegreifspässe geben sollen. Derartige Scenen sind im Theätre Italien ausserordentlich häufig, und auch die deutsche Komödie bestand, wie wir sahen, damals zum grossen Teil in Extemporationen. In der Weiberprobe 2,9 heisst es beispielsweise : „Hr. Nillhom und Hr. Ohnesafft kommen wieder hervor mit grausam grossem Gelächter und becomplimentiren den Herrn Buonconto. Nach einer Weile sagt er"...; ebenso Säuffer 1,7: „Mischm. schenckt ein, beyde sauffen, unter possirlichen Grimassen und complimenten tapffer herum". Aehnliches findet sich öfters. Der schlagendste Beweis findet sich aber in der Weiberprobe 3,4; dort heisst es: „Er [Wurmsaamen] ziehet sich aus, und Buonconto bindet ihn an einen Stuhl, dass er

 

— 120 — sich nicht daran rühren kan. Lazzo", Dieser speciell dem Th^ätre Italien eigene Ausdruck für Stegreifpossen (=„Hier agiret Pickelhering") ist zugleich ein letzter Beweis für die besonders starke Abhängigkeit der Weiberprobe von diesem Theater. — 7. Schluss. Henricis Dramen sind auch später nie aufgeführt worden, natürlich, denn sie waren für eine Bühne geschrieben, die gerade kurz nach ihrem Erscheinen der allergründlichsten Reform unterzogen wurde. Gottsched spricht sich an verschiedenen Stellen seiner Critischen Dichtkunst versteckt oder offen gegen sie aus: besonders Buoncontos Maskierung als Hund in der Weiberprobe erregte seinen Zorn (Anmerkung zu V. 247 der üebersetzung von Horazens Ars poetica; Nöthiger Vorrath, zum Jahr 1726). Dagegen lobte der anonyme Verfasser des Lustspiels „Der junge Greis", das 1729 erschien (s. Gottsched, Nöth. Vorrath 1,305) Picanders Stücke; er sagt in der Vorrede, „dass man ausser Weisens, Andr. Gryphii und Picanders Stücken wenig taugliches von deutschen Comödien hätte". Schienther a. a. 0. S. 131 hält es für nicht unmöglich, dass Henrici selbst der Verfasser dieses Dramas sowie der ebenfalls 1729 erschienenen „satyrisch-moralischen Tragödie" „Der Demasquirte Macarius" von einem „Haloander" sei. Da die Stücke verschollen sind, so ist die Vermutung gegenstandslos, abgesehen von ihrer Unwahrscheinlichkeit. Schienther denkt auch an Picander als eventuellen Verfasser des „satyrisch-moralischen Nachspiels" „Der Dressdenische Mägde-Schlendrian" (1729), das man gewöhnlich König zuschreibt, zu dessen Frauenschlendrian es offenbar ein Gegenstück sein will. Es zeigt allerdings ganz das Henricische Milieu und seine etwas vergröberte Kunst: doch ist Picander als Verfasser eines Dresdener Localstücks nicht gut denkbar. Er wird überhaupt nach dem Misserfolg seiner „Teutschen Schauspiele" kaum grossen Trieb zu dramatischer Production gespürt haben. Nur einmal hat er die Mode mitgemacht und ein Schäferspiel geschrieben: „Die Liebe in den Schäferhütten", das verschollen, vielleicht gar nicht gedruckt ist. Es gehörte sonderbarerweise zum Repertoire der Neuberin und wurde von dieser schon 1727 — 29^), dann 1733 in Hamburg^) aufgeführt. Auch in Schönemanns Repertoire erscheint es als „von der Akademie cassiert."^) Die Neueren verurteilen Henricis Dramen meist in Bausch und Bogen. Gewiss sind sie keine bedeutende künstlerische Leistung. ^) Schmid, Chronologie des deutschen Theaters 1775. 2) Schütze, Hambnrgische Theatergeschichte. 1794. S. 223. ^) Hans Devrient, Joh. Friedr. Schönemaun. 1895. (Anhang XXXIX).

 

— 121 — Aber eine scharfe Beobachtung des gemeinen Lebens, eine frische Lebendigkeit der Darstellung, eine ausgelassene derbe Lustigkeit wird man immerhin als Vorzüge nennen können, besonders wenn man die Zeit der Entstehung in Betracht zieht: Picander ist einer der ersten, die überhaupt wieder eine einigermassen kunstmässige Komödie wagen. Seine Dramen haben, wie seine sonstige Dichtung, die relative Bedeutung, den Stand der Kunst zu repraesentiren, den Gottsched vorfand, als er an seine Eeform des Theaters ging. Zugleich aber zeigen sie selbst schon die ersten Keime der neuen Entwicklung, die ersten Ansätze zur sächsischen Komödie; für alles, was Goethe und Schiller in den Xenien an dieser als charakteristisch hervorheben, finden sich Andeutungen schon bei Henrici : „Schöne Naivetät der Stubenmädchen zu Leipzig, Komm doch wieder, o komm, witzige Einfalt zurück! Komm Komödie wieder, du ehrbare Wochenvisite, Siegmund, du süsser Amant, Maskarill, spasshafter Knecht." Einzelne der Namen erinnern in ihrem Princip an die Stücke der Gottschedin, die rührenden Elemente im Säuifer an Geliert, die Lisette an Lessing. — Freilich, wenn Waniek sagt, Henrici habe von Natur das Zeug gehabt zu einer Minna von Barnhelm, so ist das zurückzuweisen: das was Henrici fehlte, war die Persönlichkeit.

 

Inhalt

 

Henrici als Litterat 5 1.

 

Jugend 5

 

2. Productive Periode 8 a.

 

Einleitendes 8 b. Henrici als Gelegenheitsdichter 11 c.

 

Henricis Zeitschriften und ihre Nachahmungen 16 a.

 

Entstehung 16 ß.

 

Form 25 (f. Chronologie 29 d.

 

Die Raserey bei den Poeten 31 e.

 

Geistliche Dichtung 44 f.

 

Fehden mit Gottscheds Tadlerinnen 46 g.

 

Henricis Anstellung als Beamter 53 h.

 

Fehden mit Gottscheds Biedermann 55 3.

 

Henricis ferneres Leben 62 IL

 

Henrici als Dramatiker 66

 

1. Vorbemerkungen 66 a.

 

Das deutsche Lustspiel vor Henrici 66 b.

 

Gottscheds und Henricis Theorie 69

 

2. Akademischer Schlendrian 72 a.

 

Inhalt 72 b.

 

Motive und Charaktere 75

 

3. Weiberprobe 86 a.

 

Inhalt 86 b.

 

Motive und Charaktere 89

 

4. Säuffer 94 a.

 

Inhalt 94 b.

 

Motive und Charaktere 97

 

5. Die komischen Figuren und Motive 102

 

6. Die Technik 112

 

7. Schluss 120 •» *

 

Lebenslauf. Ich, Heinrich Paul Flossmann, evangelischer Konfession, bin geboren am 16. April 1876 zu Zwickau i. S. Von Ostern 1886 besuchte ich die Thomasschule zu Leipzig, die ich Ostern 1895 mit dem Reifezeugnis verliess. Darauf widmete ich mich an den Universitäten Leipzig und Berlin hauptsächlich klassisch-philologischen und germanistischen Studien. Vorlesungen hörte ich in Leipzig bei den Herren Professoren : v. Bahder, Birch -Hirschfeld, Brugmann, Bücher, Gardthausen, Heinze, Hofmann, Köster, Lamprecht, Lipsius, Ribbeckf, Rieh. Richter, Schreiber, Sievers, Volkelt, Wachsmuth, Windisch, Witkowski, Wundt; in Berlin bei den Herren Professoren: H. Grimm, Reinhold, E. Schmidt, Ad. Wagner, V. Wilamowitz-Möllendorff. Ich nahm teil an den Uebungen oder Gesellschaften der Herren Professoren Cichorius, Elster, Lipsiufi, Ribbeckf, Schreiber, Witkowski in Leipzig, und war Mitglied des philologischen Proseminars (Immisch) und Seminars (Lipsius, Ribbeckf, Wachsmuth), der neufranzösischen Abteilung des romanischen Seminars (W ei gand), der althochdeutschen (Sie vers), mittelhochdeutschen (v. Bahder, Sievers), neuhochdeutschen (Elster) Abteilungen des deutschen Proseminars zu Leipzig, der neueren Abteilungen der deutschen Seminare zu Leipzig (Köster) und Berlin (E. Schmidt), des praktisch -paedagogischen Seminars zu Leipzig (Rieh. Richter). Im besonderen möchte ich äu dieser Stelle Herrn Prof. Witkowski für die Anregung zu vorliegender Arbeit, den Verwaltungen der Leipziger Stadtbibliothek und Universitätsbibliothek, des Leipziger Ratsarchivs und üniversitätsarchivs, des Dresdner Hauptstaatsarchivs für freundliches Entgegenkommen meinen Dank auszusprechen nicht unterlassen.

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750)

 

Op muzikaal gebied is er veel bekend over de werken van Johann Sebastian Bach, maar lang niet altijd is bekend, welke dichters en libretto-schrijvers teksten voor zijn cantaten en koralen hebben geleverd c.q. welke teksten Bach zelf heeft aangepast of voor hem aangepast zijn. Deze website wil zo mogelijk in die lacune voorzien.

 

 

 

 

Johann Christian Clauder (n.d.)

Salomo Franck (1649-1725)

Paul Gerhard (1607-1676)

Johann Christoph Gottsched (1700-1766)

Johann Friedrich Helbig (1680-1722)

Christian Friedrich Henrici (ps. Picander) (1700-1764)

Christian Friedrich Hunold (1680-1721)

Georg Christian Lehms (ps. Pallidor) (1684-1717)

Martin Luther (1483-1546)

Erdmann Neumeister (1671-1756)

Philipp Nicolai (1556-1608)

Pallidor s. Georg Christian Lehms

Philipp Nicolai (1685-1750)

Picander s. Christian Friedrich Henrici

Christiane Mariane von Ziegler (1695-1760)

 

 

 

Alfabetisch op titel van de cantate

Teksten op BWV-nummer van de cantate

 

 

 

 

 

27 juni 2014

 

 

 

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